SY VERA

The maze: A voyage through the Patagonian channels

002 - NACH PUERTO EDÉN

Hallo Ihr Lieben!

»Caleta Moonlight Shadow«, Idylle in der Wildnis, Dauerregen, seit Tagen, nicht viel Wind, entgegen der Vorhersage. Doch wer weiss, was draussen im »Kanal Sarmiento« los ist? Was wir brauchen ist ein Wetterfenster, das uns die Weiterreise nach »Puerto Edén« ermöglicht. Noch 170 Seemeilen, so nah, und doch so fern. Lesen, schlafen, kochen, Gitarre spielen, schreiben, schlafen, lesen, kochen und immer mal wieder versuchen, den Magen zu entspannen. Alles in allem auch nicht schlecht, eine Art »Retreat«, eine Meditation auf Zeit. 995 Millibar, nochmals 2 Hectopascal abwärts. Draussen schifft es so heftig, das man keinen Hund vor die Tür… Aber wem sag‘ ich das. Egal. Solange der Druck fällt, bleiben wir hier. Zeit zum sinnieren: Sind wir inzwischen irgendwie Nomaden? Bruce Chatwin, der begnadete und leider im Jahre 1989 viel zu früh verstorbene Reiseschriftsteller schrieb 1977 seinen Bestseller »In Patagonia«. In einigen Interviews danach bezeichnete er sich selbst als Nomaden. Das macht in seinem Fall irgendwie Sinn. Statt nach neuen Weidegründen für seine Herden, suchte er in der weiten Welt nach Inspiration.

Der Morgen graut. Das Barometer steigt einen Tick. In strömendem Regen gehen wir Anker auf und segeln hoch am Wind bis zur »Caleta Bueno«, verkehrsgünstig am »Kanal Sarmiento« gelegen. Es schifft, Katzen, Mäuse und Hunde. Manchmal nieselt es. Sprühregen ist auch im Repertoire. Alles ist triefnass, Ölzeug, Mützen und Handschuhe. Die Angelsachsen haben ein gutes Wort dafür: »Miserable.« Der nächste Tag bringt ähnliche Bedingungen: Leichtwind und Dauerregen. B will in die »Caleta Amalia«. Ein Umweg von fünfundzwanzig Seemeilen. Man soll von dort aber einen guten Blick auf den Amaliagletscher und das »Campo de Hielo Sur«, das patagonische Inlandeis haben, das abgesehen von den Polkappen immerhin das zweitgrößte der Welt ist, gleich hinter Grönland… Na denn.

»Caleta Amalia«: Bordroutine, lesen, schreiben, kochen, essen, schlafen, lesen… Bill Tilman, der berühmte englische Extrembergsteiger und Hochseesegler musste 1956 seinen hölzernen Lotsenkutter MISCHIEF noch in der Nachbarbucht, der »Caleta Tilman« verankern, da ihm das Eis des Amaliagletschers das weitere Vorwärtskommen unmöglich machte. Wir finden zunächst kein Eis im »Estero Amalia«, was schade ist, wegen der abendlichen Drinks… Egal. Der Regen macht gelegentlich eine Pause und gibt den Blick auf den großen Gletscher frei. Eine monumentale Landschaft, keine Frage. Wenn jetzt nur die Wolken von blutgierigen Gnitzen nicht wären, die irgendwie ganz genau wissen, wie man ein Säugetier piesackt. Die Angelsachsen haben ein gutes Wort dafür: »Dreadful«. Unsere Gedanken schweifen nun desöfteren in die Südsee: Sonne auf nackter, braungebrannter Haut, zur Abkühlung ums Schiff schwimmen und sich an der Ankerkette zum bunten Riff hinunterziehen. Laue Tropennächte unter Millionen Sternen, bei warm fächelndem Wind, der in den Kokospalmen am Strand raschelt. Petroleumlampe im Cockpit, ein Glas gut gekühlter Weißwein...

Eine e-mail von der JONATHAN trifft ein. Unsere Freunde Caroline und Mark haben aus der Antarktis kommend die Südorkneyinseln, Südgeorgien und Tristan da Cunha angelaufen, und rauschen nun mit Backstagsbrise auf Kapstadt zu. Unter sengender Sonne und das erste mal barfuß, seit vielen Jahren. Unser Neid segelt mit ihnen. Traurig sind dagegen die Nachrichten von der unzerstörbaren 20 Meter Expeditionsyacht PARADISE. In Enterprise Harbor in der Antarktis haben wir einen denkwürdigen Grillabend mit den abenteuerlustigen Franzosen verbracht (siehe VERA Newsletter Nr. 038). Letzte Woche ist die PARADISE auf dem Weg von den Falklandinseln nach Uruguay in schwerem Wetter gekentert. Eigner und Skipper Arnaud und die erfahrene Co Skipperin Sophie von der berühmten KOTIK gingen dabei über Bord und konnten von der an Bord verbliebenen sechsköpfigen Crew nicht mehr geborgen werden. Stoff zum Nachdenken, und nicht zuletzt auch über unsere eigenen Sicherheitsvorkehrungen.

Als wir eines Morgens die »Caleta Amalia« verlassen, um ein paar Meilen in Richtung »Edén« gutzumachen erwartet uns unerwartet dichtes Treibeis im »Estero Amalia«. Wir schnappen uns gleich einen ordentlichen Brocken für den Kühlschrank. Dabei werden wir von einer Bande draufgängerischer Delphine belästigt, die auch etwas davon wollen. Immer wieder schnuffeln sie erwartungsvoll an unserer blauen Ikea Tüte, mit der wir das Eis auflesen. Danach folgen sie uns stundenlang durch dichtes Treibeis, das sie so viel geschickter umkurven, als wir. Über die »Caleta Poza de las Nutrias«, oder auch »Otter Pool«, den tiefen Fjord »Fondeadero Brumas Patagonia« tuckern wir in einigen friedlichen Tagen meist unter Motor bis zur »Caleta Refugio«, einer wildromantischen Bucht an der rauen Küste der »Isla Wellington«. Märchenhafte Plätze allesamt, umstanden von hohen Felswänden, umwabert von Nebelschwaden und dem Rauschen von Wasserfällen. Meist regnet es in Strömen, was ganz ok ist, schon wegen der neunmalvermaledeiten Gnitzen. Ein alter song von Nick Cave geht mir (M) tagelang nicht aus dem Kopf: »…and the rain pissed down upon me and washed me all away.« Cave war damals um die 30, und auf dem Höhepunkt seines Schaffens, so wie Neil Young nur ein paar Jahre vorher: »It’s better to burn out, than to fade away. My, my, hey, hey.« Ist es so, das jenseits der 30 ein langsames Dämmern beginnt, bis das Licht irgendwann aus ist? Und: »Das Licht das doppelt so hell brennt, brennt eben nur halb so lange,« ein altes Filmzitat aus »Blade Runner«… Haben wir etwa nicht hell genug gebrannt?

Irgendwann beginnen die Tage einander zu gleichen. Morgentee, dann Merinoschichten, Faserpelz, Ölzeug, Stiefel und Handschuhe aufrödeln, Motor an und hinaus in die tropfnassen Kanäle, die archaisch daliegen, graue und grüne Felswände mit weißen Wasserfallbärten unter tiefhängenden Regenwolken oder im Morgennebel. Zur Orientierung konsultieren wir im Zweifelsfall »The holy Bible«. Hin und wieder treffen wir auf eine andere Yacht, aber unsere Wege trennen sich meist bald wieder. Jeder von uns hat hier einen anderen, einen eigenen Rhythmus. Manch einer macht seine Meilen vormittags, ein anderer kreuzt in kurzen Schlägen gegenan, bis die Arme brennen (und die Segel verschlissen sind). Wieder anderen stinkt die Kälte, der Regen und die Gnitzen so sehr, das sie so viele Meilen in den Tag packt wie nur irgend möglich. Wir liegen da, wie wir glauben, irgendwo im kraftsparenden goldenen Schnitt. Eines Morgens verlassen wir bei strahlendem Sonnenschein die gemütliche »Caleta Apalá«, wo eine große, tobende Horde von verspielten Delphine wohnt, um die letzten Meilen nach »Puerto Edén« in Angriff zu nehmen.

»Puerto Edén«, ein kleiner Aussenposten der Zivilisation, ungefähr auf halber Strecke zwischen »Puerto Williams« und »Valdivia« gelegen, ein wichtiges Zwischenziel in dieser feuchten Wildnis. Wikipedia weiß dazu folgendes: »Villa Puerto Edén has an extremely wet subpolar oceanic climate, and is widely reputed to be the place in the world with the highest frequency of rainfall, though according to Guinness World Records the highest frequency of rain in a year occurred at Bahia Felix (oder auch »Caleta Wodsworth« genannt, sicher einer der schönsten Ankerplätze der Welt), a little further south, with only eighteen rainless days in the whole of 1916.« Na denn.

Als gegen Mittag unser Anker vor dem 170 Seelen Dorf fällt, ist der Himmel stahlblau, die Luft warm und die Bucht spiegelglatt. An Land eine Gruppe von hölzernen Häusern, Stegen und Fischerbooten, gelb, rot, weiß oder irgendetwas dazwischen. Es riecht nach Grillfeuern, Räucherfisch und blühenden Fuchsien. Aus einem Ghettoblaster treiben südamerikanische Balladen über das Wasser. Es ist nett hier. Die Dänen haben ein gutes Wort dafür: »Hyggelig«. Mit dem Dinghy besuchen wir die schon seit ein paar Tagen hier liegenden Holländer von der EASTERN STREAM und ziehen rasch die nötigen Erkundigungen ein. Zwei »Supermärkte« in zwei roten Häuschen führen nichts wesentliches. Gemüse und Obst nur am Sonntag Abend, wenn die Fähre aus »Puerto Montt« kommt, einklarieren dort drüben beim Armada Anleger, nix Internet. Landgang: Ein guter Holzsteg verbindet alle Häuser im Dorf, was schlammmäßig unbedingt Sinn macht. Auf dem Steg findet sich einiges pelziges Getier, zumeist sehr entspannte »Canidae« oder »Felidae«. Man scheint sich zu kennen und faulenzt zusammen in der Sonne. Wir beschließen ein wenig zu bleiben. In den nächsten Tagen soll es heftig aus Nord wehen. Und: Am Sonntag kommt die Fähre, hoffentlich mit frischem Obst. Tanken brauchen wir nicht. Der Dieselvorrat ist dank unserer bisher verhaltenen Fahrweise noch zur Hälfte vorhanden, und reicht von hier aus sicher bis in’s gelobte Land: »Isla Chiloé«, dort, wo wohlhabende Chilenen ihren Sommerurlaub verbringen. Unsere schwedischen Freunde von der CLARY schrieben in der letzten Woche von dort und vom ausgiebigen »basking and bathing«. Das klingt verführerisch. Leider liegen zwischen hier und »Chiloé« noch über 400 Seemeilen durch nasskalte Wildnis, und dazu der stürmische »Golfo de Penas«, der schon so vielen Seefahrern zum Verhängnis wurde. Wir werden es also ruhig angehen lassen.


Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch B und M / SY VERA / Puerto Edén / Isla Wellington / Chile



1 - Socken trocknen in der »Caleta Moonlight Shadow«.
Socken trocknen

2 - Unser Blick aus der »Caleta Amalia«.
Caleta Amalia

3 - Vor Sonnenaufgang in der »Caleta Amalia«.
Ein Morgen am Amaliagetscher

4 - Treibeis und Delphine im »Estero Amalia«.
Eis am Amaliagletscher

5 - Treibeis aus dem »Estero Amalia«.
Ein Film von B+M.

6 - Bei Tagesanbruch in Patagonien.
Morgens in Patagonien

7 - Delphine am Bug!
Action im Bugkorb

8 - Und hier der dazugehörige Delphinfilm.
Ein Film von B+M.

9 - VERA in »Puerto Edén«.
VERA in Eden

10 - Pelztier in »Puerto Edén«: Stinkefuß und Beinumschmeichler.
Ein Film von B+M.

11 - Wasserfälle im »Fondeadero Brumas Patagonia«.
Ein Film von B+M.

11 - Von der Straße des Magellan nach Puerto Edén.
Von der Magellanstraße nach Eden




001 - IN DIE STRASSE DES MAGELLAN

Hallo Ihr Lieben!

Nach den vorangegangenen, arbeitsintensiven Wochen der Vorbereitung auf die »Patagonian Channels« war unsere Abreise aus Puerto Williams dringend nötig und irgendwie auch überfällig. Ein gutes Jahr lang war die »Südlichste Ansiedlung der Welt« unser Heimathafen und »Base Camp« für den im Kielwasser der VERA liegenden Törn in die Antarktis. Nun reicht es. Ein Stapel Pizza noch mit den Freunden von der PELAGIC AUSTRALIS bei »Isabelle«, dann der Abschied. Traurig, wie so oft im Seglerleben. Dagegen helfen nur neue Ufer. Ein Wetterfenster tut sich auf: Zwei bis drei Tage Flaute aus Osten im berüchtigten »Beagle Kanal«, sehr selten, egal zu welcher Jahreszeit. Am Vorabend vor dem Auslaufen besorgen wir bei der Armada ein »Zarpe«, eine Genehmigung zur Weiterreise nach »Puerto Edén«. Auf halber Strecke nach Valdivia, mitten in der Patagonischen Wildnis gelegen, bietet dieser kleine Außenposten eine der ganz wenigen Möglichkeiten Diesel zu bunkern. Wir hoffen, die 700 Seemeilen gegen Sturm und Strom mit unseren vergleichsweise begrenzten Dieselvorräten zu schaffen. Der Morgen graut, kalt und nass: Landstromkabel und Wasserschlauch aufschießen, Motor an, ein Spinnennetz von Leinen loswerfen und klarieren, Rückwärtsgang einlegen, winken, Kelpfelder vermeiden, Fender einsammeln. Draussen Flaute, wie zugesagt, dazu Regen und schlechte Sicht. Achteraus verschwindet Puerto Williams im Niesel und Dunst. Es fühlt sich an wie ein Abschied auf immer. Zu verlockend der Gedanke an die Südsee…

Drei lange Tage lang motoren wir, durch einen verhangenen »Beagle Kanal« und endlosen Regen. Ein Segelrevier im eigentlichen Sinne ist diese Gegend nicht. Eine Nacht verbringen wir in der vertrauten »Caleta Olla«, dann geht es weiter gen Westen, vorbei an den mächtigen Gletschern am Wegesrand, die wir dieses mal leichten Herzens passieren. Im vergangenen Jahr waren wir hier auskömmlich unterwegs. Eine weitere nasse Nacht: Zuflucht in der wilden »Caleta Ancha« auf der «Isla Burnt«. Der Überlieferung nach entführte Kapitän Fitzroy auf dieser Insel einst ein kleines Yámana Mädchen und brachte sie später nach England. Mutmaßlich hatten sich die Eltern ein Beiboot der HMS BEAGLE unter die Nägel gerissen. Heute lebt dort kein Mensch mehr, nur Moose und Flechten und Pinguine vom Stamme »Spheniscus magellanicus«. Die dicht gedrängt beieinander stehenden Gruppen von filzigen Bäumen wissen, woher der Wind weht. Buckelwale plantschen im »Canal Ballenero«, dazu muntere Seebären, »Arctocephalinae«, Ohrenrobben also. Albatrosse gibt es auch. Sie sind bei Flaute beinahe flugunfähig. Rückt ihnen die VERA auf die Federn, sehen wir spektakuläre Startversuche mit höchstem Einsatz. Gelegentlich lässt sich die Sonne blicken und die Sicht bessert sich: An Backbord die Islas »Londonderry« und »Stewart«, von Fitzroy und seiner Crew erstmals vermessen und benannt. An Steuerbord die Bergketten der Darwin Kordilleren, schneebedeckte Gipfel bis über 2000 Meter hoch. Lange haben wir von diesem Anblick geträumt. Heute gehört er uns.

03. März 2019, »Caleta Brecknock«, gute 160 Seemeilen westnordwestlich von Puerto Williams gelegen. Wir liegen gut, mit vielen Landleinen längsseits an der türkisen Oyster Lightwave PAZZO von Willy und Cindy aus Seattle, die wir hier unerwartet aufgestöbert haben. Soweit haben wir es gut getroffen. Die Flaute hielt bis vor die Haustür. Unser kleiner Einschnitt in dieser fast kreisrunden Bucht ist sicher einer der schönsten Ankerplätze der Welt. Uns umschließt eine märchenhaft felsige Landschaft, die zur Erkundung einlädt, da man ausnahmsweise einmal nicht bis zur Hüfte im Modder versinkt, sondern nur bis zum Rand der Gummistiefel. Zwei Seen oberhalb der Bucht lassen sich erwandern, in ein paar Stunden auf und ab, über Bäche und Moose, über Stock und Stein und rundgeschliffene Granitfelsen, Aug’ in Aug’ mit Feen und Trollen. Danach schmeckt B’s Kaiserschmarren doppelt so gut und auch der Mittagsschlaf fühlt sich wohlverdient an. Dinner an Bord der VERA mit Willy und Cindy, Drinks mit Gletschereis vom Italia Gletscher am »Beagle Kanal«. Gute Gespräche. Alles bestens.

Ein paar Tage später, vor Anker in der »Caleta Mussels«. Es heult ums Haus, 40 Knoten aus Westen, Regenböen, das übliche in dieser Gegend. Wir haben die »Estrecho de Magallanes«, die Magellanstraße erreicht, an einem guten, langen Tag mit schwachen südwestlichen Winden, durch den »Canal Barbara« mit seinen unberechenbaren Eddies und starken Tidenströmen. PAZZO hat sich mit Landleinen in eine kleine Nische in der Nähe verholt, die vollkommen im Windschatten liegt. Gute Idee. Andererseits erzeugen unsere beiden kleinen Windgeneratoren hier draussen ausreichend Strom für unsere winzige Insel der Zivilisation.

Der Portugiese Magellan war nicht der erste Mensch in dieser feuchten und windigen Wildnis. Abgesehen von der indigenen Besiedlung durch die Selk'nam und die Yaghan, gab es in Europa bereits früher Gerüchte über eine schiffbare Meerenge zwischen Atlantik und Pazifik. António Galvão schrieb im Jahre 1563 über eine alte Karte, und eine obskure Passage tief im Süden der neuen Welt, die dort als »Draco Cola«, der Drachenschwanz eingezeichnet sei, lange vor der Reise des Magellan: »A map which had been found in the Cartorio of Alcobaça, which had been made more than 120 years before.«

Dennoch: »Estrecho de Magallanes«, was für ein Name! Fernão de Magalhães, Thomas Cavendish, Louis Antoine de Bougainville, Antonio de Córdova und Joshua Slocum erlebten in diesen Gewässern ihre Abenteuer. Wir segeln, äh… motoren, im Kielwasser der HMS BEAGLE und Charles Darwins. Wie unendlich mühsam muss es gewesen sein, einen rahgetakelten Großsegler in diesen Gewässern voranzubringen, gegen Wind und Strom! Magalhães und seine Männer schafften es Ende 1520 vom Atlantik kommend in nur sechs Wochen den Ausgang zu einem ihnen unbekannten Ozean zu erreichen, den der Kapitän »Mar Pacifico« nannte, weil er so friedlich vor ihm lag. Ob sie ihre schweren und unhandlichen Galeonen an guten Tagen mit den Beibooten schleppten, oder bei Wind irgendwie mit ihren beuteligen Leinwandsacksegeln aufkreuzten, wissen wir nicht. Bloß gut, das wir den uralten, grünen und sehr zuverlässigen Herrn VOLVO auf unserer Seite haben. 62 Pferdestärken, die einem das Leben sehr erleichtern, wenn es darauf ankommt. Gut auch, das wir über IRIDIUM jederzeit Zugriff auf das recht verlässliche NOAA Wettermodell GFS haben. Heute brauchen wir nicht raus und morgen auch nicht. Westnordwest Stärke acht, Schauerböen, Dauerregen, Kälte. Dinner an Bord der PAZZO. Lecker.

12. März: Es ist es soweit. Ostwind, wie vom GFS versprochen, unglaublich selten in dieser Gegend. PAZZO zieht Groß und Spinnacker und fährt lässig an uns vorbei. Unsere kleine Yankee Genua tut es aber auch. Am Abend erreichen wir die »Caleta Wodsworth« im Ausgang der Magellanstraße, einen Ort der so verwunschen wirkt, das es nicht zu beschreiben ist. Ein großer Wasserfall hängt in den Granitwänden wie ein weißer Bart und rauscht uns nach dem Dinner in den Schlaf. Dies ist mit Sicherheit einer der schönsten und spektakulärsten Ankerplätze der Welt, spektakulärer noch als »Caleta Brecknock«. Wenn wir doch nur bleiben könnten… Doch der Respekt vor dem zornigen Westwind lässt uns keine Wahl. Noch vor Sonnenaufgang gehen wir Anker auf und segeln weiter, diesmal nach Norden, über die breite Mündung der Straße des Magellan. Im berühmt berüchtigten, zumeist unpassierbaren »Canal Smyth«, in dem es eigentlich immer von vorne hämmert, regnet und gegenan strömt, genießen wir in der Folge einen fantastischen Tag mit absoluter Flaue, sengender Sonne und unglaublicher Fernsicht auf die Eisriesen der Kordilleren. Celebdil, Fanuidhol, Caradhras, die Berge von Moria. Die Waschmaschine läuft drei Runden lang. Wäscheberge trocknen in den Wanten und über dem Großbaum. Wir duschen lange und ausgiebig. Was für eine Wohltat. Am »Paso Shoal« liegt das Wrack des amerikanischen Dampfers SANTA LEONOR hoch und trocken auf den Felsen, ein rostrotes Mahnmal. Nichts wie vorwärts, solange unser Glück hält.

Unser Glück und das Wissen um den nächsten gastlichen Zufluchtsort verdanken wir zu einem nicht unerheblichem Teil unserem sorgfältig gemachten Nautischen Führer, den Insider nur »The Holy Bible« nennen. Mariolina Rolfo und Giorgio Ardrizzi haben Jahrzehnte darauf verwendet, dieses Labyrinth von schlecht kartierten Fjorden und Kanäle mit ihrer Ketsch SAUDADE (Amel Sharki) nach geeigneten Ankerplätzen zu durchkämmen. Also: Falls Ihr von Patagonien träumt, dann besorgt Euch diesen Wälzer: »Patagonia & Tierra del Fuego - Nautical Guide 3rd Edition«, im »Nutrimenti Mare« Verlag erschienen und online erhältlich. Ideale Lektüre am Kamin, am besten genossen im kuscheligen Ohrensessel, und möglichst ohne drei Lagen Merino, Faserpelz, Ölzeug und Seestiefel.

»The Holy Bible« empfiehlt für heute die »Caleta Isthmus«, die wir mit der PAZZO bei Sonnenuntergang erreichen. Ein Abend und eine Nacht fürs Poesiealbum. Die Zeit steht still. Absolute Flaute, das Wasser spiegelglatt. Es reflektiert die Milchstraße und das Sternbild Orion. Es ist so still, das ich (M) mein eigenes Herz schlagen höre (und das Knacken meiner Halswirbel). Ein Wendepunkt? Das Ende der Schaffenszeit und der Beginn des Alters? »Oh Kheled-zâram fair and wonderful! There lies the Crown of Durin till he wakes. Farewell!«

Wir müssen weiter. Die »Caleta Isthmus« ist berühmt für ihre »Williwaws«, Fallböen, die eine Yacht aus dem Wasser reißen können. Cindy und Willy von der PAZZO zieht es ostwärts nach »Puerto Natales«. Dort kann man einkaufen, tanken, oder über die nahe Grenze nach Argentinien fahren, um die VISA zu erneuern. Ein beträchtlicher Umweg, den wir uns ersparen wollen. In Puerto Williams haben wir für nur wenig Zen und eine Runde Summe Dollar eine dreimonatige VISA Verlängerung besorgt. Auch der Dieselvorrat reicht nun sicher bis »Puerto Edén«, unserem bisherigen Wetterglück sei Dank. Die Flaute hält. Vom »Canal Collingwood« geht es in den »Canal Sarmiento«, eng und steil. Für Boote, die nach Norden wollen gilt er, so unsere »Bible«, als absolut unpassierbar, sobald der Nordwestwind dort die Orgel spielt. Und das soll er, ab morgen früh, auf unbestimmte Zeit. Wir bleiben also bis zum Abend dran. Die wildromantische »Caleta Moonlight Shadow« liegt ganz am Ende eines langen, engen Seitenfjordes. Muntere, fettgefressene Delphine begrüßen uns übermütig auf dem Weg hinein und schlagen Purzelbäume. »Nur« noch 170 Seemeilen nach »Puerto Edén«. Das kühle »Austral« ist also wohlverdient. Doch die Orgel holt Luft: Bösartig dreinblickende Zirren ziehen auf. Die Ruhe vor dem Sturm. Wie werden wohl ein paar Tage bleiben müssen.

Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch B und M / SY VERA / Caleta Moonlight Shadow / Isla Piazzi / Chile



1 - Flaute und Regen in den Patagonischen Kanälen.
Nieselregen in den Kanälen

2 - Abschied vom mächtigen »Seño Pia«. Diesmal fahren wir leichten Herzens vorbei.
Blick in den Seño Pia

3 - Ein aufgescheuchter Albatross.
Albatross startet

4 - Die Darwin Kordilleren an Steuerbord.
Darwin Kordilleren

5 - »Caleta Brecknock«: Ein felsiges Refugium.
Brecknock Reflexe

6 - VERA und PAZZO in der »Caleta Brecknock«, einem der schönsten Ankerplätze der Welt.
VERA und PAZZO in Brecknock

7 - Einer der vielen großen Gletscher am »Kanal Barbara«.
Kanal Barbara

8 - Im »Kanal Barbara«. Voraus segelt die PAZZO auf den berüchtigten »Paso Shag« zu.
Vor dem Paso Shag

9 - »Kanal Barbara«: Mit der PAZZO hoch am Wind.
SY PAZZO hoch am Wind

10 - Südostwind in der Straße des Magellan.
In der Magellanstraße

11 - Sonnenaufgang in der Straße des Magellan.
Sonnenaufgang Magellan

12 - Celebdil, Fanuidhol, Caradhras, Eisriesen in den Kordilleren.
Die Berge von Moria

13 - Plünnen trocknen im »Kanal Smyth«.
Wäsche trocknet im Kanal Smyth

14 - Das Wrack des amerikanischen Dampfers SANTA LEONOR hoch und trocken am »Paso Shoal«.
SS SANTA LEONOR

15 - Unsere Route in die Magellanstraße und weiter in den »Kanal Sarmiento«.
Karte Magellanstraße