008 - DRAKE PASSAGE NACH PUERTO WILLIAMS
16/02/19 00:00 Antarctica
Hallo Ihr Lieben!
Friedliche Tage im »Omega Channel« der »Melchior Islands«: Zeit zum kochen, Zeit zum Gitarre spielen, Zeit zum reden, Zeit genug, um auch mal tagelang auf die Sonne zu warten. Dieser herrliche Ankerplatz ist mit Sicherheit der heimeligste unserer gesamten Antarktisreise. Dennoch bietet er ein spektakuläres Panorama: Voraus eine hohe Eiswand, aus der es immer wieder heftig grummelt. Herabfallendes Eis treibt zuverlässig mit der Strömung des »Omega Channel« an unseren in einer kleinen Nische gut vertäuten Booten vorbei, so das wir Nachts ruhig schlafen können. Seeleoparden und andere Robben faulenzen auf den umliegenden Felsvorsprüngen. Hinter uns rinnt ein Bach von der Felswand. Wohlschmeckendes Wasser, leicht erreichbar. Hin und wieder sehen wir andere Boote auf der Durchreise, meist Charterboote, deren knapper Zeitplan wenig Spielraum für Romantik bietet. Das stört nicht, und bietet Gelegenheit zu kurzen, interessanten Schwätzchen.
Während dieser friedlichen Tage beobachten wir täglich die Entwicklung eines brauchbaren »Wetterfenster« für die »Drake Passage«. Vom vierten Februar verschiebt es sich allmählich auf den sechsten, dann den siebten, bei ständigen Änderungen. Dieses meteorologische »Wissen« stört die Kontemplation, ist aber sinnvoll, wenn man die ganz grobe Dusche vermeiden will, womöglich noch bei der Annäherung an Kap Hoorn. Am Morgen des sechsten Januars entscheiden B und ich uns, gegen Abend auszulaufen. Wegen unserer begrenzten Dieselreserven halten wir es für geboten, die Rückseite des abziehenden Tiefdrucksystemes zu nutzen, um Strecke unter Segeln zu machen. Unsere Freunde von der HAIYOU wollen noch zwölf Stunden zuwarten. Man hofft auf weniger Wind und moderateren Seegang. Diesel für die dann zu erwartende Flaute hat man in Hülle und Fülle.
Wir beginnen also mit den unzähligen aber notwendigen Handreichungen vor dem absegeln: Landleinen einsammeln, Aussenborder, Fender und Dinghy seesicher stauen, Kutterfock und Schoten anschlagen, vorkochen, aufräumen. Danach sind wir schon ziemlich platt. Das ist nicht ideal, schon wegen des herrschenden Schietwetters: Schlechte Sicht, Schneefall, Kälte. Nicht zuletzt kostet das Anziehen der vielen Schichten Merino, Faserpelz und Goretex wieder Zeit und Kraft. Am späten Nachmittag legen wir endlich ab, mit einem schmerzhaften Knoten im Magen. Zum Glück kommt der Anker ohne Probleme vom Grund. Noch im Schutz der »Melchior Islands« setze ich (M) das Großsegel, während B unter Maschine um »Growler« und »Bergy Bits« herumkurvt. Mäßiger Wind zunächst, aus SE, so wie angesagt. Ein paar Meilen weiter ändert sich das Bild. NE jetzt, 30 - 45 Knoten, Stärke sechs bis acht, konfuse See, hoch und steil. Umkehren? Wir entscheiden uns dagegen. In aller Eile binde ich zwei Reffs ins Groß und setzte die kleine Kutterfock. Leider trage ich dabei nur das normale Ölzeug, keinen Trockenanzug, was sich böse rächt, als einige eisige Brecher über den Bug schlagen. Total erledigt, durchgefroren und durchnässt wie ich bin, dauert es nicht lange, bis ich schwer seekrank auf dem Boden des Salons an den Heizkörpern liege, und nur apathisch verfolgen kann, wie B hoch am Wind segelnd dem Treibeis draussen ausweicht, bei schlechter Sicht und Grabeskälte. Leider muss sie dazu meist draussen bleiben, was saukalt ist. Die Angelsachsen haben ein gutes Wort dafür: »Miserable«.
Zwanzig hart erkämpfte Seemeilen weiter steigt in einer schweren Sturmböe der Autopilot aus. Übel ratternde Geräusche, Getriebeschaden. Draussen ist es fast dunkel. Der Sommer ist bald vorüber, zumindest in diesen Breiten. Umkehren, zurück ins Eis? Bloß nicht. Nach einiger Überlegung drehen wir bei. Die nächste Stunde zählt zu den übelsten unseres Seglerlebens. B sucht Werkzeug und den gut verstauten Ersatzmotor für den Autopiloten heraus und wird dabei ebenfalls seekrank. M kriecht in die Achterpiek unter den schweren Ruderquadranten und baut den zerstörten Motor aus. Zwischendurch füttern wir gemeinsam die Fische. Draussen heult der Sturm. Wir treiben derweil in schwerer See mit drei Knoten gen Lee. Seeraum ist da, aber vielleicht auch bald wieder Eis? Endlich ist es getan. Zurück auf Kurs. Der Autopilot steuert wieder so wie er soll. Mit sieben Knoten geht es hoch am Wind in die Nacht. Zum Glück läuft die Heizung, sonst wären wir jetzt ganz übel dran.
Zwei Tage später sieht die Welt viel besser aus. Unser »Wetterfenster« funktioniert so wie es soll und stabilisiert sich. Unter stahlblauem Himmel laufen wir bei herrlich leichter Brise aus Ost unter Vollzeug auf Kap Hoorn zu. Beim Passieren sollten wir dann, laut GFS, sogar Südwestwind, also Rückenwind haben. Noch 230 Seemeilen. Ein Katzensprung, eigentlich. Irgendwo hinter uns segelt die HAIYOU unter Genacker durch die Nacht. Man will wohl ebenfalls dranbleiben.
Hundert Seemeilen vor dem Hoorn dreht der Wind über Süd auf Südwest, wie erwartet. Beim Passieren in der Nacht bläst es mit vierzig Knoten, zum Glück genau von achtern. Im Morgengrauen passieren wir die Isla Lennox, mit ihrem verführerischen Ankerplatz. Bloß vorwärts jetzt, bevor es weiter auf West dreht… Der Beagle Kanal kann dann sehr ungemütlich werden. Alles geht gut. Erst fünfzehn Meilen vor Puerto Williams dreht der Wind auf den Kopf. Motor an, Vollgas, das tut ihm mal gut. Tief taucht der Bug ein, weißes Salzwasser rauscht über Deck, aber egal: Wir haben es geschafft! Puerto Williams nach beinahe sieben Wochen voller Abenteuer. Es regnet in Strömen, viel Neuschnee liegt in den Bergen, und an der alten MICALVI sind alle Liegeplätze belegt, aber auch das stört uns jetzt nicht mehr. Wir picken die letzte freie Mooring auf, machen gleich das Dinghy klar und fahren zum Einklarieren in die Stadt. Die Beine unter uns und der Tresen der Hafenbehörde schwanken merklich, als wir im tropfendem Ölzeug die Bögen ausfüllen. Zur Belohnung gehen wir danach zu den »Kolumbianerinnen«: Der bullernde Ofen, das große, eiskalte Bier und die heißen »Empenadas« mit »Centolla« Füllung bringen uns dort den Himmel auf Erden.
Bei Einbruch der Dunkelheit fahren wir zurück an Bord. Eben wollen wir todmüde in die wohlverdiente Koje fallen, als die SANTA MARIA AUSTRALIS eintrifft, die einen Tag vor uns aus dem »Omega Channel« abgesegelt ist. Da keine Mooring mehr frei ist, gehen sie kurzerhand bei uns längsseits. Im Gegenzug werden wir vom netten Kapitän Christian zum groß angelegten Dinner gebeten. Die Gäste an Bord wirken überglücklich über das in den letzten Wochen geleistete. Es gibt jedenfalls unendlich viel zu schnacken, während die Christian und Karl alles auftischen, was die Kombüse der SANTA MARIA AUSTRALIS noch hergibt: Herrlich fettige Kasslerrippchen, dicke Salzkartoffeln in fetter Soße, Leipziger Allerlei, Erbsen, Möhren, ein Riesensalat, jede Menge kaltes Bier und natürlich Ernest Shakleton‘s Lieblingswhisky… Alles bestens.
Die folgenden Tage vergehen wie im Flug. Die Freunde auf der HAIYOU treffen zwei Tage nach uns ein, müde von der Überfahrt und euphorisch über das geleistete. Leider bleibt kaum Zeit zum Feiern. Lynn sitzt bereits am nächsten Morgen im Flugzeug nach Peking, während Chris sein argentinisches Crewmitglied Javier zurück nach Ushuaia bringt. B und ich wollen auch nicht lange in Puerto Williams bleiben und haben daher unendlich viel zu tun. Weit über tausend Seemeilen sind es nach Puerto Montt, gegen den Wind, gegen Kälte, Regen und Schnee, durch eine der letzten großen Wildnisse der Erde, die »Patagonian Channels«, mit ihrem zyklopischen Labyrinth von Kanälen und Fjorden. Drei Monate Zeit kalkulieren wir dafür ein. Entsprechend schleppen wir erneut Unmengen von Diesel und Vorräten an Bord, bis die Wasserlinie der VERA nicht mehr zu sehen ist. Wir freuen uns auf dieses neue Abenteuer. Der zurückliegende Törn in die Antarktis hat uns einiges abverlangt. Da kommen ruhige Tage in idyllischen, graugrün verfilzten Ankerplätzen gerade recht. Vielleicht regnet es ja in diesem Jahr etwas weniger als sonst. Drückt uns die Daumen. VERA out.
Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch B und M / SY VERA / Puerto Williams / Isla Navarino / Chile
1 - Abschied vom Eis: »Bergy Bit« in den Melchior Islands.

2 - Ruhige »Drake Passage«: Irgendwo voraus liegt Kap Horn. Ein Film von B+M.
3 - Leichtwind in der »Drake Passage«

4 - Der Rückweg: Karte der »Drake Passage«

5 - So wollen wir nicht enden: Ein Wrack im Eingang des »Beagle Kanals«.

6 - Zurück in Puerto Williams: Im Vordergrund mähen einige Wildpferde den Rasen. Selbst auf der Großbaustelle »Neue Straße zur MICALVI« gehen die Dinge ihren gewohnten Gang. Im Hintergrund erkennt man die VERA an einer Mooring, längsseits an der SANTA MARIA AUSTRALIS.

Friedliche Tage im »Omega Channel« der »Melchior Islands«: Zeit zum kochen, Zeit zum Gitarre spielen, Zeit zum reden, Zeit genug, um auch mal tagelang auf die Sonne zu warten. Dieser herrliche Ankerplatz ist mit Sicherheit der heimeligste unserer gesamten Antarktisreise. Dennoch bietet er ein spektakuläres Panorama: Voraus eine hohe Eiswand, aus der es immer wieder heftig grummelt. Herabfallendes Eis treibt zuverlässig mit der Strömung des »Omega Channel« an unseren in einer kleinen Nische gut vertäuten Booten vorbei, so das wir Nachts ruhig schlafen können. Seeleoparden und andere Robben faulenzen auf den umliegenden Felsvorsprüngen. Hinter uns rinnt ein Bach von der Felswand. Wohlschmeckendes Wasser, leicht erreichbar. Hin und wieder sehen wir andere Boote auf der Durchreise, meist Charterboote, deren knapper Zeitplan wenig Spielraum für Romantik bietet. Das stört nicht, und bietet Gelegenheit zu kurzen, interessanten Schwätzchen.
Während dieser friedlichen Tage beobachten wir täglich die Entwicklung eines brauchbaren »Wetterfenster« für die »Drake Passage«. Vom vierten Februar verschiebt es sich allmählich auf den sechsten, dann den siebten, bei ständigen Änderungen. Dieses meteorologische »Wissen« stört die Kontemplation, ist aber sinnvoll, wenn man die ganz grobe Dusche vermeiden will, womöglich noch bei der Annäherung an Kap Hoorn. Am Morgen des sechsten Januars entscheiden B und ich uns, gegen Abend auszulaufen. Wegen unserer begrenzten Dieselreserven halten wir es für geboten, die Rückseite des abziehenden Tiefdrucksystemes zu nutzen, um Strecke unter Segeln zu machen. Unsere Freunde von der HAIYOU wollen noch zwölf Stunden zuwarten. Man hofft auf weniger Wind und moderateren Seegang. Diesel für die dann zu erwartende Flaute hat man in Hülle und Fülle.
Wir beginnen also mit den unzähligen aber notwendigen Handreichungen vor dem absegeln: Landleinen einsammeln, Aussenborder, Fender und Dinghy seesicher stauen, Kutterfock und Schoten anschlagen, vorkochen, aufräumen. Danach sind wir schon ziemlich platt. Das ist nicht ideal, schon wegen des herrschenden Schietwetters: Schlechte Sicht, Schneefall, Kälte. Nicht zuletzt kostet das Anziehen der vielen Schichten Merino, Faserpelz und Goretex wieder Zeit und Kraft. Am späten Nachmittag legen wir endlich ab, mit einem schmerzhaften Knoten im Magen. Zum Glück kommt der Anker ohne Probleme vom Grund. Noch im Schutz der »Melchior Islands« setze ich (M) das Großsegel, während B unter Maschine um »Growler« und »Bergy Bits« herumkurvt. Mäßiger Wind zunächst, aus SE, so wie angesagt. Ein paar Meilen weiter ändert sich das Bild. NE jetzt, 30 - 45 Knoten, Stärke sechs bis acht, konfuse See, hoch und steil. Umkehren? Wir entscheiden uns dagegen. In aller Eile binde ich zwei Reffs ins Groß und setzte die kleine Kutterfock. Leider trage ich dabei nur das normale Ölzeug, keinen Trockenanzug, was sich böse rächt, als einige eisige Brecher über den Bug schlagen. Total erledigt, durchgefroren und durchnässt wie ich bin, dauert es nicht lange, bis ich schwer seekrank auf dem Boden des Salons an den Heizkörpern liege, und nur apathisch verfolgen kann, wie B hoch am Wind segelnd dem Treibeis draussen ausweicht, bei schlechter Sicht und Grabeskälte. Leider muss sie dazu meist draussen bleiben, was saukalt ist. Die Angelsachsen haben ein gutes Wort dafür: »Miserable«.
Zwanzig hart erkämpfte Seemeilen weiter steigt in einer schweren Sturmböe der Autopilot aus. Übel ratternde Geräusche, Getriebeschaden. Draussen ist es fast dunkel. Der Sommer ist bald vorüber, zumindest in diesen Breiten. Umkehren, zurück ins Eis? Bloß nicht. Nach einiger Überlegung drehen wir bei. Die nächste Stunde zählt zu den übelsten unseres Seglerlebens. B sucht Werkzeug und den gut verstauten Ersatzmotor für den Autopiloten heraus und wird dabei ebenfalls seekrank. M kriecht in die Achterpiek unter den schweren Ruderquadranten und baut den zerstörten Motor aus. Zwischendurch füttern wir gemeinsam die Fische. Draussen heult der Sturm. Wir treiben derweil in schwerer See mit drei Knoten gen Lee. Seeraum ist da, aber vielleicht auch bald wieder Eis? Endlich ist es getan. Zurück auf Kurs. Der Autopilot steuert wieder so wie er soll. Mit sieben Knoten geht es hoch am Wind in die Nacht. Zum Glück läuft die Heizung, sonst wären wir jetzt ganz übel dran.
Zwei Tage später sieht die Welt viel besser aus. Unser »Wetterfenster« funktioniert so wie es soll und stabilisiert sich. Unter stahlblauem Himmel laufen wir bei herrlich leichter Brise aus Ost unter Vollzeug auf Kap Hoorn zu. Beim Passieren sollten wir dann, laut GFS, sogar Südwestwind, also Rückenwind haben. Noch 230 Seemeilen. Ein Katzensprung, eigentlich. Irgendwo hinter uns segelt die HAIYOU unter Genacker durch die Nacht. Man will wohl ebenfalls dranbleiben.
Hundert Seemeilen vor dem Hoorn dreht der Wind über Süd auf Südwest, wie erwartet. Beim Passieren in der Nacht bläst es mit vierzig Knoten, zum Glück genau von achtern. Im Morgengrauen passieren wir die Isla Lennox, mit ihrem verführerischen Ankerplatz. Bloß vorwärts jetzt, bevor es weiter auf West dreht… Der Beagle Kanal kann dann sehr ungemütlich werden. Alles geht gut. Erst fünfzehn Meilen vor Puerto Williams dreht der Wind auf den Kopf. Motor an, Vollgas, das tut ihm mal gut. Tief taucht der Bug ein, weißes Salzwasser rauscht über Deck, aber egal: Wir haben es geschafft! Puerto Williams nach beinahe sieben Wochen voller Abenteuer. Es regnet in Strömen, viel Neuschnee liegt in den Bergen, und an der alten MICALVI sind alle Liegeplätze belegt, aber auch das stört uns jetzt nicht mehr. Wir picken die letzte freie Mooring auf, machen gleich das Dinghy klar und fahren zum Einklarieren in die Stadt. Die Beine unter uns und der Tresen der Hafenbehörde schwanken merklich, als wir im tropfendem Ölzeug die Bögen ausfüllen. Zur Belohnung gehen wir danach zu den »Kolumbianerinnen«: Der bullernde Ofen, das große, eiskalte Bier und die heißen »Empenadas« mit »Centolla« Füllung bringen uns dort den Himmel auf Erden.
Bei Einbruch der Dunkelheit fahren wir zurück an Bord. Eben wollen wir todmüde in die wohlverdiente Koje fallen, als die SANTA MARIA AUSTRALIS eintrifft, die einen Tag vor uns aus dem »Omega Channel« abgesegelt ist. Da keine Mooring mehr frei ist, gehen sie kurzerhand bei uns längsseits. Im Gegenzug werden wir vom netten Kapitän Christian zum groß angelegten Dinner gebeten. Die Gäste an Bord wirken überglücklich über das in den letzten Wochen geleistete. Es gibt jedenfalls unendlich viel zu schnacken, während die Christian und Karl alles auftischen, was die Kombüse der SANTA MARIA AUSTRALIS noch hergibt: Herrlich fettige Kasslerrippchen, dicke Salzkartoffeln in fetter Soße, Leipziger Allerlei, Erbsen, Möhren, ein Riesensalat, jede Menge kaltes Bier und natürlich Ernest Shakleton‘s Lieblingswhisky… Alles bestens.
Die folgenden Tage vergehen wie im Flug. Die Freunde auf der HAIYOU treffen zwei Tage nach uns ein, müde von der Überfahrt und euphorisch über das geleistete. Leider bleibt kaum Zeit zum Feiern. Lynn sitzt bereits am nächsten Morgen im Flugzeug nach Peking, während Chris sein argentinisches Crewmitglied Javier zurück nach Ushuaia bringt. B und ich wollen auch nicht lange in Puerto Williams bleiben und haben daher unendlich viel zu tun. Weit über tausend Seemeilen sind es nach Puerto Montt, gegen den Wind, gegen Kälte, Regen und Schnee, durch eine der letzten großen Wildnisse der Erde, die »Patagonian Channels«, mit ihrem zyklopischen Labyrinth von Kanälen und Fjorden. Drei Monate Zeit kalkulieren wir dafür ein. Entsprechend schleppen wir erneut Unmengen von Diesel und Vorräten an Bord, bis die Wasserlinie der VERA nicht mehr zu sehen ist. Wir freuen uns auf dieses neue Abenteuer. Der zurückliegende Törn in die Antarktis hat uns einiges abverlangt. Da kommen ruhige Tage in idyllischen, graugrün verfilzten Ankerplätzen gerade recht. Vielleicht regnet es ja in diesem Jahr etwas weniger als sonst. Drückt uns die Daumen. VERA out.
Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch B und M / SY VERA / Puerto Williams / Isla Navarino / Chile
1 - Abschied vom Eis: »Bergy Bit« in den Melchior Islands.

2 - Ruhige »Drake Passage«: Irgendwo voraus liegt Kap Horn. Ein Film von B+M.
3 - Leichtwind in der »Drake Passage«

4 - Der Rückweg: Karte der »Drake Passage«

5 - So wollen wir nicht enden: Ein Wrack im Eingang des »Beagle Kanals«.

6 - Zurück in Puerto Williams: Im Vordergrund mähen einige Wildpferde den Rasen. Selbst auf der Großbaustelle »Neue Straße zur MICALVI« gehen die Dinge ihren gewohnten Gang. Im Hintergrund erkennt man die VERA an einer Mooring, längsseits an der SANTA MARIA AUSTRALIS.

007 - NACH MELCHIOR ISLAND
03/02/19 00:00 Antarctica
Hallo Ihr Lieben!
Bei entschieden kritikwürdigem Winterwetter verbringen wir noch einige Tage in der halbwegs sicheren Ankerbucht von »Port Lockroy«. Den besser aussehenden Wettermodellen zum Trotz weht es kräftig aus NE, Schneegriesel, Regen, schlechte Sicht, schlechte Stimmung. Die Angelsachsen haben ein gutes Wort dafür: »Anxiety«. Die Luft scheint irgendwie raus aus dieser Reise. Das wummern der kalbenden Gletscher ringsum ist auch nichts für schwache Nerven. Und es sorgt für Eis in der Bucht, das uns mehrmals zum umankern zwingt. Uns bleibt eigentlich nur noch der Törn zurück nach Kap Horn, und »heim« nach Puerto Williams, quer über die verfluchte »Drake Passage«, die uns schon ein wenig auf dem Magen liegt. Per e-mail hören wir von der JONATHAN, die in »Pleneau« und »Vernadsky« mit dickem Eis zu kämpfen hat. Bloß gut das wir da raus sind. Die französische CARDINALE liegt in Enterprise Island sicher am Wrack der GOVERNOREN und repariert die defekte Ankerwinsch. Sie hat auch ein paar Ersatzteile für unsere Heizung an Bord, die wir vor einem halben Jahr zu Freunden nach Frankreich geordert hatten. Sollten wir die nicht schnell noch aufpicken? Immerhin hätten wir dann alles doppelt, dreifach und vierfach, sehr beruhigend, wenn man bedenkt, was ein neuerlicher Heizungsausfall an Bord der VERA in dieser Gegend bedeuten würde…
Es sind knapp 50 Seemeilen von »Port Lockroy« nach »Enterprise Island«. Ein Teil der Strecke führt durch den engen, nach dem berühmten Polarforscher und ehemaligem Direktor der »Deutschen Seewarte« Georg von Neumayer benannten »Neumayer Kanal«. Bei deprimierend niedrigen Temperaturen, Schneefall und schlechter Sicht kurven wir stundenlang in Schleichfahrt um das dichte Treibeis, bis wir endlich in der »Gerlache Straße« offenes Wasser erreichen. Die Angelsachsen haben ein gutes Wort dafür: »Miserable«.
Total durchgefroren und erledigt erreichen wir gegen Abend die Nordspitze von »Enterprise Island«. Durch das Fernglas sehen wir einen schwarzen Schoner auslaufen: Die CARDINALE! Es ist zum Haare raufen! Die Reparatur an der Ankerwinsch muss schneller als gedacht gelungen sein. Auf dem UKW Funk verabreden wir ein kurzes Rendezvous auf See, nur zum aufpicken unserer Kleinteile. Noch mal Glück gehabt. Einerseits. Andererseits hätte uns ein gemütliches Beisammensein auch nicht geschadet, vielleicht bei rotem Wein und einem guten Wildschweinbraten á la Créme, oder so. Zum Glück liegt die VIVEKA, ein großer Katamaran, am Wrack der alten GOVERNOREN, was uns das schwierige Einparken dort sehr erleichtert. Der Abend wird nett. Pasta an Bord der VERA mit der sehr netten dreiköpfigen Abenteuerfamilie aus Österreich.
Am frühen Morgen kommt eine e-mail herein: Unser bisheriges »Buddyboat«, die australische HAIYOU, hat ihr Wetterfenster über die »Drake Passage« verpasst und wartet nun auf uns in den »Melchior Islands«, die wir seit längerem als letzte Station auf unserer Antarktisreise ins Auge gefasst hatten. Wir verabschieden uns also herzlich von den netten Österreichern und legen mit frischen Kräften ab. Draussen herrscht Flaute, die aber leider nicht lange anhält. In der »Gerlache Straße« weht es mit 20 Knoten aus SW, also genau von vorn, dazu schlechte Sicht und krachender Seegang. Das kostet Sprit und ordentlich Nerven. Ein Segelrevier ist das hier eigentlich nicht so recht, schon wegen der vielen gefährlichen »Growler«. Total durchgefroren und erledigt erreichen wir gegen Mittag den Eingang zum »Schollaert Kanal« und können rechts abbiegen. Unsere Lage bessert sich, und zwar dramatisch. Bald ist die Genua gesetzt und der VOLVO hat Pause. Die Sonne schaut heraus und wärmt unsere Knochen. Wir sonnen uns auf dem Brückendeck bei leise plätschernder Bugwelle und trinken Kaffee. Auf einem rund gewaschenen »Bergy Bit« spielt eine Herde Pinguine rutschen, was sehr lustig zu beobachten ist. Dazu prusten jede Menge Buckelwale um die VERA herum. Man trifft sich hier wohl wegen der besonders krillhaltigen Strömungsverhältnisse. Endlich die richtige Zeit und der richtige Ort, um diese faszinierenden Tiere einmal in Ruhe aus der Nähe zu beobachten. Bei Annäherung an die mitten in der »Dallmann Bay« gelegene Inselgruppe »Melchior Islands« sehen wir sogar einen weißen Buckelwal, in Begleitung eines Freundes. Und dann sind wir endlich in Sicherheit, wieder im Päckchen neben der HAIYOU, am besten und sichersten Platz im »Omega Channel«. Hohe Fels- und Eiswände ringsum, ein unglaublich erhabenes Panorama.
Bald dinieren wir mit den verloren geglaubten Freunden auf der HAIYOU, ausführlich und bei bullerndem Ofen, trinken Sir Ernest Shakleton‘s Lieblingswhisky und beraten das weitere Vorgehen. Ein Wetterfenster für die »Drake Passage« ist in nächster Zeit nicht in Sicht. Nicht schlimm. Hier im »Omega Channel« kann man es gut aushalten, im Notfall auch einige Wochen. Wir melden uns (hoffentlich) bald wieder, mit einem neuen Newsletter.
Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch B und M / SY VERA / Melchior Islands / Antarctica / POS 64.19,2S - 062.55,0W
1 - Immer wieder ein erhabener Anblick: Die majestätische Dreimastbark EUROPA in »Port Lockroy«.

2 - Die haben es bestimmt bequem: Zwei Expeditionsmotoryachten aus der Feder von Steve Dashew.

3 - Durch den »Neumayer Kanal« an einem trüben, eisigen Morgen.

4 - Der Pinguinspielplatz im »Schollaert Kanal«.

5 - Im »Schollaert Kanal«. Ein Film von B+M.
6 - »Whalewatching« im »Schollaert Kanal« (1)

7 - »Whalewatching« im »Schollaert Kanal« (2)

8 - »Whalewatching« im »Schollaert Kanal«: Der Weiße Wal, in Begleitung eines Kumpels.

9 - »Omega Channel« in den »Melchior Islands«: VERA zwischen HAIYOU und ISATIS.

10 - M auf den »Melchior Islands«.

11 - Unsere Route von »Port Lockroy« durch den »Neumayer Kanal« nach »Enterprise Island« und weiter nach »Melchior Islands«.

Bei entschieden kritikwürdigem Winterwetter verbringen wir noch einige Tage in der halbwegs sicheren Ankerbucht von »Port Lockroy«. Den besser aussehenden Wettermodellen zum Trotz weht es kräftig aus NE, Schneegriesel, Regen, schlechte Sicht, schlechte Stimmung. Die Angelsachsen haben ein gutes Wort dafür: »Anxiety«. Die Luft scheint irgendwie raus aus dieser Reise. Das wummern der kalbenden Gletscher ringsum ist auch nichts für schwache Nerven. Und es sorgt für Eis in der Bucht, das uns mehrmals zum umankern zwingt. Uns bleibt eigentlich nur noch der Törn zurück nach Kap Horn, und »heim« nach Puerto Williams, quer über die verfluchte »Drake Passage«, die uns schon ein wenig auf dem Magen liegt. Per e-mail hören wir von der JONATHAN, die in »Pleneau« und »Vernadsky« mit dickem Eis zu kämpfen hat. Bloß gut das wir da raus sind. Die französische CARDINALE liegt in Enterprise Island sicher am Wrack der GOVERNOREN und repariert die defekte Ankerwinsch. Sie hat auch ein paar Ersatzteile für unsere Heizung an Bord, die wir vor einem halben Jahr zu Freunden nach Frankreich geordert hatten. Sollten wir die nicht schnell noch aufpicken? Immerhin hätten wir dann alles doppelt, dreifach und vierfach, sehr beruhigend, wenn man bedenkt, was ein neuerlicher Heizungsausfall an Bord der VERA in dieser Gegend bedeuten würde…
Es sind knapp 50 Seemeilen von »Port Lockroy« nach »Enterprise Island«. Ein Teil der Strecke führt durch den engen, nach dem berühmten Polarforscher und ehemaligem Direktor der »Deutschen Seewarte« Georg von Neumayer benannten »Neumayer Kanal«. Bei deprimierend niedrigen Temperaturen, Schneefall und schlechter Sicht kurven wir stundenlang in Schleichfahrt um das dichte Treibeis, bis wir endlich in der »Gerlache Straße« offenes Wasser erreichen. Die Angelsachsen haben ein gutes Wort dafür: »Miserable«.
Total durchgefroren und erledigt erreichen wir gegen Abend die Nordspitze von »Enterprise Island«. Durch das Fernglas sehen wir einen schwarzen Schoner auslaufen: Die CARDINALE! Es ist zum Haare raufen! Die Reparatur an der Ankerwinsch muss schneller als gedacht gelungen sein. Auf dem UKW Funk verabreden wir ein kurzes Rendezvous auf See, nur zum aufpicken unserer Kleinteile. Noch mal Glück gehabt. Einerseits. Andererseits hätte uns ein gemütliches Beisammensein auch nicht geschadet, vielleicht bei rotem Wein und einem guten Wildschweinbraten á la Créme, oder so. Zum Glück liegt die VIVEKA, ein großer Katamaran, am Wrack der alten GOVERNOREN, was uns das schwierige Einparken dort sehr erleichtert. Der Abend wird nett. Pasta an Bord der VERA mit der sehr netten dreiköpfigen Abenteuerfamilie aus Österreich.
Am frühen Morgen kommt eine e-mail herein: Unser bisheriges »Buddyboat«, die australische HAIYOU, hat ihr Wetterfenster über die »Drake Passage« verpasst und wartet nun auf uns in den »Melchior Islands«, die wir seit längerem als letzte Station auf unserer Antarktisreise ins Auge gefasst hatten. Wir verabschieden uns also herzlich von den netten Österreichern und legen mit frischen Kräften ab. Draussen herrscht Flaute, die aber leider nicht lange anhält. In der »Gerlache Straße« weht es mit 20 Knoten aus SW, also genau von vorn, dazu schlechte Sicht und krachender Seegang. Das kostet Sprit und ordentlich Nerven. Ein Segelrevier ist das hier eigentlich nicht so recht, schon wegen der vielen gefährlichen »Growler«. Total durchgefroren und erledigt erreichen wir gegen Mittag den Eingang zum »Schollaert Kanal« und können rechts abbiegen. Unsere Lage bessert sich, und zwar dramatisch. Bald ist die Genua gesetzt und der VOLVO hat Pause. Die Sonne schaut heraus und wärmt unsere Knochen. Wir sonnen uns auf dem Brückendeck bei leise plätschernder Bugwelle und trinken Kaffee. Auf einem rund gewaschenen »Bergy Bit« spielt eine Herde Pinguine rutschen, was sehr lustig zu beobachten ist. Dazu prusten jede Menge Buckelwale um die VERA herum. Man trifft sich hier wohl wegen der besonders krillhaltigen Strömungsverhältnisse. Endlich die richtige Zeit und der richtige Ort, um diese faszinierenden Tiere einmal in Ruhe aus der Nähe zu beobachten. Bei Annäherung an die mitten in der »Dallmann Bay« gelegene Inselgruppe »Melchior Islands« sehen wir sogar einen weißen Buckelwal, in Begleitung eines Freundes. Und dann sind wir endlich in Sicherheit, wieder im Päckchen neben der HAIYOU, am besten und sichersten Platz im »Omega Channel«. Hohe Fels- und Eiswände ringsum, ein unglaublich erhabenes Panorama.
Bald dinieren wir mit den verloren geglaubten Freunden auf der HAIYOU, ausführlich und bei bullerndem Ofen, trinken Sir Ernest Shakleton‘s Lieblingswhisky und beraten das weitere Vorgehen. Ein Wetterfenster für die »Drake Passage« ist in nächster Zeit nicht in Sicht. Nicht schlimm. Hier im »Omega Channel« kann man es gut aushalten, im Notfall auch einige Wochen. Wir melden uns (hoffentlich) bald wieder, mit einem neuen Newsletter.
Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch B und M / SY VERA / Melchior Islands / Antarctica / POS 64.19,2S - 062.55,0W
1 - Immer wieder ein erhabener Anblick: Die majestätische Dreimastbark EUROPA in »Port Lockroy«.

2 - Die haben es bestimmt bequem: Zwei Expeditionsmotoryachten aus der Feder von Steve Dashew.

3 - Durch den »Neumayer Kanal« an einem trüben, eisigen Morgen.

4 - Der Pinguinspielplatz im »Schollaert Kanal«.

5 - Im »Schollaert Kanal«. Ein Film von B+M.
6 - »Whalewatching« im »Schollaert Kanal« (1)

7 - »Whalewatching« im »Schollaert Kanal« (2)

8 - »Whalewatching« im »Schollaert Kanal«: Der Weiße Wal, in Begleitung eines Kumpels.

9 - »Omega Channel« in den »Melchior Islands«: VERA zwischen HAIYOU und ISATIS.

10 - M auf den »Melchior Islands«.

11 - Unsere Route von »Port Lockroy« durch den »Neumayer Kanal« nach »Enterprise Island« und weiter nach »Melchior Islands«.

006 - DURCH DEN LE MAIRE KANAL NACH CHOLET ISLAND UND PORT LOCKROY
29/01/19 00:00 Antarctica
Hallo Ihr Lieben!
Der tiefe Einschnitt an der Südküste von »Lautaro Island« erweist sich als unerwartet guter und sicherer Zufluchtsort. Das flache Wasser der Bucht hält größere »Bergy Bits« fern, was sehr beruhigend wirkt. Wir bleiben ein paar Tage im Päckchen neben der HAIYOU, kochen, diskutieren und genießen den Blick auf die muntere Eselspinguinkolonie gleich neben den Booten, wo täglich neue Küken schlüpfen und gut betuddelt werden.
Dann: Ein strahlend blauer Morgen nach einer stürmischen Nacht, endlich Flaute aus allen Richtungen, einfach perfekt, um endlich einen Blick in den fotogenen »Le Maire Kanal« zu werfen, der in dieser Saison wegen des ungewöhnlich dichten Eises kaum befahrbar sein soll, noch nicht einmal von den größten Kreuzfahrtschiffen. Auf dem UKW Funk hörte man bisher immer von großen Schwierigkeiten oder spektakulären Umkehrmanövern. Doch nun sollen einige Dampfer durchgekommen sein. Nun denn…
In der südlichen »Gerlache Straße« kommen wir noch gut voran. Das berüchtigte, normalerweise sturmumtoste »Kap Renard« mit seinen eisigen Zinnen bleibt an Backbord, als wir in den »Le Maire Kanal« einbiegen. Im Kielwasser der HAIYOU fühlen wir uns zunächst noch sicher und beobachten allerhand Getier am Wegesrand. Aber dann kommt es knüppeldicke: Die Eisdecke schließt sich immer mehr, größere Schollen, »Growler«, »Bergy Bits« und ausgewachsene Eisberge liegen im Weg, der immer länger wird: Zickzackfahrt mit langwierigen Ausweichmanövern. Auch die von der Tide verursachte Strömung macht uns alsbald schwer zu schaffen, schiebt uns gelegentlich zurück auf dem Weg, den wir mühsam erkämpft haben. Und: Immer öfter schließt sich der von der HAIYOU vor uns aufgebrochene Kanal direkt hinter ihrem Heck, so das wir einige male heftig ins Eis krachen. Das ist laut und fühlt sich an wie »Autoscooter« fahren auf dem Jahrmarkt. Sollen wir umkehren? Wären wir allein hier, so hätten wir längst das Weite gesucht. Stunde um Stunde kämpfen wir uns voran. B verbiegt am Bug unsere Eislanze und M hat große Mühe, maximal einen Meter hinter der HAIYOU zu bleiben. Es gelingt uns nicht so recht, die Szene zu genießen, oder auch nur Photos zu machen. Dieses Revier fordert und laugt aus. Als wir am Ausgang des engen »Le Maire Kanal« das Südkap von »Booth Island« runden, ist definitiv der südlichste Punkt dieser Reise erreicht: 65 Grad und 7 Minuten, südlicher Breite, versteht sich. Mehr geht nicht, zumindest nicht mit unserem Booten. Die sonst guten Ankerplätze um »Pleneau Island« und der Ukrainischen Forschungsstation »Vernadsky« sind in dieser Saison noch immer solide zugefroren.
Nach dem harten Tag im »Le Maire Kanal« sehnen wir uns nach einem sicheren Zufluchtsort. Das GFS droht uns mit starkem Ostwind, ab morgen Mittag. Auf dem UKW erfahren wir, das »Port Charcot«, der normalerweise beste Platz in dieser Ecke derzeit ungenießbar ist. Munter herumtreibende großformatige Eisberge überall. Aber Edd, der junge Kapitän der PELAGIC AUSTRALIS hat uns da einen Geheimtip gegeben: »Cholet Island«, unweit von »Port Charcot«. Da soll es einen kleinen, gut gegen Nord oder Ostwind geschützten Einschnitt geben, mit brauchbaren Felsen für die unabdingbaren Landleinen. Gemeinsam mit der HAIYOU Crew arbeiten wir drei Stunden wie die Berserker um beide Boote so gut es geht abzusichern. Wir bringen sogar Leinen aus, die quer über die kleine Insel zum anderen Ufer führen, wo es bessere und schwerere Fixpunkte gibt. Dann ist es getan. Wir können auf einen großartigen Tag anstoßen und den Wendepunkt unserer Reise. Nachts gehen wir abwechselnd Eiswache. Wer weiß, was da noch so in die Bucht getrieben wird.
In der dritten Nacht ist es soweit, natürlich gegen Mitternacht. Ein reihenhausgroßes »Bergy Bit« ist von einem größeren Tafeleisberg draußen vor »Cholet Island« abgebrochen und treibt nun mit dem Tidenstrom auf uns zu, gegen den schwächelnden Ostwind. Wir müssen weg, schnell weg. In größter Eile bergen wir unsere zahllosen und hunderte von Metern langen Landleinen. Der fette Eisberg verfehlt den Bug der VERA lediglich um einen Meter. Draussen vor der Bucht sind wir total erledigt und schweißgebadet. Auf Deck liegen Fender und Berge von unklaren und tropfnassen Leinen. Was jetzt? »Port Lockroy« auf »Wienke Island«? Durch die eisige Nacht? Der »Hafen« der ehrwürdige Britische Forschungsstation liegt 22 Seemeilen nordöstlich von hier. Wir wissen nicht wie viel Eis noch immer in der südlichen »Gerlache Straße« liegt, das bei schlechtem Licht kaum zu sehen sein dürfte. Dennoch beschließen wir, es zu versuchen, vor allem weil der Wind nur schwach weht und noch weiter abnehmen sollte…
Diese Kalkulation erweist sich als Fehler. Die Türme von »Kap Renard« peilen unter einem spektakulär leuchtenden Vollmond querab, als der Wind unerwartet auffrischt. 20 Knoten, dann 30 und mehr, aus NE, natürlich genau von vorn. Hoher, ätzender Seegang jetzt. Der VOLVO läuft auf vollen Touren. In Böen bringt das jetzt noch zweienhalb Knoten über Grund. Kaltes, weißes Salzwasser wälzt sich über das Deck der VERA. B und ich starren mit tränenden Augen in die Nacht. Eis! Ständig müssen wir ausweichen. Ich (M) sehe nichts. Salz auf der Brille, die ohnehin nichts taugt. Bald sind wir klatschnass und tiefgefroren. Auf der HAIYOU sitzen sie jetzt im geheizten Steuerhaus hinter Panzerglas. Die Eiswache draussen wird stündlich abgelöst. Das gibt zu denken. Stunden später: Im Windschatten von »Wienke Island« lässt der Wind ein wenig nach. Zwei große Buckelwale spielen ein paar Bootslängen querab im Mondlicht. Ein herrlicher Anblick. Es ist fast geschafft. Im Morgengrauen erreichen wir »Port Lockroy«, wo mindestens sechs andere Yachten Schutz gesucht haben, darunter zu unserer Freude auch die holländische JONATHAN mit Caroline und Mark. Der Anker fällt und hält. Wir sind in Sicherheit. Und fühlen uns großartig.
In den darauffolgenden Tagen genießen wir mit den Freunden die vergleichsweise nervenschonende Sicherheit, die die gegen alle Windrichtungen geschützte, fast kreisrunde und von hohen Gipfeln eingerahmte Bucht von »Port Lockroy« bietet. Die Briten wussten schon was sie taten, als sie hier nach dem zweiten Weltkrieg ihr Hauptquartier aufschlugen. Heute ist die alte Station ein Museum, das während der Saison von tausenden von Kreuzfahrern bepilgert wird. Neben den vielen Eselspinguinen gibt es sehenswerte Exponate zu sehen, wissenschaftliche Ausrüstung, Skier, Schlitten und Dinge des täglichen Lebens. Im gut sortierten Souvenirshop führen sie einfach alles, vom »Port Lockroy« T-Shirt über Postkarten und Briefmarken (es gibt hier sogar einen offiziellen Briefkasten), bis zu den Pinguintassen und natürlich Shakleton‘s Lieblingswhisky. Die Flasche für 70,- $ US würde den Wert unseres Schiffes bestimmt erhöhen, sofern sie denn an Bord in ihrer Vitrine verbliebe.
Hier in »Port Lockroy« verlässt uns völlig unerwartet die HAIYOU, mit der wir in den letzen Wochen durch dick und dünn gegangen sind. Ein Schlaganfall in der Familie. Chris, Lynn und Javier laufen sofort aus, hinein in einen eisigen Nordost, nonstop zurück nach Puerto Williams. Unser Neid hält sich in Grenzen, trotz des offenbar brauchbaren Wetterfensters. Aber auch für uns neigt sich die Saison dem Ende zu. Noch diese Woche planen wir, die 50 Seemeilen durch den »Neumeyer Kanal« nach »Melchior Island« in Angriff zu nehmen. Dort wollen wir auf guten Wind warten, der uns eine sichere Heimreise über die gefürchtete »Drake Passage« verspricht. Wenn alles gut geht, erfahrt Ihr darüber mehr, in einem frischen Newsletter.
Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch B und M / SY VERA / Port Lockroy / Antarctica / POS 64.49,6S - 063.29,3W
1 - Ein perfekter Morgen in der südlichen »Gerlache Straße«.

2 - SY HAIYOU am »Kap Renard«.

3 - Blick zurück auf das »Kap Renard«: Zwei eisige Zinnen wie aus dem Märchenbuch.

4 - Im Kielwasser der HAIYOU am Eingang des spektakulären »Le Maire Kanals«.

5 - Noch herrscht Ruhe im »Le Maire Kanal«. Ein Film von B+M.
6 - Vereister »Le Maire Kanal«: Drei Faultiere am Wegesrand.

7 - Vereister »Le Maire Kanal«: Action auf der HAIYOU.

8 - »Ankerplatz« auf »Cholet Island«: Abendstimmung.
9 - »Cholet Island«: Gute Nacht.

10 - »Port Lockroy«: Die ehrwürdige Britische Forschungsstation.

11 - Im Museum von »Port Lockroy«: Elizabeth Taylor bewacht eine Koje.

12 - »Port Lockroy«: BOUNCE bringt uns zurück an Bord. Ein Film von B+M.
13 - Unsere Route durch den »Le Maire Kanal« nach »Cholet Island« und weiter nach »Port Lockroy«.

Der tiefe Einschnitt an der Südküste von »Lautaro Island« erweist sich als unerwartet guter und sicherer Zufluchtsort. Das flache Wasser der Bucht hält größere »Bergy Bits« fern, was sehr beruhigend wirkt. Wir bleiben ein paar Tage im Päckchen neben der HAIYOU, kochen, diskutieren und genießen den Blick auf die muntere Eselspinguinkolonie gleich neben den Booten, wo täglich neue Küken schlüpfen und gut betuddelt werden.
Dann: Ein strahlend blauer Morgen nach einer stürmischen Nacht, endlich Flaute aus allen Richtungen, einfach perfekt, um endlich einen Blick in den fotogenen »Le Maire Kanal« zu werfen, der in dieser Saison wegen des ungewöhnlich dichten Eises kaum befahrbar sein soll, noch nicht einmal von den größten Kreuzfahrtschiffen. Auf dem UKW Funk hörte man bisher immer von großen Schwierigkeiten oder spektakulären Umkehrmanövern. Doch nun sollen einige Dampfer durchgekommen sein. Nun denn…
In der südlichen »Gerlache Straße« kommen wir noch gut voran. Das berüchtigte, normalerweise sturmumtoste »Kap Renard« mit seinen eisigen Zinnen bleibt an Backbord, als wir in den »Le Maire Kanal« einbiegen. Im Kielwasser der HAIYOU fühlen wir uns zunächst noch sicher und beobachten allerhand Getier am Wegesrand. Aber dann kommt es knüppeldicke: Die Eisdecke schließt sich immer mehr, größere Schollen, »Growler«, »Bergy Bits« und ausgewachsene Eisberge liegen im Weg, der immer länger wird: Zickzackfahrt mit langwierigen Ausweichmanövern. Auch die von der Tide verursachte Strömung macht uns alsbald schwer zu schaffen, schiebt uns gelegentlich zurück auf dem Weg, den wir mühsam erkämpft haben. Und: Immer öfter schließt sich der von der HAIYOU vor uns aufgebrochene Kanal direkt hinter ihrem Heck, so das wir einige male heftig ins Eis krachen. Das ist laut und fühlt sich an wie »Autoscooter« fahren auf dem Jahrmarkt. Sollen wir umkehren? Wären wir allein hier, so hätten wir längst das Weite gesucht. Stunde um Stunde kämpfen wir uns voran. B verbiegt am Bug unsere Eislanze und M hat große Mühe, maximal einen Meter hinter der HAIYOU zu bleiben. Es gelingt uns nicht so recht, die Szene zu genießen, oder auch nur Photos zu machen. Dieses Revier fordert und laugt aus. Als wir am Ausgang des engen »Le Maire Kanal« das Südkap von »Booth Island« runden, ist definitiv der südlichste Punkt dieser Reise erreicht: 65 Grad und 7 Minuten, südlicher Breite, versteht sich. Mehr geht nicht, zumindest nicht mit unserem Booten. Die sonst guten Ankerplätze um »Pleneau Island« und der Ukrainischen Forschungsstation »Vernadsky« sind in dieser Saison noch immer solide zugefroren.
Nach dem harten Tag im »Le Maire Kanal« sehnen wir uns nach einem sicheren Zufluchtsort. Das GFS droht uns mit starkem Ostwind, ab morgen Mittag. Auf dem UKW erfahren wir, das »Port Charcot«, der normalerweise beste Platz in dieser Ecke derzeit ungenießbar ist. Munter herumtreibende großformatige Eisberge überall. Aber Edd, der junge Kapitän der PELAGIC AUSTRALIS hat uns da einen Geheimtip gegeben: »Cholet Island«, unweit von »Port Charcot«. Da soll es einen kleinen, gut gegen Nord oder Ostwind geschützten Einschnitt geben, mit brauchbaren Felsen für die unabdingbaren Landleinen. Gemeinsam mit der HAIYOU Crew arbeiten wir drei Stunden wie die Berserker um beide Boote so gut es geht abzusichern. Wir bringen sogar Leinen aus, die quer über die kleine Insel zum anderen Ufer führen, wo es bessere und schwerere Fixpunkte gibt. Dann ist es getan. Wir können auf einen großartigen Tag anstoßen und den Wendepunkt unserer Reise. Nachts gehen wir abwechselnd Eiswache. Wer weiß, was da noch so in die Bucht getrieben wird.
In der dritten Nacht ist es soweit, natürlich gegen Mitternacht. Ein reihenhausgroßes »Bergy Bit« ist von einem größeren Tafeleisberg draußen vor »Cholet Island« abgebrochen und treibt nun mit dem Tidenstrom auf uns zu, gegen den schwächelnden Ostwind. Wir müssen weg, schnell weg. In größter Eile bergen wir unsere zahllosen und hunderte von Metern langen Landleinen. Der fette Eisberg verfehlt den Bug der VERA lediglich um einen Meter. Draussen vor der Bucht sind wir total erledigt und schweißgebadet. Auf Deck liegen Fender und Berge von unklaren und tropfnassen Leinen. Was jetzt? »Port Lockroy« auf »Wienke Island«? Durch die eisige Nacht? Der »Hafen« der ehrwürdige Britische Forschungsstation liegt 22 Seemeilen nordöstlich von hier. Wir wissen nicht wie viel Eis noch immer in der südlichen »Gerlache Straße« liegt, das bei schlechtem Licht kaum zu sehen sein dürfte. Dennoch beschließen wir, es zu versuchen, vor allem weil der Wind nur schwach weht und noch weiter abnehmen sollte…
Diese Kalkulation erweist sich als Fehler. Die Türme von »Kap Renard« peilen unter einem spektakulär leuchtenden Vollmond querab, als der Wind unerwartet auffrischt. 20 Knoten, dann 30 und mehr, aus NE, natürlich genau von vorn. Hoher, ätzender Seegang jetzt. Der VOLVO läuft auf vollen Touren. In Böen bringt das jetzt noch zweienhalb Knoten über Grund. Kaltes, weißes Salzwasser wälzt sich über das Deck der VERA. B und ich starren mit tränenden Augen in die Nacht. Eis! Ständig müssen wir ausweichen. Ich (M) sehe nichts. Salz auf der Brille, die ohnehin nichts taugt. Bald sind wir klatschnass und tiefgefroren. Auf der HAIYOU sitzen sie jetzt im geheizten Steuerhaus hinter Panzerglas. Die Eiswache draussen wird stündlich abgelöst. Das gibt zu denken. Stunden später: Im Windschatten von »Wienke Island« lässt der Wind ein wenig nach. Zwei große Buckelwale spielen ein paar Bootslängen querab im Mondlicht. Ein herrlicher Anblick. Es ist fast geschafft. Im Morgengrauen erreichen wir »Port Lockroy«, wo mindestens sechs andere Yachten Schutz gesucht haben, darunter zu unserer Freude auch die holländische JONATHAN mit Caroline und Mark. Der Anker fällt und hält. Wir sind in Sicherheit. Und fühlen uns großartig.
In den darauffolgenden Tagen genießen wir mit den Freunden die vergleichsweise nervenschonende Sicherheit, die die gegen alle Windrichtungen geschützte, fast kreisrunde und von hohen Gipfeln eingerahmte Bucht von »Port Lockroy« bietet. Die Briten wussten schon was sie taten, als sie hier nach dem zweiten Weltkrieg ihr Hauptquartier aufschlugen. Heute ist die alte Station ein Museum, das während der Saison von tausenden von Kreuzfahrern bepilgert wird. Neben den vielen Eselspinguinen gibt es sehenswerte Exponate zu sehen, wissenschaftliche Ausrüstung, Skier, Schlitten und Dinge des täglichen Lebens. Im gut sortierten Souvenirshop führen sie einfach alles, vom »Port Lockroy« T-Shirt über Postkarten und Briefmarken (es gibt hier sogar einen offiziellen Briefkasten), bis zu den Pinguintassen und natürlich Shakleton‘s Lieblingswhisky. Die Flasche für 70,- $ US würde den Wert unseres Schiffes bestimmt erhöhen, sofern sie denn an Bord in ihrer Vitrine verbliebe.
Hier in »Port Lockroy« verlässt uns völlig unerwartet die HAIYOU, mit der wir in den letzen Wochen durch dick und dünn gegangen sind. Ein Schlaganfall in der Familie. Chris, Lynn und Javier laufen sofort aus, hinein in einen eisigen Nordost, nonstop zurück nach Puerto Williams. Unser Neid hält sich in Grenzen, trotz des offenbar brauchbaren Wetterfensters. Aber auch für uns neigt sich die Saison dem Ende zu. Noch diese Woche planen wir, die 50 Seemeilen durch den »Neumeyer Kanal« nach »Melchior Island« in Angriff zu nehmen. Dort wollen wir auf guten Wind warten, der uns eine sichere Heimreise über die gefürchtete »Drake Passage« verspricht. Wenn alles gut geht, erfahrt Ihr darüber mehr, in einem frischen Newsletter.
Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch B und M / SY VERA / Port Lockroy / Antarctica / POS 64.49,6S - 063.29,3W
1 - Ein perfekter Morgen in der südlichen »Gerlache Straße«.

2 - SY HAIYOU am »Kap Renard«.

3 - Blick zurück auf das »Kap Renard«: Zwei eisige Zinnen wie aus dem Märchenbuch.

4 - Im Kielwasser der HAIYOU am Eingang des spektakulären »Le Maire Kanals«.

5 - Noch herrscht Ruhe im »Le Maire Kanal«. Ein Film von B+M.
6 - Vereister »Le Maire Kanal«: Drei Faultiere am Wegesrand.

7 - Vereister »Le Maire Kanal«: Action auf der HAIYOU.

8 - »Ankerplatz« auf »Cholet Island«: Abendstimmung.

9 - »Cholet Island«: Gute Nacht.

10 - »Port Lockroy«: Die ehrwürdige Britische Forschungsstation.

11 - Im Museum von »Port Lockroy«: Elizabeth Taylor bewacht eine Koje.

12 - »Port Lockroy«: BOUNCE bringt uns zurück an Bord. Ein Film von B+M.
13 - Unsere Route durch den »Le Maire Kanal« nach »Cholet Island« und weiter nach »Port Lockroy«.

005 - CUVERVILLE ISLAND, SKONTORP COVE UND LAUTORO ISLAND
18/01/19 00:00 Antarctica
005 - Cuverville Island, Skontorp Cove und Lautoro Island
Hallo Ihr Lieben!
Mit jedem weiteren Meter in den Süden wird das Vorwärtskommen schwieriger. »Growler«, »Bergy Bits« und ausgewachsene »Bergs« wollen geschickt umkurvt sein, aber auch kleinere Schollen und Brocken, die der VERA zumindest kosmetischen Schaden zufügen könnten. So werden die 30 Seemeilen von »Enterprise« nach »Cuverville Island« zu einem eiskalten Abenteuer im Cockpit, das Dank der gewaltigen Landschaft, der herrschenden Flaute und der ausgezeichneten Sicht diesmal aber sehr gut auszuhalten ist. Wir leben draußen, so richtig draußen, und am Abend sind wir total erledigt. Unsere Freunde von der HAIYOU sitzen im beheizten Glashaus ihrer »Garcia Exploration« und genießen dasselbe Panorama, bequemer, wärmer und sicherer. Aber: Ist bequemer, wärmer und sicherer immer besser?
Wir erreichen »Cuverville Island« am frühen Nachmittag. Der Ankerplatz dort an der großen Eselspinguin Kolonie genießt keinen guten Ruf. Schlecht haltender Grund, Treibeis in allen Größen. Heute aber herrscht Flaute und die Sonne wärmt uns die Gesichter. BOUNCE bringt uns hinaus in das Labyrinth zwischen den gestrandeten »Bergy Bits« am Eingang der Bucht. Muntere Eselspinguine wimmeln im Wasser, die Sonne funkelt im Eis, pure Magie. Die Nacht neben der HAIYOU wird denkwürdig. Der charakteristisch eselige »IiiiAhhh!« Ruf der Eselspinguine klingt ungewohnt, aber gut. Dazu Knacken und Krachen die gewaltigen Gletscher ringsum, und immer wieder rauschen große Lawinen zu Tal, während wir friedlich in der Koje liegen. Erst am Morgen treibt uns ein fetter »Growler« vor den Bug. Mit unserem in Ushuaia zusammengebastelten »Icestick« kann ich (M) ihn jedoch abwehren, wie Don Quijote die Windmühle mit seiner langen Lanze.
Ein neuer Tag: B und ich landen mit dem Dinghy und besuchen die große Pinguinkolonie, die sich in vielen Jahren an den nahegelegenen Hängen und Graten entwickelt hat. Die Umstände sind günstig. Der Wind steht im Rücken, was unbestreitbar seine Vorteile hat. Dazu kann man hier im Schnee bleiben und die Stiefel sauber halten, aber doch recht nah an diese faszinierenden, gut angezogenen und vollkommen arglosen Tiere herankommen. Es gibt viel zu sehen. Die flauschigen Küken sind frisch geschlüpft und werden ununterbrochen gewärmt, gefüttert und betuddelt. Fette Skua Raubmöwen kreisen in der Luft und hoffen auf eine Umaufmerksamkeit der Eltern. Die Art und Weise, wie die weitläufige Kolonie angelegt ist gibt zu denken. Manche Vögel müssen offensichtlich stundenlang laufen und klettern, um vom Meer zu ihrem Nest zu kommen. Warum lassen die sich das gefallen? Ich (M) habe da so meine Theorie: Manch junger Nonkonformist buckelt und kuscht so lange vor den Älteren, bis ihm (oder ihr) das zeitaufwändige Pendeln endgültig stinkt. Dann beginnt eine abenteuerliche Entdeckungsreise, die mit etwas Glück in der Gründung einer ganz neuen Kolonie endet, so eine, wo man sein Nest direkt ans Wasser bauen darf, ohne jemanden zu fragen. Mit der Zeit gibt es so immer mehr Eselspinguinkolonien. Das könnte, wenn man es recht bedenkt, bei Homo Sapiens ganz ähnlich gelaufen sein… Dinner mit der HAIYOU Crew an Bord der VERA. Wir diskutieren noch lange über unterschiedliche Lebensmodelle, Juval Harari, das Fermi Paradox, Diäten und Joga. Die Nacht wird erneut friedlich. Glück gehabt.
Es sind knapp zwanzig Meilen in die idyllische, von steilen Eiswänden und kalbenden Gletschern umgebene »Skontorp Cove«, unserem nächsten, halbwegs sicherem Zwischenstopp auf dem Weg in den tiefen Süden. Das umkurven der Eisberge wird immer aufwendiger. Bloß aufpassen, das es nicht kracht. Zwei Forschungsstationen liegen in der »Paradise Bay«, also direkt am Weg. Chile und Argentinien wetteifern hier um die bahnbrechendste wissenschaftliche Entdeckung. Javier von der HAIYOU schindet über die absurd attraktive Stationsleiterin eine Einladung in die Argentinische Station »Almirante Brown« für uns heraus, die wir dankend annehmen. Immerhin ermöglicht uns der Landgang hier, unsere Füße auf den Antarktischen Kontinent zu setzen, diesmal wirklich und nicht nur auf eine der vorgelagerten Inseln. Der Blick von den Hügeln über der Station ist einmalig und geht weit hinaus in die »Gerlache Straße«. Zwei Buckelwale plantschen in der »Paradise Bay«. Sagt B.
Unerwartet trifft die PELAGIC AUSTRALIS in unserer kleinen »Skontorp Cove« ein. Im Frühjahr hatten wir uns in Puerto Williams mit der jungen Dreiercrew angefreundet. Skipper Edd lädt uns zu »Drinks« ein und fischt schon mal nach Eis. Die im Wasser treibenden Stückchen sind faszinierend anzusehen. Glitzernd transparente Skulpturen, geformt von den Gesetzen der Natur. Elliptische Kurven, gerippelte Oberflächen, kleine Knöchel wie an den Flossen der Buckelwale oder an Hightech Foils, hier und da ein schwarzer Splitter von Fels. Alles fließt. Strömungslehre: Wohl eine der faszinierendsten naturwissenschaftlichen Disziplinen. Wenn man noch mal jung wäre, dann könnte man… Was soll‘s. Bald sitzen wir zum Umtrunk beisammen, im gut beheizten Salon von Skip Novaks mächtigem Expeditionsschlitten. Neun gut betuchte Chartergäste sind an Bord, Extrembergsteiger und Tourengeher aus aller Welt. In den nächsten Woche wollen sie sich für drei Tage auf »Brabant Island« aussetzen lassen. Ein unbestiegener Gipfel lockt, und eine extreme Abfahrt im jungfräulichen Pulverschnee. Rückflüge Ende Januar. Man ist irgendwie neugierig auf uns, auf das Woher und das Wohin. Bei eisberggekühlten Gin Tonics erzähle ich (M) von unseren Plänen, und von der Freiheit, die sich ergibt, wenn daheim keine Karriere mehr wartet. Das gibt ihnen zu denken, irgendwie. Als wir später zurück zur VERA rudern schneit es aus allen Rohren. Tiefschnee an Deck, eisige Temperaturen. Wir winschen BOUNCE besser an Deck, schon wegen der fressgierigen Seeleoparden, die hier herumhängen sollen. Die Extrembergsteiger haben sich für den Morgen zum schwimmen ums Boot verabredet. Na dann viel Freude dabei.
Bei herrlichem Wetter bleiben wir mit der HAIYOU einige Tage in der gemütlichen »Skontorp Cove«. Weiter im Süden soll es noch viel zu viel Eis geben, wie wir den UKW Gesprächen der Kreuzfahrer und einer e-mail von Calypso, der jungen, rothaarigen und frisch gebackenen Skipperin der ebenfalls hier operierenden Charteryacht SPIRIT OF SYDNEY entnehmen. Kaum einer schafft es derzeit durch die »Le Maire Straße«, oder gar bis nach »Vernadzky«, der Ukrainischen Forschungsstation, die in den meisten Jahren der südlichste Punkt ist, der sich mit einer kleinen Yacht erreichen lässt. Wir zögern also noch, es selbst zu versuchen. Bei auffrischendem NE Wind verlegen wir mit der HAIYOU zehn Meilen weiter in eine romantisch gelegene, kleine Eselspinguinkolonie auf der Südseite von »Lautaro Island«. Während dort bei eisigem Wind noch immer gebrütet wird, basteln wir drei Stunden lang an einem komplexen Spinnennetz von Landleinen. Das sollte erstmal halten. Gut so, bei diesem Wetter, das nicht mehr »dingle« ist, sondern eher »manky«.
Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch B und M / SY VERA / Lautoro Island / Antarctica / POS 64.49,6S - 063.06,2W
1 - »Cuverville Island«: VERA mit ein paar »Growlern«.

2 - »Cuverville Island«: B am Berg .

3 - »Cuverville Island«: Eselspinguine mit frisch geschlüpften Küken.

4 - »Cuverville Island«: Eselspinguinpärchen beim Füttern ihres flauschigen Kükens.

5 - Der definitive Eselspinguinfilm. Ein Film von B+M.
6 - »Cuverville Island«: Abendstimmung.

7 - VERA in »Skontorp Cove«.

8 - »Skontorp Cove«: Zwei Schlummerrollen auf ihrer heimeligen kleinen Scholle.

9 - »Almirante Brown«: Die Argentinische Forschungsstation am Eingang zur »Paradise Bay«.

10 - »Skontorp Cove«: Architektur ohne Architekten.

11 - Kälte im Cockpit.

12 - »Lautaro Island«: Blick nach Südwesten von unserem Versteck aus.

13 - Unsere Route von »Enterprise Harbor« nach »Lautaro Island«.

Hallo Ihr Lieben!
Mit jedem weiteren Meter in den Süden wird das Vorwärtskommen schwieriger. »Growler«, »Bergy Bits« und ausgewachsene »Bergs« wollen geschickt umkurvt sein, aber auch kleinere Schollen und Brocken, die der VERA zumindest kosmetischen Schaden zufügen könnten. So werden die 30 Seemeilen von »Enterprise« nach »Cuverville Island« zu einem eiskalten Abenteuer im Cockpit, das Dank der gewaltigen Landschaft, der herrschenden Flaute und der ausgezeichneten Sicht diesmal aber sehr gut auszuhalten ist. Wir leben draußen, so richtig draußen, und am Abend sind wir total erledigt. Unsere Freunde von der HAIYOU sitzen im beheizten Glashaus ihrer »Garcia Exploration« und genießen dasselbe Panorama, bequemer, wärmer und sicherer. Aber: Ist bequemer, wärmer und sicherer immer besser?
Wir erreichen »Cuverville Island« am frühen Nachmittag. Der Ankerplatz dort an der großen Eselspinguin Kolonie genießt keinen guten Ruf. Schlecht haltender Grund, Treibeis in allen Größen. Heute aber herrscht Flaute und die Sonne wärmt uns die Gesichter. BOUNCE bringt uns hinaus in das Labyrinth zwischen den gestrandeten »Bergy Bits« am Eingang der Bucht. Muntere Eselspinguine wimmeln im Wasser, die Sonne funkelt im Eis, pure Magie. Die Nacht neben der HAIYOU wird denkwürdig. Der charakteristisch eselige »IiiiAhhh!« Ruf der Eselspinguine klingt ungewohnt, aber gut. Dazu Knacken und Krachen die gewaltigen Gletscher ringsum, und immer wieder rauschen große Lawinen zu Tal, während wir friedlich in der Koje liegen. Erst am Morgen treibt uns ein fetter »Growler« vor den Bug. Mit unserem in Ushuaia zusammengebastelten »Icestick« kann ich (M) ihn jedoch abwehren, wie Don Quijote die Windmühle mit seiner langen Lanze.
Ein neuer Tag: B und ich landen mit dem Dinghy und besuchen die große Pinguinkolonie, die sich in vielen Jahren an den nahegelegenen Hängen und Graten entwickelt hat. Die Umstände sind günstig. Der Wind steht im Rücken, was unbestreitbar seine Vorteile hat. Dazu kann man hier im Schnee bleiben und die Stiefel sauber halten, aber doch recht nah an diese faszinierenden, gut angezogenen und vollkommen arglosen Tiere herankommen. Es gibt viel zu sehen. Die flauschigen Küken sind frisch geschlüpft und werden ununterbrochen gewärmt, gefüttert und betuddelt. Fette Skua Raubmöwen kreisen in der Luft und hoffen auf eine Umaufmerksamkeit der Eltern. Die Art und Weise, wie die weitläufige Kolonie angelegt ist gibt zu denken. Manche Vögel müssen offensichtlich stundenlang laufen und klettern, um vom Meer zu ihrem Nest zu kommen. Warum lassen die sich das gefallen? Ich (M) habe da so meine Theorie: Manch junger Nonkonformist buckelt und kuscht so lange vor den Älteren, bis ihm (oder ihr) das zeitaufwändige Pendeln endgültig stinkt. Dann beginnt eine abenteuerliche Entdeckungsreise, die mit etwas Glück in der Gründung einer ganz neuen Kolonie endet, so eine, wo man sein Nest direkt ans Wasser bauen darf, ohne jemanden zu fragen. Mit der Zeit gibt es so immer mehr Eselspinguinkolonien. Das könnte, wenn man es recht bedenkt, bei Homo Sapiens ganz ähnlich gelaufen sein… Dinner mit der HAIYOU Crew an Bord der VERA. Wir diskutieren noch lange über unterschiedliche Lebensmodelle, Juval Harari, das Fermi Paradox, Diäten und Joga. Die Nacht wird erneut friedlich. Glück gehabt.
Es sind knapp zwanzig Meilen in die idyllische, von steilen Eiswänden und kalbenden Gletschern umgebene »Skontorp Cove«, unserem nächsten, halbwegs sicherem Zwischenstopp auf dem Weg in den tiefen Süden. Das umkurven der Eisberge wird immer aufwendiger. Bloß aufpassen, das es nicht kracht. Zwei Forschungsstationen liegen in der »Paradise Bay«, also direkt am Weg. Chile und Argentinien wetteifern hier um die bahnbrechendste wissenschaftliche Entdeckung. Javier von der HAIYOU schindet über die absurd attraktive Stationsleiterin eine Einladung in die Argentinische Station »Almirante Brown« für uns heraus, die wir dankend annehmen. Immerhin ermöglicht uns der Landgang hier, unsere Füße auf den Antarktischen Kontinent zu setzen, diesmal wirklich und nicht nur auf eine der vorgelagerten Inseln. Der Blick von den Hügeln über der Station ist einmalig und geht weit hinaus in die »Gerlache Straße«. Zwei Buckelwale plantschen in der »Paradise Bay«. Sagt B.
Unerwartet trifft die PELAGIC AUSTRALIS in unserer kleinen »Skontorp Cove« ein. Im Frühjahr hatten wir uns in Puerto Williams mit der jungen Dreiercrew angefreundet. Skipper Edd lädt uns zu »Drinks« ein und fischt schon mal nach Eis. Die im Wasser treibenden Stückchen sind faszinierend anzusehen. Glitzernd transparente Skulpturen, geformt von den Gesetzen der Natur. Elliptische Kurven, gerippelte Oberflächen, kleine Knöchel wie an den Flossen der Buckelwale oder an Hightech Foils, hier und da ein schwarzer Splitter von Fels. Alles fließt. Strömungslehre: Wohl eine der faszinierendsten naturwissenschaftlichen Disziplinen. Wenn man noch mal jung wäre, dann könnte man… Was soll‘s. Bald sitzen wir zum Umtrunk beisammen, im gut beheizten Salon von Skip Novaks mächtigem Expeditionsschlitten. Neun gut betuchte Chartergäste sind an Bord, Extrembergsteiger und Tourengeher aus aller Welt. In den nächsten Woche wollen sie sich für drei Tage auf »Brabant Island« aussetzen lassen. Ein unbestiegener Gipfel lockt, und eine extreme Abfahrt im jungfräulichen Pulverschnee. Rückflüge Ende Januar. Man ist irgendwie neugierig auf uns, auf das Woher und das Wohin. Bei eisberggekühlten Gin Tonics erzähle ich (M) von unseren Plänen, und von der Freiheit, die sich ergibt, wenn daheim keine Karriere mehr wartet. Das gibt ihnen zu denken, irgendwie. Als wir später zurück zur VERA rudern schneit es aus allen Rohren. Tiefschnee an Deck, eisige Temperaturen. Wir winschen BOUNCE besser an Deck, schon wegen der fressgierigen Seeleoparden, die hier herumhängen sollen. Die Extrembergsteiger haben sich für den Morgen zum schwimmen ums Boot verabredet. Na dann viel Freude dabei.
Bei herrlichem Wetter bleiben wir mit der HAIYOU einige Tage in der gemütlichen »Skontorp Cove«. Weiter im Süden soll es noch viel zu viel Eis geben, wie wir den UKW Gesprächen der Kreuzfahrer und einer e-mail von Calypso, der jungen, rothaarigen und frisch gebackenen Skipperin der ebenfalls hier operierenden Charteryacht SPIRIT OF SYDNEY entnehmen. Kaum einer schafft es derzeit durch die »Le Maire Straße«, oder gar bis nach »Vernadzky«, der Ukrainischen Forschungsstation, die in den meisten Jahren der südlichste Punkt ist, der sich mit einer kleinen Yacht erreichen lässt. Wir zögern also noch, es selbst zu versuchen. Bei auffrischendem NE Wind verlegen wir mit der HAIYOU zehn Meilen weiter in eine romantisch gelegene, kleine Eselspinguinkolonie auf der Südseite von »Lautaro Island«. Während dort bei eisigem Wind noch immer gebrütet wird, basteln wir drei Stunden lang an einem komplexen Spinnennetz von Landleinen. Das sollte erstmal halten. Gut so, bei diesem Wetter, das nicht mehr »dingle« ist, sondern eher »manky«.
Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch B und M / SY VERA / Lautoro Island / Antarctica / POS 64.49,6S - 063.06,2W
1 - »Cuverville Island«: VERA mit ein paar »Growlern«.

2 - »Cuverville Island«: B am Berg .

3 - »Cuverville Island«: Eselspinguine mit frisch geschlüpften Küken.

4 - »Cuverville Island«: Eselspinguinpärchen beim Füttern ihres flauschigen Kükens.

5 - Der definitive Eselspinguinfilm. Ein Film von B+M.
6 - »Cuverville Island«: Abendstimmung.

7 - VERA in »Skontorp Cove«.

8 - »Skontorp Cove«: Zwei Schlummerrollen auf ihrer heimeligen kleinen Scholle.

9 - »Almirante Brown«: Die Argentinische Forschungsstation am Eingang zur »Paradise Bay«.

10 - »Skontorp Cove«: Architektur ohne Architekten.

11 - Kälte im Cockpit.

12 - »Lautaro Island«: Blick nach Südwesten von unserem Versteck aus.

13 - Unsere Route von »Enterprise Harbor« nach »Lautaro Island«.

004 - ENTERPRISE ISLAND
11/01/19 00:00 Antarctica
Hallo Ihr Lieben!
Am frühen Morgen des 07. Januars verlassen wir unseren Ankerplatz in der »Whalers Bay« auf »Deception Island« und steuern auf den Ausgang der Vulkaninsel zu, den übel beleumundeten »Neptunes Bellows«. Gerade in diesem Augenblick kommt uns ein Kreuzfahrtschiff entgegen, Hurtigruten, Norwegen. Auf dem Funk hören wir, das man vor Ort ist, um die seit sechs Wochen in der »Whalers Bay« zeltenden norwegischen Pinguinforscher zum Lunch und zum Duschen im Wellness Bereich einzuladen. Man will später zwei große Schlauchboote schicken, um die Wissenschaftler abzuholen. Ordentlich Betrieb hier.
Draussen in der offenen »Bransfield Strait« empfängt uns unerwartet eine chaotische, hohe See und kräftiger Westwind, viel mehr als angesagt. Dazu Schneetreiben und schlechte Sicht. Das geht auf die Stimmung und schlägt auf den Magen. 60 Seemeilen sind es bis »Trinity Island«, ein langer, harter Tag. Immerhin segeln wir, schnell und bei halben Wind, was einiges an Diesel spart. Aber die steilen, weißen Katzenköpfe erschweren es, die gefährlichen kleine Eisbrocken im Wasser zu erkennen, die man fachmännisch in »Growler« oder »Bergy Bits« unterteilt. Der Unterschied zwischen »Growlern« und »Bergy Bits« ist das Radarecho, das sie werfen. »Bergy Bits« sieht man rechtzeitig am Bildschirm, »Growler« nicht. Eine Kollision bei Brassfahrt ist in beiden Fällen zu vermeiden.
Bald sind wir ordentlich durchgefroren und todmüde von der anstrengenden Eiswache in unserem offenen, zugigem Cockpit. Später Nachmittag: Wir passieren Trinity Island, ein furchteinflößendes, menschenfeindliches Gletschermonster mit eisigen Reißzähnen aus schwarzem Fels, wie aus einem Roman von George R. R. Martin. Auf der Südostseite soll es einen brauchbaren Ankerplatz geben: »Mikkelsen Harbor«, schlechter Ankergrund, aber ok bei Flaute oder schwachen westlichen Winden. Als wir am Abend am Südkap der Insel um die Ecke biegen frischt der Wind erneut auf und auch der Seegang legt wieder zu. Aus Ost, Südost jetzt, komischerweise. Das steht jetzt also voll in diesen so genanten »Harbor« hinein. Was jetzt? B zieht eine obskure Kuliskizze aus ihrem gut sortierten Antarktisordner. Es soll da einen anderen Platz unweit der Südwestecke geben, der bei Ostwind gehen könnte. »Faff Cove«, nirgendwo eingezeichnet, nirgendwo erwähnt, alle Karten sind vage. Wir tasten uns vorsichtig heran. Voraus Eiswände und senkrechte schwarze Klippen. Es schneit, die Sicht ist mies. Nordostwind jetzt, der rapide zulegt. Wenn das hier nicht hinhaut müssen wir ablaufen, weiter Richtung »Enterprise Island«, weitere 60 Seemeilen, bei diesem Sauwetter. Diese eiskalte Aussicht jagt mir (M) Angst ein, die sich durch Verspannungen und ein flaues Gefühl im Magen äußert. Doch dann: Völlig unerwartet »Sesam öffnet sich« voraus eine kleine Bucht, ein fast kreisrunder alter Krater, an der Südseite eingebrochen. Bügelanker genau in die Mitte, mit ordentlich Kette. Hält bombensicher. Wir sehen uns um. Senkrechte Eiswände umfassen uns. Ein feiner Saum von Fels unten am Wasser. Ein unglaublicher Platz, den man niemals angemessen fotografieren könnte. Ruhe. Zwei muntere Eselspinguine paddeln ums Boot und freuen sich mit uns. Es ist unglaublich, aber wir fühlen uns sicher hier. Gute Nacht.
Zwölf Stunden Schlaf haben uns gut getan. Mit frischen Kräften nutzen wir den frischen Nordwind um weiter Süd zu machen, hinein in die alten Walfanggründe der »Gerlache Straße«, zwischen »Brabant Island« und den Bergketten der Antarktischen Halbinsel, die sich an Backbord bis zu 3000 Metern erheben. Geologisch gehören sie zu den Anden, was Argentinien und Chile offenbar den Vorwand liefert, das gesamte Gebiet für sich zu beanspruchen. Da sind sie allerdings nicht alleine. Am Eingang der »Gerlache Straße« patrouilliert ein Kolumbianisches Kriegsschiff. AIS und Großvater Hensoldt sind sich da einig. Was die wohl hier wollen? Den ganzen Tag steuern wir im Slalom zwischen den »Growlern« und den »Bergy Bits« hindurch, die immer zahlreicher werden. Buckelwale springen herum oder zeigen ihre Fluken. B sieht sie, M kommt meist zu spät. Mein Augenlicht lässt nach. Das Alter? Vielleicht auch die verdammte nasse Brille, die nicht mehr so recht passt. Schließlich taucht »Enterprise Island« vor uns auf, wo es eine sichere Zuflucht zwischen einer kleinen vergletscherten Bucht und dem Wrack des alten Walfängers »SS GOVERNOREN« gibt, der hier von seiner Besatzung lichterloh brennend auf Grund gesetzt wurde. Die australisch, französisch, chinesisch, argentinische HAIYOU ist bereits vor Ort, was uns das recht komplizierte Anlegemanöver sehr erleichtert. Wir kochen Nudeln, trinken ein großes Bier und fallen ins Bett.
Der Morgen weckt uns mit strahlendem Sonnenschein und einem sagenhaften Blick auf die gegenüberliegenden Bergketten der Antarktischen Halbinsel. Ringsum Eis, gleißender Schnee, Gletscher, Felsen, dazu der rotrostige Stahl des alten Dampfschiffes, auf dem ein Schwarm von zankenden und schimpfenden Seeschwalben nistet. Ein Panorama, eine Atmosphäre, die so unglaublich sind, das es schwer zu beschreiben ist. Nach dem Morgentee setze ich (also M) mich auf die Bugspitze der VERA, um ein wenig Gitarre zu üben. Auf dem Bug der HAIYOU neben uns sitzt Javier im Schneidersitz, suckelt an seinem Mate Becher und meditiert. Dann, ganz plötzlich, wie ein UFO aus heiterem Himmel, taucht ein schwarzes ZODIAC Schlauchboot neben uns auf, voller Astronauten in gelben Raumanzügen und blauen Schwimmwesten, die Javier und mich anstarren wie Zootiere. Kameras surren und klicken. Wir werden bestaunt: »Where do you come from? Germany? Wow! How long did it take you to get here? Have you really crossed the Drake?«. »It‘ll go away,« sagt Javier und suckelt indigniert an seinem Mate. Stattdessen werden es mehr, viel mehr. Zwölf randvolle Schlauchboote mit Astronauten, dazu eine Riesenflotte von Kayaks von der »MS OCEAN ADVENTURE« mit Abenteurern aus aller Welt. B plauscht mit einer amerikanischen Bootsführerin. Ein cooler Job für die Sommersaison, und gut bezahlt. Dennoch sind wir froh, als sie nach der ausgiebigen Besichtigung unseres Wracks weiterziehen und wieder Ruhe einkehrt.
Die nächsten Tage genießen wir in vollen Zügen bei strahlend blauem Wetter, das uns sogar eine glitzernd weiße Winterwanderung auf die umliegenden Hügel und einen Blick auf die »Gerlache Straße« und die Antarktische Halbinsel ermöglicht. Zwei weitere Yachten treffen ein, die SPIRIT OF SYDNEY und die PARADISE. Individualistencharter, der andere Gäste anzieht, als die Luxuskreuzfahrtschiffe. Wir werden zu Umtrunks und zum Grillen eingeladen und genießen es, ein wenig mit der sehr internationalen Gruppe zu plauschen und ordentlich Wein zu trinken. Man liegt gut hier, an der alten rostigen »SS GOVERNOREN«. Wenn nur die täglich in Flotten von Schlauchbooten angekarrten Massen von Astronauten nicht wären… So zieht es uns irgendwann weiter, wieder hinaus in die eisige »Gerlache Straße«, Süd machen, solange der Sommer währt. Wir melden uns wieder.
Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch B und M / SY VERA / Enterprise Harbor / Isla Lientur / Antarctica
1 - Ein »Growler«.

2 - Zuflucht in der »Faff Cove«. Ein Film von B+M.
3 - »Bergy Bit« in der »Gerlache Straße«. Im Hintergrund die Antarktische Halbinsel. Ein Film von B+M.
4 - »Enterprise Harbor« mit dem Wrack der SS GOVERNOREN. Die australische HAIYOU ist bereits vor Ort.

5 - Das Panorama zum Frühstück.

6 - Besuch zum Frühstück: Astronauten mit gelben Raumanzügen.

7 - B im »Enterprise Harbor«.

8 - »Enterprise Harbor«: Über den Wolken.

9 - »Enterprise Harbor«: VERA im Päckchen mit HAIYOU, SPIRIT und PARADISE.

10 - Harpunenmunition an Bord des alten Walfängers SS GOVERNOREN.

11 - Unsere Route von »Deception Island« nach »Enterprise Harbor«.

Am frühen Morgen des 07. Januars verlassen wir unseren Ankerplatz in der »Whalers Bay« auf »Deception Island« und steuern auf den Ausgang der Vulkaninsel zu, den übel beleumundeten »Neptunes Bellows«. Gerade in diesem Augenblick kommt uns ein Kreuzfahrtschiff entgegen, Hurtigruten, Norwegen. Auf dem Funk hören wir, das man vor Ort ist, um die seit sechs Wochen in der »Whalers Bay« zeltenden norwegischen Pinguinforscher zum Lunch und zum Duschen im Wellness Bereich einzuladen. Man will später zwei große Schlauchboote schicken, um die Wissenschaftler abzuholen. Ordentlich Betrieb hier.
Draussen in der offenen »Bransfield Strait« empfängt uns unerwartet eine chaotische, hohe See und kräftiger Westwind, viel mehr als angesagt. Dazu Schneetreiben und schlechte Sicht. Das geht auf die Stimmung und schlägt auf den Magen. 60 Seemeilen sind es bis »Trinity Island«, ein langer, harter Tag. Immerhin segeln wir, schnell und bei halben Wind, was einiges an Diesel spart. Aber die steilen, weißen Katzenköpfe erschweren es, die gefährlichen kleine Eisbrocken im Wasser zu erkennen, die man fachmännisch in »Growler« oder »Bergy Bits« unterteilt. Der Unterschied zwischen »Growlern« und »Bergy Bits« ist das Radarecho, das sie werfen. »Bergy Bits« sieht man rechtzeitig am Bildschirm, »Growler« nicht. Eine Kollision bei Brassfahrt ist in beiden Fällen zu vermeiden.
Bald sind wir ordentlich durchgefroren und todmüde von der anstrengenden Eiswache in unserem offenen, zugigem Cockpit. Später Nachmittag: Wir passieren Trinity Island, ein furchteinflößendes, menschenfeindliches Gletschermonster mit eisigen Reißzähnen aus schwarzem Fels, wie aus einem Roman von George R. R. Martin. Auf der Südostseite soll es einen brauchbaren Ankerplatz geben: »Mikkelsen Harbor«, schlechter Ankergrund, aber ok bei Flaute oder schwachen westlichen Winden. Als wir am Abend am Südkap der Insel um die Ecke biegen frischt der Wind erneut auf und auch der Seegang legt wieder zu. Aus Ost, Südost jetzt, komischerweise. Das steht jetzt also voll in diesen so genanten »Harbor« hinein. Was jetzt? B zieht eine obskure Kuliskizze aus ihrem gut sortierten Antarktisordner. Es soll da einen anderen Platz unweit der Südwestecke geben, der bei Ostwind gehen könnte. »Faff Cove«, nirgendwo eingezeichnet, nirgendwo erwähnt, alle Karten sind vage. Wir tasten uns vorsichtig heran. Voraus Eiswände und senkrechte schwarze Klippen. Es schneit, die Sicht ist mies. Nordostwind jetzt, der rapide zulegt. Wenn das hier nicht hinhaut müssen wir ablaufen, weiter Richtung »Enterprise Island«, weitere 60 Seemeilen, bei diesem Sauwetter. Diese eiskalte Aussicht jagt mir (M) Angst ein, die sich durch Verspannungen und ein flaues Gefühl im Magen äußert. Doch dann: Völlig unerwartet »Sesam öffnet sich« voraus eine kleine Bucht, ein fast kreisrunder alter Krater, an der Südseite eingebrochen. Bügelanker genau in die Mitte, mit ordentlich Kette. Hält bombensicher. Wir sehen uns um. Senkrechte Eiswände umfassen uns. Ein feiner Saum von Fels unten am Wasser. Ein unglaublicher Platz, den man niemals angemessen fotografieren könnte. Ruhe. Zwei muntere Eselspinguine paddeln ums Boot und freuen sich mit uns. Es ist unglaublich, aber wir fühlen uns sicher hier. Gute Nacht.
Zwölf Stunden Schlaf haben uns gut getan. Mit frischen Kräften nutzen wir den frischen Nordwind um weiter Süd zu machen, hinein in die alten Walfanggründe der »Gerlache Straße«, zwischen »Brabant Island« und den Bergketten der Antarktischen Halbinsel, die sich an Backbord bis zu 3000 Metern erheben. Geologisch gehören sie zu den Anden, was Argentinien und Chile offenbar den Vorwand liefert, das gesamte Gebiet für sich zu beanspruchen. Da sind sie allerdings nicht alleine. Am Eingang der »Gerlache Straße« patrouilliert ein Kolumbianisches Kriegsschiff. AIS und Großvater Hensoldt sind sich da einig. Was die wohl hier wollen? Den ganzen Tag steuern wir im Slalom zwischen den »Growlern« und den »Bergy Bits« hindurch, die immer zahlreicher werden. Buckelwale springen herum oder zeigen ihre Fluken. B sieht sie, M kommt meist zu spät. Mein Augenlicht lässt nach. Das Alter? Vielleicht auch die verdammte nasse Brille, die nicht mehr so recht passt. Schließlich taucht »Enterprise Island« vor uns auf, wo es eine sichere Zuflucht zwischen einer kleinen vergletscherten Bucht und dem Wrack des alten Walfängers »SS GOVERNOREN« gibt, der hier von seiner Besatzung lichterloh brennend auf Grund gesetzt wurde. Die australisch, französisch, chinesisch, argentinische HAIYOU ist bereits vor Ort, was uns das recht komplizierte Anlegemanöver sehr erleichtert. Wir kochen Nudeln, trinken ein großes Bier und fallen ins Bett.
Der Morgen weckt uns mit strahlendem Sonnenschein und einem sagenhaften Blick auf die gegenüberliegenden Bergketten der Antarktischen Halbinsel. Ringsum Eis, gleißender Schnee, Gletscher, Felsen, dazu der rotrostige Stahl des alten Dampfschiffes, auf dem ein Schwarm von zankenden und schimpfenden Seeschwalben nistet. Ein Panorama, eine Atmosphäre, die so unglaublich sind, das es schwer zu beschreiben ist. Nach dem Morgentee setze ich (also M) mich auf die Bugspitze der VERA, um ein wenig Gitarre zu üben. Auf dem Bug der HAIYOU neben uns sitzt Javier im Schneidersitz, suckelt an seinem Mate Becher und meditiert. Dann, ganz plötzlich, wie ein UFO aus heiterem Himmel, taucht ein schwarzes ZODIAC Schlauchboot neben uns auf, voller Astronauten in gelben Raumanzügen und blauen Schwimmwesten, die Javier und mich anstarren wie Zootiere. Kameras surren und klicken. Wir werden bestaunt: »Where do you come from? Germany? Wow! How long did it take you to get here? Have you really crossed the Drake?«. »It‘ll go away,« sagt Javier und suckelt indigniert an seinem Mate. Stattdessen werden es mehr, viel mehr. Zwölf randvolle Schlauchboote mit Astronauten, dazu eine Riesenflotte von Kayaks von der »MS OCEAN ADVENTURE« mit Abenteurern aus aller Welt. B plauscht mit einer amerikanischen Bootsführerin. Ein cooler Job für die Sommersaison, und gut bezahlt. Dennoch sind wir froh, als sie nach der ausgiebigen Besichtigung unseres Wracks weiterziehen und wieder Ruhe einkehrt.
Die nächsten Tage genießen wir in vollen Zügen bei strahlend blauem Wetter, das uns sogar eine glitzernd weiße Winterwanderung auf die umliegenden Hügel und einen Blick auf die »Gerlache Straße« und die Antarktische Halbinsel ermöglicht. Zwei weitere Yachten treffen ein, die SPIRIT OF SYDNEY und die PARADISE. Individualistencharter, der andere Gäste anzieht, als die Luxuskreuzfahrtschiffe. Wir werden zu Umtrunks und zum Grillen eingeladen und genießen es, ein wenig mit der sehr internationalen Gruppe zu plauschen und ordentlich Wein zu trinken. Man liegt gut hier, an der alten rostigen »SS GOVERNOREN«. Wenn nur die täglich in Flotten von Schlauchbooten angekarrten Massen von Astronauten nicht wären… So zieht es uns irgendwann weiter, wieder hinaus in die eisige »Gerlache Straße«, Süd machen, solange der Sommer währt. Wir melden uns wieder.
Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch B und M / SY VERA / Enterprise Harbor / Isla Lientur / Antarctica
1 - Ein »Growler«.

2 - Zuflucht in der »Faff Cove«. Ein Film von B+M.
3 - »Bergy Bit« in der »Gerlache Straße«. Im Hintergrund die Antarktische Halbinsel. Ein Film von B+M.
4 - »Enterprise Harbor« mit dem Wrack der SS GOVERNOREN. Die australische HAIYOU ist bereits vor Ort.

5 - Das Panorama zum Frühstück.

6 - Besuch zum Frühstück: Astronauten mit gelben Raumanzügen.

7 - B im »Enterprise Harbor«.

8 - »Enterprise Harbor«: Über den Wolken.

9 - »Enterprise Harbor«: VERA im Päckchen mit HAIYOU, SPIRIT und PARADISE.

10 - Harpunenmunition an Bord des alten Walfängers SS GOVERNOREN.

11 - Unsere Route von »Deception Island« nach »Enterprise Harbor«.

003 - DRAKE PASSAGE: NACH DECEPTION ISLAND
06/01/19 00:00 Chile | Antarctica
Hallo Ihr Lieben!
Nach den vorangegangenen, arbeitsintensiven Wochen der Vorbereitung war die Abreise aus Puerto Williams am Tag nach der gelungenen und gut begrillten kollektiven Weihnachtsfeier nochmal extra stressig. Ausklarieren, diverse Einkäufe der letzten Minute stauen, ein Spinnennetz von Leinen loswerfen, e-mail Adressen austauschen, winken. Dann sind wir endlich los. Zum runterkommen buchteln wir uns in zwei Tagen über »Caleta Lennox« nach »Caleta Martial«, keine zehn Seemeilen vom Hoorn der Hörner entfernt. Kaum ist der Anker drin, heult es auch schon los. Harte Regenböen aus NW, die ganze Nacht. Ein irrer Platz, aber ganz gut geeignet um ein letztes mal auszuschlafen. Kap Hoorn empfängt uns morgens mit NW 7 und einem interessant gestaffeltem Seegang, so wie beim letzten mal im vergangenen März. Allerdings sind unsere Seebeine durch das Jahr Fjorde und Wandern nicht besser geworden. Trotz aller Vorkehrungen füttern wir gemeinsam die Fische, bis einige Stunden später das Kontinentalschelf steil gen Süden abbricht und die See wieder ruhiger atmet. Große Albatrosse zirkeln uns ein. NE 5-6 jetzt, über das Backstag. Alles bestens.
29. Dezember 2018, »Drake Passage«, gute 180 Seemeilen südlich von Kap Hoorn. Flaute auf einer alten Kabbelwelle auf langer Dünung aus NW. Kurs auf die Südshetland Inseln. Das Baro fällt wie ein Stein. 985 Millibar jetzt. Wind ist im Anmarsch, viel Wind. NW diesmal, so orakelt das GFS. Der frisch gewartete Volvo schnurrt. Schleichfahrt. Draussen dichter Nebel, keine hundert Meter Sicht. Es riecht nach Eis, oder? Vermutlich Einbildung. Auf unserem neuen Radar, das sich neuerdings mit dem Apple Laptop angefreundet hat, ist ringsum nichts zu sehen. Kein Schiff, kein Eis.
30. Dezember, 61 Grad Süd. Auf dieser Breite hatte Cook auf seiner ersten Reise genug. Später gelangte er auf einer anderen Länge sogar bis auf 71 Grad Süd, fand aber auch dort nirgends Land, nur Nebel und Eisberge. Wir dagegen segeln mit genauen Karten und metergenauer, vollautomatischer Satellitenpeilung. Wir wissen also, dank der Leistung anderer, das die Antarktis südöstlich von hier eine langgestreckte Halbinsel aufweist, mit etlichen vorgelagerten Inseln, den Südshetlands. Zu diesen gehört auch die Vulkaninsel »Deception«, einst das Herz der internationalen Walfangszene. Womöglich ist sie aber auch manchem deutschen Blauwassersegler ein Begriff. Schließlich strandete dort das berühmte Seglerpaar Heide und Erich Wilts mit ihrer Segelyacht FREYDIS Anfang der Neunziger in einem schweren Sturm, überlebte einen langen, einsamen Winter, und schrieb den Bestseller »Gestrandet in der weissen Hölle«. Ein Traumziel also. Noch 100 Seemeilen. Draussen grau in grau auf tintenblauem Grund bei knackig kaltem NW, eine eigenartig fahl helle Nacht, die jetzt im Hochsommer nur wenige Stunden dauert. Kalt ist‘s, saukalt. Keine Sau weit und breit. Aber die VERA fliegt dahin. Neun Knoten unter gerefftem Groß, Kutter und Genua auf eigenartig glatter See.
Im Morgengrauen erreichen wir wohlbehalten die »Boyd Strait«, die Durchfahrt zwischen »Snow Island« und »Smith Island«. B sieht Eis. Ein mächtiger, strahlend weißblauer Eisberg liegt mitten in der Einfahrt, umgeben von gefährlichen kleinen »Growlern«, Eisstücken von LKW Größe, die beim Aufprall böse Schäden verursachen dürften. Wir müssen aufpassen, und draussen Eiswache gehen. Ein cooler Job, auch weil um uns herum ganze Herden von Pinguinen plantschen. Zum Glück ist der Wind weg, wie abgestellt. Der Volvo läuft. Gegen Mittag steigt die Vulkaninsel »Deception« vor uns aus dem Nebel. Die enge Einfahrt in den Kratersee trägt einen furchterregenden Namen: »Neptunes Bellows«, »Das Brüllen Neptuns« und sieht auch so aus: Nadelscharfe Klippen, senkrechte Felswände. Zum Glück ist der Hausherr heute ausser Haus. Wir kommen also ungeschoren durch. Ein einmaliges Panorama öffnet sich vor dem Bug der VERA: Die überflutete Caldera des alten Vulkans. Rechts die alte Walfangbasis in der »Whalers Bay« mit rostigen Trankochern, runden Tanks, dazu verfallene Holzhäuser. Hier muss es einst hoch hergegangen sein, als sich mit Walfang noch das große Geld verdienen ließ. Heute hat sich da etwas surreal verschoben. Große Kreuzfahrtschiffe liegen in der »Whalers Bay« und spucken aberhunderte von Goretextouristen auf den heißen Strand mit seinen rauchenden Fumarolen. Nix für uns. Am anderen Ende des Kraters liegt die kleine, gut geschützte »Telefon Bay«. Der Anker fällt am frühen Abend und hält. Am schwarzen Strand liegt ein Stapel Seeelefanten faul herum und ignoriert uns. Heute ist Sylvester, gutes Timing also. Wir essen Toast mit Guacamole, stoßen an und fallen ins Bett. Nach UTC ist es ja auch schon Neujahr, das für uns mit dem ganz großen Abenteuer beginnt. Immerhin haben wir mit etwas Glück das beste aus diesem recht kurzen Wetterfenster gemacht. Einmal mehr zeigt sich, das die hohen Etmale, zu der die alte VERA noch immer fähig ist, nicht nur der Sicherheit zuträglich sind, sondern auch der Bequemlichkeit dienen. Ihre Konstrukteure Olin und Rod Stephens wussten worauf es auf See ankommt.
Am frühen Morgen trifft die australische HAIYOU (Chinesisch für »Meeresfreund«, Garcia 45 Exploration, nagelneu, Liftkiel, Eisklasse, beheiztes Panzerglasdeckshaus) mit ihrer französisch, chinesisch, argentinischen Dreiercrew ein, und liegt am Morgen friedlich neben uns. Als sich dort bis zum frühen Nachmittag nichts rührt und auch auf dem UKW keine Antwort kommt, beginnen wir uns Sorgen zu machen. Kohlenstoffmonoxidvergiftung nach durchfeierter Sylvesternacht? Immerhin haben Chris und Lynn erst vor kurzem einen dieser herrlich zuverlässigen Killeröfen eingebaut, so einen, mit sichtbaren Flammen und rußendem Schlot an Deck. Eben machen wir das Dinghy klar, um die vermutlich grauenhafte Szene in Augenschein zu nehmen, als Chris an Deck kommt und winkt. Gleich sitzen wir bei Café und Kuchen beisammen. Nix Kohlenstoffmonoxidvergiftung, nur Erschöpfung nach der harten Segelei. Und natürlich haben sie Kohlenstoffmonoxidmelder der neuesten Bauart, mit Fühlern in allen Kabinen und »App« Steuerung vom Iphone aus. Die Anlage hat sie heute Nachmittag tatsächlich geweckt, aber nicht wegen CO Alarm, sondern weil sie ihren gewohnten WIFI Zugang vermisst, mit dem sie normalerweise alle relevanten Messwerte zur Auswertung ins Netz stellt. Hightech.
Gleich gegenüber der »Telefon Bay« liegt die kleine »Pendulum Cove«, nach einem wissenschaftlichen Experiment zur Vermessung der tatsächlichen Form des Erdballs benannt. Bei Schneesturm aus NE, Null Sicht und eisigen Temperaturen verbringen wir einen Tag und eine Nacht dort mit unserer Eberspächer unter Deck, lesend, schreibend, kochend, essend und schlafend, bevor wir uns mit der Wetterbesserung endlich in die berühmte »Whalers Bay« verholen können, wo derzeit einmal kein Kreuzfahrtschiff liegt. Landgang: Die beim Ausbruch des Vulkans Ende der 60er Jahre zerstörte Britische Forschungsstation und die rostigen Reste eines ganzen Jahrhunderts mörderischen Walfangs in großindustriellem Stil bietet jede Menge Sehenswertes. Dazu heiße Fumarolen auf schwarzem Strand, auf dem sich eine Truppe cleverer Pinguine die Federn und und einige Seeleoparden ihre mit Pinguinen fettgefressenen Bäuche wärmen. Leben um gefressen zu werden. Das gibt zu denken.
Zu denken gibt uns auch der vor uns liegende Törn, der uns weiter gen Süden, nach »Trinity Island« führen soll. Mehr Kälte, mehr Eis, schlechte Ankerplätze, mehr Risiko, das ein wenig auf den Magen schlägt. Das GFS Wettermodell für die nächsten Tage sieht soweit ok aus. Drückt uns also die Daumen.
Herzliche Grüße und ein frohes und glückliches neues Jahr wünschen Euch B und M / SY VERA / Deception Island / South Shetlands / Antarctica
1 - Fotogene Klippen am »Cabo Deceit«, nur wenige Seemeilen gleich gegenüber von Kap Hoorn gelegen.

2 - Ruhige Drake Passage. B klappert mit den Töpfen. Ein Film von B+M.
3 - Sonnenaufgang über der Antarktis.

4 - Karte Drake Passage.

5 - Unser erster Eisberg.

6 - »Deception Island« voraus.

7 - VERA und BOUNCE in der »Telefon Bay« / »Deception Island«.

8 - Die alten Trankocher in der »Whalers Bay« / »Deception Island«.

9 - »Deception Island«: Zügelpinguine wärmen sich ihre fedrigen Hinterteile im heißen Sand.

10 - Und hier der dazugehörige Zügelpinguinfilm. Ein Film von B+M.
Nach den vorangegangenen, arbeitsintensiven Wochen der Vorbereitung war die Abreise aus Puerto Williams am Tag nach der gelungenen und gut begrillten kollektiven Weihnachtsfeier nochmal extra stressig. Ausklarieren, diverse Einkäufe der letzten Minute stauen, ein Spinnennetz von Leinen loswerfen, e-mail Adressen austauschen, winken. Dann sind wir endlich los. Zum runterkommen buchteln wir uns in zwei Tagen über »Caleta Lennox« nach »Caleta Martial«, keine zehn Seemeilen vom Hoorn der Hörner entfernt. Kaum ist der Anker drin, heult es auch schon los. Harte Regenböen aus NW, die ganze Nacht. Ein irrer Platz, aber ganz gut geeignet um ein letztes mal auszuschlafen. Kap Hoorn empfängt uns morgens mit NW 7 und einem interessant gestaffeltem Seegang, so wie beim letzten mal im vergangenen März. Allerdings sind unsere Seebeine durch das Jahr Fjorde und Wandern nicht besser geworden. Trotz aller Vorkehrungen füttern wir gemeinsam die Fische, bis einige Stunden später das Kontinentalschelf steil gen Süden abbricht und die See wieder ruhiger atmet. Große Albatrosse zirkeln uns ein. NE 5-6 jetzt, über das Backstag. Alles bestens.
29. Dezember 2018, »Drake Passage«, gute 180 Seemeilen südlich von Kap Hoorn. Flaute auf einer alten Kabbelwelle auf langer Dünung aus NW. Kurs auf die Südshetland Inseln. Das Baro fällt wie ein Stein. 985 Millibar jetzt. Wind ist im Anmarsch, viel Wind. NW diesmal, so orakelt das GFS. Der frisch gewartete Volvo schnurrt. Schleichfahrt. Draussen dichter Nebel, keine hundert Meter Sicht. Es riecht nach Eis, oder? Vermutlich Einbildung. Auf unserem neuen Radar, das sich neuerdings mit dem Apple Laptop angefreundet hat, ist ringsum nichts zu sehen. Kein Schiff, kein Eis.
30. Dezember, 61 Grad Süd. Auf dieser Breite hatte Cook auf seiner ersten Reise genug. Später gelangte er auf einer anderen Länge sogar bis auf 71 Grad Süd, fand aber auch dort nirgends Land, nur Nebel und Eisberge. Wir dagegen segeln mit genauen Karten und metergenauer, vollautomatischer Satellitenpeilung. Wir wissen also, dank der Leistung anderer, das die Antarktis südöstlich von hier eine langgestreckte Halbinsel aufweist, mit etlichen vorgelagerten Inseln, den Südshetlands. Zu diesen gehört auch die Vulkaninsel »Deception«, einst das Herz der internationalen Walfangszene. Womöglich ist sie aber auch manchem deutschen Blauwassersegler ein Begriff. Schließlich strandete dort das berühmte Seglerpaar Heide und Erich Wilts mit ihrer Segelyacht FREYDIS Anfang der Neunziger in einem schweren Sturm, überlebte einen langen, einsamen Winter, und schrieb den Bestseller »Gestrandet in der weissen Hölle«. Ein Traumziel also. Noch 100 Seemeilen. Draussen grau in grau auf tintenblauem Grund bei knackig kaltem NW, eine eigenartig fahl helle Nacht, die jetzt im Hochsommer nur wenige Stunden dauert. Kalt ist‘s, saukalt. Keine Sau weit und breit. Aber die VERA fliegt dahin. Neun Knoten unter gerefftem Groß, Kutter und Genua auf eigenartig glatter See.
Im Morgengrauen erreichen wir wohlbehalten die »Boyd Strait«, die Durchfahrt zwischen »Snow Island« und »Smith Island«. B sieht Eis. Ein mächtiger, strahlend weißblauer Eisberg liegt mitten in der Einfahrt, umgeben von gefährlichen kleinen »Growlern«, Eisstücken von LKW Größe, die beim Aufprall böse Schäden verursachen dürften. Wir müssen aufpassen, und draussen Eiswache gehen. Ein cooler Job, auch weil um uns herum ganze Herden von Pinguinen plantschen. Zum Glück ist der Wind weg, wie abgestellt. Der Volvo läuft. Gegen Mittag steigt die Vulkaninsel »Deception« vor uns aus dem Nebel. Die enge Einfahrt in den Kratersee trägt einen furchterregenden Namen: »Neptunes Bellows«, »Das Brüllen Neptuns« und sieht auch so aus: Nadelscharfe Klippen, senkrechte Felswände. Zum Glück ist der Hausherr heute ausser Haus. Wir kommen also ungeschoren durch. Ein einmaliges Panorama öffnet sich vor dem Bug der VERA: Die überflutete Caldera des alten Vulkans. Rechts die alte Walfangbasis in der »Whalers Bay« mit rostigen Trankochern, runden Tanks, dazu verfallene Holzhäuser. Hier muss es einst hoch hergegangen sein, als sich mit Walfang noch das große Geld verdienen ließ. Heute hat sich da etwas surreal verschoben. Große Kreuzfahrtschiffe liegen in der »Whalers Bay« und spucken aberhunderte von Goretextouristen auf den heißen Strand mit seinen rauchenden Fumarolen. Nix für uns. Am anderen Ende des Kraters liegt die kleine, gut geschützte »Telefon Bay«. Der Anker fällt am frühen Abend und hält. Am schwarzen Strand liegt ein Stapel Seeelefanten faul herum und ignoriert uns. Heute ist Sylvester, gutes Timing also. Wir essen Toast mit Guacamole, stoßen an und fallen ins Bett. Nach UTC ist es ja auch schon Neujahr, das für uns mit dem ganz großen Abenteuer beginnt. Immerhin haben wir mit etwas Glück das beste aus diesem recht kurzen Wetterfenster gemacht. Einmal mehr zeigt sich, das die hohen Etmale, zu der die alte VERA noch immer fähig ist, nicht nur der Sicherheit zuträglich sind, sondern auch der Bequemlichkeit dienen. Ihre Konstrukteure Olin und Rod Stephens wussten worauf es auf See ankommt.
Am frühen Morgen trifft die australische HAIYOU (Chinesisch für »Meeresfreund«, Garcia 45 Exploration, nagelneu, Liftkiel, Eisklasse, beheiztes Panzerglasdeckshaus) mit ihrer französisch, chinesisch, argentinischen Dreiercrew ein, und liegt am Morgen friedlich neben uns. Als sich dort bis zum frühen Nachmittag nichts rührt und auch auf dem UKW keine Antwort kommt, beginnen wir uns Sorgen zu machen. Kohlenstoffmonoxidvergiftung nach durchfeierter Sylvesternacht? Immerhin haben Chris und Lynn erst vor kurzem einen dieser herrlich zuverlässigen Killeröfen eingebaut, so einen, mit sichtbaren Flammen und rußendem Schlot an Deck. Eben machen wir das Dinghy klar, um die vermutlich grauenhafte Szene in Augenschein zu nehmen, als Chris an Deck kommt und winkt. Gleich sitzen wir bei Café und Kuchen beisammen. Nix Kohlenstoffmonoxidvergiftung, nur Erschöpfung nach der harten Segelei. Und natürlich haben sie Kohlenstoffmonoxidmelder der neuesten Bauart, mit Fühlern in allen Kabinen und »App« Steuerung vom Iphone aus. Die Anlage hat sie heute Nachmittag tatsächlich geweckt, aber nicht wegen CO Alarm, sondern weil sie ihren gewohnten WIFI Zugang vermisst, mit dem sie normalerweise alle relevanten Messwerte zur Auswertung ins Netz stellt. Hightech.
Gleich gegenüber der »Telefon Bay« liegt die kleine »Pendulum Cove«, nach einem wissenschaftlichen Experiment zur Vermessung der tatsächlichen Form des Erdballs benannt. Bei Schneesturm aus NE, Null Sicht und eisigen Temperaturen verbringen wir einen Tag und eine Nacht dort mit unserer Eberspächer unter Deck, lesend, schreibend, kochend, essend und schlafend, bevor wir uns mit der Wetterbesserung endlich in die berühmte »Whalers Bay« verholen können, wo derzeit einmal kein Kreuzfahrtschiff liegt. Landgang: Die beim Ausbruch des Vulkans Ende der 60er Jahre zerstörte Britische Forschungsstation und die rostigen Reste eines ganzen Jahrhunderts mörderischen Walfangs in großindustriellem Stil bietet jede Menge Sehenswertes. Dazu heiße Fumarolen auf schwarzem Strand, auf dem sich eine Truppe cleverer Pinguine die Federn und und einige Seeleoparden ihre mit Pinguinen fettgefressenen Bäuche wärmen. Leben um gefressen zu werden. Das gibt zu denken.
Zu denken gibt uns auch der vor uns liegende Törn, der uns weiter gen Süden, nach »Trinity Island« führen soll. Mehr Kälte, mehr Eis, schlechte Ankerplätze, mehr Risiko, das ein wenig auf den Magen schlägt. Das GFS Wettermodell für die nächsten Tage sieht soweit ok aus. Drückt uns also die Daumen.
Herzliche Grüße und ein frohes und glückliches neues Jahr wünschen Euch B und M / SY VERA / Deception Island / South Shetlands / Antarctica
1 - Fotogene Klippen am »Cabo Deceit«, nur wenige Seemeilen gleich gegenüber von Kap Hoorn gelegen.

2 - Ruhige Drake Passage. B klappert mit den Töpfen. Ein Film von B+M.
3 - Sonnenaufgang über der Antarktis.

4 - Karte Drake Passage.

5 - Unser erster Eisberg.

6 - »Deception Island« voraus.

7 - VERA und BOUNCE in der »Telefon Bay« / »Deception Island«.

8 - Die alten Trankocher in der »Whalers Bay« / »Deception Island«.

9 - »Deception Island«: Zügelpinguine wärmen sich ihre fedrigen Hinterteile im heißen Sand.

10 - Und hier der dazugehörige Zügelpinguinfilm. Ein Film von B+M.
002 - EIN WINTER IM SÜDEN CHILES
03/12/18 00:00 Chile
Hallo Ihr Lieben!
Wie im Flug sind sieben Monate vergangen seit unserem letzten Newsletter. Hier also endlich die neue Ausgabe:
In Puerto Williams, dem kleinen chilenischen Marinestützpunkt am Ende der Welt geht ein langer, einsamer Winter zu Ende. Im Päckchen an der alten MICALVI herrschte lange Zeit Frieden. Den alten Dampfer teilten wir uns eigentlich nur mit Jean Yves und Claire von der NATZIQ, die ich (M) nicht leiden kann. So blieben wir meist unter uns, so unter uns, das es jetzt im Frühling schon fast stört, wenn junge, gut gelaunte Backpacker ganz in Goretex, langen Objektiven, Selfysticks und smarten Phones auf Deck der MICALVI picknicken und an »unserem« Internet suckeln, das nur an guten Tagen etwas Bandbreite hat.
Die ersten drei Wintermonate ohne richtige Heizung waren saukalt. Fünf bis zehn Grad tagsüber unter Deck, mit einem 2000 Watt Heizlüfter aus dem porösen MICALVI Landstromanschluss, zehn Ampere bei 180 Volt, falls kein Stromausfall… Drei Lagen Merino, darüber Daunen, des Nachts zwei Wärmflaschen. Und sonst? Eiswürfel für einen Drink kommen direkt aus dem Wasserhahn, weitere Wärmflaschen liegen nachts auf den Wassermachermebranen. Fleissiges Schneeschaufeln macht Sinn, weil das Wasser sonst nicht mehr aus den Waschbecken läuft, wegen des Gewichtes an Deck, das die VERA versenken will. WC geht nicht: Kleine Fische verstopfen die Pumpe. Wir haben uns daran gewöhnt, das auf der MICALVI eigentlich immer irgendetwas fehlt. Internet ist Glücksache. Gelegentlicher Euphorie erzeugender Highspeed wechselt sich ab mit Wochen der Abstinenz, etwa weil der Router zur »Maintenance« abgeholt wurde. Etwas für Stoiker in der Ausbildung. Alle paar Wochen gibt es fließend Wasser, nämlich immer dann, wenn zwanzig Marineklempner in schicken Uniformen gleichzeitig die durchgefrorenen Leitungen und die geborstenen Absperrhähne frisch verlöten. Manchmal gibt es auch warmes Wasser in der unbeheizten einmeterneunundsechzighohen MICALVI Dusche. Schon wieder duschen? Nächsten Monat reicht doch auch. Gedanken an Luxus: Ein richtiger Stromanschluss, eine heiße Badewanne, eine bayrische Brezen mit Butter, ein französischer Bäcker, ein Wiener Schnitzel, eine Weihnachtsgans, ein richtiger Supermarkt mit frischer Milch und drei Sorten griechischem Sahneyoghurt, Breitbandinternet frisch aus der Leitung, so wie daheim. Daheim? Wo ist das? Es hilft auch nicht, das das ehemals beste »watering hole« des Südens, die vielgerühmte Bordbar der MICALVI, nicht mehr betrieben wird. Der Dampfer ist im Besitz der chilenischen Marine, die die Konzession aus verschiedenen Gründen nicht erneuern will. Zu hohe Einnahmen des Pächters? Zu viele betrunkene Segler? Der schlechte Einfluss auf die Gemeinde? Wir wissen es nicht. Nun ist die Bar tot, aber an manchen Tagen heizt Francisco den Ofen ein, und dann sitzen B + ich nach unsere täglichen Wanderung ganz allein in bequemen, lederbezogenen Sesseln auf der Brücke der MICALVI am Kartentisch hinter dem großen Ruderrad, blicken über den Bug des alten Dampfers auf den Beagle Kanal und essen unseren Haferbrei. Manchmal feiert die Marine hier ihre offiziellen Empfänge, oder eine Tanzveranstaltung. Dann sieht man hier viele prächtige Galauniformen mit goldenen Tressen und vielen Streifen und Winkeln. Manches möchte man hier lieber nicht hinterfragen. Nur so viel: Ein wenig riecht man sie noch, die alte Militärdiktatur.
Die Lage bessert sich, als Ende Juli nach endlosem Zen und hunderten von Zoll bedingten e-mails unsere Ersatzheizung eintrifft und problemlos läuft. Mit heißem Wasser lassen sich fettige Teller und Töpfe einfach besser reinigen und auch das Duschen draussen im Cockpit wird zum Genuss… gut. Gut auch unsere täglichen Exkursionen in die Wildnis, die gleich hinter der MICALVI beginnt. Ganz erstaunlich, welchen Wandel man beobachten kann, wenn man denselben Pfad immer wieder betritt: Spuren im hüfthohen Schnee, bei stahlblauem Himmel und absoluter Flaute, oder bei Schneesturm und ohne jede Sicht. Das Knarren uralter Bäume im Wind, unter der Last des Schnees, oder mit den ersten zarten Blüten des Frühlings. Die schneebedeckten Berge Feuerlands, am gegenüberliegenden Ufer des Beagle Kanals, mit langen Schneefahnen im schweren Sturm, oder friedlich daliegend, in der Mittagssonne. Dort! Die ersten Gänseblümchen auf der Wiese. Neu angeschwemmtes Treibgut am Strand, Muscheln, Gräten, Holz und Walknochen, aber auch tote Pinguine und einiger Plastikmüll, Schuhe, Flaschen oder Fischernetze, tolles Material für Skulpturen, die nie jemand bauen wird. Anfangs fliehen die halbwilden, strubbeligen Pferde sobald sie uns sehen, oder schicken ihren Hengst zur Verteidigung der winzigen Fohlen. Nun ignorierten sie uns, mit ihren pelzigen Hintern im Windschatten von Findlingen oder Krüppelbuchen, oder sie betteln um Mohrrüben. Die halbwilden Kühe, die wir Bisons nennen, verhalten sich ähnlich, so wie die bunten Spechte. Nur die vielen Seevögel fliegen noch immer auf, zeternd und protestieren, sobald B+ich ihnen am Strand auf die Federn rücken.
September: Die Tage werden nun merklich länger, weniger Schnee, dafür Aprilwetter. In Puerto Williams gehören wir zum Inventar, jedenfalls ein bisschen. Wir treffen den »Schweizer« im Museum, beim Diavortrag über den Untergang der HMS WAGER. Er hat über Freunde in Punta Arenas Gerüchte gehört, das dort seit langem ein Paket für uns beim Postamt liegt. Ingrid vom Minimarkt schenkt uns bei jedem Einkauf Schokolade und die Kellnerin im Café an der Fähre weiss, welchen Kaffee und welchen Kuchen wir bevorzugen. Barry von der SPAILPIN ist da und hilft uns beim Pisco Sour trinken. Der nette Amerikaner fliegt für jeweils sechs Wochen nach Saudi Arabien, um dort als Hubschrauberpilot für die Ölindustrie zu arbeiten, dann wieder nach Puerto Williams, um sein Boot für die Antarktis vorzubereiten. SPAILPIN ist die erste private US -Amerikanische Yacht seit über zehn Jahren die eine US - Amerikanische Antarktis-Genehmigung erhalten hat. Wir haben vieles gemeinsam und demgemäß viel zu reden. Wenn es im Minimarkt etwas zu kaufen gibt, kaufen wir, das macht hier jeder so. Wer weiss, was kommt. Die einsamen Monate geben uns jedenfalls ausreichend Gelegenheit zum lesen, schreiben und Gitarre spielen. Sobald da mal eine Internetverbindung ist, verspüren wir (also M) diesen masochistischen Trieb, Informationen aus D zu tanken. Die hinterlassen eigentlich nie ein gutes Gefühl. Werden die Untergangszenarien nicht nächstes Jahr genauso klingen, oder auch in drei Jahren, wie nach unserer ersten Reise? Aber: Das Internet erschließt uns den Zugriff auf eine Bonanza von Informationen, in einer Weise, die ganz und gar unheimlich ist. Egal zu welchem Thema, man wird fündig. So mancher gut gemachter, verführerischer Mist, aber eben auch viel Qualität. Gerade bei technischen Problemen gibt es da das geballte Wissen frei Haus, von klugen und fleißigen Menschen, die damit sehr freigiebig umgehen ( Ein herrliches Beispiel: http://www.leeroysramblings.com ). Da ist sie wieder, die interessante Frage ob wir nicht doch bereits Cyborgs sind, Maschinenmenschen mit einem erdumspannenden und exponentiell wachsendem Neoneocortex. Zoomed out: Das macht zwar einsam, bietet aber die Chance auf ein wenig Überblick. Eine der vielen »youtube« Entdeckung des letzten Winters: Juval Harari‘s Vorlesungsreihe zur Geschichte des Homo Sapiens, oder die erfrischend lang und komplex angelegten Interviews (3-4h!), die der wilde Joe Rogan mit Persönlichkeiten wie Elon Musk, Sean Carrol, Steven Pinker, Sam Harris oder Jordan Peterson führt.
Oktober in Ushuaia, Argentinien, fast eine Großstadt. Drei Wochen lang schleppen wir jeden Tag Vorräte an Bord für ein halbes Jahr in der Wildnis. Auch in Sachen Ausrüstung sorgen wir für Nachschub: Mehr Kanister, noch zwei riesige rote Fender, eine lange Schwimmleine, die zwar von mieser Qualität, aber dafür doppelt so teuer ist. Mangelwirtschaft, auch hier. Die Wirtschaftskrise hat das ganze Land im Würgegriff. Die Regale sind leer, zumindest was Importware angeht. Dafür sind die Preise in den Restaurants halbwegs stabil geblieben, was das dicke Steak mit einer Flasche argentinischem Malbec im »Christophers« zu einer reinen Freude macht, und natürlich auch die frischen Croissant im »Ramos Generales«. Unsere Freunde von der CLARY sind zurück aus Schweden, beladen mit einigen heiß ersehnten Ersatzteilen für den Volvo der VERA. Ulf und Pia sind reizende Leute und im Nu sind diverse Abende verplappert. Unnachahmlich wieder das ausklarieren aus Argentinien. Schon klar: Man benötigt die Bögen mit allen verfügbaren Daten zu uns und unserem Schiff in vierfacher Ausfertigung. Wir füllen also einmal aus und kopieren dreimal im nahen Copyshop. Der zuständige Armada Offizier sieht die Kopien, und schüttelt den Kopf. Erlaubt sind nur die offiziellen Bögen. Also nimmt er einen Satz seiner unausgefüllten Bögen, kopiert sie im Hinterzimmer dreimal, und überreicht sie uns zum ausfüllen, und einer weiteren Stunde Zen. Dafür kommen sie diesmal nicht bis an die Zähne bewaffnet an Bord, oder wollen, wie damals in Mar del Plata, die frisch gewartete Rettungsinsel, die zertifizierten Schwimmwesten, die nagelneuen Rauchtöpfe und Handfackeln, die frischen Signalraketen, alle Signalflaggen in der richtigen Reihenfolge im Karton, die Schiffsglocke, die Papierseekarten, den Sextanten und das gültige astronomische Jahrbuch sehen…
Im November sind wir wieder unterwegs, allein in der einsamen Wildnis Patagonien‘s: Ein Segelrevier ist das hier eigentlich nicht. Am besten, man wagt sich nur bei Flaute hinaus, um unter Maschine möglichst ökonomisch Strecke zu machen, so wie damals, als wir die VERA 2009 das Rote Meer hinauf »segelten«. Die Wikinger hatten nicht ohne Grund auch dutzende von Ruderbänke auf ihren »Segel«schiffen. Vor Tau und Tag laufen wir aus, verlassen den Schutz des heimeligen Hafen von Puerto Williams, und »segeln« auf dem Beagle Kanal gen Westen. Die verschneiten Berge voraus sind in ein hauchzartes Morgenrot getaucht. Leider hält solch herrliches Wetter hier in der Regel nicht. Vor Anker und vier Landleinen im »Walden Pond« auf der Isla Gordon, gute 100sm westlich von Puerto Williams: Ein bombensicheres Plätzchen, das wir schon aus der letzten Saison kennen, mit wohlschmeckendem Süsswasser, welches unser Unterwasserschiff in einigen Tagen so einigermaßen vom Bewuchs befreit. Hier einzuparken war diesmal nicht leicht. Hammerböen aus allen Richtungen, Leinensalat, Zustand. Von der Felswand voraus rauscht der Wasserfall. Kein anderes Schiff weit und breit, absolute Wildnis hier. Die Yámana Ureinwohner gibt es nicht mehr, nur noch Trolle und Feen. Eine Woche lang heult es aus West, und regnet oder schneit ohne Unterlass, mit zwei kleinen Pausen von je zehn Minuten. Null Grad draussen. Die Heizung läuft so wie sie soll, was wichtig ist für die Moral. An einem halbwegs ruhigen Tag verholen wir uns 36 Seemeilen weiter durch labyrinthische Fjorde in den Estéro Coloane. Ein unglaublich spektakulärer Platz mit Blick auf die gewaltigen Gletscher der Isla Hoste. Bei schönem Wetter soll es hier paradiesisch schön sein. Heute schneit es bis in die tiefen Lagen. Temperatur draussen: Ein Grad. Auch in den nächsten Tagen halten die Regenpausen nie länger als zehn Minuten. Grillen am Strand? Lieber nicht. Einmal, nur einmal ist der Himmel einen Nachmittag lang blau, in der herrlichen Caleta Bosque im stark vergletscherten Estéro Fouquein, einem spektakulärem, lang eingeschnittenen Fjord, der von hohen Bergen umgeben ist. Wir duschen draussen im Cockpit und stehen dann lange in der wärmenden Sonne, um dringend benötigte Vitamine zu tanken. Über einige weitere einsame Traumplätze am Brazo Sudoeste segeln (!) wir Ende November vor einem heulenden Westwind nach Puerto Williams zurück um unser Weihnachtsgeschenk abzuholen: Ein neues Großsegel von ULLMAN SAILS in unzerstörbarer Skip Novak Antarktis Qualität. Die berühmte PELAGIC AUSTRALIS hat es aus Kapstadt, Südafrika für uns mitgebracht. Die junge Dreiercrew (1xM,1xF,1xM) diniert auf der VERA. Eine unerwartet liebenswerte Truppe, die viel haarsträubendes zu erzählen hat und sehr glücklich mit ihrem Arbeitgeber ist. Ab Ende der Woche steht für die Drei die erste von vier Antarktisexpeditionen in dieser Saison an. Wir werden uns also wiedersehen.
Puerto Williams Anfang Dezember, wieder im Päckchen an der MICALVI. Die Saison kommt in gang. Asados und Pastagelage auf den Schiffen mehren sich so, dass es schon fast ein bisschen viel wird. Angelsachsen haben ein gutes Wort dafür: »Oversocializing«. Zum Glück laufen Pia und Ulf mit der kleinen CLARY bald zum langen Schlag hinauf nach Puerto Montt aus, sonst kämen wir hier zu nichts mehr, und das können wir uns nicht leisten. Die VERA soll nämlich auch bald wieder voll gebunkert und in technisch perfektem Zustand sein. Vor ihr liegt das große Abenteuer: Die Antarktis. Nach sechs Monaten Papierkrieg gegen das Umweltbundesamt hat B die nach der »Antarctic Treaty« für jeden Bürger aus einem Unterzeichnerstaat notwendige offizielle Genehmigung für uns ausgehandelt. Mal wollte man nähere Angaben zum Grauwassertank der Waschmaschine, das technische Datenblatt der grünen Elmex Zahnpasta, oder eine unmöglich abzuschließende Vollkaskoversicherung für die Antarktis. Deutsche Gründlichkeit, die nervt. Der ganze Plan wird uns zweien wohl auch so alles abverlangen, was noch da ist in unserem Alter. Derzeit arbeiten wir also jeden Tag am Boot und stoßen dabei auf so manch technisches Problem. Meist ist es Elektronik die versagt und häufig sind es intermittierende Fehler, die sich schwer eingrenzen lassen. Supernervig: Alles was neu auf den Markt kommt ist nicht kompatibel mit dem alten, bewährten Material. So wie die nach vielen Monaten im chilenischen Zoll und mit hohen Gebühren teuer erkaufte neue Radarantenne, die zwar baugleich mit unserer alten ist, aber durch neue Firmware nicht mehr mit unseren alten Sichtgeräten spricht. Die Neubeschaffung der Plotter würde neben viel Geld u.a. auch die Neubeschaffung sämtlicher digitaler Seekarten erforderlich machen, was für uns nicht in Frage kommt. So, will man uns haben: Willen- und ahnungslose Konsumenten mit tiefen Taschen, die wir täglich mit frischem Geld auffüllen, unter Aufgabe unserer Freiheit.
Herzliche Grüße und eine harmonische Adventszeit wünschen Euch B und M / SY VERA / Puerto Williams / Isla Navarino / Chile
1 - Juli 2018: VERA eingeschneit in Puerto Williams.

2 - M im Schnee.

3 - Endlich Frühling.

4 - Ein windiger Tag am »Beagle Kanal«.
5 - Oktober 2018, Ushuaia / Argentinien: Die CLARY längsseits an der VERA.

6 - Vor Tau und Tag im »Beagle Kanal«.

7 - B im »Estéro Coloane«.

8 - M im »Estéro Coloane«.

9 - B und BOUNCE im »Estéro Fouque«.

10 - »Segeln« im Labyrinth der »Patagonian Channels«.

11 - VERA im Päckchen längsseits der PELAGIC AUSTRALIS. Im blauroten Segelsack auf dem Seitendeck: Unser Weihnachtsgeschenk.

12 - November 2018: Unsere Umrundung der wilden »Isla Gordon«.

13 - Die Regenpause im »Estéro Fouque«. Ein Film von B und M.
Wie im Flug sind sieben Monate vergangen seit unserem letzten Newsletter. Hier also endlich die neue Ausgabe:
In Puerto Williams, dem kleinen chilenischen Marinestützpunkt am Ende der Welt geht ein langer, einsamer Winter zu Ende. Im Päckchen an der alten MICALVI herrschte lange Zeit Frieden. Den alten Dampfer teilten wir uns eigentlich nur mit Jean Yves und Claire von der NATZIQ, die ich (M) nicht leiden kann. So blieben wir meist unter uns, so unter uns, das es jetzt im Frühling schon fast stört, wenn junge, gut gelaunte Backpacker ganz in Goretex, langen Objektiven, Selfysticks und smarten Phones auf Deck der MICALVI picknicken und an »unserem« Internet suckeln, das nur an guten Tagen etwas Bandbreite hat.
Die ersten drei Wintermonate ohne richtige Heizung waren saukalt. Fünf bis zehn Grad tagsüber unter Deck, mit einem 2000 Watt Heizlüfter aus dem porösen MICALVI Landstromanschluss, zehn Ampere bei 180 Volt, falls kein Stromausfall… Drei Lagen Merino, darüber Daunen, des Nachts zwei Wärmflaschen. Und sonst? Eiswürfel für einen Drink kommen direkt aus dem Wasserhahn, weitere Wärmflaschen liegen nachts auf den Wassermachermebranen. Fleissiges Schneeschaufeln macht Sinn, weil das Wasser sonst nicht mehr aus den Waschbecken läuft, wegen des Gewichtes an Deck, das die VERA versenken will. WC geht nicht: Kleine Fische verstopfen die Pumpe. Wir haben uns daran gewöhnt, das auf der MICALVI eigentlich immer irgendetwas fehlt. Internet ist Glücksache. Gelegentlicher Euphorie erzeugender Highspeed wechselt sich ab mit Wochen der Abstinenz, etwa weil der Router zur »Maintenance« abgeholt wurde. Etwas für Stoiker in der Ausbildung. Alle paar Wochen gibt es fließend Wasser, nämlich immer dann, wenn zwanzig Marineklempner in schicken Uniformen gleichzeitig die durchgefrorenen Leitungen und die geborstenen Absperrhähne frisch verlöten. Manchmal gibt es auch warmes Wasser in der unbeheizten einmeterneunundsechzighohen MICALVI Dusche. Schon wieder duschen? Nächsten Monat reicht doch auch. Gedanken an Luxus: Ein richtiger Stromanschluss, eine heiße Badewanne, eine bayrische Brezen mit Butter, ein französischer Bäcker, ein Wiener Schnitzel, eine Weihnachtsgans, ein richtiger Supermarkt mit frischer Milch und drei Sorten griechischem Sahneyoghurt, Breitbandinternet frisch aus der Leitung, so wie daheim. Daheim? Wo ist das? Es hilft auch nicht, das das ehemals beste »watering hole« des Südens, die vielgerühmte Bordbar der MICALVI, nicht mehr betrieben wird. Der Dampfer ist im Besitz der chilenischen Marine, die die Konzession aus verschiedenen Gründen nicht erneuern will. Zu hohe Einnahmen des Pächters? Zu viele betrunkene Segler? Der schlechte Einfluss auf die Gemeinde? Wir wissen es nicht. Nun ist die Bar tot, aber an manchen Tagen heizt Francisco den Ofen ein, und dann sitzen B + ich nach unsere täglichen Wanderung ganz allein in bequemen, lederbezogenen Sesseln auf der Brücke der MICALVI am Kartentisch hinter dem großen Ruderrad, blicken über den Bug des alten Dampfers auf den Beagle Kanal und essen unseren Haferbrei. Manchmal feiert die Marine hier ihre offiziellen Empfänge, oder eine Tanzveranstaltung. Dann sieht man hier viele prächtige Galauniformen mit goldenen Tressen und vielen Streifen und Winkeln. Manches möchte man hier lieber nicht hinterfragen. Nur so viel: Ein wenig riecht man sie noch, die alte Militärdiktatur.
Die Lage bessert sich, als Ende Juli nach endlosem Zen und hunderten von Zoll bedingten e-mails unsere Ersatzheizung eintrifft und problemlos läuft. Mit heißem Wasser lassen sich fettige Teller und Töpfe einfach besser reinigen und auch das Duschen draussen im Cockpit wird zum Genuss… gut. Gut auch unsere täglichen Exkursionen in die Wildnis, die gleich hinter der MICALVI beginnt. Ganz erstaunlich, welchen Wandel man beobachten kann, wenn man denselben Pfad immer wieder betritt: Spuren im hüfthohen Schnee, bei stahlblauem Himmel und absoluter Flaute, oder bei Schneesturm und ohne jede Sicht. Das Knarren uralter Bäume im Wind, unter der Last des Schnees, oder mit den ersten zarten Blüten des Frühlings. Die schneebedeckten Berge Feuerlands, am gegenüberliegenden Ufer des Beagle Kanals, mit langen Schneefahnen im schweren Sturm, oder friedlich daliegend, in der Mittagssonne. Dort! Die ersten Gänseblümchen auf der Wiese. Neu angeschwemmtes Treibgut am Strand, Muscheln, Gräten, Holz und Walknochen, aber auch tote Pinguine und einiger Plastikmüll, Schuhe, Flaschen oder Fischernetze, tolles Material für Skulpturen, die nie jemand bauen wird. Anfangs fliehen die halbwilden, strubbeligen Pferde sobald sie uns sehen, oder schicken ihren Hengst zur Verteidigung der winzigen Fohlen. Nun ignorierten sie uns, mit ihren pelzigen Hintern im Windschatten von Findlingen oder Krüppelbuchen, oder sie betteln um Mohrrüben. Die halbwilden Kühe, die wir Bisons nennen, verhalten sich ähnlich, so wie die bunten Spechte. Nur die vielen Seevögel fliegen noch immer auf, zeternd und protestieren, sobald B+ich ihnen am Strand auf die Federn rücken.
September: Die Tage werden nun merklich länger, weniger Schnee, dafür Aprilwetter. In Puerto Williams gehören wir zum Inventar, jedenfalls ein bisschen. Wir treffen den »Schweizer« im Museum, beim Diavortrag über den Untergang der HMS WAGER. Er hat über Freunde in Punta Arenas Gerüchte gehört, das dort seit langem ein Paket für uns beim Postamt liegt. Ingrid vom Minimarkt schenkt uns bei jedem Einkauf Schokolade und die Kellnerin im Café an der Fähre weiss, welchen Kaffee und welchen Kuchen wir bevorzugen. Barry von der SPAILPIN ist da und hilft uns beim Pisco Sour trinken. Der nette Amerikaner fliegt für jeweils sechs Wochen nach Saudi Arabien, um dort als Hubschrauberpilot für die Ölindustrie zu arbeiten, dann wieder nach Puerto Williams, um sein Boot für die Antarktis vorzubereiten. SPAILPIN ist die erste private US -Amerikanische Yacht seit über zehn Jahren die eine US - Amerikanische Antarktis-Genehmigung erhalten hat. Wir haben vieles gemeinsam und demgemäß viel zu reden. Wenn es im Minimarkt etwas zu kaufen gibt, kaufen wir, das macht hier jeder so. Wer weiss, was kommt. Die einsamen Monate geben uns jedenfalls ausreichend Gelegenheit zum lesen, schreiben und Gitarre spielen. Sobald da mal eine Internetverbindung ist, verspüren wir (also M) diesen masochistischen Trieb, Informationen aus D zu tanken. Die hinterlassen eigentlich nie ein gutes Gefühl. Werden die Untergangszenarien nicht nächstes Jahr genauso klingen, oder auch in drei Jahren, wie nach unserer ersten Reise? Aber: Das Internet erschließt uns den Zugriff auf eine Bonanza von Informationen, in einer Weise, die ganz und gar unheimlich ist. Egal zu welchem Thema, man wird fündig. So mancher gut gemachter, verführerischer Mist, aber eben auch viel Qualität. Gerade bei technischen Problemen gibt es da das geballte Wissen frei Haus, von klugen und fleißigen Menschen, die damit sehr freigiebig umgehen ( Ein herrliches Beispiel: http://www.leeroysramblings.com ). Da ist sie wieder, die interessante Frage ob wir nicht doch bereits Cyborgs sind, Maschinenmenschen mit einem erdumspannenden und exponentiell wachsendem Neoneocortex. Zoomed out: Das macht zwar einsam, bietet aber die Chance auf ein wenig Überblick. Eine der vielen »youtube« Entdeckung des letzten Winters: Juval Harari‘s Vorlesungsreihe zur Geschichte des Homo Sapiens, oder die erfrischend lang und komplex angelegten Interviews (3-4h!), die der wilde Joe Rogan mit Persönlichkeiten wie Elon Musk, Sean Carrol, Steven Pinker, Sam Harris oder Jordan Peterson führt.
Oktober in Ushuaia, Argentinien, fast eine Großstadt. Drei Wochen lang schleppen wir jeden Tag Vorräte an Bord für ein halbes Jahr in der Wildnis. Auch in Sachen Ausrüstung sorgen wir für Nachschub: Mehr Kanister, noch zwei riesige rote Fender, eine lange Schwimmleine, die zwar von mieser Qualität, aber dafür doppelt so teuer ist. Mangelwirtschaft, auch hier. Die Wirtschaftskrise hat das ganze Land im Würgegriff. Die Regale sind leer, zumindest was Importware angeht. Dafür sind die Preise in den Restaurants halbwegs stabil geblieben, was das dicke Steak mit einer Flasche argentinischem Malbec im »Christophers« zu einer reinen Freude macht, und natürlich auch die frischen Croissant im »Ramos Generales«. Unsere Freunde von der CLARY sind zurück aus Schweden, beladen mit einigen heiß ersehnten Ersatzteilen für den Volvo der VERA. Ulf und Pia sind reizende Leute und im Nu sind diverse Abende verplappert. Unnachahmlich wieder das ausklarieren aus Argentinien. Schon klar: Man benötigt die Bögen mit allen verfügbaren Daten zu uns und unserem Schiff in vierfacher Ausfertigung. Wir füllen also einmal aus und kopieren dreimal im nahen Copyshop. Der zuständige Armada Offizier sieht die Kopien, und schüttelt den Kopf. Erlaubt sind nur die offiziellen Bögen. Also nimmt er einen Satz seiner unausgefüllten Bögen, kopiert sie im Hinterzimmer dreimal, und überreicht sie uns zum ausfüllen, und einer weiteren Stunde Zen. Dafür kommen sie diesmal nicht bis an die Zähne bewaffnet an Bord, oder wollen, wie damals in Mar del Plata, die frisch gewartete Rettungsinsel, die zertifizierten Schwimmwesten, die nagelneuen Rauchtöpfe und Handfackeln, die frischen Signalraketen, alle Signalflaggen in der richtigen Reihenfolge im Karton, die Schiffsglocke, die Papierseekarten, den Sextanten und das gültige astronomische Jahrbuch sehen…
Im November sind wir wieder unterwegs, allein in der einsamen Wildnis Patagonien‘s: Ein Segelrevier ist das hier eigentlich nicht. Am besten, man wagt sich nur bei Flaute hinaus, um unter Maschine möglichst ökonomisch Strecke zu machen, so wie damals, als wir die VERA 2009 das Rote Meer hinauf »segelten«. Die Wikinger hatten nicht ohne Grund auch dutzende von Ruderbänke auf ihren »Segel«schiffen. Vor Tau und Tag laufen wir aus, verlassen den Schutz des heimeligen Hafen von Puerto Williams, und »segeln« auf dem Beagle Kanal gen Westen. Die verschneiten Berge voraus sind in ein hauchzartes Morgenrot getaucht. Leider hält solch herrliches Wetter hier in der Regel nicht. Vor Anker und vier Landleinen im »Walden Pond« auf der Isla Gordon, gute 100sm westlich von Puerto Williams: Ein bombensicheres Plätzchen, das wir schon aus der letzten Saison kennen, mit wohlschmeckendem Süsswasser, welches unser Unterwasserschiff in einigen Tagen so einigermaßen vom Bewuchs befreit. Hier einzuparken war diesmal nicht leicht. Hammerböen aus allen Richtungen, Leinensalat, Zustand. Von der Felswand voraus rauscht der Wasserfall. Kein anderes Schiff weit und breit, absolute Wildnis hier. Die Yámana Ureinwohner gibt es nicht mehr, nur noch Trolle und Feen. Eine Woche lang heult es aus West, und regnet oder schneit ohne Unterlass, mit zwei kleinen Pausen von je zehn Minuten. Null Grad draussen. Die Heizung läuft so wie sie soll, was wichtig ist für die Moral. An einem halbwegs ruhigen Tag verholen wir uns 36 Seemeilen weiter durch labyrinthische Fjorde in den Estéro Coloane. Ein unglaublich spektakulärer Platz mit Blick auf die gewaltigen Gletscher der Isla Hoste. Bei schönem Wetter soll es hier paradiesisch schön sein. Heute schneit es bis in die tiefen Lagen. Temperatur draussen: Ein Grad. Auch in den nächsten Tagen halten die Regenpausen nie länger als zehn Minuten. Grillen am Strand? Lieber nicht. Einmal, nur einmal ist der Himmel einen Nachmittag lang blau, in der herrlichen Caleta Bosque im stark vergletscherten Estéro Fouquein, einem spektakulärem, lang eingeschnittenen Fjord, der von hohen Bergen umgeben ist. Wir duschen draussen im Cockpit und stehen dann lange in der wärmenden Sonne, um dringend benötigte Vitamine zu tanken. Über einige weitere einsame Traumplätze am Brazo Sudoeste segeln (!) wir Ende November vor einem heulenden Westwind nach Puerto Williams zurück um unser Weihnachtsgeschenk abzuholen: Ein neues Großsegel von ULLMAN SAILS in unzerstörbarer Skip Novak Antarktis Qualität. Die berühmte PELAGIC AUSTRALIS hat es aus Kapstadt, Südafrika für uns mitgebracht. Die junge Dreiercrew (1xM,1xF,1xM) diniert auf der VERA. Eine unerwartet liebenswerte Truppe, die viel haarsträubendes zu erzählen hat und sehr glücklich mit ihrem Arbeitgeber ist. Ab Ende der Woche steht für die Drei die erste von vier Antarktisexpeditionen in dieser Saison an. Wir werden uns also wiedersehen.
Puerto Williams Anfang Dezember, wieder im Päckchen an der MICALVI. Die Saison kommt in gang. Asados und Pastagelage auf den Schiffen mehren sich so, dass es schon fast ein bisschen viel wird. Angelsachsen haben ein gutes Wort dafür: »Oversocializing«. Zum Glück laufen Pia und Ulf mit der kleinen CLARY bald zum langen Schlag hinauf nach Puerto Montt aus, sonst kämen wir hier zu nichts mehr, und das können wir uns nicht leisten. Die VERA soll nämlich auch bald wieder voll gebunkert und in technisch perfektem Zustand sein. Vor ihr liegt das große Abenteuer: Die Antarktis. Nach sechs Monaten Papierkrieg gegen das Umweltbundesamt hat B die nach der »Antarctic Treaty« für jeden Bürger aus einem Unterzeichnerstaat notwendige offizielle Genehmigung für uns ausgehandelt. Mal wollte man nähere Angaben zum Grauwassertank der Waschmaschine, das technische Datenblatt der grünen Elmex Zahnpasta, oder eine unmöglich abzuschließende Vollkaskoversicherung für die Antarktis. Deutsche Gründlichkeit, die nervt. Der ganze Plan wird uns zweien wohl auch so alles abverlangen, was noch da ist in unserem Alter. Derzeit arbeiten wir also jeden Tag am Boot und stoßen dabei auf so manch technisches Problem. Meist ist es Elektronik die versagt und häufig sind es intermittierende Fehler, die sich schwer eingrenzen lassen. Supernervig: Alles was neu auf den Markt kommt ist nicht kompatibel mit dem alten, bewährten Material. So wie die nach vielen Monaten im chilenischen Zoll und mit hohen Gebühren teuer erkaufte neue Radarantenne, die zwar baugleich mit unserer alten ist, aber durch neue Firmware nicht mehr mit unseren alten Sichtgeräten spricht. Die Neubeschaffung der Plotter würde neben viel Geld u.a. auch die Neubeschaffung sämtlicher digitaler Seekarten erforderlich machen, was für uns nicht in Frage kommt. So, will man uns haben: Willen- und ahnungslose Konsumenten mit tiefen Taschen, die wir täglich mit frischem Geld auffüllen, unter Aufgabe unserer Freiheit.
Herzliche Grüße und eine harmonische Adventszeit wünschen Euch B und M / SY VERA / Puerto Williams / Isla Navarino / Chile
1 - Juli 2018: VERA eingeschneit in Puerto Williams.

2 - M im Schnee.

3 - Endlich Frühling.

4 - Ein windiger Tag am »Beagle Kanal«.

5 - Oktober 2018, Ushuaia / Argentinien: Die CLARY längsseits an der VERA.

6 - Vor Tau und Tag im »Beagle Kanal«.

7 - B im »Estéro Coloane«.

8 - M im »Estéro Coloane«.

9 - B und BOUNCE im »Estéro Fouque«.

10 - »Segeln« im Labyrinth der »Patagonian Channels«.

11 - VERA im Päckchen längsseits der PELAGIC AUSTRALIS. Im blauroten Segelsack auf dem Seitendeck: Unser Weihnachtsgeschenk.

12 - November 2018: Unsere Umrundung der wilden »Isla Gordon«.

13 - Die Regenpause im »Estéro Fouque«. Ein Film von B und M.
001 - DIE GLETSCHER CHILES
12/05/18 00:00 Chile
Hallo Ihr Lieben!
Während bei Euch die Sonne aufgeht (ah, der Mai!), liegt hier der späte Herbst über den verschneiten Bergen und Fjorden Patagoniens. Die Tage werden kurz und kalt. B und ich sind noch immer hier. Durch den ärgerlichen Defekt an unserer Heizung (Fehler 20, Glühkerze kaputt) ist es anders gekommen als ursprünglich geplant. Besser? Wir finden schon. Sicher ist, das wir den wilden, weiten Weg hinauf nach Puerto Montt durch Wildnis, Sturm und Kälte nicht ohne eine funktionierende Heizung angehen wollten. Wir bestellten also eine neue Glühkerze, vorsorglich gleich zweimal, von zwei verschiedenen Händlern in England und den USA, per Luftpost, per Express, eilt unbeschreiblich, per Einschreiben, extra und extra. Anfangs gingen wir noch voller Erwartung alle paar Tage zur Post, dann nur noch einmal in der Woche und am Ende war es uns einfach egal. Letztlich haben wir über drei Monate in Puerto Williams auf unsere ersehnten winzigen Päckchen gewartet. Lateinamerika… Aber: Die Natur ist herrlich hier auf der Isla Navarino, südlich von Feuerland. Schroffe Berge, wilde Täler, filzige Wälder, gut gepflegte Wanderwege, wilde Pferde, muntere Biber, und eine Auswahl an Vögeln, wie wir sie nie gesehen haben. Draussen im Beaglekanal heult der Westwind, springen Delphine, Wale und Seelöwen. Wir haben einen guten, gesunden Tagesablauf gefunden: Morgentee, Wanderung (so zwei bis vier Stunden, je nach Tagesform), Brunch, Mittagsschlaf, lesen, schreiben, kochen, Dinner, vielleicht einen Film, lange schlafen, Morgentee, Wanderung, Brunch, usw.
Wir haben uns also entschieden, eine Zeitlang hier am »Fin del mundo« zu leben, ein gemütliches Winterquartier aufzuschlagen, in Puerto Williams, dem südlichsten Dorf der Welt. Die meisten Dorfbewohner hier gehören der chilenischen Marine an und pflegen einen äußerst freundlichen und hilfsbereiten Umgang mit den abenteuerlustigen Backpackern und Seglern aus aller Welt. Durch die benachbarten Boote hier im Päckchen an dem alten deutschen Paketdampfer CONTRAMESTE MICALVI konnten wir viele Bekanntschaften und einige Freundschaften schließen. Die Versorgungslage ist die: Am Samstag kommt die Fähre aus Punta Arenas und lädt ab. Der ganze Ort geht auf einmal hamstern. Ab Montag sind die Läden leer, von Leuten, aber auch von Waren. Einige Bilder aus Ushuaia, Puerto Williams und Kap Hoorn könnt Ihr u.a. im ersten Teil von Skip Novaks Schwerwetterratgeber sehen. Für die leidenschaftlichen Segler unter Euch: Die gesamte Serie ist gut gemacht und recht sehenswert.
Durch die vielen Gespräche hier hat sich unsere Sehnsucht nach einer eigenen kleinen Zweimannexpedition im nächsten Sommer in die Antarktis noch verstärkt. Dazu benötigen wir allerdings u.a. eine Genehmigung des deutschen Umweltbundesamtes. Die ist schwer zu bekommen. Ein Aktenordner voller Unterlagen ist zu erstellen, 1013 Frage, zum Schiff und zu uns. Zum Glück lag immer mal wieder die SANTA MARIA AUSTRALIS neben uns. Jeanette und Wolf fahren seit über zwanzig Jahren mit Chartergästen in die Antarktis und waren in den letzten Jahren jeweils die einzige Yacht unter deutscher Flagge die eine Genehmigung hatte. In den nächsten Wochen reichen wir die Papiere ein. Den endgültigen Bescheid erwarten wir so in drei bis sechs Monaten.
Anfang April mussten wir für ein paar Tage nach Ushuaia in Argentinien ausklarieren. Unsere Visa für Chile waren abgelaufen. Zum Glück genügt die einmalige Aus- und Wiedereinreise (sehr viel Papier, sehr viel Zen), um neue Visa zu erwerben. Ushuaia ist aber auch gut für manch anderes: Die dicken argentinischen Steaks im »Christophers« und die Croissants im »Ramos Generales« sind noch immer von erstklassiger Qualität und mehrere Besuche wert, auch weil der argentinische Peso derzeit in schlechtem Zustand ist. Im gemütlichen Yachtclub AFASYN treffen wir ein nettes schwedisches Pärchen: Pia und Ulf sind mit ihrem kleinen Doppelender SY CLARY (Laurin Koster 32) unterwegs und haben ähnliche Pläne wie wir.
Zurück in Puerto Williams und mit neuen Visa für Chile in der Tasche, beantragen wir gleich eine Genehmigung für den »Circito Ventisquero«, eine Rundreise durch die spektakulären Gletschergebiete im äußersten Südwesten Chiles. Nun stellt es sich als großer Vorteil heraus, das Diesel und Vorräte nicht für 600 Seemeilen bis zur nächsten Tankstelle in Puerto Natales, sondern nur für die knapp 300 eher diesellastigen Seemeilen des »Circito Ventisquero« reichen müssen. Durch unsere geplante Überwinterung im tiefen Süden haben wir viel Zeit gewonnen, die wir nun zu nutzen gedenken. Entschleunigung, die uns gut tut.
Mitte April verlassen wir gemeinsam mit der CLARY in aller Frühe unseren heimeligen Liegeplatz. Der Beagle Kanal zeigt sich zunächst von seiner selten friedlichen Seite. Bei leichtem Ostwind und Nieselregen laufen wir bei glattem Wasser platt vor den Laken gen Westen. Gegen Mittag ist der Wind weg, dann dreht er zurück auf West. Mit Hilfe des grünen Herrn Volvo geht es zunächst noch gut voran. Als B soeben unsere Eierkuchen in die Pfanne gießt, legt der Wind unvermittelt und völlig unerwartet zu. 25, 30, 35, dann 40 Knoten, Stärke acht. Die Sicht ist weg, das Wasser fliegt und bricht über den Bug. Bei Vollgas laufen wir keine drei Knoten mehr über Grund. Nichts wie raus hier. Drei Meilen weiter gibt es eine gut geschützte Ankerbucht: Caleta Martinez, eng, viel Kelp, Leinensalat von Fischerbooten. Wollen mal sehen… Mit Hilfe des Radars tasten wir uns bei schlechter Sicht zwischen kleinen Inselchen, Untiefen, Steinen und Felsen hindurch. Unsere Karten sind nicht schlecht, weisen aber einen markanten Versatz auf. B und ich haben beide ein mieses Gefühl bei der Sache. Es ist saugefährlich, was wir hier machen. Ein kleiner Fehler, oder Kelp im Propeller, und die VERA liegt hoch und trocken auf den Steinen. Das darf auf keinen Fall passieren. Sollten wir besser abbrechen, und zurück nach Puerto Williams segeln? Hinter uns ist die kleine CLARY umgekehrt und läuft ab. Letztlich gelingt es uns bei heulendem Sturm die winzige Caleta Martinez zu finden und in zwei Stunden harter Arbeit den Anker und zwei Landleinen sicher zu platzieren. Danach sind wir absolut erledigt und haben einiges gelernt.
Die nächsten Tage laufen geruhsamer ab. In der oberen Bahia Yendegaya finden wir eine Horde munterer Seelöwen und einen traumhaft schönen Platz. Die Caleta Ferrari bietet perfekten Schutz und Ankergrund vor den verfallenden Gebäuden der verlassenen Estancia Yendegaya, dem Yendegaia Fluss und dem Stoppani Gletscher. Das gesamte Gebiet wurde um das Jahr 2000 herum von dem US Amerikaner Doug Tompkins (dem kürzlich tödlich verunglückten Gründer der Firmen »The North Face« und »Esprit«) erworben, um es als »Yendegaya National Park« der Natur zu überlassen. Nichts und niemand ist mehr hier, aber die überwuchernden Wege und einige klapprige und gefährlich morsche Holzbrücken werden noch von wilden Pferden genutzt. Von der Estancia aus ist es möglich, entlang des Flusses, durch das breite ehemalige Gletschertal, bis an den derzeitigen Fuss des mächtigen Stoppani Gletscher zu wandern, der seinen Ursprung in den hohen Bergen der Darwin Kordilleren hat. Kann es einen anschaulicheren Weg geben, geologische Zeiträume vorstellbar zu machen? Ohne die Aufklärung, ohne Menschen wie die Geologen James Hutton (1726-1797) und Charles Lyell (1797-1875) würden wir uns viel zu wichtig nehmen. Bahia Yendegaya: Ein Platz zum Verweilen, ein Platz zum wandern und zum träumen.
Eine Woche später nutzen wir ein gutes »Wetterfenster« mit östlichen Winden, um mit einer kleinen Herde Orca Wale und vorbei an mehreren großen Gletschern in die wildromantische Caleta Morning zu verlegen. Einen Tag später dringen wir in den Seño Pia vor, einem mächtigen zweiarmigen Einschnitt im Beagle Kanal, in den einige der gewaltigen Gletscherzungen des Romanche Gletschers aus den Darwin Kordilleren kalben. Schon bei der Einfahrt in den Fjord riecht es nach Eis. Vorsichtig tasten wir uns voran. B steht am Bug und wehrt die größten Brocken mit dem Bootshaken ab. Den vielgepriesenen Ankerplatz in der Caleta Beaulieu erreichen wir nicht. Der Ostwind hat das Eis so stark verdichtet, das es kein Vorwärtskommen gibt. Uns bleiben nur der Rückmarsch, und einmalige Eindrücke.
In der nahegelegenen Bahia Tres Brasos finden wir auf Empfehlung von Jean Yves von der SY NATSIQ ein heimeliges Plätzchen, das wir »Walden Pond« nennen, obwohl es eigentlich »Caleta Cinco Estrellas« heißt, also »fünf Sterne Unterkunft«. Ein kleiner Einschnitt verengt sich zu einer sehr engen Einfahrt und weitet sich dann zu einem kleinen, fast runden Teich, in den kaum mehr als die schlanke VERA hineingeht. Der Anker und zwei Landleinen halten sie sicher in der Mitte. Von den umliegenden steilen Felsen rauscht ein lebendiger Wasserfall, der zu einer Besonderheit führt: Das Wasser in unserem Teich ist Süsswasser! Der verblüffende Effekt: Der Teich friert über Nacht zu. Und: Der inzwischen doch recht dicke Bewuchs unseres Unterwasserschiffes, die Muscheln und Algen, fallen nach ein paar Tagen einfach ab, und hinterlassen eine blitzsaubere, frische rote Oberfläche.
In den kommenden Tagen rauscht ein heftiger Sturm aus Südwesten über uns hinweg, mit starkem Regen, Hagel und Schnee, der die umliegenden Hügel pudert. Bei uns im »Walden Pond« bleibt es flau, nur die Wolken haben es eilig. Wir lesen und kochen und lesen und schlafen und heizen. Der kleine Nachteil am »Walden Pond« ist die fehlende Sonneneinstrahlung. Die umliegenden Berge lassen im Spätherbst kaum einen Strahl an unsere Solarpaneele. Da auch die Windgeneratoren müßig bleiben, müssen wir den recht hohen Stromverbrauch der Heizung (Umwälzpumpe, Gebläse, Glühkerze, etc.) mit der Hauptmaschine + Lichtmaschine + Hochleistungsregler ausgleichen, so etwa eine Dreiviertel laut nagelnde Stunde pro Tag. So wird uns sehr anschaulich, in welch hohem Maße »zivilisierte« Menschen in den höheren Breiten vom Brennstoff abhängen. Nur um uns warm zu halten verbrennen wir hier so zwischen vier und sechs Litern Diesel pro Tag. Wenn man dann an die Yaghan, die Ureinwohner dieser Gegend und ihre fehlende Bekleidung denkt, kommt man ins grübeln.
Wir bekommen Besuch! Ich (M) habe mich soeben zum Mittagsschlaf gelegt, als ein größeres Beiboot mit Aussenborder im »Walden Pond« auftaucht. Der Skipper setzt bei strömendem Regen und eisiger Kälte vier Crewmitglieder ab, die hier offenbar eine Wanderung unternehmen wollen. Brrrrr. Danach kommt er längsseits, um höflich Guten Tag zu sagen. B führt das Gespräch, während ich (M) von unserer Koje aus heimlich lausche. Ein Franzose, aha, noch einer. Ausgeprägt perfektes Englisch, ungewöhnlich. Er liegt mit seiner großen Ketsch weiter draussen vor Anker. Der »Walden Pond« ist etwas zu eng für ihn. Kommt von den Falkland Inseln. Ein Franzose von den Falklandinseln. Aha. Schönes Boot sagt der nette Franzose zu der VERA. Es wundert ihn, hier in der Wildnis so spät im Jahr noch ein Boot anzutreffen und dann noch eines, das so elegant und so sauber ist. Gleich wird er ablegen, es regnet und es ist kalt. Aber nein, das Gespräch mit Frau B scheint ihm zu gefallen. Sie reden über dies und das. B will ihn wohl nicht an Bord bitten, weil ich (Herr M) meinen Mittagsschlaf halte. Als der Franzose weg ist, erzählt mir B alles zur Gänze. Sie weiß ja nicht, das ich mitgehört habe. Der Franzose kommt von den Falklandinseln, alt, wettergegerbt, sieht aus wie die französische Ausgabe von Skip Novak. Aha. War das vielleicht Jerome Poncet? Der lebt, wie wir wissen, seit langem auf den Falklandinseln und züchtet Schafe. Hat B soeben mit einer lebenden Legende geplaudert? Wer weiss?
Vier Tage später sind wir zurück im Seño Pia. Der Sturm der letzten Tage hat das Eis ein wenig zurechtgerückt, so dass wir mit einiger Mühe bis zur Caleta Beaulieu vordringen und neben dem Anker zwei Landleinen legen können. Das sollte halten. Das Panorama des Gletschers und der umliegenden, schneebedeckten Berge ist atemberaubend. Diese Gipfel sind, verglichen mit Bergen in den Alpen, nicht allzu hoch, stehen sie doch direkt am Meer. Das Klima jedoch sorgt für eine majestätische Aura, mit gewaltigen Wächten und strahlend blauem Eis, die man sonst eher im Hochgebirge verortet. Verschiebungen im Eis des Gletschers sorgen immer wieder für ein Krachen, ein mächtiges Wummern, wie schwere Gewitter oder Artilleriebeschuss. Das macht ein wenig nervös, ist aber doch faszinierend anzuhören. Wir setzen uns mit unserem wohlverdienten Porridge und dem großen Sitzsack aufs Vordeck in die überwältigend wohltuende Nachmittagssonne und versuchen uns sattzusehen, was nicht gelingt. Vielleicht morgen.
Bei Tagesanbruch finden wir die VERA eingefroren in einer fingerdicken, frischen Eisschicht, die auch in der strahlenden Mittagssonne nicht auftaut. Sollten wir eine Dummheit begangen haben? Hier, in der Wildnis überwintern? Bitte nicht! Wir beraten noch, als der kleine Doppelender CLARY um die Landzunge biegt und eisbrechend auf uns zuhält. Was für eine angenehme Überraschung! Bald sitzen wir gemeinsam im Cockpit der Schweden und haben bei Whiskey mit Gletschereis viel zu erzählen. Das anschließende Dinner an Bord der VERA wird denkwürdig. Ein sehr, sehr gelungener, herrlicher Abend, der leider, leider mit »Fehler 61« endet. Unsere Eberspächer Heizung hat erneut den Geist aufgegeben. Das Steuergerät, halb so teuer wie die gesamte Heizung, ist hinüber, Totalschaden. Zuverlässige Technik »made in Görmany«.
Seit geraumer Zeit beschäftige ich (M) mich u.a. mit den Stoikern. Meinem permanenten Angespanntsein muss doch irgendwie beizukommen sein. Die Stoiker empfehlen, immer mit dem schlimmsten zu rechnen, damit man meist positiv überrascht wird, was zufrieden macht. Im schlimmsten Falle kann man ja gelassen bleiben, weil man ohnehin damit gerechnet hat. Soso. Wie empfohlen, lausche ich also seit Wochen voller Furcht auf jedes eigenartige Geräusch der Heizung, rechne jeden Augenblick mit ihrem Ausfall, und male mir das in den grauesten Farben aus. Und dann, heute, an einem perfekten Abend: »Fehler 61«, aus. Und nun? Ich springe im Dreieck vor Frustration und reiße mir die Haare aus. Stoa? Nicht jetzt. »All I ask is a comfortable home« - Charlotte Lucas.
Die Nacht wird kalt und schlaflos. Die vermaledeite Technik und unsere elende Abhängigkeit von derselben spielt mit unseren Gedanken Roulette. Alle anderen Boote hier fahren mit Holzöfen oder Schalenbrennern (Ölofen, lowtech) zur See. Auf Deck erheben sich mächtige, rußende Kamine, die die Segel schwärzen, gerne Wasser hereinlassen und/oder von schlagenden Vorsegelschoten ausgerissen werden. Bei etwas Wind beatmen diese Monster gerne auch mal die Kabine, was für gute Gesundheit und einen fetten, schwarzen Ölfilm auf Büchern und Polstern sorgt. Eine Hightech Heizung wie unsere Eberspächer Hydronic 10, das beste und zuverlässigste, was es am Markt zu kaufen gibt, würden die Antarktis Profis nicht einmal mit der Kneifzange einbauen. Viel zu unzuverlässig. Haben wir Mist gebaut? Der Gedanke drängt sich auf. Aber: Einen rußenden, schwarzen Schlot an Deck eines Kleinods wie der VERA? Niemals. Während das Heizungsproblem an unseren Seelen frisst, treibt ein frischer Nordwind fette Eisschollen gegen die VERA und die CLARY, das es nur so schabt und kracht. Wir rechnen mit Schäden, und vor allem damit, eingeschlossen zu werden. Ohne Heizung. Wir bekommen kein Auge zu, eine schlimme Nacht.
Der Morgen bringt die Überraschung: Es ist warm. Nordwind, Temperaturen über null Grad! Das Eis ist lose, und dabei zu schmelzen. Wir können ungehindert die Leinen loswerfen und aus der Falle des Seño Pia entkommen. Die Eiswache am Bug hat nicht einmal viel zu tun. Ein Wunder! Der Abschied von der CLARY und einigen weiteren herrlichen Wochen in den Gletschergebieten fällt uns schwer. Sollten wir weitersegeln, nun eben ohne Heizung? Wir entscheiden uns dagegen und beschließen, in drei langen Etappen vor dem Wind nach Puerto Williams zurückzurauschen. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt unter Deck machen die langen Abende keine Freude. Zudem haben wir nun ein großes Problem zu lösen: Wie nur, wie, bekommen wir eine neue Heizung innerhalb eines halben Jahres nach Puerto Williams? Und zu welchem Preis? Unsere Erfahrungen mit der kleinen Glühkerze lassen nichts gutes ahnen.
Auf dem Rückmarsch treffen wir in der Caleta Olla unerwartet auf die POLARWIND, die auf dem Weg nach Norden, nach Puerto Montt und dann in die Südsee ist. Das deutsch - chilenischen Pärchen Jutta und Oswaldo mit den beiden super gelungenen Kindern Antonia (5) und Theo (9), die eine beneidenswert glückliche Kindheit unter Segeln leben dürfen, lädt uns noch auf einen Schlummertrunk ein. Bald tauschen wir bei rotem Wein den neuesten Küstenklatsch aus. Jutta erzählt uns, das die Franzosen in Puerto Williams ganz aufgeregt sind: Der große Jerome Poncet persönlich soll in der Gegen unterwegs und auf dem Weg in den Norden Chiles sein. Aha.
Puerto Williams, unser »Heimathafen«, empfängt uns zu unserem Schrecken mit der kalten Schulter. Völlig unerwartet sind viel zu viele Boote hier. Die chilenische Marine veranstaltet zu ihrem 200. Jubiläum eine majestätische Großseglerparade mit sieben Segelschulschiffen aus Chile, Argentinien, Brasilien, Uruguay, Mexico, Spanien und Kolumbien und eine gut besuchte Optiregatta. Alles ist voll, kein Liegeplatz für die VERA, bloß eine kalte, windige Mooring draussen im Seño Lauta. Eine böse Woche lang frieren wir erbärmlich vor uns hin, bis uns das Auslaufen der französischen PETROUSHKA endlich einen anständigen Liegeplatz mit Landstrom = Heizlüfter im Päckchen an der MICALVI beschert. Das muss fürs erste genügen, bis wir »irgendwann« eine neue Heizung einbauen können.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Puerto Williams / Isla Navarino / Chile
1 - In zwei Monaten aus den USA nach Puerto Williams: FedEx Express

2 - Ein hübscher, alter Schlepper in Ushuaia, Argentinien.

3 - »Yendegaya National Park«: B auf einer alten Brücke.

4 - Gletschertal im »Yendegaya National Park«

5 - Alter Wagen.

6 - M vor der verlassenen Estancia Yendegaya.

7 - Der Italia Gletscher am Beagle Kanal.

8 - Eis im Seño Pia.

9 - Ein neugieriger Orca Wal schaut vorbei.

10 - Und hier der dazugehörige Orca Streifen. Ein Film von B+M.
11 - VERA und BOUNCE im »Walden Pond«. Süsswasser reinigt für uns das Unterwasserschiff.

12 - Zurück im Seño Pia: B und BOUNCE beim Landleinen legen in der Caleta Beulieu.

13 - Seño Pia: Sonnenaufgang im Eis. Unser Blick vom Ankerplatz in der Caleta Beaulieu auf den Romanche Gletscher.

14 - Seño Pia: B hilft Pia und Ulf beim Leinen legen.

15 - Der Romanche Gletscher vom Beagle Kanal aus gesehen.

Während bei Euch die Sonne aufgeht (ah, der Mai!), liegt hier der späte Herbst über den verschneiten Bergen und Fjorden Patagoniens. Die Tage werden kurz und kalt. B und ich sind noch immer hier. Durch den ärgerlichen Defekt an unserer Heizung (Fehler 20, Glühkerze kaputt) ist es anders gekommen als ursprünglich geplant. Besser? Wir finden schon. Sicher ist, das wir den wilden, weiten Weg hinauf nach Puerto Montt durch Wildnis, Sturm und Kälte nicht ohne eine funktionierende Heizung angehen wollten. Wir bestellten also eine neue Glühkerze, vorsorglich gleich zweimal, von zwei verschiedenen Händlern in England und den USA, per Luftpost, per Express, eilt unbeschreiblich, per Einschreiben, extra und extra. Anfangs gingen wir noch voller Erwartung alle paar Tage zur Post, dann nur noch einmal in der Woche und am Ende war es uns einfach egal. Letztlich haben wir über drei Monate in Puerto Williams auf unsere ersehnten winzigen Päckchen gewartet. Lateinamerika… Aber: Die Natur ist herrlich hier auf der Isla Navarino, südlich von Feuerland. Schroffe Berge, wilde Täler, filzige Wälder, gut gepflegte Wanderwege, wilde Pferde, muntere Biber, und eine Auswahl an Vögeln, wie wir sie nie gesehen haben. Draussen im Beaglekanal heult der Westwind, springen Delphine, Wale und Seelöwen. Wir haben einen guten, gesunden Tagesablauf gefunden: Morgentee, Wanderung (so zwei bis vier Stunden, je nach Tagesform), Brunch, Mittagsschlaf, lesen, schreiben, kochen, Dinner, vielleicht einen Film, lange schlafen, Morgentee, Wanderung, Brunch, usw.
Wir haben uns also entschieden, eine Zeitlang hier am »Fin del mundo« zu leben, ein gemütliches Winterquartier aufzuschlagen, in Puerto Williams, dem südlichsten Dorf der Welt. Die meisten Dorfbewohner hier gehören der chilenischen Marine an und pflegen einen äußerst freundlichen und hilfsbereiten Umgang mit den abenteuerlustigen Backpackern und Seglern aus aller Welt. Durch die benachbarten Boote hier im Päckchen an dem alten deutschen Paketdampfer CONTRAMESTE MICALVI konnten wir viele Bekanntschaften und einige Freundschaften schließen. Die Versorgungslage ist die: Am Samstag kommt die Fähre aus Punta Arenas und lädt ab. Der ganze Ort geht auf einmal hamstern. Ab Montag sind die Läden leer, von Leuten, aber auch von Waren. Einige Bilder aus Ushuaia, Puerto Williams und Kap Hoorn könnt Ihr u.a. im ersten Teil von Skip Novaks Schwerwetterratgeber sehen. Für die leidenschaftlichen Segler unter Euch: Die gesamte Serie ist gut gemacht und recht sehenswert.
Durch die vielen Gespräche hier hat sich unsere Sehnsucht nach einer eigenen kleinen Zweimannexpedition im nächsten Sommer in die Antarktis noch verstärkt. Dazu benötigen wir allerdings u.a. eine Genehmigung des deutschen Umweltbundesamtes. Die ist schwer zu bekommen. Ein Aktenordner voller Unterlagen ist zu erstellen, 1013 Frage, zum Schiff und zu uns. Zum Glück lag immer mal wieder die SANTA MARIA AUSTRALIS neben uns. Jeanette und Wolf fahren seit über zwanzig Jahren mit Chartergästen in die Antarktis und waren in den letzten Jahren jeweils die einzige Yacht unter deutscher Flagge die eine Genehmigung hatte. In den nächsten Wochen reichen wir die Papiere ein. Den endgültigen Bescheid erwarten wir so in drei bis sechs Monaten.
Anfang April mussten wir für ein paar Tage nach Ushuaia in Argentinien ausklarieren. Unsere Visa für Chile waren abgelaufen. Zum Glück genügt die einmalige Aus- und Wiedereinreise (sehr viel Papier, sehr viel Zen), um neue Visa zu erwerben. Ushuaia ist aber auch gut für manch anderes: Die dicken argentinischen Steaks im »Christophers« und die Croissants im »Ramos Generales« sind noch immer von erstklassiger Qualität und mehrere Besuche wert, auch weil der argentinische Peso derzeit in schlechtem Zustand ist. Im gemütlichen Yachtclub AFASYN treffen wir ein nettes schwedisches Pärchen: Pia und Ulf sind mit ihrem kleinen Doppelender SY CLARY (Laurin Koster 32) unterwegs und haben ähnliche Pläne wie wir.
Zurück in Puerto Williams und mit neuen Visa für Chile in der Tasche, beantragen wir gleich eine Genehmigung für den »Circito Ventisquero«, eine Rundreise durch die spektakulären Gletschergebiete im äußersten Südwesten Chiles. Nun stellt es sich als großer Vorteil heraus, das Diesel und Vorräte nicht für 600 Seemeilen bis zur nächsten Tankstelle in Puerto Natales, sondern nur für die knapp 300 eher diesellastigen Seemeilen des »Circito Ventisquero« reichen müssen. Durch unsere geplante Überwinterung im tiefen Süden haben wir viel Zeit gewonnen, die wir nun zu nutzen gedenken. Entschleunigung, die uns gut tut.
Mitte April verlassen wir gemeinsam mit der CLARY in aller Frühe unseren heimeligen Liegeplatz. Der Beagle Kanal zeigt sich zunächst von seiner selten friedlichen Seite. Bei leichtem Ostwind und Nieselregen laufen wir bei glattem Wasser platt vor den Laken gen Westen. Gegen Mittag ist der Wind weg, dann dreht er zurück auf West. Mit Hilfe des grünen Herrn Volvo geht es zunächst noch gut voran. Als B soeben unsere Eierkuchen in die Pfanne gießt, legt der Wind unvermittelt und völlig unerwartet zu. 25, 30, 35, dann 40 Knoten, Stärke acht. Die Sicht ist weg, das Wasser fliegt und bricht über den Bug. Bei Vollgas laufen wir keine drei Knoten mehr über Grund. Nichts wie raus hier. Drei Meilen weiter gibt es eine gut geschützte Ankerbucht: Caleta Martinez, eng, viel Kelp, Leinensalat von Fischerbooten. Wollen mal sehen… Mit Hilfe des Radars tasten wir uns bei schlechter Sicht zwischen kleinen Inselchen, Untiefen, Steinen und Felsen hindurch. Unsere Karten sind nicht schlecht, weisen aber einen markanten Versatz auf. B und ich haben beide ein mieses Gefühl bei der Sache. Es ist saugefährlich, was wir hier machen. Ein kleiner Fehler, oder Kelp im Propeller, und die VERA liegt hoch und trocken auf den Steinen. Das darf auf keinen Fall passieren. Sollten wir besser abbrechen, und zurück nach Puerto Williams segeln? Hinter uns ist die kleine CLARY umgekehrt und läuft ab. Letztlich gelingt es uns bei heulendem Sturm die winzige Caleta Martinez zu finden und in zwei Stunden harter Arbeit den Anker und zwei Landleinen sicher zu platzieren. Danach sind wir absolut erledigt und haben einiges gelernt.
Die nächsten Tage laufen geruhsamer ab. In der oberen Bahia Yendegaya finden wir eine Horde munterer Seelöwen und einen traumhaft schönen Platz. Die Caleta Ferrari bietet perfekten Schutz und Ankergrund vor den verfallenden Gebäuden der verlassenen Estancia Yendegaya, dem Yendegaia Fluss und dem Stoppani Gletscher. Das gesamte Gebiet wurde um das Jahr 2000 herum von dem US Amerikaner Doug Tompkins (dem kürzlich tödlich verunglückten Gründer der Firmen »The North Face« und »Esprit«) erworben, um es als »Yendegaya National Park« der Natur zu überlassen. Nichts und niemand ist mehr hier, aber die überwuchernden Wege und einige klapprige und gefährlich morsche Holzbrücken werden noch von wilden Pferden genutzt. Von der Estancia aus ist es möglich, entlang des Flusses, durch das breite ehemalige Gletschertal, bis an den derzeitigen Fuss des mächtigen Stoppani Gletscher zu wandern, der seinen Ursprung in den hohen Bergen der Darwin Kordilleren hat. Kann es einen anschaulicheren Weg geben, geologische Zeiträume vorstellbar zu machen? Ohne die Aufklärung, ohne Menschen wie die Geologen James Hutton (1726-1797) und Charles Lyell (1797-1875) würden wir uns viel zu wichtig nehmen. Bahia Yendegaya: Ein Platz zum Verweilen, ein Platz zum wandern und zum träumen.
Eine Woche später nutzen wir ein gutes »Wetterfenster« mit östlichen Winden, um mit einer kleinen Herde Orca Wale und vorbei an mehreren großen Gletschern in die wildromantische Caleta Morning zu verlegen. Einen Tag später dringen wir in den Seño Pia vor, einem mächtigen zweiarmigen Einschnitt im Beagle Kanal, in den einige der gewaltigen Gletscherzungen des Romanche Gletschers aus den Darwin Kordilleren kalben. Schon bei der Einfahrt in den Fjord riecht es nach Eis. Vorsichtig tasten wir uns voran. B steht am Bug und wehrt die größten Brocken mit dem Bootshaken ab. Den vielgepriesenen Ankerplatz in der Caleta Beaulieu erreichen wir nicht. Der Ostwind hat das Eis so stark verdichtet, das es kein Vorwärtskommen gibt. Uns bleiben nur der Rückmarsch, und einmalige Eindrücke.
In der nahegelegenen Bahia Tres Brasos finden wir auf Empfehlung von Jean Yves von der SY NATSIQ ein heimeliges Plätzchen, das wir »Walden Pond« nennen, obwohl es eigentlich »Caleta Cinco Estrellas« heißt, also »fünf Sterne Unterkunft«. Ein kleiner Einschnitt verengt sich zu einer sehr engen Einfahrt und weitet sich dann zu einem kleinen, fast runden Teich, in den kaum mehr als die schlanke VERA hineingeht. Der Anker und zwei Landleinen halten sie sicher in der Mitte. Von den umliegenden steilen Felsen rauscht ein lebendiger Wasserfall, der zu einer Besonderheit führt: Das Wasser in unserem Teich ist Süsswasser! Der verblüffende Effekt: Der Teich friert über Nacht zu. Und: Der inzwischen doch recht dicke Bewuchs unseres Unterwasserschiffes, die Muscheln und Algen, fallen nach ein paar Tagen einfach ab, und hinterlassen eine blitzsaubere, frische rote Oberfläche.
In den kommenden Tagen rauscht ein heftiger Sturm aus Südwesten über uns hinweg, mit starkem Regen, Hagel und Schnee, der die umliegenden Hügel pudert. Bei uns im »Walden Pond« bleibt es flau, nur die Wolken haben es eilig. Wir lesen und kochen und lesen und schlafen und heizen. Der kleine Nachteil am »Walden Pond« ist die fehlende Sonneneinstrahlung. Die umliegenden Berge lassen im Spätherbst kaum einen Strahl an unsere Solarpaneele. Da auch die Windgeneratoren müßig bleiben, müssen wir den recht hohen Stromverbrauch der Heizung (Umwälzpumpe, Gebläse, Glühkerze, etc.) mit der Hauptmaschine + Lichtmaschine + Hochleistungsregler ausgleichen, so etwa eine Dreiviertel laut nagelnde Stunde pro Tag. So wird uns sehr anschaulich, in welch hohem Maße »zivilisierte« Menschen in den höheren Breiten vom Brennstoff abhängen. Nur um uns warm zu halten verbrennen wir hier so zwischen vier und sechs Litern Diesel pro Tag. Wenn man dann an die Yaghan, die Ureinwohner dieser Gegend und ihre fehlende Bekleidung denkt, kommt man ins grübeln.
Wir bekommen Besuch! Ich (M) habe mich soeben zum Mittagsschlaf gelegt, als ein größeres Beiboot mit Aussenborder im »Walden Pond« auftaucht. Der Skipper setzt bei strömendem Regen und eisiger Kälte vier Crewmitglieder ab, die hier offenbar eine Wanderung unternehmen wollen. Brrrrr. Danach kommt er längsseits, um höflich Guten Tag zu sagen. B führt das Gespräch, während ich (M) von unserer Koje aus heimlich lausche. Ein Franzose, aha, noch einer. Ausgeprägt perfektes Englisch, ungewöhnlich. Er liegt mit seiner großen Ketsch weiter draussen vor Anker. Der »Walden Pond« ist etwas zu eng für ihn. Kommt von den Falkland Inseln. Ein Franzose von den Falklandinseln. Aha. Schönes Boot sagt der nette Franzose zu der VERA. Es wundert ihn, hier in der Wildnis so spät im Jahr noch ein Boot anzutreffen und dann noch eines, das so elegant und so sauber ist. Gleich wird er ablegen, es regnet und es ist kalt. Aber nein, das Gespräch mit Frau B scheint ihm zu gefallen. Sie reden über dies und das. B will ihn wohl nicht an Bord bitten, weil ich (Herr M) meinen Mittagsschlaf halte. Als der Franzose weg ist, erzählt mir B alles zur Gänze. Sie weiß ja nicht, das ich mitgehört habe. Der Franzose kommt von den Falklandinseln, alt, wettergegerbt, sieht aus wie die französische Ausgabe von Skip Novak. Aha. War das vielleicht Jerome Poncet? Der lebt, wie wir wissen, seit langem auf den Falklandinseln und züchtet Schafe. Hat B soeben mit einer lebenden Legende geplaudert? Wer weiss?
Vier Tage später sind wir zurück im Seño Pia. Der Sturm der letzten Tage hat das Eis ein wenig zurechtgerückt, so dass wir mit einiger Mühe bis zur Caleta Beaulieu vordringen und neben dem Anker zwei Landleinen legen können. Das sollte halten. Das Panorama des Gletschers und der umliegenden, schneebedeckten Berge ist atemberaubend. Diese Gipfel sind, verglichen mit Bergen in den Alpen, nicht allzu hoch, stehen sie doch direkt am Meer. Das Klima jedoch sorgt für eine majestätische Aura, mit gewaltigen Wächten und strahlend blauem Eis, die man sonst eher im Hochgebirge verortet. Verschiebungen im Eis des Gletschers sorgen immer wieder für ein Krachen, ein mächtiges Wummern, wie schwere Gewitter oder Artilleriebeschuss. Das macht ein wenig nervös, ist aber doch faszinierend anzuhören. Wir setzen uns mit unserem wohlverdienten Porridge und dem großen Sitzsack aufs Vordeck in die überwältigend wohltuende Nachmittagssonne und versuchen uns sattzusehen, was nicht gelingt. Vielleicht morgen.
Bei Tagesanbruch finden wir die VERA eingefroren in einer fingerdicken, frischen Eisschicht, die auch in der strahlenden Mittagssonne nicht auftaut. Sollten wir eine Dummheit begangen haben? Hier, in der Wildnis überwintern? Bitte nicht! Wir beraten noch, als der kleine Doppelender CLARY um die Landzunge biegt und eisbrechend auf uns zuhält. Was für eine angenehme Überraschung! Bald sitzen wir gemeinsam im Cockpit der Schweden und haben bei Whiskey mit Gletschereis viel zu erzählen. Das anschließende Dinner an Bord der VERA wird denkwürdig. Ein sehr, sehr gelungener, herrlicher Abend, der leider, leider mit »Fehler 61« endet. Unsere Eberspächer Heizung hat erneut den Geist aufgegeben. Das Steuergerät, halb so teuer wie die gesamte Heizung, ist hinüber, Totalschaden. Zuverlässige Technik »made in Görmany«.
Seit geraumer Zeit beschäftige ich (M) mich u.a. mit den Stoikern. Meinem permanenten Angespanntsein muss doch irgendwie beizukommen sein. Die Stoiker empfehlen, immer mit dem schlimmsten zu rechnen, damit man meist positiv überrascht wird, was zufrieden macht. Im schlimmsten Falle kann man ja gelassen bleiben, weil man ohnehin damit gerechnet hat. Soso. Wie empfohlen, lausche ich also seit Wochen voller Furcht auf jedes eigenartige Geräusch der Heizung, rechne jeden Augenblick mit ihrem Ausfall, und male mir das in den grauesten Farben aus. Und dann, heute, an einem perfekten Abend: »Fehler 61«, aus. Und nun? Ich springe im Dreieck vor Frustration und reiße mir die Haare aus. Stoa? Nicht jetzt. »All I ask is a comfortable home« - Charlotte Lucas.
Die Nacht wird kalt und schlaflos. Die vermaledeite Technik und unsere elende Abhängigkeit von derselben spielt mit unseren Gedanken Roulette. Alle anderen Boote hier fahren mit Holzöfen oder Schalenbrennern (Ölofen, lowtech) zur See. Auf Deck erheben sich mächtige, rußende Kamine, die die Segel schwärzen, gerne Wasser hereinlassen und/oder von schlagenden Vorsegelschoten ausgerissen werden. Bei etwas Wind beatmen diese Monster gerne auch mal die Kabine, was für gute Gesundheit und einen fetten, schwarzen Ölfilm auf Büchern und Polstern sorgt. Eine Hightech Heizung wie unsere Eberspächer Hydronic 10, das beste und zuverlässigste, was es am Markt zu kaufen gibt, würden die Antarktis Profis nicht einmal mit der Kneifzange einbauen. Viel zu unzuverlässig. Haben wir Mist gebaut? Der Gedanke drängt sich auf. Aber: Einen rußenden, schwarzen Schlot an Deck eines Kleinods wie der VERA? Niemals. Während das Heizungsproblem an unseren Seelen frisst, treibt ein frischer Nordwind fette Eisschollen gegen die VERA und die CLARY, das es nur so schabt und kracht. Wir rechnen mit Schäden, und vor allem damit, eingeschlossen zu werden. Ohne Heizung. Wir bekommen kein Auge zu, eine schlimme Nacht.
Der Morgen bringt die Überraschung: Es ist warm. Nordwind, Temperaturen über null Grad! Das Eis ist lose, und dabei zu schmelzen. Wir können ungehindert die Leinen loswerfen und aus der Falle des Seño Pia entkommen. Die Eiswache am Bug hat nicht einmal viel zu tun. Ein Wunder! Der Abschied von der CLARY und einigen weiteren herrlichen Wochen in den Gletschergebieten fällt uns schwer. Sollten wir weitersegeln, nun eben ohne Heizung? Wir entscheiden uns dagegen und beschließen, in drei langen Etappen vor dem Wind nach Puerto Williams zurückzurauschen. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt unter Deck machen die langen Abende keine Freude. Zudem haben wir nun ein großes Problem zu lösen: Wie nur, wie, bekommen wir eine neue Heizung innerhalb eines halben Jahres nach Puerto Williams? Und zu welchem Preis? Unsere Erfahrungen mit der kleinen Glühkerze lassen nichts gutes ahnen.
Auf dem Rückmarsch treffen wir in der Caleta Olla unerwartet auf die POLARWIND, die auf dem Weg nach Norden, nach Puerto Montt und dann in die Südsee ist. Das deutsch - chilenischen Pärchen Jutta und Oswaldo mit den beiden super gelungenen Kindern Antonia (5) und Theo (9), die eine beneidenswert glückliche Kindheit unter Segeln leben dürfen, lädt uns noch auf einen Schlummertrunk ein. Bald tauschen wir bei rotem Wein den neuesten Küstenklatsch aus. Jutta erzählt uns, das die Franzosen in Puerto Williams ganz aufgeregt sind: Der große Jerome Poncet persönlich soll in der Gegen unterwegs und auf dem Weg in den Norden Chiles sein. Aha.
Puerto Williams, unser »Heimathafen«, empfängt uns zu unserem Schrecken mit der kalten Schulter. Völlig unerwartet sind viel zu viele Boote hier. Die chilenische Marine veranstaltet zu ihrem 200. Jubiläum eine majestätische Großseglerparade mit sieben Segelschulschiffen aus Chile, Argentinien, Brasilien, Uruguay, Mexico, Spanien und Kolumbien und eine gut besuchte Optiregatta. Alles ist voll, kein Liegeplatz für die VERA, bloß eine kalte, windige Mooring draussen im Seño Lauta. Eine böse Woche lang frieren wir erbärmlich vor uns hin, bis uns das Auslaufen der französischen PETROUSHKA endlich einen anständigen Liegeplatz mit Landstrom = Heizlüfter im Päckchen an der MICALVI beschert. Das muss fürs erste genügen, bis wir »irgendwann« eine neue Heizung einbauen können.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Puerto Williams / Isla Navarino / Chile
1 - In zwei Monaten aus den USA nach Puerto Williams: FedEx Express

2 - Ein hübscher, alter Schlepper in Ushuaia, Argentinien.

3 - »Yendegaya National Park«: B auf einer alten Brücke.

4 - Gletschertal im »Yendegaya National Park«

5 - Alter Wagen.

6 - M vor der verlassenen Estancia Yendegaya.

7 - Der Italia Gletscher am Beagle Kanal.

8 - Eis im Seño Pia.

9 - Ein neugieriger Orca Wal schaut vorbei.

10 - Und hier der dazugehörige Orca Streifen. Ein Film von B+M.
11 - VERA und BOUNCE im »Walden Pond«. Süsswasser reinigt für uns das Unterwasserschiff.

12 - Zurück im Seño Pia: B und BOUNCE beim Landleinen legen in der Caleta Beulieu.

13 - Seño Pia: Sonnenaufgang im Eis. Unser Blick vom Ankerplatz in der Caleta Beaulieu auf den Romanche Gletscher.

14 - Seño Pia: B hilft Pia und Ulf beim Leinen legen.

15 - Der Romanche Gletscher vom Beagle Kanal aus gesehen.
