034 - USHUAIA
07/02/18 00:00 Argentina
Hallo Ihr Lieben!
Die VERA hat den südlichen Zipfel Südamerikas erreicht und liegt sicher in Ushuaia, der »südlichsten Stadt der Welt«. Seit beinahe zwei Jahren leben B und ich (M) an Bord, sind aus dem Mittelmeer nach Südamerika gesegelt. In dieser, für uns ereignisreichen, Zeit haben wir einige unserer Vorbereitungen und manchen Eindruck von unterwegs als Newsletter an Euch weitergegeben. Es hat großen Spaß gemacht, das was wir gesehen und erlebt haben so gut es ging zu verdichten, und ein wenig zu bebildern. Sehr gefreut haben wir uns über Eure Zuschriften, Kommentare und Ratschläge. Vielen herzlichen Dank dafür.
Wir segeln in Patagonien und in Feuerland, ein Traum, den wir uns erfüllen konnten. Weitere Projekte liegen vor dem Bug der VERA: Puerto Williams in Chile, längsseits an der berühmten CONTRAMAESTRE MICALVI, einem alten deutschen Dampfer, der heute als südlichster Yachtclub der Welt dient. Dann (natürlich) Kap Hoorn, kaum 80 Seemeilen von hier entfernt. Vielleicht schon nächste Woche? Die wilden und einsamen Gletscher, Fjorde, Kanäle und Caletas im Süden Chiles werden uns in den kommenden Monate beschäftigen und vielleicht ein wenig strapazieren. Überwintern wollen wir in der Gegend um Port Montt in Mittelchile, eventuell auf der vielgerühmten Insel Chiloe. Die VERA muss eine Zeitlang aus dem Wasser: Neues Antifouling, neue Anoden, neues Fett im Propeller. Der hellblaue Rumpf gehört geputzt und poliert. Sie hat es sich verdient. Aber dann? B und ich spielen mit dem Gedanken auch die folgende Saison 2018/19 im Süden zu verbringen. Die Antarktis? Asturias bei überragender Akustik im alten Trantank auf Deception Island? Und dann? Die Südsee, aber diesmal ausgiebig: Osterinsel, Pitcairn, Gambier, Tuamotus, Society Islands. Über Hawaii nach Alaska? Der pazifische Nordwesten, USA, Kanada, mit Bären und Lachsen, so wie es sich gehört. Und dann? Die Nordwestpassage? Oder doch über die Aleuten nach Japan und von dort nach Neuseeland? Vielleicht. Vielleicht. In vielen kleine, akkumulativen Schritten kann es gelingen. Aber: Es sind nicht nur seglerische Träume und Projekte, die uns treiben. Diese aber gehören nicht hierher. Sicher ist, das es für uns nicht sinnvoll ist, weitere engmaschige Newsletter über unsere Segelei zu verfassen. Zu auffällig und unangenehm zu lesen sind die immer schwerer zu vermeidenden Wiederholungen. Noch eine wilde Bucht? Noch ein Mond, mehr Sonne und mehr Sterne mit Herrn Hensoldt? Noch mehr Delphine, Wale, Pinguine? Noch ein in wild zusammen gehauener, so genannter Hafen? Noch ein gut gewähltes Wetterfenster? Schon wieder unter kleinsten Segeln gegen hohe Brecher, wild und nass? Was, nur 8 Knoten? Das Baro fällt? Schon wieder? Oder immer noch? Die VERA wird bald im Vakuum segeln (und Beiboot BOUNCE wird platzen), wenn das so weiter geht.
Seit wir den Hafen von Mar del Plata verlassen haben, ist nur ein Monat vergangen, aber eine gefühlte Ewigkeit für uns. Dabei hat sich Material für einige weitere Newsletter angesammelt (30 - 33). Diese wollen wir Euch natürlich nicht vorenthalten. Wir werden sie also in den nächsten Tagen nacheinander auf den Weg bringen. Apropos auf den Weg bringen: Der bequeme und breitbandige Zugang zum Netz ist eines der wesentlichen Luxusgüter der Gegenwart. Das wird einem klar, sobald man darauf verzichten muss, so wie wir im letzten Monat (und in den nächsten drei bis vier Monaten, oder auch in den nächsten vielen Jahren) in der Wildnis. Vernetzung: Der Sinn, die Zukunft, die Antwort auf die großen Fragen. Vielleicht.
Noch etwas? Klar: Unsere Photos waren qualitativ nie das gelbe vom Ei. Unsere, absolut minimalen, Ausrüstung, eine einzelne »Ritsch - Ratsch« Olympus wasserdicht, Akku inkontinent, war der Aufgabe nicht angemessen. Gute Photos erfordern Aufmerksamkeit, Zeit und Geld. Wir haben andere Prioritäten gesetzt. Qualität: Noch mal bei Pirsig nachlesen.
Euch, unseren geduldigen Lesern in den letzten Jahren, wünschen wir einstweilen alles erdenklich Gute und ein glückliches 2018. Unsere e-mail Adressen bleiben so wie sie sind. Wenn Ihr uns erreichen wollt, dann schreibt einfach. Wir werden uns bemühen zeitnah zu antworten. Und wer weiss? Vielleicht gelingt es uns, in Zukunft zumindest einmal im Jahr einen lesenswerten Erlebnisbericht auf den Weg zu bringen. Oder so.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Ushuaia / Feuerland / Argentinien / POS 54.48,7 S - 68.18,5 W
Die VERA hat den südlichen Zipfel Südamerikas erreicht und liegt sicher in Ushuaia, der »südlichsten Stadt der Welt«. Seit beinahe zwei Jahren leben B und ich (M) an Bord, sind aus dem Mittelmeer nach Südamerika gesegelt. In dieser, für uns ereignisreichen, Zeit haben wir einige unserer Vorbereitungen und manchen Eindruck von unterwegs als Newsletter an Euch weitergegeben. Es hat großen Spaß gemacht, das was wir gesehen und erlebt haben so gut es ging zu verdichten, und ein wenig zu bebildern. Sehr gefreut haben wir uns über Eure Zuschriften, Kommentare und Ratschläge. Vielen herzlichen Dank dafür.
Wir segeln in Patagonien und in Feuerland, ein Traum, den wir uns erfüllen konnten. Weitere Projekte liegen vor dem Bug der VERA: Puerto Williams in Chile, längsseits an der berühmten CONTRAMAESTRE MICALVI, einem alten deutschen Dampfer, der heute als südlichster Yachtclub der Welt dient. Dann (natürlich) Kap Hoorn, kaum 80 Seemeilen von hier entfernt. Vielleicht schon nächste Woche? Die wilden und einsamen Gletscher, Fjorde, Kanäle und Caletas im Süden Chiles werden uns in den kommenden Monate beschäftigen und vielleicht ein wenig strapazieren. Überwintern wollen wir in der Gegend um Port Montt in Mittelchile, eventuell auf der vielgerühmten Insel Chiloe. Die VERA muss eine Zeitlang aus dem Wasser: Neues Antifouling, neue Anoden, neues Fett im Propeller. Der hellblaue Rumpf gehört geputzt und poliert. Sie hat es sich verdient. Aber dann? B und ich spielen mit dem Gedanken auch die folgende Saison 2018/19 im Süden zu verbringen. Die Antarktis? Asturias bei überragender Akustik im alten Trantank auf Deception Island? Und dann? Die Südsee, aber diesmal ausgiebig: Osterinsel, Pitcairn, Gambier, Tuamotus, Society Islands. Über Hawaii nach Alaska? Der pazifische Nordwesten, USA, Kanada, mit Bären und Lachsen, so wie es sich gehört. Und dann? Die Nordwestpassage? Oder doch über die Aleuten nach Japan und von dort nach Neuseeland? Vielleicht. Vielleicht. In vielen kleine, akkumulativen Schritten kann es gelingen. Aber: Es sind nicht nur seglerische Träume und Projekte, die uns treiben. Diese aber gehören nicht hierher. Sicher ist, das es für uns nicht sinnvoll ist, weitere engmaschige Newsletter über unsere Segelei zu verfassen. Zu auffällig und unangenehm zu lesen sind die immer schwerer zu vermeidenden Wiederholungen. Noch eine wilde Bucht? Noch ein Mond, mehr Sonne und mehr Sterne mit Herrn Hensoldt? Noch mehr Delphine, Wale, Pinguine? Noch ein in wild zusammen gehauener, so genannter Hafen? Noch ein gut gewähltes Wetterfenster? Schon wieder unter kleinsten Segeln gegen hohe Brecher, wild und nass? Was, nur 8 Knoten? Das Baro fällt? Schon wieder? Oder immer noch? Die VERA wird bald im Vakuum segeln (und Beiboot BOUNCE wird platzen), wenn das so weiter geht.
Seit wir den Hafen von Mar del Plata verlassen haben, ist nur ein Monat vergangen, aber eine gefühlte Ewigkeit für uns. Dabei hat sich Material für einige weitere Newsletter angesammelt (30 - 33). Diese wollen wir Euch natürlich nicht vorenthalten. Wir werden sie also in den nächsten Tagen nacheinander auf den Weg bringen. Apropos auf den Weg bringen: Der bequeme und breitbandige Zugang zum Netz ist eines der wesentlichen Luxusgüter der Gegenwart. Das wird einem klar, sobald man darauf verzichten muss, so wie wir im letzten Monat (und in den nächsten drei bis vier Monaten, oder auch in den nächsten vielen Jahren) in der Wildnis. Vernetzung: Der Sinn, die Zukunft, die Antwort auf die großen Fragen. Vielleicht.
Noch etwas? Klar: Unsere Photos waren qualitativ nie das gelbe vom Ei. Unsere, absolut minimalen, Ausrüstung, eine einzelne »Ritsch - Ratsch« Olympus wasserdicht, Akku inkontinent, war der Aufgabe nicht angemessen. Gute Photos erfordern Aufmerksamkeit, Zeit und Geld. Wir haben andere Prioritäten gesetzt. Qualität: Noch mal bei Pirsig nachlesen.
Euch, unseren geduldigen Lesern in den letzten Jahren, wünschen wir einstweilen alles erdenklich Gute und ein glückliches 2018. Unsere e-mail Adressen bleiben so wie sie sind. Wenn Ihr uns erreichen wollt, dann schreibt einfach. Wir werden uns bemühen zeitnah zu antworten. Und wer weiss? Vielleicht gelingt es uns, in Zukunft zumindest einmal im Jahr einen lesenswerten Erlebnisbericht auf den Weg zu bringen. Oder so.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Ushuaia / Feuerland / Argentinien / POS 54.48,7 S - 68.18,5 W
033 - DER BEAGLE KANAL UND RUND KAP HOORN
Hallo Ihr Lieben!
Am zweiten Januar ziehen wir im Morgengrauen den Anker aus dem gut haltenden Grund der Bahia Buen Suceso. Es wird Zeit, den Sack zu zu machen. Bei Flaute und leicht südsetzender Strömung passieren wir Capo Buen Suceso und halten unter Maschine auf den Beagle Kanal zu. Gegen Mittag, wir spielen eben mit dem Gedanken die kommende Nacht in Puerto Español in der berühmten Bahia Aguirre zu verbringen, kommt Wind auf. SE sechs, in Böen sieben, sehr ungewöhnlich, und leider direkt in »unsere« Ankerbucht hinein. Also weiter, vor allem, wenn es so leicht geht, wie heute. Vier Stunden später stehen wir vor dem Eingang zum Beagle Kanal. Ein erhebender Augenblick. Die VERA segelt in geschichtsträchtigen Gewässern. Keine 60 Seemeilen trennen uns noch von Kap Hoorn, dem Kap der Stürme. Das Wetter passt. Wir könnten es runden, jetzt. Doch leider müssen wir zunächst nach Ushuaia, der »südlichsten Stadt der Welt«, um dort aus Argentinien auszuklarieren. Von dort müssen wir nach Puerto Williams in Chile zum einklarieren. Und erst dann können wir dort ein »Zarpe«, also eine Genehmigung für Kap Hoorn beantragen… Die Welt im Jahre 2018.
Chile und Argentinien tragen hier unten eine Art Kleinkrieg um einige auf den ersten Blick wertlose, felsige Inselchen aus, den kein Aussenstehender ohne näheres Nachforschen versteht: Nach der beinahe zeitgleichen Gründung und Unabhängigkeitserklärung beider Nationen meinten beide Seiten, das weitgehend unbewohnte Patagonien von Spanien übernommen zu haben. Nach verlustreichen kriegerischen Auseinandersetzungen wurde in einem 1881 geschlossenen Vertrag dem militärisch überlegenen Chile die alleinige Kontrolle über die Gebiete beiderseits der Magellan Straße zugesichert. Dies war für den stark auf Europa ausgerichteten Chilenischen Handel überlebenswichtig. Gewisse, weniger bedeutsame, »wertlose« Gebiete Patagoniens und einen Teil der Insel Feuerland beließ man unter Argentinischer Hoheit, wohl auch um dem unterlegenen Gegner die Gelegenheit zur Gesichtswahrung vor der Öffentlichkeit zu geben. Das Ergebnis können wir jetzt auf dem UKW Funk erleben. Alle paar Meilen müssen wir (und alle anderen Schiffe) abwechselnd der Argentinischen und der Chilenischen Marine unsere Lebensläufe buchstabieren. Auf Spanisch.
Noch vor Sonnenuntergang erreichen wir kurz vor Mitternacht die nächste gut geschützte Ankerbucht: Die Enseada Relegada, gleich neben der berühmten Estancia Harberton. BOUNCE geht zu Wasser, wir rudern an Land, und betreten das erste mal den Boden Feuerlands. Drei Tage lang erkunden wir die Gegend, vertreten uns die rostigen Seglerbeine, und atmen die Atmosphäre am Beagle Kanal, dem Ende der Welt. Die Estancia Harberton, die 1886 von dem Geistlichen Thomas Bridges und seiner Frau Mary Ann Varder (die aus Harberton in Devon stammte) gegründet wurde, wäre alleine einen ganzen Newsletter wert. B und ich lunchen zweimal auf der ehrwürdigen Estancia, nehmen an einer Führung teil, trinken Café, essen Rhabarberkuchen und schmökern in alten Artikeln und Büchern über Feuerland und seine Ureinwohner. Thomas Bridges Wörterbuch der Yaghan Sprache ist ein faszinierendes Dokument, das vieles widerlegt, was gemeinhin über Kultur und Sprache der Ureinwohner Feuerlands überliefert ist, darunter auch Charles Darwins erschreckend hochnäsigen Ansichten über die Primitivität der seinerzeit hier ansässigen Stämme.
Am sechsten Januar machen wir uns auf den Weg nach Ushuaia. Bei absoluter Flaute motoren wir die knapp 40 Seemeilen den Beagle Kanal hinauf. Schon von weitem erkennt man die überraschend große Ausdehnung der kleinen »südlichsten Stadt der Welt« am Fusse der schneebedeckten Anden. Die Lage der beiden Yachtclubs im großen Hafen ist ein wenig unübersichtlich. Onkel Hensoldt muss ran. Durch das Glas erkennen wir die beiden hohen Masten des berühmten Schoners WINDROSE OF AMSTERDAM. Sie liegt (wie wir vom AIS wissen) im Yachtclub AFASYN an der Pier. Die DANDELION, die uns wegen eintreffenden Besuches aus England in der Zwischenzeit überholt hat, liegt auch dort. Das ist fein, denn dort können wir einfach längsseits gehen. Bald sind unsere Leinen fest und sofort sind wir unter Freunden und fühlen uns angekommen. Das noch am selben Abend fällige Einklarierungsprozedere in Ushuaia erspare ich Euch an dieser Stelle. Zen.
Eine gut gelungene Woche verbringen wir in der kleinen, rustikalen Stadt mit diversen Behördengängen, Einkäufen, Diesel bunkern, erstklassige Steaks essen, dazu Kaffee und Kuchen im »Ramos Generales«. An den meisten Tagen wehte es hart aus West, oder Nord, was wegen des regelmäßigen Kommens und Gehens im Yachtclub ständige Aufmerksamkeit bei der Bedienung von Leinen und Fendern erforderte. Ushuaia hat etwas von einem im Tal gelegenen Skiort in den Alpen, und in der Tat wird im nahe gelegenen Skigebiet den ganzen Winter über Ski gefahren. Mondäne Hotels, gute Restaurants, günstige Pensionen, zahlreiche Ausrüstungsläden mit allem, was gut und teuer ist. Es wird viel englisch gesprochen und französisch, von wilden Kerlen mit Bärten und Kletterschuhen und Holzfällerhemden, oder auch von Kreuzfahrttouristen mit viel Gore Tex und Rollkoffern. Sie fahren von hier aus in die Antarktis, das ganz große Abenteuer. Auf dem UKW hören wir den Kapitän des französischen Superschlittens LE LYRIAL den Kapitän der BREMEN um eine exklusive Schiffsbesichtigung für sich und seinen ersten Offizier bitten. Wahrscheinlich wollen sie auf dem alteingesessenen Hapag Lloyd Schiff spionieren…
Beim Abklappern der Werkstätten lernen wir die Stadt noch besser kennen. Am ersten Januar, pünktlich zum neuen Jahr, hat uns nämlich unsere auf den Kanaren neu eingebaute Eberspächer Heizung verlassen. Fehler 20. Das war kalt. Eine sehr schmerzhafte, komplette Demontage und Analyse ergibt, das der unzerstörbare, extrem robuste und für mindestens 20 servicefreie Jahre ausgelegte Vorglühstift den Geist aufgegeben hat. Die VERA schleppt seit Jahren tausende von Ersatzteilen mit. Dieses nicht. Ein Spezialist für Standheizungen in dieser gut gekühlten Stadt? Gibt es nicht. Im Bootsbedarf? Bei Toyota? Bei Mercedes? Bei VW? Beim allgemeinen Autozubehör? Fehlanzeige. Also bestellen und liefern lassen? Nach tagelanger Recherche verwerfen wir diesen Gedanken. Eberspächer hat keine Vertretung in Argentinien und es ist unmöglich, Teile aus Europa, oder den USA in Argentinien in die Finger zu bekommen. Sie werden in Buenos Aires beim Zollamt eingelagert. Für immer. Argentinien: Ein reiches Land, das von seinen korrupten Eliten bis zur Kreditunwürdigkeit ausgebeutet wurde. Der kleine argentinische Händler ist seitdem vom Welthandel abgeschnitten, ein Umstand unter dem das ganze Land sehr sichtlich leidet. Wir klarieren aus (nicht ganz so schlimm, man verfügte diesmal über Blaupapier) und verlassen den windigen und kalten Hafen gen Chile. Auf nach Puerto Williams, dem »südlichsten Dorf der Welt«.
Draussen im Beagle Kanal kommt uns die romantische Dreimastbark EUROPA entgegen, soeben aus der Antarktis zurück, leider wegen des frischen Gegenwindes unter Maschine. Ein wirklich schönes, stolzes Schiff auf dem sonst auch noch anständig gesegelt wird. Ein großartiger Anblick vor schneebedeckten Bergen. Sechs Stunden später liegen wir in Puerto Williams sicher an einer Mooring, gleich hinter der DANDELION, fahren mit BOUNCE an Land und beginnen mit den Behördengängen. Prefectura Naval, Immigration, Zoll, Gesundheitsbehörde, wieder Prefectura Naval. Die Beamten sind überall ausgesprochen nett, aber der Papierkrieg steht dem in Argentinien in nichts nach. Immerhin: Wir dürfen, zunächst für drei Monate, in Chile bleiben.
In den nächsten Tagen erlaufen wir uns das Dorf, unternehmen eine harte Wanderungen (»Mudding«) ins Innere der Insel Navarino, trinken Café, essen Pizza und prüfen das Angebot in den drei kleinen Minimärkten vor Ort. Das ist nicht ganz unwichtig, da wir hier demnächst für drei bis vier Monate Wildnis bunkern müssen. Vor allem wegen des hier vorhandenen Stromanschlusses (Heizlüfter! Herrlich.) verlegen wir die VERA bald in eines der »Päckchen«, längsseits neben anderen Yachten, an der berühmten MICALVI. Der 1925 in Stettin aus Eisen gebaute Dampfer ist seit langem das Hauptquartier des »südlichsten Yachtclubs der Welt«. Die Bar an Bord genoss einst einen Ruf wie Donnerhall, das unsterbliche »Watering hole« der Antarktisfahrerszene. Leider ist sie nicht mehr. Niemand weiss so genau, was geschehen ist, aber die Chilenische Marine, die Eigentümer des Dampfers ist, duldet den Betrieb seit einigen Jahren nicht mehr. Das ist sehr, sehr schade und bringt uns mindestens um diverse köstliche »Pisco Sour«, die wir hier im Auftrag von Freunden verbechern wollten. Aber auch so ist es nett zwischen den anderen Yachten im Päckchen. Es ist alles dabei: Private Millionenyachten, große und kleine Expeditionsschlitten aus Alu oder Stahl, billige Bavarias, winzige, geteerte Aussteigeryachten mit hölzernen Spieren und Tauwerk aus Hanf, unter dem Kommando von langbärtigen Kapitänen. Ein bunt gemischtes Volk aus aller Welt voll abenteuerlicher Geschichten. Und Ratschlägen. Manche davon könnten sich bezahlt machen, »falls« wir in der nächsten Saison wieder hier sind, um das absolute Traumziel unter die Segel zu nehmen: Ein Törn in die Antarktis. Doch vorerst wartet noch ein anderer Job auf die VERA: Rund Kap Hoorn.
Eine gute Woche lang warten wir auf ein passendes Wetterfenster. Sobald man die offizielle Genehmigung (»Zarpe«) der chilenischen Armada für eine Fahrt nach Kap Hoorn in der Hand hat (Zen), belagert man es normalerweise eine Zeitlang, buchtelt sich in Etappen heran, und verbringt die Nächte auf windigen Ankerplätzen mit viel Kelp und vielen Landleinen. »Unser« Wetterfenster ist insofern einmalig, als das es uns in zwei harten Tagen (und Nächten) gegen den Uhrzeigersinn durch die berüchtigte Bahia Nassau und einmal rund um die Archipele Islas Wollaston und Hermenite, um Kap Hoorn und zurück nach Puerto Williams bringen kann, immer vor dem Wind, der mit einem durchziehenden moderaten Tief passend mit uns herumdreht. Kap Hoorn im Handstreich, sozusagen. Diesen Plan setzen wir dann auch um. Nicht sehr bequem, zugegeben, aber: Ab dem Ausgang des »Paso Mantellero« jagen wir vor einem starken Westwind bei ehrfurchtgebietender Dünung knapp 30 Seemeilen im Südpazifik auf Kap Hoorn zu, und passieren es so wie es sich gehört: Bei Kälte, peitschendem Regen, heulendem Wind und schlechter Sicht. Zurück im Südatlantik biegen wir links ab und segeln bei raumendem und abschwächendem Wind zurück in den Beagle Kanal, den wir des Nachts bei absoluter Flaute bis Puerto Williams hinaufmotoren. Warum rund Kap Hoorn? Weil es da ist. Wer mehr lesen möchte, der klicke hier: https://floatmagazin.de/orte/dem-teufel-ein-ohr-absegeln/
Es ist sicher zu früh für uns, ein Fazit zu ziehen zum segeln in den höheren Breiten. Jawohl, es ist kalt hier, und windig. Die hohen, schneebedeckten Berge aber stehen da, wie gemalt. Die vielen Tiere, Bieber, Wildpferde, Vögel, Delphine und Robben, die klare, blitzsaubere Luft, die langen Tage, die ein ganz einmaliges Licht und lange, farbenprächtige Dämmerungen bringen, fühlen sich gesund an. Die für uns ungewohnt kühlen Tage machen aktiv und sorgen für klare Gedanken. Lange Wanderungen putzen den Kreislauf durch. Sehr anregend auch die Seglerszene hier. Interessante Menschen, mit interessanten Biographien. Einige haben Zeit für uns, können sich einlassen auf einen offenen Gedankenaustausch. Das tut gut.
Unsere Glühkerze ist bestellt und per Post aus D auf dem Weg nach Chile. Sobald wir sie in der Hand haben (18 Werktage Laufzeit nach Santiago?) und die Heizung wieder läuft, werden wir uns aufmachen, gen Norden, nach Puerto Montt, wo wir den Winter verbringen wollen. 1.200sm Wildnis liegen vor uns, durch die Kanäle Chiles, die raue Inselwelt auf der Pazifikseite Patagoniens. Drei Monate Kälte, prasselnder Regen, heulender Nordwind ohne jede Versorgungsmöglichkeit, durch eine Landschaft für Feen und Elfen, die jede Mühe wert sein soll. Wir sind gespannt.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Puerto Williams / Isla Navarino / Chile
1 - Es ist geschafft: Der Eingang zum Beagle Kanal vor dem Bug der VERA.

2 - VERA in der Bahia Relegada / Estancia Harberton.

3 - B betritt die Insel Feuerland.

4 - Altes Holz auf Feuerland.

5 - Estancia Harberton, Feuerland.

6 - Wilde Pferde unweit der Bahia Relegada.

7 - Pinguine am Beagle Kanal.

8 - Voraus Ushuaia, die »südlichste Stadt der Welt«.

9 - Onkel Hensoldt mit M.

10 - VERA mit Artgenossen im »Yachtclub« AFASYN in Ushuaia.

11 - Die Bark EUROPA begegnet uns im Beagle Kanal.

12 - VERA im »Päckchen« an der MICALVI in Puerto Williams, einem 1925 in Stettin gebauten Dampfer. Das kleine weisse Boot am Bug der MICALVI ist eine J-24, ein Schwesterschiff unseres vorherigen Bootes MIA WALLACE.

13 - Das Ankerspill am Bug der MICALVI.

14 - B und Kap Hoorn.

15 - Seekarte Beagle Kanal und Kap Hoorn. Im Beagle Kanal seht Ihr die AIS Kennung diverser Kreuzfahrtschiffe, die von hier aus in die Antarktis fahren.

Am zweiten Januar ziehen wir im Morgengrauen den Anker aus dem gut haltenden Grund der Bahia Buen Suceso. Es wird Zeit, den Sack zu zu machen. Bei Flaute und leicht südsetzender Strömung passieren wir Capo Buen Suceso und halten unter Maschine auf den Beagle Kanal zu. Gegen Mittag, wir spielen eben mit dem Gedanken die kommende Nacht in Puerto Español in der berühmten Bahia Aguirre zu verbringen, kommt Wind auf. SE sechs, in Böen sieben, sehr ungewöhnlich, und leider direkt in »unsere« Ankerbucht hinein. Also weiter, vor allem, wenn es so leicht geht, wie heute. Vier Stunden später stehen wir vor dem Eingang zum Beagle Kanal. Ein erhebender Augenblick. Die VERA segelt in geschichtsträchtigen Gewässern. Keine 60 Seemeilen trennen uns noch von Kap Hoorn, dem Kap der Stürme. Das Wetter passt. Wir könnten es runden, jetzt. Doch leider müssen wir zunächst nach Ushuaia, der »südlichsten Stadt der Welt«, um dort aus Argentinien auszuklarieren. Von dort müssen wir nach Puerto Williams in Chile zum einklarieren. Und erst dann können wir dort ein »Zarpe«, also eine Genehmigung für Kap Hoorn beantragen… Die Welt im Jahre 2018.
Chile und Argentinien tragen hier unten eine Art Kleinkrieg um einige auf den ersten Blick wertlose, felsige Inselchen aus, den kein Aussenstehender ohne näheres Nachforschen versteht: Nach der beinahe zeitgleichen Gründung und Unabhängigkeitserklärung beider Nationen meinten beide Seiten, das weitgehend unbewohnte Patagonien von Spanien übernommen zu haben. Nach verlustreichen kriegerischen Auseinandersetzungen wurde in einem 1881 geschlossenen Vertrag dem militärisch überlegenen Chile die alleinige Kontrolle über die Gebiete beiderseits der Magellan Straße zugesichert. Dies war für den stark auf Europa ausgerichteten Chilenischen Handel überlebenswichtig. Gewisse, weniger bedeutsame, »wertlose« Gebiete Patagoniens und einen Teil der Insel Feuerland beließ man unter Argentinischer Hoheit, wohl auch um dem unterlegenen Gegner die Gelegenheit zur Gesichtswahrung vor der Öffentlichkeit zu geben. Das Ergebnis können wir jetzt auf dem UKW Funk erleben. Alle paar Meilen müssen wir (und alle anderen Schiffe) abwechselnd der Argentinischen und der Chilenischen Marine unsere Lebensläufe buchstabieren. Auf Spanisch.
Noch vor Sonnenuntergang erreichen wir kurz vor Mitternacht die nächste gut geschützte Ankerbucht: Die Enseada Relegada, gleich neben der berühmten Estancia Harberton. BOUNCE geht zu Wasser, wir rudern an Land, und betreten das erste mal den Boden Feuerlands. Drei Tage lang erkunden wir die Gegend, vertreten uns die rostigen Seglerbeine, und atmen die Atmosphäre am Beagle Kanal, dem Ende der Welt. Die Estancia Harberton, die 1886 von dem Geistlichen Thomas Bridges und seiner Frau Mary Ann Varder (die aus Harberton in Devon stammte) gegründet wurde, wäre alleine einen ganzen Newsletter wert. B und ich lunchen zweimal auf der ehrwürdigen Estancia, nehmen an einer Führung teil, trinken Café, essen Rhabarberkuchen und schmökern in alten Artikeln und Büchern über Feuerland und seine Ureinwohner. Thomas Bridges Wörterbuch der Yaghan Sprache ist ein faszinierendes Dokument, das vieles widerlegt, was gemeinhin über Kultur und Sprache der Ureinwohner Feuerlands überliefert ist, darunter auch Charles Darwins erschreckend hochnäsigen Ansichten über die Primitivität der seinerzeit hier ansässigen Stämme.
Am sechsten Januar machen wir uns auf den Weg nach Ushuaia. Bei absoluter Flaute motoren wir die knapp 40 Seemeilen den Beagle Kanal hinauf. Schon von weitem erkennt man die überraschend große Ausdehnung der kleinen »südlichsten Stadt der Welt« am Fusse der schneebedeckten Anden. Die Lage der beiden Yachtclubs im großen Hafen ist ein wenig unübersichtlich. Onkel Hensoldt muss ran. Durch das Glas erkennen wir die beiden hohen Masten des berühmten Schoners WINDROSE OF AMSTERDAM. Sie liegt (wie wir vom AIS wissen) im Yachtclub AFASYN an der Pier. Die DANDELION, die uns wegen eintreffenden Besuches aus England in der Zwischenzeit überholt hat, liegt auch dort. Das ist fein, denn dort können wir einfach längsseits gehen. Bald sind unsere Leinen fest und sofort sind wir unter Freunden und fühlen uns angekommen. Das noch am selben Abend fällige Einklarierungsprozedere in Ushuaia erspare ich Euch an dieser Stelle. Zen.
Eine gut gelungene Woche verbringen wir in der kleinen, rustikalen Stadt mit diversen Behördengängen, Einkäufen, Diesel bunkern, erstklassige Steaks essen, dazu Kaffee und Kuchen im »Ramos Generales«. An den meisten Tagen wehte es hart aus West, oder Nord, was wegen des regelmäßigen Kommens und Gehens im Yachtclub ständige Aufmerksamkeit bei der Bedienung von Leinen und Fendern erforderte. Ushuaia hat etwas von einem im Tal gelegenen Skiort in den Alpen, und in der Tat wird im nahe gelegenen Skigebiet den ganzen Winter über Ski gefahren. Mondäne Hotels, gute Restaurants, günstige Pensionen, zahlreiche Ausrüstungsläden mit allem, was gut und teuer ist. Es wird viel englisch gesprochen und französisch, von wilden Kerlen mit Bärten und Kletterschuhen und Holzfällerhemden, oder auch von Kreuzfahrttouristen mit viel Gore Tex und Rollkoffern. Sie fahren von hier aus in die Antarktis, das ganz große Abenteuer. Auf dem UKW hören wir den Kapitän des französischen Superschlittens LE LYRIAL den Kapitän der BREMEN um eine exklusive Schiffsbesichtigung für sich und seinen ersten Offizier bitten. Wahrscheinlich wollen sie auf dem alteingesessenen Hapag Lloyd Schiff spionieren…
Beim Abklappern der Werkstätten lernen wir die Stadt noch besser kennen. Am ersten Januar, pünktlich zum neuen Jahr, hat uns nämlich unsere auf den Kanaren neu eingebaute Eberspächer Heizung verlassen. Fehler 20. Das war kalt. Eine sehr schmerzhafte, komplette Demontage und Analyse ergibt, das der unzerstörbare, extrem robuste und für mindestens 20 servicefreie Jahre ausgelegte Vorglühstift den Geist aufgegeben hat. Die VERA schleppt seit Jahren tausende von Ersatzteilen mit. Dieses nicht. Ein Spezialist für Standheizungen in dieser gut gekühlten Stadt? Gibt es nicht. Im Bootsbedarf? Bei Toyota? Bei Mercedes? Bei VW? Beim allgemeinen Autozubehör? Fehlanzeige. Also bestellen und liefern lassen? Nach tagelanger Recherche verwerfen wir diesen Gedanken. Eberspächer hat keine Vertretung in Argentinien und es ist unmöglich, Teile aus Europa, oder den USA in Argentinien in die Finger zu bekommen. Sie werden in Buenos Aires beim Zollamt eingelagert. Für immer. Argentinien: Ein reiches Land, das von seinen korrupten Eliten bis zur Kreditunwürdigkeit ausgebeutet wurde. Der kleine argentinische Händler ist seitdem vom Welthandel abgeschnitten, ein Umstand unter dem das ganze Land sehr sichtlich leidet. Wir klarieren aus (nicht ganz so schlimm, man verfügte diesmal über Blaupapier) und verlassen den windigen und kalten Hafen gen Chile. Auf nach Puerto Williams, dem »südlichsten Dorf der Welt«.
Draussen im Beagle Kanal kommt uns die romantische Dreimastbark EUROPA entgegen, soeben aus der Antarktis zurück, leider wegen des frischen Gegenwindes unter Maschine. Ein wirklich schönes, stolzes Schiff auf dem sonst auch noch anständig gesegelt wird. Ein großartiger Anblick vor schneebedeckten Bergen. Sechs Stunden später liegen wir in Puerto Williams sicher an einer Mooring, gleich hinter der DANDELION, fahren mit BOUNCE an Land und beginnen mit den Behördengängen. Prefectura Naval, Immigration, Zoll, Gesundheitsbehörde, wieder Prefectura Naval. Die Beamten sind überall ausgesprochen nett, aber der Papierkrieg steht dem in Argentinien in nichts nach. Immerhin: Wir dürfen, zunächst für drei Monate, in Chile bleiben.
In den nächsten Tagen erlaufen wir uns das Dorf, unternehmen eine harte Wanderungen (»Mudding«) ins Innere der Insel Navarino, trinken Café, essen Pizza und prüfen das Angebot in den drei kleinen Minimärkten vor Ort. Das ist nicht ganz unwichtig, da wir hier demnächst für drei bis vier Monate Wildnis bunkern müssen. Vor allem wegen des hier vorhandenen Stromanschlusses (Heizlüfter! Herrlich.) verlegen wir die VERA bald in eines der »Päckchen«, längsseits neben anderen Yachten, an der berühmten MICALVI. Der 1925 in Stettin aus Eisen gebaute Dampfer ist seit langem das Hauptquartier des »südlichsten Yachtclubs der Welt«. Die Bar an Bord genoss einst einen Ruf wie Donnerhall, das unsterbliche »Watering hole« der Antarktisfahrerszene. Leider ist sie nicht mehr. Niemand weiss so genau, was geschehen ist, aber die Chilenische Marine, die Eigentümer des Dampfers ist, duldet den Betrieb seit einigen Jahren nicht mehr. Das ist sehr, sehr schade und bringt uns mindestens um diverse köstliche »Pisco Sour«, die wir hier im Auftrag von Freunden verbechern wollten. Aber auch so ist es nett zwischen den anderen Yachten im Päckchen. Es ist alles dabei: Private Millionenyachten, große und kleine Expeditionsschlitten aus Alu oder Stahl, billige Bavarias, winzige, geteerte Aussteigeryachten mit hölzernen Spieren und Tauwerk aus Hanf, unter dem Kommando von langbärtigen Kapitänen. Ein bunt gemischtes Volk aus aller Welt voll abenteuerlicher Geschichten. Und Ratschlägen. Manche davon könnten sich bezahlt machen, »falls« wir in der nächsten Saison wieder hier sind, um das absolute Traumziel unter die Segel zu nehmen: Ein Törn in die Antarktis. Doch vorerst wartet noch ein anderer Job auf die VERA: Rund Kap Hoorn.
Eine gute Woche lang warten wir auf ein passendes Wetterfenster. Sobald man die offizielle Genehmigung (»Zarpe«) der chilenischen Armada für eine Fahrt nach Kap Hoorn in der Hand hat (Zen), belagert man es normalerweise eine Zeitlang, buchtelt sich in Etappen heran, und verbringt die Nächte auf windigen Ankerplätzen mit viel Kelp und vielen Landleinen. »Unser« Wetterfenster ist insofern einmalig, als das es uns in zwei harten Tagen (und Nächten) gegen den Uhrzeigersinn durch die berüchtigte Bahia Nassau und einmal rund um die Archipele Islas Wollaston und Hermenite, um Kap Hoorn und zurück nach Puerto Williams bringen kann, immer vor dem Wind, der mit einem durchziehenden moderaten Tief passend mit uns herumdreht. Kap Hoorn im Handstreich, sozusagen. Diesen Plan setzen wir dann auch um. Nicht sehr bequem, zugegeben, aber: Ab dem Ausgang des »Paso Mantellero« jagen wir vor einem starken Westwind bei ehrfurchtgebietender Dünung knapp 30 Seemeilen im Südpazifik auf Kap Hoorn zu, und passieren es so wie es sich gehört: Bei Kälte, peitschendem Regen, heulendem Wind und schlechter Sicht. Zurück im Südatlantik biegen wir links ab und segeln bei raumendem und abschwächendem Wind zurück in den Beagle Kanal, den wir des Nachts bei absoluter Flaute bis Puerto Williams hinaufmotoren. Warum rund Kap Hoorn? Weil es da ist. Wer mehr lesen möchte, der klicke hier: https://floatmagazin.de/orte/dem-teufel-ein-ohr-absegeln/
Es ist sicher zu früh für uns, ein Fazit zu ziehen zum segeln in den höheren Breiten. Jawohl, es ist kalt hier, und windig. Die hohen, schneebedeckten Berge aber stehen da, wie gemalt. Die vielen Tiere, Bieber, Wildpferde, Vögel, Delphine und Robben, die klare, blitzsaubere Luft, die langen Tage, die ein ganz einmaliges Licht und lange, farbenprächtige Dämmerungen bringen, fühlen sich gesund an. Die für uns ungewohnt kühlen Tage machen aktiv und sorgen für klare Gedanken. Lange Wanderungen putzen den Kreislauf durch. Sehr anregend auch die Seglerszene hier. Interessante Menschen, mit interessanten Biographien. Einige haben Zeit für uns, können sich einlassen auf einen offenen Gedankenaustausch. Das tut gut.
Unsere Glühkerze ist bestellt und per Post aus D auf dem Weg nach Chile. Sobald wir sie in der Hand haben (18 Werktage Laufzeit nach Santiago?) und die Heizung wieder läuft, werden wir uns aufmachen, gen Norden, nach Puerto Montt, wo wir den Winter verbringen wollen. 1.200sm Wildnis liegen vor uns, durch die Kanäle Chiles, die raue Inselwelt auf der Pazifikseite Patagoniens. Drei Monate Kälte, prasselnder Regen, heulender Nordwind ohne jede Versorgungsmöglichkeit, durch eine Landschaft für Feen und Elfen, die jede Mühe wert sein soll. Wir sind gespannt.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Puerto Williams / Isla Navarino / Chile
1 - Es ist geschafft: Der Eingang zum Beagle Kanal vor dem Bug der VERA.

2 - VERA in der Bahia Relegada / Estancia Harberton.

3 - B betritt die Insel Feuerland.

4 - Altes Holz auf Feuerland.

5 - Estancia Harberton, Feuerland.

6 - Wilde Pferde unweit der Bahia Relegada.

7 - Pinguine am Beagle Kanal.

8 - Voraus Ushuaia, die »südlichste Stadt der Welt«.

9 - Onkel Hensoldt mit M.

10 - VERA mit Artgenossen im »Yachtclub« AFASYN in Ushuaia.

11 - Die Bark EUROPA begegnet uns im Beagle Kanal.

12 - VERA im »Päckchen« an der MICALVI in Puerto Williams, einem 1925 in Stettin gebauten Dampfer. Das kleine weisse Boot am Bug der MICALVI ist eine J-24, ein Schwesterschiff unseres vorherigen Bootes MIA WALLACE.

13 - Das Ankerspill am Bug der MICALVI.

14 - B und Kap Hoorn.

15 - Seekarte Beagle Kanal und Kap Hoorn. Im Beagle Kanal seht Ihr die AIS Kennung diverser Kreuzfahrtschiffe, die von hier aus in die Antarktis fahren.

032 - IN DIE »SCREAMING FIFTIES«
01/01/18 00:00 Argentina
Hallo Ihr Lieben!
24.Dezember 2017, Heiligabend. 48 Grad Süd. Wir stehen auf der Höhe von Puerto Deseado, 190 Seemeilen südlich von Caleta Horno, unserem letzten sicheren Refugium. Absolute Flaute heute, nach einem feinen Segeltag mit frischem Nordwind im Rücken. Leider hält der nun nicht länger. Doch dafür haben wir den übel beleumundeten Golfo San Jorge bereits im Kielwasser. Eine Gruppe junger Albatrosse umkreiste gestern für einige Stunden die VERA. Die Seelen der hier in der Nähe unlängst bei katastrophalen Seebedingungen untergegangenen U-Boot Fahrer von der A.R.A. SAN JUAN?
Hinter uns hat sich die Crew der DANDELION entschlossen Puerto Deseado anzulaufen: Spritmangel. Wie gut, das wir den nicht haben. Puerto Deseado gilt als Herzensbrecher. In die enge Flussmündung laufen extrem schnelle und tückisch wechselhafte Tidenströme, die das ankern erschweren oder sogar gefährlich machen. Erst letztes Jahr hat dort eine deutsche Yacht aufgegeben: Gebrochene Ankerwinsch, nachdem sich eine Eisenbahnschiene im Grundgeschirr verfangen hatte. Vielleicht waren es auch die Nerven: Mit der dortigen Prefectura Naval muss man sich mindestens zweimal (zum ein- und dann nochmals zum ausklarieren) jeweils für einen halben Tag zum Zen zusammensetzen. Nix für uns.
Am Abend treibt die VERA bei rapide fallendem Luftdruck östlich von Kap Punta Medanosa, 20 Seemeilen südlich von Puerto Deseado. Dem Wettermodell zufolge sollte seit Stunden Starkwind aus West, später Südwest und dann wieder West herrschen, mit dem wir beabsichtigten weitere wichtige, wenn auch unbequeme Meilen gen Süden zu machen. Stattdessen drückt nun diese ominöse Flaute auf die Stimmung. Die schwarze Wand am Horizont sieht gar nicht gut aus. Mit den vorsorglich eingebunden zwei Reffs im Groß und dem kleinen Kutter dümpeln wir ohne Fahrt durchs Wasser in einem stark südsetzenden Ebbstrom und warten. Es wird dunkel. Gegen 22.00 Ortszeit laden mit Hilfe des Satellitentelefones ein frisches Wettermodell herunter. Dies zeigt überraschendes: Unser eigentlich einigermaßen brauchbares Wetterfenster für die Weiterreise nach Süden hat sich in Luft aufgelöst. Starke südliche Winde versperren den Weg, zumindest für 48 Stunden, evtl. auch länger. Was nun? Doch Puerto Deseado? Niemals. Hektisch konsultieren wir Handbücher und Karten. Sichere Ankerplätze gibt es wenige in dieser Gegend, und keinen einzigen weiter südlich. Die Enseada de Ferrer, knapp 10 Seemeilen entfernt, könnte laut Karten gehen. Die Beschreibungen in den Handbüchern sind spärlich. War fast noch nie jemand dort. Es ist wage von viel Kelp die Rede, der das ankern erschweren könnte, oder Propellersalat verursacht. Fünf Meter Tidenhub. Aber: Sie bietet als einzige einen vielleicht noch ausreichenden Schutz gegen den für später versprochenen starken Südost. Es wird psychologisch, schon wieder. Maschine an, Kurs auf die Enseada de Ferrer. Mitternacht. 25 Knoten aus Südwest jetzt. Mit Hilfe des Radars (geht immer noch) tasten wir uns bei absoluter Dunkelheit in die weite Bucht. Es ist finster wie im Bären…, aber der Seegang lässt nach, so wie er soll. Bei neun Metern fällt der Anker und hält. Vollgas rückwärts. Hält noch immer. Frohe Weihnachten. Das dunkle, argentinische Bier haben wir uns verdient. Und: Neben uns prustet und planscht es im Licht der Positionslaternen. Commerson Delphine, eine ganze Herde. Ab in die Koje. Der Südwind heult und rüttelt im Rigg und uns in den verdienten Schlaf.
Der Morgen enthüllt eine raue, einsame Gegend. Eine weitläufige Bucht mit fetten Kelpwiesen. Karstige, von der Sonne vertrocknete Hügel, vom Wind umtost. Karges Patagonien. Morgentee, dazu ein Ballett von zahllosen Delphinen: Neben den schwarzweißen Commersons gibt es hier noch mindestens eine weitere, wesentlich größere Art. Dort: Ein Salto! Das reinste Delphinarium. Und dort: Ein Magellan Pinguin, wie ein Pfeil unter Wasser. Man hat sich hier offenbar verabredet, leckere Fische gegen die VERA zu treiben und dort zu packen. Das große Fressen, wie üblich in der Natur. Wir verbringen, ganz unerwartet, einen recht gemütlichen ersten Weihnachtsfeiertag. Als der Dreher auf Südost wie angekündigt kommt, verlegen wir in die äusserste Südecke der Bucht, wo der Seegang dank eines Riffs und der großen Kelpfelder moderat bleibt. Es ist kalt geworden. Drei Lagen Faserpelz kommen kaum noch dagegen an. Abends, bei auf Deck prasselndem Starkregen, werfen wir zum ersten mal im Ernst unsere neue Eberspächer Heizung an. Es funktioniert! Schon bald haben wir lauschige 22 Grad unter Deck. B kocht ein Weihnachtsessen: Filetspitzen an Basmati - Butterreis, dazu eine würzige Erdnusssoße. Und eine Flasche Weisswein aus Uruguay.
Zwei Tage später sind wir wieder »auf der Piste«, mit einem frischen Wettermodell, das fast zu schön ist um wahr zu sein. Nord und später Nordwestwind, bis vor die Le Maire Straße… Am 27. Dezember 2017 um 13.40 Ortszeit überquert die VERA den 50 Breitengrad der Südhalbkugel. Die »Screaming Fifties« empfangen uns Neulinge mit feinen Segelbedingungen: 16 Knoten aus Nord, also genau von achtern, dazu Sonnenschein und Wärme. 120 überaus bequeme Seemeilen haben wir seit der Enseada Ferrer bereits abgesegelt und alle auf direktem Kurs zur Le Maire Straße, der Meerenge zwischen Feuerland und der Staateninsel, dem Tor in den ganz großen Süden, oder auch zur Hölle, das kommt wohl darauf an. Derzeit sieht noch alles gut aus. Wir picknicken in der Sonne auf dem Brückendeck und beobachten die Albatrosse. Majestätische Tiere, die fliegen können wie gemalt. Über tausend elegante Kilometer pro Tag ohne einen einzigen Flügelschlag. Was sie fressen ist nicht klar ersichtlich. Jedenfalls ist es ihnen unmöglich, in den Wellen nach Nahrung zu schnappen. Dazu müssen sie landen, und das tun sie offenbar hauptsächlich des Nachts, oder bei Flaute, die ihnen das fliegen nicht erlaubt. Albatrosse sehen eher schlecht, besitzen aber einen extrem hoch entwickelten Geruchssinn. So nehmen sie nährstoffreiche Krillfelder aus großer Entfernung wahr, und steuern diese dann zum Nachtmal an.
52 Grad Süd. Noch 160 Seemeilen bis zum Eingang der Le Maire Straße, ein Etmal also, so ungefähr. Wind werden wir haben. Bei Ankunft soll es mit über 40 Knoten aus Westnordwest wehen. Das Problem sind die starken Tidenströme in der Meerenge: Bis zu acht Knoten bei Springtide. Wind gegen Strom ist das Szenario, das es dort unbedingt zu vermeiden gilt. In der Le Maire Straße wurden schon stehende Wellen von zehn Meter Höhe gesichtet. Die Stromkabbelungen, die »Overfalls«, die »Eddies«, die »Whirlpools«, der »Malstrom« dort können ein kleines Schiff wie die VERA verschlingen. Wir müssen vorsichtig sein. Die Handbücher empfehlen ein mittiges einlaufen in die Meerenge bei Hochwasser. Am 29. Dezember also gegen 18.00 UTC. Eine Stunde danach beginnt der Ebbstrom nach Süden zu setzen. Derzeit laufen wir über sieben Knoten vor dem Wind, unter vollem Groß und ausgebaumter Genua. Zu schnell. Wir bergen das Groß, um zu bremsen. Ein Schnitt von knapp unter sechs Knoten ist das, was wir jetzt brauchen…
Hundert Seemeilen querab liegt der Eingang zur Magellanstraße, der Meerenge, die die Insel Feuerland vom Südamerikanischen Kontinent trennt. Leider sehen wir nichts davon. Zu verführerisch war die Abkürzung entlang des 65. Längengrades, die uns nun auf direktem Wege über die offene See zur Le Maire Straße führen soll. Fernão de Magalhães: Was für ein Name, was für ein Törn. Schade, das es den Mann 1521 bei einem Scharmützel um Bekehrungsfragen in den Philippinen erwischt hat. Ohne ihn schaffte es 1525 nur die VICTORIA, das zweitkleinste und einzige verblieben Schiff seines ursprünglich sehr ansehnlichen Geschwaders zurück nach Spanien, und damit wahrscheinlich als erstes Schiff um die Welt. An Bord waren da nur noch 18 Leute seiner ursprünglichen Crew von 237 Mann. Man hatte in großer Not den ehemaligen einfachen Bootsmann Juan Sebastián (später de) Elcano zum Kapitän gewählt, der dieses Vertrauen mit einer navigatorischen Spitzenleistung belohnte. Die Überlebenden genossen dauerhaften Ruhm. Die überschaubare, nasse und verfaulte Ladung Gewürze an Bord brachte immerhin noch genug Gewinn ein, um sämtliche Gläubiger der gesamten, unglücklichen Expedition zu bedienen…
53 Grad Süd. Jetzt gilt es: 35 Knoten aus Westnordwest, Groß im 2. Reff, der kleine, schwere Kutter ist gesetzt. Kurz vor Mitternacht noch immer ein dunkles Abendrot am Südwesthimmel. Es ist lausig kalt draussen und drinnen auch. Jagende Wolken vor dem halbvollen Mond. Es ist so unbequem unter und so nass an Deck, wie es sich für diese Gegend gehört. Noch 100 Seemeilen. Nicht die ersten 100 Seemeilen, die B und ich gemeinsam absegeln, aber vielleicht die haarigsten. Wünscht uns Glück.
30. Dezember. Es ist getan. Die VERA hat die Le Maire Straße erreicht und ankert friedlich in der »Bahia Buen Suceso«, ein gut gewählter Name, wie nicht nur wir finden. Charles Darwin schreibt dazu:
»A little after noon, we doubled Cape San Diego, and entered the famous strait of Le Maire. We kept close to the Fuegian shore, but the outline of the rugged, inhospitable Staten-land was visible amidst the clouds. In the afternoon, we anchored in the Bay of Good Success… The harbor consists of a fine piece of water half surrounded by low rounded mountains of clay slate, which are covered to the water’s edge by one dense gloomy forest. A single glance at the landscape was sufficient to show me how widely different it was from anything I ever beheld. At night it blew a gale of wind, and heavy squalls from the mountains swept past us. It would have been a bad time out at sea, and we, as well as others, may call this Good Success Bay.«
Die Ansteuerung gestern Nachmittag hatte es auch für uns in sich: Gute 40 Knoten über das Backstag, also Stärke acht nach Beaufort. Leicht nordsetzende Strömung, zumindest bis zu unserem Wegpunkt, sechs Seemeilen östlich von Capo San Diego, dem östlichsten Zipfel Feuerlands. Schwere See, aber für ein Boot wie die VERA nicht allzu gefährlich. Delphinherden jagen enthusiastisch in der Bugwelle. Unser »Timing« stimmt: Gegen 18 UTC kentert der Strom und beginnt nach Süden zu setzen. Von den gefürchteten »Overfalls«, den »stehenden« Wellen ist nirgendwo etwas zu sehen. Deshalb entschließen wir uns, direkt Kurs auf die »Bahia Buen Suceso« zu nehmen, bevor uns die immer stärker werdende Strömung daran vorbeiwäscht. Hoch am Wind können wir die ersehnte Bucht so gerade noch anliegen. Gegen 18.00 Ortszeit sind die Segel geborgen und der Diesel läuft. Dann fällt der Anker und hält. Schwere Fallböen aus den Bergen heulen im Rigg, aber die stören uns jetzt nicht mehr. Alles ist gut. Die Marinestation an Land ruft uns auf dem UKW und fragt, ob wir Hilfe oder Material benötigen. Dazu lädt man uns für morgen zur Silvesterparty ein. Das ist nett, aber wegen der hohen Brandung und unserem sorgfältig gestauten Dinghy lehnen wir mit echtem Bedauern ab. Die Umgebung ist rau, aber ganz anders, als die Patagonischen Wüsten: Die umliegenden Hügel und Felsen sind dicht mit Bäumen bestanden, denen man ansieht, woher der Wind weht. Hinter uns verhüllen Wolken die Sicht auf die berühmte »Isla de los Estados«, die Staateninsel: Es gibt dort einige spektakuläre Ankerplätze. Ein interessantes Projekt. Man benötigt dafür allerdings eine Sondergenehmigung der Prefectura Naval. Diese bekommt man in Ushuaia, mit viel Zen. Wir werden sehen.
Neujahr in der Bahia Buen Suceso: Fünf Seelöwen spielen, plantschen und prusten im Lichte des fast vollen Mondes um die VERA. Ein gutes Omen für 2018.
Herzliche Grüße an Alle und ein frohes neues Jahr von B und M / SY VERA / Bahia Buen Suceso / Feuerland / Argentinien / POS 54.47,9 S - 065.15,2 W
1 - Unter 990 Millibar zu Weihnachten: Und segne, was Du uns bescheret hast. Das Boot ist bereits tief gerefft.

2 - Unser (ungeplanter) Abstecher in die wilde Enseada de Ferrer.

3 - Muntere Commerson Delphine spielen mit der VERA in der Enseada de Ferrer.

4 - Commerson Delphine in der Enseada de Ferrer: Ein Film von B+M.
5 - Erstmals wird uns richtig kalt. Viel Faserpelz hilft viel: M‘s hoch geschätzter »Flauschbär«.

6 - Regenbogen in den »Screaming Fifties«.

7 - Albatross.

8 - Die Sonne am südlichen Horizont.

9 - Cabo San Diego voraus.

10 - Die Le Maire-Straße (und einige Albatrosse) im Comic Strip.

11 - Die Le Maire Straße, Feuerland und die Isla de los Estados. Ein Film von B und M.
12 - Buen Suceso.

13 - Unerwarteter Neujahrsbesuch in der Bahia Buen Suceso. Ein Film von B+M.
14 - Unsere Route in die »Screaming Fifties«. Die Rauten zeigen die jeweilige Mittagsposition.

24.Dezember 2017, Heiligabend. 48 Grad Süd. Wir stehen auf der Höhe von Puerto Deseado, 190 Seemeilen südlich von Caleta Horno, unserem letzten sicheren Refugium. Absolute Flaute heute, nach einem feinen Segeltag mit frischem Nordwind im Rücken. Leider hält der nun nicht länger. Doch dafür haben wir den übel beleumundeten Golfo San Jorge bereits im Kielwasser. Eine Gruppe junger Albatrosse umkreiste gestern für einige Stunden die VERA. Die Seelen der hier in der Nähe unlängst bei katastrophalen Seebedingungen untergegangenen U-Boot Fahrer von der A.R.A. SAN JUAN?
Hinter uns hat sich die Crew der DANDELION entschlossen Puerto Deseado anzulaufen: Spritmangel. Wie gut, das wir den nicht haben. Puerto Deseado gilt als Herzensbrecher. In die enge Flussmündung laufen extrem schnelle und tückisch wechselhafte Tidenströme, die das ankern erschweren oder sogar gefährlich machen. Erst letztes Jahr hat dort eine deutsche Yacht aufgegeben: Gebrochene Ankerwinsch, nachdem sich eine Eisenbahnschiene im Grundgeschirr verfangen hatte. Vielleicht waren es auch die Nerven: Mit der dortigen Prefectura Naval muss man sich mindestens zweimal (zum ein- und dann nochmals zum ausklarieren) jeweils für einen halben Tag zum Zen zusammensetzen. Nix für uns.
Am Abend treibt die VERA bei rapide fallendem Luftdruck östlich von Kap Punta Medanosa, 20 Seemeilen südlich von Puerto Deseado. Dem Wettermodell zufolge sollte seit Stunden Starkwind aus West, später Südwest und dann wieder West herrschen, mit dem wir beabsichtigten weitere wichtige, wenn auch unbequeme Meilen gen Süden zu machen. Stattdessen drückt nun diese ominöse Flaute auf die Stimmung. Die schwarze Wand am Horizont sieht gar nicht gut aus. Mit den vorsorglich eingebunden zwei Reffs im Groß und dem kleinen Kutter dümpeln wir ohne Fahrt durchs Wasser in einem stark südsetzenden Ebbstrom und warten. Es wird dunkel. Gegen 22.00 Ortszeit laden mit Hilfe des Satellitentelefones ein frisches Wettermodell herunter. Dies zeigt überraschendes: Unser eigentlich einigermaßen brauchbares Wetterfenster für die Weiterreise nach Süden hat sich in Luft aufgelöst. Starke südliche Winde versperren den Weg, zumindest für 48 Stunden, evtl. auch länger. Was nun? Doch Puerto Deseado? Niemals. Hektisch konsultieren wir Handbücher und Karten. Sichere Ankerplätze gibt es wenige in dieser Gegend, und keinen einzigen weiter südlich. Die Enseada de Ferrer, knapp 10 Seemeilen entfernt, könnte laut Karten gehen. Die Beschreibungen in den Handbüchern sind spärlich. War fast noch nie jemand dort. Es ist wage von viel Kelp die Rede, der das ankern erschweren könnte, oder Propellersalat verursacht. Fünf Meter Tidenhub. Aber: Sie bietet als einzige einen vielleicht noch ausreichenden Schutz gegen den für später versprochenen starken Südost. Es wird psychologisch, schon wieder. Maschine an, Kurs auf die Enseada de Ferrer. Mitternacht. 25 Knoten aus Südwest jetzt. Mit Hilfe des Radars (geht immer noch) tasten wir uns bei absoluter Dunkelheit in die weite Bucht. Es ist finster wie im Bären…, aber der Seegang lässt nach, so wie er soll. Bei neun Metern fällt der Anker und hält. Vollgas rückwärts. Hält noch immer. Frohe Weihnachten. Das dunkle, argentinische Bier haben wir uns verdient. Und: Neben uns prustet und planscht es im Licht der Positionslaternen. Commerson Delphine, eine ganze Herde. Ab in die Koje. Der Südwind heult und rüttelt im Rigg und uns in den verdienten Schlaf.
Der Morgen enthüllt eine raue, einsame Gegend. Eine weitläufige Bucht mit fetten Kelpwiesen. Karstige, von der Sonne vertrocknete Hügel, vom Wind umtost. Karges Patagonien. Morgentee, dazu ein Ballett von zahllosen Delphinen: Neben den schwarzweißen Commersons gibt es hier noch mindestens eine weitere, wesentlich größere Art. Dort: Ein Salto! Das reinste Delphinarium. Und dort: Ein Magellan Pinguin, wie ein Pfeil unter Wasser. Man hat sich hier offenbar verabredet, leckere Fische gegen die VERA zu treiben und dort zu packen. Das große Fressen, wie üblich in der Natur. Wir verbringen, ganz unerwartet, einen recht gemütlichen ersten Weihnachtsfeiertag. Als der Dreher auf Südost wie angekündigt kommt, verlegen wir in die äusserste Südecke der Bucht, wo der Seegang dank eines Riffs und der großen Kelpfelder moderat bleibt. Es ist kalt geworden. Drei Lagen Faserpelz kommen kaum noch dagegen an. Abends, bei auf Deck prasselndem Starkregen, werfen wir zum ersten mal im Ernst unsere neue Eberspächer Heizung an. Es funktioniert! Schon bald haben wir lauschige 22 Grad unter Deck. B kocht ein Weihnachtsessen: Filetspitzen an Basmati - Butterreis, dazu eine würzige Erdnusssoße. Und eine Flasche Weisswein aus Uruguay.
Zwei Tage später sind wir wieder »auf der Piste«, mit einem frischen Wettermodell, das fast zu schön ist um wahr zu sein. Nord und später Nordwestwind, bis vor die Le Maire Straße… Am 27. Dezember 2017 um 13.40 Ortszeit überquert die VERA den 50 Breitengrad der Südhalbkugel. Die »Screaming Fifties« empfangen uns Neulinge mit feinen Segelbedingungen: 16 Knoten aus Nord, also genau von achtern, dazu Sonnenschein und Wärme. 120 überaus bequeme Seemeilen haben wir seit der Enseada Ferrer bereits abgesegelt und alle auf direktem Kurs zur Le Maire Straße, der Meerenge zwischen Feuerland und der Staateninsel, dem Tor in den ganz großen Süden, oder auch zur Hölle, das kommt wohl darauf an. Derzeit sieht noch alles gut aus. Wir picknicken in der Sonne auf dem Brückendeck und beobachten die Albatrosse. Majestätische Tiere, die fliegen können wie gemalt. Über tausend elegante Kilometer pro Tag ohne einen einzigen Flügelschlag. Was sie fressen ist nicht klar ersichtlich. Jedenfalls ist es ihnen unmöglich, in den Wellen nach Nahrung zu schnappen. Dazu müssen sie landen, und das tun sie offenbar hauptsächlich des Nachts, oder bei Flaute, die ihnen das fliegen nicht erlaubt. Albatrosse sehen eher schlecht, besitzen aber einen extrem hoch entwickelten Geruchssinn. So nehmen sie nährstoffreiche Krillfelder aus großer Entfernung wahr, und steuern diese dann zum Nachtmal an.
52 Grad Süd. Noch 160 Seemeilen bis zum Eingang der Le Maire Straße, ein Etmal also, so ungefähr. Wind werden wir haben. Bei Ankunft soll es mit über 40 Knoten aus Westnordwest wehen. Das Problem sind die starken Tidenströme in der Meerenge: Bis zu acht Knoten bei Springtide. Wind gegen Strom ist das Szenario, das es dort unbedingt zu vermeiden gilt. In der Le Maire Straße wurden schon stehende Wellen von zehn Meter Höhe gesichtet. Die Stromkabbelungen, die »Overfalls«, die »Eddies«, die »Whirlpools«, der »Malstrom« dort können ein kleines Schiff wie die VERA verschlingen. Wir müssen vorsichtig sein. Die Handbücher empfehlen ein mittiges einlaufen in die Meerenge bei Hochwasser. Am 29. Dezember also gegen 18.00 UTC. Eine Stunde danach beginnt der Ebbstrom nach Süden zu setzen. Derzeit laufen wir über sieben Knoten vor dem Wind, unter vollem Groß und ausgebaumter Genua. Zu schnell. Wir bergen das Groß, um zu bremsen. Ein Schnitt von knapp unter sechs Knoten ist das, was wir jetzt brauchen…
Hundert Seemeilen querab liegt der Eingang zur Magellanstraße, der Meerenge, die die Insel Feuerland vom Südamerikanischen Kontinent trennt. Leider sehen wir nichts davon. Zu verführerisch war die Abkürzung entlang des 65. Längengrades, die uns nun auf direktem Wege über die offene See zur Le Maire Straße führen soll. Fernão de Magalhães: Was für ein Name, was für ein Törn. Schade, das es den Mann 1521 bei einem Scharmützel um Bekehrungsfragen in den Philippinen erwischt hat. Ohne ihn schaffte es 1525 nur die VICTORIA, das zweitkleinste und einzige verblieben Schiff seines ursprünglich sehr ansehnlichen Geschwaders zurück nach Spanien, und damit wahrscheinlich als erstes Schiff um die Welt. An Bord waren da nur noch 18 Leute seiner ursprünglichen Crew von 237 Mann. Man hatte in großer Not den ehemaligen einfachen Bootsmann Juan Sebastián (später de) Elcano zum Kapitän gewählt, der dieses Vertrauen mit einer navigatorischen Spitzenleistung belohnte. Die Überlebenden genossen dauerhaften Ruhm. Die überschaubare, nasse und verfaulte Ladung Gewürze an Bord brachte immerhin noch genug Gewinn ein, um sämtliche Gläubiger der gesamten, unglücklichen Expedition zu bedienen…
53 Grad Süd. Jetzt gilt es: 35 Knoten aus Westnordwest, Groß im 2. Reff, der kleine, schwere Kutter ist gesetzt. Kurz vor Mitternacht noch immer ein dunkles Abendrot am Südwesthimmel. Es ist lausig kalt draussen und drinnen auch. Jagende Wolken vor dem halbvollen Mond. Es ist so unbequem unter und so nass an Deck, wie es sich für diese Gegend gehört. Noch 100 Seemeilen. Nicht die ersten 100 Seemeilen, die B und ich gemeinsam absegeln, aber vielleicht die haarigsten. Wünscht uns Glück.
30. Dezember. Es ist getan. Die VERA hat die Le Maire Straße erreicht und ankert friedlich in der »Bahia Buen Suceso«, ein gut gewählter Name, wie nicht nur wir finden. Charles Darwin schreibt dazu:
»A little after noon, we doubled Cape San Diego, and entered the famous strait of Le Maire. We kept close to the Fuegian shore, but the outline of the rugged, inhospitable Staten-land was visible amidst the clouds. In the afternoon, we anchored in the Bay of Good Success… The harbor consists of a fine piece of water half surrounded by low rounded mountains of clay slate, which are covered to the water’s edge by one dense gloomy forest. A single glance at the landscape was sufficient to show me how widely different it was from anything I ever beheld. At night it blew a gale of wind, and heavy squalls from the mountains swept past us. It would have been a bad time out at sea, and we, as well as others, may call this Good Success Bay.«
Die Ansteuerung gestern Nachmittag hatte es auch für uns in sich: Gute 40 Knoten über das Backstag, also Stärke acht nach Beaufort. Leicht nordsetzende Strömung, zumindest bis zu unserem Wegpunkt, sechs Seemeilen östlich von Capo San Diego, dem östlichsten Zipfel Feuerlands. Schwere See, aber für ein Boot wie die VERA nicht allzu gefährlich. Delphinherden jagen enthusiastisch in der Bugwelle. Unser »Timing« stimmt: Gegen 18 UTC kentert der Strom und beginnt nach Süden zu setzen. Von den gefürchteten »Overfalls«, den »stehenden« Wellen ist nirgendwo etwas zu sehen. Deshalb entschließen wir uns, direkt Kurs auf die »Bahia Buen Suceso« zu nehmen, bevor uns die immer stärker werdende Strömung daran vorbeiwäscht. Hoch am Wind können wir die ersehnte Bucht so gerade noch anliegen. Gegen 18.00 Ortszeit sind die Segel geborgen und der Diesel läuft. Dann fällt der Anker und hält. Schwere Fallböen aus den Bergen heulen im Rigg, aber die stören uns jetzt nicht mehr. Alles ist gut. Die Marinestation an Land ruft uns auf dem UKW und fragt, ob wir Hilfe oder Material benötigen. Dazu lädt man uns für morgen zur Silvesterparty ein. Das ist nett, aber wegen der hohen Brandung und unserem sorgfältig gestauten Dinghy lehnen wir mit echtem Bedauern ab. Die Umgebung ist rau, aber ganz anders, als die Patagonischen Wüsten: Die umliegenden Hügel und Felsen sind dicht mit Bäumen bestanden, denen man ansieht, woher der Wind weht. Hinter uns verhüllen Wolken die Sicht auf die berühmte »Isla de los Estados«, die Staateninsel: Es gibt dort einige spektakuläre Ankerplätze. Ein interessantes Projekt. Man benötigt dafür allerdings eine Sondergenehmigung der Prefectura Naval. Diese bekommt man in Ushuaia, mit viel Zen. Wir werden sehen.
Neujahr in der Bahia Buen Suceso: Fünf Seelöwen spielen, plantschen und prusten im Lichte des fast vollen Mondes um die VERA. Ein gutes Omen für 2018.
Herzliche Grüße an Alle und ein frohes neues Jahr von B und M / SY VERA / Bahia Buen Suceso / Feuerland / Argentinien / POS 54.47,9 S - 065.15,2 W
1 - Unter 990 Millibar zu Weihnachten: Und segne, was Du uns bescheret hast. Das Boot ist bereits tief gerefft.

2 - Unser (ungeplanter) Abstecher in die wilde Enseada de Ferrer.

3 - Muntere Commerson Delphine spielen mit der VERA in der Enseada de Ferrer.

4 - Commerson Delphine in der Enseada de Ferrer: Ein Film von B+M.
5 - Erstmals wird uns richtig kalt. Viel Faserpelz hilft viel: M‘s hoch geschätzter »Flauschbär«.

6 - Regenbogen in den »Screaming Fifties«.

7 - Albatross.

8 - Die Sonne am südlichen Horizont.

9 - Cabo San Diego voraus.

10 - Die Le Maire-Straße (und einige Albatrosse) im Comic Strip.

11 - Die Le Maire Straße, Feuerland und die Isla de los Estados. Ein Film von B und M.
12 - Buen Suceso.

13 - Unerwarteter Neujahrsbesuch in der Bahia Buen Suceso. Ein Film von B+M.
14 - Unsere Route in die »Screaming Fifties«. Die Rauten zeigen die jeweilige Mittagsposition.

031 - CALETA HORNO
22/12/17 00:00 Argentina
Hallo Ihr Lieben!
Caleta Horno, Patagonien, die Wildnis, der Mars. Eines der Traumziele der Fahrtenseglerszene. Der schönste Ankerplatz Argentiniens. Und einer der schönsten der Welt. Wir sind hier, von Puerto Santa Elena kommend, nach einem weiteren herrlichen Tag unter Segeln. Sommer, Sonne und ein feiner Nordost, der uns und die DANDELION munter vor sich her trieb. Unterwegs spielen Delphine in unserer Bugwelle, darunter auch die schwarz und weiß gefleckten Commerson-Delphine, die aussehen, wie kleine Mörderwale.
Mit gemischten Gefühlen bergen wir die Segel und fahren im Kielwasser der DANDELION unter Maschine in den engen Fjord. Bis zu fünf Meter Tidenhub erschweren es, den Verlauf des Ufers und die Wassertiefe richtig einzuschätzen, trotz unserer recht genauen Karten. Es ist eng. Zu eng, um hier frei um den Anker zu schwingen. Wir werden eine andere Taktik anwenden: Anker dicht an der westlichen Felswand werfen und dann mit Hilfe des Dinghies zwei Landleinen zum östlichen Ufer ausbringen. Klingt einfach, ist es aber ganz und gar nicht. Zunächst einmal müssen wir uns den knappen Platz mit der DANDELION teilen, ohne das es Anker und Kettensalat gibt. Dann muss B mit BOUNCE und den beiden 100m Landleinen an Land gehen, und dort an den glitschigen Felswänden emporklettern und mit Hilfe von Kettenstücken, Schäkeln und diversem Tauwerk zwei Befestigungspunkte konstruieren, die die VERA auch bei dem hier üblichen Starkwind zu halten in der Lage sind. Währenddessen versuche ich (M) das Schiff auf der Stelle zu halten, bis B mit den Leinen zurück ist, die wir dann über die Winschen so einstellen, das sich ein gleichmäßiger Zug auf dem Ankergeschirr und den Leinen einstellt. Zwei Stunden später ist es vollbracht: VERA und DANDELION liegen fest und sicher nebeneinander an einem der paradiesischsten Plätze unseres Seglerlebens. Wir feiern das mit den drei Engländern und einer köstlichen Pasta bei uns an Bord.
Die nächsten, vorweihnachtlichen Tage sind geprägt von allerlei Basteleien, die sich auf See ergeben haben. Eines unserer Positionslichter will nicht mehr. Korrodierte Kontakte im gut gespülten Ankerkasten. Drei freche Sturmvögel haben den Windmesser im Masttop derart verbogen, das das Gerät nur noch Unsinn anzeigt. Die Schleppöse, mit der wir BOUNCE auf See an Deck befestigen hat es bei der letzten Starkwindepisode ausgerissen. Da helfen nur noch Epoxi, Glasfasern und Verstärkungsbleche aus Aluminium. Alles in allem sind wir bisher jedoch fast ungeschoren davongekommen. Selbst unsere Dieselvorräte sind noch beinahe vollständig. Ein größeres Problem ist dagegen die fällige Reinigung unseres Unterwasserschiffes, das schon seit eineinhalb Jahren und vielen tausend Meilen kein frisches Antifouling mehr gesehen hat. Dafür graben wir unseren alten Tauchkompressor aus, zerlegen und reinigen den Vergaser des kleinen Viertaktmotors, und füllen endlich die beiden leeren Tauchflaschen der DANDELION. Danach erledigen beide Crews den Job gemeinsam auf beiden Booten während eines harten, aber wunderbaren Tages unter saukaltem Wasser.
Und endlich bleibt auch einmal Zeit für Erkundungen in die Klippen, und ausgedehnte Wanderungen in eine bizarre, beinahe unberührte Umgebung, die nur sehr wenige Spuren menschlicher Gegenwart aufweist. Die Pampa Patagoniens reicht hinter der Caleta Horno bis zum Horizont. Vieles erinnert an die Küste des roten Meers, die Wüsten und Marsas des Sudans. Pastellfarben, vulkanisch, felsig, und aride. Wir messen Luftfeuchtigkeit unter 30%. Jetzt, zum Sommeranfang ist es recht kalt des Nachts, tagsüber aber schon mal über 25 Grad warm. Verschiedene See- und Greifvogelarten teilen sich die Caleta, offenbar ohne großen Streit; Pinguine, Kormorane, Enten, Reiher, Bussarde, Seeadler und viele weitere Arten. Die ersten Schritte in ein felsiges Tal: Niedriges, dorniges Gebüsch, Kakteen und eine phantastisch angepasste Fauna. Wir finden Höhlen von diversen Insekten, kleinen Nagern und wilden Hasen. Leider gelingt es uns nicht, ein Gürteltier zu finden, wie den Engländern von der DANDELION. Das auffallendste Tier hier ist das Guanaco, eine heimische Kamelart, von der u.a. das domestizierte Lama abstammt. Guanacos sind scheu. Es ist schwer, nahe an sie heranzukommen. Aber man sieht sie gut, und schon von weitem, da sie die höchsten Hügel und Grate bevorzugen, vermutlich weil sie von dort aus ihrerseits auch alles immer gut im Blick behalten können. Guanacos sind schöne Tiere, die einen herrlich eleganten Laufstil pflegen, ein sanftes gleiten, das schwer zu beschreiben ist. Charles Darwin war von diesen interessanten Tieren sehr angetan und beschreibt ihr Verhalten in »The Voyage of the Beagle« sehr detailliert. Hier ein Auszug: »The guanacos have one singular habit, which is to me quite inexplicable; namely, that on successive days they drop their dung in the same defined heap. I saw one of those heaps which was eight feet in diameter, and was composed of a large quantity. This habit, according to M.A, d’Orbigny, is common to all the species of the genus; it is very useful to the Peruvian Indians, who use the dung for fuel, and are thus saved the trouble of collecting it.«
Auf weiteren Ausflügen mit dem Beiboot erkunden wir die umliegenden Klippen und den langen, verzweigten Fjord, bis er sich in ein sumpfiges Wattgebiet öffnet, in dem langbeinige Reiher waten. In einer »Piratenhöhle« in den Klippen finden wir das »Gästebuch« der Caleta Horno, und natürlich tragen wir uns ein, als letzte in eine überschaubare Reihe von Fahrtenyachten, die in den letzten Jahren hier waren.
Alles in allem verbringen wir in der Caleta Horno einige der herrlichsten Tage unseres Lebens. Wir sind ohne größere Probleme bis hierher gekommen, hatten großes Wetterglück. Das sozialisieren, dinieren und musizieren mit der dreiköpfigen Crew der englischen DANDELION, Sue, Michelle und John bringt Spaß. Wir passen zueinander und harmonieren gut als Gruppe. In langen Gesprächen finden wir viele Gemeinsamkeiten. Und doch: Allzu bald und unerbittlich stellt sich bei allen das diffuse, etwas bedrückende Gefühl ein, weiter zu müssen. 700 Seemeilen bis zum Beagle Kanal liegen vor uns, und diese genießen seit den Tagen der Entdecker einen miesen Ruf: Kälte, Starkwind und unter Umständen mörderischer Seegang. Das Wettermodell verspricht allerdings für die kommende Woche annehmbare Bedingungen für dieses anspruchsvolle Projekt. Wir werden daher morgen, am 23.Dezember 2017, gemeinsam mit der DANDELION, nach Süden aufbrechen. Leider werden wir uns auf See wohl bald aus den Augen verlieren, aber das ist ohnehin kaum zu vermeiden. Hoffentlich sehen wir uns wieder, gesund und ohne Schäden an unseren Schiffen. Wünscht uns Glück.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Caleta Horno / 45.02,2 S - 065.41,0 W / Argentinien
1 - DANDELION und VERA in der legendären Caleta Horno.

2 - Morgentee mit Blick auf die DANDELION.

3 - B und BOUNCE in der Caleta Horno.

4 - Zwischen Ebbe und Flut: Die Umgebung wirkt bizarr, wie auf einem fremden Planeten.

5 - Blick aus dem Rigg der VERA auf eine phantastische Landschaft. Links unten im Bild sind unsere Landleinen zu erkennen.

6 - M und BEAGLE, das Beiboot der DANDELION. Wir nutzen die Chance, Unterwasserschiffe und Propeller zu reinigen, solange das Wasser noch warm ist.

7 - Die argentinische Pampa wirkt karg, aber kraftvoll. Jedes Tier, jede Pflanze hier hat sich in vielen hunderttausenden von Jahren an sie angepasst.

8 - Zehn Guanacos geben Fersengeld.

9 - Guanaco?

10 - Gästebuch der Caleta Horno in einer geheimen Höhle in den Klippen.

11 - Seelöwe?

12 - Einsamer Strand in Patagonien.

13 - B findet Weihnachtsdekoration.

Caleta Horno, Patagonien, die Wildnis, der Mars. Eines der Traumziele der Fahrtenseglerszene. Der schönste Ankerplatz Argentiniens. Und einer der schönsten der Welt. Wir sind hier, von Puerto Santa Elena kommend, nach einem weiteren herrlichen Tag unter Segeln. Sommer, Sonne und ein feiner Nordost, der uns und die DANDELION munter vor sich her trieb. Unterwegs spielen Delphine in unserer Bugwelle, darunter auch die schwarz und weiß gefleckten Commerson-Delphine, die aussehen, wie kleine Mörderwale.
Mit gemischten Gefühlen bergen wir die Segel und fahren im Kielwasser der DANDELION unter Maschine in den engen Fjord. Bis zu fünf Meter Tidenhub erschweren es, den Verlauf des Ufers und die Wassertiefe richtig einzuschätzen, trotz unserer recht genauen Karten. Es ist eng. Zu eng, um hier frei um den Anker zu schwingen. Wir werden eine andere Taktik anwenden: Anker dicht an der westlichen Felswand werfen und dann mit Hilfe des Dinghies zwei Landleinen zum östlichen Ufer ausbringen. Klingt einfach, ist es aber ganz und gar nicht. Zunächst einmal müssen wir uns den knappen Platz mit der DANDELION teilen, ohne das es Anker und Kettensalat gibt. Dann muss B mit BOUNCE und den beiden 100m Landleinen an Land gehen, und dort an den glitschigen Felswänden emporklettern und mit Hilfe von Kettenstücken, Schäkeln und diversem Tauwerk zwei Befestigungspunkte konstruieren, die die VERA auch bei dem hier üblichen Starkwind zu halten in der Lage sind. Währenddessen versuche ich (M) das Schiff auf der Stelle zu halten, bis B mit den Leinen zurück ist, die wir dann über die Winschen so einstellen, das sich ein gleichmäßiger Zug auf dem Ankergeschirr und den Leinen einstellt. Zwei Stunden später ist es vollbracht: VERA und DANDELION liegen fest und sicher nebeneinander an einem der paradiesischsten Plätze unseres Seglerlebens. Wir feiern das mit den drei Engländern und einer köstlichen Pasta bei uns an Bord.
Die nächsten, vorweihnachtlichen Tage sind geprägt von allerlei Basteleien, die sich auf See ergeben haben. Eines unserer Positionslichter will nicht mehr. Korrodierte Kontakte im gut gespülten Ankerkasten. Drei freche Sturmvögel haben den Windmesser im Masttop derart verbogen, das das Gerät nur noch Unsinn anzeigt. Die Schleppöse, mit der wir BOUNCE auf See an Deck befestigen hat es bei der letzten Starkwindepisode ausgerissen. Da helfen nur noch Epoxi, Glasfasern und Verstärkungsbleche aus Aluminium. Alles in allem sind wir bisher jedoch fast ungeschoren davongekommen. Selbst unsere Dieselvorräte sind noch beinahe vollständig. Ein größeres Problem ist dagegen die fällige Reinigung unseres Unterwasserschiffes, das schon seit eineinhalb Jahren und vielen tausend Meilen kein frisches Antifouling mehr gesehen hat. Dafür graben wir unseren alten Tauchkompressor aus, zerlegen und reinigen den Vergaser des kleinen Viertaktmotors, und füllen endlich die beiden leeren Tauchflaschen der DANDELION. Danach erledigen beide Crews den Job gemeinsam auf beiden Booten während eines harten, aber wunderbaren Tages unter saukaltem Wasser.
Und endlich bleibt auch einmal Zeit für Erkundungen in die Klippen, und ausgedehnte Wanderungen in eine bizarre, beinahe unberührte Umgebung, die nur sehr wenige Spuren menschlicher Gegenwart aufweist. Die Pampa Patagoniens reicht hinter der Caleta Horno bis zum Horizont. Vieles erinnert an die Küste des roten Meers, die Wüsten und Marsas des Sudans. Pastellfarben, vulkanisch, felsig, und aride. Wir messen Luftfeuchtigkeit unter 30%. Jetzt, zum Sommeranfang ist es recht kalt des Nachts, tagsüber aber schon mal über 25 Grad warm. Verschiedene See- und Greifvogelarten teilen sich die Caleta, offenbar ohne großen Streit; Pinguine, Kormorane, Enten, Reiher, Bussarde, Seeadler und viele weitere Arten. Die ersten Schritte in ein felsiges Tal: Niedriges, dorniges Gebüsch, Kakteen und eine phantastisch angepasste Fauna. Wir finden Höhlen von diversen Insekten, kleinen Nagern und wilden Hasen. Leider gelingt es uns nicht, ein Gürteltier zu finden, wie den Engländern von der DANDELION. Das auffallendste Tier hier ist das Guanaco, eine heimische Kamelart, von der u.a. das domestizierte Lama abstammt. Guanacos sind scheu. Es ist schwer, nahe an sie heranzukommen. Aber man sieht sie gut, und schon von weitem, da sie die höchsten Hügel und Grate bevorzugen, vermutlich weil sie von dort aus ihrerseits auch alles immer gut im Blick behalten können. Guanacos sind schöne Tiere, die einen herrlich eleganten Laufstil pflegen, ein sanftes gleiten, das schwer zu beschreiben ist. Charles Darwin war von diesen interessanten Tieren sehr angetan und beschreibt ihr Verhalten in »The Voyage of the Beagle« sehr detailliert. Hier ein Auszug: »The guanacos have one singular habit, which is to me quite inexplicable; namely, that on successive days they drop their dung in the same defined heap. I saw one of those heaps which was eight feet in diameter, and was composed of a large quantity. This habit, according to M.A, d’Orbigny, is common to all the species of the genus; it is very useful to the Peruvian Indians, who use the dung for fuel, and are thus saved the trouble of collecting it.«
Auf weiteren Ausflügen mit dem Beiboot erkunden wir die umliegenden Klippen und den langen, verzweigten Fjord, bis er sich in ein sumpfiges Wattgebiet öffnet, in dem langbeinige Reiher waten. In einer »Piratenhöhle« in den Klippen finden wir das »Gästebuch« der Caleta Horno, und natürlich tragen wir uns ein, als letzte in eine überschaubare Reihe von Fahrtenyachten, die in den letzten Jahren hier waren.
Alles in allem verbringen wir in der Caleta Horno einige der herrlichsten Tage unseres Lebens. Wir sind ohne größere Probleme bis hierher gekommen, hatten großes Wetterglück. Das sozialisieren, dinieren und musizieren mit der dreiköpfigen Crew der englischen DANDELION, Sue, Michelle und John bringt Spaß. Wir passen zueinander und harmonieren gut als Gruppe. In langen Gesprächen finden wir viele Gemeinsamkeiten. Und doch: Allzu bald und unerbittlich stellt sich bei allen das diffuse, etwas bedrückende Gefühl ein, weiter zu müssen. 700 Seemeilen bis zum Beagle Kanal liegen vor uns, und diese genießen seit den Tagen der Entdecker einen miesen Ruf: Kälte, Starkwind und unter Umständen mörderischer Seegang. Das Wettermodell verspricht allerdings für die kommende Woche annehmbare Bedingungen für dieses anspruchsvolle Projekt. Wir werden daher morgen, am 23.Dezember 2017, gemeinsam mit der DANDELION, nach Süden aufbrechen. Leider werden wir uns auf See wohl bald aus den Augen verlieren, aber das ist ohnehin kaum zu vermeiden. Hoffentlich sehen wir uns wieder, gesund und ohne Schäden an unseren Schiffen. Wünscht uns Glück.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Caleta Horno / 45.02,2 S - 065.41,0 W / Argentinien
1 - DANDELION und VERA in der legendären Caleta Horno.

2 - Morgentee mit Blick auf die DANDELION.

3 - B und BOUNCE in der Caleta Horno.

4 - Zwischen Ebbe und Flut: Die Umgebung wirkt bizarr, wie auf einem fremden Planeten.

5 - Blick aus dem Rigg der VERA auf eine phantastische Landschaft. Links unten im Bild sind unsere Landleinen zu erkennen.

6 - M und BEAGLE, das Beiboot der DANDELION. Wir nutzen die Chance, Unterwasserschiffe und Propeller zu reinigen, solange das Wasser noch warm ist.

7 - Die argentinische Pampa wirkt karg, aber kraftvoll. Jedes Tier, jede Pflanze hier hat sich in vielen hunderttausenden von Jahren an sie angepasst.

8 - Zehn Guanacos geben Fersengeld.

9 - Guanaco?

10 - Gästebuch der Caleta Horno in einer geheimen Höhle in den Klippen.

11 - Seelöwe?

12 - Einsamer Strand in Patagonien.

13 - B findet Weihnachtsdekoration.

030 - NACH PATAGONIEN
16/12/17 00:00 Argentina
Hallo Ihr Lieben!
Am Montag, den 11. Dezember 2017 klarieren wir bei der »Prefectura Naval« in Mar del Plata aus (Sechs Stunden Zen) und laufen am späten Nachmittag aus. Draussen steht eine hohe, alte Dünung aus Süd, die auf den Magen geht und kaum Lust macht auf Meer. Mar del Plata war gut zu uns. Wir wären gerne noch ein wenig geblieben. Und: Das, was vor uns liegt, wird gewiss kein reines Vergnügen.
Aber: Ein Wetterfenster ist da und sieht brauchbar aus. B und ich haben uns, basierend auf den vorliegenden Daten, einen feingliedrigen Plan zurecht gemacht, der uns in vier oder fünf, wenn auch zum Teil anspruchsvollen, Tagen bis Caleta Horno bringen könnte, einem kleinen, gut geschützten Fjord mitten in der Wildnis Patagoniens, ungefähr auf halber Strecke zwischen Mar del Plata und dem Eingang zum Beagle Channel.
Das wir hier solch elaborierte Pläne machen können, zeigt beispielhaft, das die Dinge im Wandel sind auf unserem Planeten. Das GFS (Global Forecast System) Computer Modell des NWS (National Weather Service) der ein Teil der NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) der USA ist, versetzt uns in letzter Zeit immer wieder ins Staunen. Seit man dort kürzlich neue Computer installiert hat (die Rechenleistung stieg dadurch von 776 teraflops auf 5.78 petaflops), ist das GFS Modell, zumindest in den ersten drei bis fünf Tagen schon beinahe unheimlich genau. Robert Hilgendorf, der legendäre »Düwel von Hamborg«, hätte seine Freude daran gehabt, wenn er hätte erleben dürfen, was aus seinen frühen Überlegungen zur Meteorologie geworden ist. Was man mit dem GFS (und anderen Wettermodellen wie dem europäischen ECMWF) anfangen kann, zeigt derzeit der junge Franzose François Gabart, der mit seinem 30 Meter Trimaran dabei ist, alle Rekorde für eine Nonstop Weltumsegelung zu pulverisieren. Ich (M) male mir das gerade so aus: Der Junge sitzt in eben diesem Augenblick in seinem bequemen Schalensessel vor zwei supergroßen, hochauflösenden Flachbildschirmen. Dort sieht er die Hochdruck und die Tiefdruckgebiete vor sich, sieht ihre Zugbahnen, die resultierenden Winde und natürlich auch die Seebedingungen. Er verfügt quasi über zusätzliche Sinnesorgane, die weit, weit mehr leisten, als die ihm angeborenen, und ihn in die Zukunft des Wetters sehen lassen. Eine intelligent gemachte Software hilft ihm dann dabei, den besten Kurs zu finden, mit dem er dann seinen Autopiloten (den mit den Gyro Sensoren und der AI Einbindung) füttert. Der beste Kurs? Günstige Windwinkel und -geschwindigkeiten, möglichst glattes Wasser, immer schnell, aber nicht zu gefährlich für sein fragiles Boot, das bei günstigen Bedingungen in der Lage ist, über 800 Seemeilen pro Tag abzusegeln. Damit ist Gabart schneller als die tiefsten Tiefdrucksysteme und kann diese reiten, wie ein Seevogel den Wind. Ist Gabart also bereits ein »Cyborg«, ein Mischwesen aus Mensch und Maschine?
Unser Auslaufen erfolgte, dank GFS, jedenfalls zum richtigen Zeitpunkt: Am späten Nachmittag setzt sich der Nordost genau wie errechnet durch, bügelt den alten Schwell aus Süden glatt, und treibt die VERA mit acht Knoten in die Nacht. Wir folgen zunächst der Argentinische Küste, Kurs 230 Grad, also ziemlich genau gen Südwest. Die DANDELION aus England mit Sue, John und ihrem neuen Crewmitglied Michelle ist schon seit Mittag auf der Piste und sollte demzufolge etwa 20 bis 30 Seemeilen vor uns liegen. Die Jagd ist eröffnet. Passend dazu das spektakuläre Meeresleuchten im rauschenden Kielwasser des Schiffes, das aussieht, wie Abgase aus dem Triebwerk eines interstellaren Kreuzers. Und passend dazu: Ein ungeheurer südlicher Sternenhimmel, mit einer strahlenden Milchstrasse, wie wir ihn lange nicht mehr… tja, da sind sie die unvermeidlichen Wiederholungen. Werden diese Eindrücke irgendwann zur Routine, bis man sie nicht mehr wahrnimmt? Aber doch: Selten war die Luft so klar, wie gerade heute Nacht, wolkenlos, und dunkel ist es auch. Der abnehmende Halbmond geht erst gegen zwei Uhr in der Frühe auf. Ich (M) nehme mir den alten Herrn Hensoldt, setze mich raus, und starre in die Nacht. Gute Wache.
Vier Uhr früh: Es ist noch dunkel. Der Wind schralt, dreht weiter auf Nordwest. Der Spibaum, mit dem die gereffte Genua nach Luv ausgebaumt ist, muss runter. Ein nasses, unbequemes Manöver auf dem gut gespülten Vordeck. An BB voraus taucht ein einzelnes Licht auf, erst weiß, dann grün, zum Greifen nah: Die VERA rauscht an der DANDELION vorbei, als wenn sie dort vor Anker läge. Das kommt gut. Sue und John haben es bequemer als wir. Geschütztes Mittelcockpit, beheiztes Ruderhaus mit eigenem Steuerstand und begehbarem Maschinenraum darunter, und dazu einen opulenten Salon mit viel Platz für viele Gäste. Die schnelle, sportliche VERA dagegen ist kein Landhaus auf dem Wasser. Der Physiker Arthur Beiser eröffnete seinen Bestseller »The Proper Yacht« so: »I start from the premise that no object created by man is as satisfying to his body and soul as a proper sailing yacht.« Über die Frage, was eine »proper sailing yacht« ist, streiten sich seit jeher die Geister. Sicher ist, das Wohnkomfort vor Anker und im Hafen der Leistung eines Segelbootes auf See abträglich ist. Yachtkonstrukteure suchen daher immer den »besten« Kompromiss. Man kann das Dilemma so ausdrücken: »There are three parameters in boats: Performance, Comfort and Price. You can’t have them all - but need to pick two.« Wirklich komplex wird die Aufgabe allerdings erst dann, wenn man einen vierten, wesentlichen Parameter mit einbezieht: Kultur.
40 Grad Süd. Die »Roaring Fourties« empfangen uns Neulinge mit einer ominösen, öligen Flaute und stark fallendem Luftdruck. Zwei Stunden lang läuft der frisch gewartete Diesel zur Probe. Marschfahrt gen Südwest. Voll geladene Batterien und heißes Wasser im Boiler sind der angenehme Nebeneffekt. Dann setzt der angekündigte Südwind ein. Und wie. Seit Sonnenuntergang bekommen wir es mächtig eingeschenkt. In Böen 40 Knoten, 15 mehr als vorausgesagt (?), Beaufort 8 und bald 9. Dazu ist es bitterkalt. So hoch beim Wind wie es noch so eben geht prügeln wir das Boot unter kleinsten Segeln bei ständig höher werdendem Seegang weiter nach Westsüdwest. Die Wache ist nur noch unter Deck auszuhalten. Ein infernalisches Orgeln und Pfeifen ist aus dem Rigg zu hören. Grünes Wasser kracht gelegentlich an Deck, was von unten durch die wasserdichten Decksluken recht beängstigend aussieht. Hoffentlich hält alles. Der Magen, der Harndrang, Ihr versteht schon. Morgen früh soll es nachlassen und zurückdrehen. Falls dem so wäre, hätte sich der Tanz gelohnt. Der nachfolgende feine Nordost sollte bequemere Meilen gen Südwesten bringen.
Bei Tagesanbruch ist alles so, wie es sein soll. Das Baro steigt, Nordost um die 20 Knoten. Drei rußig grau gefiederte Albatrosse umkreisen die VERA. Es fällt nicht leicht, von diesem Anblick unbeeindruckt zu bleiben, selbst bei diesen eher kleinen Exemplaren. Unglaublich, wie elegant sie mit ihren extrem langen und schmalen Flügeln mit dem Aufwind der Wellenkämme spielen, abkippen und kreisen und gelegentlich mit den Flügelspitzen eintauchen. Die Altvorderen glaubten, das es sich bei diesen Vögeln um die Seelen ertrunkener Seeleute handele. Heute nimmt die Zahl der Albatrosse stetig ab. Vielleicht, weil immer weniger Seeleute ertrinken? Ob wir wohl als Seeleute gelten würden, falls wir in dieser Gegend verunglücken? Ich (M) denke, das es schlimmeres gäbe, als danach eine Zeitlang elegant im Südmeer umherzufliegen.
Die dritte Nacht auf See. Meine (M‘s) Wache: Das Baro fällt wieder, aber nicht beängstigend. Eine schwache Kaltfront aus Süden zieht draussen auf See an uns vorbei. Wie erwartet dreht der Wind allmählich über Nord auf West und dann Westsüdwest. In Etappen nehme ich die Segel dichter, bis wir hoch am Wind laufen. Der Kutter steht schon seit dem Abend, für alle Fälle. 17 Knoten über Deck jetzt, allmählich zunehmend, absolut glattes Wasser, wohl wegen der Landabdeckung. Die VERA läuft mit rauschender Bugwelle durch eine samtige Nacht: Gute sieben Knoten bei 25 Grad Lage, mit der Fussreling so gerade noch nicht im Wasser, dabei fast regungslos, beinahe schwebend. Traumhaftes segeln. Dazu: Aufgelockerte Bewölkung, glasklare Luft mit funkelnden Sternen. Es riecht nach Land, patagonischem Land. Vier Uhr früh: Im Osten beginnt es zu dämmern. Und dort: Eine feine, silbrige Mondsichel steigt eben über den Horizont. Noch schnell ein Reff ins Groß, und dann B wecken, die noch friedlich schläft. Die nächste Wache gehört ihr.
14. Dezember: Eine weitere Nacht auf See nach einem der schönsten Segeltage, die wir je erleben dürften. Kaiserwetter, perfektes segeln, weiterhin hoch am Wind, auf einem noch immer unwirklich spiegelglatten Meer. Ein gläserner Horizont, pastellfarben, ein unglaublicher Sonnenuntergang mit einer surrealen, riesengroßen Sonnenscheibe, die am Horizont verläuft wie geschmolzenes Glas. Leider wird das Wetter nicht halten. Ein »Pampero« ist unterwegs, der es ernst meint. Mit seinem Eintreffen ist morgen Nachmittag zu rechnen. Wir könnten es theoretisch bis Caleta Horno schaffen. Dort aber dürfte es dann bereits mit 50 Knoten wehen, Windstärke zehn. Da wäre es nicht empfehlenswert, in einem engen, unbekannten Fjord herumzurangieren und mit langen Landleinen zu hantieren, die das Handbuch dringend empfiehlt. Was nun? Puerto Santa Elena wäre eine Möglichkeit. Die Bucht liegt 40 Seemeilen näher an unserem jetzigen Standort, ist gut gegen West- und Südwestwinde geschützt und soll gut haltenden Ankergrund aufweisen… Mitternacht: Leichter Südwind, rapide fallender Luftdruck. Es wird psychologisch: Aus Nervosität binde ich zwei Reffs ins Groß. Nur keine unangenehmen Überraschungen jetzt… 03.00 Uhr: Blinder Alarm. Flaute aus allen Richtungen. B und ich wechseln die Besegelung im 10 Minuten Takt, dann läuft der Diesel.
Im Morgengrauen sitzt eine Gruppe Albatrosse voraus im Wasser. Sie ignorieren die herannahende VERA. Bei Flaute sind diese großen Vögel praktisch flugunfähig, da das Schlagen mit den langen Schwingen zuviel Energie verbraucht. Aber nun taucht ein großer Seelöwe direkt neben Ihnen aus dem Wasser und zeigt Interesse. Sie murren vernehmlich und rudern eifrig in die Gegenrichtung. Der Seelöwe taucht unter ihnen durch und auf der anderen Seite wieder auf. Er will spielen. Das folgende, zeterzwitschernde Gruppenstartmanöver mit viel Geflatter und pitscherndem auf dem Wasser Laufen dürft Ihr Euch denken.
Voraus öffnet sich der Eingang nach Puerto Santa Elena. Wir sind da, werfen Anker mit 80 Meter Kette und fahren ihn mit Vollgas rückwärts ein. Der »Pampero« kann, laut Barometer, nicht mehr weit sein und auf den wollen wir vorbereitet sein. Die Szene an Land wirkt karg, aber meditativ. Keine Gebäude, keine Menschen, keine Bäume, keine Tiere. Harmonisch wirkende pastellgrüne Hügel, Felsen, Gräser, gelbe Steppe unter einem hellblauen Sommerhimmel. Wir gehen in die Koje und machen einen ausgiebigen Mittagsschlaf. 546 gute Seemeilen in dreieinhalb guten Tagen liegen im Kielwasser. Am Abend, es weht bereits mit über 30 und später 40 Knoten aus Westsüdwest, kämpft sich die DANDELION gegen heulende Böen auf den Ankerplatz. Das ist gut. In dieser abgelegenen Wildnis ist es angenehmer, in guter Begleitung zu sein. Übermorgen, wenn der Sturm vorüber ist, segeln wir gemeinsam nach Caleta Horno…
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Puerto Santa Elena / Argentinien
1 - Aufgehende Mondsichel auf dem Weg nach Patagonien.

2 - Hoch am Wind in den »Roaring Fourties«: Seht Euch das spiegelglatte Wasser an!

3 - Gesetzt sind neben dem Groß die Genua und der Kutter: Das gibt Sicherheit und mehr Optionen im Falle eines Wetterwechsels.

4 - Ankunft in Puerto Elena. Der nächste »Pampero« ist im Anmarsch.
5 - Unsere Route nach Patagonien. Die Rauten zeigen die jeweiligen Mittagspositionen.

Am Montag, den 11. Dezember 2017 klarieren wir bei der »Prefectura Naval« in Mar del Plata aus (Sechs Stunden Zen) und laufen am späten Nachmittag aus. Draussen steht eine hohe, alte Dünung aus Süd, die auf den Magen geht und kaum Lust macht auf Meer. Mar del Plata war gut zu uns. Wir wären gerne noch ein wenig geblieben. Und: Das, was vor uns liegt, wird gewiss kein reines Vergnügen.
Aber: Ein Wetterfenster ist da und sieht brauchbar aus. B und ich haben uns, basierend auf den vorliegenden Daten, einen feingliedrigen Plan zurecht gemacht, der uns in vier oder fünf, wenn auch zum Teil anspruchsvollen, Tagen bis Caleta Horno bringen könnte, einem kleinen, gut geschützten Fjord mitten in der Wildnis Patagoniens, ungefähr auf halber Strecke zwischen Mar del Plata und dem Eingang zum Beagle Channel.
Das wir hier solch elaborierte Pläne machen können, zeigt beispielhaft, das die Dinge im Wandel sind auf unserem Planeten. Das GFS (Global Forecast System) Computer Modell des NWS (National Weather Service) der ein Teil der NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) der USA ist, versetzt uns in letzter Zeit immer wieder ins Staunen. Seit man dort kürzlich neue Computer installiert hat (die Rechenleistung stieg dadurch von 776 teraflops auf 5.78 petaflops), ist das GFS Modell, zumindest in den ersten drei bis fünf Tagen schon beinahe unheimlich genau. Robert Hilgendorf, der legendäre »Düwel von Hamborg«, hätte seine Freude daran gehabt, wenn er hätte erleben dürfen, was aus seinen frühen Überlegungen zur Meteorologie geworden ist. Was man mit dem GFS (und anderen Wettermodellen wie dem europäischen ECMWF) anfangen kann, zeigt derzeit der junge Franzose François Gabart, der mit seinem 30 Meter Trimaran dabei ist, alle Rekorde für eine Nonstop Weltumsegelung zu pulverisieren. Ich (M) male mir das gerade so aus: Der Junge sitzt in eben diesem Augenblick in seinem bequemen Schalensessel vor zwei supergroßen, hochauflösenden Flachbildschirmen. Dort sieht er die Hochdruck und die Tiefdruckgebiete vor sich, sieht ihre Zugbahnen, die resultierenden Winde und natürlich auch die Seebedingungen. Er verfügt quasi über zusätzliche Sinnesorgane, die weit, weit mehr leisten, als die ihm angeborenen, und ihn in die Zukunft des Wetters sehen lassen. Eine intelligent gemachte Software hilft ihm dann dabei, den besten Kurs zu finden, mit dem er dann seinen Autopiloten (den mit den Gyro Sensoren und der AI Einbindung) füttert. Der beste Kurs? Günstige Windwinkel und -geschwindigkeiten, möglichst glattes Wasser, immer schnell, aber nicht zu gefährlich für sein fragiles Boot, das bei günstigen Bedingungen in der Lage ist, über 800 Seemeilen pro Tag abzusegeln. Damit ist Gabart schneller als die tiefsten Tiefdrucksysteme und kann diese reiten, wie ein Seevogel den Wind. Ist Gabart also bereits ein »Cyborg«, ein Mischwesen aus Mensch und Maschine?
Unser Auslaufen erfolgte, dank GFS, jedenfalls zum richtigen Zeitpunkt: Am späten Nachmittag setzt sich der Nordost genau wie errechnet durch, bügelt den alten Schwell aus Süden glatt, und treibt die VERA mit acht Knoten in die Nacht. Wir folgen zunächst der Argentinische Küste, Kurs 230 Grad, also ziemlich genau gen Südwest. Die DANDELION aus England mit Sue, John und ihrem neuen Crewmitglied Michelle ist schon seit Mittag auf der Piste und sollte demzufolge etwa 20 bis 30 Seemeilen vor uns liegen. Die Jagd ist eröffnet. Passend dazu das spektakuläre Meeresleuchten im rauschenden Kielwasser des Schiffes, das aussieht, wie Abgase aus dem Triebwerk eines interstellaren Kreuzers. Und passend dazu: Ein ungeheurer südlicher Sternenhimmel, mit einer strahlenden Milchstrasse, wie wir ihn lange nicht mehr… tja, da sind sie die unvermeidlichen Wiederholungen. Werden diese Eindrücke irgendwann zur Routine, bis man sie nicht mehr wahrnimmt? Aber doch: Selten war die Luft so klar, wie gerade heute Nacht, wolkenlos, und dunkel ist es auch. Der abnehmende Halbmond geht erst gegen zwei Uhr in der Frühe auf. Ich (M) nehme mir den alten Herrn Hensoldt, setze mich raus, und starre in die Nacht. Gute Wache.
Vier Uhr früh: Es ist noch dunkel. Der Wind schralt, dreht weiter auf Nordwest. Der Spibaum, mit dem die gereffte Genua nach Luv ausgebaumt ist, muss runter. Ein nasses, unbequemes Manöver auf dem gut gespülten Vordeck. An BB voraus taucht ein einzelnes Licht auf, erst weiß, dann grün, zum Greifen nah: Die VERA rauscht an der DANDELION vorbei, als wenn sie dort vor Anker läge. Das kommt gut. Sue und John haben es bequemer als wir. Geschütztes Mittelcockpit, beheiztes Ruderhaus mit eigenem Steuerstand und begehbarem Maschinenraum darunter, und dazu einen opulenten Salon mit viel Platz für viele Gäste. Die schnelle, sportliche VERA dagegen ist kein Landhaus auf dem Wasser. Der Physiker Arthur Beiser eröffnete seinen Bestseller »The Proper Yacht« so: »I start from the premise that no object created by man is as satisfying to his body and soul as a proper sailing yacht.« Über die Frage, was eine »proper sailing yacht« ist, streiten sich seit jeher die Geister. Sicher ist, das Wohnkomfort vor Anker und im Hafen der Leistung eines Segelbootes auf See abträglich ist. Yachtkonstrukteure suchen daher immer den »besten« Kompromiss. Man kann das Dilemma so ausdrücken: »There are three parameters in boats: Performance, Comfort and Price. You can’t have them all - but need to pick two.« Wirklich komplex wird die Aufgabe allerdings erst dann, wenn man einen vierten, wesentlichen Parameter mit einbezieht: Kultur.
40 Grad Süd. Die »Roaring Fourties« empfangen uns Neulinge mit einer ominösen, öligen Flaute und stark fallendem Luftdruck. Zwei Stunden lang läuft der frisch gewartete Diesel zur Probe. Marschfahrt gen Südwest. Voll geladene Batterien und heißes Wasser im Boiler sind der angenehme Nebeneffekt. Dann setzt der angekündigte Südwind ein. Und wie. Seit Sonnenuntergang bekommen wir es mächtig eingeschenkt. In Böen 40 Knoten, 15 mehr als vorausgesagt (?), Beaufort 8 und bald 9. Dazu ist es bitterkalt. So hoch beim Wind wie es noch so eben geht prügeln wir das Boot unter kleinsten Segeln bei ständig höher werdendem Seegang weiter nach Westsüdwest. Die Wache ist nur noch unter Deck auszuhalten. Ein infernalisches Orgeln und Pfeifen ist aus dem Rigg zu hören. Grünes Wasser kracht gelegentlich an Deck, was von unten durch die wasserdichten Decksluken recht beängstigend aussieht. Hoffentlich hält alles. Der Magen, der Harndrang, Ihr versteht schon. Morgen früh soll es nachlassen und zurückdrehen. Falls dem so wäre, hätte sich der Tanz gelohnt. Der nachfolgende feine Nordost sollte bequemere Meilen gen Südwesten bringen.
Bei Tagesanbruch ist alles so, wie es sein soll. Das Baro steigt, Nordost um die 20 Knoten. Drei rußig grau gefiederte Albatrosse umkreisen die VERA. Es fällt nicht leicht, von diesem Anblick unbeeindruckt zu bleiben, selbst bei diesen eher kleinen Exemplaren. Unglaublich, wie elegant sie mit ihren extrem langen und schmalen Flügeln mit dem Aufwind der Wellenkämme spielen, abkippen und kreisen und gelegentlich mit den Flügelspitzen eintauchen. Die Altvorderen glaubten, das es sich bei diesen Vögeln um die Seelen ertrunkener Seeleute handele. Heute nimmt die Zahl der Albatrosse stetig ab. Vielleicht, weil immer weniger Seeleute ertrinken? Ob wir wohl als Seeleute gelten würden, falls wir in dieser Gegend verunglücken? Ich (M) denke, das es schlimmeres gäbe, als danach eine Zeitlang elegant im Südmeer umherzufliegen.
Die dritte Nacht auf See. Meine (M‘s) Wache: Das Baro fällt wieder, aber nicht beängstigend. Eine schwache Kaltfront aus Süden zieht draussen auf See an uns vorbei. Wie erwartet dreht der Wind allmählich über Nord auf West und dann Westsüdwest. In Etappen nehme ich die Segel dichter, bis wir hoch am Wind laufen. Der Kutter steht schon seit dem Abend, für alle Fälle. 17 Knoten über Deck jetzt, allmählich zunehmend, absolut glattes Wasser, wohl wegen der Landabdeckung. Die VERA läuft mit rauschender Bugwelle durch eine samtige Nacht: Gute sieben Knoten bei 25 Grad Lage, mit der Fussreling so gerade noch nicht im Wasser, dabei fast regungslos, beinahe schwebend. Traumhaftes segeln. Dazu: Aufgelockerte Bewölkung, glasklare Luft mit funkelnden Sternen. Es riecht nach Land, patagonischem Land. Vier Uhr früh: Im Osten beginnt es zu dämmern. Und dort: Eine feine, silbrige Mondsichel steigt eben über den Horizont. Noch schnell ein Reff ins Groß, und dann B wecken, die noch friedlich schläft. Die nächste Wache gehört ihr.
14. Dezember: Eine weitere Nacht auf See nach einem der schönsten Segeltage, die wir je erleben dürften. Kaiserwetter, perfektes segeln, weiterhin hoch am Wind, auf einem noch immer unwirklich spiegelglatten Meer. Ein gläserner Horizont, pastellfarben, ein unglaublicher Sonnenuntergang mit einer surrealen, riesengroßen Sonnenscheibe, die am Horizont verläuft wie geschmolzenes Glas. Leider wird das Wetter nicht halten. Ein »Pampero« ist unterwegs, der es ernst meint. Mit seinem Eintreffen ist morgen Nachmittag zu rechnen. Wir könnten es theoretisch bis Caleta Horno schaffen. Dort aber dürfte es dann bereits mit 50 Knoten wehen, Windstärke zehn. Da wäre es nicht empfehlenswert, in einem engen, unbekannten Fjord herumzurangieren und mit langen Landleinen zu hantieren, die das Handbuch dringend empfiehlt. Was nun? Puerto Santa Elena wäre eine Möglichkeit. Die Bucht liegt 40 Seemeilen näher an unserem jetzigen Standort, ist gut gegen West- und Südwestwinde geschützt und soll gut haltenden Ankergrund aufweisen… Mitternacht: Leichter Südwind, rapide fallender Luftdruck. Es wird psychologisch: Aus Nervosität binde ich zwei Reffs ins Groß. Nur keine unangenehmen Überraschungen jetzt… 03.00 Uhr: Blinder Alarm. Flaute aus allen Richtungen. B und ich wechseln die Besegelung im 10 Minuten Takt, dann läuft der Diesel.
Im Morgengrauen sitzt eine Gruppe Albatrosse voraus im Wasser. Sie ignorieren die herannahende VERA. Bei Flaute sind diese großen Vögel praktisch flugunfähig, da das Schlagen mit den langen Schwingen zuviel Energie verbraucht. Aber nun taucht ein großer Seelöwe direkt neben Ihnen aus dem Wasser und zeigt Interesse. Sie murren vernehmlich und rudern eifrig in die Gegenrichtung. Der Seelöwe taucht unter ihnen durch und auf der anderen Seite wieder auf. Er will spielen. Das folgende, zeterzwitschernde Gruppenstartmanöver mit viel Geflatter und pitscherndem auf dem Wasser Laufen dürft Ihr Euch denken.
Voraus öffnet sich der Eingang nach Puerto Santa Elena. Wir sind da, werfen Anker mit 80 Meter Kette und fahren ihn mit Vollgas rückwärts ein. Der »Pampero« kann, laut Barometer, nicht mehr weit sein und auf den wollen wir vorbereitet sein. Die Szene an Land wirkt karg, aber meditativ. Keine Gebäude, keine Menschen, keine Bäume, keine Tiere. Harmonisch wirkende pastellgrüne Hügel, Felsen, Gräser, gelbe Steppe unter einem hellblauen Sommerhimmel. Wir gehen in die Koje und machen einen ausgiebigen Mittagsschlaf. 546 gute Seemeilen in dreieinhalb guten Tagen liegen im Kielwasser. Am Abend, es weht bereits mit über 30 und später 40 Knoten aus Westsüdwest, kämpft sich die DANDELION gegen heulende Böen auf den Ankerplatz. Das ist gut. In dieser abgelegenen Wildnis ist es angenehmer, in guter Begleitung zu sein. Übermorgen, wenn der Sturm vorüber ist, segeln wir gemeinsam nach Caleta Horno…
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Puerto Santa Elena / Argentinien
1 - Aufgehende Mondsichel auf dem Weg nach Patagonien.

2 - Hoch am Wind in den »Roaring Fourties«: Seht Euch das spiegelglatte Wasser an!

3 - Gesetzt sind neben dem Groß die Genua und der Kutter: Das gibt Sicherheit und mehr Optionen im Falle eines Wetterwechsels.

4 - Ankunft in Puerto Elena. Der nächste »Pampero« ist im Anmarsch.

5 - Unsere Route nach Patagonien. Die Rauten zeigen die jeweiligen Mittagspositionen.

029 - ZWISCHENSTOPP IN MAR DEL PLATA
10/12/17 00:00 Argentina
Hallo Ihr Lieben!
Am Donnerstag, den 30.11.2017 nähern wir uns zu später Stunde bei erneut stark auffrischendem Nordost der argentinischen Hafenstadt Mar del Plata. Beim Anlaufen eines Hafens in Argentinien ist es Pflicht, sich vor Ankunft über UKW - Radio bei der »Prefectura Naval« anzumelden. Der Wachhabende verpflichtet uns, eine Seemeile vor der Hafeneinfahrt zu warten. Ein Fischereifahrzeug soll demnächst auslaufen… Wir bergen die Segel und stampfen mit minimaler Fahrt erbärmlich gegen den hohen Seegang zurück nach Nordost. Zum Glück lässt man nach einer Stunde Gnade vor Recht ergehen, und wir dürfen hinein. Erleichtert passieren wir die mächtigen Molenköpfe, laufen in das äussere Hafenbecken der beiden hiesigen Yachtclubs und werfen den Anker. Einladend sieht die Szene im Dunkel der Nacht nicht aus: Verfallene Industriegebauten, Lagerhallen, Kräne, Fischdampfer. Es riecht nach verrottetem Fisch und schlimmerem. Ein großer pelziger Seelöwe schwimmt vorbei und blinzelt uns zu. Immerhin. Ab in die Koje.
Der neue Tag bringt blauen Himmel und frische Tatkraft. Da die Einfahrt zum eigentlichen Yachthafen leider zu flach für den tiefen Kiel der VERA ist, bleiben wir zunächst vor Anker liegen, bringen BOUNCE zu Wasser und fahren unter einer ehrwürdigen, stählernen Drehbrücke hindurch in das innere Hafenbecken. Gleich an einem der ersten Schwimmstege liegt die DANDELION aus England, eine stäbige 50 Fuß Yacht mit Kanuheck. Sue und John haben zu unserer Freude ähnliche Pläne wie wir. Da sie schon eine Woche lang hier sind, bekommen wir bei gutem englischen Kaffee sogleich eine Flut von wertvollen Informationen aus erster Hand: Formalitäten, Liegeplätze, Kosten, Internet, Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants und noch viel mehr.
Im »Club Nautico Mar del Plata« (CNMP) begrüßt man uns mit: »Hola, como estas?«, einem breiten Lächeln und der Information, bis zum baldigen Eintreffen der »Health Control« an Bord abzuwarten: Quarantäne. Wir kommen schließlich aus Übersee. Als nach drei Stunden noch niemand da ist, bitten wir Sue und John über UKW Funk um Hilfe. Sie versichern uns, das man seit kurzem selber zum Gesundheitsamt gehen muss. Das tun wir dann auch mit Erfolg. Bald haben wir für ein paar Pesos ein Dokument in der Hand, das unsere vollständige Gesundheit garantiert. Mit diesem gehen wir nacheinander zum Einwohnermeldeamt, zum Zoll und zur Hafenpolizei, zurück zum Boot, um die Wartungspapiere der Rettungsinsel zu holen, und dann noch mal zur Hafenpolizei, Papier, Papier, Papier. Das dauert und gibt uns ein erstes Gefühl für die Lage vor Ort. Alles bestens. Zurück im Club genehmigen wir uns zwei große »Isenbeck« und zwei riesige panierte Schnitzel mit Pommes.
Am zweiten Tag vermietet uns die nette Chefsekretärin des CNMP für 17$ US pro Tag den einzigen freien Platz mit Strom und Wasser am äusseren Schwimmsteg des Clubs. Der liegt zwar außerhalb des inneren Hafenbeckens und ist etwas baufällig, aber immer noch gut genug gegen schweres Wetter geschützt. Bald darauf liegt die VERA fest und sicher zwischen hohen Dalben und zwei abenteuerlich aussehenden einheimischen Yachten. Das erste mal, seit wir Europa vor bald einem halben Jahr verlassen haben, verfügen wir hier über Landstrom und fließendes Wasser. Klar, das wir uns sogleich sehr wohl fühlen im sportlichen CNMP. Ein herrliches Frühlingswochenende steht bevor. Überall werden Rennjollen aufgetakelt, Optimisten, Europes, 49er, Motten auf Tragflächen. Segel flattern im frischen Wind, und Sportler in Neopren, oder Trockenanzügen laufen geschäftig auf und ab. Das erinnert B an eine Kindheit im »BYC«, M an den »VSaW« und uns beide an längst vergangene Regatta Tage…
In der folgenden Woche lernen wir Mar del Plata sehr zu schätzen. Eine kleine Großstadt mit sportlichen Einwohnern und allem drum und dran. Ein wuseliger Fischereihafen, Marinestützpunkt, Seebad, Urlaubsort für argentinische Mittelschicht mit kleinem Kulturangebot. Das Stadtbild ist geprägt von großen Kontrasten. Da stehen verfallene oder auch mit großem Aufwand sanierte altenglische Landhäuser in Fachwerk und rotem Ziegel neben gut gemachten, hochmodernen, oder auch gnadenlos uninspirierten Hochhäusern. Da führt ein breiter Boulevard aus der verslumten, zugemüllten und stinkigen Hafengegend zum hiesigen Marinestützpunkt mit der allgegenwärtigen Trauerbeflaggung für das verloren gegangene U-Boot A.R.A. SAN JUAN mit 44 Toten, bei dessen Untergang deutsche Firmen geholfen haben sollen ( https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/verschwundenes-u-boot-san-juan-verdacht-gegen-deutsche-firmen-a-1182564.html ). Von dort gelangt man zum gepflegten Gelände des Golfclubs und vorbei an mondänen Strandclubs des Seebades, bis zu einem quirligen Einkaufsviertel, an dem so kurz vor Saisonbeginn (wie schon letzte Woche in La Paloma, Uruguay) noch überall gezimmert wird. Zumindest die private Wirtschaft scheint wieder zu brummen in Argentinien. Die großen, internationalen Ketten fehlen fast völlig. Dafür liegen individuell gestaltete, sympathische Cafés, Bars, Restaurants, Boutiquen, Schuhgeschäfte, »Outdoor« Läden, Delikatessläden, Bäckereien und Elektronikshops kleinteilig beieinander. B kauft ein paar giftgrüne Crocs. Die alten in grellorange sind verschlissen. Wir durchstreifen feine, gut durchgrünte Wohngegenden mit teilweise sehr ansehnlichen Bauten. Überall blüht es in den sehr gepflegten Gärten. Es riecht nach frisch gemähtem Rasen. Herrliche alte Autos stehen in Carports, oder werden gewaschen. Auffallend sind die vielen italienisch geprägten Feinkostläden. Es duftet nach gutem Café, würzigen Salamis und altem Käse. Wir kaufen frische Pasta, Pesto und eine perfekte Bolognese. Aber natürlich dinieren wir auch auf Argentinisch, und zwar fürstlich: »Parilla« ( https://pickupthefork.com/2016/10/11/a-guide-to-the-argentine-asado/ ) im »Los Garcia«. Sensationell.
Es ließe sich aushalten in Mar del Plata, vielleicht sogar leben, keine Frage. Aber deswegen sind wir nicht hier. Der Sommer kommt mit großen Schritten und holt uns ein. Höchste Zeit, weiter Süd zu machen. Doch vor dem Auslaufen ist noch einiges zu regeln: Wäscheberge waschen, Staub saugen, Nahrungsmittel für zwei Monate in der Wildnis bunkern, Diesel und Benzin ergänzen, sorgfältiger Riggcheck, Inbetriebnahme der Eberspächer Heizung, die große Motorwartung: Öl- und Filterwechsel, Ventilspiel auf 0,4mm justieren, Impellerwechsel an der Kühlwasserpumpe, Keilriemenwechsel. Wir bauen neue Thermostaten ein, und beseitigen (hoffentlich) ein kleines, nerviges Kühlwasserleck, das uns in den letzten Wochen aufgefallen ist. Und: Der neue Öldrucksensor ist drin. Der Öldruck stimmt jetzt wieder, zumindest laut Anzeige. Gut so.
Was wir jetzt brauchen ist ein gutes »Wetterfenster«. Zwischen Mar del Plata und dem Eingang zum Beagle Channel liegen über 1000 Seemeilen durch eine wilde Gegend, die einen sehr schlechten Ruf genießt. Besonders berüchtigt ist die Kälte und das oft schwere, rasch und unvermittelt wechselnde Wetter. Dazu kommt bei ungünstigen Bedingungen ein zerstörerischer Seegang. Die patagonische Küste gilt als öde und gefährlich. Sichere Ankerplätze oder Häfen gibt es dort nur sehr wenige. Montag Abend könnte es losgehen. Wünscht uns Glück.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Mar del Plata / Argentinien
1 - Ankunft in Mar del Plata vor einem steifen Nordost.

2 - Vor Anker nach der Ankunft in Mar del Plata.

3 - Ein wohlverdientes, großes »Isenbeck« im Clubhaus des »CNMP« (Club Nautico Mar del Plata).

4 - Der erste Liegeplatz mit Wasser und Strom für die VERA seit wir Europa vor bald einem halben Jahr verlassen haben.

5 - Mar del Plata im Ausnahmezustand: Patriotische Trauerbeflaggung am Gelände der Marinebasis für die Besatzung des verschollenen U-Bootes A.R.A. SAN JUAN.

6 - Fischstäbchen für Alle.

7 - Vorsaison in Mar del Plata.

8 - Seenebel.

9 - B im netten Straßencafé.

10 - Interessante Kontraste in Mar del Plata.

11 - »Parilla«: Fleischlastige Kost im »Los Garcia«.

12 - Ehrwürdiger Lastwagen mit zuverlässiger Technik.

13 - Flossiges am Wegesrand.

14 - Der alte Volvo der VERA ohne Thermostate.

15 - Mar del Plata vom Masttop der VERA aus gesehen.

Am Donnerstag, den 30.11.2017 nähern wir uns zu später Stunde bei erneut stark auffrischendem Nordost der argentinischen Hafenstadt Mar del Plata. Beim Anlaufen eines Hafens in Argentinien ist es Pflicht, sich vor Ankunft über UKW - Radio bei der »Prefectura Naval« anzumelden. Der Wachhabende verpflichtet uns, eine Seemeile vor der Hafeneinfahrt zu warten. Ein Fischereifahrzeug soll demnächst auslaufen… Wir bergen die Segel und stampfen mit minimaler Fahrt erbärmlich gegen den hohen Seegang zurück nach Nordost. Zum Glück lässt man nach einer Stunde Gnade vor Recht ergehen, und wir dürfen hinein. Erleichtert passieren wir die mächtigen Molenköpfe, laufen in das äussere Hafenbecken der beiden hiesigen Yachtclubs und werfen den Anker. Einladend sieht die Szene im Dunkel der Nacht nicht aus: Verfallene Industriegebauten, Lagerhallen, Kräne, Fischdampfer. Es riecht nach verrottetem Fisch und schlimmerem. Ein großer pelziger Seelöwe schwimmt vorbei und blinzelt uns zu. Immerhin. Ab in die Koje.
Der neue Tag bringt blauen Himmel und frische Tatkraft. Da die Einfahrt zum eigentlichen Yachthafen leider zu flach für den tiefen Kiel der VERA ist, bleiben wir zunächst vor Anker liegen, bringen BOUNCE zu Wasser und fahren unter einer ehrwürdigen, stählernen Drehbrücke hindurch in das innere Hafenbecken. Gleich an einem der ersten Schwimmstege liegt die DANDELION aus England, eine stäbige 50 Fuß Yacht mit Kanuheck. Sue und John haben zu unserer Freude ähnliche Pläne wie wir. Da sie schon eine Woche lang hier sind, bekommen wir bei gutem englischen Kaffee sogleich eine Flut von wertvollen Informationen aus erster Hand: Formalitäten, Liegeplätze, Kosten, Internet, Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants und noch viel mehr.
Im »Club Nautico Mar del Plata« (CNMP) begrüßt man uns mit: »Hola, como estas?«, einem breiten Lächeln und der Information, bis zum baldigen Eintreffen der »Health Control« an Bord abzuwarten: Quarantäne. Wir kommen schließlich aus Übersee. Als nach drei Stunden noch niemand da ist, bitten wir Sue und John über UKW Funk um Hilfe. Sie versichern uns, das man seit kurzem selber zum Gesundheitsamt gehen muss. Das tun wir dann auch mit Erfolg. Bald haben wir für ein paar Pesos ein Dokument in der Hand, das unsere vollständige Gesundheit garantiert. Mit diesem gehen wir nacheinander zum Einwohnermeldeamt, zum Zoll und zur Hafenpolizei, zurück zum Boot, um die Wartungspapiere der Rettungsinsel zu holen, und dann noch mal zur Hafenpolizei, Papier, Papier, Papier. Das dauert und gibt uns ein erstes Gefühl für die Lage vor Ort. Alles bestens. Zurück im Club genehmigen wir uns zwei große »Isenbeck« und zwei riesige panierte Schnitzel mit Pommes.
Am zweiten Tag vermietet uns die nette Chefsekretärin des CNMP für 17$ US pro Tag den einzigen freien Platz mit Strom und Wasser am äusseren Schwimmsteg des Clubs. Der liegt zwar außerhalb des inneren Hafenbeckens und ist etwas baufällig, aber immer noch gut genug gegen schweres Wetter geschützt. Bald darauf liegt die VERA fest und sicher zwischen hohen Dalben und zwei abenteuerlich aussehenden einheimischen Yachten. Das erste mal, seit wir Europa vor bald einem halben Jahr verlassen haben, verfügen wir hier über Landstrom und fließendes Wasser. Klar, das wir uns sogleich sehr wohl fühlen im sportlichen CNMP. Ein herrliches Frühlingswochenende steht bevor. Überall werden Rennjollen aufgetakelt, Optimisten, Europes, 49er, Motten auf Tragflächen. Segel flattern im frischen Wind, und Sportler in Neopren, oder Trockenanzügen laufen geschäftig auf und ab. Das erinnert B an eine Kindheit im »BYC«, M an den »VSaW« und uns beide an längst vergangene Regatta Tage…
In der folgenden Woche lernen wir Mar del Plata sehr zu schätzen. Eine kleine Großstadt mit sportlichen Einwohnern und allem drum und dran. Ein wuseliger Fischereihafen, Marinestützpunkt, Seebad, Urlaubsort für argentinische Mittelschicht mit kleinem Kulturangebot. Das Stadtbild ist geprägt von großen Kontrasten. Da stehen verfallene oder auch mit großem Aufwand sanierte altenglische Landhäuser in Fachwerk und rotem Ziegel neben gut gemachten, hochmodernen, oder auch gnadenlos uninspirierten Hochhäusern. Da führt ein breiter Boulevard aus der verslumten, zugemüllten und stinkigen Hafengegend zum hiesigen Marinestützpunkt mit der allgegenwärtigen Trauerbeflaggung für das verloren gegangene U-Boot A.R.A. SAN JUAN mit 44 Toten, bei dessen Untergang deutsche Firmen geholfen haben sollen ( https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/verschwundenes-u-boot-san-juan-verdacht-gegen-deutsche-firmen-a-1182564.html ). Von dort gelangt man zum gepflegten Gelände des Golfclubs und vorbei an mondänen Strandclubs des Seebades, bis zu einem quirligen Einkaufsviertel, an dem so kurz vor Saisonbeginn (wie schon letzte Woche in La Paloma, Uruguay) noch überall gezimmert wird. Zumindest die private Wirtschaft scheint wieder zu brummen in Argentinien. Die großen, internationalen Ketten fehlen fast völlig. Dafür liegen individuell gestaltete, sympathische Cafés, Bars, Restaurants, Boutiquen, Schuhgeschäfte, »Outdoor« Läden, Delikatessläden, Bäckereien und Elektronikshops kleinteilig beieinander. B kauft ein paar giftgrüne Crocs. Die alten in grellorange sind verschlissen. Wir durchstreifen feine, gut durchgrünte Wohngegenden mit teilweise sehr ansehnlichen Bauten. Überall blüht es in den sehr gepflegten Gärten. Es riecht nach frisch gemähtem Rasen. Herrliche alte Autos stehen in Carports, oder werden gewaschen. Auffallend sind die vielen italienisch geprägten Feinkostläden. Es duftet nach gutem Café, würzigen Salamis und altem Käse. Wir kaufen frische Pasta, Pesto und eine perfekte Bolognese. Aber natürlich dinieren wir auch auf Argentinisch, und zwar fürstlich: »Parilla« ( https://pickupthefork.com/2016/10/11/a-guide-to-the-argentine-asado/ ) im »Los Garcia«. Sensationell.
Es ließe sich aushalten in Mar del Plata, vielleicht sogar leben, keine Frage. Aber deswegen sind wir nicht hier. Der Sommer kommt mit großen Schritten und holt uns ein. Höchste Zeit, weiter Süd zu machen. Doch vor dem Auslaufen ist noch einiges zu regeln: Wäscheberge waschen, Staub saugen, Nahrungsmittel für zwei Monate in der Wildnis bunkern, Diesel und Benzin ergänzen, sorgfältiger Riggcheck, Inbetriebnahme der Eberspächer Heizung, die große Motorwartung: Öl- und Filterwechsel, Ventilspiel auf 0,4mm justieren, Impellerwechsel an der Kühlwasserpumpe, Keilriemenwechsel. Wir bauen neue Thermostaten ein, und beseitigen (hoffentlich) ein kleines, nerviges Kühlwasserleck, das uns in den letzten Wochen aufgefallen ist. Und: Der neue Öldrucksensor ist drin. Der Öldruck stimmt jetzt wieder, zumindest laut Anzeige. Gut so.
Was wir jetzt brauchen ist ein gutes »Wetterfenster«. Zwischen Mar del Plata und dem Eingang zum Beagle Channel liegen über 1000 Seemeilen durch eine wilde Gegend, die einen sehr schlechten Ruf genießt. Besonders berüchtigt ist die Kälte und das oft schwere, rasch und unvermittelt wechselnde Wetter. Dazu kommt bei ungünstigen Bedingungen ein zerstörerischer Seegang. Die patagonische Küste gilt als öde und gefährlich. Sichere Ankerplätze oder Häfen gibt es dort nur sehr wenige. Montag Abend könnte es losgehen. Wünscht uns Glück.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Mar del Plata / Argentinien
1 - Ankunft in Mar del Plata vor einem steifen Nordost.

2 - Vor Anker nach der Ankunft in Mar del Plata.

3 - Ein wohlverdientes, großes »Isenbeck« im Clubhaus des »CNMP« (Club Nautico Mar del Plata).

4 - Der erste Liegeplatz mit Wasser und Strom für die VERA seit wir Europa vor bald einem halben Jahr verlassen haben.

5 - Mar del Plata im Ausnahmezustand: Patriotische Trauerbeflaggung am Gelände der Marinebasis für die Besatzung des verschollenen U-Bootes A.R.A. SAN JUAN.

6 - Fischstäbchen für Alle.

7 - Vorsaison in Mar del Plata.

8 - Seenebel.

9 - B im netten Straßencafé.

10 - Interessante Kontraste in Mar del Plata.

11 - »Parilla«: Fleischlastige Kost im »Los Garcia«.

12 - Ehrwürdiger Lastwagen mit zuverlässiger Technik.

13 - Flossiges am Wegesrand.

14 - Der alte Volvo der VERA ohne Thermostate.

15 - Mar del Plata vom Masttop der VERA aus gesehen.

028 - URUGUAY: IM LAND DER ENTSPANNTEN HUNDE
02/12/17 00:00 Uruguay
028 - Uruguay: Im Land der entspannten Hunde.
Hallo Ihr Lieben!
Brasilien liegt im Kielwasser. Nachdem wir ausklariert und den Hafen von Rio Grande del Sul bei Tagesanbruch verlassen haben, nehmen wir direkt Kurs auf Mar del Plata in Argentinien. Unser ausgeklügelter Plan sieht vor, die nach 30 Stunden zu erwartende kurze Störung aus Süden unter kleinen Segeln abzuwettern, und mit dem später rückdrehenden Wind das berüchtigte, flache Mündungsgebiet des Rio de la Plata ohne Zwischenstopp zu überqueren.
Draussen erwartet uns eine unerwartet harte Kreuz gegen kurze, steile Welle und gegen einen glücklicherweise später auf West drehenden, mäßigen Südwind. Mit den letzten Balken der Internetverbindung ziehen wir ein frisches Wettermodell: Die kurze Störung aus Süd hat sich in den letzten drei Stunden zu einem ausgewachsenen »Pampero« gemausert. Der spätere Rückdreher ist auch weg, dafür sehen wir jetzt gigantische CAPE Werte in der Plata Mündung. Also doch Uruguay? Der Törn wird knackig. Ein Leckerbissen für leidenschaftliche Segler. Auf einem angespitzten Halbwindskurs jagen wir 30 Stunden lang dicht unter Land im flachen Wasser am Strand entlang, immer bestrebt, die fiesen kurzen Stolperwellen zu vermeiden, die weiter draußen auf See erwachsen werden. Das tief gereffte Boot rattert und vibriert. Alles an Deck wird fein geduscht von überkommender Gischt, aber der Spaß ist riesig, schon wegen des strahlend blauen Himmels am Tag und den Millionen Sternen in der Nacht. Und: Auf diese Weise dürfen wir auf eine Ankunft im Hafen von La Paloma am frühen Nachmittag hoffen, nach nur einer kurzen Nacht auf See.
Der Westwind hält genau bis vor die Einfahrt. Über dem Hinterland drohen monumentale Cumuluswolken, in denen man schon bei blendendem Tageslicht die gezackten Forken gewaltiger Blitze erkennen kann. Das Baro fällt wie ein Stein, aber das Unwetter erwischt uns nicht mehr. An der kommunalen Pier helfen uns tatkräftige Männer mit Wurfleinen und starken Muskeln beim Einparken zwischen einer überdimensionierten Mooringtonne und zwei großzügig dimensionierten Pollern. Rasch ist die VERA bestens angebunden. Sofort einklarieren? »Mañana!«, so ruft man uns lachend zu. Die Nacht wird herrlich: Draussen pfeift der »Pampero« ohrenbetäubend durchs Rigg und prasselt eisiger Regen auf Deck, während wir in der warmen Koje liegen und Schafe zählen.
Am Morgen ist die Front durch, und der Himmel wieder stahlblau, wie frisch gewaschen. Die Luft ist glasklar und angenehm kühl. Wir gehen einklarieren, bei der »Prefectura Naval« gleich hier am Hafen, und dann noch beim Büro der »Hidrografia«, eine Art erweiterte Hafenmeisterei. Beides gelingt problemlos. Die Beamten sind nett und haben Geduld mit uns und unserem rudimentären Spanisch. Zur »Immigration« und zur »Aduana« brauchen wir nicht. Die gibt es nicht in La Paloma. So dürfen wir gleich loslaufen, ins Unbekannte, immer wieder die Belohnung für lange Etappen unter Segeln. Wir sind neugierig.
La Paloma: Ein verschlafenes Fischerdorf an Uruguays stürmischer Südostküste. Ein schlanker und sehr romantischer Leuchtturm, unter dem sich ein paar Häuser ducken. Dahinter erstreckt sich der lange, weiße Strand, bis zum Horizont. Das Wetter ist gerade jetzt im Frühling ein Genuss. Die klimatischen Verhältnisse erinnern an Südfrankreich, Norditalien, oder hier an der Südostküste auch an Nordspanien. Endlich wieder weit ausschreiten, ohne jeden Gedanken an mögliche Verbote, oder Überfälle. Den Magen entspannen und den Schultergürtel. Uruguay ist ein ruhiges Land mit viel Platz. Keine 4 Millionen Einwohner auf der halben Fläche Deutschlands. Ein Paradies für Gauchos, Surfer und andere Individualisten. Montevideo hat nach Tokio die zweitniedrigste Kriminalitätsrate aller Hauptstädte der Welt. Wir fühlen uns sofort wohl. Das geht anderen Deutschen wohl auch so: Am Wegesrand parkt ein mächtiges Wohnmobil mit Bundesadler, Mercedes Benz Lastwagen, 4x4, Expeditionsausführung. Wir verstehen das schon. An der Hauptstraße erstehen wir einen excellent funktionierenden Internet Chip für kleines Geld. Dann stöbern wir durch professionell bestückte Surfshops und ein lustiges Antiquariat. Überall lungern dicke, entspannte Hunde herum, die uns nicht beachten. Im Sommer verwandelt sich La Paloma für einige Wochen in einen Urlaubsort für gestresste Menschen aus Montevideo. Viele Häuser sind über die Sommerferien zu vermieten. An den meisten Cafés, Bars und Restaurants wird im Augenblick allerdings noch gehämmert und gemalert. Es herrscht Vorsaison. Uns soll es Recht sein. Das hübsche Restaurant »Las Rocas« hat über das Wochenende geöffnet. Hier finden wir unsere positiven Eindrücke bestätigt: Erstklassige, lateinamerikanische Küche mit Italienischem Einschlag, nicht zu teuer.
Der Baustil in La Paloma und seiner Umgebung hat nichts einheitliches. Es gibt Häuser aus allen Kulturkreisen, direkt nebeneinander, eine beinahe vollständige Bauausstellung. Strenger Bauhausstil erhebt sich neben Fachwerk, Lehmhäuser neben neominimalistischem Hightech, das amerikanische Blockhaus neben dem Gelsenkirchner Barock, die Almhütte neben dem südfranzösischen Feldsteinhaus. Uns stört das nicht (mehr). Man will hier offensichtlich leben und leben lassen. In einer romantischen, mit Reed gedeckten Kate direkt am Meer leben, ein altes Auto aus Sindelfingen fahren, mit einem zotteligen Pferd durch Dünen und Sand streifen, immer begleitet von einem pelzig-souveränen Hund? Hier in La Paloma wäre es möglich. Uruguay scheint ein Land zu sein, in dem das kleine Glück im Vordergrund steht. Die Einheimischen sind mit wenigem zufrieden, und verwenden viel Zeit darauf, unter Freunden in Ruhe Mate zu trinken oder ausgiebig im Garten zu grillen. Mate? Siehe hier bei CHULUGI: ( http://www.chulugi.de/zwischenstopp-piriapolis-mate-abschiede/ ).
Leider müssen wir weiter. Das Wetterfenster nach Mar del Plata sieht perfekt aus. Am Mittwoch den 29.11. laufen wir aus, vor Tau und Tag, hinein in einen auffrischenden Nordost, der volle drei Tage durchstehen soll. Das entspannt die Nerven. B und ich haben großen Respekt vor der Plata Mündung mit ihren trügerischen Sänden, Flachs, und den notorisch auftretenden schweren Gewitter. Das Feuerwerk anlässliche unserer Ankunft in La Paloma war beeindruckend genug. Charles Darwin schrieb über diese Gegend: »On a second night we witnessed a splendid scene of natural fireworks; the mast-head and yard-arm-ends shone with St. Elmo’s light; and the form of the vane could almost be traced, as if it had been rubbed with phosphorus. The sea was so highly luminous, that the tracks of the penguins were marked by a fiery wake, and the darkness of the sky was momentarily illuminated by the most vivid lightning…«
Nachtwache: Jetzt doch ordentlich Wind von achtern. Die Logge zeigt 9, häufig auch 10 Knoten, trotz der gut gerefften Segel. Kaum vorstellbar, das die »Jungs« damals auf dem Weg zum Fastnet Rock bei vergleichbaren Bedingungen zum vollen Groß den »kleinen« 160er »Starcut« gezogen hätten… Nichts für uns. Das Echolot zeigt 13 Meter, knapp 40 Seemeilen vor der Argentinischen Küste. Unheimlich, dunkel und flaschengrün, trotz des gut halbvollen Mondes. Achteraus ist Orion auf die Jagd gegangen. Er treibt eine grobe, hohle See vor sich her, die das Boot von achtern anfällt, zischend und weiß schäumend. Sie will das Heck der VERA mit Macht herumhebeln, das Boot quer schlagen lassen und dann ersäufen. Der elektrische Autopilot hält uns solchen Ärger vom Hals. Das Teil macht einen phantastischen Job. Stunde um Stunde, ohne jemals zu ermüden, dreht »Es« in Windeseile am Ruderrad, ganze Umdrehungen von bb nach stb, und Dank der eingebauten »Gyro« Sensoren immer im genau richtigen Moment. Ganz sicher steuert »Es« viel besser als ich (M) es jemals könnte. Einen Defekt können wir jetzt nicht brauchen. Dann hätten wir »Zustand« an Bord. Erneut fällt es mir schwer, solche negativen Gedanken abzuschütteln und die unterschwellige Anspannung abzulegen. Ich muss π. Jetzt ein Fehltritt und über Bord? Das wäre das Ende mit offenem Reißverschluss. Besser unter Deck klettern und auspellen. Beeindruckende Lumineszenz gibt es bei uns heute auch: Fahlgrünes, strudeliges Meeresleuchten in der Schüssel. Licht braucht man da keines mehr.
Am Mittag des nächsten Tages tragen wir bei abflauendem Wind und leichtem Gegenstrom ein Etmal von 185 Seemeilen ins Logbuch. Noch 60 Seemeilen bis Mar del Plata, das Tor zum wilden Süden und nach Patagonien. Ein wichtiges Zwischenziel, auf das wir viele Jahre hingearbeitet haben. Vor Mitternacht können wir dort sein. Wir halten Euch auf dem Laufenden!
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Mar del Plata / Argentinien
1 - Abschied von Brasilien nach drei herrlichen Monaten.

2 - VERA gut angebunden im Hafen von La Paloma, Uruguay.

3 - La Paloma: Ein verschlafenes Fischernest an Uruguays stürmischer Südostecke.

4 - Der romantische Leuchtturm von La Paloma.

5 - Der Süden Uruguays: Strände bis zum Horizont.

6 - Die Seele baumeln lassen.

7 - Windige Gegend.

8 - Leben in Uruguay?

9 - Als Fischerboote noch keine Fangfabriken waren.
10 - Auto.

11 - Motorrad.

12 - Shoppingmall.

13 - Nachtisch im Las Rocas.

14 - Ein unerwarteter Anblick: Deutsches Expeditionsmobil in La Paloma.

15 - Von Rio Grande de Sul über La Paloma nach Mar del Plata. Die Rauten zeigen die jeweilige Mittagsposition.

Hallo Ihr Lieben!
Brasilien liegt im Kielwasser. Nachdem wir ausklariert und den Hafen von Rio Grande del Sul bei Tagesanbruch verlassen haben, nehmen wir direkt Kurs auf Mar del Plata in Argentinien. Unser ausgeklügelter Plan sieht vor, die nach 30 Stunden zu erwartende kurze Störung aus Süden unter kleinen Segeln abzuwettern, und mit dem später rückdrehenden Wind das berüchtigte, flache Mündungsgebiet des Rio de la Plata ohne Zwischenstopp zu überqueren.
Draussen erwartet uns eine unerwartet harte Kreuz gegen kurze, steile Welle und gegen einen glücklicherweise später auf West drehenden, mäßigen Südwind. Mit den letzten Balken der Internetverbindung ziehen wir ein frisches Wettermodell: Die kurze Störung aus Süd hat sich in den letzten drei Stunden zu einem ausgewachsenen »Pampero« gemausert. Der spätere Rückdreher ist auch weg, dafür sehen wir jetzt gigantische CAPE Werte in der Plata Mündung. Also doch Uruguay? Der Törn wird knackig. Ein Leckerbissen für leidenschaftliche Segler. Auf einem angespitzten Halbwindskurs jagen wir 30 Stunden lang dicht unter Land im flachen Wasser am Strand entlang, immer bestrebt, die fiesen kurzen Stolperwellen zu vermeiden, die weiter draußen auf See erwachsen werden. Das tief gereffte Boot rattert und vibriert. Alles an Deck wird fein geduscht von überkommender Gischt, aber der Spaß ist riesig, schon wegen des strahlend blauen Himmels am Tag und den Millionen Sternen in der Nacht. Und: Auf diese Weise dürfen wir auf eine Ankunft im Hafen von La Paloma am frühen Nachmittag hoffen, nach nur einer kurzen Nacht auf See.
Der Westwind hält genau bis vor die Einfahrt. Über dem Hinterland drohen monumentale Cumuluswolken, in denen man schon bei blendendem Tageslicht die gezackten Forken gewaltiger Blitze erkennen kann. Das Baro fällt wie ein Stein, aber das Unwetter erwischt uns nicht mehr. An der kommunalen Pier helfen uns tatkräftige Männer mit Wurfleinen und starken Muskeln beim Einparken zwischen einer überdimensionierten Mooringtonne und zwei großzügig dimensionierten Pollern. Rasch ist die VERA bestens angebunden. Sofort einklarieren? »Mañana!«, so ruft man uns lachend zu. Die Nacht wird herrlich: Draussen pfeift der »Pampero« ohrenbetäubend durchs Rigg und prasselt eisiger Regen auf Deck, während wir in der warmen Koje liegen und Schafe zählen.
Am Morgen ist die Front durch, und der Himmel wieder stahlblau, wie frisch gewaschen. Die Luft ist glasklar und angenehm kühl. Wir gehen einklarieren, bei der »Prefectura Naval« gleich hier am Hafen, und dann noch beim Büro der »Hidrografia«, eine Art erweiterte Hafenmeisterei. Beides gelingt problemlos. Die Beamten sind nett und haben Geduld mit uns und unserem rudimentären Spanisch. Zur »Immigration« und zur »Aduana« brauchen wir nicht. Die gibt es nicht in La Paloma. So dürfen wir gleich loslaufen, ins Unbekannte, immer wieder die Belohnung für lange Etappen unter Segeln. Wir sind neugierig.
La Paloma: Ein verschlafenes Fischerdorf an Uruguays stürmischer Südostküste. Ein schlanker und sehr romantischer Leuchtturm, unter dem sich ein paar Häuser ducken. Dahinter erstreckt sich der lange, weiße Strand, bis zum Horizont. Das Wetter ist gerade jetzt im Frühling ein Genuss. Die klimatischen Verhältnisse erinnern an Südfrankreich, Norditalien, oder hier an der Südostküste auch an Nordspanien. Endlich wieder weit ausschreiten, ohne jeden Gedanken an mögliche Verbote, oder Überfälle. Den Magen entspannen und den Schultergürtel. Uruguay ist ein ruhiges Land mit viel Platz. Keine 4 Millionen Einwohner auf der halben Fläche Deutschlands. Ein Paradies für Gauchos, Surfer und andere Individualisten. Montevideo hat nach Tokio die zweitniedrigste Kriminalitätsrate aller Hauptstädte der Welt. Wir fühlen uns sofort wohl. Das geht anderen Deutschen wohl auch so: Am Wegesrand parkt ein mächtiges Wohnmobil mit Bundesadler, Mercedes Benz Lastwagen, 4x4, Expeditionsausführung. Wir verstehen das schon. An der Hauptstraße erstehen wir einen excellent funktionierenden Internet Chip für kleines Geld. Dann stöbern wir durch professionell bestückte Surfshops und ein lustiges Antiquariat. Überall lungern dicke, entspannte Hunde herum, die uns nicht beachten. Im Sommer verwandelt sich La Paloma für einige Wochen in einen Urlaubsort für gestresste Menschen aus Montevideo. Viele Häuser sind über die Sommerferien zu vermieten. An den meisten Cafés, Bars und Restaurants wird im Augenblick allerdings noch gehämmert und gemalert. Es herrscht Vorsaison. Uns soll es Recht sein. Das hübsche Restaurant »Las Rocas« hat über das Wochenende geöffnet. Hier finden wir unsere positiven Eindrücke bestätigt: Erstklassige, lateinamerikanische Küche mit Italienischem Einschlag, nicht zu teuer.
Der Baustil in La Paloma und seiner Umgebung hat nichts einheitliches. Es gibt Häuser aus allen Kulturkreisen, direkt nebeneinander, eine beinahe vollständige Bauausstellung. Strenger Bauhausstil erhebt sich neben Fachwerk, Lehmhäuser neben neominimalistischem Hightech, das amerikanische Blockhaus neben dem Gelsenkirchner Barock, die Almhütte neben dem südfranzösischen Feldsteinhaus. Uns stört das nicht (mehr). Man will hier offensichtlich leben und leben lassen. In einer romantischen, mit Reed gedeckten Kate direkt am Meer leben, ein altes Auto aus Sindelfingen fahren, mit einem zotteligen Pferd durch Dünen und Sand streifen, immer begleitet von einem pelzig-souveränen Hund? Hier in La Paloma wäre es möglich. Uruguay scheint ein Land zu sein, in dem das kleine Glück im Vordergrund steht. Die Einheimischen sind mit wenigem zufrieden, und verwenden viel Zeit darauf, unter Freunden in Ruhe Mate zu trinken oder ausgiebig im Garten zu grillen. Mate? Siehe hier bei CHULUGI: ( http://www.chulugi.de/zwischenstopp-piriapolis-mate-abschiede/ ).
Leider müssen wir weiter. Das Wetterfenster nach Mar del Plata sieht perfekt aus. Am Mittwoch den 29.11. laufen wir aus, vor Tau und Tag, hinein in einen auffrischenden Nordost, der volle drei Tage durchstehen soll. Das entspannt die Nerven. B und ich haben großen Respekt vor der Plata Mündung mit ihren trügerischen Sänden, Flachs, und den notorisch auftretenden schweren Gewitter. Das Feuerwerk anlässliche unserer Ankunft in La Paloma war beeindruckend genug. Charles Darwin schrieb über diese Gegend: »On a second night we witnessed a splendid scene of natural fireworks; the mast-head and yard-arm-ends shone with St. Elmo’s light; and the form of the vane could almost be traced, as if it had been rubbed with phosphorus. The sea was so highly luminous, that the tracks of the penguins were marked by a fiery wake, and the darkness of the sky was momentarily illuminated by the most vivid lightning…«
Nachtwache: Jetzt doch ordentlich Wind von achtern. Die Logge zeigt 9, häufig auch 10 Knoten, trotz der gut gerefften Segel. Kaum vorstellbar, das die »Jungs« damals auf dem Weg zum Fastnet Rock bei vergleichbaren Bedingungen zum vollen Groß den »kleinen« 160er »Starcut« gezogen hätten… Nichts für uns. Das Echolot zeigt 13 Meter, knapp 40 Seemeilen vor der Argentinischen Küste. Unheimlich, dunkel und flaschengrün, trotz des gut halbvollen Mondes. Achteraus ist Orion auf die Jagd gegangen. Er treibt eine grobe, hohle See vor sich her, die das Boot von achtern anfällt, zischend und weiß schäumend. Sie will das Heck der VERA mit Macht herumhebeln, das Boot quer schlagen lassen und dann ersäufen. Der elektrische Autopilot hält uns solchen Ärger vom Hals. Das Teil macht einen phantastischen Job. Stunde um Stunde, ohne jemals zu ermüden, dreht »Es« in Windeseile am Ruderrad, ganze Umdrehungen von bb nach stb, und Dank der eingebauten »Gyro« Sensoren immer im genau richtigen Moment. Ganz sicher steuert »Es« viel besser als ich (M) es jemals könnte. Einen Defekt können wir jetzt nicht brauchen. Dann hätten wir »Zustand« an Bord. Erneut fällt es mir schwer, solche negativen Gedanken abzuschütteln und die unterschwellige Anspannung abzulegen. Ich muss π. Jetzt ein Fehltritt und über Bord? Das wäre das Ende mit offenem Reißverschluss. Besser unter Deck klettern und auspellen. Beeindruckende Lumineszenz gibt es bei uns heute auch: Fahlgrünes, strudeliges Meeresleuchten in der Schüssel. Licht braucht man da keines mehr.
Am Mittag des nächsten Tages tragen wir bei abflauendem Wind und leichtem Gegenstrom ein Etmal von 185 Seemeilen ins Logbuch. Noch 60 Seemeilen bis Mar del Plata, das Tor zum wilden Süden und nach Patagonien. Ein wichtiges Zwischenziel, auf das wir viele Jahre hingearbeitet haben. Vor Mitternacht können wir dort sein. Wir halten Euch auf dem Laufenden!
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Mar del Plata / Argentinien
1 - Abschied von Brasilien nach drei herrlichen Monaten.

2 - VERA gut angebunden im Hafen von La Paloma, Uruguay.

3 - La Paloma: Ein verschlafenes Fischernest an Uruguays stürmischer Südostecke.

4 - Der romantische Leuchtturm von La Paloma.

5 - Der Süden Uruguays: Strände bis zum Horizont.

6 - Die Seele baumeln lassen.

7 - Windige Gegend.

8 - Leben in Uruguay?

9 - Als Fischerboote noch keine Fangfabriken waren.
10 - Auto.

11 - Motorrad.

12 - Shoppingmall.

13 - Nachtisch im Las Rocas.

14 - Ein unerwarteter Anblick: Deutsches Expeditionsmobil in La Paloma.

15 - Von Rio Grande de Sul über La Paloma nach Mar del Plata. Die Rauten zeigen die jeweilige Mittagsposition.

027 - DER SÜDEN BRASILIENS / ILHA ANCHIETA BIS RIO GRANDE DO SUL
19/11/17 00:00 Brasil
Hallo Ihr Lieben!
Der Süden Brasiliens. Wie zuletzt bereits erwähnt, liegen gut 700 Seemeilen, also um die 1.300 Kilometer, zwischen Ilha Grande und Rio Grande do Sul an der Grenze zu Uruguay. Viele Wegstunden, wenn man mit einem Segelboot unterwegs und damit abhängig von günstigen Winden ist. Bis vor wenigen Jahren mussten Seefahrer Wetter und Wind so nehmen, wie sie gerade kamen. Man lief aus, bei günstigem Wind, und hoffte auf Neptuns Gunst. Immerhin gibt es in dieser Gegend einen halbwegs gleichmäßigen Rhythmus wechselnder Winde. Nord- oder Nordostwind wird alle paar Tage von einer Kaltfront unterbrochen, die stürmische Tage mit oftmals starkem Südwind bringen. Unser Weg führt nach Süden. Da ist starker Südwind nicht gefragt. Einige Tage vor dem Auslaufen analysieren wir daher sorgfältig die aktuellen, im Internet vorliegenden Wetterdaten. Ein »Wetterfenster« soll her, mit möglichst nördlichen Winden für zumindest zwei bis drei Tage.
Der erste längere Schlag nach der »Winterpause« in Ilha Grande bringt uns bei herrlichem Wetter in knapp zwei Tagen über 300 Seemeilen von Ilha Anchieta nach Porto Belo. Genauer gesagt in die Caixa d’Aço, eine gut geschützte Ankerbucht bei Porto Belo. Das eher ruhige Fischerdorf liegt ein wenig östlich und gegenüber der wild wuchernden Großstadt Itapema, mit ihrer beeindruckenden Skyline. In der Caixa d’Aço liegt eine in der Szene legendäre »Floating Bar«, die der deutschstämmige Edgar vor Jahrzehnten hier verankert hat. Eine lange Reihe von Blauwasseryachten waren zu Gast, und wurden dafür mit einer von Edgar hübsch gemalten Plakette mit Schiffsnamen und Nationalflagge an der Hauswand der Bar verewigt. Lange her. Heute führt Sohn Eric die Geschäfte, die jetzt, in der Nebensaison, eher schleppend gehen. Einst wünschte sich Eric selbst hinaus, in die weite Welt. Er besitzt sogar ein stäbiges Stahlschiff, die TRYLIM. Vom baldigen Auslaufen ist jedoch keine Rede mehr. Seit vielen Jahren hat ihn der Alkohol fest im Griff. Es geht Eric allerdings noch nicht schlecht genug, um eine Umkehr zu bewirken. Wir sitzen am Tisch Nr. 13 und hören seinem Schnellsprech zu, einer sämigen Mischung aus Portugiesisch, Deutsch und Englisch. Manches hier stimmt uns melancholisch. Edgars Bar war einst ein Leuchtturm einer boomenden Blauwasser Szene, so wie auch der TO-Stützpunkt von Klaus in Angra dos Reis. Hier wie dort haben seinerzeit großartige (und gut dokumentierte) Gelage stattgefunden, mit den abenteuerlustigen Crews von Yachten aus aller Welt, Bergen von Gegrilltem, Kubikmetern von Bier und köstlichen Caipirinhas bis in die sternenklare Nacht. Heutzutage segelt hier kaum mehr jemand. Die Einträge in Erics ehrwürdigem Gästebuch sind alt. Einer der letzten stammt von den bekannten englischen Seglern Rachel und Paul Chandler: April 2015. Der einst gut eingetretene Pfad nach Süden scheint zu überwuchern. Wir rätseln über die Gründe: Ist die ältere Seglergeneration, die über Zeit und Geld verfügt, nicht mehr belastbar genug? Wagt die jüngere Generation keinen Ausstieg mehr auf Zeit, weil dann die vita und damit die Karriere hin ist? Oder ist das Leben vor den Bildschirmen in einer »virtual reality« eventuell doch interessanter?
Das nächste »Wetterfenster« für den 400 Seemeilen Törn von Porto Belo nach Rio Grande do Sul ist knapp bemessen. Zunächst soll alles wie gewohnt ablaufen: Nach dem Durchgang der Kaltfront wird es hart aus NE wehen. Aber leider nur für magere 48 Stunden, bevor eine erneute Störung den vermaledeiten Südwind in Sturmstärke bringt. Wir sollten den Hafen von Rio Grande besser vorher erreichen, zumal dieser in einer versandeten Flussmündung liegt, die bei Sturm aus Süd und auslaufender Tide gefährlich brechende Grundseen auf die Jagd schickt…
Die zweite Nacht auf See: NE gut über 30 Knoten, sieben Beaufort. Genua ausgebaumt, zwei Reffs im Groß. Wir laufen gut. Mit Siebenmeilenstiefeln, oft sogar acht oder neun, oder kurz mal gute zehn. Grobe See, mit hohlen Tälern, die wohl der nach wie vor geringen Wassertiefe geschuldet sind. Knapp 60 Meter hier, flaches Kontinentalschelf, 15 Seemeilen vor der nun ebenfalls flachen, sandigen Küste. In den letzten 24 Stunden haben wir über 200 Seemeilen zurückgelegt. Gedankenlos vorbei an einem riesigen, fremden Land, von dem wir fast nichts wissen. Draußen ist es rabenschwarz, allerdings mit einem spektakulären Meeresleuchten, wie wir es kaum jemals zuvor erlebt haben. Die überall brechenden Seen und Schaumkronen leuchten in einem fahlen Blassgrün, wunderschön, aber gespenstisch irgendwie. Irrlichter überall, eine helle Schleppe im Kielwasser, mit dem heulenden Schleppgenerator als Kometenschweif. Ein schlecht beleuchtetes Fischerboot wäre unter diesen Bedingungen schwer auszumachen. Ein Rundumblick dann und wann, evtl. mit dem alten Herrn Hensoldt, und im Zweifelsfall einen Blick aufs Radar (geht jetzt wieder wie frisch gewaschen), mehr können wir nicht tun. Niemand fischt hier heute Nacht. Wir bleiben allein, in einer surrealen, pitschnassen Welt. Bei Wachwechsel steht eine Halse an. Haarige Angelegenheit. Macht aber Sinn, wenn wir nicht im Morgengrauen an Rio Grande do Sul vorbeipreschen wollen…
Bei Tagesanbruch empfängt uns die mächtige Flussmündung mit schokoladenbraunem Wasser und offenen Armen. Ein kurzes Gewitter, dann ist der Wind weg und die Sonne scheint warm aus einem blitzblank geputzten, stahlblauen Himmel, wie wir ihn lange nicht mehr gesehen haben. Die berüchtigte auslaufende Strömung und der mörderische Seegang mit den brechenden Grundseen haben heute ihren freien Tag. Ohne Probleme läuft die VERA unter Maschine zwischen den beeindruckenden Molenköpfen hindurch in die Einfahrt, und gute 14 Seemeilen den Fluss hinauf, bis vor die Altstadt von Rio Grande do Sul. Auf den schweren, schwarzen Steinen der Hafenmole an Steuerbord sonnt sich eine Horde von Seelöwen und begrüßt uns mit Gebrüll. Die Tropen liegen demnach hinter uns. Auch die traditionell in Holz gebauten Fischerboote, die überall in der Flussmündung ankern oder angeln, sehen anders aus als noch zuletzt in der Gegend um Ilha Grande. Die Farbgebung ist ebenso farbenfroh, aber die sehr hoch gezogenen Steven sind deutlich steiler, beinahe senkrecht, wie bei nordischen Fischerbooten. Vielleicht ein Hinweis auf die Herkunft vieler Familien in dieser Gegend? Rio Grande do Sul ist ein Seehafen mit überregionaler Bedeutung. An Backbord ziehen zyklopengroße Frachtschiffterminals, Trockendocks und Werftbetriebe vorbei. Mächtige Kräne verladen Stückgut oder Container auf Frachtschiffe aus aller Herren Länder, also aus Panama, oder Monrovia. Es bringt Spaß, mit der kleinen VERA dicht an den riesigen Stahlkolossen vorbeizutuckern und über die Maßstäbe des heutigen Welthandel zu staunen. Dort hinten müssen wir das Fahrwasser kreuzen und links abbiegen in den Kanal zum Porto Novo, und dann nochmal links zum Porto Velho. Über diverse »Blauwasserblogs« wissen wir, das wir vor dem »Museu Oceanográfico« willkommen sind, ankern dürfen und mit dem Dinghy anlanden können. Direktor Lauro Barcellos hat ein Herz für Segler. Tatsächlich kommt er gleich mit seinem Motorboot vorbei und lädt uns ein, unentgeltlich am Steg des Museums festzumachen, inklusive Strom und Wasser. Leider ist der Kiel der VERA hierfür zu tief. Man kann eben nicht alles haben. Aber auch der Ankerplatz ist schön. Wir fühlen uns gleich zuhause, zwischen der hemdsärmeligen, bremerhafenartigen Stadtkulisse, einer kleinen, unbewohnten Insel mit Vogelreservat, die Lauro gehört, und dem grünen Museumsgelände. Gen Nordosten reicht der Blick weit hinaus, über die »Lagoa dos Patos« (Ententeich), ein flaches Binnenmeer, über 200km lang. Das erinnert sehr an den Dümmer, an das Steinhuder Meer, oder an die Pötenitzer Wiek. Bei Einbruch der Dunkelheit winkt ein schwer bewaffnete Wachmann vom »Museu« zur Begrüßung herüber, und ein gut gebauter Seelöwe schaut vorbei und schnuffelt an der Bordwand. Zwei eiskalte Bohemia Biere zur Belohnung, dann ab in die Koje. Alles ist gut.
Die nächsten Tage vergehen wie im Flug. Das Einklarieren mit diversen Behördengängen und maximalem Papierkrieg á la Lateinamerika ist Zen: In der Ruhe liegt die Kraft. Einkaufen, Diesel bunkern, 140m Polypropylen Schwimmleine kaufen, Fettiges vertilgen, Café und Kuchen genießen, und manches mehr, sind dann reines Vergnügen. Leere Gasflaschen für drei Monate füllen? Wir fragen den supernetten Vormann des am Steg des Museums liegenden Forschungsschiffes LARUS der Universität von Rio Grande um Rat. Eine Minute später hat er den Gasmann angerufen, der innerhalb von fünf Minuten (!) da ist, und unsere (europäischen) Gasflaschen nebst unseren zum Glück vorhanden Adaptern (EU auf US) einsackt. Er verspricht, morgen um 10.00 wieder da zu sein. Morgen um 09.57: Der Gasmann ist da, mit unseren gut gefüllten 3kg Fläschchen und den Adaptern. Die Kosten: Zu vernachlässigen. »Competência e qualidade« steht auf seinem Blaumann. So soll es sein.
Rio Grande do Sul, eine Stadt, die auf den ersten Blick ihre besten Zeiten hinter sich hat. Prächtige Gründerzeit- und Kolonialbauten sind zumeist im Verfall begriffen, so wie das herrliche Mosaikpflaster auf den Bürgersteigen. Zeitgenössische Zweckbauten mieser Qualität bestimmen das Stadtbild, wie fast überall auf der Welt. Manches erinnert an die letzten Tage der DDR. Allerdings herrscht eine andere Atmosphäre: In der lebendigen Einkaufsmeile wimmelt es von farbenfrohen Läden und gut gelaunten Menschen. Eigentlich gibt es fast alles zu kaufen, ob Elektronik oder Kleidung, und auch der große Supermarkt ist unerwartet opulent bestückt. Kleine, individuelle Betriebe vom Hardwarestore bis zum Sattler scheinen gut zu laufen. Der Fischmarkt bietet Ansehnliches in guter Qualität. Auch der von Gauchos aus dem Hinterland mit Pferdewagen belieferte Obst und Gemüsemarkt sieht gut aus. B kauft ein Kilo taufrischer Erdbeeren (!), den wir am Abend mit Sahneyoghurt vertilgen. Ein lange entbehrter Genuss. Die immer länger werdenden, klaren blauen Frühlingstage und die ausgedehnte, spektakulär leuchtende Dämmerung sind noch ungewohnt für uns. Der Sommer zieht ein im Süden, und wir sind dabei.
Es ließe sich hier wohl eine Weile aushalten. Aber: Unsere Visa für Brasilien laufen ab. Ein frisches »Wetterfenster« muss her, am besten gleich bis Mar del Plata in Argentinien, gute 500 Seemeilen südwestlich von Rio Grande gelegen. Dafür bräuchten wir zumindest 3 Tage ohne Sturm aus Südwest. Das aber scheint selten zu sein, in dieser Gegend. 30 Stunden Nordwind brächten immerhin die halbe Miete: Sie würden uns zu 200 Seemeilen bis La Paloma in Uruguay verhelfen. Uruguay? Das flache Land der Gauchos? Warum nicht. Wir halten Euch auf dem Laufenden.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Rio Grande do Sul / Brasilien
1 - Segeln kann so schön sein: 300 Seemeilen entlang der brasilianischen Küste nach Porto Belo.

2 - Die gut geschützte Ankerbucht Caixa d’Aço bei Porto Belo, vom hübschen Restaurant »Mirante« aus gesehen. Gegenüber die »Skyline« der Großstadt Itapema.

3 - Bei Eric in der legendären »floating bar«: Auch die berühmten Chandlers waren hier.

4 - Solange das Meer noch warm ist: B entfernt letzte Pocken unterm Heck.

5 - Sonnenuntergang über Itapema.

6 - 400 Seemeilen mit Brassfahrt nach Südwesten: Heißer Ritt nach Rio Grande do Sul.

7 - Die Einfahrt nach Rio Grande do Sul: Steile Steven in Lieblingsfarben.

8 - Die Hafenfront von Rio Grande do Sul am »Lagoa dos Patos« von unserem Ankerplatz aus gesehen: Hemdsärmelig und vielleicht ein bisschen bremerhafenartig.

9 - Rio Grande do Sul: DDR revisited?

10 - Rio Grande do Sul: Vergangene Pracht.

11 - Rio Grande do Sul: Verstaubtes Kleinod in Lindgrün.

12 - Rio Grande do Sul: Lebendiger Handel vor dem leerstehenden, ehemaligen Hauptpostamt, einem seinerzeit sicherlich sehr ambitionierten, modernen Gebäude.

13 - Rio Grande do Sul: Knochiges im »Museu Oceanográfico«.

14 - Rio Grande do Sul: Blick von unserem Ankerplatz auf das herrliche Gelände des »Museu Oceanográfico«.

15 - Von Ilha Grande nach Rio Grande do Sul: Die Rauten zeigen jeweils unsere Mittagsposition.

Der Süden Brasiliens. Wie zuletzt bereits erwähnt, liegen gut 700 Seemeilen, also um die 1.300 Kilometer, zwischen Ilha Grande und Rio Grande do Sul an der Grenze zu Uruguay. Viele Wegstunden, wenn man mit einem Segelboot unterwegs und damit abhängig von günstigen Winden ist. Bis vor wenigen Jahren mussten Seefahrer Wetter und Wind so nehmen, wie sie gerade kamen. Man lief aus, bei günstigem Wind, und hoffte auf Neptuns Gunst. Immerhin gibt es in dieser Gegend einen halbwegs gleichmäßigen Rhythmus wechselnder Winde. Nord- oder Nordostwind wird alle paar Tage von einer Kaltfront unterbrochen, die stürmische Tage mit oftmals starkem Südwind bringen. Unser Weg führt nach Süden. Da ist starker Südwind nicht gefragt. Einige Tage vor dem Auslaufen analysieren wir daher sorgfältig die aktuellen, im Internet vorliegenden Wetterdaten. Ein »Wetterfenster« soll her, mit möglichst nördlichen Winden für zumindest zwei bis drei Tage.
Der erste längere Schlag nach der »Winterpause« in Ilha Grande bringt uns bei herrlichem Wetter in knapp zwei Tagen über 300 Seemeilen von Ilha Anchieta nach Porto Belo. Genauer gesagt in die Caixa d’Aço, eine gut geschützte Ankerbucht bei Porto Belo. Das eher ruhige Fischerdorf liegt ein wenig östlich und gegenüber der wild wuchernden Großstadt Itapema, mit ihrer beeindruckenden Skyline. In der Caixa d’Aço liegt eine in der Szene legendäre »Floating Bar«, die der deutschstämmige Edgar vor Jahrzehnten hier verankert hat. Eine lange Reihe von Blauwasseryachten waren zu Gast, und wurden dafür mit einer von Edgar hübsch gemalten Plakette mit Schiffsnamen und Nationalflagge an der Hauswand der Bar verewigt. Lange her. Heute führt Sohn Eric die Geschäfte, die jetzt, in der Nebensaison, eher schleppend gehen. Einst wünschte sich Eric selbst hinaus, in die weite Welt. Er besitzt sogar ein stäbiges Stahlschiff, die TRYLIM. Vom baldigen Auslaufen ist jedoch keine Rede mehr. Seit vielen Jahren hat ihn der Alkohol fest im Griff. Es geht Eric allerdings noch nicht schlecht genug, um eine Umkehr zu bewirken. Wir sitzen am Tisch Nr. 13 und hören seinem Schnellsprech zu, einer sämigen Mischung aus Portugiesisch, Deutsch und Englisch. Manches hier stimmt uns melancholisch. Edgars Bar war einst ein Leuchtturm einer boomenden Blauwasser Szene, so wie auch der TO-Stützpunkt von Klaus in Angra dos Reis. Hier wie dort haben seinerzeit großartige (und gut dokumentierte) Gelage stattgefunden, mit den abenteuerlustigen Crews von Yachten aus aller Welt, Bergen von Gegrilltem, Kubikmetern von Bier und köstlichen Caipirinhas bis in die sternenklare Nacht. Heutzutage segelt hier kaum mehr jemand. Die Einträge in Erics ehrwürdigem Gästebuch sind alt. Einer der letzten stammt von den bekannten englischen Seglern Rachel und Paul Chandler: April 2015. Der einst gut eingetretene Pfad nach Süden scheint zu überwuchern. Wir rätseln über die Gründe: Ist die ältere Seglergeneration, die über Zeit und Geld verfügt, nicht mehr belastbar genug? Wagt die jüngere Generation keinen Ausstieg mehr auf Zeit, weil dann die vita und damit die Karriere hin ist? Oder ist das Leben vor den Bildschirmen in einer »virtual reality« eventuell doch interessanter?
Das nächste »Wetterfenster« für den 400 Seemeilen Törn von Porto Belo nach Rio Grande do Sul ist knapp bemessen. Zunächst soll alles wie gewohnt ablaufen: Nach dem Durchgang der Kaltfront wird es hart aus NE wehen. Aber leider nur für magere 48 Stunden, bevor eine erneute Störung den vermaledeiten Südwind in Sturmstärke bringt. Wir sollten den Hafen von Rio Grande besser vorher erreichen, zumal dieser in einer versandeten Flussmündung liegt, die bei Sturm aus Süd und auslaufender Tide gefährlich brechende Grundseen auf die Jagd schickt…
Die zweite Nacht auf See: NE gut über 30 Knoten, sieben Beaufort. Genua ausgebaumt, zwei Reffs im Groß. Wir laufen gut. Mit Siebenmeilenstiefeln, oft sogar acht oder neun, oder kurz mal gute zehn. Grobe See, mit hohlen Tälern, die wohl der nach wie vor geringen Wassertiefe geschuldet sind. Knapp 60 Meter hier, flaches Kontinentalschelf, 15 Seemeilen vor der nun ebenfalls flachen, sandigen Küste. In den letzten 24 Stunden haben wir über 200 Seemeilen zurückgelegt. Gedankenlos vorbei an einem riesigen, fremden Land, von dem wir fast nichts wissen. Draußen ist es rabenschwarz, allerdings mit einem spektakulären Meeresleuchten, wie wir es kaum jemals zuvor erlebt haben. Die überall brechenden Seen und Schaumkronen leuchten in einem fahlen Blassgrün, wunderschön, aber gespenstisch irgendwie. Irrlichter überall, eine helle Schleppe im Kielwasser, mit dem heulenden Schleppgenerator als Kometenschweif. Ein schlecht beleuchtetes Fischerboot wäre unter diesen Bedingungen schwer auszumachen. Ein Rundumblick dann und wann, evtl. mit dem alten Herrn Hensoldt, und im Zweifelsfall einen Blick aufs Radar (geht jetzt wieder wie frisch gewaschen), mehr können wir nicht tun. Niemand fischt hier heute Nacht. Wir bleiben allein, in einer surrealen, pitschnassen Welt. Bei Wachwechsel steht eine Halse an. Haarige Angelegenheit. Macht aber Sinn, wenn wir nicht im Morgengrauen an Rio Grande do Sul vorbeipreschen wollen…
Bei Tagesanbruch empfängt uns die mächtige Flussmündung mit schokoladenbraunem Wasser und offenen Armen. Ein kurzes Gewitter, dann ist der Wind weg und die Sonne scheint warm aus einem blitzblank geputzten, stahlblauen Himmel, wie wir ihn lange nicht mehr gesehen haben. Die berüchtigte auslaufende Strömung und der mörderische Seegang mit den brechenden Grundseen haben heute ihren freien Tag. Ohne Probleme läuft die VERA unter Maschine zwischen den beeindruckenden Molenköpfen hindurch in die Einfahrt, und gute 14 Seemeilen den Fluss hinauf, bis vor die Altstadt von Rio Grande do Sul. Auf den schweren, schwarzen Steinen der Hafenmole an Steuerbord sonnt sich eine Horde von Seelöwen und begrüßt uns mit Gebrüll. Die Tropen liegen demnach hinter uns. Auch die traditionell in Holz gebauten Fischerboote, die überall in der Flussmündung ankern oder angeln, sehen anders aus als noch zuletzt in der Gegend um Ilha Grande. Die Farbgebung ist ebenso farbenfroh, aber die sehr hoch gezogenen Steven sind deutlich steiler, beinahe senkrecht, wie bei nordischen Fischerbooten. Vielleicht ein Hinweis auf die Herkunft vieler Familien in dieser Gegend? Rio Grande do Sul ist ein Seehafen mit überregionaler Bedeutung. An Backbord ziehen zyklopengroße Frachtschiffterminals, Trockendocks und Werftbetriebe vorbei. Mächtige Kräne verladen Stückgut oder Container auf Frachtschiffe aus aller Herren Länder, also aus Panama, oder Monrovia. Es bringt Spaß, mit der kleinen VERA dicht an den riesigen Stahlkolossen vorbeizutuckern und über die Maßstäbe des heutigen Welthandel zu staunen. Dort hinten müssen wir das Fahrwasser kreuzen und links abbiegen in den Kanal zum Porto Novo, und dann nochmal links zum Porto Velho. Über diverse »Blauwasserblogs« wissen wir, das wir vor dem »Museu Oceanográfico« willkommen sind, ankern dürfen und mit dem Dinghy anlanden können. Direktor Lauro Barcellos hat ein Herz für Segler. Tatsächlich kommt er gleich mit seinem Motorboot vorbei und lädt uns ein, unentgeltlich am Steg des Museums festzumachen, inklusive Strom und Wasser. Leider ist der Kiel der VERA hierfür zu tief. Man kann eben nicht alles haben. Aber auch der Ankerplatz ist schön. Wir fühlen uns gleich zuhause, zwischen der hemdsärmeligen, bremerhafenartigen Stadtkulisse, einer kleinen, unbewohnten Insel mit Vogelreservat, die Lauro gehört, und dem grünen Museumsgelände. Gen Nordosten reicht der Blick weit hinaus, über die »Lagoa dos Patos« (Ententeich), ein flaches Binnenmeer, über 200km lang. Das erinnert sehr an den Dümmer, an das Steinhuder Meer, oder an die Pötenitzer Wiek. Bei Einbruch der Dunkelheit winkt ein schwer bewaffnete Wachmann vom »Museu« zur Begrüßung herüber, und ein gut gebauter Seelöwe schaut vorbei und schnuffelt an der Bordwand. Zwei eiskalte Bohemia Biere zur Belohnung, dann ab in die Koje. Alles ist gut.
Die nächsten Tage vergehen wie im Flug. Das Einklarieren mit diversen Behördengängen und maximalem Papierkrieg á la Lateinamerika ist Zen: In der Ruhe liegt die Kraft. Einkaufen, Diesel bunkern, 140m Polypropylen Schwimmleine kaufen, Fettiges vertilgen, Café und Kuchen genießen, und manches mehr, sind dann reines Vergnügen. Leere Gasflaschen für drei Monate füllen? Wir fragen den supernetten Vormann des am Steg des Museums liegenden Forschungsschiffes LARUS der Universität von Rio Grande um Rat. Eine Minute später hat er den Gasmann angerufen, der innerhalb von fünf Minuten (!) da ist, und unsere (europäischen) Gasflaschen nebst unseren zum Glück vorhanden Adaptern (EU auf US) einsackt. Er verspricht, morgen um 10.00 wieder da zu sein. Morgen um 09.57: Der Gasmann ist da, mit unseren gut gefüllten 3kg Fläschchen und den Adaptern. Die Kosten: Zu vernachlässigen. »Competência e qualidade« steht auf seinem Blaumann. So soll es sein.
Rio Grande do Sul, eine Stadt, die auf den ersten Blick ihre besten Zeiten hinter sich hat. Prächtige Gründerzeit- und Kolonialbauten sind zumeist im Verfall begriffen, so wie das herrliche Mosaikpflaster auf den Bürgersteigen. Zeitgenössische Zweckbauten mieser Qualität bestimmen das Stadtbild, wie fast überall auf der Welt. Manches erinnert an die letzten Tage der DDR. Allerdings herrscht eine andere Atmosphäre: In der lebendigen Einkaufsmeile wimmelt es von farbenfrohen Läden und gut gelaunten Menschen. Eigentlich gibt es fast alles zu kaufen, ob Elektronik oder Kleidung, und auch der große Supermarkt ist unerwartet opulent bestückt. Kleine, individuelle Betriebe vom Hardwarestore bis zum Sattler scheinen gut zu laufen. Der Fischmarkt bietet Ansehnliches in guter Qualität. Auch der von Gauchos aus dem Hinterland mit Pferdewagen belieferte Obst und Gemüsemarkt sieht gut aus. B kauft ein Kilo taufrischer Erdbeeren (!), den wir am Abend mit Sahneyoghurt vertilgen. Ein lange entbehrter Genuss. Die immer länger werdenden, klaren blauen Frühlingstage und die ausgedehnte, spektakulär leuchtende Dämmerung sind noch ungewohnt für uns. Der Sommer zieht ein im Süden, und wir sind dabei.
Es ließe sich hier wohl eine Weile aushalten. Aber: Unsere Visa für Brasilien laufen ab. Ein frisches »Wetterfenster« muss her, am besten gleich bis Mar del Plata in Argentinien, gute 500 Seemeilen südwestlich von Rio Grande gelegen. Dafür bräuchten wir zumindest 3 Tage ohne Sturm aus Südwest. Das aber scheint selten zu sein, in dieser Gegend. 30 Stunden Nordwind brächten immerhin die halbe Miete: Sie würden uns zu 200 Seemeilen bis La Paloma in Uruguay verhelfen. Uruguay? Das flache Land der Gauchos? Warum nicht. Wir halten Euch auf dem Laufenden.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Rio Grande do Sul / Brasilien
1 - Segeln kann so schön sein: 300 Seemeilen entlang der brasilianischen Küste nach Porto Belo.

2 - Die gut geschützte Ankerbucht Caixa d’Aço bei Porto Belo, vom hübschen Restaurant »Mirante« aus gesehen. Gegenüber die »Skyline« der Großstadt Itapema.

3 - Bei Eric in der legendären »floating bar«: Auch die berühmten Chandlers waren hier.

4 - Solange das Meer noch warm ist: B entfernt letzte Pocken unterm Heck.

5 - Sonnenuntergang über Itapema.

6 - 400 Seemeilen mit Brassfahrt nach Südwesten: Heißer Ritt nach Rio Grande do Sul.

7 - Die Einfahrt nach Rio Grande do Sul: Steile Steven in Lieblingsfarben.

8 - Die Hafenfront von Rio Grande do Sul am »Lagoa dos Patos« von unserem Ankerplatz aus gesehen: Hemdsärmelig und vielleicht ein bisschen bremerhafenartig.

9 - Rio Grande do Sul: DDR revisited?

10 - Rio Grande do Sul: Vergangene Pracht.

11 - Rio Grande do Sul: Verstaubtes Kleinod in Lindgrün.

12 - Rio Grande do Sul: Lebendiger Handel vor dem leerstehenden, ehemaligen Hauptpostamt, einem seinerzeit sicherlich sehr ambitionierten, modernen Gebäude.

13 - Rio Grande do Sul: Knochiges im »Museu Oceanográfico«.

14 - Rio Grande do Sul: Blick von unserem Ankerplatz auf das herrliche Gelände des »Museu Oceanográfico«.

15 - Von Ilha Grande nach Rio Grande do Sul: Die Rauten zeigen jeweils unsere Mittagsposition.

026 - BRASILIEN / PARATY UND ABSCHIED VON ILHA GRANDE
01/11/17 00:00 Brasil
Hallo Ihr Lieben!
»Ilha Grande«, ein Traum für Fahrtensegler: Tausend tropische Inseln, traumhafte Ankerplätze, herrliche Strände, angenehmes Klima, eine grandiose Tierwelt, viel Kultur. Romantische »Floating Bars«, interessante Begegnungen, gute Gespräche, in aller Ruhe. Irgendwann aber kommt der Moment, an dem die Segel hoch müssen. Sehnsucht nach Krängung, nach dem Rauschen der Bugwelle, nach der Ferne. Mark Twain hatte Recht: »Broad, wholesome, charitable views of men and things cannot be acquired by vegetating in one little corner of the earth.« Und: Pläne sind die Versprechungen, die die Phantasie dem Verstand macht. Unser Visum für Brasilien läuft bald ab. 700 Seemeilen sind es nach Rio Grande del Sul an der Grenze nach Uruguay. Zwei längere Törns zu zwei bis drei Tagen sollten uns dorthin bringen.
Der Abschied: Kurs Südwest, mit frischem Rückenwind, acht Knoten unter Groß und ausgebaumter Genua. Zurück im Sattel. Das fühlt sich gut an. Das kurze Wetterfenster mit brauchbarem Nordostwind bringt uns problemlos nach »Ilha Anchieta«, 50sm südwestlich von unserem letzten Ankerplatz am Eingang zum »Saco de Mamangua«. Von »Ilha Anchieta« aus planen wir nach dem Durchgang einer Front mit starkem Südwind Kurs auf Porto Belo zu nehmen, das ungefähr auf halber Strecke nach Rio Grande del Sul liegt…
Die vergangenen Wochen in der Gegend um »Ilha Grande« waren geprägt von weiteren notwendigen und teilweise mühsamen Arbeiten am Boot, und einer üblen Magen Darm Grippe, die uns beide traf, Zeit kostete, und gedrückte Stimmung verursachte. Dazu kamen unerwartete Defekte, die tagelange, zusätzliche Arbeit bedeuteten: Die Anzeige für den Öldruck der Hauptmaschine zuckt und zeigt bei höheren Drehzahlen abartigen Öldruck gegen unendlich. Die langwierige Fehlersuche lässt auf einen defekten Öldrucksensor schließen. Ein guter Freund und Blauwassersegler wird uns nun ein Ersatzteil nach Mar del Plata mitbringen. Gleich darauf fiel dann auch noch das Radargerät (NAVICO BROADBAND) aus. Das wäre zu verschmerzen, solange wir nirgendwo auf schlechte Sicht treffen. Das Gerät ist noch beinahe neu und so interessiert es uns dann doch, wo das Problem liegt. Nacheinander prüfen wir Stromversorgung, Plotter (Anzeigegerät), Anschlussbox und das Anschlusskabel bis zur Antenne. Alles ohne Befund. Erst als wir im Rigg das Radom zerlegen, finden wir den Ansatz einer Erklärung. Alles schwimmt darin. Motor, Anschlüsse und Elektronik liegen trotz Gummidichtung tief unter Wasser. Regenwasser, Gott sei Dank. Mit wenig Hoffnung auf Erfolg zerlegen wir das komplizierte Gerät in seine Einzelteile, reinigen Kontakte und diverse Platinen, sprühen Kontaktspray und trocknen alles in der Sonne. Der Probelauf am Abend bringt das Wunder: Das Hightech Radar läuft wieder ohne Probleme, so wie im Prospekt versprochen. Die schlecht konstruierte Gummidichtung hat jetzt eine zusätzlichen Verteidigungswall aus Klebeband. Der sollte helfen.
Zur Belohnung unternehmen wir daraufhin einen beeindruckenden Ausflug nach Paraty, dem einmaligen Kleinod für Touristen in dieser Gegend. B und ich nähern uns dem ehrwürdigen Ort, wie es sich gehört: Vom Wasser aus. Die Bucht vor dem Hafen ist recht flach und so lassen wir die VERA eine Meile weiter draussen liegen, zwischen einheimischen Ankerliegern vor der »Marina Engenho«. BOUNCE, unser Beiboot bringt uns dann rasch, auf spiegelglattem Wasser fliegend, hinüber zum alten Hafen und in die Stadt. Wie von Marcel und Joanna versprochen, findet sich dort ein Laternenpfahl an der alten Pier, an dem wir BOUNCE halbwegs sicher vor Dieben zurücklassen können. Schon die ersten Schritte auf die herrliche, alte Stadt zu erweisen sich als Genuss. Paraty in seiner heutigen Form, entstand zum überwiegenden Teil im 17. Jahrhundert. Charakteristisch sind die prächtigen Kirchen, die weiß getünchten Häuser mit bunten Fenster- und Türeinfassungen und das grobe, original erhaltene Kopfsteinpflaster, das bei Springtide knöcheltief überspült wird. Die historische Altstadt steht seit 1958 unter Denkmalschutz und ist für den Autoverkehr gesperrt. Über Paraty (u.a. der Geburtsort der Mutter von Thomas Mann) gäbe es unendlich vieles zu erzählen. Ich (M) werde es in diesem Fall mit Rousseau halten: »Freiheit ist nicht, dass man tun kann, was man will, sondern, dass man nicht tun muss, was man nicht will.« Wer wirklich mehr erfahren will, der sollte bei Joanna von der SY CHULUGI nachlesen, die ein sehr schönes und sorgfältig recherchiertes Portrait über Paraty erarbeitet hat.
Noch etwas? Klar: BOUNCE haben wir nach dem berühmten Hund von Admiral Cuthbert Collingwood benannt. »My dog is a charming creature. Everybody admires him. He is grown as tall as the table I am writing on.«
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Ilha da Cotia / Rio de Janeiro / Brasilien
1 - Zurück im Sattel: Mit acht Knoten vor dem Wind, unter repariertem Groß und einer taufrischen Genua.

2 - Zwei gute Monate in der Gegend um »Ilha Grande«.

3 - Mit neugewonnenen brasilianischen Freunden in »Bacana‘s Bar«.

4 - Fedriger Besuch an Bord.

5 - »Mangues«: Ein flauschiges Marmoset Äffchen.

6 - »Mangues«: B beim Bouldern.

7 - Das teure Radargerät mit offenem Herzen.

8 - Eine der beiden großen Lewmar Genuawinschen während der anstehenden Wartung.

9 - Spleiße und Näharbeiten für den tiefen Süden.

10 - BOUNCE bringt uns über die Lagune nach Paraty.

11 - Paraty: Noch heute eine Idylle ohne Autos.

12 - Paraty: Endlich mal wieder Cafe und Kuchen.

13 - Hübscher Geldschein mit Jaguar.

14 - B in Paraty.

15 - Traumauto in Lieblingsfarbe.

»Ilha Grande«, ein Traum für Fahrtensegler: Tausend tropische Inseln, traumhafte Ankerplätze, herrliche Strände, angenehmes Klima, eine grandiose Tierwelt, viel Kultur. Romantische »Floating Bars«, interessante Begegnungen, gute Gespräche, in aller Ruhe. Irgendwann aber kommt der Moment, an dem die Segel hoch müssen. Sehnsucht nach Krängung, nach dem Rauschen der Bugwelle, nach der Ferne. Mark Twain hatte Recht: »Broad, wholesome, charitable views of men and things cannot be acquired by vegetating in one little corner of the earth.« Und: Pläne sind die Versprechungen, die die Phantasie dem Verstand macht. Unser Visum für Brasilien läuft bald ab. 700 Seemeilen sind es nach Rio Grande del Sul an der Grenze nach Uruguay. Zwei längere Törns zu zwei bis drei Tagen sollten uns dorthin bringen.
Der Abschied: Kurs Südwest, mit frischem Rückenwind, acht Knoten unter Groß und ausgebaumter Genua. Zurück im Sattel. Das fühlt sich gut an. Das kurze Wetterfenster mit brauchbarem Nordostwind bringt uns problemlos nach »Ilha Anchieta«, 50sm südwestlich von unserem letzten Ankerplatz am Eingang zum »Saco de Mamangua«. Von »Ilha Anchieta« aus planen wir nach dem Durchgang einer Front mit starkem Südwind Kurs auf Porto Belo zu nehmen, das ungefähr auf halber Strecke nach Rio Grande del Sul liegt…
Die vergangenen Wochen in der Gegend um »Ilha Grande« waren geprägt von weiteren notwendigen und teilweise mühsamen Arbeiten am Boot, und einer üblen Magen Darm Grippe, die uns beide traf, Zeit kostete, und gedrückte Stimmung verursachte. Dazu kamen unerwartete Defekte, die tagelange, zusätzliche Arbeit bedeuteten: Die Anzeige für den Öldruck der Hauptmaschine zuckt und zeigt bei höheren Drehzahlen abartigen Öldruck gegen unendlich. Die langwierige Fehlersuche lässt auf einen defekten Öldrucksensor schließen. Ein guter Freund und Blauwassersegler wird uns nun ein Ersatzteil nach Mar del Plata mitbringen. Gleich darauf fiel dann auch noch das Radargerät (NAVICO BROADBAND) aus. Das wäre zu verschmerzen, solange wir nirgendwo auf schlechte Sicht treffen. Das Gerät ist noch beinahe neu und so interessiert es uns dann doch, wo das Problem liegt. Nacheinander prüfen wir Stromversorgung, Plotter (Anzeigegerät), Anschlussbox und das Anschlusskabel bis zur Antenne. Alles ohne Befund. Erst als wir im Rigg das Radom zerlegen, finden wir den Ansatz einer Erklärung. Alles schwimmt darin. Motor, Anschlüsse und Elektronik liegen trotz Gummidichtung tief unter Wasser. Regenwasser, Gott sei Dank. Mit wenig Hoffnung auf Erfolg zerlegen wir das komplizierte Gerät in seine Einzelteile, reinigen Kontakte und diverse Platinen, sprühen Kontaktspray und trocknen alles in der Sonne. Der Probelauf am Abend bringt das Wunder: Das Hightech Radar läuft wieder ohne Probleme, so wie im Prospekt versprochen. Die schlecht konstruierte Gummidichtung hat jetzt eine zusätzlichen Verteidigungswall aus Klebeband. Der sollte helfen.
Zur Belohnung unternehmen wir daraufhin einen beeindruckenden Ausflug nach Paraty, dem einmaligen Kleinod für Touristen in dieser Gegend. B und ich nähern uns dem ehrwürdigen Ort, wie es sich gehört: Vom Wasser aus. Die Bucht vor dem Hafen ist recht flach und so lassen wir die VERA eine Meile weiter draussen liegen, zwischen einheimischen Ankerliegern vor der »Marina Engenho«. BOUNCE, unser Beiboot bringt uns dann rasch, auf spiegelglattem Wasser fliegend, hinüber zum alten Hafen und in die Stadt. Wie von Marcel und Joanna versprochen, findet sich dort ein Laternenpfahl an der alten Pier, an dem wir BOUNCE halbwegs sicher vor Dieben zurücklassen können. Schon die ersten Schritte auf die herrliche, alte Stadt zu erweisen sich als Genuss. Paraty in seiner heutigen Form, entstand zum überwiegenden Teil im 17. Jahrhundert. Charakteristisch sind die prächtigen Kirchen, die weiß getünchten Häuser mit bunten Fenster- und Türeinfassungen und das grobe, original erhaltene Kopfsteinpflaster, das bei Springtide knöcheltief überspült wird. Die historische Altstadt steht seit 1958 unter Denkmalschutz und ist für den Autoverkehr gesperrt. Über Paraty (u.a. der Geburtsort der Mutter von Thomas Mann) gäbe es unendlich vieles zu erzählen. Ich (M) werde es in diesem Fall mit Rousseau halten: »Freiheit ist nicht, dass man tun kann, was man will, sondern, dass man nicht tun muss, was man nicht will.« Wer wirklich mehr erfahren will, der sollte bei Joanna von der SY CHULUGI nachlesen, die ein sehr schönes und sorgfältig recherchiertes Portrait über Paraty erarbeitet hat.
Noch etwas? Klar: BOUNCE haben wir nach dem berühmten Hund von Admiral Cuthbert Collingwood benannt. »My dog is a charming creature. Everybody admires him. He is grown as tall as the table I am writing on.«
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Ilha da Cotia / Rio de Janeiro / Brasilien
1 - Zurück im Sattel: Mit acht Knoten vor dem Wind, unter repariertem Groß und einer taufrischen Genua.

2 - Zwei gute Monate in der Gegend um »Ilha Grande«.

3 - Mit neugewonnenen brasilianischen Freunden in »Bacana‘s Bar«.

4 - Fedriger Besuch an Bord.

5 - »Mangues«: Ein flauschiges Marmoset Äffchen.

6 - »Mangues«: B beim Bouldern.

7 - Das teure Radargerät mit offenem Herzen.

8 - Eine der beiden großen Lewmar Genuawinschen während der anstehenden Wartung.

9 - Spleiße und Näharbeiten für den tiefen Süden.

10 - BOUNCE bringt uns über die Lagune nach Paraty.

11 - Paraty: Noch heute eine Idylle ohne Autos.

12 - Paraty: Endlich mal wieder Cafe und Kuchen.

13 - Hübscher Geldschein mit Jaguar.

14 - B in Paraty.

15 - Traumauto in Lieblingsfarbe.

025 - BRASILIEN / ILHA GRANDE: DAS FRÜHJAHR RÜCKT NÄHER
08/10/17 00:00 Brasil
Hallo Ihr Lieben!
Unser Erholungsurlaub in der Inselwelt von Ilha Grande neigt sich dem Ende zu. Leider. Es ist wunderschön hier, unter Palmen, Fregattvögeln, Brüllaffen und freundlichen »Locals«. An die herrlich friedlichen Ankerplätze, die frischen Kokosnüsse und Bacana‘s köstliche Pastéis de Camarão haben wir uns auch gewöhnt. Dennoch: Der Frühling naht. Wir wollen bald weiter, Süd machen, möglichst ohne Zeitdruck.
Bevor wir unter Segel gehen sind allerdings ein paar Kleinigkeiten zu erledigen. Ein gründlicher Riggcheck steht an. 16 Winschen lechzen nach Fett, nachdem sie wochenlang im Salzwasser gebadet haben. Pickliger Chrom und rostiger Edelstahl wollen poliert werden. Das eingerissene Großsegel der VERA muss zum Segelmacher. Aber welchem? Beinahe jeder der hilfsbereiten Brasilianer an den Ankerplätzen hat einen anderen Tip. Letztlich wählen wir den bequemen Weg: Joanna und Marcel haben für ihre CHULUGI derzeit einen privaten Liegeplatz in Bracuhy gemietet. Ein gut gemachter Schwimmsteg liegt da vor einem hübschen Baugrundstück an einem langen, gewundenen Kanal, an dem hunderte von Villen stehen, die meisten mit Steg und Yacht davor. Schräg gegenüber sitzt die gut beleumundete Firma TLALOC, die Segelmachermeister Dalmo vor 20 Jahren gegründet hat ( https://tlaloc.site/category/produtos-para-veleiros/ ). Die Wirtschaftskrise hat sein Betrieb gut überstanden. In der Marina Bracuhy und im gesamten Gebiet der Ilha Grande liegen tausende von Yachten in allen Größen, die alle sehr wohlhabenden Brasilianern gehören, und alle benötigen sie Segel, Persenninge, Biminidächer, Sprayhoods, Cockpitpolster und Schonbezüge aller Art, oder Reparaturen an denselben. Dalmo ist nicht billig, wie man uns erklärt, aber der beste weit und breit.
B und ich verankern die VERA draußen, vor der Einfahrt nach Bracuhy und schlagen die Segel ab. Das klingt leicht, ist aber stundenlange, schwere Arbeit für uns zwei. Im Großsegel finden wir drei gebrochene, glasfaserpieksige GFK Latten. Einige der Mastrutscher laufen auf zerbröselten Kugeln. Zum Glück haben wir für alles Ersatz an Bord. Unsere alte, unzerstörbare Genua, den »Neunmalverfluchten Sack«, wollen wir nach 17 Jahren und 50.000sm beerdigen. Dalmo wird das Material verwenden, um das Großsegel großflächig zu verstärken. Der »Neunmalverfluchten Sack« wiegt gefühlte 100kg, das Groß beinahe noch mal so viel. Mit beiden Segeln beladen liegt BOUNCE, unser kleines Gummiboot, sehr tief im Wasser, aber wir schaffen es schwimmend bis an Dalmo‘s Anleger, tief drinnen im Kanal. Bald darauf liegen die Segel ausgebreitet auf Dalmo’s Schnürboden, zur eingehenden Analyse: Wir finden noch ein paar weitere, kleine Probleme im Großsegel, aber nach den entsprechenden Näharbeiten sollte es wieder voll belastbar sein. Der »Neunmalverfluchte Sack« ist ein anderes Thema. Dalmo will ihn nicht zerschneiden. Gerade im Vorliek und in der Mitte sieht das unzerstörbare Hydranetmaterial noch beinahe neu aus. Da trifft es sich, das Joanna und Marcel auch da sind, mit ihrem ebenfalls reparaturbedürftigen Großsegel. Dalmo sagt, das CHULUGI‘s altes Dacron Groß zu porös zum reparieren ist. Er kann aber aus dem »Neunmalverfluchten Sack« ein neues, unzerstörbares Großsegel für die CHULUGI bauen, zu einem guten Preis. Joanna und Marcel schlagen ein, und übernehmen dafür fairerweise auch unsere Reparaturrechnung. Ein guter Ausgang für uns, und der Freispruch für den »Neunmalverfluchten Sack«, der nun weiterhin auf große Fahrt darf.
Wir feiern das mit Joanna und Marcel mit einer herrlichen Grillparty auf der Wiese am Liegeplatz der CHULUGI. Vom hier aus hat man einen wunderbaren Blick den Kanal von Bracuhy hinunter. Überall Villen mit eigenem Anleger. Luxus pur, wenn man von dem Umstand absieht, das alle Häuser hier in »gated communities« stehen, also in Gruppen umzäunt und von Sicherheitsdiensten bewacht. Auch Dalmo hat uns eindringlich davor gewarnt, das abgezäunte Gelände zu verlassen… viel zu gefährlich. Gestalterisch sind die meisten Bauten von fragwürdigen Qualität, aber das wäre in D auch so. Architektur ist das hier alles nicht. Aber andererseits: Am Wasser leben, nach dem Job am Boot werkeln, an den Wochenenden und in den Ferien segeln gehen? Ein Jugendtraum. Wir reden über ein Haus hier, an diesem Platz. Wie müsste es aussehen? Das Thema Architektur liegt hinter mir. Dennoch steige ich ein, vielleicht ein wenig dogmatisch. Ist Architektur Dienstleistung? Ist der Architekt ein Dienstleister, dem man sagt, wie man sein Haus haben will? Ich kann das so nicht sehen. Ist Architektur also Kunst? Was ist Kunst? Für mich ist der Kunstbegriff mit Bedeutung überfrachtet. Ich sehe sie gleichrangig mit anderen Phänomenen, in denen Qualität eine Rolle spielt. Was ist Qualität? Noch mal bei Pirsig nachlesen… Am Ende bin ich froh, den Traum vom Haus mit eigenem Anleger zurückzulassen. Enge Bindungen geben Halt, aber sie nehmen die Freiheit.
Apropos Freiheit: Bezüglich unserer bevorstehenden Weiterreise gen Süden hat sich kurzfristig und unerwartet ein Problem ergeben. Die Kaskoversicherung der VERA gilt nur im zuvor vereinbarten Fahrtgebiet und ist preislich nach Risiko gestaffelt. Demgemäß nehmen wir jeweils vor der Abreise in ein anderes Segelrevier Kontakt zu unserer Versicherungsagentur PANTAENIUS auf, um unser Fahrtgebiet anzupassen. Hier in Brasilien stellt sich nun heraus, das PANTAENIUS die Möglichkeit, Reisen nach Patagonien zu versichern, kurzfristig aus dem Angebot genommen hat. Es soll da einige teure Schadensfälle unterhalb von 50 Grad Süd gegeben haben… Was nun? Unversichert um Kap Hoorn? Das wäre gewagt. Gibt es noch andere Möglichkeiten? Marcel hat einen wertvollen Tip: Eine österreichische Versicherungsagentur, die Patagonien noch im Programm hat. Bald darauf telefoniert B ausgiebig per »skype« mit der netten Sachbearbeiterin der Agentur Hackspiel. Es stimmt. Patagonien ist bei ihnen mit drin. Und dazu versichert Hackspiel auch noch zu wesentlich günstigeren Konditionen. Vielleicht weil dort, in den Tälern und in den Bergen, die Welt noch in Ordnung ist? Egal. Neben dem Antrag und einer Mitgliedschaft im österreichischen Segler Verband benötigen wir allerdings eine aktuelle Werttaxierung für die VERA. Hier in Brasilien? Nach einiger Recherche im Internet finden wir in Bremen ein renommiertes Büro für Yachtgutachten. Nach Vorlage einer detaillierten Schiffsbeschreibung und einer aktuellen Photodokumentation kann das Büro Weise eine überschlägige Werttaxierung vornehmen, die den Ansprüchen der österreichischen Versicherung genügen sollte. In einigen harten Bürotagen in Sítio Forte erarbeiten wir uns alle benötigten Unterlagen und schicken sie per e-mail los. Wenn alles gut geht, sollten wir nun bald eine neue, österreichische Kasko Versicherung für die VERA abgeschlossen haben, die auch in Patagonien gilt. Wünscht uns Glück.
Durch die Büroarbeit bleibt vieles liegen. »Mindfullnes«? »Auszoomen«? Gymnastik? An der Beweglichkeit, oder an der Haltung arbeiten? Rundrücken begradigen? Gitarre spielen? Spanisch lernen? Roman schreiben? Geht alles irgendwie nie. »Flow« Erlebnisse schafft die Arbeit an den Bildschirmen auch eher nicht. Dafür braucht es kontemplativeres, etwas manuelles, etwas haptisches: Die Fugen des Teakdecks auf dem Brückendeck haben in den letzten Jahren gelitten und müssten erneuert werden. In der Bilge der VERA lagern seit längerem sechs teure Kartuschen TDS Fugenmasse hierfür, die mit der Zeit nicht frischer werden. Also los: Mit einem scharfen »Cutter« die alten Gummifugen links und rechts einschneiden. Gummifuge mit einem kleinen Schraubenzieher herausprokeln. Fuge mit schmalem Stemmeisen und Schleifpapier sorgfältig säubern, ggf. tiefer legen, aber nach Möglichkeit nicht verbreitern. Schmales »Tape« auf dem Boden der Fuge verlegen. Die neue Fugenmasse soll nur an den Flanken haften. Fugen sorgfältig abkleben. Fugen mit Fugenmasse aus der Kartusche auffüllen. Trocknen lassen. Tape abziehen. Überständiges Material mit dem »Cutter« bündig schneiden. Ggf. alles leicht mit 80er Schleifpapier überarbeiten. Vier Quadratmeter Brückendeck in vielen Tagen, mit krummem Rücken und Pickeln an den Knien. Gut das Bacana auch erstklassige Caipirinhas serviert.
Sonst noch etwas? Aber klar: Zerhackerpumpen hassen lange Mangofasern. Was das genau bedeutet, erkläre ich (M) Euch an dieser Stelle nicht.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Sítio Forte / Ilha Grande / Brasilien
1 - Der kleine, aber nicht unproblematische Riss im Großsegel der VERA, oberhalb des ersten Reffpunktes.

2 - Die CHULUGI an ihrem privaten Anleger in Bracuhy

3 - Beim Segelmacher in Bracuhy: CHULUGI‘s altes Großsegel auf dem »Neunmalverfluchten Sack«. Mitte: Marcel. Links: Dalmo.

4 - Ein Klassiker von S&S in Bracuhy: Swan 55/003 SEA WIFE, ex PLUFT, Indienststellung 1970. (PLUFT: Der freundliche Geist aus einem brasilianischen Kindertheaterstück von 1955). Näheres unter: https://classicswan.org/upload/articles_swan/2016_10_18_22_49_23-1970_yachting.pdf

5 - Bracuhy aus dem Orbit. Rot: CHULUGI‘s Liegeplatz. Türkis: Dalmo‘s Segelmacherei. Gelb: Liegeplatz der SEA WIFE. Hellblau: Ankerplatz der VERA.

6 - Ihr habt Euch schon immer gefragt, wie wir so wohnen, an Bord der VERA? Hier der (gewohnte) Blick in den Salon:

7 - Und hier einmal aufgeräumt (nur für das Photo).

8 - Unsere Küche. Abwasch ist gemacht.

9 - Die gemütliche Kabine mit der verbreiterten Koje. Links geht es ins Bad.

10 - Ruhe und Kontemplation 1.

11 - Ruhe und Kontemplation 2.

Unser Erholungsurlaub in der Inselwelt von Ilha Grande neigt sich dem Ende zu. Leider. Es ist wunderschön hier, unter Palmen, Fregattvögeln, Brüllaffen und freundlichen »Locals«. An die herrlich friedlichen Ankerplätze, die frischen Kokosnüsse und Bacana‘s köstliche Pastéis de Camarão haben wir uns auch gewöhnt. Dennoch: Der Frühling naht. Wir wollen bald weiter, Süd machen, möglichst ohne Zeitdruck.
Bevor wir unter Segel gehen sind allerdings ein paar Kleinigkeiten zu erledigen. Ein gründlicher Riggcheck steht an. 16 Winschen lechzen nach Fett, nachdem sie wochenlang im Salzwasser gebadet haben. Pickliger Chrom und rostiger Edelstahl wollen poliert werden. Das eingerissene Großsegel der VERA muss zum Segelmacher. Aber welchem? Beinahe jeder der hilfsbereiten Brasilianer an den Ankerplätzen hat einen anderen Tip. Letztlich wählen wir den bequemen Weg: Joanna und Marcel haben für ihre CHULUGI derzeit einen privaten Liegeplatz in Bracuhy gemietet. Ein gut gemachter Schwimmsteg liegt da vor einem hübschen Baugrundstück an einem langen, gewundenen Kanal, an dem hunderte von Villen stehen, die meisten mit Steg und Yacht davor. Schräg gegenüber sitzt die gut beleumundete Firma TLALOC, die Segelmachermeister Dalmo vor 20 Jahren gegründet hat ( https://tlaloc.site/category/produtos-para-veleiros/ ). Die Wirtschaftskrise hat sein Betrieb gut überstanden. In der Marina Bracuhy und im gesamten Gebiet der Ilha Grande liegen tausende von Yachten in allen Größen, die alle sehr wohlhabenden Brasilianern gehören, und alle benötigen sie Segel, Persenninge, Biminidächer, Sprayhoods, Cockpitpolster und Schonbezüge aller Art, oder Reparaturen an denselben. Dalmo ist nicht billig, wie man uns erklärt, aber der beste weit und breit.
B und ich verankern die VERA draußen, vor der Einfahrt nach Bracuhy und schlagen die Segel ab. Das klingt leicht, ist aber stundenlange, schwere Arbeit für uns zwei. Im Großsegel finden wir drei gebrochene, glasfaserpieksige GFK Latten. Einige der Mastrutscher laufen auf zerbröselten Kugeln. Zum Glück haben wir für alles Ersatz an Bord. Unsere alte, unzerstörbare Genua, den »Neunmalverfluchten Sack«, wollen wir nach 17 Jahren und 50.000sm beerdigen. Dalmo wird das Material verwenden, um das Großsegel großflächig zu verstärken. Der »Neunmalverfluchten Sack« wiegt gefühlte 100kg, das Groß beinahe noch mal so viel. Mit beiden Segeln beladen liegt BOUNCE, unser kleines Gummiboot, sehr tief im Wasser, aber wir schaffen es schwimmend bis an Dalmo‘s Anleger, tief drinnen im Kanal. Bald darauf liegen die Segel ausgebreitet auf Dalmo’s Schnürboden, zur eingehenden Analyse: Wir finden noch ein paar weitere, kleine Probleme im Großsegel, aber nach den entsprechenden Näharbeiten sollte es wieder voll belastbar sein. Der »Neunmalverfluchte Sack« ist ein anderes Thema. Dalmo will ihn nicht zerschneiden. Gerade im Vorliek und in der Mitte sieht das unzerstörbare Hydranetmaterial noch beinahe neu aus. Da trifft es sich, das Joanna und Marcel auch da sind, mit ihrem ebenfalls reparaturbedürftigen Großsegel. Dalmo sagt, das CHULUGI‘s altes Dacron Groß zu porös zum reparieren ist. Er kann aber aus dem »Neunmalverfluchten Sack« ein neues, unzerstörbares Großsegel für die CHULUGI bauen, zu einem guten Preis. Joanna und Marcel schlagen ein, und übernehmen dafür fairerweise auch unsere Reparaturrechnung. Ein guter Ausgang für uns, und der Freispruch für den »Neunmalverfluchten Sack«, der nun weiterhin auf große Fahrt darf.
Wir feiern das mit Joanna und Marcel mit einer herrlichen Grillparty auf der Wiese am Liegeplatz der CHULUGI. Vom hier aus hat man einen wunderbaren Blick den Kanal von Bracuhy hinunter. Überall Villen mit eigenem Anleger. Luxus pur, wenn man von dem Umstand absieht, das alle Häuser hier in »gated communities« stehen, also in Gruppen umzäunt und von Sicherheitsdiensten bewacht. Auch Dalmo hat uns eindringlich davor gewarnt, das abgezäunte Gelände zu verlassen… viel zu gefährlich. Gestalterisch sind die meisten Bauten von fragwürdigen Qualität, aber das wäre in D auch so. Architektur ist das hier alles nicht. Aber andererseits: Am Wasser leben, nach dem Job am Boot werkeln, an den Wochenenden und in den Ferien segeln gehen? Ein Jugendtraum. Wir reden über ein Haus hier, an diesem Platz. Wie müsste es aussehen? Das Thema Architektur liegt hinter mir. Dennoch steige ich ein, vielleicht ein wenig dogmatisch. Ist Architektur Dienstleistung? Ist der Architekt ein Dienstleister, dem man sagt, wie man sein Haus haben will? Ich kann das so nicht sehen. Ist Architektur also Kunst? Was ist Kunst? Für mich ist der Kunstbegriff mit Bedeutung überfrachtet. Ich sehe sie gleichrangig mit anderen Phänomenen, in denen Qualität eine Rolle spielt. Was ist Qualität? Noch mal bei Pirsig nachlesen… Am Ende bin ich froh, den Traum vom Haus mit eigenem Anleger zurückzulassen. Enge Bindungen geben Halt, aber sie nehmen die Freiheit.
Apropos Freiheit: Bezüglich unserer bevorstehenden Weiterreise gen Süden hat sich kurzfristig und unerwartet ein Problem ergeben. Die Kaskoversicherung der VERA gilt nur im zuvor vereinbarten Fahrtgebiet und ist preislich nach Risiko gestaffelt. Demgemäß nehmen wir jeweils vor der Abreise in ein anderes Segelrevier Kontakt zu unserer Versicherungsagentur PANTAENIUS auf, um unser Fahrtgebiet anzupassen. Hier in Brasilien stellt sich nun heraus, das PANTAENIUS die Möglichkeit, Reisen nach Patagonien zu versichern, kurzfristig aus dem Angebot genommen hat. Es soll da einige teure Schadensfälle unterhalb von 50 Grad Süd gegeben haben… Was nun? Unversichert um Kap Hoorn? Das wäre gewagt. Gibt es noch andere Möglichkeiten? Marcel hat einen wertvollen Tip: Eine österreichische Versicherungsagentur, die Patagonien noch im Programm hat. Bald darauf telefoniert B ausgiebig per »skype« mit der netten Sachbearbeiterin der Agentur Hackspiel. Es stimmt. Patagonien ist bei ihnen mit drin. Und dazu versichert Hackspiel auch noch zu wesentlich günstigeren Konditionen. Vielleicht weil dort, in den Tälern und in den Bergen, die Welt noch in Ordnung ist? Egal. Neben dem Antrag und einer Mitgliedschaft im österreichischen Segler Verband benötigen wir allerdings eine aktuelle Werttaxierung für die VERA. Hier in Brasilien? Nach einiger Recherche im Internet finden wir in Bremen ein renommiertes Büro für Yachtgutachten. Nach Vorlage einer detaillierten Schiffsbeschreibung und einer aktuellen Photodokumentation kann das Büro Weise eine überschlägige Werttaxierung vornehmen, die den Ansprüchen der österreichischen Versicherung genügen sollte. In einigen harten Bürotagen in Sítio Forte erarbeiten wir uns alle benötigten Unterlagen und schicken sie per e-mail los. Wenn alles gut geht, sollten wir nun bald eine neue, österreichische Kasko Versicherung für die VERA abgeschlossen haben, die auch in Patagonien gilt. Wünscht uns Glück.
Durch die Büroarbeit bleibt vieles liegen. »Mindfullnes«? »Auszoomen«? Gymnastik? An der Beweglichkeit, oder an der Haltung arbeiten? Rundrücken begradigen? Gitarre spielen? Spanisch lernen? Roman schreiben? Geht alles irgendwie nie. »Flow« Erlebnisse schafft die Arbeit an den Bildschirmen auch eher nicht. Dafür braucht es kontemplativeres, etwas manuelles, etwas haptisches: Die Fugen des Teakdecks auf dem Brückendeck haben in den letzten Jahren gelitten und müssten erneuert werden. In der Bilge der VERA lagern seit längerem sechs teure Kartuschen TDS Fugenmasse hierfür, die mit der Zeit nicht frischer werden. Also los: Mit einem scharfen »Cutter« die alten Gummifugen links und rechts einschneiden. Gummifuge mit einem kleinen Schraubenzieher herausprokeln. Fuge mit schmalem Stemmeisen und Schleifpapier sorgfältig säubern, ggf. tiefer legen, aber nach Möglichkeit nicht verbreitern. Schmales »Tape« auf dem Boden der Fuge verlegen. Die neue Fugenmasse soll nur an den Flanken haften. Fugen sorgfältig abkleben. Fugen mit Fugenmasse aus der Kartusche auffüllen. Trocknen lassen. Tape abziehen. Überständiges Material mit dem »Cutter« bündig schneiden. Ggf. alles leicht mit 80er Schleifpapier überarbeiten. Vier Quadratmeter Brückendeck in vielen Tagen, mit krummem Rücken und Pickeln an den Knien. Gut das Bacana auch erstklassige Caipirinhas serviert.
Sonst noch etwas? Aber klar: Zerhackerpumpen hassen lange Mangofasern. Was das genau bedeutet, erkläre ich (M) Euch an dieser Stelle nicht.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Sítio Forte / Ilha Grande / Brasilien
1 - Der kleine, aber nicht unproblematische Riss im Großsegel der VERA, oberhalb des ersten Reffpunktes.

2 - Die CHULUGI an ihrem privaten Anleger in Bracuhy

3 - Beim Segelmacher in Bracuhy: CHULUGI‘s altes Großsegel auf dem »Neunmalverfluchten Sack«. Mitte: Marcel. Links: Dalmo.

4 - Ein Klassiker von S&S in Bracuhy: Swan 55/003 SEA WIFE, ex PLUFT, Indienststellung 1970. (PLUFT: Der freundliche Geist aus einem brasilianischen Kindertheaterstück von 1955). Näheres unter: https://classicswan.org/upload/articles_swan/2016_10_18_22_49_23-1970_yachting.pdf

5 - Bracuhy aus dem Orbit. Rot: CHULUGI‘s Liegeplatz. Türkis: Dalmo‘s Segelmacherei. Gelb: Liegeplatz der SEA WIFE. Hellblau: Ankerplatz der VERA.

6 - Ihr habt Euch schon immer gefragt, wie wir so wohnen, an Bord der VERA? Hier der (gewohnte) Blick in den Salon:

7 - Und hier einmal aufgeräumt (nur für das Photo).

8 - Unsere Küche. Abwasch ist gemacht.

9 - Die gemütliche Kabine mit der verbreiterten Koje. Links geht es ins Bad.

10 - Ruhe und Kontemplation 1.

11 - Ruhe und Kontemplation 2.

024 - BRASILIEN / ILHA GRANDE
14/09/17 00:00 Brasil
Hallo Ihr Lieben!
Wie beschrieben hatten wir uns entschlossen, ein wenig im tropischen Brasiliens zu tarieren, ein wenig Erholung suchen, vom zurückliegenden Törn von Cabo Verde über den Äquator hierher, ein paar Kleinigkeiten an Bord reparieren. Stress mit der Bürokratie, oder der Kriminalität in den größeren Städten wollen wir vermeiden. So zog es uns in das Traumrevier Brasiliens, in die großen Bucht der tausend Inseln zwischen São Paulo und Rio de Janeiro, nach Ilha Grande. Und für diese Entscheidung werden wir nun belohnt. Brasilien im besten Licht. Das dies nicht das ganze, das echte Brasilien ist, sondern nur eine, wenn auch traumhaft schöne, Kulisse in den unter Naturschutz stehenden Resten des ehemals mächtigen atlantischen Regenwaldes ist uns klar. Ilha Grande lässt sich mit der Gegend um Oberammergau vergleichen. Landschaftlich und klimatisch gibt es Parallelen, gerade jetzt, im Südwinter. Bergseen, Bergpanorama, dichter Wald, kühle, klare Luft, der Morgentau pitschnass. Sonnige, nicht zu warme Tage. Des Nachts die gute Daunendecke. Die zahllosen, herrlichen Ankerplätze gehören unter der Woche uns allein. Nur am Wochenende gesellen sich ein paar brasilianische Boote dazu. Im Sommer, in der Ferienzeit, soll hier die Hölle los sein…
Das Einklarieren in der Kleinstadt Angra dos Reis am Festland gestaltet sich entspannt. Klaus, Ende 70, Leiter des hiesigen TO Stützpunktes und seit 40 Jahren Wahlbrasilianer, fährt uns durch die Stadt und hilft uns rührend bei den diversen Behördengängen, beim Geld abheben am Automaten, und beim bunkern, i.e. dem anstehenden Großeinkauf. Später, beim Kaffee auf der Veranda seiner ein wenig aus der Zeit gefallenen »Pousada (Portugiesisch für Pension) do Alemão« stellt sich heraus, das Klaus voll großartiger Geschichten steckt, die es wert wären, in einer gut bebilderten Biographie gewürdigt zu werden. Die frühen achziger Jahre, der Regenwald am Amazonas: Klaus organisiert jahrelang die Südamerikaversion der »Camel Trophy«, ein Mammutprojekt der Zigarettenindustrie, mit 20 harten Geländewagen, dutzenden Begleitfahrzeugen und 40 stählernen Helden aus aller Herren Länder. Unberührter Urwald, ein mächtiger, gewundener Fluss, labyrinthische Mangroven, tiefer, tödlicher Schlamm, Flöße, Behelfsbrücken, Piranhas, Anacondas, Blutegel und schwellende Muskeln… Noch heute besitzt Klaus neben einem geländegängigen Vorkriegslastwagen einige original erhaltene, klassische JEEP Geländewagen, mit denen er ganz Südamerika bereist hat, als die Welt noch wild war. Das war vor seiner Zeit als Segler. Draussen, an einer Mooring vor der Pousada liegt sein klassischer 20m Schoner aus Holz, mit dem er lange Zeit in der Gegend um Ilha Grande Charter gefahren ist. Noch ist das Schiff in gutem Zustand, so wie die Autos, aber Klaus wird nicht jünger. Die Geschäfte gehen schlecht, sagt er. Die Wirtschaftskrise. Die ständig zunehmende Kriminalität, die brasilianische Ehefrau, die es vorzieht in der komfortablen Wohnung in Rio zu bleiben… Wir können nicht helfen, leider. Anker auf.
Wir treffen auf die CHULUGI, mit der wir schon seit geraumer Zeit per e-mail in Kontakt standen. Die elegant schwarz lackierte, stählerne Koopmans Sloop kennen wir von unserer ersten langen Reise. Voreigner Marlene und Tejo halfen uns im Jahr 2007 beim »Linehandling« durch den Panama Kanal. Nun gehört sie Joanna und Marcel, die seit vier Jahren an Bord leben und schon viel Erfahrung in Südamerika gesammelt haben (http://www.chulugi.de/). Das kommt uns nun zugute. In kurzer Zeit lernen wir eine Auswahl der schönsten Buchten, Wanderungen, Bars und einige einheimische Segler kennen, die auch nicht mit ihrem Wissen und guten Ratschlägen geizen.
Vila do Abraão, Hauptort und Hafen auf Ilha Grande: Ein Haufen kleiner Holzhäuser entlang des langen Kokospalmen Strandes, meist in hübschen Pastellfarben gestrichen. Viele Pousadas, Pensionen für Sommergäste. Cafés, Restaurants, so gerade zwei Minimärkte. Ein herrlicher Ort zum Urlaub machen. Das war nicht immer so. Ilha Grande: Jahrhundertelang Umschlagplatz und Quarantänestation für den Sklavenhandel, Leprakolonie, Gefangenenlager. Joanna und Marcel überreden uns zu einer längeren Wanderung quer durch den Urwald nach Dois Rios auf die offene Atlantikseite. Dort befinden sich die Ruinen des ehemaligen, erst 1994 geschlossenen Hochsicherheitsgefängnisses (heute Museum: https://museucarcereuerj.blogspot.com/ ), und ein hübsches Dorf am Strand, wo seinerzeit die Angestellten des Gefängnisses und ihre Angehörigen untergebracht waren. Steil steigt der Pfad bergan, über Stock und Stein. Der Wald birst vor Leben und Lauten. Brüllende Brüllaffen, exotische Vögel in allen Größen und Farben, bekannte und unbekannte Früchte an beinahe jedem Baum. Der Artenreichtum ist atemberaubend. Überall fließt Wasser, quicklebendig, klar und erdig, in murmelnden Bachläufen zwischen ungestüm aufgestapelten Granitfelsen. Der Garten Eden. Charles Darwin (»The Voyage of the BEAGLE« 1831 - 1836) schreibt: »The day has past delightfully. Delight itself, however, is a weak term to express the feelings of a naturalist who, for the first time, has wandered by himself in a Brasilian forest.« Am Abend und zurück an Bord der VERA sind die Füsse wund, die Beine zerstochen und die Batterien alle. Wir braten uns zwei große Steaks und fallen in die Koje. Ein guter Tag.
Enseada (Portugiesisch für Bucht) de Sítio Forte, Joanna und Marcel’s Lieblingsbucht, auf der Nordwestseite der Ilha Grande. CHULUGI und VERA ankern beieinander, kaum einen Steinwurf entfernt von »Bacana‘s Floating Bar«, DEM Geheimtipp für Feinschmecker in der Gegend. »Bacana« ist der passende Spitzname des Besitzers, portugiesisch für toll, fetzig, cool, oder dufte… Bacana, klein und quirlig, sieht aus wie ein gut gelaunter Indio. Vielleicht ist er es auch, obwohl die Portugiesen in dieser Gegend alle Indios umgebracht haben, vor langer Zeit. Mit seiner hübschen und munteren Frau wirbelt er an den Wochenenden zwischen Küche, Tischen und Booten auf dem Ankerplatz und liefert eiskalte Biere, köstliche Longdrinks und fisch- und muschellastige Delikatessen von Weltformat vom Grill. Man kann auf der Terrasse essen, oder an Bord. Bacana liefert mit dem Langboot. Er kommt auch mehrmals, zum abräumen, oder falls jemand zusätzliche Servietten will… Sítio Forte, das Paradies auf Erden. Reizende braune Tölpel und riesige, gabelschwänzige Fregattvögel fischen hier mit großem Erfolg. Gerade die Fregatten erinnern an die Flugsaurier aus Arthur Conan Doyles »Lost World«. Beeindruckend, wie sie sich in einiger Höhe zusammenfalten, wie ein Torpedo ins Wasser donnern, und kurz darauf auftauchen, meist mit der zappelnden Beute im Schnabel. Beinahe täglich bekommt man Besuch von Delphinen oder Meeresschildkröten. Am Strand kann man aus einer Quelle köstliches, klares Wasser auffangen, direkt aus dem Berg. Der damit bei Tagesanbruch aufgegossene Earl Grey schmeckt einzigartig zum morgendlichen, großen Konzert der Brüllaffen. Des Nachts spiegeln sich Mond und Sterne auf dem spiegelglatten Wasser. Kein Wunder, das wir uns schon bald recht heimisch fühlen. Joanna und Marcel spielen nicht grundlos mit dem Gedanken, in der Gegend zu bleiben, und ein hübsches Haus am Wasser zu erwerben…
Lebensentwürfe bespricht man am besten am Strand, beim langen Spaziergang. Hier hat die Ilha Grande kaum überbietbares zu bieten: Man ankere gut geschützt, auf spiegelglattem Wasser und perfekt haltendem Grund vor dem Praia (Portugiesisch für Strand) dos Mangues. Ein Trampelpfad durch den dichten Busch führt zum langen Praia Lopez Mendes auf der Atlantikseite, der manchem Connaisseur als schönster Strand Brasiliens gilt. Wir wissen es nicht, aber viel spektakuläreres kann es unserer Erfahrung nach nicht geben. Vielleicht haben wir auch nur Glück. Das Wetter ist kalt und windig heute. Wir gehen früh los. Kein Mensch weit und breit, nur ein freundlicher schwarzer Hund, der uns lange begleitet, und ein Paar reizende, eichhorngroße Marmoset Äffchen in den Bäumen. Der Sand ist feiner, als alles bisher gespürte, er quietscht unter den Schritten, wie trockener Neuschnee. Es herrscht tiefe Ebbe, was dem Strand mehr Würde verleiht. Der Blick reicht weit, hinaus, in den offenen Atlantik. Erst auf dem Rückweg begegnen wir ein paar Touristen, die mit Ausflugbooten von Angra dos Reis, oder Abraão in Mangues abgesetzt wurden. Ein Vorteil für uns: Die (auch nicht ganz verkehrte) örtliche »Floating Bar« mit Blick auf die VERA ist ab Mittag in Betrieb. Wir ordern zwei eiskalte »Bohemia« und eine kleine Grillplatte. Gut. In den nächsten Wochen werden wir in Ruhe am Boot arbeiten. Die VERA soll in Bestform sein, wenn in ein paar Wochen der Frühling kommt, und unser endgültiger Aufbruch in den windigen und kalten Süden.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Sítio Forte / Ilha Grande / Brasilien
1 - Topographische Karte von Ilha Grande.

2 - Die Bucht von Ilha Grande lässt sich mit der Gegend um Oberammergau vergleichen.

3 - Bergseen, Bergpanorama, dichter Wald, kühle, klare Luft. Sonnige, nicht zu warme Tage.

4 - Typische Pousada (Pension) bei Vila do Abraão / Ilha Grande.

5 - Minimarkt in Vila do Abraão / Ilha Grande.

6 - B im Busch.

7 - Bachlauf im Regenwald.

8 - Sítio Forte, einer unserer Lieblingsplätze. Links im Bild »Bacana‘s Floating Bar«.

9 - Fregattvögel in der Thermik.

10 - Mangues im Winter.

11 - Praia Lopez Mendes, der vielleicht schönste Strand Brasiliens.

12 - Zwei eiskalte »Bohemia« mit Blick auf die VERA.

Wie beschrieben hatten wir uns entschlossen, ein wenig im tropischen Brasiliens zu tarieren, ein wenig Erholung suchen, vom zurückliegenden Törn von Cabo Verde über den Äquator hierher, ein paar Kleinigkeiten an Bord reparieren. Stress mit der Bürokratie, oder der Kriminalität in den größeren Städten wollen wir vermeiden. So zog es uns in das Traumrevier Brasiliens, in die großen Bucht der tausend Inseln zwischen São Paulo und Rio de Janeiro, nach Ilha Grande. Und für diese Entscheidung werden wir nun belohnt. Brasilien im besten Licht. Das dies nicht das ganze, das echte Brasilien ist, sondern nur eine, wenn auch traumhaft schöne, Kulisse in den unter Naturschutz stehenden Resten des ehemals mächtigen atlantischen Regenwaldes ist uns klar. Ilha Grande lässt sich mit der Gegend um Oberammergau vergleichen. Landschaftlich und klimatisch gibt es Parallelen, gerade jetzt, im Südwinter. Bergseen, Bergpanorama, dichter Wald, kühle, klare Luft, der Morgentau pitschnass. Sonnige, nicht zu warme Tage. Des Nachts die gute Daunendecke. Die zahllosen, herrlichen Ankerplätze gehören unter der Woche uns allein. Nur am Wochenende gesellen sich ein paar brasilianische Boote dazu. Im Sommer, in der Ferienzeit, soll hier die Hölle los sein…
Das Einklarieren in der Kleinstadt Angra dos Reis am Festland gestaltet sich entspannt. Klaus, Ende 70, Leiter des hiesigen TO Stützpunktes und seit 40 Jahren Wahlbrasilianer, fährt uns durch die Stadt und hilft uns rührend bei den diversen Behördengängen, beim Geld abheben am Automaten, und beim bunkern, i.e. dem anstehenden Großeinkauf. Später, beim Kaffee auf der Veranda seiner ein wenig aus der Zeit gefallenen »Pousada (Portugiesisch für Pension) do Alemão« stellt sich heraus, das Klaus voll großartiger Geschichten steckt, die es wert wären, in einer gut bebilderten Biographie gewürdigt zu werden. Die frühen achziger Jahre, der Regenwald am Amazonas: Klaus organisiert jahrelang die Südamerikaversion der »Camel Trophy«, ein Mammutprojekt der Zigarettenindustrie, mit 20 harten Geländewagen, dutzenden Begleitfahrzeugen und 40 stählernen Helden aus aller Herren Länder. Unberührter Urwald, ein mächtiger, gewundener Fluss, labyrinthische Mangroven, tiefer, tödlicher Schlamm, Flöße, Behelfsbrücken, Piranhas, Anacondas, Blutegel und schwellende Muskeln… Noch heute besitzt Klaus neben einem geländegängigen Vorkriegslastwagen einige original erhaltene, klassische JEEP Geländewagen, mit denen er ganz Südamerika bereist hat, als die Welt noch wild war. Das war vor seiner Zeit als Segler. Draussen, an einer Mooring vor der Pousada liegt sein klassischer 20m Schoner aus Holz, mit dem er lange Zeit in der Gegend um Ilha Grande Charter gefahren ist. Noch ist das Schiff in gutem Zustand, so wie die Autos, aber Klaus wird nicht jünger. Die Geschäfte gehen schlecht, sagt er. Die Wirtschaftskrise. Die ständig zunehmende Kriminalität, die brasilianische Ehefrau, die es vorzieht in der komfortablen Wohnung in Rio zu bleiben… Wir können nicht helfen, leider. Anker auf.
Wir treffen auf die CHULUGI, mit der wir schon seit geraumer Zeit per e-mail in Kontakt standen. Die elegant schwarz lackierte, stählerne Koopmans Sloop kennen wir von unserer ersten langen Reise. Voreigner Marlene und Tejo halfen uns im Jahr 2007 beim »Linehandling« durch den Panama Kanal. Nun gehört sie Joanna und Marcel, die seit vier Jahren an Bord leben und schon viel Erfahrung in Südamerika gesammelt haben (http://www.chulugi.de/). Das kommt uns nun zugute. In kurzer Zeit lernen wir eine Auswahl der schönsten Buchten, Wanderungen, Bars und einige einheimische Segler kennen, die auch nicht mit ihrem Wissen und guten Ratschlägen geizen.
Vila do Abraão, Hauptort und Hafen auf Ilha Grande: Ein Haufen kleiner Holzhäuser entlang des langen Kokospalmen Strandes, meist in hübschen Pastellfarben gestrichen. Viele Pousadas, Pensionen für Sommergäste. Cafés, Restaurants, so gerade zwei Minimärkte. Ein herrlicher Ort zum Urlaub machen. Das war nicht immer so. Ilha Grande: Jahrhundertelang Umschlagplatz und Quarantänestation für den Sklavenhandel, Leprakolonie, Gefangenenlager. Joanna und Marcel überreden uns zu einer längeren Wanderung quer durch den Urwald nach Dois Rios auf die offene Atlantikseite. Dort befinden sich die Ruinen des ehemaligen, erst 1994 geschlossenen Hochsicherheitsgefängnisses (heute Museum: https://museucarcereuerj.blogspot.com/ ), und ein hübsches Dorf am Strand, wo seinerzeit die Angestellten des Gefängnisses und ihre Angehörigen untergebracht waren. Steil steigt der Pfad bergan, über Stock und Stein. Der Wald birst vor Leben und Lauten. Brüllende Brüllaffen, exotische Vögel in allen Größen und Farben, bekannte und unbekannte Früchte an beinahe jedem Baum. Der Artenreichtum ist atemberaubend. Überall fließt Wasser, quicklebendig, klar und erdig, in murmelnden Bachläufen zwischen ungestüm aufgestapelten Granitfelsen. Der Garten Eden. Charles Darwin (»The Voyage of the BEAGLE« 1831 - 1836) schreibt: »The day has past delightfully. Delight itself, however, is a weak term to express the feelings of a naturalist who, for the first time, has wandered by himself in a Brasilian forest.« Am Abend und zurück an Bord der VERA sind die Füsse wund, die Beine zerstochen und die Batterien alle. Wir braten uns zwei große Steaks und fallen in die Koje. Ein guter Tag.
Enseada (Portugiesisch für Bucht) de Sítio Forte, Joanna und Marcel’s Lieblingsbucht, auf der Nordwestseite der Ilha Grande. CHULUGI und VERA ankern beieinander, kaum einen Steinwurf entfernt von »Bacana‘s Floating Bar«, DEM Geheimtipp für Feinschmecker in der Gegend. »Bacana« ist der passende Spitzname des Besitzers, portugiesisch für toll, fetzig, cool, oder dufte… Bacana, klein und quirlig, sieht aus wie ein gut gelaunter Indio. Vielleicht ist er es auch, obwohl die Portugiesen in dieser Gegend alle Indios umgebracht haben, vor langer Zeit. Mit seiner hübschen und munteren Frau wirbelt er an den Wochenenden zwischen Küche, Tischen und Booten auf dem Ankerplatz und liefert eiskalte Biere, köstliche Longdrinks und fisch- und muschellastige Delikatessen von Weltformat vom Grill. Man kann auf der Terrasse essen, oder an Bord. Bacana liefert mit dem Langboot. Er kommt auch mehrmals, zum abräumen, oder falls jemand zusätzliche Servietten will… Sítio Forte, das Paradies auf Erden. Reizende braune Tölpel und riesige, gabelschwänzige Fregattvögel fischen hier mit großem Erfolg. Gerade die Fregatten erinnern an die Flugsaurier aus Arthur Conan Doyles »Lost World«. Beeindruckend, wie sie sich in einiger Höhe zusammenfalten, wie ein Torpedo ins Wasser donnern, und kurz darauf auftauchen, meist mit der zappelnden Beute im Schnabel. Beinahe täglich bekommt man Besuch von Delphinen oder Meeresschildkröten. Am Strand kann man aus einer Quelle köstliches, klares Wasser auffangen, direkt aus dem Berg. Der damit bei Tagesanbruch aufgegossene Earl Grey schmeckt einzigartig zum morgendlichen, großen Konzert der Brüllaffen. Des Nachts spiegeln sich Mond und Sterne auf dem spiegelglatten Wasser. Kein Wunder, das wir uns schon bald recht heimisch fühlen. Joanna und Marcel spielen nicht grundlos mit dem Gedanken, in der Gegend zu bleiben, und ein hübsches Haus am Wasser zu erwerben…
Lebensentwürfe bespricht man am besten am Strand, beim langen Spaziergang. Hier hat die Ilha Grande kaum überbietbares zu bieten: Man ankere gut geschützt, auf spiegelglattem Wasser und perfekt haltendem Grund vor dem Praia (Portugiesisch für Strand) dos Mangues. Ein Trampelpfad durch den dichten Busch führt zum langen Praia Lopez Mendes auf der Atlantikseite, der manchem Connaisseur als schönster Strand Brasiliens gilt. Wir wissen es nicht, aber viel spektakuläreres kann es unserer Erfahrung nach nicht geben. Vielleicht haben wir auch nur Glück. Das Wetter ist kalt und windig heute. Wir gehen früh los. Kein Mensch weit und breit, nur ein freundlicher schwarzer Hund, der uns lange begleitet, und ein Paar reizende, eichhorngroße Marmoset Äffchen in den Bäumen. Der Sand ist feiner, als alles bisher gespürte, er quietscht unter den Schritten, wie trockener Neuschnee. Es herrscht tiefe Ebbe, was dem Strand mehr Würde verleiht. Der Blick reicht weit, hinaus, in den offenen Atlantik. Erst auf dem Rückweg begegnen wir ein paar Touristen, die mit Ausflugbooten von Angra dos Reis, oder Abraão in Mangues abgesetzt wurden. Ein Vorteil für uns: Die (auch nicht ganz verkehrte) örtliche »Floating Bar« mit Blick auf die VERA ist ab Mittag in Betrieb. Wir ordern zwei eiskalte »Bohemia« und eine kleine Grillplatte. Gut. In den nächsten Wochen werden wir in Ruhe am Boot arbeiten. Die VERA soll in Bestform sein, wenn in ein paar Wochen der Frühling kommt, und unser endgültiger Aufbruch in den windigen und kalten Süden.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Sítio Forte / Ilha Grande / Brasilien
1 - Topographische Karte von Ilha Grande.

2 - Die Bucht von Ilha Grande lässt sich mit der Gegend um Oberammergau vergleichen.

3 - Bergseen, Bergpanorama, dichter Wald, kühle, klare Luft. Sonnige, nicht zu warme Tage.

4 - Typische Pousada (Pension) bei Vila do Abraão / Ilha Grande.

5 - Minimarkt in Vila do Abraão / Ilha Grande.

6 - B im Busch.

7 - Bachlauf im Regenwald.

8 - Sítio Forte, einer unserer Lieblingsplätze. Links im Bild »Bacana‘s Floating Bar«.

9 - Fregattvögel in der Thermik.

10 - Mangues im Winter.

11 - Praia Lopez Mendes, der vielleicht schönste Strand Brasiliens.

12 - Zwei eiskalte »Bohemia« mit Blick auf die VERA.

023 - DURCH DIE DOLDRUMS »NACH DER LINIE« UND WEITER BIS BRASILIEN
25/08/17 00:00 Brasil
Hallo Ihr Lieben!
Die Sonne brennt am Mittag senkrecht aufs Deck, die Füße glühen. Unter Deck ist es kaum besser: 35 Grad und mehr, Luftfeuchtigkeit 100%, der Schweiss rinnt in Strömen. Trotz harter Arbeit mit den Segeln kommen wir nur langsam voran. Wir stehen in der Flaute. Gerade 100 Seemeilen südlich der Kapverdischen Inseln haben wir die »Intertropische Konvergenzzone« erreicht. Kaum Wind in dieser Gegend, egal, ob man sie nun Kalmengürtel, Mallungen oder Doldrums nennt. Durch das Fehlen der Corioliskraft in Äquatornähe wissen die Luftdrucksysteme nicht so recht, in welche Richtung sie sich drehen sollen. Das kostet Nerven. Ein Buch über die »Stoa« sollte mir (M) eigentlich dabei helfen, den Magen und den Schultergürtel zu entspannen. Allein, es fällt mir schwer. Das selbstzerstörerische klappern der beinahe wirkungslosen Segel im Rigg tut weh. Die ersten Tage auf See sind die anstrengenden.
500 Seemeilen östlich liegt die Hafenstadt Dakar im Senegal. Nur wenig südlich die Republik Gambia. Der Gambia Fluss gilt, trotz gewisser politischer Turbulenzen (seit 2015 »Islamische Republik«), als Traumziel für Fahrtensegler, und wird in den informativeren Blogs überwiegend positiv besprochen: Weltoffene, freundliche Menschen, dazu Löwen, Hyänen, Schimpansen, Krokodile und Flusspferde. Wir sollten uns also im Prinzip mal dort umsehen. Aber: Man kann seine Zeit nur einmal verbringen. Jugendträume: Die Südsee. Alaska. »The Ring of Fire«. Und der rauen Süden: Patagonien, Feuerland. Schneebedeckte Gipfel der südlichen Kordilleren, dort, an der Straße des Magellan.
Und Tiere haben wir hier schließlich auch: Fliegende Fische, immer noch gejagt von verfressenen Thunfischen, und, jetzt auch über Wasser, von gierigen und geschickten Rotfußtölpeln. Die VERA scheucht die fliegenden Fische auf. Die Tölpel lauern unweit des Masttops und bei günstiger Gelegenheit setzen sie zum Sturzflug an und schnappen sich die Kandidaten. Diese wandeln die Tölpel in Dünger um, den sie bei nächster Gelegenheit gern in die Segel und auf das Deck der VERA verteilen. Ein kleiner Wal schaut vorbei. Dazu Horden von Delphinen und ein großer, fauler Schwertfisch. Fette braune Seegrasfelder liegen am Weg. Sie lassen es ratsam erscheinen, derzeit kein Meerwasser zu entsalzen. Die Filter wären bald verstopft.
Eine Menge Mikroorganismen gibt es sicher auch in dem feinen, braungelben, afrikanischen Sand, der seit den »Calima« Episoden auf den Kanaren und Kapverden das Deck, das Rigg und die Segel der VERA überzieht. Charles Darwin erwähnt eben diesen Sand in seinem sehr lesenswerten Expeditionsbericht »The Voyage of the BEAGLE« (1831 - 1836). In Porto Praya, Cabo Verde enterte er bis zum »Flögel« an der Spitze des Großmastes auf, um dort eine möglichst reine, fein gefilterte Sandprobe einzusammeln. Diese verschickte er dann zur Analyse an Prof. Christian Gottfried Ehrenberg nach Berlin, der mit Hilfe seiner Mikroskope herausfand, das Darwins Sand von »Infusoria« nur so wimmelte. Ehrenberg war es übrigens auch, der herausfand, das das Meeresleuchten von Mikroorganismen hervorgerufen wird. Helden der Aufklärung, der wir alles verdanken.
Diese allgegenwärtige Sandschicht lässt den ersten tropischen Regenschauer attraktiv erscheinen. Am dritten Tag nach dem Auslaufen aus Mindelo ist es soweit, natürlich pünktlich nach Sonnenuntergang: Eine schwarze, heulende Regenwand rollt auf uns zu. Der Wind springt ohne Übergang von Nordost auf Süd und frischt stark auf. Man sieht die Hand vor Augen nicht, was die Orientierung erschwert. Dazu ist ausgerechnet jetzt der Schalter der Kompassbeleuchtung defekt. Hastig bergen wir die Genua und starten die Maschine, um vorsichtig gegen Wind und peitschenden Regen zu motoren. Nach Mitternacht entschließen wir uns, mit kleinen Segeln hoch am Wind nach Ostsüdost zu laufen. Das scheint taktisch günstiger, als weiter nach Westen gedrängt zu werden…
Eine große Hilfe bei solchen strategischen Entscheidungen sind unsere alten, sauschweren Segelhandbücher. Die letzte aktualisierte Auflage des Atlantikführers der »Deutschen Seewarte« erschien im Jahr 1910. Im Jahre 2006 verhalf es uns schon einmal zu einer unerwartet schnellen Passage, damals von Las Palmas nach Antigua in den kleinen Antillen. Bei der damals herrschenden Großwetterlage versprach das Handbuch (zutreffenderweise) gut ausgeprägten Passat auf einer eher nördlichen und damit kürzeren Route auf dem Großkreis. Die Qualität dieser Handbücher ist ganz erstaunlich, und wohl nur damit zu erklären, das deutsche Reedereien mit ihren Großseglern vor 1900 und bis zum ersten Weltkrieg die internationale Handelsschifffahrt dominierten. Kapitäne wie Robert Hilgendorf, der »Düwel von Hamborg« hatten einen legendären Ruf. Hilgendorfs Erfahrungen mit 66 Kap Hoorn Umrundungen und sein großes Interesse für das noch junge Forschungsgebiet der Meteorologie führte zu gut und systematisch geführten Wetterdatenbanken, die bei der »Deutschen Seewarte« ausgewertet wurden. Seine Überlegungen über die Zugrichtungen der Hoch- und Tiefdrucksysteme in beiden Hemisphären führten regelmäßig zu extrem schnellen Reisen der »Flying P-Liner« der Reederei Laeisz um Kap Hoorn nach Chile und zurück. Hilgendorf selbst ersegelte mit der Fünfmastbark POTOSI ein Spitzenetmal von 376 Seemeilen, also knapp 700km in 24 Stunden. Welche Faszination noch heute in dem Thema steckt, lässt sich derzeit daran ermessen, das die Hansestadt Hamburg sich jüngst entschlossen hat, einen der wenigen noch erhaltenen »P-Liner«, die Viermastbark PEKING, das Schwesterschiff der PASSAT, zu erwerben und zu restaurieren. Hierzu brandaktuell und sehr interessant: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/auf-hoher-see-buenger-an-bord-land-in-sicht/20015420.html
Für unsere laufende Reise »Nach der Linie« und Brasilien empfiehlt das Handbuch für den Monat August einen vergleichsweise östlich gelegenen Wegpunkt am Äquator bei 23 Grad westlicher Länge. Um diese Jahreszeit weht der Südostpassat südlich des Äquators eher frisch und mit einer ausgeprägten Südkomponente. Auf dem Weg nach Brasilien müssen wir also im weiteren Verlauf mit sportlichen Bedingungen hoch am Wind rechnen. Aber so weit sind wir noch nicht.
8 Grad Nord, 23 West. Es wird es körnig: Starkwind aus Süd. Von vorn, na klar. In Böen Sturmstärke. Hoher, völlig konfuser Seegang aus allen Richtungen. Kanaren- und Äquatorialstrom treffen in dieser Gegend ungünstig aufeinander. Regenböen, Blitze und Starkregen, die ganze Nacht. Staccato: Segel kürzen, Segel bergen, Segel setzen, Segel reffen, jetzt wenden, oder nicht? An Schlaf ist nicht zu denken. Es rächt sich jetzt, das die VERA schwer beladen ist. Oft steckt der Bug bis zum Mast in den kurzen, steilen Seen. Tonnenweise Wasser ergießen sich an Deck. Unten tropft es. Das Schiebeluk im Vorschiff, das »Tie-rod« am Mast, die vermaledeite Kettenklüse der Ankerwinsch, die Kabeldurchführungen der Positionslaternen im Bugkorb. Auf Steuerbordbug läuft das Waschbecken in der Pantry nicht mehr ab. Der Kühlschrank fällt aus. Luft im Kühlkreislauf. Das lässt sich »B&Qen«. Dann will die Meerwasserentsalzungsanlage nicht mehr, gerade als die Tanks fast leer sind. Der hohe Seegang, oder evtl. die Geschwindigkeit des Bootes erzeugen Luftblasen im System. Werden wohl demnächst beidrehen müssen, um an Trinkwasser zu gelangen. Stoa? Nicht jetzt. Immerhin: Ein großer Wal begleitet uns einige Zeit. Faszinierend. Und sonst? Mit den Resten eines griechischen Sahneyoghurts, Milchpulver und Regenwasser direkt vom Himmel kann B frisches Yoghurt machen. Schmeckt.
Tagelang prügeln wir die VERA in den folgenden Tagen gegen Wind und See gen Süden. Gut, das sie Designerlegende Olin Stephens als Weiterentwicklung seiner erfolgreichen »Admirals Cup« Yachten PROSPECT OF WHITBY (1971), SAUDADE (1973) und BATTLECRY (1975) für eben solche Bedingungen konstruiert hat. Richtig ausnutzen können wir das nicht. Sind bloß zu zweit und fahren noch immer unser uraltes Groß und dazu B’s Lieblingsgenua, den »Neunmalverfluchten Sack«. Das rächt sich jetzt ebenfalls. Das Teil ist zwar nicht tot zu kriegen, liebt es aber, das Boot aufs Ohr zu legen, und bevorzugt die Wendewinkel der »P-Liner«. Wir ackern wie die Pferde, entwickeln Schwielen an den Fingern und fühlen mit den Männern in den Rahen und an den Brassen, aber Meilen in die richtige Richtung bringt es wenige. Leider stimmt es: »If anything's worthwhile, it's not going to be given to you on a plate.« - Alan Bond.
3 Grad Nord, gegen Mitternacht: Vollmond, jagende Wolken. Kräftiger SW, gute 5, Vollzeug, »bissl« viel. Alles ist tropfnass an Deck. Spray von überkommenden Seen. Kurs 165 Grad, magnetisch. Ich (M) stehe in Luv am Backstag und gleiche die Bocksprünge der VERA mit den Knien aus so gut es geht. Kalt ist es nicht in Äquatornähe. Wir kommen endlich voran, wenn auch unbequem. Dennoch: Irgendwie unheimlich hier. Kein einziges Schiff, seit Tagen. Reffen? Ich zögere noch. Lieber laufen lassen und versuchen, den Magen zu entspannen. Nicht an möglichen Bruch denken, sondern an etwas anderes. Gut 700 Seemeilen BB querab liegt Liberia. 85% der Bevölkerung sind Christen, die meisten davon Protestanten. Nach zwei mörderischen Bürgerkriegen regiert derzeit eine frei gewählte Friedensnobelpreisträgerin. Sie hat einiges aufzuräumen: Rekordkorruption, extrem hohe Geburtenraten, Wilderei und Raubbau an der Natur, Platz 143 von 147 im »International Gender Inequality Index«. Nach Panama ist in Liberia die größte Zahl an Handelsschiffen registriert. Ausgeflaggt: »Heimathafen« Monrovia. Dieses System erleichtert es den Schiffseignern, alle Arten von illegalen Ladungen zu transportieren und große Summen an Geld zu verstecken. Nicht gut, aber wer kann etwas dagegen tun? Ein ähnlich gelagertes Thema wie der kommerzielle Fischfang in internationalen Gewässern. Vor Tagen begegneten wir einem japanischen Hochseetrawler. Als er unser AIS Signal sah, drehte er ab und fuhr mit Höchstfahrt einige Meilen direkt von uns weg. Wollte offensichtlich nicht, das jemand sieht, was er da macht… Walfang?
Einige Tage später entlässt uns der Nordatlantik mit SE 5-6 und einem anständigen Etmal. In der Nacht zum 09.08. überqueren wir den Äquator bei 25 Grad West mit Brassfahrt, zwei Reffs im Groß und einem Schrick in den Schoten. Kurs auf Rio de Janeiro, 2000 Seemeilen (ca. 3.700 km) entfernt. Nun sollte alles einfacher werden. Der Südostpassat genießt einen guten Ruf. Falls nichts bricht, brauchen B und ich nur noch geradeaus zu fahren. Nicht das sich das derzeit allzu bequem anlässt. Einen Haushalt zu führen, der dauerhaft 20 Grad Neigung hat und dabei meterhoch auf und ab springt strengt an. Jeder Gang zur Toilette eine Zirkusnummer. Trotz der Hitze und hohen Luftfeuchtigkeit empfiehlt es sich, alle Luken geschlossen zu halten, wegen dem Spray aus den Segeln und über Deck brechenden Seen. Wer raus geht, wird nass und salzig. Das Schiff lebt. Es pfeift und orgelt im Rigg, es klappert, knackt, hämmert, vibriert und rauscht. Moitessier schrieb dazu: »Ceux qui ne savent pas qu’un voilier est un être vivant ne comprendront jamais rien à la mer.«
2 Grad Süd, SE 6, bald Mitternacht. Dort voraus: Das Kreuz des Südens, direkt vor unserem Bug. Im Lichte der Sterne und des abnehmenden Mondes jagen wir dahin. Meine Wache. Müsste reffen, oder? Das Ohr sucht nach Geräuschen, die nicht sein sollten, das Auge nach Anhaltspunkten für Probleme. Mein Magen reagiert darauf mit Anspannung. Muss ständig π. War es das, was ich wollte? Bin ich ein Angstsegler? Eine Frage, die sich Wilfried E. auch schon mal gestellt hat. B hat die besseren Nerven. Hat die Leckagen auf dem Vordeck in der Bugwelle »B&Qt« und sich dabei einen leichten Sonnenbrand auf dem Rücken zugezogen. Nun schläft sie friedlich eingerollt in unserer neuerdings verbreiterten Doppelkoje. Ich greife nach dem alten iPod und kauere mich hinter das »Sprayhood« über dem Niedergang auf dem Brückendeck, dort, wo es halbwegs trocken bleibt. Die Klänge aus dem Kopfhörer führen zurück in ein Leben, das hinter mir liegt. Und doch: In voller Lautstärke kommen die alten Hymnen und Balladen noch immer gut, und noch immer stimmt es für mich: Freiheit ist das einzige was zählt. Warum? Nur so bleibt Zeit für die großen Fragen: Warum? Woher? Wohin? Wie? Stoa? Etwas für harte Hunde. »All I ask is a comfortable home«, mein Wahlspruch. Vielleicht sollte ich mich an Epikur halten: Solange man da ist, anständig essen.
6 Grad Süd, SE 6, Kurs 215 Grad, geradewegs gen SW. Es geht voran. Aber: Seit Tagen laufen wir mit ständiger starker Krängung und mehr oder weniger dichten Schoten am Wind entlang. »Power Reaching« im Segler Jargon. Der Bug der VERA donnert in eine grobe, unangenehme See. Alles nass an Deck, heiß und stickig unter Deck. Jede Bewegung strengt an. Unsere Hände, Füße und durchgesessenen Hintern sind gut gepökelt. 400 Seemeilen STB querab die brasilianische Küste. Nach Fernando de Noronha sind es 300, nach Salvador da Bahia 700 Seemeilen. In ein paar Tagen könnten wir dort sein… Das Problem ist die Größe Brasiliens. Ein riesiges, unüberschaubares Land, nur wenig kleiner als die USA. Die brasilianische Küste in Tagesetappen hinunterbuchteln klingt attraktiv, ist für unseren Zeitplan aber unrealistisch. Die Behörden stellen ihre VISA, abgeschaut in Schengen, lediglich für drei Monate aus. Die wollen wir doch lieber irgendwo ohne Hektik genießen. Die Gedanken schweifen schon mal an einen ruhigen Ankerplatz, Kokospalmen an Land, das Zirpen der Grillen, ein gepflegtes Dinner im Kerzenschein. Das Gebiet um »Ilha Grande« sollte etwas für uns sein. Eine große, landschaftlich traumhaft schöne Bucht mit hunderten vorgelagerten Inseln und sicheren Ankerplätzen, kaum 50 Seemeilen westlich von Rio de Janeiro gelegen… Draussen ist es finster, kalt und nass, alles schwarz in schwarz. Wir segeln nun hinein in den südlichen Winter, irgendwohin ins nirgendwo. Weiterhin begegnet uns niemand, nicht einmal auf dem Großkreis zwischen der Ostküste der USA und dem Kap der guten Hoffnung. Wir sind allein. Keine Nachrichten aus der Welt, schon seit Wochen. Nur ein paar nette Grüße der Familie als Antwort auf unsere regelmäßigen Positionsmeldungen per Iridium e-mail. Wahrscheinlich steht noch alles, sonst hätte uns wohl jemand informiert.
11 Grad Süd. Der Südostpassat gönnt uns eine Ruhepause. Schon die letzte Nacht war etwas besonderes, samtig, wolkenlos, Sterne über Sternen. Der Tag dann blau in blau, kaum Wasser an Deck. Wir dürfen in Ruhe Meerwasser entsalzen, aufräumen, putzen, duschen, rasieren, Eierpfannkuchen backen, lesen, Gitarre spielen und ein paar technische Probleme lösen. Das Boot hat spürbar unter den harten Bedingungen, der Nässe und dem allgegenwärtigen Salz gelitten. Manches lässt sich mit Bordmitteln beheben. Anderes muss warten, bis wir da sind. Dazu gehört der kleine Riss im Großsegel. Er liegt an einer schwierigen, hoch belasteten Stelle, über dem ersten Reffpunkt. Ein Fall für einen gut bestückten Segelmacher. Bis auf weiteres sehen wir uns genötigt ggf. gleich im zweiten Reff zu fahren. Egal. Begreifen wir diese Reise doch als Meditation in blau. Dazu passt ein neuer Walbesuch zum Dinner: Der gut 15 Meter lange Besucher prustet eine Zeitlang keine Bootslänge entfernt neben uns her. Seine (oder ihre?) Bewegungen sind lang, kraftvoll und elegant, ein müheloses Schweben. Leider können wir ihn wieder nicht bestimmen. Hoffentlich will er nicht spielen.
13 Grad Süd. Ein heftiger Squall, wie immer im Morgengrauen. Meditation? Es hämmert aus SSW, gute 6-7 und regnet in Strömen. Gröbster Seegang auf einer enormen Dünung aus dem Südmeer. Alles nirgendwo angesagt. Selbst unter dichtgeknalltem Kutter und doppelt gerefftem Groß können wir nichts besseres tun, als zähneknirschend gen WSW zu stochern. Zum kotzen. Bohren wir uns jetzt ungespitzt in das brasilianische Festland? Wieder weiß der Atlantikführer der »Deutschen Seewarte« Rat: Nerven behalten, »voll und bei« steuern, solche Episoden gehen vorbei. Ein Wegpunkt bei 20 Grad Süd und 36 Grad West sollte später immer drin sein. Und dann bei raumenden Winden in aller Ruhe Kurs auf »Cabo Frio« nehmen. Schon merkwürdig, wie beruhigend, hilfreich und brandaktuell diese Texte auf uns wirken. Die Verfasser sind längst nicht mehr, aber sie behalten recht: 12 Stunden später springt der Wind zurück und raumt weiter, die Sonne zeigt sich in einem stahlblauen Himmel, und erstmals fahren wir mit halbem Wind direkt auf unser Ziel zu. Traumhaftes, kontemplatives segeln jetzt. Finden wir auf den letzten 1000 Seemeilen doch noch in eine selbstverständliche Bordroutine, die sich bisher wegen der harten und ständig wechselnden Bedingungen nicht einstellen wollte?
18 Grad Süd, SE 4-5. Seit Tagen ein bequemes, gemächliches Fortkommen bei herrlich kühlem und sonnigem Wetter in einer langen, souveränen Atlantikdünung. Wir genießen es, lesen viel, kochen gut und sind recht faul. Ankommen bräuchten wir eigentlich so bald nicht. Da ist es: Das Gefühl, das alles gut ist hier an Bord. Nachtwache: Sterne über Sternen. Wir folgen der Milchstraße zum Kreuz des Südens, das mit jedem Tag höher steigt. »Crux«? Kein wirklich schöner Name für so ein herrliches Sternbild. »Kite«, Drachen, würde eher passen. Die Konstellation hängt dort am Ende der Milchstraße, wie ein munterer Papierdrachen an einer mit Alpha und Beta Centauri geschmückten Leine.
22 Grad Süd. Wir nähern uns der brasilianische Küste in spitzem Winkel. Keine 250 Seemeilen mehr bis Rio de Janeiro, 300 bis Ilha Grande. Alles wäre bestens, wenn unsere per Iridium heruntergeladenen Wetterdaten die aus SW herannahende Sturmfront nicht zeigen würden. Die Möglichkeiten zum auskneifen sind begrenzt: Der Hafen von Vitória liegt 120 Seemeilen STB querab. Umweg, Bürokratie, Dieselverbrauch, Reibungsverluste. Wir können uns dazu nicht durchringen. Blieben die gut geschützten Ankerplätze am Cabo Frio. Leider erreichen wir die wohl nicht mehr rechtzeitig.
NE 6-7 jetzt. Das Biest atmet ein. Platt vor dem Wind rauschen wir tief gerefft durch eine schwarze, schaurige Nacht. Regenböen und abrupten Winddreher. Zwischen uns und der Küste liegt das über 130 Seemeilen lange, für uns verbotene »Campos Oilfield« mit hunderten Bohrinseln, Mooringtonnen und Versorgungsschiffen. Daran müssen wir vorbei, bevor der Wind dreht. Falls das nichts wird, wären wir gezwungen beizudrehen, oder nach NE abzulaufen, also in die Richtung, aus der wir gekommen sind… Der inzwischen zunehmende Schiffsverkehr bringt zusätzliche Arbeit für den Wachhabenden. Dank AIS (»Automatic identification system«) können wir auf unserem Kartenplotter einige Informationen über die meisten Schiffe abrufen: Die Länge und Tonnage zum Beispiel, der Heimathafen, der Zielhafen. Wichtig für uns ist vor allem die Distanz mit der sie uns wo passieren werden. Davon ausgehend können wir entscheiden, ggf. selber den Kurs zu ändern, oder das betreffende Schiff per UKW Funk auf uns aufmerksam zu machen. Seit über 100 Jahren haben Segelschiffe wegen ihrer begrenzten Manövrierfähigkeit Vorfahrt vor Dampfern. Nicht zuletzt deshalb passiert man uns fast immer in sicherem Abstand. Die Wachhabenden sehen ja neben dem Radarecho auch unser AIS Signal auf ihrem Bildschirm. Einen Haken hat die Sache aber doch: Nicht alle Schiffe fahren ein aktives AIS. Gerade Fischer mögen es nicht, gesehen werden. Siehe oben. Es bleibt nichts anderes übrig, als alle 15 Minuten einen Blick in die Runde zu werfen.
24 Stunden später, 23 Grad Süd. Wir haben das »Campos Oilfield« passiert und stehen inzwischen sogar ein halbes Grad südlich von Rio de Janeiro. Noch immer weht es hart aus NE. Stärke 8, Regen, überkommende Brecher, zum Glück von achtern. Der Seegang ist furchterregend. Unseren in weiser Voraussicht vorgekochten Linseneintopf löffeln wir auf dem Salonboden sitzend. Draussen ist die Hölle los. Leider nur das »Horsd’oeuvre«. Das GRIB verspricht eine kurze Flaute bei Tagesanbruch und dann kommt der Hauptgang: SW, später S in Sturmstärke, genau aus der Gegenrichtung des jetzigen NE. Was das mit dem Seegang anstellen wird, malen wir uns lieber nicht aus. Wir werden versuchen, etwas »Seeraum« zu behalten, um länger in tieferem Wasser zu bleiben. Wünscht uns Glück.
Das Problem am segeln ist das segeln. Ein Tag, an dem es nicht Tag werden will. Wir stecken drin. SSW Stärke 8. Der Windmesser hat es sich bei über 40 Knoten bequem gemacht. Es ist, für unsere Verhältnisse, bitterkalt. Unter kleinsten Segeln und mit dichten Schoten jagt die VERA an der uns unbekannten brasilianischen Küste entlang. Der Winddreher kam früh, zu früh, um »Seeraum« auf Vorrat zu schaffen. Was wir haben, wird reichen müssen. Ein infernalischer, zeitweise gefährlicher Seegang prügelt uns grün und blau. Immerhin: Die Einfahrt nach Ilha Grande können wir so gerade anliegen. Wenn nichts bricht, sind wir morgen Abend dort, wenn auch gut geduscht. Ein Gedanke, der für etwas Licht sorgt an diesem finsteren Tag. Und: Land in Sicht. Erstmals seit 23 Tagen. Cabo Frio Steuerbord querab, gerade so auszumachen in der drohend verhangenen Abenddämmerung. Nachtwache, drei Uhr: Nieselregen, aber die Front ist durch. Es raumt. Nur noch mit zwanzig Knoten aus Süd, nachlassender Seegang. Der Lichtschein der Millionenmetropole Rio de Janeiro beeindruckt an STB voraus. Es zieht uns nicht dorthin.
Tagesanbruch. Es bleibt grau in grau, aber die Sicht bessert sich: Riesige, elegante Fregattvögel kreisen über uns und winken uns ein. Und dort: Der leibhaftige Zuckerhut Steuerbord querab. Die letzten Meilen: Voraus die Einfahrt zur großen Bucht von »Ilha Grande«. Flaute jetzt, alte Welle, der Motor läuft. Wir nutzen den Strom zum Wasser entsalzen und das viele Frischwasser zum entsalzen, zum putzen, spülen und duschen. Wir wollen doch »shipshape« sein, zur Ankunft.
Gegen Abend, bei auffrischendem NE passieren wir die Einfahrt und biegen links in die viel gepriesene »Enseada das Palmas«, eine Bucht, die heute Abend auf den ersten Blick wenig einladend wirkt. Es ist kalt, regnerisch und ein unangenehmer Schwell läuft direkt hinein. Eine wohlverdiente ruhige Nacht? Wollen mal sehen: Dort drüben hinter dem winzigen, palmenbestandenen Inselchen könnte es gehen… Wir werfen Anker, klaren auf und sehen uns um. Es riecht erdig. Hinter uns liegt die Hauptinsel, die »Ilha Grande«, dicht mit tropischem Regenwald bedeckt. Am goldgelben Strand an STB steht eine Villa auf einem Anwesen, das an Schönheit nicht zu übertreffen ist. Hohe, kugelige Granitfelsen ragen aus dem goldgelben Sand. Ein paar Meter höher der Saum des dichten Dschungels. Das Haus selbst ist erst richtig zu sehen als es dunkel wird. Geschmackvolle, warme Lichtinseln zwischen Wald und Felsen. Der Wald erwacht zum Leben. Es muss dort reichlich Affen geben und anderes Getier. B und ich setzen uns, bekleidet mit Faserpelzen und Daunenjacken, aufs Brückendeck und genießen ein paar »Tapas« mit einem anständigen Gin Tonic. Wir haben es geschafft. Morgen früh segeln wir die 15 Seemeilen nach »Angra dos Reis«, eine nahe gelegene Kleinstadt, zum offiziellen einklarieren nach Brasilien. Ab in die Koje.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Angra dos Reis / Ilha Grande / Brasilien
1 - In den Doldrums.

2 - Seegrasfelder auf 8 Grad Nord.

3 - Regenböen voraus.

4 - Die alten Segelhandbücher der »Deutschen Seewarte«…

5 - …sind für uns noch heute aktuell. Wir wollen schließlich auch »Nach der Linie«.

6 - Buckelpiste.

7 - Herrliche Eierkuchen.

8 - Nur ein paar Wochen. Ein Film von B+M.
9 - Die Situation am 21. August gegen 09.00 UTC, bei Tagesanbruch. Rechts oben das »Campos Oilfield«.

10 - Spielball der Elemente. Noch ein Film von B+M.
11 - Wir sind da.

12 - Die Route von den Kanarischen Inseln nach Brasilien.

Die Sonne brennt am Mittag senkrecht aufs Deck, die Füße glühen. Unter Deck ist es kaum besser: 35 Grad und mehr, Luftfeuchtigkeit 100%, der Schweiss rinnt in Strömen. Trotz harter Arbeit mit den Segeln kommen wir nur langsam voran. Wir stehen in der Flaute. Gerade 100 Seemeilen südlich der Kapverdischen Inseln haben wir die »Intertropische Konvergenzzone« erreicht. Kaum Wind in dieser Gegend, egal, ob man sie nun Kalmengürtel, Mallungen oder Doldrums nennt. Durch das Fehlen der Corioliskraft in Äquatornähe wissen die Luftdrucksysteme nicht so recht, in welche Richtung sie sich drehen sollen. Das kostet Nerven. Ein Buch über die »Stoa« sollte mir (M) eigentlich dabei helfen, den Magen und den Schultergürtel zu entspannen. Allein, es fällt mir schwer. Das selbstzerstörerische klappern der beinahe wirkungslosen Segel im Rigg tut weh. Die ersten Tage auf See sind die anstrengenden.
500 Seemeilen östlich liegt die Hafenstadt Dakar im Senegal. Nur wenig südlich die Republik Gambia. Der Gambia Fluss gilt, trotz gewisser politischer Turbulenzen (seit 2015 »Islamische Republik«), als Traumziel für Fahrtensegler, und wird in den informativeren Blogs überwiegend positiv besprochen: Weltoffene, freundliche Menschen, dazu Löwen, Hyänen, Schimpansen, Krokodile und Flusspferde. Wir sollten uns also im Prinzip mal dort umsehen. Aber: Man kann seine Zeit nur einmal verbringen. Jugendträume: Die Südsee. Alaska. »The Ring of Fire«. Und der rauen Süden: Patagonien, Feuerland. Schneebedeckte Gipfel der südlichen Kordilleren, dort, an der Straße des Magellan.
Und Tiere haben wir hier schließlich auch: Fliegende Fische, immer noch gejagt von verfressenen Thunfischen, und, jetzt auch über Wasser, von gierigen und geschickten Rotfußtölpeln. Die VERA scheucht die fliegenden Fische auf. Die Tölpel lauern unweit des Masttops und bei günstiger Gelegenheit setzen sie zum Sturzflug an und schnappen sich die Kandidaten. Diese wandeln die Tölpel in Dünger um, den sie bei nächster Gelegenheit gern in die Segel und auf das Deck der VERA verteilen. Ein kleiner Wal schaut vorbei. Dazu Horden von Delphinen und ein großer, fauler Schwertfisch. Fette braune Seegrasfelder liegen am Weg. Sie lassen es ratsam erscheinen, derzeit kein Meerwasser zu entsalzen. Die Filter wären bald verstopft.
Eine Menge Mikroorganismen gibt es sicher auch in dem feinen, braungelben, afrikanischen Sand, der seit den »Calima« Episoden auf den Kanaren und Kapverden das Deck, das Rigg und die Segel der VERA überzieht. Charles Darwin erwähnt eben diesen Sand in seinem sehr lesenswerten Expeditionsbericht »The Voyage of the BEAGLE« (1831 - 1836). In Porto Praya, Cabo Verde enterte er bis zum »Flögel« an der Spitze des Großmastes auf, um dort eine möglichst reine, fein gefilterte Sandprobe einzusammeln. Diese verschickte er dann zur Analyse an Prof. Christian Gottfried Ehrenberg nach Berlin, der mit Hilfe seiner Mikroskope herausfand, das Darwins Sand von »Infusoria« nur so wimmelte. Ehrenberg war es übrigens auch, der herausfand, das das Meeresleuchten von Mikroorganismen hervorgerufen wird. Helden der Aufklärung, der wir alles verdanken.
Diese allgegenwärtige Sandschicht lässt den ersten tropischen Regenschauer attraktiv erscheinen. Am dritten Tag nach dem Auslaufen aus Mindelo ist es soweit, natürlich pünktlich nach Sonnenuntergang: Eine schwarze, heulende Regenwand rollt auf uns zu. Der Wind springt ohne Übergang von Nordost auf Süd und frischt stark auf. Man sieht die Hand vor Augen nicht, was die Orientierung erschwert. Dazu ist ausgerechnet jetzt der Schalter der Kompassbeleuchtung defekt. Hastig bergen wir die Genua und starten die Maschine, um vorsichtig gegen Wind und peitschenden Regen zu motoren. Nach Mitternacht entschließen wir uns, mit kleinen Segeln hoch am Wind nach Ostsüdost zu laufen. Das scheint taktisch günstiger, als weiter nach Westen gedrängt zu werden…
Eine große Hilfe bei solchen strategischen Entscheidungen sind unsere alten, sauschweren Segelhandbücher. Die letzte aktualisierte Auflage des Atlantikführers der »Deutschen Seewarte« erschien im Jahr 1910. Im Jahre 2006 verhalf es uns schon einmal zu einer unerwartet schnellen Passage, damals von Las Palmas nach Antigua in den kleinen Antillen. Bei der damals herrschenden Großwetterlage versprach das Handbuch (zutreffenderweise) gut ausgeprägten Passat auf einer eher nördlichen und damit kürzeren Route auf dem Großkreis. Die Qualität dieser Handbücher ist ganz erstaunlich, und wohl nur damit zu erklären, das deutsche Reedereien mit ihren Großseglern vor 1900 und bis zum ersten Weltkrieg die internationale Handelsschifffahrt dominierten. Kapitäne wie Robert Hilgendorf, der »Düwel von Hamborg« hatten einen legendären Ruf. Hilgendorfs Erfahrungen mit 66 Kap Hoorn Umrundungen und sein großes Interesse für das noch junge Forschungsgebiet der Meteorologie führte zu gut und systematisch geführten Wetterdatenbanken, die bei der »Deutschen Seewarte« ausgewertet wurden. Seine Überlegungen über die Zugrichtungen der Hoch- und Tiefdrucksysteme in beiden Hemisphären führten regelmäßig zu extrem schnellen Reisen der »Flying P-Liner« der Reederei Laeisz um Kap Hoorn nach Chile und zurück. Hilgendorf selbst ersegelte mit der Fünfmastbark POTOSI ein Spitzenetmal von 376 Seemeilen, also knapp 700km in 24 Stunden. Welche Faszination noch heute in dem Thema steckt, lässt sich derzeit daran ermessen, das die Hansestadt Hamburg sich jüngst entschlossen hat, einen der wenigen noch erhaltenen »P-Liner«, die Viermastbark PEKING, das Schwesterschiff der PASSAT, zu erwerben und zu restaurieren. Hierzu brandaktuell und sehr interessant: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/auf-hoher-see-buenger-an-bord-land-in-sicht/20015420.html
Für unsere laufende Reise »Nach der Linie« und Brasilien empfiehlt das Handbuch für den Monat August einen vergleichsweise östlich gelegenen Wegpunkt am Äquator bei 23 Grad westlicher Länge. Um diese Jahreszeit weht der Südostpassat südlich des Äquators eher frisch und mit einer ausgeprägten Südkomponente. Auf dem Weg nach Brasilien müssen wir also im weiteren Verlauf mit sportlichen Bedingungen hoch am Wind rechnen. Aber so weit sind wir noch nicht.
8 Grad Nord, 23 West. Es wird es körnig: Starkwind aus Süd. Von vorn, na klar. In Böen Sturmstärke. Hoher, völlig konfuser Seegang aus allen Richtungen. Kanaren- und Äquatorialstrom treffen in dieser Gegend ungünstig aufeinander. Regenböen, Blitze und Starkregen, die ganze Nacht. Staccato: Segel kürzen, Segel bergen, Segel setzen, Segel reffen, jetzt wenden, oder nicht? An Schlaf ist nicht zu denken. Es rächt sich jetzt, das die VERA schwer beladen ist. Oft steckt der Bug bis zum Mast in den kurzen, steilen Seen. Tonnenweise Wasser ergießen sich an Deck. Unten tropft es. Das Schiebeluk im Vorschiff, das »Tie-rod« am Mast, die vermaledeite Kettenklüse der Ankerwinsch, die Kabeldurchführungen der Positionslaternen im Bugkorb. Auf Steuerbordbug läuft das Waschbecken in der Pantry nicht mehr ab. Der Kühlschrank fällt aus. Luft im Kühlkreislauf. Das lässt sich »B&Qen«. Dann will die Meerwasserentsalzungsanlage nicht mehr, gerade als die Tanks fast leer sind. Der hohe Seegang, oder evtl. die Geschwindigkeit des Bootes erzeugen Luftblasen im System. Werden wohl demnächst beidrehen müssen, um an Trinkwasser zu gelangen. Stoa? Nicht jetzt. Immerhin: Ein großer Wal begleitet uns einige Zeit. Faszinierend. Und sonst? Mit den Resten eines griechischen Sahneyoghurts, Milchpulver und Regenwasser direkt vom Himmel kann B frisches Yoghurt machen. Schmeckt.
Tagelang prügeln wir die VERA in den folgenden Tagen gegen Wind und See gen Süden. Gut, das sie Designerlegende Olin Stephens als Weiterentwicklung seiner erfolgreichen »Admirals Cup« Yachten PROSPECT OF WHITBY (1971), SAUDADE (1973) und BATTLECRY (1975) für eben solche Bedingungen konstruiert hat. Richtig ausnutzen können wir das nicht. Sind bloß zu zweit und fahren noch immer unser uraltes Groß und dazu B’s Lieblingsgenua, den »Neunmalverfluchten Sack«. Das rächt sich jetzt ebenfalls. Das Teil ist zwar nicht tot zu kriegen, liebt es aber, das Boot aufs Ohr zu legen, und bevorzugt die Wendewinkel der »P-Liner«. Wir ackern wie die Pferde, entwickeln Schwielen an den Fingern und fühlen mit den Männern in den Rahen und an den Brassen, aber Meilen in die richtige Richtung bringt es wenige. Leider stimmt es: »If anything's worthwhile, it's not going to be given to you on a plate.« - Alan Bond.
3 Grad Nord, gegen Mitternacht: Vollmond, jagende Wolken. Kräftiger SW, gute 5, Vollzeug, »bissl« viel. Alles ist tropfnass an Deck. Spray von überkommenden Seen. Kurs 165 Grad, magnetisch. Ich (M) stehe in Luv am Backstag und gleiche die Bocksprünge der VERA mit den Knien aus so gut es geht. Kalt ist es nicht in Äquatornähe. Wir kommen endlich voran, wenn auch unbequem. Dennoch: Irgendwie unheimlich hier. Kein einziges Schiff, seit Tagen. Reffen? Ich zögere noch. Lieber laufen lassen und versuchen, den Magen zu entspannen. Nicht an möglichen Bruch denken, sondern an etwas anderes. Gut 700 Seemeilen BB querab liegt Liberia. 85% der Bevölkerung sind Christen, die meisten davon Protestanten. Nach zwei mörderischen Bürgerkriegen regiert derzeit eine frei gewählte Friedensnobelpreisträgerin. Sie hat einiges aufzuräumen: Rekordkorruption, extrem hohe Geburtenraten, Wilderei und Raubbau an der Natur, Platz 143 von 147 im »International Gender Inequality Index«. Nach Panama ist in Liberia die größte Zahl an Handelsschiffen registriert. Ausgeflaggt: »Heimathafen« Monrovia. Dieses System erleichtert es den Schiffseignern, alle Arten von illegalen Ladungen zu transportieren und große Summen an Geld zu verstecken. Nicht gut, aber wer kann etwas dagegen tun? Ein ähnlich gelagertes Thema wie der kommerzielle Fischfang in internationalen Gewässern. Vor Tagen begegneten wir einem japanischen Hochseetrawler. Als er unser AIS Signal sah, drehte er ab und fuhr mit Höchstfahrt einige Meilen direkt von uns weg. Wollte offensichtlich nicht, das jemand sieht, was er da macht… Walfang?
Einige Tage später entlässt uns der Nordatlantik mit SE 5-6 und einem anständigen Etmal. In der Nacht zum 09.08. überqueren wir den Äquator bei 25 Grad West mit Brassfahrt, zwei Reffs im Groß und einem Schrick in den Schoten. Kurs auf Rio de Janeiro, 2000 Seemeilen (ca. 3.700 km) entfernt. Nun sollte alles einfacher werden. Der Südostpassat genießt einen guten Ruf. Falls nichts bricht, brauchen B und ich nur noch geradeaus zu fahren. Nicht das sich das derzeit allzu bequem anlässt. Einen Haushalt zu führen, der dauerhaft 20 Grad Neigung hat und dabei meterhoch auf und ab springt strengt an. Jeder Gang zur Toilette eine Zirkusnummer. Trotz der Hitze und hohen Luftfeuchtigkeit empfiehlt es sich, alle Luken geschlossen zu halten, wegen dem Spray aus den Segeln und über Deck brechenden Seen. Wer raus geht, wird nass und salzig. Das Schiff lebt. Es pfeift und orgelt im Rigg, es klappert, knackt, hämmert, vibriert und rauscht. Moitessier schrieb dazu: »Ceux qui ne savent pas qu’un voilier est un être vivant ne comprendront jamais rien à la mer.«
2 Grad Süd, SE 6, bald Mitternacht. Dort voraus: Das Kreuz des Südens, direkt vor unserem Bug. Im Lichte der Sterne und des abnehmenden Mondes jagen wir dahin. Meine Wache. Müsste reffen, oder? Das Ohr sucht nach Geräuschen, die nicht sein sollten, das Auge nach Anhaltspunkten für Probleme. Mein Magen reagiert darauf mit Anspannung. Muss ständig π. War es das, was ich wollte? Bin ich ein Angstsegler? Eine Frage, die sich Wilfried E. auch schon mal gestellt hat. B hat die besseren Nerven. Hat die Leckagen auf dem Vordeck in der Bugwelle »B&Qt« und sich dabei einen leichten Sonnenbrand auf dem Rücken zugezogen. Nun schläft sie friedlich eingerollt in unserer neuerdings verbreiterten Doppelkoje. Ich greife nach dem alten iPod und kauere mich hinter das »Sprayhood« über dem Niedergang auf dem Brückendeck, dort, wo es halbwegs trocken bleibt. Die Klänge aus dem Kopfhörer führen zurück in ein Leben, das hinter mir liegt. Und doch: In voller Lautstärke kommen die alten Hymnen und Balladen noch immer gut, und noch immer stimmt es für mich: Freiheit ist das einzige was zählt. Warum? Nur so bleibt Zeit für die großen Fragen: Warum? Woher? Wohin? Wie? Stoa? Etwas für harte Hunde. »All I ask is a comfortable home«, mein Wahlspruch. Vielleicht sollte ich mich an Epikur halten: Solange man da ist, anständig essen.
6 Grad Süd, SE 6, Kurs 215 Grad, geradewegs gen SW. Es geht voran. Aber: Seit Tagen laufen wir mit ständiger starker Krängung und mehr oder weniger dichten Schoten am Wind entlang. »Power Reaching« im Segler Jargon. Der Bug der VERA donnert in eine grobe, unangenehme See. Alles nass an Deck, heiß und stickig unter Deck. Jede Bewegung strengt an. Unsere Hände, Füße und durchgesessenen Hintern sind gut gepökelt. 400 Seemeilen STB querab die brasilianische Küste. Nach Fernando de Noronha sind es 300, nach Salvador da Bahia 700 Seemeilen. In ein paar Tagen könnten wir dort sein… Das Problem ist die Größe Brasiliens. Ein riesiges, unüberschaubares Land, nur wenig kleiner als die USA. Die brasilianische Küste in Tagesetappen hinunterbuchteln klingt attraktiv, ist für unseren Zeitplan aber unrealistisch. Die Behörden stellen ihre VISA, abgeschaut in Schengen, lediglich für drei Monate aus. Die wollen wir doch lieber irgendwo ohne Hektik genießen. Die Gedanken schweifen schon mal an einen ruhigen Ankerplatz, Kokospalmen an Land, das Zirpen der Grillen, ein gepflegtes Dinner im Kerzenschein. Das Gebiet um »Ilha Grande« sollte etwas für uns sein. Eine große, landschaftlich traumhaft schöne Bucht mit hunderten vorgelagerten Inseln und sicheren Ankerplätzen, kaum 50 Seemeilen westlich von Rio de Janeiro gelegen… Draussen ist es finster, kalt und nass, alles schwarz in schwarz. Wir segeln nun hinein in den südlichen Winter, irgendwohin ins nirgendwo. Weiterhin begegnet uns niemand, nicht einmal auf dem Großkreis zwischen der Ostküste der USA und dem Kap der guten Hoffnung. Wir sind allein. Keine Nachrichten aus der Welt, schon seit Wochen. Nur ein paar nette Grüße der Familie als Antwort auf unsere regelmäßigen Positionsmeldungen per Iridium e-mail. Wahrscheinlich steht noch alles, sonst hätte uns wohl jemand informiert.
11 Grad Süd. Der Südostpassat gönnt uns eine Ruhepause. Schon die letzte Nacht war etwas besonderes, samtig, wolkenlos, Sterne über Sternen. Der Tag dann blau in blau, kaum Wasser an Deck. Wir dürfen in Ruhe Meerwasser entsalzen, aufräumen, putzen, duschen, rasieren, Eierpfannkuchen backen, lesen, Gitarre spielen und ein paar technische Probleme lösen. Das Boot hat spürbar unter den harten Bedingungen, der Nässe und dem allgegenwärtigen Salz gelitten. Manches lässt sich mit Bordmitteln beheben. Anderes muss warten, bis wir da sind. Dazu gehört der kleine Riss im Großsegel. Er liegt an einer schwierigen, hoch belasteten Stelle, über dem ersten Reffpunkt. Ein Fall für einen gut bestückten Segelmacher. Bis auf weiteres sehen wir uns genötigt ggf. gleich im zweiten Reff zu fahren. Egal. Begreifen wir diese Reise doch als Meditation in blau. Dazu passt ein neuer Walbesuch zum Dinner: Der gut 15 Meter lange Besucher prustet eine Zeitlang keine Bootslänge entfernt neben uns her. Seine (oder ihre?) Bewegungen sind lang, kraftvoll und elegant, ein müheloses Schweben. Leider können wir ihn wieder nicht bestimmen. Hoffentlich will er nicht spielen.
13 Grad Süd. Ein heftiger Squall, wie immer im Morgengrauen. Meditation? Es hämmert aus SSW, gute 6-7 und regnet in Strömen. Gröbster Seegang auf einer enormen Dünung aus dem Südmeer. Alles nirgendwo angesagt. Selbst unter dichtgeknalltem Kutter und doppelt gerefftem Groß können wir nichts besseres tun, als zähneknirschend gen WSW zu stochern. Zum kotzen. Bohren wir uns jetzt ungespitzt in das brasilianische Festland? Wieder weiß der Atlantikführer der »Deutschen Seewarte« Rat: Nerven behalten, »voll und bei« steuern, solche Episoden gehen vorbei. Ein Wegpunkt bei 20 Grad Süd und 36 Grad West sollte später immer drin sein. Und dann bei raumenden Winden in aller Ruhe Kurs auf »Cabo Frio« nehmen. Schon merkwürdig, wie beruhigend, hilfreich und brandaktuell diese Texte auf uns wirken. Die Verfasser sind längst nicht mehr, aber sie behalten recht: 12 Stunden später springt der Wind zurück und raumt weiter, die Sonne zeigt sich in einem stahlblauen Himmel, und erstmals fahren wir mit halbem Wind direkt auf unser Ziel zu. Traumhaftes, kontemplatives segeln jetzt. Finden wir auf den letzten 1000 Seemeilen doch noch in eine selbstverständliche Bordroutine, die sich bisher wegen der harten und ständig wechselnden Bedingungen nicht einstellen wollte?
18 Grad Süd, SE 4-5. Seit Tagen ein bequemes, gemächliches Fortkommen bei herrlich kühlem und sonnigem Wetter in einer langen, souveränen Atlantikdünung. Wir genießen es, lesen viel, kochen gut und sind recht faul. Ankommen bräuchten wir eigentlich so bald nicht. Da ist es: Das Gefühl, das alles gut ist hier an Bord. Nachtwache: Sterne über Sternen. Wir folgen der Milchstraße zum Kreuz des Südens, das mit jedem Tag höher steigt. »Crux«? Kein wirklich schöner Name für so ein herrliches Sternbild. »Kite«, Drachen, würde eher passen. Die Konstellation hängt dort am Ende der Milchstraße, wie ein munterer Papierdrachen an einer mit Alpha und Beta Centauri geschmückten Leine.
22 Grad Süd. Wir nähern uns der brasilianische Küste in spitzem Winkel. Keine 250 Seemeilen mehr bis Rio de Janeiro, 300 bis Ilha Grande. Alles wäre bestens, wenn unsere per Iridium heruntergeladenen Wetterdaten die aus SW herannahende Sturmfront nicht zeigen würden. Die Möglichkeiten zum auskneifen sind begrenzt: Der Hafen von Vitória liegt 120 Seemeilen STB querab. Umweg, Bürokratie, Dieselverbrauch, Reibungsverluste. Wir können uns dazu nicht durchringen. Blieben die gut geschützten Ankerplätze am Cabo Frio. Leider erreichen wir die wohl nicht mehr rechtzeitig.
NE 6-7 jetzt. Das Biest atmet ein. Platt vor dem Wind rauschen wir tief gerefft durch eine schwarze, schaurige Nacht. Regenböen und abrupten Winddreher. Zwischen uns und der Küste liegt das über 130 Seemeilen lange, für uns verbotene »Campos Oilfield« mit hunderten Bohrinseln, Mooringtonnen und Versorgungsschiffen. Daran müssen wir vorbei, bevor der Wind dreht. Falls das nichts wird, wären wir gezwungen beizudrehen, oder nach NE abzulaufen, also in die Richtung, aus der wir gekommen sind… Der inzwischen zunehmende Schiffsverkehr bringt zusätzliche Arbeit für den Wachhabenden. Dank AIS (»Automatic identification system«) können wir auf unserem Kartenplotter einige Informationen über die meisten Schiffe abrufen: Die Länge und Tonnage zum Beispiel, der Heimathafen, der Zielhafen. Wichtig für uns ist vor allem die Distanz mit der sie uns wo passieren werden. Davon ausgehend können wir entscheiden, ggf. selber den Kurs zu ändern, oder das betreffende Schiff per UKW Funk auf uns aufmerksam zu machen. Seit über 100 Jahren haben Segelschiffe wegen ihrer begrenzten Manövrierfähigkeit Vorfahrt vor Dampfern. Nicht zuletzt deshalb passiert man uns fast immer in sicherem Abstand. Die Wachhabenden sehen ja neben dem Radarecho auch unser AIS Signal auf ihrem Bildschirm. Einen Haken hat die Sache aber doch: Nicht alle Schiffe fahren ein aktives AIS. Gerade Fischer mögen es nicht, gesehen werden. Siehe oben. Es bleibt nichts anderes übrig, als alle 15 Minuten einen Blick in die Runde zu werfen.
24 Stunden später, 23 Grad Süd. Wir haben das »Campos Oilfield« passiert und stehen inzwischen sogar ein halbes Grad südlich von Rio de Janeiro. Noch immer weht es hart aus NE. Stärke 8, Regen, überkommende Brecher, zum Glück von achtern. Der Seegang ist furchterregend. Unseren in weiser Voraussicht vorgekochten Linseneintopf löffeln wir auf dem Salonboden sitzend. Draussen ist die Hölle los. Leider nur das »Horsd’oeuvre«. Das GRIB verspricht eine kurze Flaute bei Tagesanbruch und dann kommt der Hauptgang: SW, später S in Sturmstärke, genau aus der Gegenrichtung des jetzigen NE. Was das mit dem Seegang anstellen wird, malen wir uns lieber nicht aus. Wir werden versuchen, etwas »Seeraum« zu behalten, um länger in tieferem Wasser zu bleiben. Wünscht uns Glück.
Das Problem am segeln ist das segeln. Ein Tag, an dem es nicht Tag werden will. Wir stecken drin. SSW Stärke 8. Der Windmesser hat es sich bei über 40 Knoten bequem gemacht. Es ist, für unsere Verhältnisse, bitterkalt. Unter kleinsten Segeln und mit dichten Schoten jagt die VERA an der uns unbekannten brasilianischen Küste entlang. Der Winddreher kam früh, zu früh, um »Seeraum« auf Vorrat zu schaffen. Was wir haben, wird reichen müssen. Ein infernalischer, zeitweise gefährlicher Seegang prügelt uns grün und blau. Immerhin: Die Einfahrt nach Ilha Grande können wir so gerade anliegen. Wenn nichts bricht, sind wir morgen Abend dort, wenn auch gut geduscht. Ein Gedanke, der für etwas Licht sorgt an diesem finsteren Tag. Und: Land in Sicht. Erstmals seit 23 Tagen. Cabo Frio Steuerbord querab, gerade so auszumachen in der drohend verhangenen Abenddämmerung. Nachtwache, drei Uhr: Nieselregen, aber die Front ist durch. Es raumt. Nur noch mit zwanzig Knoten aus Süd, nachlassender Seegang. Der Lichtschein der Millionenmetropole Rio de Janeiro beeindruckt an STB voraus. Es zieht uns nicht dorthin.
Tagesanbruch. Es bleibt grau in grau, aber die Sicht bessert sich: Riesige, elegante Fregattvögel kreisen über uns und winken uns ein. Und dort: Der leibhaftige Zuckerhut Steuerbord querab. Die letzten Meilen: Voraus die Einfahrt zur großen Bucht von »Ilha Grande«. Flaute jetzt, alte Welle, der Motor läuft. Wir nutzen den Strom zum Wasser entsalzen und das viele Frischwasser zum entsalzen, zum putzen, spülen und duschen. Wir wollen doch »shipshape« sein, zur Ankunft.
Gegen Abend, bei auffrischendem NE passieren wir die Einfahrt und biegen links in die viel gepriesene »Enseada das Palmas«, eine Bucht, die heute Abend auf den ersten Blick wenig einladend wirkt. Es ist kalt, regnerisch und ein unangenehmer Schwell läuft direkt hinein. Eine wohlverdiente ruhige Nacht? Wollen mal sehen: Dort drüben hinter dem winzigen, palmenbestandenen Inselchen könnte es gehen… Wir werfen Anker, klaren auf und sehen uns um. Es riecht erdig. Hinter uns liegt die Hauptinsel, die »Ilha Grande«, dicht mit tropischem Regenwald bedeckt. Am goldgelben Strand an STB steht eine Villa auf einem Anwesen, das an Schönheit nicht zu übertreffen ist. Hohe, kugelige Granitfelsen ragen aus dem goldgelben Sand. Ein paar Meter höher der Saum des dichten Dschungels. Das Haus selbst ist erst richtig zu sehen als es dunkel wird. Geschmackvolle, warme Lichtinseln zwischen Wald und Felsen. Der Wald erwacht zum Leben. Es muss dort reichlich Affen geben und anderes Getier. B und ich setzen uns, bekleidet mit Faserpelzen und Daunenjacken, aufs Brückendeck und genießen ein paar »Tapas« mit einem anständigen Gin Tonic. Wir haben es geschafft. Morgen früh segeln wir die 15 Seemeilen nach »Angra dos Reis«, eine nahe gelegene Kleinstadt, zum offiziellen einklarieren nach Brasilien. Ab in die Koje.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Angra dos Reis / Ilha Grande / Brasilien
1 - In den Doldrums.

2 - Seegrasfelder auf 8 Grad Nord.

3 - Regenböen voraus.

4 - Die alten Segelhandbücher der »Deutschen Seewarte«…

5 - …sind für uns noch heute aktuell. Wir wollen schließlich auch »Nach der Linie«.

6 - Buckelpiste.

7 - Herrliche Eierkuchen.

8 - Nur ein paar Wochen. Ein Film von B+M.
9 - Die Situation am 21. August gegen 09.00 UTC, bei Tagesanbruch. Rechts oben das »Campos Oilfield«.

10 - Spielball der Elemente. Noch ein Film von B+M.
11 - Wir sind da.

12 - Die Route von den Kanarischen Inseln nach Brasilien.

022 - MIT DEM PASSAT NACH CABO VERDE
27/07/17 00:00 Cabo Verde
Hallo Ihr Lieben!
Passat. Passatbewölkung. Viermastbark PASSAT auf Salpeterfahrt. Warmer Wind von achtern, Beaufort 3-4. Kurs um die 220 Grad, tagelang. Der kühle Kanarenstrom fördert unser Fortkommen. Das Meer zwischen den weißen Katzenköpfen so blau, das man die Feder gleich eintauchen möchte. Im Kielwasser trudelt der Schleppgenerator und erzeugt Strom, den ich jetzt vertippe. Teppiche von fliegenden Fischen rascheln über die Wogen, gejagt von gierigen Golddoraden und fetten Thunfischen. Das große Fressen. Nachts landen fliegende Fische stinkend und zappelnd im Schlafsack und Tintenfische vergießen an Deck ihre letzte Tinte. Die VERA rollt kräftig im Seegang. Festhalten! Gut, das wir vorgekocht haben: Ein auskömmlicher Linseneintopf »ERE style« ohne Reis, aber zusätzlich mit Erdnusssauce und Kokosmilch für mindestens drei Abende und Nächte. Angeln? Die Ausrüstung dazu hätten wir. Aber die Mordlust bleibt aus. Wir sind wohl nicht hungrig genug.
B hat sich beim schwierigen Ablegemanöver in La Restinga einen bösen Hexenschuss zugezogen, der vor allem beim Sitzen üble Schmerzen verursacht. Zum Glück gibt es wenig zu tun. Die Genua zieht wie ein gut gefütterter Vierspänner, während das Großsegel friedlich unter seiner Baumpersenning faulenzt. Der Verschleiß wäre erheblich, wenn es jetzt ebenfalls gesetzt wäre. Genau platt vor dem Wind würden die langen Segellatten durch das Rollen des Bootes ständig überschlagen und die kugelgelagerten Mastrutscher erheblich strapazieren. Der Lärm wäre nervtötend. Das Segel würde an den Hinterkanten der Salinge aufliegen und ordentlich scheuern. Alles nicht gut. Und teuer. Früher, als wir jung waren, hätten wir darauf keine Rücksicht genommen, hätten aus solchen Tagen 180 Seemeilen geholt und nicht bloß 150, wären früher da gewesen. Doch wozu? Ein weiterer Tag auf See ist bei diesen Bedingungen allemal attraktiv. Die VERA, ein altes und eher unbequemes Regattaboot für zehn harte Männer, segelt auch noch ganz anständig wenn man sie nicht fordert. Das hilft uns jetzt zu einem bequemen Leben. Kaum Arbeit mit den Segeln, Zeit für Rückengymnastik.
Sind die Anflüge von Seekrankheit erst einmal überwunden, dann kann man auf Passage viel Freiraum finden. Endlich in Ruhe Gitarre spielen. Grübeln, in langen Nachtwachen: Hat mein Dasein eine Bedeutung, oder ist eigentlich alles egal? Wann ist man als Mensch authentisch? Kann man der Autor des eigenen Lebens sein und dabei bei der Wahrheit bleiben? Stimmt es, das Salzwasser gegen alles hilft, sogar gegen das Leiden an der eigenen Existenz? Man könnte auch polieren, putzen, takeln oder irgendetwas reparieren. Das Boot noch besser machen, für alle Fälle. Ist Perfektionismus eine Charakterschwäche? Vernünftig ist er jedenfalls nicht. Aber: Perfektion hat etwas mit Qualität zu tun. Doch was ist Qualität? Noch mal nachlesen bei Robert Pirsig… Betrachten wir zum Beispiel einmal einen banalen Tauwerkschäkel. Jahrelang dachte ich, das ich diese praktischen Konstruktionen aus Dyneema verstanden hätte, und lebte mit dem guten Gefühl überlegenen Wissens. Dann kam ein Freund und zeigte mir, wie es besser geht. Sein Tauwerkschäkel mit »Button Knot« ist nicht ganz einfach zu knüpfen, verfügt aber über überragende Haltekraft, ist Handwerkskunst, ist Qualität, ist Abenteuer im Raum… Ist das jetzt schon autistisch? Egal.
Am vierten Tag wird der Passat löchrig und flau, wie erwartet. Unsere nunmehr saubere Iridium Verbindung verhilft uns jeder Zeit zu aktuellen Wetterdaten (»GRIB files«) über Satelliten, und das erhebende Gefühl, in die Zukunft blicken zu können. Flaute bis morgen Abend, dann auffrischender NO, der uns bis Sonntag Mittag nach Mindelo bringen sollte. Übermenschliche Fähigkeiten, die wir anderen verdanken. Denjenigen, die die Arbeit gemacht haben.
An Backbord, keine 300 Seemeilen querab: Afrika, die Wüste, Westsahara, Mauretanien. Die Menschen dort haben andere Sorgen: Korruption, Stellvertreterkriege, Lebensregeln und Ehrbegriffe aus dem Mittelalter. Wir sind privilegiert. Das ist uns bewusst. Es tut gut, das wir hier unbehelligt segeln können. Keine Schiffe, Leere, niemand da, selbst auf dem »AIS«. Wir segeln außerhalb der Dampferrouten. Das Meer ist sauber, bis zum Horizont, jedenfalls auf den ersten Blick. Hier draußen gibt es sie noch: Die letzten unregulierten Räume der Erde, die letzte Wildnis, das letzte Abenteuer. Ich glaube, das viele Menschen ein Bedürfnis danach in ihren Herzen tragen. Vor einigen Wochen war der Artikel »Allrad LKW für die Weltreise / Diese Wohnung wühlt sich durch« tagelang der meistgelesene Beitrag auf »spiegel online«… Tolle Autos, keine Frage. Aber: »The only noble thing a man can do with money is to build a schooner.« - Robert Louis Stevenson.
Die letzte Nachtwache: Und endlich, ein ungeheurer Sternenhimmel mit leuchtender Milchstraße über der VERA, der erste seit einiger Zeit, wie im Planetarium. Der Polarstern, achteraus, nicht mehr weit vom Horizont. Voraus ahnt man sie schon, die Wunder des südlichen Firmamentes. Mit Onkel Hensoldt auf Streifzug: Jupiter regiert im Westen. Saturn reitet derzeit den Skorpion. Wir freuen uns auf den Süden. Und sein Crux.
Sonntag, 23.07.2017 gegen Mittag: Land in Sicht. Die kapverdischen Insel Santo Antão voraus im Dunst. Der Himmel bleigrau, Nieselregen, der versprochene Wind blieb aus. Motor an. Wir wollen den Törn bis zum Einbruch der Dunkelheit zu Ende bringen. Auf der Reede von Mindelo, dem Hafen der Insel São Vicente, sollen jede Menge unbeleuchtete Wracks liegen, die in keiner Karte verzeichnet sind… Ein paar Stunden später drückt uns der kräftige Passat (kam doch noch…) mit schäumender Bugwelle in die Passage zwischen Santo Antão und São Vicente. Phantastische, grüne Berge an Backbord und Steuerbord. Glück. Momente, die man nirgendwo kaufen kann.
Mindelo: Der erste Eindruck ist wenig heimelig. Kahle, sandige Vulkanhügel, ein eklektisches Sammelsurium von überwiegend hässlichen Bauten am Ufer, Raffinerien, Industrie, dritte Welt. Tatsächlich wird die Reede als billiger, inoffizieller Schrottplatz benutzt; von klammen Reedereien aus aller Welt? Die Republik Cabo Verde mit kaum einer halben Million Einwohner ist ein armes Land, das sich nicht dagegen wehren kann. Andererseits sieht man allerhand provisorische Werftbetriebe, die offenbar mit dem Zerlegen von Wracks beschäftigt sind. Wir werfen den Anker vor der Stadt und köpfen eine Flasche Weisswein. Dazu Melone mit Jamón serrano. Und dann ins Bett.
Am nächsten Morgen bringen wir BOUNCE, das kleine Beiboot der VERA zu Wasser. Unser netter Nachbar am Ankerplatz, ein junger Deutscher aus Mozambique, der hier an seiner hübschen roten Stahlketsch malt, sagt uns gleich, was wir wissen müssen: Sicherer Dinghisteg beim Hochseefischerclub, einklarieren bei der Hafenbehörde am großen Fährterminal, gar nicht zu verfehlen, bloß aufpassen auf den 15PS Zweitakter… das ist alles leicht und schnell gemacht. Ein wenig landkrank wanken wir bald danach durch die Gassen von Mindelo. Da gibt es wunderbare Bauten aus der Kolonialzeit. Das meiste ist in schlechtem Zustand, aber manches hat man doch nett hergerichtet. Wir meandern ins »La Pergola«: Besser sitzt man kaum irgendwo auf der Welt zum Frühstück. Viele »Expats« haben hier Unternehmen gegründet, die ganz gut zu laufen scheinen. Restaurants, Cafés, Bars, »Big Game fishing«, Tauchen, Design. Vieles nimmt Bezug zur lokalen Musikszene, die weltbekannt ist und in beinahe jedem Reisebericht gefeiert wird.
Was fällt uns auf? Manches erinnert an Port Vila, Vanuatu. Ein wuseliger Ort, Schnittstelle zwischen erster und dritter Welt. Sprachfetzen wehen uns an, Portugiesisch, Französisch, Englisch, Crioulo, kein Spanisch. Schöne Menschen, groß und auffallend schlank, oft geschmackvoll gekleidet, die in alle Richtungen wimmeln. Superfreundlich sind sie nicht. Als offensichtlicher Tourist blickt man meist in verschlossene Gesichter, vielleicht gerade, weil man selbst so blöde grinst. Photographieren mag ich (M) nicht und B sowieso nicht. Zu aufdringlich, irgendwie. Hin und wieder wird man dezent angebettelt. Aber überall wird gut aussehendes Gemüse verkauft und Fisch. Die wunderbar restaurierte, zweistöckige Markthalle ist ein Fest für die Sinne. Taxiunternehmen setzen in der Mehrzahl auf Qualitätsprodukte aus Sindelfingen und fahren gut damit. Viele freundliche Straßenhunde. Datenkarten für das Internet gibt es in diesem weißen Hightech Pavillon aus Glas, gleich am Hafen. Big business, wie inzwischen überall auf der Welt: Security am Eingang, Klimaanlage, Angestellte in Uniformen alles klinisch rein. Viel farbenprächtige Kundschaft. Mit einem Smartphone bist du angekommen, in der ersten Welt, hast alle Zwischenstufen übersprungen. Das Internet ist der neue Übercortex. Da möchte man doch dabei sein?
Bleiben wollen wir nicht. Ein ganzes Jahr wäre noch unzureichend, um diese sandigen Inseln zu erkunden. 80 Liter extra Diesel in Kanistern sind gebunkert und alle Gasflaschen gefüllt. Morgen gilt es noch Gemüse und Obst zu kaufen und zu stauen. Den oft empfohlenen Ausflug nach Santo Antão lassen wir aus. Am Samstag bei Tagesanbruch gehen wir unter Segel.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Mindelo / São Vicente / Cabo Verde
1 - Geruhsames segeln im Passat. Ein Film von B+M.
2 - Ein Tauwerkschäkel mit »Button knot«.

3 - Sogar zum Gitarre spielen bleibt Zeit.

4 - Land in Sicht! Die Insel Santo Antão Stb voraus.

5 - Die gelbe Quarantäneflagge unter der Nationalen der Republik Cabo Verde.

6 - VERA zwischen anderen Ankerliegern vor der farbenfrohen Kulisse von Mindelo, Sao Vicente, Cabo Verde.

7 - Der erste Eindruck ist wenig heimelig.

8 - Schon besser: Mindelo, »Waterfront«.

9 - Qualitätsprodukt aus Sindelfingen.

10 - Ein sehr schönes Stück Geld.

11 - Unsere Route von El Hierro nach Cabo Verde.

Passat. Passatbewölkung. Viermastbark PASSAT auf Salpeterfahrt. Warmer Wind von achtern, Beaufort 3-4. Kurs um die 220 Grad, tagelang. Der kühle Kanarenstrom fördert unser Fortkommen. Das Meer zwischen den weißen Katzenköpfen so blau, das man die Feder gleich eintauchen möchte. Im Kielwasser trudelt der Schleppgenerator und erzeugt Strom, den ich jetzt vertippe. Teppiche von fliegenden Fischen rascheln über die Wogen, gejagt von gierigen Golddoraden und fetten Thunfischen. Das große Fressen. Nachts landen fliegende Fische stinkend und zappelnd im Schlafsack und Tintenfische vergießen an Deck ihre letzte Tinte. Die VERA rollt kräftig im Seegang. Festhalten! Gut, das wir vorgekocht haben: Ein auskömmlicher Linseneintopf »ERE style« ohne Reis, aber zusätzlich mit Erdnusssauce und Kokosmilch für mindestens drei Abende und Nächte. Angeln? Die Ausrüstung dazu hätten wir. Aber die Mordlust bleibt aus. Wir sind wohl nicht hungrig genug.
B hat sich beim schwierigen Ablegemanöver in La Restinga einen bösen Hexenschuss zugezogen, der vor allem beim Sitzen üble Schmerzen verursacht. Zum Glück gibt es wenig zu tun. Die Genua zieht wie ein gut gefütterter Vierspänner, während das Großsegel friedlich unter seiner Baumpersenning faulenzt. Der Verschleiß wäre erheblich, wenn es jetzt ebenfalls gesetzt wäre. Genau platt vor dem Wind würden die langen Segellatten durch das Rollen des Bootes ständig überschlagen und die kugelgelagerten Mastrutscher erheblich strapazieren. Der Lärm wäre nervtötend. Das Segel würde an den Hinterkanten der Salinge aufliegen und ordentlich scheuern. Alles nicht gut. Und teuer. Früher, als wir jung waren, hätten wir darauf keine Rücksicht genommen, hätten aus solchen Tagen 180 Seemeilen geholt und nicht bloß 150, wären früher da gewesen. Doch wozu? Ein weiterer Tag auf See ist bei diesen Bedingungen allemal attraktiv. Die VERA, ein altes und eher unbequemes Regattaboot für zehn harte Männer, segelt auch noch ganz anständig wenn man sie nicht fordert. Das hilft uns jetzt zu einem bequemen Leben. Kaum Arbeit mit den Segeln, Zeit für Rückengymnastik.
Sind die Anflüge von Seekrankheit erst einmal überwunden, dann kann man auf Passage viel Freiraum finden. Endlich in Ruhe Gitarre spielen. Grübeln, in langen Nachtwachen: Hat mein Dasein eine Bedeutung, oder ist eigentlich alles egal? Wann ist man als Mensch authentisch? Kann man der Autor des eigenen Lebens sein und dabei bei der Wahrheit bleiben? Stimmt es, das Salzwasser gegen alles hilft, sogar gegen das Leiden an der eigenen Existenz? Man könnte auch polieren, putzen, takeln oder irgendetwas reparieren. Das Boot noch besser machen, für alle Fälle. Ist Perfektionismus eine Charakterschwäche? Vernünftig ist er jedenfalls nicht. Aber: Perfektion hat etwas mit Qualität zu tun. Doch was ist Qualität? Noch mal nachlesen bei Robert Pirsig… Betrachten wir zum Beispiel einmal einen banalen Tauwerkschäkel. Jahrelang dachte ich, das ich diese praktischen Konstruktionen aus Dyneema verstanden hätte, und lebte mit dem guten Gefühl überlegenen Wissens. Dann kam ein Freund und zeigte mir, wie es besser geht. Sein Tauwerkschäkel mit »Button Knot« ist nicht ganz einfach zu knüpfen, verfügt aber über überragende Haltekraft, ist Handwerkskunst, ist Qualität, ist Abenteuer im Raum… Ist das jetzt schon autistisch? Egal.
Am vierten Tag wird der Passat löchrig und flau, wie erwartet. Unsere nunmehr saubere Iridium Verbindung verhilft uns jeder Zeit zu aktuellen Wetterdaten (»GRIB files«) über Satelliten, und das erhebende Gefühl, in die Zukunft blicken zu können. Flaute bis morgen Abend, dann auffrischender NO, der uns bis Sonntag Mittag nach Mindelo bringen sollte. Übermenschliche Fähigkeiten, die wir anderen verdanken. Denjenigen, die die Arbeit gemacht haben.
An Backbord, keine 300 Seemeilen querab: Afrika, die Wüste, Westsahara, Mauretanien. Die Menschen dort haben andere Sorgen: Korruption, Stellvertreterkriege, Lebensregeln und Ehrbegriffe aus dem Mittelalter. Wir sind privilegiert. Das ist uns bewusst. Es tut gut, das wir hier unbehelligt segeln können. Keine Schiffe, Leere, niemand da, selbst auf dem »AIS«. Wir segeln außerhalb der Dampferrouten. Das Meer ist sauber, bis zum Horizont, jedenfalls auf den ersten Blick. Hier draußen gibt es sie noch: Die letzten unregulierten Räume der Erde, die letzte Wildnis, das letzte Abenteuer. Ich glaube, das viele Menschen ein Bedürfnis danach in ihren Herzen tragen. Vor einigen Wochen war der Artikel »Allrad LKW für die Weltreise / Diese Wohnung wühlt sich durch« tagelang der meistgelesene Beitrag auf »spiegel online«… Tolle Autos, keine Frage. Aber: »The only noble thing a man can do with money is to build a schooner.« - Robert Louis Stevenson.
Die letzte Nachtwache: Und endlich, ein ungeheurer Sternenhimmel mit leuchtender Milchstraße über der VERA, der erste seit einiger Zeit, wie im Planetarium. Der Polarstern, achteraus, nicht mehr weit vom Horizont. Voraus ahnt man sie schon, die Wunder des südlichen Firmamentes. Mit Onkel Hensoldt auf Streifzug: Jupiter regiert im Westen. Saturn reitet derzeit den Skorpion. Wir freuen uns auf den Süden. Und sein Crux.
Sonntag, 23.07.2017 gegen Mittag: Land in Sicht. Die kapverdischen Insel Santo Antão voraus im Dunst. Der Himmel bleigrau, Nieselregen, der versprochene Wind blieb aus. Motor an. Wir wollen den Törn bis zum Einbruch der Dunkelheit zu Ende bringen. Auf der Reede von Mindelo, dem Hafen der Insel São Vicente, sollen jede Menge unbeleuchtete Wracks liegen, die in keiner Karte verzeichnet sind… Ein paar Stunden später drückt uns der kräftige Passat (kam doch noch…) mit schäumender Bugwelle in die Passage zwischen Santo Antão und São Vicente. Phantastische, grüne Berge an Backbord und Steuerbord. Glück. Momente, die man nirgendwo kaufen kann.
Mindelo: Der erste Eindruck ist wenig heimelig. Kahle, sandige Vulkanhügel, ein eklektisches Sammelsurium von überwiegend hässlichen Bauten am Ufer, Raffinerien, Industrie, dritte Welt. Tatsächlich wird die Reede als billiger, inoffizieller Schrottplatz benutzt; von klammen Reedereien aus aller Welt? Die Republik Cabo Verde mit kaum einer halben Million Einwohner ist ein armes Land, das sich nicht dagegen wehren kann. Andererseits sieht man allerhand provisorische Werftbetriebe, die offenbar mit dem Zerlegen von Wracks beschäftigt sind. Wir werfen den Anker vor der Stadt und köpfen eine Flasche Weisswein. Dazu Melone mit Jamón serrano. Und dann ins Bett.
Am nächsten Morgen bringen wir BOUNCE, das kleine Beiboot der VERA zu Wasser. Unser netter Nachbar am Ankerplatz, ein junger Deutscher aus Mozambique, der hier an seiner hübschen roten Stahlketsch malt, sagt uns gleich, was wir wissen müssen: Sicherer Dinghisteg beim Hochseefischerclub, einklarieren bei der Hafenbehörde am großen Fährterminal, gar nicht zu verfehlen, bloß aufpassen auf den 15PS Zweitakter… das ist alles leicht und schnell gemacht. Ein wenig landkrank wanken wir bald danach durch die Gassen von Mindelo. Da gibt es wunderbare Bauten aus der Kolonialzeit. Das meiste ist in schlechtem Zustand, aber manches hat man doch nett hergerichtet. Wir meandern ins »La Pergola«: Besser sitzt man kaum irgendwo auf der Welt zum Frühstück. Viele »Expats« haben hier Unternehmen gegründet, die ganz gut zu laufen scheinen. Restaurants, Cafés, Bars, »Big Game fishing«, Tauchen, Design. Vieles nimmt Bezug zur lokalen Musikszene, die weltbekannt ist und in beinahe jedem Reisebericht gefeiert wird.
Was fällt uns auf? Manches erinnert an Port Vila, Vanuatu. Ein wuseliger Ort, Schnittstelle zwischen erster und dritter Welt. Sprachfetzen wehen uns an, Portugiesisch, Französisch, Englisch, Crioulo, kein Spanisch. Schöne Menschen, groß und auffallend schlank, oft geschmackvoll gekleidet, die in alle Richtungen wimmeln. Superfreundlich sind sie nicht. Als offensichtlicher Tourist blickt man meist in verschlossene Gesichter, vielleicht gerade, weil man selbst so blöde grinst. Photographieren mag ich (M) nicht und B sowieso nicht. Zu aufdringlich, irgendwie. Hin und wieder wird man dezent angebettelt. Aber überall wird gut aussehendes Gemüse verkauft und Fisch. Die wunderbar restaurierte, zweistöckige Markthalle ist ein Fest für die Sinne. Taxiunternehmen setzen in der Mehrzahl auf Qualitätsprodukte aus Sindelfingen und fahren gut damit. Viele freundliche Straßenhunde. Datenkarten für das Internet gibt es in diesem weißen Hightech Pavillon aus Glas, gleich am Hafen. Big business, wie inzwischen überall auf der Welt: Security am Eingang, Klimaanlage, Angestellte in Uniformen alles klinisch rein. Viel farbenprächtige Kundschaft. Mit einem Smartphone bist du angekommen, in der ersten Welt, hast alle Zwischenstufen übersprungen. Das Internet ist der neue Übercortex. Da möchte man doch dabei sein?
Bleiben wollen wir nicht. Ein ganzes Jahr wäre noch unzureichend, um diese sandigen Inseln zu erkunden. 80 Liter extra Diesel in Kanistern sind gebunkert und alle Gasflaschen gefüllt. Morgen gilt es noch Gemüse und Obst zu kaufen und zu stauen. Den oft empfohlenen Ausflug nach Santo Antão lassen wir aus. Am Samstag bei Tagesanbruch gehen wir unter Segel.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Mindelo / São Vicente / Cabo Verde
1 - Geruhsames segeln im Passat. Ein Film von B+M.
2 - Ein Tauwerkschäkel mit »Button knot«.

3 - Sogar zum Gitarre spielen bleibt Zeit.

4 - Land in Sicht! Die Insel Santo Antão Stb voraus.

5 - Die gelbe Quarantäneflagge unter der Nationalen der Republik Cabo Verde.

6 - VERA zwischen anderen Ankerliegern vor der farbenfrohen Kulisse von Mindelo, Sao Vicente, Cabo Verde.

7 - Der erste Eindruck ist wenig heimelig.

8 - Schon besser: Mindelo, »Waterfront«.

9 - Qualitätsprodukt aus Sindelfingen.

10 - Ein sehr schönes Stück Geld.

11 - Unsere Route von El Hierro nach Cabo Verde.

021 - EL HIERRO
14/07/17 00:00 Canary Islands
Hallo Ihr Lieben!
Wir sind seeklar. Die Vorratsschapps sind gut gefüllt. Das Unterwasserschiff und der Propeller sind sorgfältig saubergekratzt. Das Iridium Telefon läuft und das iPad kennt jetzt ganz Südamerika. Fazit nach vielen Tagen heftigster Recherche und Installationsarbeit: Die Industrie will uns zu strunzdummen, willfärigen »usern« erziehen, die gut und regelmäßig zahlen, und ihre Seele irgendwo in der »Cloud« abspeichern… Aber immerhin: Mac OS 10.9.5 spricht jetzt mit dem uralten Sailor SC4000 Satellitentelefon. Das ist gut. Nicht so gut: Mac OS 10.6.2. auf unsrem alten Ersatzgerät will das leider nicht. Aus Gründen der Redundanz erwerben wir deshalb in Valle Gran Rey noch spontan einen günstigen »ASUS Windows 10« Laptop. Dieser zieht sich innerhalb weniger Minuten nach dem Einschalten den Rest unserer teuren, sorgfältig aufgesparten Gigabytes rein. Das Miststück. Die Iridium Installation hierfür muss also zunächst noch warten.
Eines Morgens ziehen wir schweren Herzens den schweren Bügelanker der VERA aus dem schwarzen Sand vor dem Meditationszentrum in Valle Gran Rey. La Gomera war gut zu uns. Bekömmliches Klima, ein friedlicher Ankerplatz, und sehr nette Cafés an Land, mit freundlichen Menschen, die die Ruhe weg haben. Sogar einen feinen, neuen Begriff haben wir hier gelernt: »Aggro-Buddhismus«. Wir kommen wieder, irgendwann. Hoffentlich.
Platt vor dem Wind rollt die VERA 50 Seemeilen gen EL Hierro, dem diesmal wirklich allerletzten Zipfel Europas. Vor 15 Jahren ankerten wir in »Puerto Estaca« an der Nordostküste. Das ist heutzutage leider verboten, und andere sinnvolle Ankerplätze gibt es nirgendwo auf El Hierro. Daher haben wir in der kleine Marina von »La Restinga« ganz im Süden der Insel einen Liegeplatz gebucht. Gegen Abend passieren wir bei Nordostwind Stärke 7, heulenden Böen und hoher Dünung die enge Hafeneinfahrt. Das Hafenbecken ist verdammt eng. Der einzige freie Liegeplatz für größere Boote liegt am Ende einer engen »Boxengasse«, die genau quer zum jaulenden Wind liegt. Obwohl wir viel Zeit und Sorgfalt in die Manöverplanung stecken, geht es beinahe schief. Nur durch ein Wunder und den selbstlosen Einsatz eines bärenstarken Franzosen bekommen wir das Schiff ohne Schäden vertäut. Das geht an die Nerven, aber die »Dos jarras« danach in einer einfachen Bar auf der nahen Uferpromenade schmecken dann doch. Schwamm drüber.
In »La Restinga« geht es, abgesehen vom vielen Wind, überaus beschaulich zu. Vor einigen Jahren brach nur wenige Kilometer entfernt unter Wasser der Vulkan »Eldiscreto« aus, der sich allerdings, zum Glück für die Einheimischen, bald wieder schlafen legte. Schön ist der Ort nicht. Die meisten Bauten hier sind jüngeren Datums und von zweifelhafter Qualität. Eine Grausamkeit der sehenswerten Art findet sich am Ortsausgang. Ein gelb-oranger Appartementblock, der überaus deutlich macht, was man mit Gebautem anzurichten vermag. Ich (M) will das Teil mal »Bonjour Tristesse« taufen. Hier sieht man exemplarisch, wie lohnend es wäre, Architektur als Kultur zu begreifen, gleich in der Schule zu lehren, ihr etwas Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, wie z.B. der Musik, dem Fußball, oder dem Essen. Aber ich schweife ab.
Alles in allem, ist »La Restinga« nett. Obwohl die Sommersaison für spanische Touristen begonnen hat, sind in den wenigen Bars und Restaurants immer Plätze frei. Tauchschulen gibt es einige. Jeden Tag fahren zahlreiche große Schlauchboote voll beladen mit gut gerüsteten Helden aus dem Hafen. Dort draußen soll es große Rochen und Wolken von Hammerhaien geben, bei klarem Wasser. Wir passen trotzdem. Zu teuer, zu viel zu tun. Mit dem Bus, chauffiert von einer charakterstarken Fahrerin, fahren wir nach »Valverde«, den Hauptort der Insel, und mieten gleich beim Busunternehmen einen schwarzen Polo. 150.000km hat er runter, also fast wie neu, bis auf das durchgewetzte Lenkrad. Mit diesem Qualitätsprodukt erkunden wir drei Tage die ganze Insel. Natürlich schauen wir mal hinab nach »Puerto Estaca«. Der kleine Hafen ist nicht wiederzukennen. Dort wo damals ein paar Fischerhütten und eine hübsche Villa im Schutz einer einfachen Steinmole standen, erhebt sich nun ein monströses Fährterminal hinter einer mächtigen Betonwand. EU-Geld. Sogar eine leere, neue Marina gibt es, mit richtigen Schwimmstegen hinter rostigem Stacheldrahtzaun. Kein Café, kein Restaurant, keine Bar. Niemand hier. Nur Asphalt und Beton. Bloß weg. Lieber ein wenig mehr herumfahren auf dieser wilden und leeren Insel. Köstlich frühstücken im ehrwürdigen »El Mentidero« in »El Pinar«, über Stock und Stein laufen, durch den unerwartet dichten und feuchtkalten Regenwald. Einen aller allerletzten, spektakulären Blick zurück werfen, über die Wolken und die Insel La Gomera hinweg, auf den königlichen »Pico del Teide« auf Teneriffa. An der Nordküste steigen wir nach »Pozo de las Calcosas« ab, ein wildromantisches, kaum bewohntes Fischerdorf mit strohgedeckten Hütten. Am »Mirador de la Peña« essen wir zum Abend und genießen den unglaublichen Blick hinab nach »El Golfo«, in die Flanke des Vulkans und hinaus aufs Meer. Das gut gebaute Restaurant aus schwarzem Lavastein, Beton und Glas nach Plänen von César Manrique (natürlich) wäre die ideale Villa für den distinguierten Bösewicht in einem 70er Jahre James Bond Film gewesen, aber zum Essen taugt es auch. Sonst noch etwas? Das Inselparlament hat sich den nachhaltigen Ökotourismus auf die Fahnen geschrieben. Das tut der Insel gut, führt allerdings auch zu gewissen Verzerrungen. Nachzulesen hier: https://lapalma1.net/2016/01/09/el-hierro-regenerative-energie-bilanz/
Wir wollen los. Vor uns liegen zwei lange Törns nach Süden. Ein erstes Ziel sollen die Kapverdischen Inseln sein, knapp 800 Seemeilen südlich von El Hierro gelegen. Dort möchten wir einen kurzen Zwischenstop einlegen, vor dem geplanten Schlag durch die kapriziösen »Doldrums« nach Brasilien. Eine gewisse Nervosität kann ich (M) nicht verhehlen. Da kann auch einiges schief gehen. Mit etwas Pech. Die tagelange, fruchtlose Iridium Installiererei unter Windows 10, hier an diesem an sich ganz passablem Platz, zerrt auch an meinem Gemüt. »All I ask is a comfortable home« ist eines meiner Lieblingszitate. Dort draußen liegt aber eine eher unsichere Zukunft und eine ungewohnte Umgebung, auf die kein Verlass ist. Da benötigt man einen stabilen Charakter, so einen, der die Ruhe und die Sicherheit ganz in sich selbst findet. Den habe ich (M) aber leider nicht. Sind wir gut genug vorbereitet? Wahrscheinlich ja. Das muss reichen. Wir melden uns wieder. Hoffentlich.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / La Restinga / El Hierro / Spanien
1 - B beim Gemüseeinkauf im Valle Gran Rey, La Gomera

2 - VERA im kleinen Hafen von La Restinga, El Hierro. Hoffentlich kriegen wir sie da heil wieder hinaus…

3 - Eine erste Wanderung erinnert ein wenig an Galapagos.

4 - Ein »Blowhole« unweit von La Restinga, El Hierro.

5 - »Bonjour Tristesse« - La Restinga, El Hierro

6 - »Bonjour Tristesse« - La Restinga, El Hierro

7 - »Pozo de las Calcosas«, ein verlassenes Fischerdorf auf El Hierro

8 - Ein aller allerletzter Blick zurück, über die Wälder El Hierros und die Insel La Gomera hinweg auf den Pico del Teide auf Teneriffa, über 150km entfernt.

9 - Und nun? Hinaus.

Wir sind seeklar. Die Vorratsschapps sind gut gefüllt. Das Unterwasserschiff und der Propeller sind sorgfältig saubergekratzt. Das Iridium Telefon läuft und das iPad kennt jetzt ganz Südamerika. Fazit nach vielen Tagen heftigster Recherche und Installationsarbeit: Die Industrie will uns zu strunzdummen, willfärigen »usern« erziehen, die gut und regelmäßig zahlen, und ihre Seele irgendwo in der »Cloud« abspeichern… Aber immerhin: Mac OS 10.9.5 spricht jetzt mit dem uralten Sailor SC4000 Satellitentelefon. Das ist gut. Nicht so gut: Mac OS 10.6.2. auf unsrem alten Ersatzgerät will das leider nicht. Aus Gründen der Redundanz erwerben wir deshalb in Valle Gran Rey noch spontan einen günstigen »ASUS Windows 10« Laptop. Dieser zieht sich innerhalb weniger Minuten nach dem Einschalten den Rest unserer teuren, sorgfältig aufgesparten Gigabytes rein. Das Miststück. Die Iridium Installation hierfür muss also zunächst noch warten.
Eines Morgens ziehen wir schweren Herzens den schweren Bügelanker der VERA aus dem schwarzen Sand vor dem Meditationszentrum in Valle Gran Rey. La Gomera war gut zu uns. Bekömmliches Klima, ein friedlicher Ankerplatz, und sehr nette Cafés an Land, mit freundlichen Menschen, die die Ruhe weg haben. Sogar einen feinen, neuen Begriff haben wir hier gelernt: »Aggro-Buddhismus«. Wir kommen wieder, irgendwann. Hoffentlich.
Platt vor dem Wind rollt die VERA 50 Seemeilen gen EL Hierro, dem diesmal wirklich allerletzten Zipfel Europas. Vor 15 Jahren ankerten wir in »Puerto Estaca« an der Nordostküste. Das ist heutzutage leider verboten, und andere sinnvolle Ankerplätze gibt es nirgendwo auf El Hierro. Daher haben wir in der kleine Marina von »La Restinga« ganz im Süden der Insel einen Liegeplatz gebucht. Gegen Abend passieren wir bei Nordostwind Stärke 7, heulenden Böen und hoher Dünung die enge Hafeneinfahrt. Das Hafenbecken ist verdammt eng. Der einzige freie Liegeplatz für größere Boote liegt am Ende einer engen »Boxengasse«, die genau quer zum jaulenden Wind liegt. Obwohl wir viel Zeit und Sorgfalt in die Manöverplanung stecken, geht es beinahe schief. Nur durch ein Wunder und den selbstlosen Einsatz eines bärenstarken Franzosen bekommen wir das Schiff ohne Schäden vertäut. Das geht an die Nerven, aber die »Dos jarras« danach in einer einfachen Bar auf der nahen Uferpromenade schmecken dann doch. Schwamm drüber.
In »La Restinga« geht es, abgesehen vom vielen Wind, überaus beschaulich zu. Vor einigen Jahren brach nur wenige Kilometer entfernt unter Wasser der Vulkan »Eldiscreto« aus, der sich allerdings, zum Glück für die Einheimischen, bald wieder schlafen legte. Schön ist der Ort nicht. Die meisten Bauten hier sind jüngeren Datums und von zweifelhafter Qualität. Eine Grausamkeit der sehenswerten Art findet sich am Ortsausgang. Ein gelb-oranger Appartementblock, der überaus deutlich macht, was man mit Gebautem anzurichten vermag. Ich (M) will das Teil mal »Bonjour Tristesse« taufen. Hier sieht man exemplarisch, wie lohnend es wäre, Architektur als Kultur zu begreifen, gleich in der Schule zu lehren, ihr etwas Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, wie z.B. der Musik, dem Fußball, oder dem Essen. Aber ich schweife ab.
Alles in allem, ist »La Restinga« nett. Obwohl die Sommersaison für spanische Touristen begonnen hat, sind in den wenigen Bars und Restaurants immer Plätze frei. Tauchschulen gibt es einige. Jeden Tag fahren zahlreiche große Schlauchboote voll beladen mit gut gerüsteten Helden aus dem Hafen. Dort draußen soll es große Rochen und Wolken von Hammerhaien geben, bei klarem Wasser. Wir passen trotzdem. Zu teuer, zu viel zu tun. Mit dem Bus, chauffiert von einer charakterstarken Fahrerin, fahren wir nach »Valverde«, den Hauptort der Insel, und mieten gleich beim Busunternehmen einen schwarzen Polo. 150.000km hat er runter, also fast wie neu, bis auf das durchgewetzte Lenkrad. Mit diesem Qualitätsprodukt erkunden wir drei Tage die ganze Insel. Natürlich schauen wir mal hinab nach »Puerto Estaca«. Der kleine Hafen ist nicht wiederzukennen. Dort wo damals ein paar Fischerhütten und eine hübsche Villa im Schutz einer einfachen Steinmole standen, erhebt sich nun ein monströses Fährterminal hinter einer mächtigen Betonwand. EU-Geld. Sogar eine leere, neue Marina gibt es, mit richtigen Schwimmstegen hinter rostigem Stacheldrahtzaun. Kein Café, kein Restaurant, keine Bar. Niemand hier. Nur Asphalt und Beton. Bloß weg. Lieber ein wenig mehr herumfahren auf dieser wilden und leeren Insel. Köstlich frühstücken im ehrwürdigen »El Mentidero« in »El Pinar«, über Stock und Stein laufen, durch den unerwartet dichten und feuchtkalten Regenwald. Einen aller allerletzten, spektakulären Blick zurück werfen, über die Wolken und die Insel La Gomera hinweg, auf den königlichen »Pico del Teide« auf Teneriffa. An der Nordküste steigen wir nach »Pozo de las Calcosas« ab, ein wildromantisches, kaum bewohntes Fischerdorf mit strohgedeckten Hütten. Am »Mirador de la Peña« essen wir zum Abend und genießen den unglaublichen Blick hinab nach »El Golfo«, in die Flanke des Vulkans und hinaus aufs Meer. Das gut gebaute Restaurant aus schwarzem Lavastein, Beton und Glas nach Plänen von César Manrique (natürlich) wäre die ideale Villa für den distinguierten Bösewicht in einem 70er Jahre James Bond Film gewesen, aber zum Essen taugt es auch. Sonst noch etwas? Das Inselparlament hat sich den nachhaltigen Ökotourismus auf die Fahnen geschrieben. Das tut der Insel gut, führt allerdings auch zu gewissen Verzerrungen. Nachzulesen hier: https://lapalma1.net/2016/01/09/el-hierro-regenerative-energie-bilanz/
Wir wollen los. Vor uns liegen zwei lange Törns nach Süden. Ein erstes Ziel sollen die Kapverdischen Inseln sein, knapp 800 Seemeilen südlich von El Hierro gelegen. Dort möchten wir einen kurzen Zwischenstop einlegen, vor dem geplanten Schlag durch die kapriziösen »Doldrums« nach Brasilien. Eine gewisse Nervosität kann ich (M) nicht verhehlen. Da kann auch einiges schief gehen. Mit etwas Pech. Die tagelange, fruchtlose Iridium Installiererei unter Windows 10, hier an diesem an sich ganz passablem Platz, zerrt auch an meinem Gemüt. »All I ask is a comfortable home« ist eines meiner Lieblingszitate. Dort draußen liegt aber eine eher unsichere Zukunft und eine ungewohnte Umgebung, auf die kein Verlass ist. Da benötigt man einen stabilen Charakter, so einen, der die Ruhe und die Sicherheit ganz in sich selbst findet. Den habe ich (M) aber leider nicht. Sind wir gut genug vorbereitet? Wahrscheinlich ja. Das muss reichen. Wir melden uns wieder. Hoffentlich.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / La Restinga / El Hierro / Spanien
1 - B beim Gemüseeinkauf im Valle Gran Rey, La Gomera

2 - VERA im kleinen Hafen von La Restinga, El Hierro. Hoffentlich kriegen wir sie da heil wieder hinaus…

3 - Eine erste Wanderung erinnert ein wenig an Galapagos.

4 - Ein »Blowhole« unweit von La Restinga, El Hierro.

5 - »Bonjour Tristesse« - La Restinga, El Hierro

6 - »Bonjour Tristesse« - La Restinga, El Hierro

7 - »Pozo de las Calcosas«, ein verlassenes Fischerdorf auf El Hierro

8 - Ein aller allerletzter Blick zurück, über die Wälder El Hierros und die Insel La Gomera hinweg auf den Pico del Teide auf Teneriffa, über 150km entfernt.

9 - Und nun? Hinaus.

020 - RUHE AUF LA GOMERA
26/06/17 00:00 Canary Islands
Hallo Ihr Lieben!
Valle Gran Rey, La Gomera. Die VERA liegt, wieder einmal, südlich des kleinen Hafens der Ortschaft »Vueltas« vor dem Meditationszentrum und wälzt sich zufrieden in der spürbaren, aber kaum störenden Dünung des Atlantik. Der Anker ist gut vergraben 15 Meter unter uns, in feinem, schwarzem Sand. Valle Gran Rey liegt auf der Leeseite La Gomera’s. Daher ist das Wetter anders als in Las Palmas auf Gran Canaria, sonniger, aber auch deutlich wärmer. Uns stört das nicht. Vor Anker hilft die Sonne beim Laden der Batteriebank und die Hitze lädt zum schwimmen ein. 23 Grad Wassertemperatur, immerhin, glasklar und viele Fische.
An Land ist nichts los. Nirgendwo Touristen. Fast alle Cafés, Läden und Restaurants haben geschlossen. Leider auch das »Cacatua«, wo es die tollen, großen Milchshakes gibt. Die Saison beginnt erst im Oktober. Merkwürdig, gerade weil das Wetter um diese Jahreszeit noch viel besser ist, als im Winter. Immerhin ist Mangosaison. Überall hängen die reifen, süßen Köstlichkeiten an den Mangobäumen, dicht an dicht.
Segler treffen wir auch keine mehr. An jedem Ankerplatz sind wir allein. Nicht einmal Charteryachten sind zu sehen. Saure Gurken Zeit? Wir finden das nicht. Dann genießen wir diesen Luxus eben ganz allein. Unser exklusiver Ankerplatz hier erinnert in vielem an »Hana Vave Bay« auf der Ostseite von Fatu Hiva in den Pazifischen Marquesas. Steile Felswände mit markanten Profilen, die an die Charakterköpfe der Altvorderen denken lassen, oder an Drachen, die im Wasser faulenzen. Warme Luft, Mangos und sattes Grün an Land, der Atem des Meeres, lang und ruhig.
Neben der unumgänglichen Haushaltsführung, kommen wir zu den ganzen kleinen Dingen, für die im letzten Jahr niemals Zeit war. Klare Gedanken fassen zum Beispiel. Auszoomen. Wir haben es geschafft. Wir leben an Bord. Wir haben die Leinen losgeschmissen. Ballast abgeworfen. Viel Ballast. Fast alles ist weg. Keine gut bezahlten Jobs mehr. Keinen Audi, keine Abos, keine Wohnung. Nur noch ein baufälliger Schuppen mit ein paar Sachen unter Plastikplanen. Falls der mal abbrennt wäre es nicht so schlimm. Schade um die Bücher und den alten Benz. Vielleicht.
Und nun? Endlich richtig aufräumen und alles seesicher verstauen. Ein Boot hat, verglichen mit einem Haus, sehr wenig Platz. Unser neues Leben zwingt uns, sämtliche Gegenstände hier auf ihre Notwendigkeit zu hinterfragen: Brauchen wir das Teil, oder nicht? Ist es uns wirklich wichtig, oder würden wir das Zeug schon nach kurzer Zeit nicht mehr vermissen? Je größer, schwerer oder komplexer ein Ding ist, desto mehr Zeit geht dafür drauf. Auspacken, einpacken, stauen, pflegen, putzen, oder reparieren, und das obwohl man das Teil vielleicht nicht einmal benutzt. Sachen, Sachen, Zeug und mehr Zeug! Alles weg? Die alte Regel, alles wegzuwerfen, was man seit einem Jahr nicht mehr angefasst hat, funktioniert an Bord jedenfalls nicht. Gutes Werkzeug wegwerfen? Das tut weh. Den feinen Tauchkompressor raus? Niemals! Die kleine Segelmachernähmaschine von Bord? Quatsch. Die Ersatzlichtmaschine wegwerfen? Besser nicht. Die Ersatzgenua? Dito. Die Ersatzankerkette? Das wäre in der Tat ein Befreiungsschlag. Aber andererseits? Was, wenn wir das Ankergeschirr mal kappen müssen, in einer finsteren, heulenden Nacht? Die vielen Rollen gutes Tauwerk einfach wegwerfen? Niemals! Die Tüte mit den Kevlarbändseln? Den alten Faserpelz? Meinen (M) alten Hut, den Herrn Hufflepuff? Kommt nicht in Frage. Und so weiter und so weiter, Ihr versteht schon.
Noch was? Doch: Endlich installieren wir unser »neues« Iridium Satellitentelephon, das wir vor Jahren mal günstig bei e-bay erworben haben. Wozu? Ein Satellitentelephon ist eine der wenigen Möglichkeiten, auch auf hoher See Wetterdaten empfangen zu können. Also los: Nach zwei Tagen hat das klobige Teil aus der Berufsschifffahrt (3f’s!) seinen Platz in der Naviecke, Strom, Erdung, Datenkabel und einen mit »N-Steckern« gelöteten Antennenanschluss, der in den 40er Jahren von der Firma »Bell« für die US Navy entwickelt wurde. Wenn jetzt nichts schief geht, und die software auf unserem Laptop tut was sie soll, dann sollte es auch funktionieren, sobald wir unsere SIM Karte und die Gesprächsminuten bezahlt haben… zumindest theoretisch. Wir halten Euch auf dem Laufenden.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Valle Gran Rey / La Gomera / Spanien
1 - Valle Gran Rey: »Unser« Meditationszentrum.

2 - Valle Gran Rey: Mangosaison.

3 - Las Palmas: Ein letztes Abendmahl im Fischrestaurant an der Playa Las Canteras.

4 - Ein allerletzter Blick aus den Bergen Gran Canarias auf den Pico del Teide auf Teneriffa.

5 - Saure Gurken Zeit: Ein hübsches, leeres Lokal in Agaete, Gran Canaria.

6 - Fast seeklar: VERA in der Marina Las Palmas.

7 - Die raue Westküste Gran Canarias bleibt achteraus.

Valle Gran Rey, La Gomera. Die VERA liegt, wieder einmal, südlich des kleinen Hafens der Ortschaft »Vueltas« vor dem Meditationszentrum und wälzt sich zufrieden in der spürbaren, aber kaum störenden Dünung des Atlantik. Der Anker ist gut vergraben 15 Meter unter uns, in feinem, schwarzem Sand. Valle Gran Rey liegt auf der Leeseite La Gomera’s. Daher ist das Wetter anders als in Las Palmas auf Gran Canaria, sonniger, aber auch deutlich wärmer. Uns stört das nicht. Vor Anker hilft die Sonne beim Laden der Batteriebank und die Hitze lädt zum schwimmen ein. 23 Grad Wassertemperatur, immerhin, glasklar und viele Fische.
An Land ist nichts los. Nirgendwo Touristen. Fast alle Cafés, Läden und Restaurants haben geschlossen. Leider auch das »Cacatua«, wo es die tollen, großen Milchshakes gibt. Die Saison beginnt erst im Oktober. Merkwürdig, gerade weil das Wetter um diese Jahreszeit noch viel besser ist, als im Winter. Immerhin ist Mangosaison. Überall hängen die reifen, süßen Köstlichkeiten an den Mangobäumen, dicht an dicht.
Segler treffen wir auch keine mehr. An jedem Ankerplatz sind wir allein. Nicht einmal Charteryachten sind zu sehen. Saure Gurken Zeit? Wir finden das nicht. Dann genießen wir diesen Luxus eben ganz allein. Unser exklusiver Ankerplatz hier erinnert in vielem an »Hana Vave Bay« auf der Ostseite von Fatu Hiva in den Pazifischen Marquesas. Steile Felswände mit markanten Profilen, die an die Charakterköpfe der Altvorderen denken lassen, oder an Drachen, die im Wasser faulenzen. Warme Luft, Mangos und sattes Grün an Land, der Atem des Meeres, lang und ruhig.
Neben der unumgänglichen Haushaltsführung, kommen wir zu den ganzen kleinen Dingen, für die im letzten Jahr niemals Zeit war. Klare Gedanken fassen zum Beispiel. Auszoomen. Wir haben es geschafft. Wir leben an Bord. Wir haben die Leinen losgeschmissen. Ballast abgeworfen. Viel Ballast. Fast alles ist weg. Keine gut bezahlten Jobs mehr. Keinen Audi, keine Abos, keine Wohnung. Nur noch ein baufälliger Schuppen mit ein paar Sachen unter Plastikplanen. Falls der mal abbrennt wäre es nicht so schlimm. Schade um die Bücher und den alten Benz. Vielleicht.
Und nun? Endlich richtig aufräumen und alles seesicher verstauen. Ein Boot hat, verglichen mit einem Haus, sehr wenig Platz. Unser neues Leben zwingt uns, sämtliche Gegenstände hier auf ihre Notwendigkeit zu hinterfragen: Brauchen wir das Teil, oder nicht? Ist es uns wirklich wichtig, oder würden wir das Zeug schon nach kurzer Zeit nicht mehr vermissen? Je größer, schwerer oder komplexer ein Ding ist, desto mehr Zeit geht dafür drauf. Auspacken, einpacken, stauen, pflegen, putzen, oder reparieren, und das obwohl man das Teil vielleicht nicht einmal benutzt. Sachen, Sachen, Zeug und mehr Zeug! Alles weg? Die alte Regel, alles wegzuwerfen, was man seit einem Jahr nicht mehr angefasst hat, funktioniert an Bord jedenfalls nicht. Gutes Werkzeug wegwerfen? Das tut weh. Den feinen Tauchkompressor raus? Niemals! Die kleine Segelmachernähmaschine von Bord? Quatsch. Die Ersatzlichtmaschine wegwerfen? Besser nicht. Die Ersatzgenua? Dito. Die Ersatzankerkette? Das wäre in der Tat ein Befreiungsschlag. Aber andererseits? Was, wenn wir das Ankergeschirr mal kappen müssen, in einer finsteren, heulenden Nacht? Die vielen Rollen gutes Tauwerk einfach wegwerfen? Niemals! Die Tüte mit den Kevlarbändseln? Den alten Faserpelz? Meinen (M) alten Hut, den Herrn Hufflepuff? Kommt nicht in Frage. Und so weiter und so weiter, Ihr versteht schon.
Noch was? Doch: Endlich installieren wir unser »neues« Iridium Satellitentelephon, das wir vor Jahren mal günstig bei e-bay erworben haben. Wozu? Ein Satellitentelephon ist eine der wenigen Möglichkeiten, auch auf hoher See Wetterdaten empfangen zu können. Also los: Nach zwei Tagen hat das klobige Teil aus der Berufsschifffahrt (3f’s!) seinen Platz in der Naviecke, Strom, Erdung, Datenkabel und einen mit »N-Steckern« gelöteten Antennenanschluss, der in den 40er Jahren von der Firma »Bell« für die US Navy entwickelt wurde. Wenn jetzt nichts schief geht, und die software auf unserem Laptop tut was sie soll, dann sollte es auch funktionieren, sobald wir unsere SIM Karte und die Gesprächsminuten bezahlt haben… zumindest theoretisch. Wir halten Euch auf dem Laufenden.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Valle Gran Rey / La Gomera / Spanien
1 - Valle Gran Rey: »Unser« Meditationszentrum.

2 - Valle Gran Rey: Mangosaison.

3 - Las Palmas: Ein letztes Abendmahl im Fischrestaurant an der Playa Las Canteras.

4 - Ein allerletzter Blick aus den Bergen Gran Canarias auf den Pico del Teide auf Teneriffa.

5 - Saure Gurken Zeit: Ein hübsches, leeres Lokal in Agaete, Gran Canaria.

6 - Fast seeklar: VERA in der Marina Las Palmas.

7 - Die raue Westküste Gran Canarias bleibt achteraus.

019 - HEIZUNGSBAU
08/06/17 00:00 Canary Islands
Hallo Ihr Lieben!
Knapp zwei Monate Baustelle liegen hinter uns. ACHT Wochen! Ich (M) hatte mit vier Wochen kalkuliert. Maximal. Alle Schaps und Bilgen ausgeräumt, alle Bodenbretter raus, der Inhalt von Vor- und Achterpiek, Segel, Tauwerk und Ersatzteile lose auf Deck, und das für Wochen. Sämtliches Werkzeug in Gebrauch, 1000 Löcher gebohrt. Glasfaserstaub in jeder Ritze und in jeder Pore. Alles tut weh, besonders die Handgelenke (vom Kupferrohre biegen und vom Fittinge auf und zu schrauben). Kleine Wunden überall und hartnäckige schwarze Ränder unter den Fingernägeln. Keine Gitarre gespielt. Kohlemine. Der Horror. Aber nun ist sie drin: Die Eberspächer Hydronic 10 Warmwasserheizung, die wir vor Jahren mal günstig bei e-bay aus einem Wohnmobilunfall erstanden haben. Sie soll uns in Zukunft dabei helfen, längere Aufenthalte in höheren Breiten ein wenig behaglicher zu gestalten. Lange hatten wir das Projekt vor uns hergeschoben. Aus Angst.
Über »www.classicswan.org« haben wir einen sehr netten Briefkontakt mit Lars Ström, der über 30 Jahre lang technischer Direktor bei Nautor war (die berühmte finnische Werft in Pietarsaari, die unsere »VERA« im Jahre 1976 gebaut hat) und nun den verdienten Ruhestand genießt. Lars kann auch gut Deutsch. Vor einigen Monaten schrieb er uns folgende e-mail:
»Möchte zur Installation des Heizers beitragen, d.h. beschreiben wie es bei der Werft gemacht wird. Ein Rohrstück oberhalb des Heizers enthält folgendes:
- Temperaturanzeige
- Druckanzeige, 0.5 bis 1 bar empfohlen
- Überdruckventil, öffnet bei 2 bar
- Automatisches Entlüftungsventil
- Wasserauffüllung vom Druckwasser an Bord mit Rückschlag, und Absperrventil.
- Für kalte Verhältnisse sollte Glykol in den Heizungskreis eingemischt werden. Dieses darf aber auf keinen Fall ins Trinkwasser geraten.
- Entlüftungsmöglichkeit bei jedem Heizkörper.
- Könnte auch an den Motor-Süsswasserkreislauf angeschlossen werden. Dabei jedoch sicherstellen dass der Motor zuerst Betriebstemperatur erreicht, bevor er zur Heizung beiträgt.«
Danke, Lars. Das war schon einmal lehrreich und ging weit über die Eberspächer Einbauanleitung hinaus. Für die Materialbeschaffung liefen wir bestimmt einige hundert Kilometer in Las Palmas auf und ab, vom Klempnerbedarf zum Hydraulikshop, von der Metallwerkstatt zum Baumarkt. Gefühlt verließ jeden Tag ein Hundert Euro Schein unsere Taschen, für eine kleine Tüte Material, ein paar Meter Heißwasserschlauch, oder ein paar Bohrmaschinen. Und das, obwohl wir die wirklich teuren Teile der Installation, die Kupferleitungen, den Kessel, die Heizkörper, das Ausgleichsgefäß und den Kabelbaum schon seit langem an Bord hatten…
Ein unglaublich arbeitstreibender Umstand war die Peripherie: Wenn man schon einmal irgendwo dran ist, dann sollte man doch gleich… Ein Beispiel: Wegen des neuen 100L Dieseltanks im Achterschiff (eigentlich für die Heizung gedacht) bauten wir gleich zwei Absperrhähne und lange Leitungen (Kupfer 8mm, Vor- und Rücklauf) durch die Bilge zur Hauptmaschine ein, damit man die 100 Liter auch verfahren kann und nicht verheizen muss. Und wenn man denn schon alle Dieselleitungen aufmacht, dann ist doch endlich der Moment gekommen, die neuen RACOR Doppeldieselfilter einzubauen? Zu breit? Na dann muss wohl zuerst die große Bilgenpumpe versetzt werden? Was? Die Edelstahlschrauben sind im Aluminiumfundament einkorrodiert? Eben mal rasch ausbohren… Dieselfilter? Wäre es nicht schön, wenn die Heizung auch einen hätte? Warum nicht den alten renovieren und dann dafür hernehmen? Das dauert keine zwei Tage, kopfüber, achtern in der Bilge. Noch eins? Klar: Der Heizkörper in unserer Schlafkajüte soll unter das Bett? Da fehlen doch zwei Zentimeter? Na dann ist jetzt wohl der Moment gekommen, unsere Koje endlich von 120 auf die ersehnten 140 cm zu verbreitern. Die eine Woche Schreinerei ist doch gar nichts, im Vergleich zu dem Luxus, der jetzt herrscht…
Nach sechs Wochen dann der erste Druck auf den AN Knopf. Gespannt warten wir, was passiert. Immerhin ist unsere Heizung gebraucht gekauft und das bedeutet meist nichts gutes… Die Umwälzpumpe springt an und die Dieselpumpe klickert. Und dann brüllt der Kessel los, wie ein feuerspeiender Drachen. 10KW machen sich voller Verve an die Wassererwärmung. Nach zwei Minuten ist der Auspuff glühend heiß. Rasch machen wir uns an die Entlüftung aller Heizkörper. Tatsächlich sind sie keine 10 Minuten später unangenehm heiß. Und dann: Aus. Systemfehler 52. Auf dem Eberspächer Display. Neustart bringt nichts. Wieder Fehler 52. Mist. MIST! Die Internet Recherche bringt wenig beruhigendes: Kann alles sein. Steuergerät im A…, Nebenluft im Kessel, dreckiger Sprit, kaputte Förderpumpe, kaputter Glühstift… MIST! Obermist. Und wie ich (M) da so ratlos am Navitisch sitze und grüble, da fällt mir etwas ein: Habe ich denn den Kraftstoffhahn aufgemacht, nachdem ich den RACOR Dieselfilter entlüftet hatte? Nein. Das wäre doch der Ansatz einer Erklärung? Also alles nochmal. Kraftstoffhahn auf, Heizung an. Kaum zu glauben, aber sie läuft, und läuft weiter, bis wir 40 Grad an Bord haben. Schon mal gut. Aber dann überschlagen sich die Schreckensmeldungen: Überall leckt es aus den Fittingen, den Absperrhähnen, den T - Stücken und den Schlauchtüllen, die wir sauber und mit dicken Lagen PTFE Band eingedichtet hatte. NEIN! NEIN! NEIN! Die einschlägigen Foren im Internet raten natürlich zu Hanf und Fermit bei Metallfittingen, trotz der Sauerei. Und ein Klempner schreibt über Totalidioten, die aus Faulheit mit PTFE dichten und dann Glykol in den Heißwasserkreislauf geben. Schließlich weiß doch jeder Trottel, das Glykol die Oberflächenspannung des Wassers so stark reduziert, das es immer durch Metallgewinde kapilarisiert, die mit PTFE Band gedichtet sind…
Also alles nochmal von vorn. Eine Woche hanfen und fermiten, mit dem Kopf in den Schapps und in den Bilgen, bis die Augen bluten. Dann ist alles dicht. Wir können aufatmen. Eine Wanderung unternehmen. Ins Museum gehen. Den hiesigen Helden bei der Vela Latina (historische Fischerboote mit dreieckigen Segeln) Regatta zusehen. Alte Freunde treffen. Auf den Fischmarkt gehen. Und endlich aufräumen. Und bunkern: Bald liegt die VERA so tief im Wasser, wie noch nie. Nahrungsmittel und Ausrüstung für eine unbestimmte Zeit in der Wildnis sind an Bord. 10 Ersatzsegel unterschiedlicher Größe liegen in der Segellast. Vier vollwertige Anker sind an Bord. Dazu Reservekette, rollenweise Tauwerk, Festmacher, Fallen und Trossen, Landleinen für Patagonien. Ersatzteile für alle wesentlichen Aggregate. 300 Liter Diesel, 400 Liter Wasser. Besonders beruhigend: Olivenöl, Earl Grey, Haferflocken und Zahnseide für mindestens zwei Jahre. Das fühlt sich gut an.
Die Wettervorhersage für nächste Woche sieht auch gut aus. Nordwind. Wir wollen raus. Endlich angekommen in unserem neuen Leben. Aufbrechen zu neuen Ufern. Europa im Kielwasser lassen. Die große Freiheit unter Segeln suchen. Vorher noch ein wenig urlauben, vor Anker in La Gomera. Wir halten Euch auf dem Laufenden.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Muelle deportivo Las Palmas / Gran Canaria / Spanien
1 - »Frühstück«, jeden Nachmittag gegen vier: Zum Glück gibt es selbst dann noch Croissants am Las Canteras Strand

2 - Baustelle Dieselfilter

3 - Baustelle Heizung: Aufhängung, Abgasauslass

4 - Baustelle Heizung: Acht Wochen Chaos an Bord, Kabelbaum und Bedienpaneele, Kesselgruppe

5 - Eine Wanderung beruhigt die Nerven

6 - B am Ruder einer Northrop SF-5A, Museo Elder, Las Palmas

7 - Vela Latina Regatta, Puerto de la luz, Las Palmas

8 - Fischmarkt in Las Palmas

Knapp zwei Monate Baustelle liegen hinter uns. ACHT Wochen! Ich (M) hatte mit vier Wochen kalkuliert. Maximal. Alle Schaps und Bilgen ausgeräumt, alle Bodenbretter raus, der Inhalt von Vor- und Achterpiek, Segel, Tauwerk und Ersatzteile lose auf Deck, und das für Wochen. Sämtliches Werkzeug in Gebrauch, 1000 Löcher gebohrt. Glasfaserstaub in jeder Ritze und in jeder Pore. Alles tut weh, besonders die Handgelenke (vom Kupferrohre biegen und vom Fittinge auf und zu schrauben). Kleine Wunden überall und hartnäckige schwarze Ränder unter den Fingernägeln. Keine Gitarre gespielt. Kohlemine. Der Horror. Aber nun ist sie drin: Die Eberspächer Hydronic 10 Warmwasserheizung, die wir vor Jahren mal günstig bei e-bay aus einem Wohnmobilunfall erstanden haben. Sie soll uns in Zukunft dabei helfen, längere Aufenthalte in höheren Breiten ein wenig behaglicher zu gestalten. Lange hatten wir das Projekt vor uns hergeschoben. Aus Angst.
Über »www.classicswan.org« haben wir einen sehr netten Briefkontakt mit Lars Ström, der über 30 Jahre lang technischer Direktor bei Nautor war (die berühmte finnische Werft in Pietarsaari, die unsere »VERA« im Jahre 1976 gebaut hat) und nun den verdienten Ruhestand genießt. Lars kann auch gut Deutsch. Vor einigen Monaten schrieb er uns folgende e-mail:
»Möchte zur Installation des Heizers beitragen, d.h. beschreiben wie es bei der Werft gemacht wird. Ein Rohrstück oberhalb des Heizers enthält folgendes:
- Temperaturanzeige
- Druckanzeige, 0.5 bis 1 bar empfohlen
- Überdruckventil, öffnet bei 2 bar
- Automatisches Entlüftungsventil
- Wasserauffüllung vom Druckwasser an Bord mit Rückschlag, und Absperrventil.
- Für kalte Verhältnisse sollte Glykol in den Heizungskreis eingemischt werden. Dieses darf aber auf keinen Fall ins Trinkwasser geraten.
- Entlüftungsmöglichkeit bei jedem Heizkörper.
- Könnte auch an den Motor-Süsswasserkreislauf angeschlossen werden. Dabei jedoch sicherstellen dass der Motor zuerst Betriebstemperatur erreicht, bevor er zur Heizung beiträgt.«
Danke, Lars. Das war schon einmal lehrreich und ging weit über die Eberspächer Einbauanleitung hinaus. Für die Materialbeschaffung liefen wir bestimmt einige hundert Kilometer in Las Palmas auf und ab, vom Klempnerbedarf zum Hydraulikshop, von der Metallwerkstatt zum Baumarkt. Gefühlt verließ jeden Tag ein Hundert Euro Schein unsere Taschen, für eine kleine Tüte Material, ein paar Meter Heißwasserschlauch, oder ein paar Bohrmaschinen. Und das, obwohl wir die wirklich teuren Teile der Installation, die Kupferleitungen, den Kessel, die Heizkörper, das Ausgleichsgefäß und den Kabelbaum schon seit langem an Bord hatten…
Ein unglaublich arbeitstreibender Umstand war die Peripherie: Wenn man schon einmal irgendwo dran ist, dann sollte man doch gleich… Ein Beispiel: Wegen des neuen 100L Dieseltanks im Achterschiff (eigentlich für die Heizung gedacht) bauten wir gleich zwei Absperrhähne und lange Leitungen (Kupfer 8mm, Vor- und Rücklauf) durch die Bilge zur Hauptmaschine ein, damit man die 100 Liter auch verfahren kann und nicht verheizen muss. Und wenn man denn schon alle Dieselleitungen aufmacht, dann ist doch endlich der Moment gekommen, die neuen RACOR Doppeldieselfilter einzubauen? Zu breit? Na dann muss wohl zuerst die große Bilgenpumpe versetzt werden? Was? Die Edelstahlschrauben sind im Aluminiumfundament einkorrodiert? Eben mal rasch ausbohren… Dieselfilter? Wäre es nicht schön, wenn die Heizung auch einen hätte? Warum nicht den alten renovieren und dann dafür hernehmen? Das dauert keine zwei Tage, kopfüber, achtern in der Bilge. Noch eins? Klar: Der Heizkörper in unserer Schlafkajüte soll unter das Bett? Da fehlen doch zwei Zentimeter? Na dann ist jetzt wohl der Moment gekommen, unsere Koje endlich von 120 auf die ersehnten 140 cm zu verbreitern. Die eine Woche Schreinerei ist doch gar nichts, im Vergleich zu dem Luxus, der jetzt herrscht…
Nach sechs Wochen dann der erste Druck auf den AN Knopf. Gespannt warten wir, was passiert. Immerhin ist unsere Heizung gebraucht gekauft und das bedeutet meist nichts gutes… Die Umwälzpumpe springt an und die Dieselpumpe klickert. Und dann brüllt der Kessel los, wie ein feuerspeiender Drachen. 10KW machen sich voller Verve an die Wassererwärmung. Nach zwei Minuten ist der Auspuff glühend heiß. Rasch machen wir uns an die Entlüftung aller Heizkörper. Tatsächlich sind sie keine 10 Minuten später unangenehm heiß. Und dann: Aus. Systemfehler 52. Auf dem Eberspächer Display. Neustart bringt nichts. Wieder Fehler 52. Mist. MIST! Die Internet Recherche bringt wenig beruhigendes: Kann alles sein. Steuergerät im A…, Nebenluft im Kessel, dreckiger Sprit, kaputte Förderpumpe, kaputter Glühstift… MIST! Obermist. Und wie ich (M) da so ratlos am Navitisch sitze und grüble, da fällt mir etwas ein: Habe ich denn den Kraftstoffhahn aufgemacht, nachdem ich den RACOR Dieselfilter entlüftet hatte? Nein. Das wäre doch der Ansatz einer Erklärung? Also alles nochmal. Kraftstoffhahn auf, Heizung an. Kaum zu glauben, aber sie läuft, und läuft weiter, bis wir 40 Grad an Bord haben. Schon mal gut. Aber dann überschlagen sich die Schreckensmeldungen: Überall leckt es aus den Fittingen, den Absperrhähnen, den T - Stücken und den Schlauchtüllen, die wir sauber und mit dicken Lagen PTFE Band eingedichtet hatte. NEIN! NEIN! NEIN! Die einschlägigen Foren im Internet raten natürlich zu Hanf und Fermit bei Metallfittingen, trotz der Sauerei. Und ein Klempner schreibt über Totalidioten, die aus Faulheit mit PTFE dichten und dann Glykol in den Heißwasserkreislauf geben. Schließlich weiß doch jeder Trottel, das Glykol die Oberflächenspannung des Wassers so stark reduziert, das es immer durch Metallgewinde kapilarisiert, die mit PTFE Band gedichtet sind…
Also alles nochmal von vorn. Eine Woche hanfen und fermiten, mit dem Kopf in den Schapps und in den Bilgen, bis die Augen bluten. Dann ist alles dicht. Wir können aufatmen. Eine Wanderung unternehmen. Ins Museum gehen. Den hiesigen Helden bei der Vela Latina (historische Fischerboote mit dreieckigen Segeln) Regatta zusehen. Alte Freunde treffen. Auf den Fischmarkt gehen. Und endlich aufräumen. Und bunkern: Bald liegt die VERA so tief im Wasser, wie noch nie. Nahrungsmittel und Ausrüstung für eine unbestimmte Zeit in der Wildnis sind an Bord. 10 Ersatzsegel unterschiedlicher Größe liegen in der Segellast. Vier vollwertige Anker sind an Bord. Dazu Reservekette, rollenweise Tauwerk, Festmacher, Fallen und Trossen, Landleinen für Patagonien. Ersatzteile für alle wesentlichen Aggregate. 300 Liter Diesel, 400 Liter Wasser. Besonders beruhigend: Olivenöl, Earl Grey, Haferflocken und Zahnseide für mindestens zwei Jahre. Das fühlt sich gut an.
Die Wettervorhersage für nächste Woche sieht auch gut aus. Nordwind. Wir wollen raus. Endlich angekommen in unserem neuen Leben. Aufbrechen zu neuen Ufern. Europa im Kielwasser lassen. Die große Freiheit unter Segeln suchen. Vorher noch ein wenig urlauben, vor Anker in La Gomera. Wir halten Euch auf dem Laufenden.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Muelle deportivo Las Palmas / Gran Canaria / Spanien
1 - »Frühstück«, jeden Nachmittag gegen vier: Zum Glück gibt es selbst dann noch Croissants am Las Canteras Strand

2 - Baustelle Dieselfilter

3 - Baustelle Heizung: Aufhängung, Abgasauslass

4 - Baustelle Heizung: Acht Wochen Chaos an Bord, Kabelbaum und Bedienpaneele, Kesselgruppe

5 - Eine Wanderung beruhigt die Nerven

6 - B am Ruder einer Northrop SF-5A, Museo Elder, Las Palmas

7 - Vela Latina Regatta, Puerto de la luz, Las Palmas

8 - Fischmarkt in Las Palmas

018 - LAS PALMAS IM APRIL
15/04/17 00:00 Canary Islands
Hallo Ihr Lieben!
Der Törn zurück nach Gran Canaria verlief ganz genau so, wie wir ihn uns gewünscht hatten. Stressfrei. Ein freundliches Wetterfenster half uns bei leichtem Wind aus unterschiedlichen Richtungen und glatter See in einigen Etappen von »Valle Gran Rey«, über zwei durchaus sehenswerte Ankerplätze an der Ostküste Teneriffas, bis in die beinahe schon heimische »Muelle deportivo«, dem wie immer überfüllten Yachthafen von Las Palmas. Unser Plan: Basteln, bunkern und ausrüsten, bis alles klar ist für den bevorstehenden Törn in den Südatlantik. Die größten Posten: Überholung aller Komponenten unserer in die Jahre gekommenen Meerwasserentsalzungsanlage, und der lange vor uns hergeschobene Einbau der »Eberspächer Hydronic« Zentralheizung, die wir vor Jahren mal gebraucht bei »e-bay« ersteigert haben.
Las Palmas ist, wie bereits im letzten Jahr beschrieben, einer der wenigen Orte, wo derlei zu bewerkstelligen ist. Schon die »Chandleries«, »Rigging Shops«, Angelbedarf und Tauchausrüster im Yachthafen führen vieles, was gut und teuer ist. Im Industrieviertel, eine gute Stunde zu Fuß im Norden der Stadt gelegen, findet sich Gewerbe und Werkstätten in allen Formen und Farben, Schmieden, Dreher und Schreiner. »King Hogar« ist ein großer Baumarkt mit angeschlossenem Bootsausrüster. Hydraulikbedarf bekommt man bei »Basilio«, auch eher exotische Teile. Jedes erdenkliche Werkzeug gibt es bei »Salazar«. Dort, zwischen den kilometerlangen Regalen mit begehrenswerten Herrlichkeiten ist es kaum auszuhalten. Gutes Werkzeug ist nun mal die Grundlage jeder sauberen Arbeit. Darüber hinaus lässt es sich in der eher hässlichen Stadt Las Palmas leben. Das Klima ist perfekt. Beständig, regenarm und nicht zu heiß. Die Marina ist, mit ca. 11,- € pro Tag vergleichsweise günstig. Gute Restaurants gibt es an jeder Ecke und der Sonnenuntergang an der »Playa Canteras« hält, zumindest mit einem kalten Bier in der Hand, jedem Vergleich stand.
Irgendwie ist Las Palmas auch ein Ort für Menschen mit Fernweh. Das beständige Kommen und Gehen von Schiffen aus aller Welt schmerzt ein wenig in der Brust, macht nachdenklich. Wer bin ich, was will ich, wohin will ich? Liegt der gewünschte Kurs an? Wir plauschen ein wenig mit dem rauschebärtigen Bootsmann der FALKEN, einem 1947 gebauten, knapp 40 Meter langen, wunderschönen Topsegelschoner. Die schwedische Marine betreibt die Schwesterschiffe FALKEN und GLADAN noch immer zur Ausbildung ihrer Offiziersanwärter. Ich (M) erinnere mich noch gut an den Sommer 1972 in Travemünde. Da gab es anlässlich der olympischen Segelwettbewerbe in Kiel eine »Windjammerparade«, an der viele der letzten großen, besegelten Marineschulschiffe aus aller Welt teilnahmen, darunter so berühmte Schiffe, wie die Viermastbark KRUZENSTERN, die Vollschiffe DAR POMORZA und CHRISTIAN RADICH, die Dreimastbarken GLORIA, DANMARK, EAGLE und GORCH FOCK, die Dreimasttopsegelschoner SIR WINSTON CHURCHILL und MALCOLM MILLER, und eben auch die beiden Zweimaster GLADAN und FALKEN. Mit der VITALIENBRUDER III, dem schlanken Holzboot meiner Großeltern fuhren wir stundenlang mit großen Augen den Hafen hinauf und hinab und bestaunten die himmelhohen Masten und die kühnen Männer in den Rahen. Übermorgen läuft die FALKEN aus, nach Norden, über Madeira, die Azoren nach Schottland und von dort zum Mittsommer hinauf nach Norwegen und Schweden. 25 neue Kadetten kommen für diesen anspruchsvollen Törn an Bord. Am nächsten Tag sehen wir sie an Deck stehen, junge Männer, junge Frauen in adretten Uniformen. Glücklich sehen sie aus, und abenteuerlustig, und gespannt lauschen sie den Ausführungen ihres Bootsmanns. Drei Monate lang dürfen sie nun gemeinsam an Tauen zerren, gemeinsam Kartoffel schälen, gemeinsam Erbsensuppe essen, gemeinsam seekrank sein und zu sechst in einer engen Kammer in drei Etagen in der Hängematte schlafen. Sie werden gemeinsam Wache gehen unter Mond und Sternen und unter weißen Segeln, Karten spielen, neue Freunde und neue Feinde finden. In sehr beengten Verhältnissen. Das ist nicht wenig.
Die Umstellung vom meditativen Dasein am Ankerplatz zu einem eher geregelten Arbeitsleben in der Marina fällt uns nicht ganz leicht. Nach einigen Tagen hat sich aber dennoch eine erträgliche Routine eingespielt, die netto so um die sechs Arbeitsstunden pro Nase abwirft, und damit halbwegs produktiv ist. Ein Problem ist das Chaos unter Deck, das wenig heimelig daher kommt und gelegentlich ein wenig demoralisierend wirkt. Jedes Werkzeug und jedes Ersatzteil hat seinen Platz an Bord. Wenn man dann irgendwo montieren will, muss alles hinaus. Gleichzeitig. Und dann gibt es da noch einen interessanten Effekt, den wohl jeder Blauwassersegler kennt: Die Bearbeitung eines Teilproblems schafft weitere Teilprobleme, so im Verhältnis drei zu eins. Sagen wir also mal, wir hätten da einen kleinen, überschaubaren Job, für den wir zehn Arbeitstage einplanen. Der erste Arbeitstag läuft gut, schafft aber drei zusätzliche Arbeitstage für neu entdeckte Probleme. Nach zehn abgearbeiteten Arbeitstagen stehen wir vor 30 zusätzlichen Arbeitstagen… Egal. Unser derzeitiger Zeitplan sieht vor, irgendwann Ende Mai seeklar zu sein. Wir halten Euch auf dem Laufenden.
Frohe Ostern und herzliche Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / Muelle deportivo Las Palmas / Gran Canaria / Spanien
1 - Bei herrlichem Wetter zurück nach Las Palmas.

2 - VERA (hellblauer Bug) in der »Muelle deportivo«, dem Yachthafen von Las Palmas. Links im Bild das schwedische Marineschulschiff FALKEN.

3 - »All I ask is a comfortable home.« - Charlotte Lucas

4 - »Its work, all that matters is work!« - Andy Warhol

5 - Die altgediente Hochdruckpumpe unserer Meerwasserentsalzungsanlage…
6 - …benötigte dringend neue Dichtungen und Dachmanschetten.

7 - Die verschlissenen Endkappen des Membrangehäuses.

8 - Das frisch überholte Kontrollpaneel beim Probelauf.

9 - Es gibt auch hübsche Ecken in Las Palmas, wenn man ein wenig danach sucht.

10 - Abendstimmung an der »Playa Canteras«. Im Hintergrund die Nachbarinsel Teneriffa mit dem »Pico del Teide« ganz links im Bild.

Der Törn zurück nach Gran Canaria verlief ganz genau so, wie wir ihn uns gewünscht hatten. Stressfrei. Ein freundliches Wetterfenster half uns bei leichtem Wind aus unterschiedlichen Richtungen und glatter See in einigen Etappen von »Valle Gran Rey«, über zwei durchaus sehenswerte Ankerplätze an der Ostküste Teneriffas, bis in die beinahe schon heimische »Muelle deportivo«, dem wie immer überfüllten Yachthafen von Las Palmas. Unser Plan: Basteln, bunkern und ausrüsten, bis alles klar ist für den bevorstehenden Törn in den Südatlantik. Die größten Posten: Überholung aller Komponenten unserer in die Jahre gekommenen Meerwasserentsalzungsanlage, und der lange vor uns hergeschobene Einbau der »Eberspächer Hydronic« Zentralheizung, die wir vor Jahren mal gebraucht bei »e-bay« ersteigert haben.
Las Palmas ist, wie bereits im letzten Jahr beschrieben, einer der wenigen Orte, wo derlei zu bewerkstelligen ist. Schon die »Chandleries«, »Rigging Shops«, Angelbedarf und Tauchausrüster im Yachthafen führen vieles, was gut und teuer ist. Im Industrieviertel, eine gute Stunde zu Fuß im Norden der Stadt gelegen, findet sich Gewerbe und Werkstätten in allen Formen und Farben, Schmieden, Dreher und Schreiner. »King Hogar« ist ein großer Baumarkt mit angeschlossenem Bootsausrüster. Hydraulikbedarf bekommt man bei »Basilio«, auch eher exotische Teile. Jedes erdenkliche Werkzeug gibt es bei »Salazar«. Dort, zwischen den kilometerlangen Regalen mit begehrenswerten Herrlichkeiten ist es kaum auszuhalten. Gutes Werkzeug ist nun mal die Grundlage jeder sauberen Arbeit. Darüber hinaus lässt es sich in der eher hässlichen Stadt Las Palmas leben. Das Klima ist perfekt. Beständig, regenarm und nicht zu heiß. Die Marina ist, mit ca. 11,- € pro Tag vergleichsweise günstig. Gute Restaurants gibt es an jeder Ecke und der Sonnenuntergang an der »Playa Canteras« hält, zumindest mit einem kalten Bier in der Hand, jedem Vergleich stand.
Irgendwie ist Las Palmas auch ein Ort für Menschen mit Fernweh. Das beständige Kommen und Gehen von Schiffen aus aller Welt schmerzt ein wenig in der Brust, macht nachdenklich. Wer bin ich, was will ich, wohin will ich? Liegt der gewünschte Kurs an? Wir plauschen ein wenig mit dem rauschebärtigen Bootsmann der FALKEN, einem 1947 gebauten, knapp 40 Meter langen, wunderschönen Topsegelschoner. Die schwedische Marine betreibt die Schwesterschiffe FALKEN und GLADAN noch immer zur Ausbildung ihrer Offiziersanwärter. Ich (M) erinnere mich noch gut an den Sommer 1972 in Travemünde. Da gab es anlässlich der olympischen Segelwettbewerbe in Kiel eine »Windjammerparade«, an der viele der letzten großen, besegelten Marineschulschiffe aus aller Welt teilnahmen, darunter so berühmte Schiffe, wie die Viermastbark KRUZENSTERN, die Vollschiffe DAR POMORZA und CHRISTIAN RADICH, die Dreimastbarken GLORIA, DANMARK, EAGLE und GORCH FOCK, die Dreimasttopsegelschoner SIR WINSTON CHURCHILL und MALCOLM MILLER, und eben auch die beiden Zweimaster GLADAN und FALKEN. Mit der VITALIENBRUDER III, dem schlanken Holzboot meiner Großeltern fuhren wir stundenlang mit großen Augen den Hafen hinauf und hinab und bestaunten die himmelhohen Masten und die kühnen Männer in den Rahen. Übermorgen läuft die FALKEN aus, nach Norden, über Madeira, die Azoren nach Schottland und von dort zum Mittsommer hinauf nach Norwegen und Schweden. 25 neue Kadetten kommen für diesen anspruchsvollen Törn an Bord. Am nächsten Tag sehen wir sie an Deck stehen, junge Männer, junge Frauen in adretten Uniformen. Glücklich sehen sie aus, und abenteuerlustig, und gespannt lauschen sie den Ausführungen ihres Bootsmanns. Drei Monate lang dürfen sie nun gemeinsam an Tauen zerren, gemeinsam Kartoffel schälen, gemeinsam Erbsensuppe essen, gemeinsam seekrank sein und zu sechst in einer engen Kammer in drei Etagen in der Hängematte schlafen. Sie werden gemeinsam Wache gehen unter Mond und Sternen und unter weißen Segeln, Karten spielen, neue Freunde und neue Feinde finden. In sehr beengten Verhältnissen. Das ist nicht wenig.
Die Umstellung vom meditativen Dasein am Ankerplatz zu einem eher geregelten Arbeitsleben in der Marina fällt uns nicht ganz leicht. Nach einigen Tagen hat sich aber dennoch eine erträgliche Routine eingespielt, die netto so um die sechs Arbeitsstunden pro Nase abwirft, und damit halbwegs produktiv ist. Ein Problem ist das Chaos unter Deck, das wenig heimelig daher kommt und gelegentlich ein wenig demoralisierend wirkt. Jedes Werkzeug und jedes Ersatzteil hat seinen Platz an Bord. Wenn man dann irgendwo montieren will, muss alles hinaus. Gleichzeitig. Und dann gibt es da noch einen interessanten Effekt, den wohl jeder Blauwassersegler kennt: Die Bearbeitung eines Teilproblems schafft weitere Teilprobleme, so im Verhältnis drei zu eins. Sagen wir also mal, wir hätten da einen kleinen, überschaubaren Job, für den wir zehn Arbeitstage einplanen. Der erste Arbeitstag läuft gut, schafft aber drei zusätzliche Arbeitstage für neu entdeckte Probleme. Nach zehn abgearbeiteten Arbeitstagen stehen wir vor 30 zusätzlichen Arbeitstagen… Egal. Unser derzeitiger Zeitplan sieht vor, irgendwann Ende Mai seeklar zu sein. Wir halten Euch auf dem Laufenden.
Frohe Ostern und herzliche Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / Muelle deportivo Las Palmas / Gran Canaria / Spanien
1 - Bei herrlichem Wetter zurück nach Las Palmas.

2 - VERA (hellblauer Bug) in der »Muelle deportivo«, dem Yachthafen von Las Palmas. Links im Bild das schwedische Marineschulschiff FALKEN.

3 - »All I ask is a comfortable home.« - Charlotte Lucas

4 - »Its work, all that matters is work!« - Andy Warhol

5 - Die altgediente Hochdruckpumpe unserer Meerwasserentsalzungsanlage…

6 - …benötigte dringend neue Dichtungen und Dachmanschetten.

7 - Die verschlissenen Endkappen des Membrangehäuses.

8 - Das frisch überholte Kontrollpaneel beim Probelauf.

9 - Es gibt auch hübsche Ecken in Las Palmas, wenn man ein wenig danach sucht.

10 - Abendstimmung an der »Playa Canteras«. Im Hintergrund die Nachbarinsel Teneriffa mit dem »Pico del Teide« ganz links im Bild.

017 - LA GOMERA
24/03/17 00:00 Canary Islands
Hallo Ihr Lieben!
B und ich (M) ankern mit der VERA entlang der Südküste La Gomeras in Ruhe vor uns hin. »Playa de la Roja«, »Playa Chinguarime«, »Cala Cantera«, alles wunder wunderschöne, gut vor dem vorherrschenden NE Passat geschützte Plätze mit exzellent haltendem Ankergrund. Fein gerippelter schwarzer Sand, soweit das Auge unter Wasser reicht. Das freut unseren Bügelanker und sorgt für den gesunden Nachtschlaf, denn gelegentlich pfeifen jaulende und heulende Fallböen aus den Tälern. Hier gibt es sie noch, die Einsamkeit pur. Keine Hotelbauten an Land, keine Jetskis, keine RIB’s, kaum Touristen, höchstens ein paar Wanderer, oder eine Handvoll Badegäste hier und dort. Gelegentlich sehen wir einige Neohippies in einer der zahllosen Höhlen in den Steilwänden, die sie sich als Wohnsitz hübsch zurecht gemacht haben, um allein, mit Freunden, oder der Familie ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen. An der »Playa Chinguarime« lasse ich (M), eher aus Langeweile während eines heftigen Regengusses, die Präzisionsoptik meines ehrwürdigen »Hensoldt 7x50« über die umliegenden Steilwände gleiten. Und dann sehe ich ihn, in einem der Höhleneingänge: Ein lückenlos braungebrannter, durchtrainierter Kerl (≥2m), mit einem respekteinflößenden Schopf blonder Rastafilzlocken. Er steht dort, jogimäßig, auf dem Kopf, und macht dabei gleichzeitig Spagat, absolut regungslos, wie eine Staue. Er ist splitterfasernackt…
Im Endeffekt zieht es uns auch immer wieder vor das Meditationszentrum in »Valle Gran Rey«. Gesund einkaufen kann man da gleich am Hafen in Vueltas, einem der drei Ortschaften im Tal. Ein neu erworbener Chip von Movistar bringt uns nun sogar 4G Internet an Bord. Einen Grund von hier wegzusegeln sehen wir eigentlich nicht. Zwanzig Stunden, oder mehr nach Las Palmas zurück prügeln, gegen den derzeit beständig wehenden Passat? Zwei Reffs im Groß, dazu die kleine Stagfock, das Vorschiff alle 20 Sekunden bis zum Mast unter Wasser? Schwer seekrank auf dem Salonboden liegend die Seele aus dem Körper k…? Nee, besser nicht. Lieber noch ein paar Tage verstreichen lassen, oder ein paar Wochen, vor Anker. Einfach so der freundlichen, kleinen Brandung lauschen, die sanft auf den schwarzen Kieselstrand schwappt, oder dem leisen Harfen des Windes im Rigg der VERA…
Sonst noch etwas? Ach ja: Unlängst haben wir eine ganze Woche in der Marina in San Sebastian, der Hauptstadt von La Gomera, verbracht. Verglichen mit St. Cruz, der alten Stadt auf La Palma ein eher belangloses Nest mit wenig erwähnenswerter Gastronomie. Cristobal Colón stach, der Überlieferung nach, bei seiner ersten Atlantiküberquerung nach Hispaniola von San Sebastian aus in See. Dementsprechend gibt es auch hier wieder eine »Casa Colón«, ein hübsch hergerichtetes Kolumbus Museum und eine stattliche Kirche, in der Colón sein letztes Gebet verrichtet haben soll, wie schon auf Gran Canaria, La Palma und Madeira. Was muss, das muss.
Die Marina in San Sebastian ist gut geschützt, sauber und aufgeräumt. Dennoch fühlten wir uns unwohl, eingeklemmt zwischen ständig ein- und auslaufenden Chartereimern mit deutschen Männercrews oder osteuropäischen Großfamilien, die Kommandos über drei Stationen vom Skipper auf das Vordeck brüllen, und bei steifer Briese keine Fender draußen haben. Merkwürdig: In letzter Zeit fällt es uns deutlich schwerer, tragfähige Kontakte zu knüpfen. Die Blauwasserfraktion der Saison 2016 segelt schon seit Monaten glücklich in der warmen Karibik. Lateinamerikaaspiranten haben wir bisher noch keine getroffen. Nur Charterboote, mehr Charterboote und verschrobene deutsche Dauerlieger, die lieber unter sich bleiben und niemals auslaufen.
Die alte Plaza, mit den urigen Cafés, die wir von unserem ersten Besuch in 2002 als so traumhaft in Erinnerung hatten gibt es nicht mehr. Wegen der »Cruiseshipdays« hat man alles mit Trivialbauten zubetoniert und mit Trivialpflaster zugepflastert. Sportgeschäfte, Boutiquen, und unauthentische Cafés, die ein, oder zweimal die Woche für wenige Stunden von 3000 Touristen gleichzeitig heimgesucht werden. Immerhin lässt es sich noch herrlich wandern, auch gleich aus dem Ort heraus. Dennoch ergänzen wir unsere Eindrücke erneut mit Hilfe eines Mietautos (SEAT Ibiza, sehr rot, sehr fein), mit dem wir in drei Tagen über 450km auf La Gomeras absolut perfekt geteerte Straßen rollen. EU-Geld. Damit hat man auch die zahlreichen »Miradore« finanziert. Aufwendige Aussichtsplattformen in exponierter Lage und extravaganter Architektur, die niemand braucht. Das ganze Dilemma jeder Form von staatlich betriebener Gastronomie wird besonders am Beispiel eines von César Manrique entworfenen Restaurants in den Bergen deutlich. Die Lage könnte spektakulärer nicht sein. Der Blick aus dem panoramaverglasten Gastraum hinab in das Valle Gran Rey muss wie aus dem Luftschiff sein. Leider bleibt das Restaurant geschlossen. Warum sich der Betrieb nicht lohnen soll, erschließt sich dem Uneingeweihten nicht. Egal. Für uns bringen Straßen und Mietwagen sehr interessante Kontraste: Vormittags wandern wir in strömendem Regen und Nebel bei 10 Grad durch den knorzigen und verfilzten Regenwald im Nationalpark im Herzen der Insel. Mittags dann sitzen wir im verschlafenen Playa Santiago beim delikaten Thunfischsashimi bei 25 Grad in der Sonne, und blicken hinaus auf das schon beinahe unglaubwürdig blaue Meer.
Im »Cacatua«, unserem derzeitigen Lieblingscafé in Valle Gran Rey, lesen wir im schnoddrigen »Valle Boten« noch ein paar Dinge: Seit der Immobilienkrise 2008 hat die lokale Bauindustrie, nach einer Dekade des wilden Appartementbaubooms, nur noch wenig zu tun. Also beantragte man u.a. EU-Gelder zur Eindeichung der »Barancas«. »Barancas«? Auf Gomera regnet es wenig, aber wenn, dann kräftig. Seit Äonen fließt das Wasser dann in reißenden Bächen die Hänge des Vulkanes hinab, tiefe Täler grabend, munter mäandernd und bei jedem Regen ein wenig anders. Darauf waren die Einwohner früher eingerichtet. Die Feuchtigkeit machte die »Barancas« zu überaus fruchtbaren Tälern mit üppiger, sattgrüner Vegetation. Doch nun hilft die EU den lokalen Baubaronen beim reich werden. Mit viel Beton baute man in Valle Gran Rey im ersten Bauabschnitt einen monströsen Abwasserkanal durch die herrliche »Baranca«. Beim ersten großen Regen entstand deshalb ein reißender Strom, der den berühmten schwarzen Strand zwischen Vueltas und La Calera ins Meer schwemmte. Im zweiten Bauabschnitt baute man nun monströse Staustufen ein. Das hat nicht geholfen, denn beim nächsten große Regen gefiel es dem Wasser, eine ganz neue »Baranca« zu graben, neben dem neuen Kanal. Im dritten Bauabschnitt soll dort nun nachbetoniert werden, in einer aufwendigeren, modifizierten Bauweise… Mit den Millionen hätte man auch für ALLE Bauarbeiterfamilien der Insel ein hohes, bedingungsloses Grundeinkommen finanzieren können. Und das für immer. Und die »Baranca« im Tal wäre noch immer ein üppig grünes, wildes Paradies. Ach, übrigens: Die beiden letzten Präsidenten des Inselparlamentes hat man wegen Korruption und Vetternwirtschaft zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, die sie wegen Verjährung allerdings nie antreten werden.
Oh ihr EU-Millionen: Wie viel schönes und sinnvolles könnte man damit tun? Ein verlassenes Dorf in den Bergen in traditioneller Bauweise sensibel wieder aufbauen? Freiwillige suchen und auf den noch lesbaren, aber seit langem brach liegenden Terrassen der Guanchenbauern Ökogemüse anbauen? Das wäre doch toll. Oder ein nachhaltiges Energiekonzept für diese sonnenüberflutete und vom Wind gepeitschte Insel umsetzen, statt in San Sebastian ein saudreckiges E-Werk mit subventioniertem Diesel zu betreiben?
Noch ist nicht alles zu spät. Landschaftlich ist die Insel ein Traum. Sehr abwechslungsreich und vergleichsweise wenig zersiedelt. Der für 40 Mio. Euro neu gebaute Flughafen (Bauzeit 20 Jahre, fertig seit vielen Jahren), wird bisher nicht angeflogen. Die teuerste Cafeteria der Welt, so sagt man. EU-Geld. Noch kann man also nicht von Massentourismus sprechen. Kommt also hierher, bevor es zu spät ist. Von Teneriffa aus fahren Fähren nach La Gomera. Appartements finden sich bei RBB, oder so. Oder den Aloe Vera Händler im Seitental über dem Meditationszentrum in Valle Gran Rey fragen. Der vermietet sehr schöne Zimmer…
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / Valle Gran Rey / La Gomera / Spanien
1 - »Unsere« Ankerbuchten an der Südküste La Gomeras

2 - Die einsame »Playa Chinguarime«, bisher noch ganz ohne Abwasserkanal… Rechts geht es zu den Höhlen.

3 - Die verlassene Fischfabrik in der »Cala Cantera«

4 - »Cruiseshipday« in San Sebastian. Im Hintergrund die kleine, gut geführte Marina.

5 - Hier, unter den alten Bäumen, war früher (2002) ein authentisches Café mit Blick auf’s Meer. Nun steht u.a. dieser triviale Kasten davor, mit sinnlosen Geschäften, die nur an »Cruiseshipdays« geöffnet sind…

6 - Der »Mirador« mit Restaurant von César Manrique mit Blick hinab durch das ganze Valle Gran Rey. Für den Staat lohnt sich die Bewirtschaftung trotz bester Voraussetzungen offensichtlich nicht.

7 - El Hierro, die Nachbarinsel von La Gomera in den Wolken, 40 Seemeilen entfernt.

8 - La Gomera: Da wo der Wald noch wild ist.

B und ich (M) ankern mit der VERA entlang der Südküste La Gomeras in Ruhe vor uns hin. »Playa de la Roja«, »Playa Chinguarime«, »Cala Cantera«, alles wunder wunderschöne, gut vor dem vorherrschenden NE Passat geschützte Plätze mit exzellent haltendem Ankergrund. Fein gerippelter schwarzer Sand, soweit das Auge unter Wasser reicht. Das freut unseren Bügelanker und sorgt für den gesunden Nachtschlaf, denn gelegentlich pfeifen jaulende und heulende Fallböen aus den Tälern. Hier gibt es sie noch, die Einsamkeit pur. Keine Hotelbauten an Land, keine Jetskis, keine RIB’s, kaum Touristen, höchstens ein paar Wanderer, oder eine Handvoll Badegäste hier und dort. Gelegentlich sehen wir einige Neohippies in einer der zahllosen Höhlen in den Steilwänden, die sie sich als Wohnsitz hübsch zurecht gemacht haben, um allein, mit Freunden, oder der Familie ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen. An der »Playa Chinguarime« lasse ich (M), eher aus Langeweile während eines heftigen Regengusses, die Präzisionsoptik meines ehrwürdigen »Hensoldt 7x50« über die umliegenden Steilwände gleiten. Und dann sehe ich ihn, in einem der Höhleneingänge: Ein lückenlos braungebrannter, durchtrainierter Kerl (≥2m), mit einem respekteinflößenden Schopf blonder Rastafilzlocken. Er steht dort, jogimäßig, auf dem Kopf, und macht dabei gleichzeitig Spagat, absolut regungslos, wie eine Staue. Er ist splitterfasernackt…
Im Endeffekt zieht es uns auch immer wieder vor das Meditationszentrum in »Valle Gran Rey«. Gesund einkaufen kann man da gleich am Hafen in Vueltas, einem der drei Ortschaften im Tal. Ein neu erworbener Chip von Movistar bringt uns nun sogar 4G Internet an Bord. Einen Grund von hier wegzusegeln sehen wir eigentlich nicht. Zwanzig Stunden, oder mehr nach Las Palmas zurück prügeln, gegen den derzeit beständig wehenden Passat? Zwei Reffs im Groß, dazu die kleine Stagfock, das Vorschiff alle 20 Sekunden bis zum Mast unter Wasser? Schwer seekrank auf dem Salonboden liegend die Seele aus dem Körper k…? Nee, besser nicht. Lieber noch ein paar Tage verstreichen lassen, oder ein paar Wochen, vor Anker. Einfach so der freundlichen, kleinen Brandung lauschen, die sanft auf den schwarzen Kieselstrand schwappt, oder dem leisen Harfen des Windes im Rigg der VERA…
Sonst noch etwas? Ach ja: Unlängst haben wir eine ganze Woche in der Marina in San Sebastian, der Hauptstadt von La Gomera, verbracht. Verglichen mit St. Cruz, der alten Stadt auf La Palma ein eher belangloses Nest mit wenig erwähnenswerter Gastronomie. Cristobal Colón stach, der Überlieferung nach, bei seiner ersten Atlantiküberquerung nach Hispaniola von San Sebastian aus in See. Dementsprechend gibt es auch hier wieder eine »Casa Colón«, ein hübsch hergerichtetes Kolumbus Museum und eine stattliche Kirche, in der Colón sein letztes Gebet verrichtet haben soll, wie schon auf Gran Canaria, La Palma und Madeira. Was muss, das muss.
Die Marina in San Sebastian ist gut geschützt, sauber und aufgeräumt. Dennoch fühlten wir uns unwohl, eingeklemmt zwischen ständig ein- und auslaufenden Chartereimern mit deutschen Männercrews oder osteuropäischen Großfamilien, die Kommandos über drei Stationen vom Skipper auf das Vordeck brüllen, und bei steifer Briese keine Fender draußen haben. Merkwürdig: In letzter Zeit fällt es uns deutlich schwerer, tragfähige Kontakte zu knüpfen. Die Blauwasserfraktion der Saison 2016 segelt schon seit Monaten glücklich in der warmen Karibik. Lateinamerikaaspiranten haben wir bisher noch keine getroffen. Nur Charterboote, mehr Charterboote und verschrobene deutsche Dauerlieger, die lieber unter sich bleiben und niemals auslaufen.
Die alte Plaza, mit den urigen Cafés, die wir von unserem ersten Besuch in 2002 als so traumhaft in Erinnerung hatten gibt es nicht mehr. Wegen der »Cruiseshipdays« hat man alles mit Trivialbauten zubetoniert und mit Trivialpflaster zugepflastert. Sportgeschäfte, Boutiquen, und unauthentische Cafés, die ein, oder zweimal die Woche für wenige Stunden von 3000 Touristen gleichzeitig heimgesucht werden. Immerhin lässt es sich noch herrlich wandern, auch gleich aus dem Ort heraus. Dennoch ergänzen wir unsere Eindrücke erneut mit Hilfe eines Mietautos (SEAT Ibiza, sehr rot, sehr fein), mit dem wir in drei Tagen über 450km auf La Gomeras absolut perfekt geteerte Straßen rollen. EU-Geld. Damit hat man auch die zahlreichen »Miradore« finanziert. Aufwendige Aussichtsplattformen in exponierter Lage und extravaganter Architektur, die niemand braucht. Das ganze Dilemma jeder Form von staatlich betriebener Gastronomie wird besonders am Beispiel eines von César Manrique entworfenen Restaurants in den Bergen deutlich. Die Lage könnte spektakulärer nicht sein. Der Blick aus dem panoramaverglasten Gastraum hinab in das Valle Gran Rey muss wie aus dem Luftschiff sein. Leider bleibt das Restaurant geschlossen. Warum sich der Betrieb nicht lohnen soll, erschließt sich dem Uneingeweihten nicht. Egal. Für uns bringen Straßen und Mietwagen sehr interessante Kontraste: Vormittags wandern wir in strömendem Regen und Nebel bei 10 Grad durch den knorzigen und verfilzten Regenwald im Nationalpark im Herzen der Insel. Mittags dann sitzen wir im verschlafenen Playa Santiago beim delikaten Thunfischsashimi bei 25 Grad in der Sonne, und blicken hinaus auf das schon beinahe unglaubwürdig blaue Meer.
Im »Cacatua«, unserem derzeitigen Lieblingscafé in Valle Gran Rey, lesen wir im schnoddrigen »Valle Boten« noch ein paar Dinge: Seit der Immobilienkrise 2008 hat die lokale Bauindustrie, nach einer Dekade des wilden Appartementbaubooms, nur noch wenig zu tun. Also beantragte man u.a. EU-Gelder zur Eindeichung der »Barancas«. »Barancas«? Auf Gomera regnet es wenig, aber wenn, dann kräftig. Seit Äonen fließt das Wasser dann in reißenden Bächen die Hänge des Vulkanes hinab, tiefe Täler grabend, munter mäandernd und bei jedem Regen ein wenig anders. Darauf waren die Einwohner früher eingerichtet. Die Feuchtigkeit machte die »Barancas« zu überaus fruchtbaren Tälern mit üppiger, sattgrüner Vegetation. Doch nun hilft die EU den lokalen Baubaronen beim reich werden. Mit viel Beton baute man in Valle Gran Rey im ersten Bauabschnitt einen monströsen Abwasserkanal durch die herrliche »Baranca«. Beim ersten großen Regen entstand deshalb ein reißender Strom, der den berühmten schwarzen Strand zwischen Vueltas und La Calera ins Meer schwemmte. Im zweiten Bauabschnitt baute man nun monströse Staustufen ein. Das hat nicht geholfen, denn beim nächsten große Regen gefiel es dem Wasser, eine ganz neue »Baranca« zu graben, neben dem neuen Kanal. Im dritten Bauabschnitt soll dort nun nachbetoniert werden, in einer aufwendigeren, modifizierten Bauweise… Mit den Millionen hätte man auch für ALLE Bauarbeiterfamilien der Insel ein hohes, bedingungsloses Grundeinkommen finanzieren können. Und das für immer. Und die »Baranca« im Tal wäre noch immer ein üppig grünes, wildes Paradies. Ach, übrigens: Die beiden letzten Präsidenten des Inselparlamentes hat man wegen Korruption und Vetternwirtschaft zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, die sie wegen Verjährung allerdings nie antreten werden.
Oh ihr EU-Millionen: Wie viel schönes und sinnvolles könnte man damit tun? Ein verlassenes Dorf in den Bergen in traditioneller Bauweise sensibel wieder aufbauen? Freiwillige suchen und auf den noch lesbaren, aber seit langem brach liegenden Terrassen der Guanchenbauern Ökogemüse anbauen? Das wäre doch toll. Oder ein nachhaltiges Energiekonzept für diese sonnenüberflutete und vom Wind gepeitschte Insel umsetzen, statt in San Sebastian ein saudreckiges E-Werk mit subventioniertem Diesel zu betreiben?
Noch ist nicht alles zu spät. Landschaftlich ist die Insel ein Traum. Sehr abwechslungsreich und vergleichsweise wenig zersiedelt. Der für 40 Mio. Euro neu gebaute Flughafen (Bauzeit 20 Jahre, fertig seit vielen Jahren), wird bisher nicht angeflogen. Die teuerste Cafeteria der Welt, so sagt man. EU-Geld. Noch kann man also nicht von Massentourismus sprechen. Kommt also hierher, bevor es zu spät ist. Von Teneriffa aus fahren Fähren nach La Gomera. Appartements finden sich bei RBB, oder so. Oder den Aloe Vera Händler im Seitental über dem Meditationszentrum in Valle Gran Rey fragen. Der vermietet sehr schöne Zimmer…
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / Valle Gran Rey / La Gomera / Spanien
1 - »Unsere« Ankerbuchten an der Südküste La Gomeras

2 - Die einsame »Playa Chinguarime«, bisher noch ganz ohne Abwasserkanal… Rechts geht es zu den Höhlen.

3 - Die verlassene Fischfabrik in der »Cala Cantera«

4 - »Cruiseshipday« in San Sebastian. Im Hintergrund die kleine, gut geführte Marina.

5 - Hier, unter den alten Bäumen, war früher (2002) ein authentisches Café mit Blick auf’s Meer. Nun steht u.a. dieser triviale Kasten davor, mit sinnlosen Geschäften, die nur an »Cruiseshipdays« geöffnet sind…

6 - Der »Mirador« mit Restaurant von César Manrique mit Blick hinab durch das ganze Valle Gran Rey. Für den Staat lohnt sich die Bewirtschaftung trotz bester Voraussetzungen offensichtlich nicht.

7 - El Hierro, die Nachbarinsel von La Gomera in den Wolken, 40 Seemeilen entfernt.

8 - La Gomera: Da wo der Wald noch wild ist.

016 - NOTIZEN VON LA PALMA / TEIL II
03/03/17 00:00 Canary Islands
Hallo Ihr Lieben!
Anfang März 2017. Die VERA und ihre Crew liegen wieder an ihrem Lieblingsplatz vor Anker: Vor dem Meditationszentrum in Valle Gran Rey, La Gomera. Nach ereignisreiche Wochen auf La Palma und in Berlin erholen (jawohl) wir uns an diesem herrlichen Platz, sortieren unsere Gedanken und lassen den Karneval aus, der in diesen Tagen mit Urgewalt über diese Inseln tobt. Es gibt nichts schöneres, als einförmige Tage vor Anker: Viel Schlaf, sorgfältig kochen, langsam essen, gute Literatur, Zeit für überfällige Dehnübungen, samtig blauschwarzes Wasser zum schwimmen um ein sanft rollendes Boot; sehr kühl aber sehr, sehr angenehm. Viel, viel Privatsphäre, ganz anders, als in einer wurbeligen Marina. Zeit zum denken: Wo kommen wir her, wo wollen wir hin?
Im Rückblick hatte La Palma viel zu bieten. Nach unserer zweiwöchigen Exkursion nach Berlin Ende Januar trafen wir uns hier mit M’s lieber Verwandtschaft aus dem Altmühltal. Gemeinsam mit Cousin Christian und seiner Gemahlin Gitti und einem nagelneuen Citroen C1 von AVIS erkundeten wir die Insel längs, rund und quer, und erwandern uns sehenswerte Meilen. Ausgangs- und Endpunkt jeder Tour ist immer die romantische Altstadt von Santa Cruz, wo unsere Attenzeller ein hübsches Appartement gemietet haben, und die VERA in der schaukeligen, aber nicht unsympathischen »Marina La Palma« an ihren Leinen zerrt.
Highlights? Z.B. der Pico de La Nieve, an die 2.400 Meter über dem Meer. Wir erwischen einen kühlen, glasklaren, schwachwindigen Tag, und genießen am Gipfel eine denkwürdige Brotzeit im Windschatten einer kleinen, ein wenig aufgemauerten Mulde. Die geographische und klimatische Situation der Insel sorgt dafür, das sich Wolken meistens zwischen 1.000 und 2.000 Metern bilden. So liegen die uralten Wälder an den Hängen oft im feuchten Nebel, während die Gipfel über die Wolkendecke hinausragen. Die Luft ist sauber, der Blick reicht weit. Rekordverdächtig weit. Die sauberste Luft der Welt, so sagt man. Und dunkel ist es, in der Nacht. Keine Ortschaften weit und breit, kein Lichtsmog nirgends. Aus diesem Grunde suchen Wissenschaftler aus aller Welt hier am »Roque de Los Muchachos« über der »Caldera de Taburiente« mit Hilfe von High Tech Gerätschaften aller Art nach dem Woher und dem Wohin der Menschheit. Das hier oben montierte »Gran Telescopio Canarias« (GranTeCan or GTC), ist mit einem Spiegeldurchmesser von 10.4 m sogar das derzeit größte Spiegelteleskop der Welt.
Noch etwas? Ach ja: Wanderer, wenn Du nach St. Cruz kommst, so diniere dort im »RESTAURANTE ENRICLAI«, in der »Calle Doctor Santos Abreu N°2«. Ohne Reservierung, am besten eine Woche zuvor (Tel: 0034 - 680203290), braucht man allerdings nicht versuchen, einen der fünf Tische zu bekommen. Ein Menü gibt es nicht. Die kapriziöse Chefin lässt auftragen, was sich frisch auf dem Markt, beim Bauern, oder beim lokalen Winzer fand. Die Qualität ist phenomenal, der Preis dagegen absolut moderat.
Mist? Citroen C1: Recht hübsch und spritzig, aber stinkt innen wie die Pest nach Lösungsmitteln. Zum schlecht werden, gerade in den hier lebenden Serpentinen. Miese Sitze. Da baut VW doch weitaus besseres.
Unsere Pläne? Es ist schön hier auf La Gomera. Nächste Woche schauen wir mal, ob uns St. Sebastian, der Hauptort auf der Südostseite der Insel noch immer so gut gefällt, wie damals im Jahre 2002… Und dann? Zurück nach Las Palmas / Gran Canaria, zum basteln. Am besten bei Südwind. Der kommt irgendwann. Wir haben Zeit.
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / Valle Gran Rey / La Gomera / Spanien
1 - Observatorien am »Roque de Los Muchachos«

2 - Im hohen Wald

3 - Nach dem Waldbrand

4 - Farbenpracht

5 - M bei der Arbeit

6 - Portugiesische Galeere, gestrandet.

7 - Zurück daheim, Nachbarboot vor Anker in Valle Gran Rey, La Gomera

Anfang März 2017. Die VERA und ihre Crew liegen wieder an ihrem Lieblingsplatz vor Anker: Vor dem Meditationszentrum in Valle Gran Rey, La Gomera. Nach ereignisreiche Wochen auf La Palma und in Berlin erholen (jawohl) wir uns an diesem herrlichen Platz, sortieren unsere Gedanken und lassen den Karneval aus, der in diesen Tagen mit Urgewalt über diese Inseln tobt. Es gibt nichts schöneres, als einförmige Tage vor Anker: Viel Schlaf, sorgfältig kochen, langsam essen, gute Literatur, Zeit für überfällige Dehnübungen, samtig blauschwarzes Wasser zum schwimmen um ein sanft rollendes Boot; sehr kühl aber sehr, sehr angenehm. Viel, viel Privatsphäre, ganz anders, als in einer wurbeligen Marina. Zeit zum denken: Wo kommen wir her, wo wollen wir hin?
Im Rückblick hatte La Palma viel zu bieten. Nach unserer zweiwöchigen Exkursion nach Berlin Ende Januar trafen wir uns hier mit M’s lieber Verwandtschaft aus dem Altmühltal. Gemeinsam mit Cousin Christian und seiner Gemahlin Gitti und einem nagelneuen Citroen C1 von AVIS erkundeten wir die Insel längs, rund und quer, und erwandern uns sehenswerte Meilen. Ausgangs- und Endpunkt jeder Tour ist immer die romantische Altstadt von Santa Cruz, wo unsere Attenzeller ein hübsches Appartement gemietet haben, und die VERA in der schaukeligen, aber nicht unsympathischen »Marina La Palma« an ihren Leinen zerrt.
Highlights? Z.B. der Pico de La Nieve, an die 2.400 Meter über dem Meer. Wir erwischen einen kühlen, glasklaren, schwachwindigen Tag, und genießen am Gipfel eine denkwürdige Brotzeit im Windschatten einer kleinen, ein wenig aufgemauerten Mulde. Die geographische und klimatische Situation der Insel sorgt dafür, das sich Wolken meistens zwischen 1.000 und 2.000 Metern bilden. So liegen die uralten Wälder an den Hängen oft im feuchten Nebel, während die Gipfel über die Wolkendecke hinausragen. Die Luft ist sauber, der Blick reicht weit. Rekordverdächtig weit. Die sauberste Luft der Welt, so sagt man. Und dunkel ist es, in der Nacht. Keine Ortschaften weit und breit, kein Lichtsmog nirgends. Aus diesem Grunde suchen Wissenschaftler aus aller Welt hier am »Roque de Los Muchachos« über der »Caldera de Taburiente« mit Hilfe von High Tech Gerätschaften aller Art nach dem Woher und dem Wohin der Menschheit. Das hier oben montierte »Gran Telescopio Canarias« (GranTeCan or GTC), ist mit einem Spiegeldurchmesser von 10.4 m sogar das derzeit größte Spiegelteleskop der Welt.
Noch etwas? Ach ja: Wanderer, wenn Du nach St. Cruz kommst, so diniere dort im »RESTAURANTE ENRICLAI«, in der »Calle Doctor Santos Abreu N°2«. Ohne Reservierung, am besten eine Woche zuvor (Tel: 0034 - 680203290), braucht man allerdings nicht versuchen, einen der fünf Tische zu bekommen. Ein Menü gibt es nicht. Die kapriziöse Chefin lässt auftragen, was sich frisch auf dem Markt, beim Bauern, oder beim lokalen Winzer fand. Die Qualität ist phenomenal, der Preis dagegen absolut moderat.
Mist? Citroen C1: Recht hübsch und spritzig, aber stinkt innen wie die Pest nach Lösungsmitteln. Zum schlecht werden, gerade in den hier lebenden Serpentinen. Miese Sitze. Da baut VW doch weitaus besseres.
Unsere Pläne? Es ist schön hier auf La Gomera. Nächste Woche schauen wir mal, ob uns St. Sebastian, der Hauptort auf der Südostseite der Insel noch immer so gut gefällt, wie damals im Jahre 2002… Und dann? Zurück nach Las Palmas / Gran Canaria, zum basteln. Am besten bei Südwind. Der kommt irgendwann. Wir haben Zeit.
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / Valle Gran Rey / La Gomera / Spanien
1 - Observatorien am »Roque de Los Muchachos«

2 - Im hohen Wald

3 - Nach dem Waldbrand

4 - Farbenpracht

5 - M bei der Arbeit

6 - Portugiesische Galeere, gestrandet.

7 - Zurück daheim, Nachbarboot vor Anker in Valle Gran Rey, La Gomera

015 - NOTIZEN VON LA PALMA
21/01/17 00:00 Canary Islands
Hallo Ihr Lieben!
Tazacorte auf La Palma war den sandigen Törn wert. Zum einen wartete dort hochwillkommener Verwandtschaftsbesuch auf uns, zum anderen ergab sich die Chance, einen Blick auf ein beeindruckendes Bauwerk zu werfen: Das im Jahre 2012 fertiggestellte neue Hafenterminal, größer noch und mächtiger, als sein Pendant in Valle Gran Rey auf La Gomera. Hier ist es den Machern gelungen, in zwei Bauabschnitten ein Betonvolumen zu verarbeiten, das das der gesamten dahinter liegenden, verschlafen am Hang klebenden Ortschaft weit in den Schatten stellt, und das inclusive aller neu gebauter Ferienhotels am schwarzen Strand. Der Eindruck ist absolut überwältigend und besitzt alle Qualitäten einer Großplastik. Hans op de Beek, wie er sein sollte… Irgendeine kommerzielle Nutzung ist nicht in Sicht. Sonntags ziehen ein paar Inline Skater ihre Runden auf dem Warteplatz für 1001 Busse und Lastwagen. Mitten in der Hafeneinfahrt liegt, gut geschützt hinter der 500m langen Kaimauer, eine kleine Fischfarm.
Cargo Cult: Auf einigen Inseln Vanuatus im westlichen Pazifik findet sich eine Naturreligion, die davon ausgeht, das der Bau einer kilometerlangen Landebahn, voll ausgestattet mit Befeuerung, Kontrollturm und uniformierten Fluglotsen, zur Belieferung mit Waren aus himmlischen Sphären führen wird.
Einige Tage in Tazacorte genügen uns. Nachts werden in der Marina kommerzielle Fischtrawler be- und entladen, mit Lärm, Flutlicht und Dieselgestank, und die lokale deutsche Langfahrt Community kennt sich schon länger. Weiter also. In St. Cruz, der Hauptstadt von La Palma, gibt es eine neu gebaute Marina. Man verfügt, laut nett formulierter e-mail Antwort auf unsere Anfrage, derzeit über freie Liegeplätze. Eine Nacht ankern wir draußen, unter den Felsen von Tazacorte im Schutz der Großplastik, dann machen wir uns auf den Weg, südwärts um die Insel La Palma herum. Leider hilft in konfusem Seegang und Wind immer von vorn nur der grün gestrichene Volvo weiter. Nicht schlimm. Er braucht auch mal Bewegung. Und der bald zwei Jahre alte Diesel in den Tanks muss auch weg, schon wegen der drohenden Dieselpest.
St. Cruz haben wir in bester Erinnerung: Im Februar 2002 ankerten wir hier mit der kürzlich erworbenen VERA, vor Mitternacht von Teneriffa kommend mitten im Hafenbecken. Mit dem Schlauchboot gelangten wir über die rostige Ankerkette und die mächtigen Klüsen eines haarsträubend verrosteten Frachters auf den vollkommen baufälligen, verlassen wirkenden Hafenkai und durch einen porösen Zaun in die direkt dahinter liegende Altstadt. Dort fand sich zu nächtlicher Stunde eine gut von Einheimischen besuchte Bar an einem romantischen kleinen Platz…
Heute, bald 15 Jahre später, läuft es zivilisierter: Auf Kanal 9 lotst man uns zum »Reservation Quay« der Marina unter dem nagelneuen Marinagebäude in gefälliger »El Croquis« Architektur. Die netten Spanier hier checken uns problemlos ein und schon bald liegen wir gut angebunden auf »unserem« Platz. Auffallend: Die Marina ist ziemlich leer. Niemand da, weit und breit. Ob das an dem Seegang liegt, der vernehmlich durch die Hafeneinfahrt schwappt? Evtl. ein Grund zur Sorge: Wir wollen die VERA hier für ein paar Tage alleine lassen, Heimaturlaub. Durchgescheuerte Festmacher und herausgerissene Klampen (wie auf einigen anderen Booten hier gesehen) können wir nicht gebrauchen.
Der erste Blick in die authentisch wirkende Altstadt versöhnt uns auf der Stelle mit der Situation. Die engen Gassen mit ihren bunten Fassaden, hölzernen Balkonen, kleinen Geschäften und den zahllosen Café’s, Bar’s und Restaurant’s laden dazu ein, ausgiebig erkundet zu werden. Alte Bausubstanz wird liebevoll gepflegt, oder zumindest stabil gehalten. Weil die Insel La Palma lange Zeit autonom verwaltet wurde gibt es hier von allem etwas: Kirchen, Rathaus, Theater, Schulen und Akademien, viele Museen, Architektenkammer, Königlicher Yachtclub, Weberinnung, Krankenhaus, das deutsche Honorarkonsulat und vieles mehr. Warum nicht hier leben, zumindest eine Zeit lang? Ein Lieblingscafé am »Paseo« mit Blick auf’s Meer, auf Gomera und den »Pico del Teide« findet sich gleich am nächsten Morgen. Leider ist der viele Kilometer lange, spektakuläre schwarze Strand vor dem »Paseo« eine tiefe Baugrube hinter einem hohen, rostigen Bauzaun. Laut Bauschild ein gut dotiertes EU Projekt: Baubeginn 2007, Fertigstellung 2013…
In der Altstadt geht es ebenfalls gemächlich zu. Nicht viel Betrieb, wenige Touristen. Hier und da finden sich Öffnungszeiten wie: »Aperto jueves 10.00 - 18.00«. Wir finden bald heraus, was es damit auf sich hat. Jeden Donnerstags docken ein bis zwei gigantische Kreuzfahrtschiffe im Hafen und spucken Tausende von Kreuzfahrern auf den Kai und von dort in die Altstadt. Vermutlich wird in St. Cruz am Donnerstag der größte Teil des Wochenumsatzes gemacht. Uns stört das nicht sehr. Es fällt leicht, sich in diese Stadt zu verlieben. Wir unterschreiben einen Vertrag für einen Monat und klappern die umliegenden »Ferreterias« nach »Manguera de incendios«, also Feuerwehrschlauch ab, um damit die teuren Festmacherleinen gegen Durchscheuern in den Klüsen zu schützen. Leider ohne Erfolg. Aber heute lag ein exakt passendes Stück am wilden, schwarzen Vulkanstrand, einige Kilometer nördlich der Stadt. In hellblau und noch so gut wie neu. Ein wenig weiter findet sich gleich noch ein feines Ende Festmachertauwerk, sehr dick und unverwüstlich. Vielleicht leben wir doch nur in einer gut gemachten Simulation…
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / La Palma Marina / St. Cruz / La Palma / Spanien
1 - Die Großplastik in Tazacorte / La Palma

2 - Wow!
3 - »Co« finanziert von der EU

4 - VERA, gut angebunden in der gähnend leeren Marina La Palma in St. Cruz

5 - Am Paseo, St. Cruz

6 - Eine der vielen romantischen Gassen in der Altstadt

7 - Typisches Kieselpflaster, St. Cruz

8 - »Cruiseship day«: Aperto jueves 10.00 - 18.00

9 - »Manguera de incendios« in hellblau!

10 - B mit frisch gefundenem Festmacher vor der Strandbaustelle

11 - Die Route nach La Palma, von Valle Gran Rey über Tazacorte nach St. Cruz

Tazacorte auf La Palma war den sandigen Törn wert. Zum einen wartete dort hochwillkommener Verwandtschaftsbesuch auf uns, zum anderen ergab sich die Chance, einen Blick auf ein beeindruckendes Bauwerk zu werfen: Das im Jahre 2012 fertiggestellte neue Hafenterminal, größer noch und mächtiger, als sein Pendant in Valle Gran Rey auf La Gomera. Hier ist es den Machern gelungen, in zwei Bauabschnitten ein Betonvolumen zu verarbeiten, das das der gesamten dahinter liegenden, verschlafen am Hang klebenden Ortschaft weit in den Schatten stellt, und das inclusive aller neu gebauter Ferienhotels am schwarzen Strand. Der Eindruck ist absolut überwältigend und besitzt alle Qualitäten einer Großplastik. Hans op de Beek, wie er sein sollte… Irgendeine kommerzielle Nutzung ist nicht in Sicht. Sonntags ziehen ein paar Inline Skater ihre Runden auf dem Warteplatz für 1001 Busse und Lastwagen. Mitten in der Hafeneinfahrt liegt, gut geschützt hinter der 500m langen Kaimauer, eine kleine Fischfarm.
Cargo Cult: Auf einigen Inseln Vanuatus im westlichen Pazifik findet sich eine Naturreligion, die davon ausgeht, das der Bau einer kilometerlangen Landebahn, voll ausgestattet mit Befeuerung, Kontrollturm und uniformierten Fluglotsen, zur Belieferung mit Waren aus himmlischen Sphären führen wird.
Einige Tage in Tazacorte genügen uns. Nachts werden in der Marina kommerzielle Fischtrawler be- und entladen, mit Lärm, Flutlicht und Dieselgestank, und die lokale deutsche Langfahrt Community kennt sich schon länger. Weiter also. In St. Cruz, der Hauptstadt von La Palma, gibt es eine neu gebaute Marina. Man verfügt, laut nett formulierter e-mail Antwort auf unsere Anfrage, derzeit über freie Liegeplätze. Eine Nacht ankern wir draußen, unter den Felsen von Tazacorte im Schutz der Großplastik, dann machen wir uns auf den Weg, südwärts um die Insel La Palma herum. Leider hilft in konfusem Seegang und Wind immer von vorn nur der grün gestrichene Volvo weiter. Nicht schlimm. Er braucht auch mal Bewegung. Und der bald zwei Jahre alte Diesel in den Tanks muss auch weg, schon wegen der drohenden Dieselpest.
St. Cruz haben wir in bester Erinnerung: Im Februar 2002 ankerten wir hier mit der kürzlich erworbenen VERA, vor Mitternacht von Teneriffa kommend mitten im Hafenbecken. Mit dem Schlauchboot gelangten wir über die rostige Ankerkette und die mächtigen Klüsen eines haarsträubend verrosteten Frachters auf den vollkommen baufälligen, verlassen wirkenden Hafenkai und durch einen porösen Zaun in die direkt dahinter liegende Altstadt. Dort fand sich zu nächtlicher Stunde eine gut von Einheimischen besuchte Bar an einem romantischen kleinen Platz…
Heute, bald 15 Jahre später, läuft es zivilisierter: Auf Kanal 9 lotst man uns zum »Reservation Quay« der Marina unter dem nagelneuen Marinagebäude in gefälliger »El Croquis« Architektur. Die netten Spanier hier checken uns problemlos ein und schon bald liegen wir gut angebunden auf »unserem« Platz. Auffallend: Die Marina ist ziemlich leer. Niemand da, weit und breit. Ob das an dem Seegang liegt, der vernehmlich durch die Hafeneinfahrt schwappt? Evtl. ein Grund zur Sorge: Wir wollen die VERA hier für ein paar Tage alleine lassen, Heimaturlaub. Durchgescheuerte Festmacher und herausgerissene Klampen (wie auf einigen anderen Booten hier gesehen) können wir nicht gebrauchen.
Der erste Blick in die authentisch wirkende Altstadt versöhnt uns auf der Stelle mit der Situation. Die engen Gassen mit ihren bunten Fassaden, hölzernen Balkonen, kleinen Geschäften und den zahllosen Café’s, Bar’s und Restaurant’s laden dazu ein, ausgiebig erkundet zu werden. Alte Bausubstanz wird liebevoll gepflegt, oder zumindest stabil gehalten. Weil die Insel La Palma lange Zeit autonom verwaltet wurde gibt es hier von allem etwas: Kirchen, Rathaus, Theater, Schulen und Akademien, viele Museen, Architektenkammer, Königlicher Yachtclub, Weberinnung, Krankenhaus, das deutsche Honorarkonsulat und vieles mehr. Warum nicht hier leben, zumindest eine Zeit lang? Ein Lieblingscafé am »Paseo« mit Blick auf’s Meer, auf Gomera und den »Pico del Teide« findet sich gleich am nächsten Morgen. Leider ist der viele Kilometer lange, spektakuläre schwarze Strand vor dem »Paseo« eine tiefe Baugrube hinter einem hohen, rostigen Bauzaun. Laut Bauschild ein gut dotiertes EU Projekt: Baubeginn 2007, Fertigstellung 2013…
In der Altstadt geht es ebenfalls gemächlich zu. Nicht viel Betrieb, wenige Touristen. Hier und da finden sich Öffnungszeiten wie: »Aperto jueves 10.00 - 18.00«. Wir finden bald heraus, was es damit auf sich hat. Jeden Donnerstags docken ein bis zwei gigantische Kreuzfahrtschiffe im Hafen und spucken Tausende von Kreuzfahrern auf den Kai und von dort in die Altstadt. Vermutlich wird in St. Cruz am Donnerstag der größte Teil des Wochenumsatzes gemacht. Uns stört das nicht sehr. Es fällt leicht, sich in diese Stadt zu verlieben. Wir unterschreiben einen Vertrag für einen Monat und klappern die umliegenden »Ferreterias« nach »Manguera de incendios«, also Feuerwehrschlauch ab, um damit die teuren Festmacherleinen gegen Durchscheuern in den Klüsen zu schützen. Leider ohne Erfolg. Aber heute lag ein exakt passendes Stück am wilden, schwarzen Vulkanstrand, einige Kilometer nördlich der Stadt. In hellblau und noch so gut wie neu. Ein wenig weiter findet sich gleich noch ein feines Ende Festmachertauwerk, sehr dick und unverwüstlich. Vielleicht leben wir doch nur in einer gut gemachten Simulation…
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / La Palma Marina / St. Cruz / La Palma / Spanien
1 - Die Großplastik in Tazacorte / La Palma

2 - Wow!

3 - »Co« finanziert von der EU

4 - VERA, gut angebunden in der gähnend leeren Marina La Palma in St. Cruz

5 - Am Paseo, St. Cruz

6 - Eine der vielen romantischen Gassen in der Altstadt

7 - Typisches Kieselpflaster, St. Cruz

8 - »Cruiseship day«: Aperto jueves 10.00 - 18.00

9 - »Manguera de incendios« in hellblau!

10 - B mit frisch gefundenem Festmacher vor der Strandbaustelle

11 - Die Route nach La Palma, von Valle Gran Rey über Tazacorte nach St. Cruz

014 - VALLE GRAN REY / LA GOMERA
15/01/17 00:00 Canary Islands
Hallo Ihr Lieben!
Valle Gran Rey, an der Westküste La Gomeras. Drei Tage entspannte Segelei, meist »downwind« brachten uns hierher, mit nächtlichen Zwischenstops vor Anker an Gran Canaria‘s wilder Nordwestküste und an Teneriffas dicht betonierter Südküste, belohnt vom Glühen der Spitze des Pico del Teide im letzten Abendlicht.
Valle Gran Rey: Ein von der Natur bevorzugtes, fruchtbares Tal, benannt nach dem letzten großen Guanchen Häuptling Hupalupa, der in dieser Gegend bis zuletzt Widerstand leistete, gegen ein übermächtiges Spanien und seine Missionare. Guanchen sollen friedfertige Menschen gewesen sein, die erst viel zu spät daran gingen, ihre Heimat gegen die Eroberer zu verteidigen. Heute ist Ihre Kultur nicht mehr, es sei denn in einigen wenigen sprachlichen Wendungen und kulturellen Bräuchen. Das »Silbo«, eine Art Minimalsprache aus Pfeiftönen, mit denen man sich auch auf große Distanzen verständigen kann, wird noch heute auf La Gomera an den Schulen gelehrt…
Wir ankern vor dem Hafen von Vueltas, eines der drei Dörfer im Tal. Vertikale Felswände ragen aus dunkelblauem, glasklaren Wasser. Beim schnorcheln sehen wir fein gerippelten, dunkelgrauen Sand bis zum Horizont. Der Anker sitzt. Das ist gut, denn der Wetterbericht lässt eine Weiterfahrt nach La Palma in den nächsten Tagen wenig ratsam erscheinen. Zu viel Wind in der Düse zwischen den hohen Inseln. Gegenan in hoher See? Besser nicht. Wir brauchen hier nichts kaputt machen, das wir dann wieder mühsam zusammenflicken müssten… Die Entscheidung zu bleiben fällt leicht, trotz der leichten Dünung, die die VERA gelegentlich heftig rollen lässt.
Hinter einer gewaltig überdimensionierten, nagelneuen Kaimauer mit »Cruiseship Terminal«, die schon von weitem nach (sehr viel) EU - Geld aussieht, aber offensichtlich nie genutzt wird liegt die Ortschaft Vueltas. Im klaren Morgenlicht leuchten würfelige weiße, ockerfarbige oder ochsenblutrote Häuser. Wir bringen BOUNCE zu Wasser und setzen über. Im kleinen Fischerhafen, hinter der alten, romantischeren Hafenmauer aus Steinquadern liegen etliche Yachten und rüsten für den Atlantik. Nicht die wohlhabende Klientel. Keine perfekt gepflegten Superyachten, wie in Las Palmas. Diese hier sind aus Stahl oder Holz oder von James Wharram, in allen Farben gestrichen, mit Riggs aus Telegrafenmasten und verzinktem Draht, selbst gebauten Selbststeueranlagen und büschelweise Bananen am Achterstag. Proviant für den langen Schlag. Das Liegegeld ist nicht der Rede wert. Ein guter Platz für »no budget sailors«.
Wir binden BOUNCE an einer langen Leiter an der hohen Kaimauer an und klettern hinauf. Oben findet sich sogleich ein hübsches Café, mit Blick auf die VERA. Und WIFI gibt es auch. Draussen an Bord hatten wir nicht mal ein GSM Signal. Alles paletti, oder? Bei näherem hinhören, fällt uns auf, das ALLE Touristen hier auf deutsch kommunizieren und auch so aussehen. Das ist seltsam. Wir besichtigen das Dorf. ALLE Läden scheinen deutschen Bürgern zu gehören. Beim Bäcker und beim Metzger hängen die deutschen Meisterbriefe gleich am Eingang. Wir kaufen natürlich als erstes ein fettes Krustenbrot. In der Redaktion des »Valle Boten« liegen einige Probeexemplare. Beim flüchtigen Überfliegen einiger Zeilen wird klar, das Valle Gran Rey eine deutsche Exklave ist, die in den 70er Jahren von abenteuerlustigen deutschen Hippies gegründet wurde. Viele blieben und für die ist diese Zeitung da. In wohlgewählten Worten wird dort betrauert, das in jedem Jahr mehr und mehr von den fiesen »Teneriffa Touristen« einfallen und alles hier kaputt fressen. Das hat inzwischen selbst der letzte aus seiner Schnabeltasse trinkende Kräutergärtner kapiert. Man wird sehr bald mobil machen müssen, sonst droht ein Massensterben aller Werte für die wir hier stehen etc. etc…
Am nächsten Tag ist das Café am Hafen geschlossen. Das nächste, hübsch aussehende Cafe gehört deutschen. Zwei entzückende und supernette deutsche Kellnerinnen bedienen deutsche Touristen. Wir fühlen uns gleich wie zuhause und lesen den »Valle Boten«. Später erwandern wir uns ein wildes Seitental. Dabei passieren wir ein deutsches Meditationszentrum, laut deutschsprachiger Tafel am Eingang ein Ort der Stille und inneren Einkehr. Einige deutsche Paare mittleren Alters und schweren Rollkoffern sind soeben beim Einchecken. Eine deutschsprachige Hinweistafel erklärt die verschiedenen Früchte, die hier im Garten des Meditationszentrums kultiviert werden. Alles sehr geschmackvoll gemacht. Weiter oben im Tal spricht uns ein sehr netter deutscher »Aloe Vera« Händler an, der hier mit seiner deutschen Frau eine traumhaft schön gelegene Finca besitzt. Natürlich kaufen wir ein paar Fläschchen, schon weil ihm gerade ein Probefläschchen geklaut worden ist. Er hat eine fiese, unfreundliche ostdeutsche Touristin im Verdacht, die sich vorhin darüber beschwerte, das er heute gerade keine Finca Führung anbietet… Na ja.
Einen weiteren Tag verbringen wir zurückgezogen an Bord. Schwimmen, Earl Grey trinken, kochen, lesen, Mittagsschlaf, die kleine Bastelei zwischendurch und ausgiebig Gitarre. Luxus pur. Wir liegen direkt vor dem Meditationszentrum. Am Abend findet dort ein kleines, intimes Rock Konzert statt. Die Boxen stehen gut und der Schalldruck auf unserem Brückendeck ist gerade perfekt. Die Jungs verstehen ihr Handwerk und sind witzig drauf. Alles guter Gitarrenrock aus den 70ern und frühen 80ern, sauber vorgetragen. Klasse. In der Nacht kommt Wind aus Süd, teilweise Südwest. Hoher Seegang beginnt in die Bucht hinein zu stehen. Wir müssen weg. Weiter nach La Palma. Bei dieser Windrichtung wieder ein heißer Ritt, genau platt vor den Laken. Im Morgengrauen sieht man kaum die Hand vor Augen und auch die Zähne knirschen. Sandsturm. La Gomeras Westküste haben wir nach zwei Meilen außer Sicht. Voraus nur Dunst. Nichts zu sehen. Mal sehen, was kommt.
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / inzwischen heil in der Marina Tazacorte / La Gomera / Spanien
1 - VERA vor Anker in Valle Gran Rey, La Gomera

2 - Vollmond

3 - Das Café mit Blick auf die VERA

4 - Kapelle im Tal

5 - Das Meditationszentrum

6 - Die Hinweistafel

7 - Hinauf im Seitental

8 - Das romantische kleine Cruise Ship Terminal

9 - »Co« finanziert von der EU

10 - Die Route von Las Palmas nach Valle Gran Rey

Valle Gran Rey, an der Westküste La Gomeras. Drei Tage entspannte Segelei, meist »downwind« brachten uns hierher, mit nächtlichen Zwischenstops vor Anker an Gran Canaria‘s wilder Nordwestküste und an Teneriffas dicht betonierter Südküste, belohnt vom Glühen der Spitze des Pico del Teide im letzten Abendlicht.
Valle Gran Rey: Ein von der Natur bevorzugtes, fruchtbares Tal, benannt nach dem letzten großen Guanchen Häuptling Hupalupa, der in dieser Gegend bis zuletzt Widerstand leistete, gegen ein übermächtiges Spanien und seine Missionare. Guanchen sollen friedfertige Menschen gewesen sein, die erst viel zu spät daran gingen, ihre Heimat gegen die Eroberer zu verteidigen. Heute ist Ihre Kultur nicht mehr, es sei denn in einigen wenigen sprachlichen Wendungen und kulturellen Bräuchen. Das »Silbo«, eine Art Minimalsprache aus Pfeiftönen, mit denen man sich auch auf große Distanzen verständigen kann, wird noch heute auf La Gomera an den Schulen gelehrt…
Wir ankern vor dem Hafen von Vueltas, eines der drei Dörfer im Tal. Vertikale Felswände ragen aus dunkelblauem, glasklaren Wasser. Beim schnorcheln sehen wir fein gerippelten, dunkelgrauen Sand bis zum Horizont. Der Anker sitzt. Das ist gut, denn der Wetterbericht lässt eine Weiterfahrt nach La Palma in den nächsten Tagen wenig ratsam erscheinen. Zu viel Wind in der Düse zwischen den hohen Inseln. Gegenan in hoher See? Besser nicht. Wir brauchen hier nichts kaputt machen, das wir dann wieder mühsam zusammenflicken müssten… Die Entscheidung zu bleiben fällt leicht, trotz der leichten Dünung, die die VERA gelegentlich heftig rollen lässt.
Hinter einer gewaltig überdimensionierten, nagelneuen Kaimauer mit »Cruiseship Terminal«, die schon von weitem nach (sehr viel) EU - Geld aussieht, aber offensichtlich nie genutzt wird liegt die Ortschaft Vueltas. Im klaren Morgenlicht leuchten würfelige weiße, ockerfarbige oder ochsenblutrote Häuser. Wir bringen BOUNCE zu Wasser und setzen über. Im kleinen Fischerhafen, hinter der alten, romantischeren Hafenmauer aus Steinquadern liegen etliche Yachten und rüsten für den Atlantik. Nicht die wohlhabende Klientel. Keine perfekt gepflegten Superyachten, wie in Las Palmas. Diese hier sind aus Stahl oder Holz oder von James Wharram, in allen Farben gestrichen, mit Riggs aus Telegrafenmasten und verzinktem Draht, selbst gebauten Selbststeueranlagen und büschelweise Bananen am Achterstag. Proviant für den langen Schlag. Das Liegegeld ist nicht der Rede wert. Ein guter Platz für »no budget sailors«.
Wir binden BOUNCE an einer langen Leiter an der hohen Kaimauer an und klettern hinauf. Oben findet sich sogleich ein hübsches Café, mit Blick auf die VERA. Und WIFI gibt es auch. Draussen an Bord hatten wir nicht mal ein GSM Signal. Alles paletti, oder? Bei näherem hinhören, fällt uns auf, das ALLE Touristen hier auf deutsch kommunizieren und auch so aussehen. Das ist seltsam. Wir besichtigen das Dorf. ALLE Läden scheinen deutschen Bürgern zu gehören. Beim Bäcker und beim Metzger hängen die deutschen Meisterbriefe gleich am Eingang. Wir kaufen natürlich als erstes ein fettes Krustenbrot. In der Redaktion des »Valle Boten« liegen einige Probeexemplare. Beim flüchtigen Überfliegen einiger Zeilen wird klar, das Valle Gran Rey eine deutsche Exklave ist, die in den 70er Jahren von abenteuerlustigen deutschen Hippies gegründet wurde. Viele blieben und für die ist diese Zeitung da. In wohlgewählten Worten wird dort betrauert, das in jedem Jahr mehr und mehr von den fiesen »Teneriffa Touristen« einfallen und alles hier kaputt fressen. Das hat inzwischen selbst der letzte aus seiner Schnabeltasse trinkende Kräutergärtner kapiert. Man wird sehr bald mobil machen müssen, sonst droht ein Massensterben aller Werte für die wir hier stehen etc. etc…
Am nächsten Tag ist das Café am Hafen geschlossen. Das nächste, hübsch aussehende Cafe gehört deutschen. Zwei entzückende und supernette deutsche Kellnerinnen bedienen deutsche Touristen. Wir fühlen uns gleich wie zuhause und lesen den »Valle Boten«. Später erwandern wir uns ein wildes Seitental. Dabei passieren wir ein deutsches Meditationszentrum, laut deutschsprachiger Tafel am Eingang ein Ort der Stille und inneren Einkehr. Einige deutsche Paare mittleren Alters und schweren Rollkoffern sind soeben beim Einchecken. Eine deutschsprachige Hinweistafel erklärt die verschiedenen Früchte, die hier im Garten des Meditationszentrums kultiviert werden. Alles sehr geschmackvoll gemacht. Weiter oben im Tal spricht uns ein sehr netter deutscher »Aloe Vera« Händler an, der hier mit seiner deutschen Frau eine traumhaft schön gelegene Finca besitzt. Natürlich kaufen wir ein paar Fläschchen, schon weil ihm gerade ein Probefläschchen geklaut worden ist. Er hat eine fiese, unfreundliche ostdeutsche Touristin im Verdacht, die sich vorhin darüber beschwerte, das er heute gerade keine Finca Führung anbietet… Na ja.
Einen weiteren Tag verbringen wir zurückgezogen an Bord. Schwimmen, Earl Grey trinken, kochen, lesen, Mittagsschlaf, die kleine Bastelei zwischendurch und ausgiebig Gitarre. Luxus pur. Wir liegen direkt vor dem Meditationszentrum. Am Abend findet dort ein kleines, intimes Rock Konzert statt. Die Boxen stehen gut und der Schalldruck auf unserem Brückendeck ist gerade perfekt. Die Jungs verstehen ihr Handwerk und sind witzig drauf. Alles guter Gitarrenrock aus den 70ern und frühen 80ern, sauber vorgetragen. Klasse. In der Nacht kommt Wind aus Süd, teilweise Südwest. Hoher Seegang beginnt in die Bucht hinein zu stehen. Wir müssen weg. Weiter nach La Palma. Bei dieser Windrichtung wieder ein heißer Ritt, genau platt vor den Laken. Im Morgengrauen sieht man kaum die Hand vor Augen und auch die Zähne knirschen. Sandsturm. La Gomeras Westküste haben wir nach zwei Meilen außer Sicht. Voraus nur Dunst. Nichts zu sehen. Mal sehen, was kommt.
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / inzwischen heil in der Marina Tazacorte / La Gomera / Spanien
1 - VERA vor Anker in Valle Gran Rey, La Gomera

2 - Vollmond

3 - Das Café mit Blick auf die VERA

4 - Kapelle im Tal

5 - Das Meditationszentrum

6 - Die Hinweistafel

7 - Hinauf im Seitental

8 - Das romantische kleine Cruise Ship Terminal

9 - »Co« finanziert von der EU

10 - Die Route von Las Palmas nach Valle Gran Rey

013 - LAS PALMAS ZWISCHEN DEN JAHREN
31/12/16 00:00 Canary Islands
Hallo Ihr Lieben!
Las Palmas, Gran Canaria, zwischen den Jahren 2016 und 2017. Die VERA fest in der »Muelle Deportivo«… Seit zehn Tagen weht es hart aus E - SE, eine Änderung ist nicht in Sicht. Das bringt roten Sand aus der Sahara, der alles an - und unter Deck der VERA einpudert. Saubermachen hat keinen Zweck. Der viele Sand und eine Wintergrippe sind es, die unsere Motivation in Sachen »To-do Liste Südamerika« derzeit überschaubar halten. Einiges haben wir geschafft: Der Autopilot hat jetzt zwei gesunde Antriebe, der Schleppgenerator ist repariert und auch das Rigg steht nach dem Austausch sämtlicher Toggles und Flaschenschrauben wieder recht vertrauenswürdig da. Der Seezaun und die laufenden Backstagen sind neu. Heizung und die Ersatzteile für den Wassermacher lauern leider noch in ihren Kisten…
Gründe für diese Verzögerungen finden sich leicht. Beispiel: Wir wollen das durchgesehene und neu getoggelte Vorstag mit einem neuen Bolzen unten am Bugbeschlag befestigen. Der ist 19mm dick und passt nicht durch. Der alte war eben nur 18mm dick… Mist. Feilen? Das probiere ich zwei Stunden lang, bis die Finger bluten, leider ohne Erfolg. Der Bugkorb ist im Weg. Also abbauen und dann aufbohren? Drei Stunden später ist der Bugkorb ab. Dabei zeigt sich, das die Verkabelungen der Positionslaternen vergammelt sind. Also raus damit und neu verlegt. Das geht ganz leicht und dauert keine vier Stunden, davon drei zusammengefaltet im Ankerkasten… Danach brennen die Positionslaternen abwechselnd für ein paar Sekunden und gehen dann endgültig aus. Was‘n das? Kabelbruch zwischen Anschlussbox und Sicherungstafel? Neue Kabel quer durchs Schiff verlegen würde drei Tage kosten, zu zweit. Supermist. Nach einigem Analysieren mit dem Multimeter finde ich den Fehler in der Kontrollbox, die die Kontrolllämpchen für die Positionslaternen steuert. B und ich können das in einem harten Tag Arbeit mit Hirn und Lötkolben beheben. Schon komisch, das hier mal das eine nichts mit dem anderen zu tun hatte? Oder doch? Jetzt geht die Ankerwinsch nicht mehr… Möglicherweise habe ich beim Fuhrwerken im Ankerkasten irgendetwas vermasselt? Sch…? Sch…! SCH:::!
Die VERA seetüchtig, ansehnlich und komfortabel zu erhalten (in dieser Reihenfolge) ist ein akkumulativer, im günstigen Fall meditativer Prozess. Hierzu passend: »Zen and the Art of Motorcycle Maintenance« von Robert M. Pirsig 1974. Das wollte ich schon immer mal in Ruhe lesen, und nun hat es B hier zufällig auf den Mülltonnen gefunden…
Zum Glück bietet Las Palmas genug Ablenkung. Gerade in den Wochen vor Weihnachten gibt es viel zu sehen. Dort liegen sie: Die Großsegler CHRISTIAN RADICH aus Norwegen und FALKEN aus Schweden, die ich (M) schon als Kind auf der »Windjammerparade« 1972 in Travemünde mit großen Augen bewundern durfte. Dort drüben, gleich gegenüber an der Tankstelle liegen die ELEONORA und die ELENA, zwei mächtige von Nathanael Herreshoff 1910 entworfene 50 Meter Schoner, und dort, beim großen Gasförmigen, die leibhaftige KIALOA III… Mit dieser (genau wie unsere VERA) im Jahre 1974 von den legendären Brüdern Olin und Rod Stephens entworfenen 25 Meter Rakete beendeten Jim Kilroy und seine Crew das Sydney Hobart Rennen 1975 nach zwei Tagen, 14 Stunden, 36 Minuten und 56 Sekunden. Ein Rekord für die Ewigkeit, der volle 21 Jahre hielt. Apropos, Sydney Hobart: Gerade in diesen Tagen verbesserte die PERPETUAL LOYAL, ein 30 Meter Juan Kouyoumdjian Design von 2008 den aktuellen Rekord auf einen Tag, 13 Stunden, 31 Minuten und 20 Sekunden. Mal sehen wie lange der hält.
Las Palmas, Gran Canaria: 400.000 durchaus zufrieden wirkende, wuselige Einwohner leben und arbeiten in den engen Gassen einer alten, aber hässlichen Stadt mit vielen Hochhäusern, dicht an dicht zwischen einem großen, traditionsreichen, kommerziellen Hafen und einem wunderschönen, von einem alten Riff geschützten Strand, der »Playa de Las Canteras«. Touristen gibt es auch ein paar. Oft kommen sie in kleinen Gruppen von den gigantischen Kreuzfahrtschiffen, die hier an den Tagen der Ein- und Ausschiffung am Kai liegen. Apropos: Lest vorher unbedingt die Verpackungsbeilage. Hier ein erhellender Artikel über einen der Branchenführer.
Es gibt Studien, die belegen wollen, das Las Palmas das angenehmste Klima der Welt aufweist. Und tatsächlich: Unserer Erfahrung nach herrschen gleichmäßig gemäßigte Temperaturen. In diesem Winter regnet es wenig, ist meist sonnig und warm und in der Nacht Kuscheldecken kühl. Ein guter Platz, um an einem Boot zu schrauben, schon weil es für alles »nautische« gut geführte Werkstätten, Läden und Geschäfte gibt. Die Versorgungslage ist fürstlich. Märkte und Läden quellen über vor »Jamón Serrano« in allen Stadien der Reifung, aber auch mit frischem Fisch und Milchprodukten. Obst und Gemüse gibt es überall taufrisch, und in den Supermärkten fühlt man sich wie daheim. Bis auf Tomatenmark gibt es alles und mehr, wenn auch im Schnitt um vielleicht 20% teurer als in D. Las Palmas ist offensichtlich eine Hochburg des Sportes. Die Einwohner tun es in Massen und mit Hingabe, jung, alt, ob Frau oder Mann. Vor dem Hafen toben Opti und Laser Schlachten, und vor dem Strand die Surf, Kayak und »Stand up paddleboard« Regatten. Am Strand spielen sie Volleyball und Paddeltennis, oft auf hohem Niveau. Und auf der Promenade jagen sich lange Reihen von Läufern, den »Fitness tracker« am Oberarm, die Kopfhörer fest auf den Ohren. Das alles hat trotz des unterschwellig noch spürbarem Katholizismus etwas ungezwungen hedonistisches, und strahlt dabei eine gesunde Resilienz gegenüber den Unbilden dieser Welt aus, an der man sich in D. durchaus ein Beispiel nehmen könnte.
Auch gastronomisch bietet Las Palmas eine Lebensqualität, die keinen Vergleich zu scheuen braucht. Schauen wir beispielsweise einmal in die »Tasca Galileo« in der schwer zu findenden Seitengasse »Calle Galileo«, eine Entdeckung, die wir einem guten Freund verdanken. Man sollte früh da sein, bevor das Lokal öffnet, viertel vor acht, oder so und vor der Tür herumlungern. Tut man das nicht, sind alle fünf Tische weg und bleiben weg, für mindestens eineinhalb Stunden. Vorbestellen geht nicht. Eine sehr begrenzte Auswahl an »Raciones« macht das Bestellen in gebrochenem Spanisch einfach, sagen wir mal drei kleine Platten für zwei, egal welche, dazu zwei Gläser offenen Rotwein aus dem gut sortierten Keller, eine Flasche Mineralwasser und vielleicht eines der Desserts. Was dann kommt, stellt jeweils alles in den Schatten, was wir seit geraumer Zeit genießen durften, und genügt vollkommen für lange Augenblicke eine selten erreichte Zufriedenheit zu evozieren…
Alles in allem lebt es sich sehr, sehr gut hier. Das verführt viele Langfahrtsegler dazu, auf Dauer zu bleiben, mehr Fender und Leinen auszubringen und ein Auto zu erwerben. Willi und Christina von der PANTA RHEI, die wir aus früheren Jahren im Mittelmeer kennen liegen inzwischen seit über einem Jahr hier am Steg. Über Weihnachten fliegen sie nach D zur Verwandtschaft und borgen uns gegen einen nächtlichen Flughafenshuttleservice ihr hübsches Cabriolet für zehn Tage. Damit machen wir trotz Grippe und Sandsturm ausgiebig das Inselinnere unsicher. Gerade der raue Westen der Insel bietet spektakuläre Bergwälder, tiefe Schluchten und waghalsige Kämme und (oft) einen unglaublichen Blick auf Teneriffa und den Vulkan »Pico del Teide«. Man kann sich kaum satt sehen an den satten Farben und auch das Aroma stimmt. Die Möglichkeiten zum wandern und Radfahren sind fantastisch und absolut unüberschaubar. Man bräuchte, wie so oft, wesentlich mehr Zeit. Klar sind die Süd- und die Ostküste auf das peinlichste zubetoniert, und die sechsspurige, aalglatte EU Autobahn zwischen Las Palmas und Playa de Mogan hat etwas surreales, aber hier oben merkt man nichts davon. Es geht uns gut.
Ein frohes neues Jahr wünschen Euch B und M / SY VERA / Muelle Deportivo / Las Palmas / Gran Canaria / Spanien
1 - Toggles und Flaschenschrauben auf der VERA, neu und alt…
2 - Its work, all that matters is work

3 - Ein Blick in das Rigg der CHRISTIAN RADICH

4 - Schoner »Eleonora« von Nathanael Greene Herreshoff 1910

5 - Schoner »Elena«, ebenfalls Herreshoff 1910, links hinten im Bild der hellblaue Bug der VERA

6 - Ist das Kunst, oder kann das weg?

7 - Die NINA als originalgetreuer Nachbau: Gut genug für Cristóbal Colón und den Atlantik

8 - Sportliche Spanier an der Playa de Las Canteras, Las Palmas

9 - Sportliche Spanier an der Playa de Las Canteras, Las Palmas

10 - Das herrliche Innere Gran Canarias

Las Palmas, Gran Canaria, zwischen den Jahren 2016 und 2017. Die VERA fest in der »Muelle Deportivo«… Seit zehn Tagen weht es hart aus E - SE, eine Änderung ist nicht in Sicht. Das bringt roten Sand aus der Sahara, der alles an - und unter Deck der VERA einpudert. Saubermachen hat keinen Zweck. Der viele Sand und eine Wintergrippe sind es, die unsere Motivation in Sachen »To-do Liste Südamerika« derzeit überschaubar halten. Einiges haben wir geschafft: Der Autopilot hat jetzt zwei gesunde Antriebe, der Schleppgenerator ist repariert und auch das Rigg steht nach dem Austausch sämtlicher Toggles und Flaschenschrauben wieder recht vertrauenswürdig da. Der Seezaun und die laufenden Backstagen sind neu. Heizung und die Ersatzteile für den Wassermacher lauern leider noch in ihren Kisten…
Gründe für diese Verzögerungen finden sich leicht. Beispiel: Wir wollen das durchgesehene und neu getoggelte Vorstag mit einem neuen Bolzen unten am Bugbeschlag befestigen. Der ist 19mm dick und passt nicht durch. Der alte war eben nur 18mm dick… Mist. Feilen? Das probiere ich zwei Stunden lang, bis die Finger bluten, leider ohne Erfolg. Der Bugkorb ist im Weg. Also abbauen und dann aufbohren? Drei Stunden später ist der Bugkorb ab. Dabei zeigt sich, das die Verkabelungen der Positionslaternen vergammelt sind. Also raus damit und neu verlegt. Das geht ganz leicht und dauert keine vier Stunden, davon drei zusammengefaltet im Ankerkasten… Danach brennen die Positionslaternen abwechselnd für ein paar Sekunden und gehen dann endgültig aus. Was‘n das? Kabelbruch zwischen Anschlussbox und Sicherungstafel? Neue Kabel quer durchs Schiff verlegen würde drei Tage kosten, zu zweit. Supermist. Nach einigem Analysieren mit dem Multimeter finde ich den Fehler in der Kontrollbox, die die Kontrolllämpchen für die Positionslaternen steuert. B und ich können das in einem harten Tag Arbeit mit Hirn und Lötkolben beheben. Schon komisch, das hier mal das eine nichts mit dem anderen zu tun hatte? Oder doch? Jetzt geht die Ankerwinsch nicht mehr… Möglicherweise habe ich beim Fuhrwerken im Ankerkasten irgendetwas vermasselt? Sch…? Sch…! SCH:::!
Die VERA seetüchtig, ansehnlich und komfortabel zu erhalten (in dieser Reihenfolge) ist ein akkumulativer, im günstigen Fall meditativer Prozess. Hierzu passend: »Zen and the Art of Motorcycle Maintenance« von Robert M. Pirsig 1974. Das wollte ich schon immer mal in Ruhe lesen, und nun hat es B hier zufällig auf den Mülltonnen gefunden…
Zum Glück bietet Las Palmas genug Ablenkung. Gerade in den Wochen vor Weihnachten gibt es viel zu sehen. Dort liegen sie: Die Großsegler CHRISTIAN RADICH aus Norwegen und FALKEN aus Schweden, die ich (M) schon als Kind auf der »Windjammerparade« 1972 in Travemünde mit großen Augen bewundern durfte. Dort drüben, gleich gegenüber an der Tankstelle liegen die ELEONORA und die ELENA, zwei mächtige von Nathanael Herreshoff 1910 entworfene 50 Meter Schoner, und dort, beim großen Gasförmigen, die leibhaftige KIALOA III… Mit dieser (genau wie unsere VERA) im Jahre 1974 von den legendären Brüdern Olin und Rod Stephens entworfenen 25 Meter Rakete beendeten Jim Kilroy und seine Crew das Sydney Hobart Rennen 1975 nach zwei Tagen, 14 Stunden, 36 Minuten und 56 Sekunden. Ein Rekord für die Ewigkeit, der volle 21 Jahre hielt. Apropos, Sydney Hobart: Gerade in diesen Tagen verbesserte die PERPETUAL LOYAL, ein 30 Meter Juan Kouyoumdjian Design von 2008 den aktuellen Rekord auf einen Tag, 13 Stunden, 31 Minuten und 20 Sekunden. Mal sehen wie lange der hält.
Las Palmas, Gran Canaria: 400.000 durchaus zufrieden wirkende, wuselige Einwohner leben und arbeiten in den engen Gassen einer alten, aber hässlichen Stadt mit vielen Hochhäusern, dicht an dicht zwischen einem großen, traditionsreichen, kommerziellen Hafen und einem wunderschönen, von einem alten Riff geschützten Strand, der »Playa de Las Canteras«. Touristen gibt es auch ein paar. Oft kommen sie in kleinen Gruppen von den gigantischen Kreuzfahrtschiffen, die hier an den Tagen der Ein- und Ausschiffung am Kai liegen. Apropos: Lest vorher unbedingt die Verpackungsbeilage. Hier ein erhellender Artikel über einen der Branchenführer.
Es gibt Studien, die belegen wollen, das Las Palmas das angenehmste Klima der Welt aufweist. Und tatsächlich: Unserer Erfahrung nach herrschen gleichmäßig gemäßigte Temperaturen. In diesem Winter regnet es wenig, ist meist sonnig und warm und in der Nacht Kuscheldecken kühl. Ein guter Platz, um an einem Boot zu schrauben, schon weil es für alles »nautische« gut geführte Werkstätten, Läden und Geschäfte gibt. Die Versorgungslage ist fürstlich. Märkte und Läden quellen über vor »Jamón Serrano« in allen Stadien der Reifung, aber auch mit frischem Fisch und Milchprodukten. Obst und Gemüse gibt es überall taufrisch, und in den Supermärkten fühlt man sich wie daheim. Bis auf Tomatenmark gibt es alles und mehr, wenn auch im Schnitt um vielleicht 20% teurer als in D. Las Palmas ist offensichtlich eine Hochburg des Sportes. Die Einwohner tun es in Massen und mit Hingabe, jung, alt, ob Frau oder Mann. Vor dem Hafen toben Opti und Laser Schlachten, und vor dem Strand die Surf, Kayak und »Stand up paddleboard« Regatten. Am Strand spielen sie Volleyball und Paddeltennis, oft auf hohem Niveau. Und auf der Promenade jagen sich lange Reihen von Läufern, den »Fitness tracker« am Oberarm, die Kopfhörer fest auf den Ohren. Das alles hat trotz des unterschwellig noch spürbarem Katholizismus etwas ungezwungen hedonistisches, und strahlt dabei eine gesunde Resilienz gegenüber den Unbilden dieser Welt aus, an der man sich in D. durchaus ein Beispiel nehmen könnte.
Auch gastronomisch bietet Las Palmas eine Lebensqualität, die keinen Vergleich zu scheuen braucht. Schauen wir beispielsweise einmal in die »Tasca Galileo« in der schwer zu findenden Seitengasse »Calle Galileo«, eine Entdeckung, die wir einem guten Freund verdanken. Man sollte früh da sein, bevor das Lokal öffnet, viertel vor acht, oder so und vor der Tür herumlungern. Tut man das nicht, sind alle fünf Tische weg und bleiben weg, für mindestens eineinhalb Stunden. Vorbestellen geht nicht. Eine sehr begrenzte Auswahl an »Raciones« macht das Bestellen in gebrochenem Spanisch einfach, sagen wir mal drei kleine Platten für zwei, egal welche, dazu zwei Gläser offenen Rotwein aus dem gut sortierten Keller, eine Flasche Mineralwasser und vielleicht eines der Desserts. Was dann kommt, stellt jeweils alles in den Schatten, was wir seit geraumer Zeit genießen durften, und genügt vollkommen für lange Augenblicke eine selten erreichte Zufriedenheit zu evozieren…
Alles in allem lebt es sich sehr, sehr gut hier. Das verführt viele Langfahrtsegler dazu, auf Dauer zu bleiben, mehr Fender und Leinen auszubringen und ein Auto zu erwerben. Willi und Christina von der PANTA RHEI, die wir aus früheren Jahren im Mittelmeer kennen liegen inzwischen seit über einem Jahr hier am Steg. Über Weihnachten fliegen sie nach D zur Verwandtschaft und borgen uns gegen einen nächtlichen Flughafenshuttleservice ihr hübsches Cabriolet für zehn Tage. Damit machen wir trotz Grippe und Sandsturm ausgiebig das Inselinnere unsicher. Gerade der raue Westen der Insel bietet spektakuläre Bergwälder, tiefe Schluchten und waghalsige Kämme und (oft) einen unglaublichen Blick auf Teneriffa und den Vulkan »Pico del Teide«. Man kann sich kaum satt sehen an den satten Farben und auch das Aroma stimmt. Die Möglichkeiten zum wandern und Radfahren sind fantastisch und absolut unüberschaubar. Man bräuchte, wie so oft, wesentlich mehr Zeit. Klar sind die Süd- und die Ostküste auf das peinlichste zubetoniert, und die sechsspurige, aalglatte EU Autobahn zwischen Las Palmas und Playa de Mogan hat etwas surreales, aber hier oben merkt man nichts davon. Es geht uns gut.
Ein frohes neues Jahr wünschen Euch B und M / SY VERA / Muelle Deportivo / Las Palmas / Gran Canaria / Spanien
1 - Toggles und Flaschenschrauben auf der VERA, neu und alt…

2 - Its work, all that matters is work

3 - Ein Blick in das Rigg der CHRISTIAN RADICH

4 - Schoner »Eleonora« von Nathanael Greene Herreshoff 1910

5 - Schoner »Elena«, ebenfalls Herreshoff 1910, links hinten im Bild der hellblaue Bug der VERA

6 - Ist das Kunst, oder kann das weg?

7 - Die NINA als originalgetreuer Nachbau: Gut genug für Cristóbal Colón und den Atlantik

8 - Sportliche Spanier an der Playa de Las Canteras, Las Palmas

9 - Sportliche Spanier an der Playa de Las Canteras, Las Palmas

10 - Das herrliche Innere Gran Canarias

012 - NACH LAS PALMAS
22/11/16 00:00 Canary Islands
Hallo Ihr Lieben!
Las Palmas Raumhafen: Seit langer Zeit verproviantieren Seeleute dort ein letztes mal ihre Schiffe, bevor sie endgültig zu neuen Ufern aufbrechen, denn dort gibt es alles benötigte direkt am Weg: Spelunken, Werkstätten, Chandler, Gemüsehändler. Und dorthin wollen auch wir, obwohl der Abschied von »unserer« kleinen Trauminsel La Graciosa nicht leicht fällt. Werden wir uns wiedersehen?
Ein feiner NE bei glatter See erleichtert den Absprung. Nur unter ausgebaumter Genua gluckert die »VERA« gemächlich gen SW und hinein in eine pechschwarze Nacht, im Kielwasser eine hell leuchtende Schleppe Meeresleuchten. Es ist trocken und warm an Deck, so angenehm wie selten. M hat die erste Wache, bis Mitternacht. Allein mit mir, zum ersten mal seit einigen Wochen. Orion wälzt sich markant im SE hinauf und gesellt sich zum leuchtenden Band der Milchstrasse. Das charakterstarke »Hensoldt 7 x 50« in meinen Händen müht sich redlich, sie in unzählige winzige Sternchen aufzulösen. Noch drei Stunden bis zum Mondaufgang und zum Wachwechsel. Zeit genug zum sinnieren, über die beängstigend lange »ToDo« Liste, oder auch das »Fermi Paradoxon«…
Die aufgehende Sonne bringt frisch gebrühten »Earl Grey« mit Xucker und Milch. Gran Canaria und die Skyline von Las Palmas liegen voraus im morgendlichen Dunst. Eine ganze Herde Delphine spielt fangen in der Bugwelle und schlägt übermütig Purzelbäume. Das sieht lustig aus und bringt gute Laune. Wir haben es nicht eilig, wollen nicht vor Mittag dort sein, schon der »ARC« wegen. »ARC«? Die »Atlantic Rally for Cruisers« findet seit 1986 in jedem Jahr statt. Hunderte von Boote brechen Ende November von Las Palmas aus gemeinsam in die Karibik auf, nach Rodney Bay auf Santa Lucia, im ernsthaften Kräftemessen, oder im spielerischen Wettbewerb.
Unser Timing ist gut. Gegen 12.30 UTC dümpeln wir unweit der Startlinie und beobachten, wie die heißesten Renner unter schwarzen Carbonsegeln bei 0.00 mit Höchstfahrt ins Rennen gehen, gefolgt von einem Riesenschwarm gemächlicherer Fahrtenyachten. Das ist schon der dritte »ARC« Start, den wir »life« beobachten durften. 2001 war das erste mal. Damals standen wir auf der Kaimauer und blickten den auslaufenden Booten nach, voller Neid und voller Wehmut. Wir hassten die Flugtickets in unseren Taschen, nach Hannover, in den Graupel, morgen früh. Dort wollten wir nicht hin. Über den Atlantik wollten wir, in die warme Karibik, unter Segeln, am besten gleich. 2006 war es dann endlich soweit. Unsere australischen Freunde Caylie und David hatten ihre »Steamy Windows« für das »ARC« angemeldet und natürlich durften sie mit der Flotte komfortabel in der »Muelle Deportivo« residieren. Die »VERA« nicht. Zwei Wochen lagen wir auf dem überfüllten Ankerplatz und beobachteten das muntere Treiben. Unser Plan sah vor, auf perfektes Wetter warten, einen hübschen, gleichmäßigen NE, auslaufen vor dem »ARC«, oder danach. Bloß nicht gezwungenermaßen an einem fest vorgegebenen Termin, womöglich gegen einen hässlichen SW… Der Starttermin kam, das Wetter passte perfekt, Spinnaker hoch, hinaus ins Blaue, zeitgleich und gemeinsam mit der »Steamy Windows« und der gewaltigen »ARC« Flotte. »AIS«, oder einen »Tracker« gab es damals noch nicht, nur »Row Calls« auf Kurzwelle, oder Boot zu Boot Kontakte auf UKW. Die Angst vor Kollisionen in der Nacht legte sich rasch. Nach 24 Stunden hatten wir niemanden mehr in Sicht. Seltsam war nur, das wir doch irgendwie gegen virtuelle Gegner segelten, neugierig, wo wer wann stand, und detaillierte Überlegungen zur schnellsten Segelkombination und zur optimalen Routenwahl anstellten. Unsere Vergangenheit als Regattasegler ließ uns nicht los, irgendwie. In 18 Tagen segelten wir die »VERA« damals nach Antigua, zu zweit, 180sm im Tagesdurchschnitt, wohl auch dank einer eher nördlichen Route, nur wenig südlich des Großkreises, die wir aus dem kaiserlichen Segelhandbuch für den Atlantischen Ozean herausgeknobelt hatten…
Dieses mal wollen wir nicht mit. Wir haben selbst einen bequemen Platz in der Marina »Muelle Deportivo de Las Palmas« gebucht, um hier eine Zeitlang für das nächste Jahr und den kommenden Törn nach Südamerika zu rüsten. Gegen den Strom der auslaufenden Boote motoren wir auf die Hafeneinfahrt und die Stadt zu. An Steuerbord liegen an langen Kais prächtige Containerschiffe, Bohrinseln, mächtige Kreuzfahrer und etliche Großsegler, darunter die »Sea Cloud«, und die »Alexander von Humboldt«. An Backbord liegt die fast leere Marina. Wir steuern den noch immer brechend vollen Ankerplatz an und werfen das Eisen ohne rechte Begeisterung in eine knappe Lücke auf fragwürdigen, steinigen Grund.
Das Personal der Marina hat gerade 200 »ARC« Boote verabschiedet und ruft inzwischen auf dem UKW Kanal 11 nach einer langen Warteliste 200 neue Boote auf, die fast alle vor Wochen oder Monaten vorab gebucht haben. Wir zum Glück auch. Uns gehört die Nummer 52. Einen ganzen Tag lang lauschen wir nun angespannt auf »unseren« Aufruf. Die Kommunikation auf dem UKW ist sehr unterhaltsam. Ständig erreichen weitere Boote den Hafen, in der Annahme, hier eine vollkommen leere Marina vorzufinden. Dem ist aber leider nicht so, lange Warteliste, Neuankömmlinge hinten anstellen. Das wollen diese aber nicht und argumentieren meist leidenschaftlich mit dem »Operator«, der offenbar ganz allein gegen das Chaos kämpft. Das hört sich dann ungefähr so an (den jeweiligen schweren Akzent müsst Ihr Euch dazudenken):
- »Number 24, this is Las Palmas Marina, do you read me?«
- »Las Palmas Marina, Las Palmas Marina, this is sailing vessel »TOO GOOD TO BE TRUE, TOO GOOD TO BE TRUE, TOO GOOD TO BE TRUE, do you read me?«
- »TOO GOOD TO BE TRUE«, this is Las Palmas Marina, what can we do for you?«
- »Las Palmas Marina, this is »TOO GOOD TO BE TRUE«. We are coming in from Madeira and are requesting a berth in your Marina. Can we proceed to the waiting quay?«
- »»TOO GOOD TO BE TRUE» this is Las Palmas Marina. Are you on our waiting list?«
- »Which waiting list?«
- »»TOO GOOD TO BE TRUE» this is Las Palmas Marina. We have no berth available right now. Please go to the anchorage area and standby on channel 11.«
- »Las Palmas Marina« this is »OCEAN GOOSE«, Number 85. We have been shopping in town for the last two hours. Have you perchance called us in the meantime?«
- »Las Palmas Marina, this is »TOO GOOD TO BE TRUE«. We have sailed through the night and are very tired. Your Marina is almost empty. Can we please just come in and get a berth?«
- »TOO GOOD TO BE TRUE«, this is Las Palmas Marina. We have no berth available right now. I repeat: We have no berth available. Please go to the anchorage and standby on channel 11«
- »Las Palmas Marina« this is »OCEAN GOOSE«, Number 85. Have you called us in the meantime?«
- »OCEAN GOOSE« this is Las Palmas Marina. We haven‘t called you yet. Standby on channel 11, please.«
- »Las Palmas Marina, Las Palmas Marina, this is sailing vessel »BIG TIME, BIG TIME, BIG TIME, do you read me?«
- »BIG TIME«, this is Las Palmas Marina, what can we do for you?«
- »Las Palmas Marina, this is »BIG TIME«. We are number 136 on your waiting list, but we need a berth immediately, I repeat immediately. Our toilet is broken, we are sinking, can we come in?«
- »Las Palmas Marina, this is »TOO GOOD TO BE TRUE«. Can we discuss about our berth right now? As I said, we are dead tired and would like to proceed to the waiting quay!«
- »Stand by please, channel 11.«
- »Las Palmas Marina, Las Palmas Marina, this is sailing vessel »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, do you copy?«
- »EISZEIT«, this is Las Palmas Marina. What can we do for you?
- »Las Palmas Marina, this is »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, do you copy?«
- »EISZEIT«, this is Las Palmas Marina?«
- »Las Palmas Marina, this is »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, do you copy?«
- »Las Palmas Marina, this is »BIG TIME«. We are sinking. We are going down. Do you read me«
- »Please stand by on channel 11.«
- »Las Palmas Marina, this is »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, do you copy?«
- »Number 25, this is Las Palmas Marina, do you read me?«
…und so weiter, bis in die Nacht. »Number 52, VERA« ist am nächsten Tag vormittags dran. Wir machen keinen Ärger und folgen den Marineros ohne Diskussion an den uns zugewiesenen Platz am Ponton »L«. Bald sind unsere Leinen sauber belegt und aufgeschossen. Unser erster Weg führt naturgemäß zum Büro des Hafenmeisters. Dort warten Segler aus aller Herren Länder geduldig in einer langen Schlange, darunter natürlich der Finne. Wir ziehen die Nummer 58. Derzeit wird Nummer 99 abgefertigt. Man sagt uns, das zehn Nummern so um die eine Stunde dauern… Tadellöser und Wolff. Die Szene, wie die zwei sympathischen Jungs hier tonnenweise Papierkram und gleichzeitig den gesamten UKW »traffic« (siehe oben, nur mit höheren Wartenummern) bändigen erspare ich Euch jetzt. Sehenswert, hörenswert, urkomisch. Um 19.00 sind wir einklariert. »Penne al Arrabiata« und dann ab ins Bett.
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / Las Palmas / Gran Canaria / Spanien
1 - Delphine in der Bugwelle

2 - Und hier der dazugehörige echte Delphin Film!
3 - Gegen den Strom. Über 200 »ARC« Teilnehmer auf unserem AIS Plotter. Oben die Hafeneinfahrt von Las Palmas.

Las Palmas Raumhafen: Seit langer Zeit verproviantieren Seeleute dort ein letztes mal ihre Schiffe, bevor sie endgültig zu neuen Ufern aufbrechen, denn dort gibt es alles benötigte direkt am Weg: Spelunken, Werkstätten, Chandler, Gemüsehändler. Und dorthin wollen auch wir, obwohl der Abschied von »unserer« kleinen Trauminsel La Graciosa nicht leicht fällt. Werden wir uns wiedersehen?
Ein feiner NE bei glatter See erleichtert den Absprung. Nur unter ausgebaumter Genua gluckert die »VERA« gemächlich gen SW und hinein in eine pechschwarze Nacht, im Kielwasser eine hell leuchtende Schleppe Meeresleuchten. Es ist trocken und warm an Deck, so angenehm wie selten. M hat die erste Wache, bis Mitternacht. Allein mit mir, zum ersten mal seit einigen Wochen. Orion wälzt sich markant im SE hinauf und gesellt sich zum leuchtenden Band der Milchstrasse. Das charakterstarke »Hensoldt 7 x 50« in meinen Händen müht sich redlich, sie in unzählige winzige Sternchen aufzulösen. Noch drei Stunden bis zum Mondaufgang und zum Wachwechsel. Zeit genug zum sinnieren, über die beängstigend lange »ToDo« Liste, oder auch das »Fermi Paradoxon«…
Die aufgehende Sonne bringt frisch gebrühten »Earl Grey« mit Xucker und Milch. Gran Canaria und die Skyline von Las Palmas liegen voraus im morgendlichen Dunst. Eine ganze Herde Delphine spielt fangen in der Bugwelle und schlägt übermütig Purzelbäume. Das sieht lustig aus und bringt gute Laune. Wir haben es nicht eilig, wollen nicht vor Mittag dort sein, schon der »ARC« wegen. »ARC«? Die »Atlantic Rally for Cruisers« findet seit 1986 in jedem Jahr statt. Hunderte von Boote brechen Ende November von Las Palmas aus gemeinsam in die Karibik auf, nach Rodney Bay auf Santa Lucia, im ernsthaften Kräftemessen, oder im spielerischen Wettbewerb.
Unser Timing ist gut. Gegen 12.30 UTC dümpeln wir unweit der Startlinie und beobachten, wie die heißesten Renner unter schwarzen Carbonsegeln bei 0.00 mit Höchstfahrt ins Rennen gehen, gefolgt von einem Riesenschwarm gemächlicherer Fahrtenyachten. Das ist schon der dritte »ARC« Start, den wir »life« beobachten durften. 2001 war das erste mal. Damals standen wir auf der Kaimauer und blickten den auslaufenden Booten nach, voller Neid und voller Wehmut. Wir hassten die Flugtickets in unseren Taschen, nach Hannover, in den Graupel, morgen früh. Dort wollten wir nicht hin. Über den Atlantik wollten wir, in die warme Karibik, unter Segeln, am besten gleich. 2006 war es dann endlich soweit. Unsere australischen Freunde Caylie und David hatten ihre »Steamy Windows« für das »ARC« angemeldet und natürlich durften sie mit der Flotte komfortabel in der »Muelle Deportivo« residieren. Die »VERA« nicht. Zwei Wochen lagen wir auf dem überfüllten Ankerplatz und beobachteten das muntere Treiben. Unser Plan sah vor, auf perfektes Wetter warten, einen hübschen, gleichmäßigen NE, auslaufen vor dem »ARC«, oder danach. Bloß nicht gezwungenermaßen an einem fest vorgegebenen Termin, womöglich gegen einen hässlichen SW… Der Starttermin kam, das Wetter passte perfekt, Spinnaker hoch, hinaus ins Blaue, zeitgleich und gemeinsam mit der »Steamy Windows« und der gewaltigen »ARC« Flotte. »AIS«, oder einen »Tracker« gab es damals noch nicht, nur »Row Calls« auf Kurzwelle, oder Boot zu Boot Kontakte auf UKW. Die Angst vor Kollisionen in der Nacht legte sich rasch. Nach 24 Stunden hatten wir niemanden mehr in Sicht. Seltsam war nur, das wir doch irgendwie gegen virtuelle Gegner segelten, neugierig, wo wer wann stand, und detaillierte Überlegungen zur schnellsten Segelkombination und zur optimalen Routenwahl anstellten. Unsere Vergangenheit als Regattasegler ließ uns nicht los, irgendwie. In 18 Tagen segelten wir die »VERA« damals nach Antigua, zu zweit, 180sm im Tagesdurchschnitt, wohl auch dank einer eher nördlichen Route, nur wenig südlich des Großkreises, die wir aus dem kaiserlichen Segelhandbuch für den Atlantischen Ozean herausgeknobelt hatten…
Dieses mal wollen wir nicht mit. Wir haben selbst einen bequemen Platz in der Marina »Muelle Deportivo de Las Palmas« gebucht, um hier eine Zeitlang für das nächste Jahr und den kommenden Törn nach Südamerika zu rüsten. Gegen den Strom der auslaufenden Boote motoren wir auf die Hafeneinfahrt und die Stadt zu. An Steuerbord liegen an langen Kais prächtige Containerschiffe, Bohrinseln, mächtige Kreuzfahrer und etliche Großsegler, darunter die »Sea Cloud«, und die »Alexander von Humboldt«. An Backbord liegt die fast leere Marina. Wir steuern den noch immer brechend vollen Ankerplatz an und werfen das Eisen ohne rechte Begeisterung in eine knappe Lücke auf fragwürdigen, steinigen Grund.
Das Personal der Marina hat gerade 200 »ARC« Boote verabschiedet und ruft inzwischen auf dem UKW Kanal 11 nach einer langen Warteliste 200 neue Boote auf, die fast alle vor Wochen oder Monaten vorab gebucht haben. Wir zum Glück auch. Uns gehört die Nummer 52. Einen ganzen Tag lang lauschen wir nun angespannt auf »unseren« Aufruf. Die Kommunikation auf dem UKW ist sehr unterhaltsam. Ständig erreichen weitere Boote den Hafen, in der Annahme, hier eine vollkommen leere Marina vorzufinden. Dem ist aber leider nicht so, lange Warteliste, Neuankömmlinge hinten anstellen. Das wollen diese aber nicht und argumentieren meist leidenschaftlich mit dem »Operator«, der offenbar ganz allein gegen das Chaos kämpft. Das hört sich dann ungefähr so an (den jeweiligen schweren Akzent müsst Ihr Euch dazudenken):
- »Number 24, this is Las Palmas Marina, do you read me?«
- »Las Palmas Marina, Las Palmas Marina, this is sailing vessel »TOO GOOD TO BE TRUE, TOO GOOD TO BE TRUE, TOO GOOD TO BE TRUE, do you read me?«
- »TOO GOOD TO BE TRUE«, this is Las Palmas Marina, what can we do for you?«
- »Las Palmas Marina, this is »TOO GOOD TO BE TRUE«. We are coming in from Madeira and are requesting a berth in your Marina. Can we proceed to the waiting quay?«
- »»TOO GOOD TO BE TRUE» this is Las Palmas Marina. Are you on our waiting list?«
- »Which waiting list?«
- »»TOO GOOD TO BE TRUE» this is Las Palmas Marina. We have no berth available right now. Please go to the anchorage area and standby on channel 11.«
- »Las Palmas Marina« this is »OCEAN GOOSE«, Number 85. We have been shopping in town for the last two hours. Have you perchance called us in the meantime?«
- »Las Palmas Marina, this is »TOO GOOD TO BE TRUE«. We have sailed through the night and are very tired. Your Marina is almost empty. Can we please just come in and get a berth?«
- »TOO GOOD TO BE TRUE«, this is Las Palmas Marina. We have no berth available right now. I repeat: We have no berth available. Please go to the anchorage and standby on channel 11«
- »Las Palmas Marina« this is »OCEAN GOOSE«, Number 85. Have you called us in the meantime?«
- »OCEAN GOOSE« this is Las Palmas Marina. We haven‘t called you yet. Standby on channel 11, please.«
- »Las Palmas Marina, Las Palmas Marina, this is sailing vessel »BIG TIME, BIG TIME, BIG TIME, do you read me?«
- »BIG TIME«, this is Las Palmas Marina, what can we do for you?«
- »Las Palmas Marina, this is »BIG TIME«. We are number 136 on your waiting list, but we need a berth immediately, I repeat immediately. Our toilet is broken, we are sinking, can we come in?«
- »Las Palmas Marina, this is »TOO GOOD TO BE TRUE«. Can we discuss about our berth right now? As I said, we are dead tired and would like to proceed to the waiting quay!«
- »Stand by please, channel 11.«
- »Las Palmas Marina, Las Palmas Marina, this is sailing vessel »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, do you copy?«
- »EISZEIT«, this is Las Palmas Marina. What can we do for you?
- »Las Palmas Marina, this is »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, do you copy?«
- »EISZEIT«, this is Las Palmas Marina?«
- »Las Palmas Marina, this is »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, do you copy?«
- »Las Palmas Marina, this is »BIG TIME«. We are sinking. We are going down. Do you read me«
- »Please stand by on channel 11.«
- »Las Palmas Marina, this is »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, do you copy?«
- »Number 25, this is Las Palmas Marina, do you read me?«
…und so weiter, bis in die Nacht. »Number 52, VERA« ist am nächsten Tag vormittags dran. Wir machen keinen Ärger und folgen den Marineros ohne Diskussion an den uns zugewiesenen Platz am Ponton »L«. Bald sind unsere Leinen sauber belegt und aufgeschossen. Unser erster Weg führt naturgemäß zum Büro des Hafenmeisters. Dort warten Segler aus aller Herren Länder geduldig in einer langen Schlange, darunter natürlich der Finne. Wir ziehen die Nummer 58. Derzeit wird Nummer 99 abgefertigt. Man sagt uns, das zehn Nummern so um die eine Stunde dauern… Tadellöser und Wolff. Die Szene, wie die zwei sympathischen Jungs hier tonnenweise Papierkram und gleichzeitig den gesamten UKW »traffic« (siehe oben, nur mit höheren Wartenummern) bändigen erspare ich Euch jetzt. Sehenswert, hörenswert, urkomisch. Um 19.00 sind wir einklariert. »Penne al Arrabiata« und dann ab ins Bett.
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / Las Palmas / Gran Canaria / Spanien
1 - Delphine in der Bugwelle

2 - Und hier der dazugehörige echte Delphin Film!
3 - Gegen den Strom. Über 200 »ARC« Teilnehmer auf unserem AIS Plotter. Oben die Hafeneinfahrt von Las Palmas.

011 - PLAYA DE LAS CONCHAS
16/11/16 00:00 Canary Islands
Hallo Ihr Lieben!
Es gibt nicht viel zu berichten. Zur Übung und der Vollständigkeit halber, will ich (M) es trotzdem versuchen…
Seit bald einem Monat treiben wir uns um und auf La Graciosa herum, entweder im Hafen von »Caleta de Sebo«, oder am Ankerplatz vor der »Playa Francesa«. Wir üben uns im Nichtstun. Alte und neue Freunde kommen und gehen. Zahllose »Cortados Largos« an knusprigen Croissants begleiten lange Gespräche im Stammcafé an der Uferpromenade. Es geht um dies und das, den Lebensentwurf, DIE Yacht, um »Open CPN« oder sogar »Iridium« auf dem »Raspberry Pie«, um Histamine, die Nordwestpassage von Ost nach West, oder von West nach Ost, also um Alles.
So vergehen die Tage wie im Flug. Nach dem unvermeidlichen Morgencafé könnte man irgendetwas am Boot basteln? Z.B. Ankerkasten spülen? Oder wäre ein langer Spaziergang, zum Beispiel zur romantischen »Playa de las Conchas« im Nordwesten der Insel nicht reizvoller? Die Wahl fällt nicht schwer. 3 - 5 Stunden im Wind und über Strand und Stock und Stein blasen das Gehirn gut durch, bringen gesunden Appetit und machen den langen Mittagsschlaf zu einer wohl verdienten Belohnung. Dann der Nachmittagstee (Earl Grey) an Bord, nebst ziellosem Rühren im Internet, eines der Laster, die wir noch nicht ablegen konnten. Das hochfrequente Flimmern der Weltnachrichten hat etwas unbefriedigendes, belastendes. Lesen. Richtig lesen. Etwas richtiges lesen. Das wäre es. Aber woher die Zeit dafür nehmen? Gleich geht die Sonne unter und ein qualitätvolles Abendessen herzurichten braucht seine Zeit, gerade wenn man noch Gäste erwartet… Gitarre spielen? Spanisch lernen? Roman schreiben? Wann denn? Ihr seht: Es geht uns gut. Langeweile? Nie.
»Zoomed out«. So fühlt es sich an. Kaum noch e-mails im Eingang. Die eigene Bedeutung sinkt gegen null, dort wo sie hingehört. Das befreit. Komischerweise müssen wir uns daran gewöhnen. Nicht nervös werden, wenn andere hastig weiterziehen. Zeit ist Reichtum, den kaum jemand kennt. Was könnte man alles damit anfangen? Lässt sich ein sinnvoller Tagesablauf planen? Alles raus, was stört und krank macht, stattdessen rein, was klug und glücklich macht? Das wollen wir versuchen. Ein Experiment mit offenen Enden.
Vereinfachung scheint einer der Schlüssel zu sein. Weniger ist mehr. Ein größeres, bequemeres Boot, irgendwann? So gesehen wohl die falsche Richtung. Die Reibungsverluste würden stören und krank machen. Sophie, Claas und Baby Daphne laufen ein. Sie fahren ein richtiges »piece«, die »Hera«, eine vergleichsweise kleine A&R Yawl aus den 50er Jahren, Holz auf Holz. Es ist selten, das ich (M) mal voll Neid auf ein anderes Boot blicke. »Architektur« ist, wenn man nichts hinzufügen und nichts entfernen kann, ohne alles zu zerstören. Henry Rasmussen ist das bei diesem Boot gelungen.
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / Playa Francesa / La Graciosa / Spanien
1 - B am Strand / Playa de Las Conchas - La Graciosa

2 - Playa de Las Conchas - La Graciosa

3 - Landart auf La Graciosa

4 - Die schwarze Wand von Lanzarote - Nach starken Regenfällen nun dunkelgrün.

5 - Sophie, Claas und Daphne in der Hafeneinfahrt. »Hera«, ein »piece« von Henry Rasmussen zwischen zwei stählernen Großplastiken von César Manrique / Caleta de Sebo, La Graciosa

6 - B bestaunt die »Hera«. Der Fender am Bug ist evtl. nicht original?

7 - Playa de Las Conchas, La Graciosa / Ein Film von B und M
Es gibt nicht viel zu berichten. Zur Übung und der Vollständigkeit halber, will ich (M) es trotzdem versuchen…
Seit bald einem Monat treiben wir uns um und auf La Graciosa herum, entweder im Hafen von »Caleta de Sebo«, oder am Ankerplatz vor der »Playa Francesa«. Wir üben uns im Nichtstun. Alte und neue Freunde kommen und gehen. Zahllose »Cortados Largos« an knusprigen Croissants begleiten lange Gespräche im Stammcafé an der Uferpromenade. Es geht um dies und das, den Lebensentwurf, DIE Yacht, um »Open CPN« oder sogar »Iridium« auf dem »Raspberry Pie«, um Histamine, die Nordwestpassage von Ost nach West, oder von West nach Ost, also um Alles.
So vergehen die Tage wie im Flug. Nach dem unvermeidlichen Morgencafé könnte man irgendetwas am Boot basteln? Z.B. Ankerkasten spülen? Oder wäre ein langer Spaziergang, zum Beispiel zur romantischen »Playa de las Conchas« im Nordwesten der Insel nicht reizvoller? Die Wahl fällt nicht schwer. 3 - 5 Stunden im Wind und über Strand und Stock und Stein blasen das Gehirn gut durch, bringen gesunden Appetit und machen den langen Mittagsschlaf zu einer wohl verdienten Belohnung. Dann der Nachmittagstee (Earl Grey) an Bord, nebst ziellosem Rühren im Internet, eines der Laster, die wir noch nicht ablegen konnten. Das hochfrequente Flimmern der Weltnachrichten hat etwas unbefriedigendes, belastendes. Lesen. Richtig lesen. Etwas richtiges lesen. Das wäre es. Aber woher die Zeit dafür nehmen? Gleich geht die Sonne unter und ein qualitätvolles Abendessen herzurichten braucht seine Zeit, gerade wenn man noch Gäste erwartet… Gitarre spielen? Spanisch lernen? Roman schreiben? Wann denn? Ihr seht: Es geht uns gut. Langeweile? Nie.
»Zoomed out«. So fühlt es sich an. Kaum noch e-mails im Eingang. Die eigene Bedeutung sinkt gegen null, dort wo sie hingehört. Das befreit. Komischerweise müssen wir uns daran gewöhnen. Nicht nervös werden, wenn andere hastig weiterziehen. Zeit ist Reichtum, den kaum jemand kennt. Was könnte man alles damit anfangen? Lässt sich ein sinnvoller Tagesablauf planen? Alles raus, was stört und krank macht, stattdessen rein, was klug und glücklich macht? Das wollen wir versuchen. Ein Experiment mit offenen Enden.
Vereinfachung scheint einer der Schlüssel zu sein. Weniger ist mehr. Ein größeres, bequemeres Boot, irgendwann? So gesehen wohl die falsche Richtung. Die Reibungsverluste würden stören und krank machen. Sophie, Claas und Baby Daphne laufen ein. Sie fahren ein richtiges »piece«, die »Hera«, eine vergleichsweise kleine A&R Yawl aus den 50er Jahren, Holz auf Holz. Es ist selten, das ich (M) mal voll Neid auf ein anderes Boot blicke. »Architektur« ist, wenn man nichts hinzufügen und nichts entfernen kann, ohne alles zu zerstören. Henry Rasmussen ist das bei diesem Boot gelungen.
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / Playa Francesa / La Graciosa / Spanien
1 - B am Strand / Playa de Las Conchas - La Graciosa

2 - Playa de Las Conchas - La Graciosa

3 - Landart auf La Graciosa

4 - Die schwarze Wand von Lanzarote - Nach starken Regenfällen nun dunkelgrün.

5 - Sophie, Claas und Daphne in der Hafeneinfahrt. »Hera«, ein »piece« von Henry Rasmussen zwischen zwei stählernen Großplastiken von César Manrique / Caleta de Sebo, La Graciosa

6 - B bestaunt die »Hera«. Der Fender am Bug ist evtl. nicht original?

7 - Playa de Las Conchas, La Graciosa / Ein Film von B und M
010 - LANZAROTE
10/10/16 00:00 Canary Islands
Hallo Ihr Lieben!
Position 28.44,1N - 013.49,6W. Die »VERA« glücklich gluckernd vor Anker, gleich hinter der Isla del Lobos. Irgendwo zwischen Lanzarote und Fuerteventura. Hinter uns liegen einige aktive Tage in der hochmodernen Marina de Lanzarote in Arrecife… Ein paar Dinge standen an:
- Die »VERA« nach Sandregen mit Frischwasser spülen und Wassertanks auffüllen.
- Bunkern (aka Großeinkauf bei Lidl und Co).
- Benzin für »BOUNCE« besorgen.
- Lokale Chandleries (Schiffsausrüster) durchstöbern, ggf. Ersatzteile erwerben.
- Auto mieten, Insel erkunden, Auto wieder abgeben.
Dies alles haben wir getan, und mehr: Umweht vom Duft der frischen Kötbullar konnten wir bei IKEA (Mitarbeiter überwiegend blond und blauäugig) eine Kaffeekanne, zwei Kopfkissenbezüge und zwei Tuben »Kalles Kaviar« erwerben.
Einer der Eigentümlichkeiten des Lebens unter Segeln ist das gewissermaßen »Nicht Urlauber« sein. Ich (M) will versuchen, das zu erklären. Ein »Urlauber« in einem fremden Land stellt sich nicht zwei Stunden in die lange Schlange beim lokalen Internet Provider und versucht ohne rechte Sprachkenntnisse ein paar »Gigabites« zu erstehen. Er vermeidet auch nicht die Boulevards, Cafés und Restaurants der herausgeputzten »Waterfront«, um viel weiter hinten nach Chandlern, Werkstätten, Mechanikern oder »Hardware Stores« zu stöbern. Er trifft keinen glücklichen, durchgeschwitzten Australier draußen im Gewerbegebiet, mit einem schweren Sack frisch konfektionierter 50mm2 Batteriekabel über der Schulter: »You were right! It was exactly where you told me! On the way up to IKEA, and than somewhere to the right!« Wir hatten ihm am Abend bei einem Drink davon erzählt, wie wir im Jahre 2006 dort oben nach einem Hydraulikshop für unseren verbogenen Anker gesucht und dabei unfreiwillig den IKEA und auf dem Weg dorthin einen gigantisch großen Auto Zubehör Laden gefunden hatten… Aber da ist mehr: Irgendwo in der dritten Reihe in der »Calle El Carenero« stoßen wir gegen Mittag und mit knurrenden Mägen unerwartet auf das Lokal »Charco Vivo«, blaue Markise, kein Namensschild in einem weißen Zweckbau mit Blick auf einen großen Parkplatz. 10 Tische draußen, brechend voll mit Leuten, die hier irgendwo arbeiten und derzeit Mittagspause haben. Mit Glück ergattern wir einen kleinen klapprigen Tisch und die wieselige Kellnerin drängt uns zu je einer »Racion Matrimonio«, einer »Racion Pulpo Plan«, einer großen Flasche »con gas«, zwei kleinen Deserts und zwei »Cortado Largo«, für insgesamt 22€. Die herrlichen Hauptgerichte bestehen aus großzügigen Portionen von gebratenen Fischfilets, gegrilltem Octopus und frittierten Calamares, dazu knackiger Salat und rösche Backkartoffeln. Alles vom allerfeinsten und absolut köstlich. Es gibt sie noch die guten Plätze.
Da wir aktuell nichts dringendes am Boot zu basteln haben, mieten wir ein Auto am »info point« der Marina. Das ist zwar etwas teurer, als die billigsten Internetanbieter, aber nur um wenige Euro, und viel bequemer für uns. Man überreicht uns den Schlüssel für einen schicken Seat Ibiza TSI, »César Manrique« Sondermodell mit einigem Rally Schnickschnack. Mit diesem feinen Gerät bringen wir in zwei Tagen 300km Asphalt und Schotter unter die Räder, die ganz große Rundfahrt zwischen Vulkanen, Wüsten und kleinen Dörfern unter Palmen. Das bringt ein gewisses Gefühl für die Insel zurück, und Erinnerungen an 2006. Hatte ich Euch schon erzählt, das hier der »César Manrique« Personenkult tobt? César Manrique? Das war ein einheimischer Künstler, Bauingenieur und Architekt (1919 - 1992). Gemeinsam mit seinem Jugendfreund Pepin Ramírez, der damals als Präsident der Inselregierung vorstand, gelang es ihm ab 1968 eine Gestaltsatzung auf Lanzarote durchzusetzen: Keine Werbeplakate nirgends, kein Haus höher als zwei Stockwerke, Flachdächer, weiß getüncht oder aus naturbelassenem Lavagestein, Türen, Fenster Fensterläden blau am Meer, und grün auf dem Land. Ein rigider Bebauungs- und Entwicklungsplan unterband weitgehend ein unkontrolliertes Baugeschehen auf der wohl auch wegen der Ausbrüche des »Timanfaya«, zuletzt im Jahre 1824, touristisch weitgehend unerschlossenen Insel. Gleichzeitig konnte Manrique hier einige eigene Architekturprojekte realisieren, von denen mehrere als Hauptquartier des Bösewichtes in den Sean Connery James Bond Filmen zu sehen waren. An jedem der zahllosen César Manrique Villen, Memorials, Miradoren und Museen kann man sein Auto zwischen 20 Reisebussen parken, 9,-€ pro Person Eintritt bezahlen und dann zwischen 1001 Urlaubern andächtig sein. Nix für uns.
Stattdessen lassen wir »Manrique« rollen: Gen Süden nach »Playa Blanca« und zur »Marina Rubicon« (natürlich). Wieder hinauf,
an der Küste entlang in das idyllische Fischerstädtchen »El Golfo« und durch den beeindruckenden »Parque Nacional de Timanfaya«, in dem es jetzt keine Touristenkamele mehr gibt. Besonders gut gefällt uns die Ortschaft »Haria« im Norden der Insel, für die man Zeit bräuchte, um zu horchen. Wilde, kahle Vulkankegel umschließen ein fruchtbares Tal mit vielen Palmen und weißen Würfelhäusern. Eine Oase, Nordafrika light. Die Caféhauskultur im Herzen der Ortschaft sieht anziehend aus. Leider keine Zeit dafür. In »La Santa« sehen wir stundenlang den Surfern zu, die hier in der Brandung auf die perfekte Welle warten und die weniger perfekten elegant untertauchen. Campervans am Strand und junge Leute, braun und muskelbepackt mit blond gebrannten, langen Haaren. Mann, was sind wir alt.
Ganz in der Nähe, in der kleinen Ortschaft am »Playa de Famara« folge ich einer spontanen Eingebung: Es soll doch gegen Seepocken helfen, wenn man seinen Propeller unter Wasser mit »Sexwax« einreibt? Und hier wimmelt es von Surfshops, mindestens sechs Stück, direkt nebeneinander. Wir drängeln uns durch eine Gruppe »Cool Dudes« in den erstbesten Laden. Da ich mich wegen Befangenheit nicht verständlich machen kann, zeige ich auf eine Packung »Wax«, die auf einem halbfertig präparierten Board liegt. Der Ladeninhaber, braungebrannt, muskulös und blond sieht Britta und mich einen langen Moment lang an. Dann: »YOU??? …wanna buy some Wax???« Die Situation ist so köstlich, das wir uns später kaum halten können vor lachen. Zwar gibt er uns kein »Sexwax«, aber dafür aber ZWEI (»got no change, man…«) Packungen »Far King« für glatte 5,-€. Wollen mal sehen, ob das Zeug auch wirkt…
Zum Schluss ein paar Worte zu »Manrique«: Gerade im Vergleich zum Panda ein perfektes Auto. Durchzugsstark, sparsam, präzise, praktisch und dabei noch hübsch. Der VW Konzern hat hier tolle Arbeit geleistet. Wirklich.
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / Isla de Lobos / Spanien
1 - »VERA« in der Marina Lanzarote / Arrecife

2 - Fischerboote in Arrecife

3 - Strand bei El Golfo

4 - Lunch in El Golfo

5 - Helden in der Brandung am »Playa de Famara«

6 - »Manrique« im »Parque Nacional de Timanfaya«

7 - Die Route um Lanzarote, von La Graciosa im Norden über Arrecife nach Isla de Lobos

Position 28.44,1N - 013.49,6W. Die »VERA« glücklich gluckernd vor Anker, gleich hinter der Isla del Lobos. Irgendwo zwischen Lanzarote und Fuerteventura. Hinter uns liegen einige aktive Tage in der hochmodernen Marina de Lanzarote in Arrecife… Ein paar Dinge standen an:
- Die »VERA« nach Sandregen mit Frischwasser spülen und Wassertanks auffüllen.
- Bunkern (aka Großeinkauf bei Lidl und Co).
- Benzin für »BOUNCE« besorgen.
- Lokale Chandleries (Schiffsausrüster) durchstöbern, ggf. Ersatzteile erwerben.
- Auto mieten, Insel erkunden, Auto wieder abgeben.
Dies alles haben wir getan, und mehr: Umweht vom Duft der frischen Kötbullar konnten wir bei IKEA (Mitarbeiter überwiegend blond und blauäugig) eine Kaffeekanne, zwei Kopfkissenbezüge und zwei Tuben »Kalles Kaviar« erwerben.
Einer der Eigentümlichkeiten des Lebens unter Segeln ist das gewissermaßen »Nicht Urlauber« sein. Ich (M) will versuchen, das zu erklären. Ein »Urlauber« in einem fremden Land stellt sich nicht zwei Stunden in die lange Schlange beim lokalen Internet Provider und versucht ohne rechte Sprachkenntnisse ein paar »Gigabites« zu erstehen. Er vermeidet auch nicht die Boulevards, Cafés und Restaurants der herausgeputzten »Waterfront«, um viel weiter hinten nach Chandlern, Werkstätten, Mechanikern oder »Hardware Stores« zu stöbern. Er trifft keinen glücklichen, durchgeschwitzten Australier draußen im Gewerbegebiet, mit einem schweren Sack frisch konfektionierter 50mm2 Batteriekabel über der Schulter: »You were right! It was exactly where you told me! On the way up to IKEA, and than somewhere to the right!« Wir hatten ihm am Abend bei einem Drink davon erzählt, wie wir im Jahre 2006 dort oben nach einem Hydraulikshop für unseren verbogenen Anker gesucht und dabei unfreiwillig den IKEA und auf dem Weg dorthin einen gigantisch großen Auto Zubehör Laden gefunden hatten… Aber da ist mehr: Irgendwo in der dritten Reihe in der »Calle El Carenero« stoßen wir gegen Mittag und mit knurrenden Mägen unerwartet auf das Lokal »Charco Vivo«, blaue Markise, kein Namensschild in einem weißen Zweckbau mit Blick auf einen großen Parkplatz. 10 Tische draußen, brechend voll mit Leuten, die hier irgendwo arbeiten und derzeit Mittagspause haben. Mit Glück ergattern wir einen kleinen klapprigen Tisch und die wieselige Kellnerin drängt uns zu je einer »Racion Matrimonio«, einer »Racion Pulpo Plan«, einer großen Flasche »con gas«, zwei kleinen Deserts und zwei »Cortado Largo«, für insgesamt 22€. Die herrlichen Hauptgerichte bestehen aus großzügigen Portionen von gebratenen Fischfilets, gegrilltem Octopus und frittierten Calamares, dazu knackiger Salat und rösche Backkartoffeln. Alles vom allerfeinsten und absolut köstlich. Es gibt sie noch die guten Plätze.
Da wir aktuell nichts dringendes am Boot zu basteln haben, mieten wir ein Auto am »info point« der Marina. Das ist zwar etwas teurer, als die billigsten Internetanbieter, aber nur um wenige Euro, und viel bequemer für uns. Man überreicht uns den Schlüssel für einen schicken Seat Ibiza TSI, »César Manrique« Sondermodell mit einigem Rally Schnickschnack. Mit diesem feinen Gerät bringen wir in zwei Tagen 300km Asphalt und Schotter unter die Räder, die ganz große Rundfahrt zwischen Vulkanen, Wüsten und kleinen Dörfern unter Palmen. Das bringt ein gewisses Gefühl für die Insel zurück, und Erinnerungen an 2006. Hatte ich Euch schon erzählt, das hier der »César Manrique« Personenkult tobt? César Manrique? Das war ein einheimischer Künstler, Bauingenieur und Architekt (1919 - 1992). Gemeinsam mit seinem Jugendfreund Pepin Ramírez, der damals als Präsident der Inselregierung vorstand, gelang es ihm ab 1968 eine Gestaltsatzung auf Lanzarote durchzusetzen: Keine Werbeplakate nirgends, kein Haus höher als zwei Stockwerke, Flachdächer, weiß getüncht oder aus naturbelassenem Lavagestein, Türen, Fenster Fensterläden blau am Meer, und grün auf dem Land. Ein rigider Bebauungs- und Entwicklungsplan unterband weitgehend ein unkontrolliertes Baugeschehen auf der wohl auch wegen der Ausbrüche des »Timanfaya«, zuletzt im Jahre 1824, touristisch weitgehend unerschlossenen Insel. Gleichzeitig konnte Manrique hier einige eigene Architekturprojekte realisieren, von denen mehrere als Hauptquartier des Bösewichtes in den Sean Connery James Bond Filmen zu sehen waren. An jedem der zahllosen César Manrique Villen, Memorials, Miradoren und Museen kann man sein Auto zwischen 20 Reisebussen parken, 9,-€ pro Person Eintritt bezahlen und dann zwischen 1001 Urlaubern andächtig sein. Nix für uns.
Stattdessen lassen wir »Manrique« rollen: Gen Süden nach »Playa Blanca« und zur »Marina Rubicon« (natürlich). Wieder hinauf,
an der Küste entlang in das idyllische Fischerstädtchen »El Golfo« und durch den beeindruckenden »Parque Nacional de Timanfaya«, in dem es jetzt keine Touristenkamele mehr gibt. Besonders gut gefällt uns die Ortschaft »Haria« im Norden der Insel, für die man Zeit bräuchte, um zu horchen. Wilde, kahle Vulkankegel umschließen ein fruchtbares Tal mit vielen Palmen und weißen Würfelhäusern. Eine Oase, Nordafrika light. Die Caféhauskultur im Herzen der Ortschaft sieht anziehend aus. Leider keine Zeit dafür. In »La Santa« sehen wir stundenlang den Surfern zu, die hier in der Brandung auf die perfekte Welle warten und die weniger perfekten elegant untertauchen. Campervans am Strand und junge Leute, braun und muskelbepackt mit blond gebrannten, langen Haaren. Mann, was sind wir alt.
Ganz in der Nähe, in der kleinen Ortschaft am »Playa de Famara« folge ich einer spontanen Eingebung: Es soll doch gegen Seepocken helfen, wenn man seinen Propeller unter Wasser mit »Sexwax« einreibt? Und hier wimmelt es von Surfshops, mindestens sechs Stück, direkt nebeneinander. Wir drängeln uns durch eine Gruppe »Cool Dudes« in den erstbesten Laden. Da ich mich wegen Befangenheit nicht verständlich machen kann, zeige ich auf eine Packung »Wax«, die auf einem halbfertig präparierten Board liegt. Der Ladeninhaber, braungebrannt, muskulös und blond sieht Britta und mich einen langen Moment lang an. Dann: »YOU??? …wanna buy some Wax???« Die Situation ist so köstlich, das wir uns später kaum halten können vor lachen. Zwar gibt er uns kein »Sexwax«, aber dafür aber ZWEI (»got no change, man…«) Packungen »Far King« für glatte 5,-€. Wollen mal sehen, ob das Zeug auch wirkt…
Zum Schluss ein paar Worte zu »Manrique«: Gerade im Vergleich zum Panda ein perfektes Auto. Durchzugsstark, sparsam, präzise, praktisch und dabei noch hübsch. Der VW Konzern hat hier tolle Arbeit geleistet. Wirklich.
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / Isla de Lobos / Spanien
1 - »VERA« in der Marina Lanzarote / Arrecife

2 - Fischerboote in Arrecife

3 - Strand bei El Golfo

4 - Lunch in El Golfo

5 - Helden in der Brandung am »Playa de Famara«

6 - »Manrique« im »Parque Nacional de Timanfaya«

7 - Die Route um Lanzarote, von La Graciosa im Norden über Arrecife nach Isla de Lobos

009 - LA GRACIOSA / AT THE CROSSROADS
26/09/16 00:00 Canary Islands
Hallo Ihr Lieben!
»La Graciosa«, eine kleine Vulkaninsel, vorgelagert an der Nordspitze Lanzarotes, spektakuläre Schönheit. Hier, wie auf Madeira, treffen um diese Jahreszeit die Blauwasserboote und ihre Crews aufeinander. Praktisch jeder muss hier vorbei, egal wo er herkommt, oder wohin er will, »The crossroads« sozusagen. Unser Anker fällt im Morgengrauen des 19. September, sechs Stunden vor der »ARWEN« an der »Playa Francesa«. Gleich vor uns liegt der Finne, ist wohl schon ein paar Tage hier. Die zurückliegende Nacht war nicht der wahre Jakob. Mussten per Hand steuern, fanden kaum Schlaf. Diesmal hat es das äußere Ritzel im Planetengetriebe unseres Autopilotenantriebes zerrissen. Es konnte wohl nicht so recht mit den neuen Metallzahnrädchen, die ich (M) westlich von Gibraltar auf See verbaut hatte…
»Playa Francesa«, im Rückblick ein Traum. Damals, im Jahre 2006, eine Handvoll Boote. Feuer am Strand, selbst gefangener Fisch auf dem Grill, neue Freunde für‘s Leben… Eine psychologische Besonderheit ist der überwältigende »sense of achievement«, den alle Neuankömmlinge verspüren, die damit verbundene Euphorie. Man hat die Biskaya, die Westküste Portugals, oder die mörderischen Passage durch die Säulen des Herkules überlebt und die ersten wirklich großen Atlantikwellen gesehen. Das macht stolz und gesprächig. Der Finne kommt herbei gerudert und schenkt uns eine große Spritze, mit der man sich einen Einlauf, oder einen Ölwechsel machen kann. Dann geht er Anker auf und segelt gen Südwesten. Eigentlich gar nicht so unrecht, dieser Finne.
Den ersten Tag verbringen wir an Bord. Feuer machen am Strand ist heutzutage verboten. »La Graciosa« ist schließlich ein streng geschützter Nationalpark. Dafür gibt es jetzt monströse Ausflugskatamarane, die lastwagenladungsweise Erholungsuchende auf die »Playa Francesa« rotzen… Nun denn. Ein neuer Tag. Wir bringen »Bounce« zu Wasser und fahren um die Ecke nach »Caleta del Sebo«, dem Hauptort der Insel. Eine Handvoll weiß getünchter Häuser drängt sich um ein kleines, aber gut geschütztes Hafenbecken. Hier gibt es alles: Café, Emparedado‘s, zwei Minimärkte, Wifi, Mülltonnen und einen Hafenmeister. Beim Wifi treffen sich alle, und im Nu sind wir für den Abend zum Aperitif eingeladen, auf einem der französischen Boote… Eilig brechen wir zu einem ausgedehnten Spaziergang auf, immer entlang der Ostküste, nach »Pedro Barba«, der einzigen anderen Siedlung auf »La Graciosa«, die einst von dem Abenteurer Pedro Barba als Hauptstadt gegründet wurde, nachdem er sich selbst zum König der Kanarischen Inseln ausgerufen hatte. Und dieser Spaziergang ist immer noch ein Traum. Niemand da, die Farben prächtig, ocker, braun und rot, die markanten Vulkankegel gegen den dunkelblauen Himmel, das tiefstblaue Meer vor einer markanten schwarzen Wand, der senkrechten Nordwestküste Lanzarotes, zum Greifen nah.
Könnten wir hier leben? »La Graciosa« bietet viel: EU, gewaltige Natur, Leere, Wildnis, einfache, weiße würfelige Häuschen, direkt am Ufer. Mit einem schnellen RIB wäre man in einer guten Stunde in Arrecife, der Hauptstadt von Lanzarote. Hier windgeschützt auf der Veranda sitzen, mit einem Krug Ziegenmilch und einem guten Buch? Auf’s Meer starren und auf die schwarze Wand? Jeden Tag schnorcheln, Gitarren bauen, See Kajaks, oder Schiffsmodelle? »Land Art« vielleicht? Im Trockenen leben, ganz ohne Schaukelei? Lebensentwürfe gibt es viele, aber welcher mag der richtige sein? »BOUNCE« gleitet bei Halbgas leichtfüßig zurück zur »Playa Francesa«. Dort liegt die »VERA«, hellblau, zwischen zehn anderen Booten. Sie kann uns nach Patagonien bringen, und vielleicht weiter, in die Südsee, oder nach Alaska. Erleichtert klettern wir an Bord.
Aperitif auf einer kleineren »Bavaria« unter der Tricolore, ein Raumwunder. Selbst 16 Franzosen und 4 Deutschen im Cockpit bringen sie nicht zum sinken. Jede Menge Ti-Punsch und feine Häppchen mit Enten Rillette rutschen gut. Die Franzosen sprechen alle leidlich Englisch. Ein Wunder. Die jüngeren hier haben meist ein Jahr Zeit, zumeist möglich gemacht durch ein »Sabbatical« vom Arbeitgeber. Sie wollen in die Karibik und dann über die Ostküste der USA zurück nach Europe und auf dem Weg möglichst viel erleben. Ein Vorteil für ihre Karrieren, haben sie danach doch Initiative, körperliche und geistige Belastbarkeit, Organisationstalent, gute Nerven und Durchhaltevermögen bewiesen. In Deutschland wäre die berufliche Laufbahn dagegen hin. Man hätte sich als »Beach-Bum« und arbeitsunwilliger »Aussteigertyp« zu erkennen gegeben, der jegliche Expertise in seinem Fachgebiet eingebüßt hat… aber ich (M) schweife ab. Hier, an Bord der kleinen »Bavaria«, bahnen sich neue Blauwasserehen an. Die Crew der »ARWEN« z.B. verliebt sich unsterblich in ein anderes junges Paar, ungefähr gleich alt, auch noch keine Kinder, auch Surfer, auch aus Lorient in der Bretagne, dem einzigen Ort auf der Erde, wo man Ahnung von maritimer Kultur hat. Am nächsten Morgen sind sie zusammen weg, Kurs Südwest, hinter dem Finnen her… so ging es uns damals auch in 2006 mit den Crews der englischen »ROXI« und der australischen »STEAMY WINDOWS«. Heute tun wir uns schwerer, sind wir doch unbefristet unterwegs, wollen erst im März los, und dann nach Südamerika.
Die australische »SASSOON« läuft ein, direkt aus Gibraltar. Melinda und Dave wollen leider gleich weiter, in die Marina Rubicon im Süden Lanzarotes und dann zum Flughafen, zwei Monate Australien, Heimaturlaub. Traurig. Siggi, Tauchlehrerin und alte Freundin aus Marmaris in der Türkei ist auch sofort wieder weg. Sie segelt in einer hinreichend unwahrscheinlichen Konstellation mit ihrem ägyptischen Partner Umbarak auf der pfeilschnellen »X-Yacht« eines befreundeten Segelmachers aus Israel, Easy und seiner charmanten Ehefrau. Wir kämpften gegen Easy, in alten Tagen. 420er WM 1986 in Ancona, Wicky und Frey (gelber »Vogel Mayer« Spi) aus der Schweiz sensationell Weltmeister, vor den Israelis. Easy fuhr dort seine selbst genähten »Winning Way« Segel, im radikal neuen Radialschnitt. Lange her. Und doch reden wir über jedes Rennen, als ob es gestern war. Vielleicht sehen wir uns irgendwann? Tauchen im roten Meer von einem von Umbarak‘s Dive boats aus? Wenn Frieden wäre? Es wäre schön.
In den nächsten Tagen erwandern wir uns die Insel, von Nord nach Süd, von Ost nach West, am Meer entlang und über Vulkankegel, gelegentlich überholt von alten Landrovern voller Touristen und ihren Staubfahnen. Uns gefällt es. Eigentlich wollten wir bald nach Las Palmas auf Gran Canaria verlegen, um dort so einiges an der »VERA« zu basteln. Dem Ratschlag eines alten Freundes verdanken wir nun die Idee, uns im Oktober / November doch besser hier in der kleinen Marina von »Caleta del Sebo« einzugraben, zumindest bis die ARC (http://www.worldcruising.com) Las Palmas mit 300 Yachten gen Santa Lucia in der Karibik verlassen hat. Das wollen wir so machen. Und bis dahin? Mal sehen.
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / La Graciosa / Spanien
1 - »VERA« hinter der »ARWEN«

2 - Das vermaledeite Ritzel

3 - Die schwarze Wand

4 - Land Art?

5 - »VERA« und Artgenossen

6 - »BOUNCE« (weiß) und Artgenossen

7 - Als Autos noch Autos waren

8 - Die Route

»La Graciosa«, eine kleine Vulkaninsel, vorgelagert an der Nordspitze Lanzarotes, spektakuläre Schönheit. Hier, wie auf Madeira, treffen um diese Jahreszeit die Blauwasserboote und ihre Crews aufeinander. Praktisch jeder muss hier vorbei, egal wo er herkommt, oder wohin er will, »The crossroads« sozusagen. Unser Anker fällt im Morgengrauen des 19. September, sechs Stunden vor der »ARWEN« an der »Playa Francesa«. Gleich vor uns liegt der Finne, ist wohl schon ein paar Tage hier. Die zurückliegende Nacht war nicht der wahre Jakob. Mussten per Hand steuern, fanden kaum Schlaf. Diesmal hat es das äußere Ritzel im Planetengetriebe unseres Autopilotenantriebes zerrissen. Es konnte wohl nicht so recht mit den neuen Metallzahnrädchen, die ich (M) westlich von Gibraltar auf See verbaut hatte…
»Playa Francesa«, im Rückblick ein Traum. Damals, im Jahre 2006, eine Handvoll Boote. Feuer am Strand, selbst gefangener Fisch auf dem Grill, neue Freunde für‘s Leben… Eine psychologische Besonderheit ist der überwältigende »sense of achievement«, den alle Neuankömmlinge verspüren, die damit verbundene Euphorie. Man hat die Biskaya, die Westküste Portugals, oder die mörderischen Passage durch die Säulen des Herkules überlebt und die ersten wirklich großen Atlantikwellen gesehen. Das macht stolz und gesprächig. Der Finne kommt herbei gerudert und schenkt uns eine große Spritze, mit der man sich einen Einlauf, oder einen Ölwechsel machen kann. Dann geht er Anker auf und segelt gen Südwesten. Eigentlich gar nicht so unrecht, dieser Finne.
Den ersten Tag verbringen wir an Bord. Feuer machen am Strand ist heutzutage verboten. »La Graciosa« ist schließlich ein streng geschützter Nationalpark. Dafür gibt es jetzt monströse Ausflugskatamarane, die lastwagenladungsweise Erholungsuchende auf die »Playa Francesa« rotzen… Nun denn. Ein neuer Tag. Wir bringen »Bounce« zu Wasser und fahren um die Ecke nach »Caleta del Sebo«, dem Hauptort der Insel. Eine Handvoll weiß getünchter Häuser drängt sich um ein kleines, aber gut geschütztes Hafenbecken. Hier gibt es alles: Café, Emparedado‘s, zwei Minimärkte, Wifi, Mülltonnen und einen Hafenmeister. Beim Wifi treffen sich alle, und im Nu sind wir für den Abend zum Aperitif eingeladen, auf einem der französischen Boote… Eilig brechen wir zu einem ausgedehnten Spaziergang auf, immer entlang der Ostküste, nach »Pedro Barba«, der einzigen anderen Siedlung auf »La Graciosa«, die einst von dem Abenteurer Pedro Barba als Hauptstadt gegründet wurde, nachdem er sich selbst zum König der Kanarischen Inseln ausgerufen hatte. Und dieser Spaziergang ist immer noch ein Traum. Niemand da, die Farben prächtig, ocker, braun und rot, die markanten Vulkankegel gegen den dunkelblauen Himmel, das tiefstblaue Meer vor einer markanten schwarzen Wand, der senkrechten Nordwestküste Lanzarotes, zum Greifen nah.
Könnten wir hier leben? »La Graciosa« bietet viel: EU, gewaltige Natur, Leere, Wildnis, einfache, weiße würfelige Häuschen, direkt am Ufer. Mit einem schnellen RIB wäre man in einer guten Stunde in Arrecife, der Hauptstadt von Lanzarote. Hier windgeschützt auf der Veranda sitzen, mit einem Krug Ziegenmilch und einem guten Buch? Auf’s Meer starren und auf die schwarze Wand? Jeden Tag schnorcheln, Gitarren bauen, See Kajaks, oder Schiffsmodelle? »Land Art« vielleicht? Im Trockenen leben, ganz ohne Schaukelei? Lebensentwürfe gibt es viele, aber welcher mag der richtige sein? »BOUNCE« gleitet bei Halbgas leichtfüßig zurück zur »Playa Francesa«. Dort liegt die »VERA«, hellblau, zwischen zehn anderen Booten. Sie kann uns nach Patagonien bringen, und vielleicht weiter, in die Südsee, oder nach Alaska. Erleichtert klettern wir an Bord.
Aperitif auf einer kleineren »Bavaria« unter der Tricolore, ein Raumwunder. Selbst 16 Franzosen und 4 Deutschen im Cockpit bringen sie nicht zum sinken. Jede Menge Ti-Punsch und feine Häppchen mit Enten Rillette rutschen gut. Die Franzosen sprechen alle leidlich Englisch. Ein Wunder. Die jüngeren hier haben meist ein Jahr Zeit, zumeist möglich gemacht durch ein »Sabbatical« vom Arbeitgeber. Sie wollen in die Karibik und dann über die Ostküste der USA zurück nach Europe und auf dem Weg möglichst viel erleben. Ein Vorteil für ihre Karrieren, haben sie danach doch Initiative, körperliche und geistige Belastbarkeit, Organisationstalent, gute Nerven und Durchhaltevermögen bewiesen. In Deutschland wäre die berufliche Laufbahn dagegen hin. Man hätte sich als »Beach-Bum« und arbeitsunwilliger »Aussteigertyp« zu erkennen gegeben, der jegliche Expertise in seinem Fachgebiet eingebüßt hat… aber ich (M) schweife ab. Hier, an Bord der kleinen »Bavaria«, bahnen sich neue Blauwasserehen an. Die Crew der »ARWEN« z.B. verliebt sich unsterblich in ein anderes junges Paar, ungefähr gleich alt, auch noch keine Kinder, auch Surfer, auch aus Lorient in der Bretagne, dem einzigen Ort auf der Erde, wo man Ahnung von maritimer Kultur hat. Am nächsten Morgen sind sie zusammen weg, Kurs Südwest, hinter dem Finnen her… so ging es uns damals auch in 2006 mit den Crews der englischen »ROXI« und der australischen »STEAMY WINDOWS«. Heute tun wir uns schwerer, sind wir doch unbefristet unterwegs, wollen erst im März los, und dann nach Südamerika.
Die australische »SASSOON« läuft ein, direkt aus Gibraltar. Melinda und Dave wollen leider gleich weiter, in die Marina Rubicon im Süden Lanzarotes und dann zum Flughafen, zwei Monate Australien, Heimaturlaub. Traurig. Siggi, Tauchlehrerin und alte Freundin aus Marmaris in der Türkei ist auch sofort wieder weg. Sie segelt in einer hinreichend unwahrscheinlichen Konstellation mit ihrem ägyptischen Partner Umbarak auf der pfeilschnellen »X-Yacht« eines befreundeten Segelmachers aus Israel, Easy und seiner charmanten Ehefrau. Wir kämpften gegen Easy, in alten Tagen. 420er WM 1986 in Ancona, Wicky und Frey (gelber »Vogel Mayer« Spi) aus der Schweiz sensationell Weltmeister, vor den Israelis. Easy fuhr dort seine selbst genähten »Winning Way« Segel, im radikal neuen Radialschnitt. Lange her. Und doch reden wir über jedes Rennen, als ob es gestern war. Vielleicht sehen wir uns irgendwann? Tauchen im roten Meer von einem von Umbarak‘s Dive boats aus? Wenn Frieden wäre? Es wäre schön.
In den nächsten Tagen erwandern wir uns die Insel, von Nord nach Süd, von Ost nach West, am Meer entlang und über Vulkankegel, gelegentlich überholt von alten Landrovern voller Touristen und ihren Staubfahnen. Uns gefällt es. Eigentlich wollten wir bald nach Las Palmas auf Gran Canaria verlegen, um dort so einiges an der »VERA« zu basteln. Dem Ratschlag eines alten Freundes verdanken wir nun die Idee, uns im Oktober / November doch besser hier in der kleinen Marina von »Caleta del Sebo« einzugraben, zumindest bis die ARC (http://www.worldcruising.com) Las Palmas mit 300 Yachten gen Santa Lucia in der Karibik verlassen hat. Das wollen wir so machen. Und bis dahin? Mal sehen.
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / La Graciosa / Spanien
1 - »VERA« hinter der »ARWEN«

2 - Das vermaledeite Ritzel

3 - Die schwarze Wand

4 - Land Art?

5 - »VERA« und Artgenossen

6 - »BOUNCE« (weiß) und Artgenossen

7 - Als Autos noch Autos waren

8 - Die Route

008 - DESERTA UND SELVAGEM GRANDE
19/09/16 00:00 Madeira
Hallo Ihr Lieben!
Unsere Suche nach Einsamkeit beginnt gut. Die »Enseada d‘Abra«, eine der wenigen sicheren Ankerbuchten Madeira‘s liegt wenige Meilen östlich der Marina »Quinta do Lorde«. Steile Wände, Basalt, von roten Adern durchzogen, aus einer Zeit, in der die Welt noch heiß und zischend war. Kurzer Schnorcheltauchgang in glasklarem Wasser: Samtschwarzer, fein gerippelter, Sand bis zum Horizont, unser Anker sauber eingekuschelt.
Herrliche Nacht in Freiheit. Das Boot schaukelt hier viel glücklicher, als angebunden im Hafen, und auch die Festmacher knarren nicht. Der Morgen kommt mit Kälte und prasselnden Schauerböen. Während wir zum Tee in voller Montur im Cockpit sitzen, genießt das holländis
che Paar neben uns, auf einer trefflich hergerichtete »Hallberg Rassy 49« Ketsch, ihr knochentrockenes Deckshaus. Vermutlich haben die ihre Pyjamas an. Der Anblick lässt mich (M) wieder einmal über eine bequemere Nachfolgerin für die elegante, aber eher sportliche »VERA« sinnieren.
Nach dem Frühstück kommen immer mehr Boote herein. Am Ende sind es ein gutes Dutzend. Keine Charterboote, sondern Blauwasserfahrer, die sich um diese Jahreszeit in dieser Gegend einfinden. Ihr Ziel: Die Karibik, oder auch weiter. Sie kommen nicht aus aller Herren Länder, sondern aus Nordeuropa. Noch ist die neue Mittelschicht Chinas und Indiens nicht auf den Geschmack gekommen. Die Möglichkeit, selbstbestimmt und individuell zu leben will erst noch erkannt werden. So sind wir unter uns: England, Frankreich, Niederlande, Schweden, Dänemark, ein Finne. Tja, der Finne. Gleich kommt er angerudert, und ich (M) begehe den Fehler, ihn auf einen Tee einzuladen. Einhandsegler. Gescheiterte Ehe, Frau und kleine Tochter weg, spontane Entscheidung: Allein über den Atlantik, mit einem kleinen Regattaboot. Einsam, Anschluss suchend, Alkoholprobleme? Nach seinem dritten Besuch gehen wir Anker auf: »Ilha Deserta Grande«. Knapp 20 Meilen. Ein hochoffizielles Permit hierfür liegt auf dem Navitisch.
»Deserta Grande«: Der Ankerplatz ist richtig »rough«. Wenig Platz, spitzige Felsen im Wasser, aber mit etwas Glück platzieren wir das Eisen recht sinnvoll. Die langgestreckte Insel steht erhaben da. Steile Wände, Basalt, von roten Adern durchzogen, aus einer Zeit, in der… Landgang? Drei neben uns liegenden Ausflugsboote aus Funchal kotzen Menschenmassen an den kargen Ufersaum, wo eine Handvoll Parkranger zehnminütige Führungen zu Muschel- und Vogelkolonie abreißen. Das die noch Bock auf zusätzliche Kundschaft haben, können wir uns nicht vorstellen. So bleibt unser Dinghy an Deck. Dafür läuft unerwartet der Finne ein: Ein Permit hat er nicht, aber unsere wildromantische Idee, die »einsamen« Inseln hier draußen anzulaufen hat ihn bewogen, es ohne zu versuchen. Jetzt hängt er dreimal bei uns an der Reling und fragt detailliert nach unseren Plänen, sowie der an Bord befindlichen Elektronik… Tadellöser und Wolff. Der Abend vertreibt die Ausflugsboote. Nur ein paar Seelöwen bleiben und plantschen munter mit der »VERA«. Spektakuläre Vollmondnacht. Zum greifen nahe erheben sich tiefschwarz auf schwarz die Felsen des Inselrückens. Im Norden flimmern die Lichter Madeiras wie eine Wiese voller Glühwürmchen. Alles bleibt ruhig.
Der neue Tag bringt frischen Wind aus NE, wie erwartet. Am frühen Nachmittag gehen wir Anker auf. Kurs Süd, direkt auf »Selvagem Grande« zu, die »Große Wilde«, 160 Meilen südlich von Madeira gelegen. William Kidd soll hier um 1700 herum den Schatz der Kathedrale von Lima vergraben haben… Das klingt gut. Nur unter Genua läuft die »VERA«, immer mehr als 7, häufig über 8 Knoten, sicher zu viel für den Finnen. Heller Mondschein in der Nacht, jagende Wolken, hohe See. Noch 40 Meilen, Peilung rechtweisend 192 Grad. ETA vor 10.00… Wir sind schnell, zu schnell. Riffverseuchten Gewässer wie die »Selvagens« nimmt man besser bei hoch stehender Sonne in Angriff nehmen. Mit polarisierten Sonnenbrillen sieht man dann gefährliche Felsen, zumindest wenn das Wasser klar ist. »Enseada das Cagarras«, die einzige halbwegs vor dem vorherrschenden NO geschützte Bucht von »Selvagem Grande«. Sie ist leer, aber oben auf den Klippen steht das Haus der Nationalparkwächter. Per UKW Funk melden wir uns an und erhalten die Erlaubnis zu ankern. Harter, steiniger Grund, aber was soll‘s. Anker mit Tripleine, wie im Führer empfohlen, 12m Tiefe. Ein Tauchgang zur Prüfung zeigt, das er da irgendwie liegt und irgendwie hält. Das reicht erstmal. Zwei fette, neugierige Mondfische beobachten mich dabei und versuchen, an meinen Flossen zu nagen.
Bald nach uns läuft ein französisches Boot ein, die »Arwen« mit einem jungen Paar an Bord. Durch Lauschen am UKW erahnen wir, das beide recht gut Englisch sprechen. Ungewöhnlich für Franzosen und interessant, da wir bisher kaum jüngere Segler getroffen haben. Die Einwohner von »Selvagem Grande« (2 x Nationalpark, 2 x Portugiesische Grenzpolizei) haben uns gemeinsam für den nächsten Tag zu einer Führung an Land eingeladen… Wir dinieren in Ruhe an diesem wilden Platz und genießen die Szene. Steile Wände, Basalt, von roten Adern durchzogen, aus einer Zeit, in der die Welt noch h… Dazu passend: Die Rufe von tausend jagenden Seevögeln, die sich oft anhören wie Kinderstimmen. Biss‘l unheimlich.
Ein neuer Tag. Wir holen die beiden jungen Franzosen von der »Arwen« ab und versuchen in hohem Schwell, an der grob betonierten Rampe der Nationalparksstation zu landen. Dank professioneller Hilfe und eines dort montierten, ausgeklügelten Seilzugsystems gelingt es, und wir können »Bounce« (unser Beiboot) sicher inmitten eines Whirlpools inmitten von gezackten Felsen parken. Der Chef stellt sein aktuelles Team, den feinen Hund mit »Selvagem« und sich mit Nelson vor und erklärt uns das Procedere: Aufstieg zum Plateau der Insel, Besichtigung der Brutkolonien der hier beheimateten Sturmtaucherarten (Röhrennasen) mit zahllosen flauschigen Küken, Wanderung zum höchsten Punkt, wo der Leuchtturm steht. In fließendem Englisch bietet uns Nelson äußerst interessante Einblicke in die endemische Fauna, die Ornithologie und Geologie der Insel und natürlich auch zu Captain Kidd (nix gefunden bisher…). Der Blick über das knochentrockene Plateau ist spektakulär. So muss der Mars ungefähr aussehen. Kein Mensch, soweit das Auge reicht. Nach dem informativen Teil wollen wir schon zurück an Bord, aber dann stehen plötzlich Kekskuchen, Erdnüsse und eine Flasche Madeira auf dem Tisch der großen Veranda am Rangerhaus. Ein großes internationales Palaver beginnt. Die beiden Grenzpolizisten agieren erst seit kurzem hier vor Ort, um Portugals territoriale Ansprüche gegenüber Spanien durchzusetzen. Vordergründig will man vor allem illegales Fischen unterbinden. Im Endeffekt geht es aber um die 200 Meilen Zone um die Inseln, die Portugal nominell zu einem der flächenmäßig größten Länder der Erde machen würde und unendlich reich. Man vermutet hier überall Gas und Öl und vieles mehr. Natürlich erreichen die Gespräche auch Wolfgang Schäuble, Frau Merkel und die EU. Dies führt direkt zu ein paar Gläschen selbstgerührtem, traditionellen »Ponché« und einer formellen Einladung zum Grillen am Abend. Das ist unerwartet und macht Freude, wenn nur der Gedanke an die haarsträubende Anlandesituation nicht wäre… Den Nachmittag verbringen wir mit den Franzosen auf unseren Booten, dann setzen wir gemeinsam erneut über.
Bei tiefer Ebbe und haarsträubendem Surf gelingt es wieder nur knapp, ohne größere Schäden an Land zu gelangen. Dies stellt sich als gut heraus, denn der Grill raucht und ein Haufen Frischfleisch liegt mariniert bereit. Wir können nichts tun, als auf der Veranda zu sitzen und kalte Biere zu trinken, dazu als »Amuse Gueule« frisch gebackenes Brot und die von den Franzosen selbst hergestellte »Foie Gras«. Es gibt schlimmeres. Das entspannte Gelage macht Spaß und bringt Einsichten und Interna, die wir hier wohl nur erfahren, weil das Rangerteam in der aktuellen Besetzung erst seit fünf Tagen zusammenarbeitet. Vor allem die beiden Polizisten kennen Yachten und ihre Besatzung bisher nur aus der Drogenfahndung. Einer der beiden hat gerade kürzlich 300kg Kokain an Bord einer niederländischen »Bénéteau« entdeckt, die aus der Karibik kam… So machen wir ein wenig »gut Wetter« und erzählen von fernen Küsten, seltsamen Bräuchen und großen Abenteuern. Das schreit dann geradezu nach einem neuen Krug »Ponché«. Hier das Rezept: In einen großen Krug zwei Finger hoch Honig hineinkleckern, dazu den Saft von je zwei großen Zitronen und Orangen und ordentlich Eis. Sodann großzügig mit Zuckerrohrschnaps (auch Rum genannt) auffüllen. Abschließend mit einem speziellen Holzquirl, der aussieht wie ein doppelter Morgenstern, und einer sehr schwer zu erlernenden Technik aufschlagen… das dieses Getränk etwas taugt ist klar. Als Problem ließe sich jetzt die Qualität der Konversation benennen, die im Verlaufe des Abends allmählich den Bach hinunter geht, aber dennoch lehrreich bleibt. Genaueres erspare ich Euch hier, Ihr versteht schon. Am Ende sind wir froh, fast trocken, unverletzt und ohne Schäden in unsere Koje an Bord der »VERA« zu steigen. Danke an dieser Stelle an das gesamte, äußerst sympathische Team auf »Selvagem Grande«. Wir werden Euch nicht vergessen.
Der Morgen kommt, erfreulich, ohne Kater, dafür mit sanften 10 - 12kn Wind aus NE, gerade recht, um hoch am Wind, ganz ohne üble Prügelei Kurs auf die Nordspitze von Lanzarote zu nehmen, wo wir von früher her einen absoluten Traumplatz kennen: Die »Playa Francesa« auf der vorgelagerten Insel »La Graciosa«. Knapp 140 Meilen SE von »Selvagem Grande«.
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / Selvagem Grande / Portugal
1 - »Deserta Grande«, Ankerplatz

2 - »Deserta Grande«, Munterer Seelöwe

3 - »Selvagem Grande«, Ansteuerung

4 - »Selvagem Grande«, »Bounce« im Whirlpool

5 - »Selvagem Grande«, beinahe der Mars

6 - »Selvagem Grande«, endemischer Einwohner

7 - »Selvagem Grande«, »VERA« und »ARWEN«

Unsere Suche nach Einsamkeit beginnt gut. Die »Enseada d‘Abra«, eine der wenigen sicheren Ankerbuchten Madeira‘s liegt wenige Meilen östlich der Marina »Quinta do Lorde«. Steile Wände, Basalt, von roten Adern durchzogen, aus einer Zeit, in der die Welt noch heiß und zischend war. Kurzer Schnorcheltauchgang in glasklarem Wasser: Samtschwarzer, fein gerippelter, Sand bis zum Horizont, unser Anker sauber eingekuschelt.
Herrliche Nacht in Freiheit. Das Boot schaukelt hier viel glücklicher, als angebunden im Hafen, und auch die Festmacher knarren nicht. Der Morgen kommt mit Kälte und prasselnden Schauerböen. Während wir zum Tee in voller Montur im Cockpit sitzen, genießt das holländis
che Paar neben uns, auf einer trefflich hergerichtete »Hallberg Rassy 49« Ketsch, ihr knochentrockenes Deckshaus. Vermutlich haben die ihre Pyjamas an. Der Anblick lässt mich (M) wieder einmal über eine bequemere Nachfolgerin für die elegante, aber eher sportliche »VERA« sinnieren.
Nach dem Frühstück kommen immer mehr Boote herein. Am Ende sind es ein gutes Dutzend. Keine Charterboote, sondern Blauwasserfahrer, die sich um diese Jahreszeit in dieser Gegend einfinden. Ihr Ziel: Die Karibik, oder auch weiter. Sie kommen nicht aus aller Herren Länder, sondern aus Nordeuropa. Noch ist die neue Mittelschicht Chinas und Indiens nicht auf den Geschmack gekommen. Die Möglichkeit, selbstbestimmt und individuell zu leben will erst noch erkannt werden. So sind wir unter uns: England, Frankreich, Niederlande, Schweden, Dänemark, ein Finne. Tja, der Finne. Gleich kommt er angerudert, und ich (M) begehe den Fehler, ihn auf einen Tee einzuladen. Einhandsegler. Gescheiterte Ehe, Frau und kleine Tochter weg, spontane Entscheidung: Allein über den Atlantik, mit einem kleinen Regattaboot. Einsam, Anschluss suchend, Alkoholprobleme? Nach seinem dritten Besuch gehen wir Anker auf: »Ilha Deserta Grande«. Knapp 20 Meilen. Ein hochoffizielles Permit hierfür liegt auf dem Navitisch.
»Deserta Grande«: Der Ankerplatz ist richtig »rough«. Wenig Platz, spitzige Felsen im Wasser, aber mit etwas Glück platzieren wir das Eisen recht sinnvoll. Die langgestreckte Insel steht erhaben da. Steile Wände, Basalt, von roten Adern durchzogen, aus einer Zeit, in der… Landgang? Drei neben uns liegenden Ausflugsboote aus Funchal kotzen Menschenmassen an den kargen Ufersaum, wo eine Handvoll Parkranger zehnminütige Führungen zu Muschel- und Vogelkolonie abreißen. Das die noch Bock auf zusätzliche Kundschaft haben, können wir uns nicht vorstellen. So bleibt unser Dinghy an Deck. Dafür läuft unerwartet der Finne ein: Ein Permit hat er nicht, aber unsere wildromantische Idee, die »einsamen« Inseln hier draußen anzulaufen hat ihn bewogen, es ohne zu versuchen. Jetzt hängt er dreimal bei uns an der Reling und fragt detailliert nach unseren Plänen, sowie der an Bord befindlichen Elektronik… Tadellöser und Wolff. Der Abend vertreibt die Ausflugsboote. Nur ein paar Seelöwen bleiben und plantschen munter mit der »VERA«. Spektakuläre Vollmondnacht. Zum greifen nahe erheben sich tiefschwarz auf schwarz die Felsen des Inselrückens. Im Norden flimmern die Lichter Madeiras wie eine Wiese voller Glühwürmchen. Alles bleibt ruhig.
Der neue Tag bringt frischen Wind aus NE, wie erwartet. Am frühen Nachmittag gehen wir Anker auf. Kurs Süd, direkt auf »Selvagem Grande« zu, die »Große Wilde«, 160 Meilen südlich von Madeira gelegen. William Kidd soll hier um 1700 herum den Schatz der Kathedrale von Lima vergraben haben… Das klingt gut. Nur unter Genua läuft die »VERA«, immer mehr als 7, häufig über 8 Knoten, sicher zu viel für den Finnen. Heller Mondschein in der Nacht, jagende Wolken, hohe See. Noch 40 Meilen, Peilung rechtweisend 192 Grad. ETA vor 10.00… Wir sind schnell, zu schnell. Riffverseuchten Gewässer wie die »Selvagens« nimmt man besser bei hoch stehender Sonne in Angriff nehmen. Mit polarisierten Sonnenbrillen sieht man dann gefährliche Felsen, zumindest wenn das Wasser klar ist. »Enseada das Cagarras«, die einzige halbwegs vor dem vorherrschenden NO geschützte Bucht von »Selvagem Grande«. Sie ist leer, aber oben auf den Klippen steht das Haus der Nationalparkwächter. Per UKW Funk melden wir uns an und erhalten die Erlaubnis zu ankern. Harter, steiniger Grund, aber was soll‘s. Anker mit Tripleine, wie im Führer empfohlen, 12m Tiefe. Ein Tauchgang zur Prüfung zeigt, das er da irgendwie liegt und irgendwie hält. Das reicht erstmal. Zwei fette, neugierige Mondfische beobachten mich dabei und versuchen, an meinen Flossen zu nagen.
Bald nach uns läuft ein französisches Boot ein, die »Arwen« mit einem jungen Paar an Bord. Durch Lauschen am UKW erahnen wir, das beide recht gut Englisch sprechen. Ungewöhnlich für Franzosen und interessant, da wir bisher kaum jüngere Segler getroffen haben. Die Einwohner von »Selvagem Grande« (2 x Nationalpark, 2 x Portugiesische Grenzpolizei) haben uns gemeinsam für den nächsten Tag zu einer Führung an Land eingeladen… Wir dinieren in Ruhe an diesem wilden Platz und genießen die Szene. Steile Wände, Basalt, von roten Adern durchzogen, aus einer Zeit, in der die Welt noch h… Dazu passend: Die Rufe von tausend jagenden Seevögeln, die sich oft anhören wie Kinderstimmen. Biss‘l unheimlich.
Ein neuer Tag. Wir holen die beiden jungen Franzosen von der »Arwen« ab und versuchen in hohem Schwell, an der grob betonierten Rampe der Nationalparksstation zu landen. Dank professioneller Hilfe und eines dort montierten, ausgeklügelten Seilzugsystems gelingt es, und wir können »Bounce« (unser Beiboot) sicher inmitten eines Whirlpools inmitten von gezackten Felsen parken. Der Chef stellt sein aktuelles Team, den feinen Hund mit »Selvagem« und sich mit Nelson vor und erklärt uns das Procedere: Aufstieg zum Plateau der Insel, Besichtigung der Brutkolonien der hier beheimateten Sturmtaucherarten (Röhrennasen) mit zahllosen flauschigen Küken, Wanderung zum höchsten Punkt, wo der Leuchtturm steht. In fließendem Englisch bietet uns Nelson äußerst interessante Einblicke in die endemische Fauna, die Ornithologie und Geologie der Insel und natürlich auch zu Captain Kidd (nix gefunden bisher…). Der Blick über das knochentrockene Plateau ist spektakulär. So muss der Mars ungefähr aussehen. Kein Mensch, soweit das Auge reicht. Nach dem informativen Teil wollen wir schon zurück an Bord, aber dann stehen plötzlich Kekskuchen, Erdnüsse und eine Flasche Madeira auf dem Tisch der großen Veranda am Rangerhaus. Ein großes internationales Palaver beginnt. Die beiden Grenzpolizisten agieren erst seit kurzem hier vor Ort, um Portugals territoriale Ansprüche gegenüber Spanien durchzusetzen. Vordergründig will man vor allem illegales Fischen unterbinden. Im Endeffekt geht es aber um die 200 Meilen Zone um die Inseln, die Portugal nominell zu einem der flächenmäßig größten Länder der Erde machen würde und unendlich reich. Man vermutet hier überall Gas und Öl und vieles mehr. Natürlich erreichen die Gespräche auch Wolfgang Schäuble, Frau Merkel und die EU. Dies führt direkt zu ein paar Gläschen selbstgerührtem, traditionellen »Ponché« und einer formellen Einladung zum Grillen am Abend. Das ist unerwartet und macht Freude, wenn nur der Gedanke an die haarsträubende Anlandesituation nicht wäre… Den Nachmittag verbringen wir mit den Franzosen auf unseren Booten, dann setzen wir gemeinsam erneut über.
Bei tiefer Ebbe und haarsträubendem Surf gelingt es wieder nur knapp, ohne größere Schäden an Land zu gelangen. Dies stellt sich als gut heraus, denn der Grill raucht und ein Haufen Frischfleisch liegt mariniert bereit. Wir können nichts tun, als auf der Veranda zu sitzen und kalte Biere zu trinken, dazu als »Amuse Gueule« frisch gebackenes Brot und die von den Franzosen selbst hergestellte »Foie Gras«. Es gibt schlimmeres. Das entspannte Gelage macht Spaß und bringt Einsichten und Interna, die wir hier wohl nur erfahren, weil das Rangerteam in der aktuellen Besetzung erst seit fünf Tagen zusammenarbeitet. Vor allem die beiden Polizisten kennen Yachten und ihre Besatzung bisher nur aus der Drogenfahndung. Einer der beiden hat gerade kürzlich 300kg Kokain an Bord einer niederländischen »Bénéteau« entdeckt, die aus der Karibik kam… So machen wir ein wenig »gut Wetter« und erzählen von fernen Küsten, seltsamen Bräuchen und großen Abenteuern. Das schreit dann geradezu nach einem neuen Krug »Ponché«. Hier das Rezept: In einen großen Krug zwei Finger hoch Honig hineinkleckern, dazu den Saft von je zwei großen Zitronen und Orangen und ordentlich Eis. Sodann großzügig mit Zuckerrohrschnaps (auch Rum genannt) auffüllen. Abschließend mit einem speziellen Holzquirl, der aussieht wie ein doppelter Morgenstern, und einer sehr schwer zu erlernenden Technik aufschlagen… das dieses Getränk etwas taugt ist klar. Als Problem ließe sich jetzt die Qualität der Konversation benennen, die im Verlaufe des Abends allmählich den Bach hinunter geht, aber dennoch lehrreich bleibt. Genaueres erspare ich Euch hier, Ihr versteht schon. Am Ende sind wir froh, fast trocken, unverletzt und ohne Schäden in unsere Koje an Bord der »VERA« zu steigen. Danke an dieser Stelle an das gesamte, äußerst sympathische Team auf »Selvagem Grande«. Wir werden Euch nicht vergessen.
Der Morgen kommt, erfreulich, ohne Kater, dafür mit sanften 10 - 12kn Wind aus NE, gerade recht, um hoch am Wind, ganz ohne üble Prügelei Kurs auf die Nordspitze von Lanzarote zu nehmen, wo wir von früher her einen absoluten Traumplatz kennen: Die »Playa Francesa« auf der vorgelagerten Insel »La Graciosa«. Knapp 140 Meilen SE von »Selvagem Grande«.
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / Selvagem Grande / Portugal
1 - »Deserta Grande«, Ankerplatz

2 - »Deserta Grande«, Munterer Seelöwe

3 - »Selvagem Grande«, Ansteuerung

4 - »Selvagem Grande«, »Bounce« im Whirlpool

5 - »Selvagem Grande«, beinahe der Mars

6 - »Selvagem Grande«, endemischer Einwohner

7 - »Selvagem Grande«, »VERA« und »ARWEN«

007 - MADEIRA
11/09/16 00:00 Madeira
Hallo Ihr Lieben!
Quinta do Lorde Marina, Madeira. Sauber, sicher, professionell freundliches Personal. Angebunden an ein großes Resorthotel im romantischen Disney Stil »a lá Porto Cervo«. Wenig Infrastruktur. So weit so gut. In der quirligeren Hauptstadt Funchal hätten wir ohnehin nicht liegen können, wegen der gerade anstehenden Regatta… Der Vorteil: Es ist ruhig hier.
Gleich am ersten Tag begehen wir den Fehler, einen der großartigsten Wanderwege Madeiras (3,5 Stunden, Prädikat mittelschwer) unter die Füße zu nehmen. Um die Glieder zu strecken. Und weil der Einstieg nur einen Kilometer von »unserer« Marina entfernt liegt. Wir finden dort einen großen Parkplatz vor, voll mit Kleinwagen im derzeit aktuellen »on steroids« Design. Sollten die etwa alle… Die Hoffnung das das alles Badegäste sind, bewahrheitet sich nicht. Wanderer. Es sind viele. Jung und Alt, überwiegend kilimanjaromäßig ausgerüstet: »Goretex« Stiefel, Skistöcke, »Camel back« Rucksack mit Vollverschlauchung, Tropenhut, »Hero 4« am »Stick«, dazu die überlange Brennweite am Gürtel. Auf dem teilweise mit Stahlseilen versicherten, schmalen Klettersteig zum nordöstlichen Ende der Insel klettern wir auf und nieder, neben, über und hintereinander her. Peinlich: Auf dem Rückweg wird mir (M) vermutlich wegen der Hitze (Mittagssonne auf schwarzem Basalt) ständig schwarz vor Augen. Ich fühle mich elend und muss an den Anstiegen jede Oma vorbeilassen. Das ist Mist und macht keinen Spaß. B nimmt‘s gelassen und trägt mich nach Hause.
Versuchen wir es mal mit Funchal. Per Bus. Der Hafen- und Marina Rundgang ist Pflicht. Wenige Boote hier, wegen der besagten Regatta. Ab nächsten Montag wäre Platz, aber dann sind wir wohl wieder auf See. Die Altstadt glänzt mit Prachtbauten und dem Charme vergangener Jahrhunderte. Zahllose nett aussehende kleine Läden, Café‘s und Restaurants, so wie es beinahe jeder mag. Aufstieg zum botanischen Garten. Steil bergan, über winzige Gassen und Treppenanlagen. Wieder in der Mittagshitze, aber diesmal ohne Probleme. Das bessert die Laune. Der Garten gefällt uns, trotz der kürzlich entstandenen Waldbrandschäden. Ein angeschlossenes kleines Museum ist leer und zieht uns an. Eine charmante viktorianische Villa in gutem Erhaltungszustand, vollgestopft mit sorgfältig katalogisierten Naturkundedevotionalien, vom kleinen Schneckenfossil bis zum ausgestopften Hammerhai, dazu leise Musik von Lisa Gerrard… Bin sonst kein Fan von aufgespießten Schmetterlingen, aber: Hier erahnt man, was wir gerade den frühen Protagonisten der Aufklärung verdanken. Alles.
Für die nächsten Tage haben wir ein Auto gemietet. Fiat Panda, im Pandabärendesign, mit kraftvoller 1,2 Liter Maschine. Ich bin heiß darauf, mal wieder ordentlich aufs Gas zu steigen, nach 6 Monaten Abstinenz. Also rund um die Insel, oder so… In den nächsten Tagen bringen wir es auf gute 600 Kilometer »on the road«. In vielem ähneln die durchfahrenen Landschaften jenen, die wir von früher her kennen. Ein Hauch Neuseeland, eine Prise Kalimantan. Oder eher Grenada? Hier wie dort hatten sie es mit Sklaven, Zuckerrohr, und später mit Rum. Das Klima ganz ähnlich. Knapp bemessenes Bauland, dichtest besiedelt. Vieles ziemlich kaputt, anderes liebevoll unterhalten und gepflegt. Gerade manch sorgfältig angelegter und unterhaltener Garten zeugt von einem konsequenten Rückzug ins private, der sympathisch wirkt und ein wenig melancholisch. Cristóbal Colón lebte lange auf Madeira, war hier verheiratet. Hiesige Seeleute sollen ihm den Tip gegeben haben, es mal im Westen zu probieren. Viel Charakter hier, seit langer Zeit.
Wir probieren es mit einem Wanderweg, entlang den weltberühmten Bewässerungskanälen oben in den Hochmooren, trotz des dichten Nebels. Der Parkplatz ist natürlich brechend voll. Die Bewegung tut gut, aber die Sehnsucht nach einem einsamen Ankerplatz wächst mit jedem Schritt. Als wir das erste mal zum vielgerühmten Lorbeerwald Laurisilva (UNESCO Weltnaturerbe seit 1999) vordringen bringen wir es nicht fertig auszusteigen. 33 Reisebusse stehen in langen Schlangen vor dem Einstieg. Keine Frage: Die Naturschutzgebiete und Wanderwege hier werden vorbildlich unterhalten und markiert. Jede unsichere Stelle ist versichert und mit Geländern versehen. Ein Wald von Hinweis- und Lehrschilder hilft überall bei der Orientierung, wie in Neuseeland. Es gibt reichlich Schutzhütten und Unterstände und selbstverständlich »augmented reality« für »iOS« und »Android«. Schon toll. Und dennoch: Der Gedanke wie ich mit Freund Karsten um 1985 auf Korsika anlässlich einer ausgedehnten Bergwanderung beinahe verdurstet wäre… Oh Mann, war die Welt damals wild und gefährlich.
Fazit Madeira: Dominiert vom Fremdenverkehr, ziemlich zubetoniert, durchaus mit Aroma hier und da. Sehenswert: Funchal, die Südwestküste, der Bergwald. Uns reicht das. Segel hoch und weg. Irgendwo ankern, wo uns niemand sieht. Die geheimnisvollen, unbewohnten Ilhas Desertas und Ilhas Selvagens liegen auf dem Weg nach Lanzarote. Vielleicht gelingt es uns, diese in Augenschein zu nehmen.
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / Quinta do Lorde Marina / Madeira / Portugal
1 - Die Marina Quinta do Lorde

2 - Kilimandjaro gear

3 - Markenbewusste Taxifahrer. Funchal

4 - Blick nach Mittelamerika

Quinta do Lorde Marina, Madeira. Sauber, sicher, professionell freundliches Personal. Angebunden an ein großes Resorthotel im romantischen Disney Stil »a lá Porto Cervo«. Wenig Infrastruktur. So weit so gut. In der quirligeren Hauptstadt Funchal hätten wir ohnehin nicht liegen können, wegen der gerade anstehenden Regatta… Der Vorteil: Es ist ruhig hier.
Gleich am ersten Tag begehen wir den Fehler, einen der großartigsten Wanderwege Madeiras (3,5 Stunden, Prädikat mittelschwer) unter die Füße zu nehmen. Um die Glieder zu strecken. Und weil der Einstieg nur einen Kilometer von »unserer« Marina entfernt liegt. Wir finden dort einen großen Parkplatz vor, voll mit Kleinwagen im derzeit aktuellen »on steroids« Design. Sollten die etwa alle… Die Hoffnung das das alles Badegäste sind, bewahrheitet sich nicht. Wanderer. Es sind viele. Jung und Alt, überwiegend kilimanjaromäßig ausgerüstet: »Goretex« Stiefel, Skistöcke, »Camel back« Rucksack mit Vollverschlauchung, Tropenhut, »Hero 4« am »Stick«, dazu die überlange Brennweite am Gürtel. Auf dem teilweise mit Stahlseilen versicherten, schmalen Klettersteig zum nordöstlichen Ende der Insel klettern wir auf und nieder, neben, über und hintereinander her. Peinlich: Auf dem Rückweg wird mir (M) vermutlich wegen der Hitze (Mittagssonne auf schwarzem Basalt) ständig schwarz vor Augen. Ich fühle mich elend und muss an den Anstiegen jede Oma vorbeilassen. Das ist Mist und macht keinen Spaß. B nimmt‘s gelassen und trägt mich nach Hause.
Versuchen wir es mal mit Funchal. Per Bus. Der Hafen- und Marina Rundgang ist Pflicht. Wenige Boote hier, wegen der besagten Regatta. Ab nächsten Montag wäre Platz, aber dann sind wir wohl wieder auf See. Die Altstadt glänzt mit Prachtbauten und dem Charme vergangener Jahrhunderte. Zahllose nett aussehende kleine Läden, Café‘s und Restaurants, so wie es beinahe jeder mag. Aufstieg zum botanischen Garten. Steil bergan, über winzige Gassen und Treppenanlagen. Wieder in der Mittagshitze, aber diesmal ohne Probleme. Das bessert die Laune. Der Garten gefällt uns, trotz der kürzlich entstandenen Waldbrandschäden. Ein angeschlossenes kleines Museum ist leer und zieht uns an. Eine charmante viktorianische Villa in gutem Erhaltungszustand, vollgestopft mit sorgfältig katalogisierten Naturkundedevotionalien, vom kleinen Schneckenfossil bis zum ausgestopften Hammerhai, dazu leise Musik von Lisa Gerrard… Bin sonst kein Fan von aufgespießten Schmetterlingen, aber: Hier erahnt man, was wir gerade den frühen Protagonisten der Aufklärung verdanken. Alles.
Für die nächsten Tage haben wir ein Auto gemietet. Fiat Panda, im Pandabärendesign, mit kraftvoller 1,2 Liter Maschine. Ich bin heiß darauf, mal wieder ordentlich aufs Gas zu steigen, nach 6 Monaten Abstinenz. Also rund um die Insel, oder so… In den nächsten Tagen bringen wir es auf gute 600 Kilometer »on the road«. In vielem ähneln die durchfahrenen Landschaften jenen, die wir von früher her kennen. Ein Hauch Neuseeland, eine Prise Kalimantan. Oder eher Grenada? Hier wie dort hatten sie es mit Sklaven, Zuckerrohr, und später mit Rum. Das Klima ganz ähnlich. Knapp bemessenes Bauland, dichtest besiedelt. Vieles ziemlich kaputt, anderes liebevoll unterhalten und gepflegt. Gerade manch sorgfältig angelegter und unterhaltener Garten zeugt von einem konsequenten Rückzug ins private, der sympathisch wirkt und ein wenig melancholisch. Cristóbal Colón lebte lange auf Madeira, war hier verheiratet. Hiesige Seeleute sollen ihm den Tip gegeben haben, es mal im Westen zu probieren. Viel Charakter hier, seit langer Zeit.
Wir probieren es mit einem Wanderweg, entlang den weltberühmten Bewässerungskanälen oben in den Hochmooren, trotz des dichten Nebels. Der Parkplatz ist natürlich brechend voll. Die Bewegung tut gut, aber die Sehnsucht nach einem einsamen Ankerplatz wächst mit jedem Schritt. Als wir das erste mal zum vielgerühmten Lorbeerwald Laurisilva (UNESCO Weltnaturerbe seit 1999) vordringen bringen wir es nicht fertig auszusteigen. 33 Reisebusse stehen in langen Schlangen vor dem Einstieg. Keine Frage: Die Naturschutzgebiete und Wanderwege hier werden vorbildlich unterhalten und markiert. Jede unsichere Stelle ist versichert und mit Geländern versehen. Ein Wald von Hinweis- und Lehrschilder hilft überall bei der Orientierung, wie in Neuseeland. Es gibt reichlich Schutzhütten und Unterstände und selbstverständlich »augmented reality« für »iOS« und »Android«. Schon toll. Und dennoch: Der Gedanke wie ich mit Freund Karsten um 1985 auf Korsika anlässlich einer ausgedehnten Bergwanderung beinahe verdurstet wäre… Oh Mann, war die Welt damals wild und gefährlich.
Fazit Madeira: Dominiert vom Fremdenverkehr, ziemlich zubetoniert, durchaus mit Aroma hier und da. Sehenswert: Funchal, die Südwestküste, der Bergwald. Uns reicht das. Segel hoch und weg. Irgendwo ankern, wo uns niemand sieht. Die geheimnisvollen, unbewohnten Ilhas Desertas und Ilhas Selvagens liegen auf dem Weg nach Lanzarote. Vielleicht gelingt es uns, diese in Augenschein zu nehmen.
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / Quinta do Lorde Marina / Madeira / Portugal
1 - Die Marina Quinta do Lorde

2 - Kilimandjaro gear

3 - Markenbewusste Taxifahrer. Funchal

4 - Blick nach Mittelamerika

006 - VON GIBRALTAR NACH MADEIRA
02/09/16 00:00 Gibraltar
Liebe Freunde!
01.09.2016 - 08.30: Sobald die Sperrkette der Queensway Quay Marina offen ist, die ein Ein- oder Auslaufen in der Nacht verhindert, verlassen wir Gibraltar und laufen mit gemischten Gefühlen zunächst nur unter Genua in Richtung »Ende der Welt«. Vor vier Stunden war Hochwasser, also sind wir etwas spät dran. Das Wasser brodelt dann auch hier und dort wie in einem Hexenkessel, Wind gegen Strom. Kein Wunder, das die Altvorderen hier normalerweise nicht hindurch wollten, und schon gar nicht bei starkem Ostwind. Da gab es womöglich keine Wiederkehr…
Die »VERA« und ihre Crew dagegen passieren zwei Stunden später guten Mutes den Ausgang der Meerenge in den Atlantik und den Leuchtturm von Tarifa, den südlichsten Punkt des Europäischen Festlandes. Dahinter liegt der viele Kilometer lange Strand, und dahinter die urwüchsige Ortschaft, die womöglich schon zur Zeit der Neandertaler gegründet wurde. Hier war in den 70er den 80er Jahren der »place to be« für Stehsegler, und vielleicht ist er es heute noch. Wer irgend konnte kam ständig hierher, so auch mein (M‘s) Bruder Carsten, mit ein paar Freunden und seinem altersschwachen, mit »Fanatic« Aufklebern dekoriertem VW Bulli, der unter einem Stapel von »Sinkern« auf dem selbstgeschweißten Dachgepäckträger ächzte. Nur 14 km sind es von Tarifa nach Afrika. Manche Helden schafften es bei Starkwind in zwei Stunden hin und zurück. Heute ist niemand draußen, trotz des knackigen Ost. Wohl noch zu früh am Tag.
Wir messen inzwischen Ostwind mit 35kn über Deck, in Böen mehr, Beaufort 8. Der Seegang legt auch zu, zum Glück von achtern. Steuerbord querab liegt Kap Trafalgar, wo 1805 die Seeschlacht stattfand, die Großbritanniens Aufstieg zur Weltmacht möglich machte. Vor meinem »Hensoldt 7x50« liegen dort drüben in Sichtweite die beiden Geschwader ineinander verkeilt. 27 Englische gegen 33 Französische und Spanische »Sail of the line«, ein Wald von Masten und Segeln, der aus dem wabernden Pulverdampf ragt. Breitseiten rollen, wie Donner in einem schweren Gewitter. Keine 10 Meilen von hier durchschlug eine Musketenkugel Admiral Nelson‘s Schulter und Rückenmark… Just in diesem Augenblick hören auch wir das Knattern einer Salve, aber bei uns an Bord! Blitzschnell springt mein Admiral ans Ruder und kann gerade noch verhindern, das wir versehentlich halsen. Die Kupplung des Autopilotenantriebes hat aufgegeben. Ausgerechnet jetzt, bei dem Eiertanz. Kopfüber, mit dem Oberkörper in der gurgelnden Achterpiek neben der pendelnden Ruderanlage steckend, baue ich den »Rotary drive« aus und nehme ihn zur Demontage mit in die Pantry. Das Problem ist in der Tat die Kupplung. Die Zahnrädchen des Planetengetriebes hat es zerrissen. Kein Wunder, denn die sind aus Plastik. Ein Wunder, das die Dinger allein unter unserem Kommando über 50.000sm gehalten haben… Zum Glück hatten wir seinerzeit in Neuseeland für Ersatz gesorgt, sogar aus Metall. Aber wo ist das Zeug gestaut? Der Admiral räumt zwei Stunden und findet sie unter dem neuen Dieseltank (?). Ich (M) benötige dann nochmals gute zwei gute Stunden für die Montage, weil ich alles zweimal machen muss. Hab‘ die neuen Zahnrädchen nämlich zunächst falsch herum eingebaut. Sch… Endlich ist es getan. Mit neuem Mut und funktionierendem Autopiloten jagen wir in die mondlose Nacht. Die »VERA« segelt wieder im Atlantik.
Der neue Tag bringt grau verhangene Himmel, sehr wenig Wind von hinten und alten Schwell aus Ost und Nord, der die Segel nervtötend Schlagen und Klappern lässt. Einen »Genacker« versuchen wir nicht. Zu feige und zu faul. Die bewährte Kombination aus Groß und nach Luv ausgebaumter Genua zieht soeben noch ausreichend. Bei Windwinkeln um die 160 Grad bildet sich gelegentlich eine halbwegs saubere Anströmung beider Segel, die das Boot überraschend gut laufen lässt, und die Rollbewegungen spürbar dämpft.
Mit der erwarteten Winddrehung auf NNW am dritten Tag kehrt die beglückende Bordroutine zurück. Bei leicht zunehmendem halbem Wind um die 10kn fühlt sich die »VERA« pudelwohl. Kurs um die 250 Grad. Wann wir ankommen, oder wo, ist nicht mehr wichtig. Lesen, Gitarre spielen, spleißen und andere kleine Basteleien machen die Zeit zwischen den ausgiebigen Mahlzeiten zu einem echten Vergnügen. Nur ein wenig Sonnenschein fehlt zum puren Glück. Die Solarpaneele bringen unter der dichten Wolkendecke wenig, und auch die Windgeneratoren wollen nicht so recht. So bleibt nicht viel anderes übrig, als abends jeweils für eine halbe Stunde die Maschine laufen zu lassen, um die Batterien für die Nacht zu laden. Erstaunlich, wie sehr der Lärm nervt, wenn man sich erst einmal an die Ruhe und das entspannte Gluckern der Bugwelle gewöhnt hat. Schiffe gibt es wenige hier, auch nicht auf dem AIS. Wir segeln wohl weitgehend abseits der Dampferlinien.
Porto Santo liegt nun 165 Meilen voraus. Ölige Flaute unter bleigrauem Himmel, hoher Seegang. Erst einmal den Morgentee trinken und abwarten… 10 - 12 Knoten aus NNW bringen später unerwartet erfreuliches Segeln, trotz der nach wie vor dichten Bewölkung. Angenehm: Die langen Dünung des Atlantiks, die so ganz anders ist, als die anstrengende Hackelwellen des Mittelmeeres.
Wieder Nacht: Flaute und ständige Winddrehungen machen die Wachen nervig. Eine Entschädigung ist die hell leuchtende Schleppe im Kielwasser der »VERA«. Starkes Meeresleuchten. Ein Eindruck, der in seiner Eleganz schwer zu beschreiben ist. Der Morgen empfängt uns grau in grau, kein Strahl Sonne, wie gehabt. Wir bergen den Spibaum und nehmen endgültig Kurs auf Madeira. Noch 40 Meilen… Der Landfall kommt dann einigermaßen unspektakulär. Die Sicht ist schlecht. Erst im Abstand von 20 Meilen schälen sich Porto Santo, die Ilhas Desertas und schließlich Madeira aus dem Dunst, was unserer guten Laune aber keinen Abbruch tut. Zeit für eine ausgiebige warme Dusche und Eier mit rösch gebratenem Speck. Zwei Stunden später sind wir da. Auf Kanal 9 des UKW Funks genehmigt man uns eine Woche in der luxuriösen Quinta do Lorde Marina. Ein netter Marinero hilft beim Einparken. 621 Seemeilen in 4,5 Tagen, davon insgesamt 13,2 unter Maschine. Nicht ganz verkehrt, bei so wenig Wind. Die ersten Schritte an Land. Dann die Filetsteaks aus dem Kühlschrank an Bord mit Süßkartoffeln, dazu ein großes Bier, danach Tiefschlaf. Madeira? Bericht folgt.
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA /
1 - Gibraltar nach Madeira

2 - Der Leuchtturm von Tarifa

3 - Landfall Madeira

Oui! Oui! Oui!
01.09.2016 - 08.30: Sobald die Sperrkette der Queensway Quay Marina offen ist, die ein Ein- oder Auslaufen in der Nacht verhindert, verlassen wir Gibraltar und laufen mit gemischten Gefühlen zunächst nur unter Genua in Richtung »Ende der Welt«. Vor vier Stunden war Hochwasser, also sind wir etwas spät dran. Das Wasser brodelt dann auch hier und dort wie in einem Hexenkessel, Wind gegen Strom. Kein Wunder, das die Altvorderen hier normalerweise nicht hindurch wollten, und schon gar nicht bei starkem Ostwind. Da gab es womöglich keine Wiederkehr…
Die »VERA« und ihre Crew dagegen passieren zwei Stunden später guten Mutes den Ausgang der Meerenge in den Atlantik und den Leuchtturm von Tarifa, den südlichsten Punkt des Europäischen Festlandes. Dahinter liegt der viele Kilometer lange Strand, und dahinter die urwüchsige Ortschaft, die womöglich schon zur Zeit der Neandertaler gegründet wurde. Hier war in den 70er den 80er Jahren der »place to be« für Stehsegler, und vielleicht ist er es heute noch. Wer irgend konnte kam ständig hierher, so auch mein (M‘s) Bruder Carsten, mit ein paar Freunden und seinem altersschwachen, mit »Fanatic« Aufklebern dekoriertem VW Bulli, der unter einem Stapel von »Sinkern« auf dem selbstgeschweißten Dachgepäckträger ächzte. Nur 14 km sind es von Tarifa nach Afrika. Manche Helden schafften es bei Starkwind in zwei Stunden hin und zurück. Heute ist niemand draußen, trotz des knackigen Ost. Wohl noch zu früh am Tag.
Wir messen inzwischen Ostwind mit 35kn über Deck, in Böen mehr, Beaufort 8. Der Seegang legt auch zu, zum Glück von achtern. Steuerbord querab liegt Kap Trafalgar, wo 1805 die Seeschlacht stattfand, die Großbritanniens Aufstieg zur Weltmacht möglich machte. Vor meinem »Hensoldt 7x50« liegen dort drüben in Sichtweite die beiden Geschwader ineinander verkeilt. 27 Englische gegen 33 Französische und Spanische »Sail of the line«, ein Wald von Masten und Segeln, der aus dem wabernden Pulverdampf ragt. Breitseiten rollen, wie Donner in einem schweren Gewitter. Keine 10 Meilen von hier durchschlug eine Musketenkugel Admiral Nelson‘s Schulter und Rückenmark… Just in diesem Augenblick hören auch wir das Knattern einer Salve, aber bei uns an Bord! Blitzschnell springt mein Admiral ans Ruder und kann gerade noch verhindern, das wir versehentlich halsen. Die Kupplung des Autopilotenantriebes hat aufgegeben. Ausgerechnet jetzt, bei dem Eiertanz. Kopfüber, mit dem Oberkörper in der gurgelnden Achterpiek neben der pendelnden Ruderanlage steckend, baue ich den »Rotary drive« aus und nehme ihn zur Demontage mit in die Pantry. Das Problem ist in der Tat die Kupplung. Die Zahnrädchen des Planetengetriebes hat es zerrissen. Kein Wunder, denn die sind aus Plastik. Ein Wunder, das die Dinger allein unter unserem Kommando über 50.000sm gehalten haben… Zum Glück hatten wir seinerzeit in Neuseeland für Ersatz gesorgt, sogar aus Metall. Aber wo ist das Zeug gestaut? Der Admiral räumt zwei Stunden und findet sie unter dem neuen Dieseltank (?). Ich (M) benötige dann nochmals gute zwei gute Stunden für die Montage, weil ich alles zweimal machen muss. Hab‘ die neuen Zahnrädchen nämlich zunächst falsch herum eingebaut. Sch… Endlich ist es getan. Mit neuem Mut und funktionierendem Autopiloten jagen wir in die mondlose Nacht. Die »VERA« segelt wieder im Atlantik.
Der neue Tag bringt grau verhangene Himmel, sehr wenig Wind von hinten und alten Schwell aus Ost und Nord, der die Segel nervtötend Schlagen und Klappern lässt. Einen »Genacker« versuchen wir nicht. Zu feige und zu faul. Die bewährte Kombination aus Groß und nach Luv ausgebaumter Genua zieht soeben noch ausreichend. Bei Windwinkeln um die 160 Grad bildet sich gelegentlich eine halbwegs saubere Anströmung beider Segel, die das Boot überraschend gut laufen lässt, und die Rollbewegungen spürbar dämpft.
Mit der erwarteten Winddrehung auf NNW am dritten Tag kehrt die beglückende Bordroutine zurück. Bei leicht zunehmendem halbem Wind um die 10kn fühlt sich die »VERA« pudelwohl. Kurs um die 250 Grad. Wann wir ankommen, oder wo, ist nicht mehr wichtig. Lesen, Gitarre spielen, spleißen und andere kleine Basteleien machen die Zeit zwischen den ausgiebigen Mahlzeiten zu einem echten Vergnügen. Nur ein wenig Sonnenschein fehlt zum puren Glück. Die Solarpaneele bringen unter der dichten Wolkendecke wenig, und auch die Windgeneratoren wollen nicht so recht. So bleibt nicht viel anderes übrig, als abends jeweils für eine halbe Stunde die Maschine laufen zu lassen, um die Batterien für die Nacht zu laden. Erstaunlich, wie sehr der Lärm nervt, wenn man sich erst einmal an die Ruhe und das entspannte Gluckern der Bugwelle gewöhnt hat. Schiffe gibt es wenige hier, auch nicht auf dem AIS. Wir segeln wohl weitgehend abseits der Dampferlinien.
Porto Santo liegt nun 165 Meilen voraus. Ölige Flaute unter bleigrauem Himmel, hoher Seegang. Erst einmal den Morgentee trinken und abwarten… 10 - 12 Knoten aus NNW bringen später unerwartet erfreuliches Segeln, trotz der nach wie vor dichten Bewölkung. Angenehm: Die langen Dünung des Atlantiks, die so ganz anders ist, als die anstrengende Hackelwellen des Mittelmeeres.
Wieder Nacht: Flaute und ständige Winddrehungen machen die Wachen nervig. Eine Entschädigung ist die hell leuchtende Schleppe im Kielwasser der »VERA«. Starkes Meeresleuchten. Ein Eindruck, der in seiner Eleganz schwer zu beschreiben ist. Der Morgen empfängt uns grau in grau, kein Strahl Sonne, wie gehabt. Wir bergen den Spibaum und nehmen endgültig Kurs auf Madeira. Noch 40 Meilen… Der Landfall kommt dann einigermaßen unspektakulär. Die Sicht ist schlecht. Erst im Abstand von 20 Meilen schälen sich Porto Santo, die Ilhas Desertas und schließlich Madeira aus dem Dunst, was unserer guten Laune aber keinen Abbruch tut. Zeit für eine ausgiebige warme Dusche und Eier mit rösch gebratenem Speck. Zwei Stunden später sind wir da. Auf Kanal 9 des UKW Funks genehmigt man uns eine Woche in der luxuriösen Quinta do Lorde Marina. Ein netter Marinero hilft beim Einparken. 621 Seemeilen in 4,5 Tagen, davon insgesamt 13,2 unter Maschine. Nicht ganz verkehrt, bei so wenig Wind. Die ersten Schritte an Land. Dann die Filetsteaks aus dem Kühlschrank an Bord mit Süßkartoffeln, dazu ein großes Bier, danach Tiefschlaf. Madeira? Bericht folgt.
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA /
1 - Gibraltar nach Madeira

2 - Der Leuchtturm von Tarifa

3 - Landfall Madeira

Oui! Oui! Oui!
005 - GIBRALTAR
30/08/16 00:00 Gibraltar
Liebe Freunde!
Gibraltar: Ein merkwürdiger Ort, voll bizarrer Brüche, Narben und Geschichten. Mächtige Befestigungsanlagen, die aus dem Fels heraus zu wachsen scheinen, Geschützbettungen überall, titanische Waffen auf drehbaren Lafetten. Die Altstadt dahinter, altenglisch, ohne Abstriche, aber voller Touristen auf der »Mainstreet«. Perfekten »Fish and Chips« gibt es beim »Angry Friar«, einem ehrwürdigen »Inn« wie aus dem Bilderbuch. Hinter der Altstadt der markante, blonde Felsen, eine der beiden Säulen des Herkules. Wir erwandern uns Gibraltar, auf Pfaden, die selten begangen werden. Zum höchsten Punkt, von Osten kommend, hinauf über die atemberaubend schönen »Mediterranean steps«, hinab über die steilen Treppen der »Charles the Vth wall«, vorbei an, oder über, Horden von freundlichen Makaken steigend, die nach unseren Vorräten trachten. Eine weitere Tour führt uns rund um den Felsen, zu Fuß, und durch den für Fußgänger verbotenen, unheimlich dunklen »Dudley Ward tunnel«. Ein Einheimischer Jogger gab uns den Tip, die Verbotsschilder einfach zu übersehen, so wie er, seit zwanzig Jahren… Erfrischungen bekommen wir jeweils auf der »SY SASSOON«, neue Freunde aus Australien, die wie wir, demnächst über den Atlantik wollen. Intensive Gespräche drehen sich um Alles, und um das Wetter. Sie wollen auch bald weiter, auf keinen Fall hängenbleiben, wie so viele hier. Es ist bequem hier in Gibraltar, nicht zu teuer, die Versorgungslage sehr gut, bis hin zum verlässlichen Internetanschluss von »Gibtel«…
Aber: Der hochoktanige Straßenverkehr kostet Nerven. Neben hunderttausend Scootern gehören hochgezüchteten Motorrädern und der neue Range Rover zur Standartausrüstung. Ein Mietwagen hat keinen Zweck, denn ein Parkplatz für die Nacht wäre »unavailable«. Es ist heiß in der Stadt, stickig und feucht, die alten Gemäuer gammeln vor sich hin, meist riecht es schimmlig, oder nach Abwasser. Draußen auf Reede liegen hundert Handelsschiffe und stoßen schwefelige Abgase aus, die gelblich über die Stadt wabern, ein wenig wie in Venedig, aber weniger romantisch. In der Marina treibt Unrat und ein feiner Ölfilm, der nach Diesel riecht. Neuere Architektur gibt es auch, die die alten Mauern überwuchert wie ein bösartiger Krebs. Baulärm dröhnt über die Stadt, von Presslufthämmern und gewaltigen Rammen. Ein guter Teil der meist unsäglich schlecht gemachten Neubauten steht auf aufgeschüttetem Meeresgrund, außerhalb der alten Befestigungen aus der Zeit Nelsons. Eine Wohnwabe hier mit Blick, und ein gut bezahlter Job, als Projektleiter vielleicht? Bitte nicht. Viele Einheimische wirken gestresst. Das Smartphone am Ohr, ein Namensschild am »white collar«, eine swipe card am Gürtel, feine Krawatten, englische Lederschuhe, so eilen sie im Geschwindschritt durch die Gassen. Gibraltar ist ein Ort, an dem Geschäfte gemacht werden, schnell und effektiv. Die »Gaming Industry« ist stark vertreten hier, so erzählt man uns. Aha. Die sozialen Unterschiede sind groß. Das Spektrum reicht von den ein wenig arrogant wirkenden Engländern zu den Spanisch sprechenden Bediensteten, dazwischen alteingesessene, die sich mit Hilfe eines kuriosen, schwer verständlichen Gebräus aus English und Spanisch verständigen.
Gestern Abend war dann noch, ganz plötzlich, wie aus heiterem Himmel das Wetter English. In der Queensway Quay Marina sah man die Hand vor Augen nicht. Dichter Nebel und alles nass… Also nichts wie weg. Morgen, Donnerstag, den 01. September, nach Tagesanbruch und einer spannenden Woche Gibraltar. Die Wetteranalyse zeigt starke Ostwinde für 24h, die uns mit Wucht durch die Meerenge treiben sollten, danach Flaute. Das Azorenhoch liegt in den nächsten Tagen nicht dort wo es hingehört. Das stört die normalerweise vorherrschende gleichmäßige Strömung aus Nord. Wir planen deshalb, zunächst Kurs auf Madeira zu nehmen. Etwas mehr Wind und etwas bessere Windwinkel legen das nahe. Und: Madeira klingt gut.
Mit herzlichen Grüßen von B und M / SY VERA /
1-Gibraltar »Mainstreet«

2-Die »Mediterranean steps«

3-Faule Affen auf der »Charles the Vth wall«

4-Die »Charles the Vth wall«

5 - Frachtschiffe auf Reede, unten die »Queensway Quay Marina«

6 - VERA in der »Queensway Quay Marina«

Gibraltar: Ein merkwürdiger Ort, voll bizarrer Brüche, Narben und Geschichten. Mächtige Befestigungsanlagen, die aus dem Fels heraus zu wachsen scheinen, Geschützbettungen überall, titanische Waffen auf drehbaren Lafetten. Die Altstadt dahinter, altenglisch, ohne Abstriche, aber voller Touristen auf der »Mainstreet«. Perfekten »Fish and Chips« gibt es beim »Angry Friar«, einem ehrwürdigen »Inn« wie aus dem Bilderbuch. Hinter der Altstadt der markante, blonde Felsen, eine der beiden Säulen des Herkules. Wir erwandern uns Gibraltar, auf Pfaden, die selten begangen werden. Zum höchsten Punkt, von Osten kommend, hinauf über die atemberaubend schönen »Mediterranean steps«, hinab über die steilen Treppen der »Charles the Vth wall«, vorbei an, oder über, Horden von freundlichen Makaken steigend, die nach unseren Vorräten trachten. Eine weitere Tour führt uns rund um den Felsen, zu Fuß, und durch den für Fußgänger verbotenen, unheimlich dunklen »Dudley Ward tunnel«. Ein Einheimischer Jogger gab uns den Tip, die Verbotsschilder einfach zu übersehen, so wie er, seit zwanzig Jahren… Erfrischungen bekommen wir jeweils auf der »SY SASSOON«, neue Freunde aus Australien, die wie wir, demnächst über den Atlantik wollen. Intensive Gespräche drehen sich um Alles, und um das Wetter. Sie wollen auch bald weiter, auf keinen Fall hängenbleiben, wie so viele hier. Es ist bequem hier in Gibraltar, nicht zu teuer, die Versorgungslage sehr gut, bis hin zum verlässlichen Internetanschluss von »Gibtel«…
Aber: Der hochoktanige Straßenverkehr kostet Nerven. Neben hunderttausend Scootern gehören hochgezüchteten Motorrädern und der neue Range Rover zur Standartausrüstung. Ein Mietwagen hat keinen Zweck, denn ein Parkplatz für die Nacht wäre »unavailable«. Es ist heiß in der Stadt, stickig und feucht, die alten Gemäuer gammeln vor sich hin, meist riecht es schimmlig, oder nach Abwasser. Draußen auf Reede liegen hundert Handelsschiffe und stoßen schwefelige Abgase aus, die gelblich über die Stadt wabern, ein wenig wie in Venedig, aber weniger romantisch. In der Marina treibt Unrat und ein feiner Ölfilm, der nach Diesel riecht. Neuere Architektur gibt es auch, die die alten Mauern überwuchert wie ein bösartiger Krebs. Baulärm dröhnt über die Stadt, von Presslufthämmern und gewaltigen Rammen. Ein guter Teil der meist unsäglich schlecht gemachten Neubauten steht auf aufgeschüttetem Meeresgrund, außerhalb der alten Befestigungen aus der Zeit Nelsons. Eine Wohnwabe hier mit Blick, und ein gut bezahlter Job, als Projektleiter vielleicht? Bitte nicht. Viele Einheimische wirken gestresst. Das Smartphone am Ohr, ein Namensschild am »white collar«, eine swipe card am Gürtel, feine Krawatten, englische Lederschuhe, so eilen sie im Geschwindschritt durch die Gassen. Gibraltar ist ein Ort, an dem Geschäfte gemacht werden, schnell und effektiv. Die »Gaming Industry« ist stark vertreten hier, so erzählt man uns. Aha. Die sozialen Unterschiede sind groß. Das Spektrum reicht von den ein wenig arrogant wirkenden Engländern zu den Spanisch sprechenden Bediensteten, dazwischen alteingesessene, die sich mit Hilfe eines kuriosen, schwer verständlichen Gebräus aus English und Spanisch verständigen.
Gestern Abend war dann noch, ganz plötzlich, wie aus heiterem Himmel das Wetter English. In der Queensway Quay Marina sah man die Hand vor Augen nicht. Dichter Nebel und alles nass… Also nichts wie weg. Morgen, Donnerstag, den 01. September, nach Tagesanbruch und einer spannenden Woche Gibraltar. Die Wetteranalyse zeigt starke Ostwinde für 24h, die uns mit Wucht durch die Meerenge treiben sollten, danach Flaute. Das Azorenhoch liegt in den nächsten Tagen nicht dort wo es hingehört. Das stört die normalerweise vorherrschende gleichmäßige Strömung aus Nord. Wir planen deshalb, zunächst Kurs auf Madeira zu nehmen. Etwas mehr Wind und etwas bessere Windwinkel legen das nahe. Und: Madeira klingt gut.
Mit herzlichen Grüßen von B und M / SY VERA /
1-Gibraltar »Mainstreet«

2-Die »Mediterranean steps«

3-Faule Affen auf der »Charles the Vth wall«

4-Die »Charles the Vth wall«

5 - Frachtschiffe auf Reede, unten die »Queensway Quay Marina«

6 - VERA in der »Queensway Quay Marina«

004 - NACH GIBRALTAR
23/08/16 00:00 Gibraltar
Liebe Freunde!
Faule Tage in Porto Pino / Sardegna gehen zu Ende. Die VERA und ihre gut ausgeruhte Crew liegen startbereit vor Anker. Die neue Waschmaschine ist an Bord und das alte D2 - Toggle auf dem Navitisch. Die tägliche Analyse der Wetterdaten (jawohl, wir gehören auch zu den furchtsamen Wetterfenster Abwartern) verheißt vielversprechendes. Nonstop nach Gibraltar, ca. 700sm, könnte gehen. So lassen wir die überfüllten Balearen rechts liegen. Der, laut Vorhersage, von Norden einsetzende Mistral aus dem Golfe du Lion sollte uns nicht allzu hart erwischen, und später für einen sauberen ENE durch die Alboransee sorgen…
Am 20.08. laufen wir aus, in aller Frühe, bei glattem Wasser, und einer sympathischen, ganz leichten Brise aus S, die das Boot so gerade zu krängen vermag, und leise zum gluckern bringt. Den ganzen Tag über lässt es sich wunderbar segeln, bei strahlend blauem Himmel und warmer Luft, Kurs immer um die 255 Grad, also direkt auf Gibraltar zu. Erst am Abend setzt eine ominöse, diesige Flaute ein. Vorsichtshalber motoren wir bis 3 Uhr früh, um ein paar Meilen zwischen uns und die kapriziöse Südwestecke Sardiniens zu bringen. Man weiß ja nie. Dann kommt der Wind, wie versprochen, aus N. Und er hat Kraft. Das Boot freut sich und läuft, über 8kn zumeist. Endlich. Fast dachten wir, es geht nicht mehr. In der zweiten Nacht ist dann auch der passende Seegang da. Wir schlucken Meclozine und harren der Dinge. Wasser an Deck, Druck in der Luft, ein fahler Mond hinter jagenden Wolken. Ätzend. Was machen wir hier? Morgen früh gäbe es einen langen Waldspaziergang und danach feine Croissants mit Milchcafé… wenn wir zuhause wären. Aber wo ist zuhause jetzt? Vielleicht hier draußen? Am Morgen finden sich 3 verstorbene Tintenfische an Deck. Tot, in ihrer Tinte. Eine stattliche Meeresschildkröte passiert souverän im Kielwasser. Die aufgeregten Wolken von fliegenden Fische deuten auf Räuber im Wasser hin, Goldmakrelen oder Thunfische vielleicht. Zum Angeln ist uns nicht zumute. Die Sauerei, Ihr versteht schon. Noch weht es hart aus N, dann aus NNE. Immerhin zeigt der Sonnenuntergang den famosen »green blink«, just in dem Augenblick, als eine Herde Delfine munter um die VERA herumtobt. Zumindest dem Anschein nach gibt es im Mittelmeer noch wilde Tiere, trotz Überfischung, Öl und Plastikmüll. Zwei Hochseeangler mit einem klassischen »Sportsfisherman«, die wir in Carloforte trafen, schwärmten jedenfalls von famosen Fängen auf ihrer Überführung von der Algarve nach Sardinien. Vielleicht ist da doch noch Hoffnung.
Am Morgen hat der Wind auf ENE gedreht, wie erwartet. Eine Halse steht an. Nicht die reine Freude, bei der Geigerei, unter »preventertem« Groß und der Genua auf dem Spibaum. Wir benötigen fast eine halbe Stunde dafür, zu zweit. Danach sind wir platt. Zuviel Zivilisation, oder so. Und fehlende Routine. Die richtigen Handgriffe in der richtigen Reihenfolge sitzen nicht mehr richtig. Später bringt der Tag leicht abnehmenden Wind und, wie erhofft, eine so eben einsetzende Normalität, die erst der mehrtägige Törn möglich macht. Duschen, kochen, essen, alles halbwegs in guter Ordnung. Ein wenig Spanisch könnte in Zukunft nicht schaden? Das i-pad hilft beim Vokabeln lernen. Ab und an holen wir die Gitarre hervor. M bricht sich die Finger am Eingang zur Etude No-1. Danke, Bernhard, für Alles.
Wieder wird es Nacht. Der abnehmende Mond geht jetzt immer später auf. Das bringt spektakuläre Sternenhimmel, mit einer Milchstraße, wie wir sie lange nicht mehr gesehen haben. Glück: Auf dem Brückendeck auf dem Rücken liegen und die Okulare des ehrwürdigen, sauschweren Hensoldt 7x50 Marineglases auf den Augen absetzen. Dann langsam schwenken. Saturn und Mars passieren sich derzeit, wie streitbare Ritter beim Turnier. I-pad und »skyview« app? Nerviger Mist. Keine Schiffe weit und breit, auch nicht auf dem »AIS«. Wir sind allein.
Dann die Alboransee, zu früh eigentlich. Capo del Gata bleibt STB querab, 20sm entfernt. 20kn aus ENE, immer noch. Die VERA läuft, 7kn, oder 8, vorbei an der prächtig aus dem Dunst aufsteigenden Sierra Nevada, mit ihren bis zu 3.500m hohen Gipfeln. Irgendwo dahinter muss Granada liegen. Klangvoller Name. Und nie haben wir es dorthin geschafft, nicht mit dem Rad und nicht mit dem Auto, in all den Jahren. Morgen vor Sonnenuntergang in Gibraltar? Dann ein Mietwagen für Andalusien? Möglich, wenn der Wind hält.
Hier, am Ausgang des Mittelmeeres, sehen wir jetzt auch Schiffe. Viele Schiffe. Wir halten uns nördlich des Dampfertreks und hoffen auf die Umsicht der Kapitäne. Unser aktives »AIS« bringt uns auf deren digitale Karten, und auch wir wissen ziemlich gut Bescheid, was da so vorbei läuft. Das beruhigt die Nerven, die damals beim Überqueren der Malakkastraße im Jahre 2008 noch blank lagen. Die tatsächlichen Ausmaße des weltweiten Handels werden an solchen Orten erfahrbar. Hier geht es ein wenig zu, wie auf der A2, auf der ich (M) über eine halbe Million Kilometer vor, hinter und neben dicken Lastwagen auf- und abgefahren bin. Nur das auf einen großen Containerdampfer über 10.000 Seecontainer passen und nicht bloß einer. In der Nacht verwechselt man uns zwei mal mit einem ausweichpflichtigen Motorboot, das zu disziplinieren ist. Per »UKW« Funk klären wir jeweils die Situation, Segel oben, langsam, manöverierbehindert, nix Motor oder so. Dank »AIS« kennen wir die »MMSI« Nummer der Kandidaten und können sie am »DSC - UKW« direkt anrufen. Tolle Sache, die astrein funktioniert. Und nett ist man zu uns. »Good evening, sir… I‘ll alter course to starboard for you! Have a good watch.« mit baltischem, oder mit indischem Akzent gesprochen, das hat Charakter.
Endspurt: Der letzte Tag auf See zieht sich. Obwohl wir noch um die 7kn durchs Wasser laufen, kommen wir kaum mit 5kn voran. Durch die Straße von Gibraltar strömt das Wasser mit 2kn gen Osten, und das kostet Zeit. Am Ende erreichen wir die Säulen des Herkules am späten Nachmittag und die Queensway Quay Marina im Hafen von Gibraltar gerade so vor Sonnenuntergang. Per Telefon will man uns keinen Liegeplatz geben, aber ein zweiter Versuch auf dem UKW Radio bringt den Erfolg. B überredet die Betreiber, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Reserviert hatten wir erst ab Morgen… Alles bestens. Wir sind angekommen. Und glücklich.
Gibraltar? Bericht folgt.
_________________/)______________________________________________________
Mit herzlichen Grüßen von B und M / SY VERA / Queensway Quay Marina / Gibraltar
1-Gleich kommt der »green blink«

2-Die Segel

3-Der berühmte Felsen

4-Die Route (blaue Raute = Mittagsposition)

Faule Tage in Porto Pino / Sardegna gehen zu Ende. Die VERA und ihre gut ausgeruhte Crew liegen startbereit vor Anker. Die neue Waschmaschine ist an Bord und das alte D2 - Toggle auf dem Navitisch. Die tägliche Analyse der Wetterdaten (jawohl, wir gehören auch zu den furchtsamen Wetterfenster Abwartern) verheißt vielversprechendes. Nonstop nach Gibraltar, ca. 700sm, könnte gehen. So lassen wir die überfüllten Balearen rechts liegen. Der, laut Vorhersage, von Norden einsetzende Mistral aus dem Golfe du Lion sollte uns nicht allzu hart erwischen, und später für einen sauberen ENE durch die Alboransee sorgen…
Am 20.08. laufen wir aus, in aller Frühe, bei glattem Wasser, und einer sympathischen, ganz leichten Brise aus S, die das Boot so gerade zu krängen vermag, und leise zum gluckern bringt. Den ganzen Tag über lässt es sich wunderbar segeln, bei strahlend blauem Himmel und warmer Luft, Kurs immer um die 255 Grad, also direkt auf Gibraltar zu. Erst am Abend setzt eine ominöse, diesige Flaute ein. Vorsichtshalber motoren wir bis 3 Uhr früh, um ein paar Meilen zwischen uns und die kapriziöse Südwestecke Sardiniens zu bringen. Man weiß ja nie. Dann kommt der Wind, wie versprochen, aus N. Und er hat Kraft. Das Boot freut sich und läuft, über 8kn zumeist. Endlich. Fast dachten wir, es geht nicht mehr. In der zweiten Nacht ist dann auch der passende Seegang da. Wir schlucken Meclozine und harren der Dinge. Wasser an Deck, Druck in der Luft, ein fahler Mond hinter jagenden Wolken. Ätzend. Was machen wir hier? Morgen früh gäbe es einen langen Waldspaziergang und danach feine Croissants mit Milchcafé… wenn wir zuhause wären. Aber wo ist zuhause jetzt? Vielleicht hier draußen? Am Morgen finden sich 3 verstorbene Tintenfische an Deck. Tot, in ihrer Tinte. Eine stattliche Meeresschildkröte passiert souverän im Kielwasser. Die aufgeregten Wolken von fliegenden Fische deuten auf Räuber im Wasser hin, Goldmakrelen oder Thunfische vielleicht. Zum Angeln ist uns nicht zumute. Die Sauerei, Ihr versteht schon. Noch weht es hart aus N, dann aus NNE. Immerhin zeigt der Sonnenuntergang den famosen »green blink«, just in dem Augenblick, als eine Herde Delfine munter um die VERA herumtobt. Zumindest dem Anschein nach gibt es im Mittelmeer noch wilde Tiere, trotz Überfischung, Öl und Plastikmüll. Zwei Hochseeangler mit einem klassischen »Sportsfisherman«, die wir in Carloforte trafen, schwärmten jedenfalls von famosen Fängen auf ihrer Überführung von der Algarve nach Sardinien. Vielleicht ist da doch noch Hoffnung.
Am Morgen hat der Wind auf ENE gedreht, wie erwartet. Eine Halse steht an. Nicht die reine Freude, bei der Geigerei, unter »preventertem« Groß und der Genua auf dem Spibaum. Wir benötigen fast eine halbe Stunde dafür, zu zweit. Danach sind wir platt. Zuviel Zivilisation, oder so. Und fehlende Routine. Die richtigen Handgriffe in der richtigen Reihenfolge sitzen nicht mehr richtig. Später bringt der Tag leicht abnehmenden Wind und, wie erhofft, eine so eben einsetzende Normalität, die erst der mehrtägige Törn möglich macht. Duschen, kochen, essen, alles halbwegs in guter Ordnung. Ein wenig Spanisch könnte in Zukunft nicht schaden? Das i-pad hilft beim Vokabeln lernen. Ab und an holen wir die Gitarre hervor. M bricht sich die Finger am Eingang zur Etude No-1. Danke, Bernhard, für Alles.
Wieder wird es Nacht. Der abnehmende Mond geht jetzt immer später auf. Das bringt spektakuläre Sternenhimmel, mit einer Milchstraße, wie wir sie lange nicht mehr gesehen haben. Glück: Auf dem Brückendeck auf dem Rücken liegen und die Okulare des ehrwürdigen, sauschweren Hensoldt 7x50 Marineglases auf den Augen absetzen. Dann langsam schwenken. Saturn und Mars passieren sich derzeit, wie streitbare Ritter beim Turnier. I-pad und »skyview« app? Nerviger Mist. Keine Schiffe weit und breit, auch nicht auf dem »AIS«. Wir sind allein.
Dann die Alboransee, zu früh eigentlich. Capo del Gata bleibt STB querab, 20sm entfernt. 20kn aus ENE, immer noch. Die VERA läuft, 7kn, oder 8, vorbei an der prächtig aus dem Dunst aufsteigenden Sierra Nevada, mit ihren bis zu 3.500m hohen Gipfeln. Irgendwo dahinter muss Granada liegen. Klangvoller Name. Und nie haben wir es dorthin geschafft, nicht mit dem Rad und nicht mit dem Auto, in all den Jahren. Morgen vor Sonnenuntergang in Gibraltar? Dann ein Mietwagen für Andalusien? Möglich, wenn der Wind hält.
Hier, am Ausgang des Mittelmeeres, sehen wir jetzt auch Schiffe. Viele Schiffe. Wir halten uns nördlich des Dampfertreks und hoffen auf die Umsicht der Kapitäne. Unser aktives »AIS« bringt uns auf deren digitale Karten, und auch wir wissen ziemlich gut Bescheid, was da so vorbei läuft. Das beruhigt die Nerven, die damals beim Überqueren der Malakkastraße im Jahre 2008 noch blank lagen. Die tatsächlichen Ausmaße des weltweiten Handels werden an solchen Orten erfahrbar. Hier geht es ein wenig zu, wie auf der A2, auf der ich (M) über eine halbe Million Kilometer vor, hinter und neben dicken Lastwagen auf- und abgefahren bin. Nur das auf einen großen Containerdampfer über 10.000 Seecontainer passen und nicht bloß einer. In der Nacht verwechselt man uns zwei mal mit einem ausweichpflichtigen Motorboot, das zu disziplinieren ist. Per »UKW« Funk klären wir jeweils die Situation, Segel oben, langsam, manöverierbehindert, nix Motor oder so. Dank »AIS« kennen wir die »MMSI« Nummer der Kandidaten und können sie am »DSC - UKW« direkt anrufen. Tolle Sache, die astrein funktioniert. Und nett ist man zu uns. »Good evening, sir… I‘ll alter course to starboard for you! Have a good watch.« mit baltischem, oder mit indischem Akzent gesprochen, das hat Charakter.
Endspurt: Der letzte Tag auf See zieht sich. Obwohl wir noch um die 7kn durchs Wasser laufen, kommen wir kaum mit 5kn voran. Durch die Straße von Gibraltar strömt das Wasser mit 2kn gen Osten, und das kostet Zeit. Am Ende erreichen wir die Säulen des Herkules am späten Nachmittag und die Queensway Quay Marina im Hafen von Gibraltar gerade so vor Sonnenuntergang. Per Telefon will man uns keinen Liegeplatz geben, aber ein zweiter Versuch auf dem UKW Radio bringt den Erfolg. B überredet die Betreiber, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Reserviert hatten wir erst ab Morgen… Alles bestens. Wir sind angekommen. Und glücklich.
Gibraltar? Bericht folgt.
_________________/)______________________________________________________
Mit herzlichen Grüßen von B und M / SY VERA / Queensway Quay Marina / Gibraltar
1-Gleich kommt der »green blink«

2-Die Segel

3-Der berühmte Felsen

4-Die Route (blaue Raute = Mittagsposition)

003 - ISLA ANTIOCHO
02/08/16 00:00 Italy
Liebe Freunde!
Waschmaschine! Waschmaschine? Sicher denkt Ihr jetzt, dass wir in einen Sturm geraten, und ordentlich getunkt wurden? Leider nicht…
Eigentlich sollten wir längst auf dem Weg gen Westen sein. Stattdessen bummeln wir noch immer durch die traumhaften Buchten an der Südküste Sardiniens, mit ihren weißen Stränden, archaischen Wachtürmen und romantischen Fischerhäfen. Und es ist schön hier! Der Anblick der Berge, blau gestaffelt hintereinander im morgendlichen Dunst ist ein Gedicht, vor allem mit einer großen Lieblingstasse Earl Grey in der Hand. Und bei all dem genug Zeit, die Seele baumeln zu lassen! Ach übrigens: Carloforte und Nicolo‘s feines Restaurant haben es doch vor zwei Wochen tatsächlich bis in den »Spiegel online« geschafft.
Jedenfalls geht es uns gut, fast perfekt. Fast. Da ist zum einen das fehlende Gefühl großartiges geleistet zu haben. Es ist lange her, das wir seglerisch nennenswertes gerissen hätten. Das Boot schreit nach Meilen, und das laut und vernehmlich. Unser eigentliches Problem aber sind zwei kleine, aber nicht unrelevante technische Probleme, die sich kürzlich ergeben haben. Zum einen wäre da ein Haarriss in einem Toggle der Backbord D2 Wanten, Photo siehe unten. Das Ding ist mit bloßem Auge nicht sichtbar. Erst die Mikroskop Funktion unserer neuen kleinen Olympus hat uns darauf gebracht. Hätte böse ausgehen können. Das Ersatzteil ist zum Glück inzwischen bei Guiseppe und harrt dem Einbau. Warum nicht gleich? Wegen Problem Nummer zwei. Waschmaschine? Genau, die ist jetzt nämlich plötzlich hin, einfach so, von einem Waschgang in den anderen. Die Hoffnung, das es nur das Magnetventil am Einlauf ist, bestätigte sich nicht. Wahrscheinlich ist das heute unvermeidliche »Motherboard« über den Jordan. Jetzt denkt Ihr wahrscheinlich: Waschmaschine? Auf dem kleinen Kahn? Spinnen die? Und auf gewisse Weise habt Ihr ja recht damit. »Keep it simple« ist etwas anderes… B und ich sind da eher so reingeschlittert. Nachdem wir damals vor der ersten Reise im Jahre 2006 eine Meerwasserentsalzungsanlage eingebaut hatten, verfügten wir plötzlich über ausreichend frisches Wasser. Freunde von anderen Booten überredeten uns dann zur Anschaffung der winzigen »Euronova« Waschmaschine, der kleinsten von vorne zu beladenen Haushaltswaschmaschine der Welt. Und irgendwie hatten sie recht. Nein, eigentlich hatten sie total recht. Es gibt doch nichts schöneres, als frisch gewaschene Wäsche, so ganz ohne juckendem Salz und so. Und die Waschsalons dieser Welt variieren erheblich in der Qualität und sind nicht immer billig. Die kleine »Euronova« dagegen kostet nicht die Welt, vor allem, wenn man die gesalzenen Preise für ganz banaler Bootsausrüstung betrachtet. Das Problem war der Einbau, aber den erspare ich Euch jetzt. Nach reiflicher Überlegung haben wir bei einem netten Händler in Rostock eine neue »Euronova« bestellt. Vor zehn Tagen ungefähr, Lieferung nach Carloforte in den nächsten Tagen, oder so… Wir bleiben solange auf »standby«.
><((((º>`·.¸¸.·´¯`·.¸.·´¯`·...¸><((((º>¸.
`·.¸¸.·´¯`·.¸.·´¯`·...¸><((((º>`·.¸¸.·´¯`·.¸.·´¯`· ...¸><((((º>
Mit ganz lieben Grüßen von B und M / SY VERA / Cala die Coqquaddus / Isla Antiocho / Italia
1 Die blauen Berge.

2 Der Haarriss im Toggle der BB D2 Wanten

3 Der Haarriss im Toggle der BB D2 Wanten

Waschmaschine! Waschmaschine? Sicher denkt Ihr jetzt, dass wir in einen Sturm geraten, und ordentlich getunkt wurden? Leider nicht…
Eigentlich sollten wir längst auf dem Weg gen Westen sein. Stattdessen bummeln wir noch immer durch die traumhaften Buchten an der Südküste Sardiniens, mit ihren weißen Stränden, archaischen Wachtürmen und romantischen Fischerhäfen. Und es ist schön hier! Der Anblick der Berge, blau gestaffelt hintereinander im morgendlichen Dunst ist ein Gedicht, vor allem mit einer großen Lieblingstasse Earl Grey in der Hand. Und bei all dem genug Zeit, die Seele baumeln zu lassen! Ach übrigens: Carloforte und Nicolo‘s feines Restaurant haben es doch vor zwei Wochen tatsächlich bis in den »Spiegel online« geschafft.
Jedenfalls geht es uns gut, fast perfekt. Fast. Da ist zum einen das fehlende Gefühl großartiges geleistet zu haben. Es ist lange her, das wir seglerisch nennenswertes gerissen hätten. Das Boot schreit nach Meilen, und das laut und vernehmlich. Unser eigentliches Problem aber sind zwei kleine, aber nicht unrelevante technische Probleme, die sich kürzlich ergeben haben. Zum einen wäre da ein Haarriss in einem Toggle der Backbord D2 Wanten, Photo siehe unten. Das Ding ist mit bloßem Auge nicht sichtbar. Erst die Mikroskop Funktion unserer neuen kleinen Olympus hat uns darauf gebracht. Hätte böse ausgehen können. Das Ersatzteil ist zum Glück inzwischen bei Guiseppe und harrt dem Einbau. Warum nicht gleich? Wegen Problem Nummer zwei. Waschmaschine? Genau, die ist jetzt nämlich plötzlich hin, einfach so, von einem Waschgang in den anderen. Die Hoffnung, das es nur das Magnetventil am Einlauf ist, bestätigte sich nicht. Wahrscheinlich ist das heute unvermeidliche »Motherboard« über den Jordan. Jetzt denkt Ihr wahrscheinlich: Waschmaschine? Auf dem kleinen Kahn? Spinnen die? Und auf gewisse Weise habt Ihr ja recht damit. »Keep it simple« ist etwas anderes… B und ich sind da eher so reingeschlittert. Nachdem wir damals vor der ersten Reise im Jahre 2006 eine Meerwasserentsalzungsanlage eingebaut hatten, verfügten wir plötzlich über ausreichend frisches Wasser. Freunde von anderen Booten überredeten uns dann zur Anschaffung der winzigen »Euronova« Waschmaschine, der kleinsten von vorne zu beladenen Haushaltswaschmaschine der Welt. Und irgendwie hatten sie recht. Nein, eigentlich hatten sie total recht. Es gibt doch nichts schöneres, als frisch gewaschene Wäsche, so ganz ohne juckendem Salz und so. Und die Waschsalons dieser Welt variieren erheblich in der Qualität und sind nicht immer billig. Die kleine »Euronova« dagegen kostet nicht die Welt, vor allem, wenn man die gesalzenen Preise für ganz banaler Bootsausrüstung betrachtet. Das Problem war der Einbau, aber den erspare ich Euch jetzt. Nach reiflicher Überlegung haben wir bei einem netten Händler in Rostock eine neue »Euronova« bestellt. Vor zehn Tagen ungefähr, Lieferung nach Carloforte in den nächsten Tagen, oder so… Wir bleiben solange auf »standby«.
><((((º>`·.¸¸.·´¯`·.¸.·´¯`·...¸><((((º>¸.
`·.¸¸.·´¯`·.¸.·´¯`·...¸><((((º>`·.¸¸.·´¯`·.¸.·´¯`· ...¸><((((º>
Mit ganz lieben Grüßen von B und M / SY VERA / Cala die Coqquaddus / Isla Antiocho / Italia
1 Die blauen Berge.

2 Der Haarriss im Toggle der BB D2 Wanten

3 Der Haarriss im Toggle der BB D2 Wanten

002 - CALA MALFANTANO
19/06/16 00:00 Italy
Liebe Freunde!
Nach teilweise heftigen Renovierungs-, Umbau- und Überholungsarbeiten am Boot, die sich seit Anfang März über drei Monate hinzogen, haben wir den Hafen von Carloforte am letzten Donnerstag (16.06.2016) tatsächlich verlassen und liegen nun vor Anker an unserem Lieblingsplatz in der Cala Malfatano an der Südküste Sardiniens…
Hier gibt es alles, was die Seele braucht, um Frieden zu finden. Klares, türkises Wasser, wilde Felsen, die gut vor dem tosenden Meer schützen und eine heimelige kleine Strandbar, natürlich auch mit »Latte Macchiato« und dem dazu unvermeidlichen »Cornetti con Cioccolato«. Gebadet haben wir auch schon. Bei Wassertemperaturen um die 17C ist das allerdings noch recht frisch, zumindest im ersten Augenblick, der sich doch sehr nach einer unmittelbar bevorstehenden Herzattacke anfühlt.
Unsere Freunde Laura und Mark von der »Sabbatical III« liegen nicht weit entfernt, und so gibt es immer einen Grund, weitere Arbeiten am Boot auf später zu verschieben. Eigentlich geht soweit auch alles: Das Boot ist blitzblank gewienert, gewachst und eingefettet, über und unter Wasser. Die Solarpaneele und zwei kleine Windgeneratoren liefern ausreichend Strom. Der Internetzugang ist ok. Der uralte Wassermacher (Meerwasserentsalzer) von Echotec läuft nach neun Monaten Winterschlaf ebenfalls problemlos. Der Kühlschrank und die Bilgen sind so voller Leckereien, so dass wir zumindest in den nächsten Wochen ziemlich autark sein sollten. Gutes Gefühl.
Carloforte war auch gut zu uns. Die Kleinstadt im Süden San Pietros bietet alles, was man zum qualitätvollen Leben so benötigt. Einen kleinen Überblick findet Ihr hier auf Mark‘s Familien blog. Da fragt man sich gelegentlich, ob es nicht eine gute Idee wäre, einfach kurzerhand einen neuen Jahreskontrakt bei Guiseppe abzuschließen, vielleicht unter dem Vorwand man könnte dann noch in aller Ruhe am Schiff schrauben, die Heizung, der neue Wassermacher, der Zusatztank, Ihr versteht schon…
Aber dann blickt man auf die Hafenausfahrt, die in den letzen Wochen immer drohend (oder verlockend) direkt vor unserem Bug lag. Hinter dieser Hafenausfahrt liegt die Welt. Man braucht »nur« die Leinen loszuwerfen und die Segel setzen, der Rest wird sich finden. Ist der Weg das Ziel? Zumindest fanden wir es auffallend, das wir in Carloforte Kleinstadt nirgends mehr anonym spazieren gehen, oder »Aperol Spritz« trinken konnten, ohne pausenlos Ciao, Buon Giorno, Hi, oder Guten Tag zu sagen und ein kurzes Schwätzchen zu halten. Irgendwann reicht das, und die Gedanken schweifen nach Gibraltar, wo die Säulen des Herkules das Ende der alten Welt markieren. Dahinter liegt dann das Neue, der Atlantik, das Abenteuer, die Kanaren und ganz sicher viele spannende Begegnungen, ähnliche Träume, ähnliche Projektionen. Wir halten Euch jedenfalls auf dem Laufenden!
Liebe Grüße von B und M / SY VERA / Cala Malfatano / Sardegna / Italia
P.S. Bei google earth ist die VERA derzeit tatsächlich auf ihrem Lieblingsplatz zu sehen (siehe roter Pfeil). Da kann man sogar noch kräftig hereinzoomen. Sie ist es wirklich. Einfach bei google earth nach »Capo Malfatano« suchen…

Nach teilweise heftigen Renovierungs-, Umbau- und Überholungsarbeiten am Boot, die sich seit Anfang März über drei Monate hinzogen, haben wir den Hafen von Carloforte am letzten Donnerstag (16.06.2016) tatsächlich verlassen und liegen nun vor Anker an unserem Lieblingsplatz in der Cala Malfatano an der Südküste Sardiniens…
Hier gibt es alles, was die Seele braucht, um Frieden zu finden. Klares, türkises Wasser, wilde Felsen, die gut vor dem tosenden Meer schützen und eine heimelige kleine Strandbar, natürlich auch mit »Latte Macchiato« und dem dazu unvermeidlichen »Cornetti con Cioccolato«. Gebadet haben wir auch schon. Bei Wassertemperaturen um die 17C ist das allerdings noch recht frisch, zumindest im ersten Augenblick, der sich doch sehr nach einer unmittelbar bevorstehenden Herzattacke anfühlt.
Unsere Freunde Laura und Mark von der »Sabbatical III« liegen nicht weit entfernt, und so gibt es immer einen Grund, weitere Arbeiten am Boot auf später zu verschieben. Eigentlich geht soweit auch alles: Das Boot ist blitzblank gewienert, gewachst und eingefettet, über und unter Wasser. Die Solarpaneele und zwei kleine Windgeneratoren liefern ausreichend Strom. Der Internetzugang ist ok. Der uralte Wassermacher (Meerwasserentsalzer) von Echotec läuft nach neun Monaten Winterschlaf ebenfalls problemlos. Der Kühlschrank und die Bilgen sind so voller Leckereien, so dass wir zumindest in den nächsten Wochen ziemlich autark sein sollten. Gutes Gefühl.
Carloforte war auch gut zu uns. Die Kleinstadt im Süden San Pietros bietet alles, was man zum qualitätvollen Leben so benötigt. Einen kleinen Überblick findet Ihr hier auf Mark‘s Familien blog. Da fragt man sich gelegentlich, ob es nicht eine gute Idee wäre, einfach kurzerhand einen neuen Jahreskontrakt bei Guiseppe abzuschließen, vielleicht unter dem Vorwand man könnte dann noch in aller Ruhe am Schiff schrauben, die Heizung, der neue Wassermacher, der Zusatztank, Ihr versteht schon…
Aber dann blickt man auf die Hafenausfahrt, die in den letzen Wochen immer drohend (oder verlockend) direkt vor unserem Bug lag. Hinter dieser Hafenausfahrt liegt die Welt. Man braucht »nur« die Leinen loszuwerfen und die Segel setzen, der Rest wird sich finden. Ist der Weg das Ziel? Zumindest fanden wir es auffallend, das wir in Carloforte Kleinstadt nirgends mehr anonym spazieren gehen, oder »Aperol Spritz« trinken konnten, ohne pausenlos Ciao, Buon Giorno, Hi, oder Guten Tag zu sagen und ein kurzes Schwätzchen zu halten. Irgendwann reicht das, und die Gedanken schweifen nach Gibraltar, wo die Säulen des Herkules das Ende der alten Welt markieren. Dahinter liegt dann das Neue, der Atlantik, das Abenteuer, die Kanaren und ganz sicher viele spannende Begegnungen, ähnliche Träume, ähnliche Projektionen. Wir halten Euch jedenfalls auf dem Laufenden!
Liebe Grüße von B und M / SY VERA / Cala Malfatano / Sardegna / Italia
P.S. Bei google earth ist die VERA derzeit tatsächlich auf ihrem Lieblingsplatz zu sehen (siehe roter Pfeil). Da kann man sogar noch kräftig hereinzoomen. Sie ist es wirklich. Einfach bei google earth nach »Capo Malfatano« suchen…

001 - CARLOFORTE
03/03/16 00:00 Italy
Dear friends!
It‘s about time for a quick update on B‘s and M‘s whereabouts. Believe it or not, but we are arrived, and happily on board the VERA, our light blue sail boat and future home. This morning, we made good use of the fine weather here, and finally went for »Due latte macchiato e due cornetti al cioccolato!« at the Bar Napoleone at Carloforte‘s beautiful waterfront. »Bar Napoleone 2016!« has been our mantra for many years. And now it has become reality. The VERA is well, all systems seem healthy, so now we are in the process of fitting every item, tools, spare parts, electronics, clothes and much more stuff from our overloaded car into its proper place on board. Kind of difficult, but B (at least) thinks it doable…
Quitting the job, and moving out of our cozy home in Berlin / Eichkamp was not easy, and at times hard and dirty work. It also felt strange and uncomfortable. Was this the right thing to do? Right now, we think along the lines of MMM: »By experimenting with voluntary discomfort, we learn to appreciate far more of our life, and can be content with a much simpler and more wholesome one…«
Last Sunday, we met our new and very sympathetic tenants in the morning, went through all the systems and questions, handed them the keys, climbed into our low riding Audi with its ridiculous ginormous roof rack, and left for Italy. Most of our furniture, a heap of books and a pile of things (and the nice old Mercedes, too) are now packed and under awnings in our ramshackle shed in Adlershof. Mid April, we‘ll have to refurbish another flat there and rent this out, too. This suits us good enough, as we need to drive our trusty Audi back to Germany anyway, as it is in need of a new owner. After that, early in May, we plan to fly back to Sardegna, take the VERA onto the hard for a week or two, doing new antifouling and fitting new seacocks. And then, we‘ll head out for good. Strange thought: One day, someone will unwrap the old Mercedes in Adlershof, and go: »What’s that? Whoa! Unbelievable!«
The itinerary for this season looks straightforward: Leave Carloforte early in June, meet with Laura and Mark from SV SABBATICAL III in Stromboli, explore the romantic Aeolian islands with them, and then head up north to Amalfi, Capri and Ponza, before a short hop west to northern Sardegna. July or August should see us passing the Balearics, on our way to Gibraltar. From there, if this universe allows it, we‘ll sail on for the Canaries, where we intend to stay put through Christmas and well into the new year 2017. And then? South. Brasil, Uruguay, Argentina, Chile…
Lots of love, and please keep us posted, B and M / SY VERA / Carloforte / Isla San Pietro / Italy
P.S. Here is another lovely one: »Believe me, my young friend, there is NOTHING--absolute nothing--half so much worth doing as simply messing about in boats.« From ‘The Wind in the Willows‘ by Kenneth Grahame
P.P.S. A good update should come with a pic, don‘t you think? As the camera is still buried in the car somewhere, we can only offer a recent substitute. On the right side, you can see the VERA in mid February at her mooring at Marine Sifredi in Carloforte, waiting for us (and the sea) under her winter awning:

It‘s about time for a quick update on B‘s and M‘s whereabouts. Believe it or not, but we are arrived, and happily on board the VERA, our light blue sail boat and future home. This morning, we made good use of the fine weather here, and finally went for »Due latte macchiato e due cornetti al cioccolato!« at the Bar Napoleone at Carloforte‘s beautiful waterfront. »Bar Napoleone 2016!« has been our mantra for many years. And now it has become reality. The VERA is well, all systems seem healthy, so now we are in the process of fitting every item, tools, spare parts, electronics, clothes and much more stuff from our overloaded car into its proper place on board. Kind of difficult, but B (at least) thinks it doable…
Quitting the job, and moving out of our cozy home in Berlin / Eichkamp was not easy, and at times hard and dirty work. It also felt strange and uncomfortable. Was this the right thing to do? Right now, we think along the lines of MMM: »By experimenting with voluntary discomfort, we learn to appreciate far more of our life, and can be content with a much simpler and more wholesome one…«
Last Sunday, we met our new and very sympathetic tenants in the morning, went through all the systems and questions, handed them the keys, climbed into our low riding Audi with its ridiculous ginormous roof rack, and left for Italy. Most of our furniture, a heap of books and a pile of things (and the nice old Mercedes, too) are now packed and under awnings in our ramshackle shed in Adlershof. Mid April, we‘ll have to refurbish another flat there and rent this out, too. This suits us good enough, as we need to drive our trusty Audi back to Germany anyway, as it is in need of a new owner. After that, early in May, we plan to fly back to Sardegna, take the VERA onto the hard for a week or two, doing new antifouling and fitting new seacocks. And then, we‘ll head out for good. Strange thought: One day, someone will unwrap the old Mercedes in Adlershof, and go: »What’s that? Whoa! Unbelievable!«
The itinerary for this season looks straightforward: Leave Carloforte early in June, meet with Laura and Mark from SV SABBATICAL III in Stromboli, explore the romantic Aeolian islands with them, and then head up north to Amalfi, Capri and Ponza, before a short hop west to northern Sardegna. July or August should see us passing the Balearics, on our way to Gibraltar. From there, if this universe allows it, we‘ll sail on for the Canaries, where we intend to stay put through Christmas and well into the new year 2017. And then? South. Brasil, Uruguay, Argentina, Chile…
Lots of love, and please keep us posted, B and M / SY VERA / Carloforte / Isla San Pietro / Italy
P.S. Here is another lovely one: »Believe me, my young friend, there is NOTHING--absolute nothing--half so much worth doing as simply messing about in boats.« From ‘The Wind in the Willows‘ by Kenneth Grahame
P.P.S. A good update should come with a pic, don‘t you think? As the camera is still buried in the car somewhere, we can only offer a recent substitute. On the right side, you can see the VERA in mid February at her mooring at Marine Sifredi in Carloforte, waiting for us (and the sea) under her winter awning:
