003 - DRAKE PASSAGE: NACH DECEPTION ISLAND
06/01/19 00:00
Hallo Ihr Lieben!
Nach den vorangegangenen, arbeitsintensiven Wochen der Vorbereitung war die Abreise aus Puerto Williams am Tag nach der gelungenen und gut begrillten kollektiven Weihnachtsfeier nochmal extra stressig. Ausklarieren, diverse Einkäufe der letzten Minute stauen, ein Spinnennetz von Leinen loswerfen, e-mail Adressen austauschen, winken. Dann sind wir endlich los. Zum runterkommen buchteln wir uns in zwei Tagen über »Caleta Lennox« nach »Caleta Martial«, keine zehn Seemeilen vom Hoorn der Hörner entfernt. Kaum ist der Anker drin, heult es auch schon los. Harte Regenböen aus NW, die ganze Nacht. Ein irrer Platz, aber ganz gut geeignet um ein letztes mal auszuschlafen. Kap Hoorn empfängt uns morgens mit NW 7 und einem interessant gestaffeltem Seegang, so wie beim letzten mal im vergangenen März. Allerdings sind unsere Seebeine durch das Jahr Fjorde und Wandern nicht besser geworden. Trotz aller Vorkehrungen füttern wir gemeinsam die Fische, bis einige Stunden später das Kontinentalschelf steil gen Süden abbricht und die See wieder ruhiger atmet. Große Albatrosse zirkeln uns ein. NE 5-6 jetzt, über das Backstag. Alles bestens.
29. Dezember 2018, »Drake Passage«, gute 180 Seemeilen südlich von Kap Hoorn. Flaute auf einer alten Kabbelwelle auf langer Dünung aus NW. Kurs auf die Südshetland Inseln. Das Baro fällt wie ein Stein. 985 Millibar jetzt. Wind ist im Anmarsch, viel Wind. NW diesmal, so orakelt das GFS. Der frisch gewartete Volvo schnurrt. Schleichfahrt. Draussen dichter Nebel, keine hundert Meter Sicht. Es riecht nach Eis, oder? Vermutlich Einbildung. Auf unserem neuen Radar, das sich neuerdings mit dem Apple Laptop angefreundet hat, ist ringsum nichts zu sehen. Kein Schiff, kein Eis.
30. Dezember, 61 Grad Süd. Auf dieser Breite hatte Cook auf seiner ersten Reise genug. Später gelangte er auf einer anderen Länge sogar bis auf 71 Grad Süd, fand aber auch dort nirgends Land, nur Nebel und Eisberge. Wir dagegen segeln mit genauen Karten und metergenauer, vollautomatischer Satellitenpeilung. Wir wissen also, dank der Leistung anderer, das die Antarktis südöstlich von hier eine langgestreckte Halbinsel aufweist, mit etlichen vorgelagerten Inseln, den Südshetlands. Zu diesen gehört auch die Vulkaninsel »Deception«, einst das Herz der internationalen Walfangszene. Womöglich ist sie aber auch manchem deutschen Blauwassersegler ein Begriff. Schließlich strandete dort das berühmte Seglerpaar Heide und Erich Wilts mit ihrer Segelyacht FREYDIS Anfang der Neunziger in einem schweren Sturm, überlebte einen langen, einsamen Winter, und schrieb den Bestseller »Gestrandet in der weissen Hölle«. Ein Traumziel also. Noch 100 Seemeilen. Draussen grau in grau auf tintenblauem Grund bei knackig kaltem NW, eine eigenartig fahl helle Nacht, die jetzt im Hochsommer nur wenige Stunden dauert. Kalt ist‘s, saukalt. Keine Sau weit und breit. Aber die VERA fliegt dahin. Neun Knoten unter gerefftem Groß, Kutter und Genua auf eigenartig glatter See.
Im Morgengrauen erreichen wir wohlbehalten die »Boyd Strait«, die Durchfahrt zwischen »Snow Island« und »Smith Island«. B sieht Eis. Ein mächtiger, strahlend weißblauer Eisberg liegt mitten in der Einfahrt, umgeben von gefährlichen kleinen »Growlern«, Eisstücken von LKW Größe, die beim Aufprall böse Schäden verursachen dürften. Wir müssen aufpassen, und draussen Eiswache gehen. Ein cooler Job, auch weil um uns herum ganze Herden von Pinguinen plantschen. Zum Glück ist der Wind weg, wie abgestellt. Der Volvo läuft. Gegen Mittag steigt die Vulkaninsel »Deception« vor uns aus dem Nebel. Die enge Einfahrt in den Kratersee trägt einen furchterregenden Namen: »Neptunes Bellows«, »Das Brüllen Neptuns« und sieht auch so aus: Nadelscharfe Klippen, senkrechte Felswände. Zum Glück ist der Hausherr heute ausser Haus. Wir kommen also ungeschoren durch. Ein einmaliges Panorama öffnet sich vor dem Bug der VERA: Die überflutete Caldera des alten Vulkans. Rechts die alte Walfangbasis in der »Whalers Bay« mit rostigen Trankochern, runden Tanks, dazu verfallene Holzhäuser. Hier muss es einst hoch hergegangen sein, als sich mit Walfang noch das große Geld verdienen ließ. Heute hat sich da etwas surreal verschoben. Große Kreuzfahrtschiffe liegen in der »Whalers Bay« und spucken aberhunderte von Goretextouristen auf den heißen Strand mit seinen rauchenden Fumarolen. Nix für uns. Am anderen Ende des Kraters liegt die kleine, gut geschützte »Telefon Bay«. Der Anker fällt am frühen Abend und hält. Am schwarzen Strand liegt ein Stapel Seeelefanten faul herum und ignoriert uns. Heute ist Sylvester, gutes Timing also. Wir essen Toast mit Guacamole, stoßen an und fallen ins Bett. Nach UTC ist es ja auch schon Neujahr, das für uns mit dem ganz großen Abenteuer beginnt. Immerhin haben wir mit etwas Glück das beste aus diesem recht kurzen Wetterfenster gemacht. Einmal mehr zeigt sich, das die hohen Etmale, zu der die alte VERA noch immer fähig ist, nicht nur der Sicherheit zuträglich sind, sondern auch der Bequemlichkeit dienen. Ihre Konstrukteure Olin und Rod Stephens wussten worauf es auf See ankommt.
Am frühen Morgen trifft die australische HAIYOU (Chinesisch für »Meeresfreund«, Garcia 45 Exploration, nagelneu, Liftkiel, Eisklasse, beheiztes Panzerglasdeckshaus) mit ihrer französisch, chinesisch, argentinischen Dreiercrew ein, und liegt am Morgen friedlich neben uns. Als sich dort bis zum frühen Nachmittag nichts rührt und auch auf dem UKW keine Antwort kommt, beginnen wir uns Sorgen zu machen. Kohlenstoffmonoxidvergiftung nach durchfeierter Sylvesternacht? Immerhin haben Chris und Lynn erst vor kurzem einen dieser herrlich zuverlässigen Killeröfen eingebaut, so einen, mit sichtbaren Flammen und rußendem Schlot an Deck. Eben machen wir das Dinghy klar, um die vermutlich grauenhafte Szene in Augenschein zu nehmen, als Chris an Deck kommt und winkt. Gleich sitzen wir bei Café und Kuchen beisammen. Nix Kohlenstoffmonoxidvergiftung, nur Erschöpfung nach der harten Segelei. Und natürlich haben sie Kohlenstoffmonoxidmelder der neuesten Bauart, mit Fühlern in allen Kabinen und »App« Steuerung vom Iphone aus. Die Anlage hat sie heute Nachmittag tatsächlich geweckt, aber nicht wegen CO Alarm, sondern weil sie ihren gewohnten WIFI Zugang vermisst, mit dem sie normalerweise alle relevanten Messwerte zur Auswertung ins Netz stellt. Hightech.
Gleich gegenüber der »Telefon Bay« liegt die kleine »Pendulum Cove«, nach einem wissenschaftlichen Experiment zur Vermessung der tatsächlichen Form des Erdballs benannt. Bei Schneesturm aus NE, Null Sicht und eisigen Temperaturen verbringen wir einen Tag und eine Nacht dort mit unserer Eberspächer unter Deck, lesend, schreibend, kochend, essend und schlafend, bevor wir uns mit der Wetterbesserung endlich in die berühmte »Whalers Bay« verholen können, wo derzeit einmal kein Kreuzfahrtschiff liegt. Landgang: Die beim Ausbruch des Vulkans Ende der 60er Jahre zerstörte Britische Forschungsstation und die rostigen Reste eines ganzen Jahrhunderts mörderischen Walfangs in großindustriellem Stil bietet jede Menge Sehenswertes. Dazu heiße Fumarolen auf schwarzem Strand, auf dem sich eine Truppe cleverer Pinguine die Federn und und einige Seeleoparden ihre mit Pinguinen fettgefressenen Bäuche wärmen. Leben um gefressen zu werden. Das gibt zu denken.
Zu denken gibt uns auch der vor uns liegende Törn, der uns weiter gen Süden, nach »Trinity Island« führen soll. Mehr Kälte, mehr Eis, schlechte Ankerplätze, mehr Risiko, das ein wenig auf den Magen schlägt. Das GFS Wettermodell für die nächsten Tage sieht soweit ok aus. Drückt uns also die Daumen.
Herzliche Grüße und ein frohes und glückliches neues Jahr wünschen Euch B und M / SY VERA / Deception Island / South Shetlands / Antarctica
1 - Fotogene Klippen am »Cabo Deceit«, nur wenige Seemeilen gleich gegenüber von Kap Hoorn gelegen.

2 - Ruhige Drake Passage. B klappert mit den Töpfen. Ein Film von B+M.
3 - Sonnenaufgang über der Antarktis.

4 - Karte Drake Passage.

5 - Unser erster Eisberg.

6 - »Deception Island« voraus.

7 - VERA und BOUNCE in der »Telefon Bay« / »Deception Island«.

8 - Die alten Trankocher in der »Whalers Bay« / »Deception Island«.

9 - »Deception Island«: Zügelpinguine wärmen sich ihre fedrigen Hinterteile im heißen Sand.

10 - Und hier der dazugehörige Zügelpinguinfilm. Ein Film von B+M.
Nach den vorangegangenen, arbeitsintensiven Wochen der Vorbereitung war die Abreise aus Puerto Williams am Tag nach der gelungenen und gut begrillten kollektiven Weihnachtsfeier nochmal extra stressig. Ausklarieren, diverse Einkäufe der letzten Minute stauen, ein Spinnennetz von Leinen loswerfen, e-mail Adressen austauschen, winken. Dann sind wir endlich los. Zum runterkommen buchteln wir uns in zwei Tagen über »Caleta Lennox« nach »Caleta Martial«, keine zehn Seemeilen vom Hoorn der Hörner entfernt. Kaum ist der Anker drin, heult es auch schon los. Harte Regenböen aus NW, die ganze Nacht. Ein irrer Platz, aber ganz gut geeignet um ein letztes mal auszuschlafen. Kap Hoorn empfängt uns morgens mit NW 7 und einem interessant gestaffeltem Seegang, so wie beim letzten mal im vergangenen März. Allerdings sind unsere Seebeine durch das Jahr Fjorde und Wandern nicht besser geworden. Trotz aller Vorkehrungen füttern wir gemeinsam die Fische, bis einige Stunden später das Kontinentalschelf steil gen Süden abbricht und die See wieder ruhiger atmet. Große Albatrosse zirkeln uns ein. NE 5-6 jetzt, über das Backstag. Alles bestens.
29. Dezember 2018, »Drake Passage«, gute 180 Seemeilen südlich von Kap Hoorn. Flaute auf einer alten Kabbelwelle auf langer Dünung aus NW. Kurs auf die Südshetland Inseln. Das Baro fällt wie ein Stein. 985 Millibar jetzt. Wind ist im Anmarsch, viel Wind. NW diesmal, so orakelt das GFS. Der frisch gewartete Volvo schnurrt. Schleichfahrt. Draussen dichter Nebel, keine hundert Meter Sicht. Es riecht nach Eis, oder? Vermutlich Einbildung. Auf unserem neuen Radar, das sich neuerdings mit dem Apple Laptop angefreundet hat, ist ringsum nichts zu sehen. Kein Schiff, kein Eis.
30. Dezember, 61 Grad Süd. Auf dieser Breite hatte Cook auf seiner ersten Reise genug. Später gelangte er auf einer anderen Länge sogar bis auf 71 Grad Süd, fand aber auch dort nirgends Land, nur Nebel und Eisberge. Wir dagegen segeln mit genauen Karten und metergenauer, vollautomatischer Satellitenpeilung. Wir wissen also, dank der Leistung anderer, das die Antarktis südöstlich von hier eine langgestreckte Halbinsel aufweist, mit etlichen vorgelagerten Inseln, den Südshetlands. Zu diesen gehört auch die Vulkaninsel »Deception«, einst das Herz der internationalen Walfangszene. Womöglich ist sie aber auch manchem deutschen Blauwassersegler ein Begriff. Schließlich strandete dort das berühmte Seglerpaar Heide und Erich Wilts mit ihrer Segelyacht FREYDIS Anfang der Neunziger in einem schweren Sturm, überlebte einen langen, einsamen Winter, und schrieb den Bestseller »Gestrandet in der weissen Hölle«. Ein Traumziel also. Noch 100 Seemeilen. Draussen grau in grau auf tintenblauem Grund bei knackig kaltem NW, eine eigenartig fahl helle Nacht, die jetzt im Hochsommer nur wenige Stunden dauert. Kalt ist‘s, saukalt. Keine Sau weit und breit. Aber die VERA fliegt dahin. Neun Knoten unter gerefftem Groß, Kutter und Genua auf eigenartig glatter See.
Im Morgengrauen erreichen wir wohlbehalten die »Boyd Strait«, die Durchfahrt zwischen »Snow Island« und »Smith Island«. B sieht Eis. Ein mächtiger, strahlend weißblauer Eisberg liegt mitten in der Einfahrt, umgeben von gefährlichen kleinen »Growlern«, Eisstücken von LKW Größe, die beim Aufprall böse Schäden verursachen dürften. Wir müssen aufpassen, und draussen Eiswache gehen. Ein cooler Job, auch weil um uns herum ganze Herden von Pinguinen plantschen. Zum Glück ist der Wind weg, wie abgestellt. Der Volvo läuft. Gegen Mittag steigt die Vulkaninsel »Deception« vor uns aus dem Nebel. Die enge Einfahrt in den Kratersee trägt einen furchterregenden Namen: »Neptunes Bellows«, »Das Brüllen Neptuns« und sieht auch so aus: Nadelscharfe Klippen, senkrechte Felswände. Zum Glück ist der Hausherr heute ausser Haus. Wir kommen also ungeschoren durch. Ein einmaliges Panorama öffnet sich vor dem Bug der VERA: Die überflutete Caldera des alten Vulkans. Rechts die alte Walfangbasis in der »Whalers Bay« mit rostigen Trankochern, runden Tanks, dazu verfallene Holzhäuser. Hier muss es einst hoch hergegangen sein, als sich mit Walfang noch das große Geld verdienen ließ. Heute hat sich da etwas surreal verschoben. Große Kreuzfahrtschiffe liegen in der »Whalers Bay« und spucken aberhunderte von Goretextouristen auf den heißen Strand mit seinen rauchenden Fumarolen. Nix für uns. Am anderen Ende des Kraters liegt die kleine, gut geschützte »Telefon Bay«. Der Anker fällt am frühen Abend und hält. Am schwarzen Strand liegt ein Stapel Seeelefanten faul herum und ignoriert uns. Heute ist Sylvester, gutes Timing also. Wir essen Toast mit Guacamole, stoßen an und fallen ins Bett. Nach UTC ist es ja auch schon Neujahr, das für uns mit dem ganz großen Abenteuer beginnt. Immerhin haben wir mit etwas Glück das beste aus diesem recht kurzen Wetterfenster gemacht. Einmal mehr zeigt sich, das die hohen Etmale, zu der die alte VERA noch immer fähig ist, nicht nur der Sicherheit zuträglich sind, sondern auch der Bequemlichkeit dienen. Ihre Konstrukteure Olin und Rod Stephens wussten worauf es auf See ankommt.
Am frühen Morgen trifft die australische HAIYOU (Chinesisch für »Meeresfreund«, Garcia 45 Exploration, nagelneu, Liftkiel, Eisklasse, beheiztes Panzerglasdeckshaus) mit ihrer französisch, chinesisch, argentinischen Dreiercrew ein, und liegt am Morgen friedlich neben uns. Als sich dort bis zum frühen Nachmittag nichts rührt und auch auf dem UKW keine Antwort kommt, beginnen wir uns Sorgen zu machen. Kohlenstoffmonoxidvergiftung nach durchfeierter Sylvesternacht? Immerhin haben Chris und Lynn erst vor kurzem einen dieser herrlich zuverlässigen Killeröfen eingebaut, so einen, mit sichtbaren Flammen und rußendem Schlot an Deck. Eben machen wir das Dinghy klar, um die vermutlich grauenhafte Szene in Augenschein zu nehmen, als Chris an Deck kommt und winkt. Gleich sitzen wir bei Café und Kuchen beisammen. Nix Kohlenstoffmonoxidvergiftung, nur Erschöpfung nach der harten Segelei. Und natürlich haben sie Kohlenstoffmonoxidmelder der neuesten Bauart, mit Fühlern in allen Kabinen und »App« Steuerung vom Iphone aus. Die Anlage hat sie heute Nachmittag tatsächlich geweckt, aber nicht wegen CO Alarm, sondern weil sie ihren gewohnten WIFI Zugang vermisst, mit dem sie normalerweise alle relevanten Messwerte zur Auswertung ins Netz stellt. Hightech.
Gleich gegenüber der »Telefon Bay« liegt die kleine »Pendulum Cove«, nach einem wissenschaftlichen Experiment zur Vermessung der tatsächlichen Form des Erdballs benannt. Bei Schneesturm aus NE, Null Sicht und eisigen Temperaturen verbringen wir einen Tag und eine Nacht dort mit unserer Eberspächer unter Deck, lesend, schreibend, kochend, essend und schlafend, bevor wir uns mit der Wetterbesserung endlich in die berühmte »Whalers Bay« verholen können, wo derzeit einmal kein Kreuzfahrtschiff liegt. Landgang: Die beim Ausbruch des Vulkans Ende der 60er Jahre zerstörte Britische Forschungsstation und die rostigen Reste eines ganzen Jahrhunderts mörderischen Walfangs in großindustriellem Stil bietet jede Menge Sehenswertes. Dazu heiße Fumarolen auf schwarzem Strand, auf dem sich eine Truppe cleverer Pinguine die Federn und und einige Seeleoparden ihre mit Pinguinen fettgefressenen Bäuche wärmen. Leben um gefressen zu werden. Das gibt zu denken.
Zu denken gibt uns auch der vor uns liegende Törn, der uns weiter gen Süden, nach »Trinity Island« führen soll. Mehr Kälte, mehr Eis, schlechte Ankerplätze, mehr Risiko, das ein wenig auf den Magen schlägt. Das GFS Wettermodell für die nächsten Tage sieht soweit ok aus. Drückt uns also die Daumen.
Herzliche Grüße und ein frohes und glückliches neues Jahr wünschen Euch B und M / SY VERA / Deception Island / South Shetlands / Antarctica
1 - Fotogene Klippen am »Cabo Deceit«, nur wenige Seemeilen gleich gegenüber von Kap Hoorn gelegen.

2 - Ruhige Drake Passage. B klappert mit den Töpfen. Ein Film von B+M.
3 - Sonnenaufgang über der Antarktis.

4 - Karte Drake Passage.

5 - Unser erster Eisberg.

6 - »Deception Island« voraus.

7 - VERA und BOUNCE in der »Telefon Bay« / »Deception Island«.

8 - Die alten Trankocher in der »Whalers Bay« / »Deception Island«.

9 - »Deception Island«: Zügelpinguine wärmen sich ihre fedrigen Hinterteile im heißen Sand.

10 - Und hier der dazugehörige Zügelpinguinfilm. Ein Film von B+M.
002 - EIN WINTER IM SÜDEN CHILES
03/12/18 00:00
Hallo Ihr Lieben!
Wie im Flug sind sieben Monate vergangen seit unserem letzten Newsletter. Hier also endlich die neue Ausgabe:
In Puerto Williams, dem kleinen chilenischen Marinestützpunkt am Ende der Welt geht ein langer, einsamer Winter zu Ende. Im Päckchen an der alten MICALVI herrschte lange Zeit Frieden. Den alten Dampfer teilten wir uns eigentlich nur mit Jean Yves und Claire von der NATZIQ, die ich (M) nicht leiden kann. So blieben wir meist unter uns, so unter uns, das es jetzt im Frühling schon fast stört, wenn junge, gut gelaunte Backpacker ganz in Goretex, langen Objektiven, Selfysticks und smarten Phones auf Deck der MICALVI picknicken und an »unserem« Internet suckeln, das nur an guten Tagen etwas Bandbreite hat.
Die ersten drei Wintermonate ohne richtige Heizung waren saukalt. Fünf bis zehn Grad tagsüber unter Deck, mit einem 2000 Watt Heizlüfter aus dem porösen MICALVI Landstromanschluss, zehn Ampere bei 180 Volt, falls kein Stromausfall… Drei Lagen Merino, darüber Daunen, des Nachts zwei Wärmflaschen. Und sonst? Eiswürfel für einen Drink kommen direkt aus dem Wasserhahn, weitere Wärmflaschen liegen nachts auf den Wassermachermebranen. Fleissiges Schneeschaufeln macht Sinn, weil das Wasser sonst nicht mehr aus den Waschbecken läuft, wegen des Gewichtes an Deck, das die VERA versenken will. WC geht nicht: Kleine Fische verstopfen die Pumpe. Wir haben uns daran gewöhnt, das auf der MICALVI eigentlich immer irgendetwas fehlt. Internet ist Glücksache. Gelegentlicher Euphorie erzeugender Highspeed wechselt sich ab mit Wochen der Abstinenz, etwa weil der Router zur »Maintenance« abgeholt wurde. Etwas für Stoiker in der Ausbildung. Alle paar Wochen gibt es fließend Wasser, nämlich immer dann, wenn zwanzig Marineklempner in schicken Uniformen gleichzeitig die durchgefrorenen Leitungen und die geborstenen Absperrhähne frisch verlöten. Manchmal gibt es auch warmes Wasser in der unbeheizten einmeterneunundsechzighohen MICALVI Dusche. Schon wieder duschen? Nächsten Monat reicht doch auch. Gedanken an Luxus: Ein richtiger Stromanschluss, eine heiße Badewanne, eine bayrische Brezen mit Butter, ein französischer Bäcker, ein Wiener Schnitzel, eine Weihnachtsgans, ein richtiger Supermarkt mit frischer Milch und drei Sorten griechischem Sahneyoghurt, Breitbandinternet frisch aus der Leitung, so wie daheim. Daheim? Wo ist das? Es hilft auch nicht, das das ehemals beste »watering hole« des Südens, die vielgerühmte Bordbar der MICALVI, nicht mehr betrieben wird. Der Dampfer ist im Besitz der chilenischen Marine, die die Konzession aus verschiedenen Gründen nicht erneuern will. Zu hohe Einnahmen des Pächters? Zu viele betrunkene Segler? Der schlechte Einfluss auf die Gemeinde? Wir wissen es nicht. Nun ist die Bar tot, aber an manchen Tagen heizt Francisco den Ofen ein, und dann sitzen B + ich nach unsere täglichen Wanderung ganz allein in bequemen, lederbezogenen Sesseln auf der Brücke der MICALVI am Kartentisch hinter dem großen Ruderrad, blicken über den Bug des alten Dampfers auf den Beagle Kanal und essen unseren Haferbrei. Manchmal feiert die Marine hier ihre offiziellen Empfänge, oder eine Tanzveranstaltung. Dann sieht man hier viele prächtige Galauniformen mit goldenen Tressen und vielen Streifen und Winkeln. Manches möchte man hier lieber nicht hinterfragen. Nur so viel: Ein wenig riecht man sie noch, die alte Militärdiktatur.
Die Lage bessert sich, als Ende Juli nach endlosem Zen und hunderten von Zoll bedingten e-mails unsere Ersatzheizung eintrifft und problemlos läuft. Mit heißem Wasser lassen sich fettige Teller und Töpfe einfach besser reinigen und auch das Duschen draussen im Cockpit wird zum Genuss… gut. Gut auch unsere täglichen Exkursionen in die Wildnis, die gleich hinter der MICALVI beginnt. Ganz erstaunlich, welchen Wandel man beobachten kann, wenn man denselben Pfad immer wieder betritt: Spuren im hüfthohen Schnee, bei stahlblauem Himmel und absoluter Flaute, oder bei Schneesturm und ohne jede Sicht. Das Knarren uralter Bäume im Wind, unter der Last des Schnees, oder mit den ersten zarten Blüten des Frühlings. Die schneebedeckten Berge Feuerlands, am gegenüberliegenden Ufer des Beagle Kanals, mit langen Schneefahnen im schweren Sturm, oder friedlich daliegend, in der Mittagssonne. Dort! Die ersten Gänseblümchen auf der Wiese. Neu angeschwemmtes Treibgut am Strand, Muscheln, Gräten, Holz und Walknochen, aber auch tote Pinguine und einiger Plastikmüll, Schuhe, Flaschen oder Fischernetze, tolles Material für Skulpturen, die nie jemand bauen wird. Anfangs fliehen die halbwilden, strubbeligen Pferde sobald sie uns sehen, oder schicken ihren Hengst zur Verteidigung der winzigen Fohlen. Nun ignorierten sie uns, mit ihren pelzigen Hintern im Windschatten von Findlingen oder Krüppelbuchen, oder sie betteln um Mohrrüben. Die halbwilden Kühe, die wir Bisons nennen, verhalten sich ähnlich, so wie die bunten Spechte. Nur die vielen Seevögel fliegen noch immer auf, zeternd und protestieren, sobald B+ich ihnen am Strand auf die Federn rücken.
September: Die Tage werden nun merklich länger, weniger Schnee, dafür Aprilwetter. In Puerto Williams gehören wir zum Inventar, jedenfalls ein bisschen. Wir treffen den »Schweizer« im Museum, beim Diavortrag über den Untergang der HMS WAGER. Er hat über Freunde in Punta Arenas Gerüchte gehört, das dort seit langem ein Paket für uns beim Postamt liegt. Ingrid vom Minimarkt schenkt uns bei jedem Einkauf Schokolade und die Kellnerin im Café an der Fähre weiss, welchen Kaffee und welchen Kuchen wir bevorzugen. Barry von der SPAILPIN ist da und hilft uns beim Pisco Sour trinken. Der nette Amerikaner fliegt für jeweils sechs Wochen nach Saudi Arabien, um dort als Hubschrauberpilot für die Ölindustrie zu arbeiten, dann wieder nach Puerto Williams, um sein Boot für die Antarktis vorzubereiten. SPAILPIN ist die erste private US -Amerikanische Yacht seit über zehn Jahren die eine US - Amerikanische Antarktis-Genehmigung erhalten hat. Wir haben vieles gemeinsam und demgemäß viel zu reden. Wenn es im Minimarkt etwas zu kaufen gibt, kaufen wir, das macht hier jeder so. Wer weiss, was kommt. Die einsamen Monate geben uns jedenfalls ausreichend Gelegenheit zum lesen, schreiben und Gitarre spielen. Sobald da mal eine Internetverbindung ist, verspüren wir (also M) diesen masochistischen Trieb, Informationen aus D zu tanken. Die hinterlassen eigentlich nie ein gutes Gefühl. Werden die Untergangszenarien nicht nächstes Jahr genauso klingen, oder auch in drei Jahren, wie nach unserer ersten Reise? Aber: Das Internet erschließt uns den Zugriff auf eine Bonanza von Informationen, in einer Weise, die ganz und gar unheimlich ist. Egal zu welchem Thema, man wird fündig. So mancher gut gemachter, verführerischer Mist, aber eben auch viel Qualität. Gerade bei technischen Problemen gibt es da das geballte Wissen frei Haus, von klugen und fleißigen Menschen, die damit sehr freigiebig umgehen ( Ein herrliches Beispiel: http://www.leeroysramblings.com ). Da ist sie wieder, die interessante Frage ob wir nicht doch bereits Cyborgs sind, Maschinenmenschen mit einem erdumspannenden und exponentiell wachsendem Neoneocortex. Zoomed out: Das macht zwar einsam, bietet aber die Chance auf ein wenig Überblick. Eine der vielen »youtube« Entdeckung des letzten Winters: Juval Harari‘s Vorlesungsreihe zur Geschichte des Homo Sapiens, oder die erfrischend lang und komplex angelegten Interviews (3-4h!), die der wilde Joe Rogan mit Persönlichkeiten wie Elon Musk, Sean Carrol, Steven Pinker, Sam Harris oder Jordan Peterson führt.
Oktober in Ushuaia, Argentinien, fast eine Großstadt. Drei Wochen lang schleppen wir jeden Tag Vorräte an Bord für ein halbes Jahr in der Wildnis. Auch in Sachen Ausrüstung sorgen wir für Nachschub: Mehr Kanister, noch zwei riesige rote Fender, eine lange Schwimmleine, die zwar von mieser Qualität, aber dafür doppelt so teuer ist. Mangelwirtschaft, auch hier. Die Wirtschaftskrise hat das ganze Land im Würgegriff. Die Regale sind leer, zumindest was Importware angeht. Dafür sind die Preise in den Restaurants halbwegs stabil geblieben, was das dicke Steak mit einer Flasche argentinischem Malbec im »Christophers« zu einer reinen Freude macht, und natürlich auch die frischen Croissant im »Ramos Generales«. Unsere Freunde von der CLARY sind zurück aus Schweden, beladen mit einigen heiß ersehnten Ersatzteilen für den Volvo der VERA. Ulf und Pia sind reizende Leute und im Nu sind diverse Abende verplappert. Unnachahmlich wieder das ausklarieren aus Argentinien. Schon klar: Man benötigt die Bögen mit allen verfügbaren Daten zu uns und unserem Schiff in vierfacher Ausfertigung. Wir füllen also einmal aus und kopieren dreimal im nahen Copyshop. Der zuständige Armada Offizier sieht die Kopien, und schüttelt den Kopf. Erlaubt sind nur die offiziellen Bögen. Also nimmt er einen Satz seiner unausgefüllten Bögen, kopiert sie im Hinterzimmer dreimal, und überreicht sie uns zum ausfüllen, und einer weiteren Stunde Zen. Dafür kommen sie diesmal nicht bis an die Zähne bewaffnet an Bord, oder wollen, wie damals in Mar del Plata, die frisch gewartete Rettungsinsel, die zertifizierten Schwimmwesten, die nagelneuen Rauchtöpfe und Handfackeln, die frischen Signalraketen, alle Signalflaggen in der richtigen Reihenfolge im Karton, die Schiffsglocke, die Papierseekarten, den Sextanten und das gültige astronomische Jahrbuch sehen…
Im November sind wir wieder unterwegs, allein in der einsamen Wildnis Patagonien‘s: Ein Segelrevier ist das hier eigentlich nicht. Am besten, man wagt sich nur bei Flaute hinaus, um unter Maschine möglichst ökonomisch Strecke zu machen, so wie damals, als wir die VERA 2009 das Rote Meer hinauf »segelten«. Die Wikinger hatten nicht ohne Grund auch dutzende von Ruderbänke auf ihren »Segel«schiffen. Vor Tau und Tag laufen wir aus, verlassen den Schutz des heimeligen Hafen von Puerto Williams, und »segeln« auf dem Beagle Kanal gen Westen. Die verschneiten Berge voraus sind in ein hauchzartes Morgenrot getaucht. Leider hält solch herrliches Wetter hier in der Regel nicht. Vor Anker und vier Landleinen im »Walden Pond« auf der Isla Gordon, gute 100sm westlich von Puerto Williams: Ein bombensicheres Plätzchen, das wir schon aus der letzten Saison kennen, mit wohlschmeckendem Süsswasser, welches unser Unterwasserschiff in einigen Tagen so einigermaßen vom Bewuchs befreit. Hier einzuparken war diesmal nicht leicht. Hammerböen aus allen Richtungen, Leinensalat, Zustand. Von der Felswand voraus rauscht der Wasserfall. Kein anderes Schiff weit und breit, absolute Wildnis hier. Die Yámana Ureinwohner gibt es nicht mehr, nur noch Trolle und Feen. Eine Woche lang heult es aus West, und regnet oder schneit ohne Unterlass, mit zwei kleinen Pausen von je zehn Minuten. Null Grad draussen. Die Heizung läuft so wie sie soll, was wichtig ist für die Moral. An einem halbwegs ruhigen Tag verholen wir uns 36 Seemeilen weiter durch labyrinthische Fjorde in den Estéro Coloane. Ein unglaublich spektakulärer Platz mit Blick auf die gewaltigen Gletscher der Isla Hoste. Bei schönem Wetter soll es hier paradiesisch schön sein. Heute schneit es bis in die tiefen Lagen. Temperatur draussen: Ein Grad. Auch in den nächsten Tagen halten die Regenpausen nie länger als zehn Minuten. Grillen am Strand? Lieber nicht. Einmal, nur einmal ist der Himmel einen Nachmittag lang blau, in der herrlichen Caleta Bosque im stark vergletscherten Estéro Fouquein, einem spektakulärem, lang eingeschnittenen Fjord, der von hohen Bergen umgeben ist. Wir duschen draussen im Cockpit und stehen dann lange in der wärmenden Sonne, um dringend benötigte Vitamine zu tanken. Über einige weitere einsame Traumplätze am Brazo Sudoeste segeln (!) wir Ende November vor einem heulenden Westwind nach Puerto Williams zurück um unser Weihnachtsgeschenk abzuholen: Ein neues Großsegel von ULLMAN SAILS in unzerstörbarer Skip Novak Antarktis Qualität. Die berühmte PELAGIC AUSTRALIS hat es aus Kapstadt, Südafrika für uns mitgebracht. Die junge Dreiercrew (1xM,1xF,1xM) diniert auf der VERA. Eine unerwartet liebenswerte Truppe, die viel haarsträubendes zu erzählen hat und sehr glücklich mit ihrem Arbeitgeber ist. Ab Ende der Woche steht für die Drei die erste von vier Antarktisexpeditionen in dieser Saison an. Wir werden uns also wiedersehen.
Puerto Williams Anfang Dezember, wieder im Päckchen an der MICALVI. Die Saison kommt in gang. Asados und Pastagelage auf den Schiffen mehren sich so, dass es schon fast ein bisschen viel wird. Angelsachsen haben ein gutes Wort dafür: »Oversocializing«. Zum Glück laufen Pia und Ulf mit der kleinen CLARY bald zum langen Schlag hinauf nach Puerto Montt aus, sonst kämen wir hier zu nichts mehr, und das können wir uns nicht leisten. Die VERA soll nämlich auch bald wieder voll gebunkert und in technisch perfektem Zustand sein. Vor ihr liegt das große Abenteuer: Die Antarktis. Nach sechs Monaten Papierkrieg gegen das Umweltbundesamt hat B die nach der »Antarctic Treaty« für jeden Bürger aus einem Unterzeichnerstaat notwendige offizielle Genehmigung für uns ausgehandelt. Mal wollte man nähere Angaben zum Grauwassertank der Waschmaschine, das technische Datenblatt der grünen Elmex Zahnpasta, oder eine unmöglich abzuschließende Vollkaskoversicherung für die Antarktis. Deutsche Gründlichkeit, die nervt. Der ganze Plan wird uns zweien wohl auch so alles abverlangen, was noch da ist in unserem Alter. Derzeit arbeiten wir also jeden Tag am Boot und stoßen dabei auf so manch technisches Problem. Meist ist es Elektronik die versagt und häufig sind es intermittierende Fehler, die sich schwer eingrenzen lassen. Supernervig: Alles was neu auf den Markt kommt ist nicht kompatibel mit dem alten, bewährten Material. So wie die nach vielen Monaten im chilenischen Zoll und mit hohen Gebühren teuer erkaufte neue Radarantenne, die zwar baugleich mit unserer alten ist, aber durch neue Firmware nicht mehr mit unseren alten Sichtgeräten spricht. Die Neubeschaffung der Plotter würde neben viel Geld u.a. auch die Neubeschaffung sämtlicher digitaler Seekarten erforderlich machen, was für uns nicht in Frage kommt. So, will man uns haben: Willen- und ahnungslose Konsumenten mit tiefen Taschen, die wir täglich mit frischem Geld auffüllen, unter Aufgabe unserer Freiheit.
Herzliche Grüße und eine harmonische Adventszeit wünschen Euch B und M / SY VERA / Puerto Williams / Isla Navarino / Chile
1 - Juli 2018: VERA eingeschneit in Puerto Williams.

2 - M im Schnee.

3 - Endlich Frühling.

4 - Ein windiger Tag am »Beagle Kanal«.
5 - Oktober 2018, Ushuaia / Argentinien: Die CLARY längsseits an der VERA.

6 - Vor Tau und Tag im »Beagle Kanal«.

7 - B im »Estéro Coloane«.

8 - M im »Estéro Coloane«.

9 - B und BOUNCE im »Estéro Fouque«.

10 - »Segeln« im Labyrinth der »Patagonian Channels«.

11 - VERA im Päckchen längsseits der PELAGIC AUSTRALIS. Im blauroten Segelsack auf dem Seitendeck: Unser Weihnachtsgeschenk.

12 - November 2018: Unsere Umrundung der wilden »Isla Gordon«.

13 - Die Regenpause im »Estéro Fouque«. Ein Film von B und M.
Wie im Flug sind sieben Monate vergangen seit unserem letzten Newsletter. Hier also endlich die neue Ausgabe:
In Puerto Williams, dem kleinen chilenischen Marinestützpunkt am Ende der Welt geht ein langer, einsamer Winter zu Ende. Im Päckchen an der alten MICALVI herrschte lange Zeit Frieden. Den alten Dampfer teilten wir uns eigentlich nur mit Jean Yves und Claire von der NATZIQ, die ich (M) nicht leiden kann. So blieben wir meist unter uns, so unter uns, das es jetzt im Frühling schon fast stört, wenn junge, gut gelaunte Backpacker ganz in Goretex, langen Objektiven, Selfysticks und smarten Phones auf Deck der MICALVI picknicken und an »unserem« Internet suckeln, das nur an guten Tagen etwas Bandbreite hat.
Die ersten drei Wintermonate ohne richtige Heizung waren saukalt. Fünf bis zehn Grad tagsüber unter Deck, mit einem 2000 Watt Heizlüfter aus dem porösen MICALVI Landstromanschluss, zehn Ampere bei 180 Volt, falls kein Stromausfall… Drei Lagen Merino, darüber Daunen, des Nachts zwei Wärmflaschen. Und sonst? Eiswürfel für einen Drink kommen direkt aus dem Wasserhahn, weitere Wärmflaschen liegen nachts auf den Wassermachermebranen. Fleissiges Schneeschaufeln macht Sinn, weil das Wasser sonst nicht mehr aus den Waschbecken läuft, wegen des Gewichtes an Deck, das die VERA versenken will. WC geht nicht: Kleine Fische verstopfen die Pumpe. Wir haben uns daran gewöhnt, das auf der MICALVI eigentlich immer irgendetwas fehlt. Internet ist Glücksache. Gelegentlicher Euphorie erzeugender Highspeed wechselt sich ab mit Wochen der Abstinenz, etwa weil der Router zur »Maintenance« abgeholt wurde. Etwas für Stoiker in der Ausbildung. Alle paar Wochen gibt es fließend Wasser, nämlich immer dann, wenn zwanzig Marineklempner in schicken Uniformen gleichzeitig die durchgefrorenen Leitungen und die geborstenen Absperrhähne frisch verlöten. Manchmal gibt es auch warmes Wasser in der unbeheizten einmeterneunundsechzighohen MICALVI Dusche. Schon wieder duschen? Nächsten Monat reicht doch auch. Gedanken an Luxus: Ein richtiger Stromanschluss, eine heiße Badewanne, eine bayrische Brezen mit Butter, ein französischer Bäcker, ein Wiener Schnitzel, eine Weihnachtsgans, ein richtiger Supermarkt mit frischer Milch und drei Sorten griechischem Sahneyoghurt, Breitbandinternet frisch aus der Leitung, so wie daheim. Daheim? Wo ist das? Es hilft auch nicht, das das ehemals beste »watering hole« des Südens, die vielgerühmte Bordbar der MICALVI, nicht mehr betrieben wird. Der Dampfer ist im Besitz der chilenischen Marine, die die Konzession aus verschiedenen Gründen nicht erneuern will. Zu hohe Einnahmen des Pächters? Zu viele betrunkene Segler? Der schlechte Einfluss auf die Gemeinde? Wir wissen es nicht. Nun ist die Bar tot, aber an manchen Tagen heizt Francisco den Ofen ein, und dann sitzen B + ich nach unsere täglichen Wanderung ganz allein in bequemen, lederbezogenen Sesseln auf der Brücke der MICALVI am Kartentisch hinter dem großen Ruderrad, blicken über den Bug des alten Dampfers auf den Beagle Kanal und essen unseren Haferbrei. Manchmal feiert die Marine hier ihre offiziellen Empfänge, oder eine Tanzveranstaltung. Dann sieht man hier viele prächtige Galauniformen mit goldenen Tressen und vielen Streifen und Winkeln. Manches möchte man hier lieber nicht hinterfragen. Nur so viel: Ein wenig riecht man sie noch, die alte Militärdiktatur.
Die Lage bessert sich, als Ende Juli nach endlosem Zen und hunderten von Zoll bedingten e-mails unsere Ersatzheizung eintrifft und problemlos läuft. Mit heißem Wasser lassen sich fettige Teller und Töpfe einfach besser reinigen und auch das Duschen draussen im Cockpit wird zum Genuss… gut. Gut auch unsere täglichen Exkursionen in die Wildnis, die gleich hinter der MICALVI beginnt. Ganz erstaunlich, welchen Wandel man beobachten kann, wenn man denselben Pfad immer wieder betritt: Spuren im hüfthohen Schnee, bei stahlblauem Himmel und absoluter Flaute, oder bei Schneesturm und ohne jede Sicht. Das Knarren uralter Bäume im Wind, unter der Last des Schnees, oder mit den ersten zarten Blüten des Frühlings. Die schneebedeckten Berge Feuerlands, am gegenüberliegenden Ufer des Beagle Kanals, mit langen Schneefahnen im schweren Sturm, oder friedlich daliegend, in der Mittagssonne. Dort! Die ersten Gänseblümchen auf der Wiese. Neu angeschwemmtes Treibgut am Strand, Muscheln, Gräten, Holz und Walknochen, aber auch tote Pinguine und einiger Plastikmüll, Schuhe, Flaschen oder Fischernetze, tolles Material für Skulpturen, die nie jemand bauen wird. Anfangs fliehen die halbwilden, strubbeligen Pferde sobald sie uns sehen, oder schicken ihren Hengst zur Verteidigung der winzigen Fohlen. Nun ignorierten sie uns, mit ihren pelzigen Hintern im Windschatten von Findlingen oder Krüppelbuchen, oder sie betteln um Mohrrüben. Die halbwilden Kühe, die wir Bisons nennen, verhalten sich ähnlich, so wie die bunten Spechte. Nur die vielen Seevögel fliegen noch immer auf, zeternd und protestieren, sobald B+ich ihnen am Strand auf die Federn rücken.
September: Die Tage werden nun merklich länger, weniger Schnee, dafür Aprilwetter. In Puerto Williams gehören wir zum Inventar, jedenfalls ein bisschen. Wir treffen den »Schweizer« im Museum, beim Diavortrag über den Untergang der HMS WAGER. Er hat über Freunde in Punta Arenas Gerüchte gehört, das dort seit langem ein Paket für uns beim Postamt liegt. Ingrid vom Minimarkt schenkt uns bei jedem Einkauf Schokolade und die Kellnerin im Café an der Fähre weiss, welchen Kaffee und welchen Kuchen wir bevorzugen. Barry von der SPAILPIN ist da und hilft uns beim Pisco Sour trinken. Der nette Amerikaner fliegt für jeweils sechs Wochen nach Saudi Arabien, um dort als Hubschrauberpilot für die Ölindustrie zu arbeiten, dann wieder nach Puerto Williams, um sein Boot für die Antarktis vorzubereiten. SPAILPIN ist die erste private US -Amerikanische Yacht seit über zehn Jahren die eine US - Amerikanische Antarktis-Genehmigung erhalten hat. Wir haben vieles gemeinsam und demgemäß viel zu reden. Wenn es im Minimarkt etwas zu kaufen gibt, kaufen wir, das macht hier jeder so. Wer weiss, was kommt. Die einsamen Monate geben uns jedenfalls ausreichend Gelegenheit zum lesen, schreiben und Gitarre spielen. Sobald da mal eine Internetverbindung ist, verspüren wir (also M) diesen masochistischen Trieb, Informationen aus D zu tanken. Die hinterlassen eigentlich nie ein gutes Gefühl. Werden die Untergangszenarien nicht nächstes Jahr genauso klingen, oder auch in drei Jahren, wie nach unserer ersten Reise? Aber: Das Internet erschließt uns den Zugriff auf eine Bonanza von Informationen, in einer Weise, die ganz und gar unheimlich ist. Egal zu welchem Thema, man wird fündig. So mancher gut gemachter, verführerischer Mist, aber eben auch viel Qualität. Gerade bei technischen Problemen gibt es da das geballte Wissen frei Haus, von klugen und fleißigen Menschen, die damit sehr freigiebig umgehen ( Ein herrliches Beispiel: http://www.leeroysramblings.com ). Da ist sie wieder, die interessante Frage ob wir nicht doch bereits Cyborgs sind, Maschinenmenschen mit einem erdumspannenden und exponentiell wachsendem Neoneocortex. Zoomed out: Das macht zwar einsam, bietet aber die Chance auf ein wenig Überblick. Eine der vielen »youtube« Entdeckung des letzten Winters: Juval Harari‘s Vorlesungsreihe zur Geschichte des Homo Sapiens, oder die erfrischend lang und komplex angelegten Interviews (3-4h!), die der wilde Joe Rogan mit Persönlichkeiten wie Elon Musk, Sean Carrol, Steven Pinker, Sam Harris oder Jordan Peterson führt.
Oktober in Ushuaia, Argentinien, fast eine Großstadt. Drei Wochen lang schleppen wir jeden Tag Vorräte an Bord für ein halbes Jahr in der Wildnis. Auch in Sachen Ausrüstung sorgen wir für Nachschub: Mehr Kanister, noch zwei riesige rote Fender, eine lange Schwimmleine, die zwar von mieser Qualität, aber dafür doppelt so teuer ist. Mangelwirtschaft, auch hier. Die Wirtschaftskrise hat das ganze Land im Würgegriff. Die Regale sind leer, zumindest was Importware angeht. Dafür sind die Preise in den Restaurants halbwegs stabil geblieben, was das dicke Steak mit einer Flasche argentinischem Malbec im »Christophers« zu einer reinen Freude macht, und natürlich auch die frischen Croissant im »Ramos Generales«. Unsere Freunde von der CLARY sind zurück aus Schweden, beladen mit einigen heiß ersehnten Ersatzteilen für den Volvo der VERA. Ulf und Pia sind reizende Leute und im Nu sind diverse Abende verplappert. Unnachahmlich wieder das ausklarieren aus Argentinien. Schon klar: Man benötigt die Bögen mit allen verfügbaren Daten zu uns und unserem Schiff in vierfacher Ausfertigung. Wir füllen also einmal aus und kopieren dreimal im nahen Copyshop. Der zuständige Armada Offizier sieht die Kopien, und schüttelt den Kopf. Erlaubt sind nur die offiziellen Bögen. Also nimmt er einen Satz seiner unausgefüllten Bögen, kopiert sie im Hinterzimmer dreimal, und überreicht sie uns zum ausfüllen, und einer weiteren Stunde Zen. Dafür kommen sie diesmal nicht bis an die Zähne bewaffnet an Bord, oder wollen, wie damals in Mar del Plata, die frisch gewartete Rettungsinsel, die zertifizierten Schwimmwesten, die nagelneuen Rauchtöpfe und Handfackeln, die frischen Signalraketen, alle Signalflaggen in der richtigen Reihenfolge im Karton, die Schiffsglocke, die Papierseekarten, den Sextanten und das gültige astronomische Jahrbuch sehen…
Im November sind wir wieder unterwegs, allein in der einsamen Wildnis Patagonien‘s: Ein Segelrevier ist das hier eigentlich nicht. Am besten, man wagt sich nur bei Flaute hinaus, um unter Maschine möglichst ökonomisch Strecke zu machen, so wie damals, als wir die VERA 2009 das Rote Meer hinauf »segelten«. Die Wikinger hatten nicht ohne Grund auch dutzende von Ruderbänke auf ihren »Segel«schiffen. Vor Tau und Tag laufen wir aus, verlassen den Schutz des heimeligen Hafen von Puerto Williams, und »segeln« auf dem Beagle Kanal gen Westen. Die verschneiten Berge voraus sind in ein hauchzartes Morgenrot getaucht. Leider hält solch herrliches Wetter hier in der Regel nicht. Vor Anker und vier Landleinen im »Walden Pond« auf der Isla Gordon, gute 100sm westlich von Puerto Williams: Ein bombensicheres Plätzchen, das wir schon aus der letzten Saison kennen, mit wohlschmeckendem Süsswasser, welches unser Unterwasserschiff in einigen Tagen so einigermaßen vom Bewuchs befreit. Hier einzuparken war diesmal nicht leicht. Hammerböen aus allen Richtungen, Leinensalat, Zustand. Von der Felswand voraus rauscht der Wasserfall. Kein anderes Schiff weit und breit, absolute Wildnis hier. Die Yámana Ureinwohner gibt es nicht mehr, nur noch Trolle und Feen. Eine Woche lang heult es aus West, und regnet oder schneit ohne Unterlass, mit zwei kleinen Pausen von je zehn Minuten. Null Grad draussen. Die Heizung läuft so wie sie soll, was wichtig ist für die Moral. An einem halbwegs ruhigen Tag verholen wir uns 36 Seemeilen weiter durch labyrinthische Fjorde in den Estéro Coloane. Ein unglaublich spektakulärer Platz mit Blick auf die gewaltigen Gletscher der Isla Hoste. Bei schönem Wetter soll es hier paradiesisch schön sein. Heute schneit es bis in die tiefen Lagen. Temperatur draussen: Ein Grad. Auch in den nächsten Tagen halten die Regenpausen nie länger als zehn Minuten. Grillen am Strand? Lieber nicht. Einmal, nur einmal ist der Himmel einen Nachmittag lang blau, in der herrlichen Caleta Bosque im stark vergletscherten Estéro Fouquein, einem spektakulärem, lang eingeschnittenen Fjord, der von hohen Bergen umgeben ist. Wir duschen draussen im Cockpit und stehen dann lange in der wärmenden Sonne, um dringend benötigte Vitamine zu tanken. Über einige weitere einsame Traumplätze am Brazo Sudoeste segeln (!) wir Ende November vor einem heulenden Westwind nach Puerto Williams zurück um unser Weihnachtsgeschenk abzuholen: Ein neues Großsegel von ULLMAN SAILS in unzerstörbarer Skip Novak Antarktis Qualität. Die berühmte PELAGIC AUSTRALIS hat es aus Kapstadt, Südafrika für uns mitgebracht. Die junge Dreiercrew (1xM,1xF,1xM) diniert auf der VERA. Eine unerwartet liebenswerte Truppe, die viel haarsträubendes zu erzählen hat und sehr glücklich mit ihrem Arbeitgeber ist. Ab Ende der Woche steht für die Drei die erste von vier Antarktisexpeditionen in dieser Saison an. Wir werden uns also wiedersehen.
Puerto Williams Anfang Dezember, wieder im Päckchen an der MICALVI. Die Saison kommt in gang. Asados und Pastagelage auf den Schiffen mehren sich so, dass es schon fast ein bisschen viel wird. Angelsachsen haben ein gutes Wort dafür: »Oversocializing«. Zum Glück laufen Pia und Ulf mit der kleinen CLARY bald zum langen Schlag hinauf nach Puerto Montt aus, sonst kämen wir hier zu nichts mehr, und das können wir uns nicht leisten. Die VERA soll nämlich auch bald wieder voll gebunkert und in technisch perfektem Zustand sein. Vor ihr liegt das große Abenteuer: Die Antarktis. Nach sechs Monaten Papierkrieg gegen das Umweltbundesamt hat B die nach der »Antarctic Treaty« für jeden Bürger aus einem Unterzeichnerstaat notwendige offizielle Genehmigung für uns ausgehandelt. Mal wollte man nähere Angaben zum Grauwassertank der Waschmaschine, das technische Datenblatt der grünen Elmex Zahnpasta, oder eine unmöglich abzuschließende Vollkaskoversicherung für die Antarktis. Deutsche Gründlichkeit, die nervt. Der ganze Plan wird uns zweien wohl auch so alles abverlangen, was noch da ist in unserem Alter. Derzeit arbeiten wir also jeden Tag am Boot und stoßen dabei auf so manch technisches Problem. Meist ist es Elektronik die versagt und häufig sind es intermittierende Fehler, die sich schwer eingrenzen lassen. Supernervig: Alles was neu auf den Markt kommt ist nicht kompatibel mit dem alten, bewährten Material. So wie die nach vielen Monaten im chilenischen Zoll und mit hohen Gebühren teuer erkaufte neue Radarantenne, die zwar baugleich mit unserer alten ist, aber durch neue Firmware nicht mehr mit unseren alten Sichtgeräten spricht. Die Neubeschaffung der Plotter würde neben viel Geld u.a. auch die Neubeschaffung sämtlicher digitaler Seekarten erforderlich machen, was für uns nicht in Frage kommt. So, will man uns haben: Willen- und ahnungslose Konsumenten mit tiefen Taschen, die wir täglich mit frischem Geld auffüllen, unter Aufgabe unserer Freiheit.
Herzliche Grüße und eine harmonische Adventszeit wünschen Euch B und M / SY VERA / Puerto Williams / Isla Navarino / Chile
1 - Juli 2018: VERA eingeschneit in Puerto Williams.

2 - M im Schnee.

3 - Endlich Frühling.

4 - Ein windiger Tag am »Beagle Kanal«.

5 - Oktober 2018, Ushuaia / Argentinien: Die CLARY längsseits an der VERA.

6 - Vor Tau und Tag im »Beagle Kanal«.

7 - B im »Estéro Coloane«.

8 - M im »Estéro Coloane«.

9 - B und BOUNCE im »Estéro Fouque«.

10 - »Segeln« im Labyrinth der »Patagonian Channels«.

11 - VERA im Päckchen längsseits der PELAGIC AUSTRALIS. Im blauroten Segelsack auf dem Seitendeck: Unser Weihnachtsgeschenk.

12 - November 2018: Unsere Umrundung der wilden »Isla Gordon«.

13 - Die Regenpause im »Estéro Fouque«. Ein Film von B und M.
001 - DIE GLETSCHER CHILES
12/05/18 00:00
Hallo Ihr Lieben!
Während bei Euch die Sonne aufgeht (ah, der Mai!), liegt hier der späte Herbst über den verschneiten Bergen und Fjorden Patagoniens. Die Tage werden kurz und kalt. B und ich sind noch immer hier. Durch den ärgerlichen Defekt an unserer Heizung (Fehler 20, Glühkerze kaputt) ist es anders gekommen als ursprünglich geplant. Besser? Wir finden schon. Sicher ist, das wir den wilden, weiten Weg hinauf nach Puerto Montt durch Wildnis, Sturm und Kälte nicht ohne eine funktionierende Heizung angehen wollten. Wir bestellten also eine neue Glühkerze, vorsorglich gleich zweimal, von zwei verschiedenen Händlern in England und den USA, per Luftpost, per Express, eilt unbeschreiblich, per Einschreiben, extra und extra. Anfangs gingen wir noch voller Erwartung alle paar Tage zur Post, dann nur noch einmal in der Woche und am Ende war es uns einfach egal. Letztlich haben wir über drei Monate in Puerto Williams auf unsere ersehnten winzigen Päckchen gewartet. Lateinamerika… Aber: Die Natur ist herrlich hier auf der Isla Navarino, südlich von Feuerland. Schroffe Berge, wilde Täler, filzige Wälder, gut gepflegte Wanderwege, wilde Pferde, muntere Biber, und eine Auswahl an Vögeln, wie wir sie nie gesehen haben. Draussen im Beaglekanal heult der Westwind, springen Delphine, Wale und Seelöwen. Wir haben einen guten, gesunden Tagesablauf gefunden: Morgentee, Wanderung (so zwei bis vier Stunden, je nach Tagesform), Brunch, Mittagsschlaf, lesen, schreiben, kochen, Dinner, vielleicht einen Film, lange schlafen, Morgentee, Wanderung, Brunch, usw.
Wir haben uns also entschieden, eine Zeitlang hier am »Fin del mundo« zu leben, ein gemütliches Winterquartier aufzuschlagen, in Puerto Williams, dem südlichsten Dorf der Welt. Die meisten Dorfbewohner hier gehören der chilenischen Marine an und pflegen einen äußerst freundlichen und hilfsbereiten Umgang mit den abenteuerlustigen Backpackern und Seglern aus aller Welt. Durch die benachbarten Boote hier im Päckchen an dem alten deutschen Paketdampfer CONTRAMESTE MICALVI konnten wir viele Bekanntschaften und einige Freundschaften schließen. Die Versorgungslage ist die: Am Samstag kommt die Fähre aus Punta Arenas und lädt ab. Der ganze Ort geht auf einmal hamstern. Ab Montag sind die Läden leer, von Leuten, aber auch von Waren. Einige Bilder aus Ushuaia, Puerto Williams und Kap Hoorn könnt Ihr u.a. im ersten Teil von Skip Novaks Schwerwetterratgeber sehen. Für die leidenschaftlichen Segler unter Euch: Die gesamte Serie ist gut gemacht und recht sehenswert.
Durch die vielen Gespräche hier hat sich unsere Sehnsucht nach einer eigenen kleinen Zweimannexpedition im nächsten Sommer in die Antarktis noch verstärkt. Dazu benötigen wir allerdings u.a. eine Genehmigung des deutschen Umweltbundesamtes. Die ist schwer zu bekommen. Ein Aktenordner voller Unterlagen ist zu erstellen, 1013 Frage, zum Schiff und zu uns. Zum Glück lag immer mal wieder die SANTA MARIA AUSTRALIS neben uns. Jeanette und Wolf fahren seit über zwanzig Jahren mit Chartergästen in die Antarktis und waren in den letzten Jahren jeweils die einzige Yacht unter deutscher Flagge die eine Genehmigung hatte. In den nächsten Wochen reichen wir die Papiere ein. Den endgültigen Bescheid erwarten wir so in drei bis sechs Monaten.
Anfang April mussten wir für ein paar Tage nach Ushuaia in Argentinien ausklarieren. Unsere Visa für Chile waren abgelaufen. Zum Glück genügt die einmalige Aus- und Wiedereinreise (sehr viel Papier, sehr viel Zen), um neue Visa zu erwerben. Ushuaia ist aber auch gut für manch anderes: Die dicken argentinischen Steaks im »Christophers« und die Croissants im »Ramos Generales« sind noch immer von erstklassiger Qualität und mehrere Besuche wert, auch weil der argentinische Peso derzeit in schlechtem Zustand ist. Im gemütlichen Yachtclub AFASYN treffen wir ein nettes schwedisches Pärchen: Pia und Ulf sind mit ihrem kleinen Doppelender SY CLARY (Laurin Koster 32) unterwegs und haben ähnliche Pläne wie wir.
Zurück in Puerto Williams und mit neuen Visa für Chile in der Tasche, beantragen wir gleich eine Genehmigung für den »Circito Ventisquero«, eine Rundreise durch die spektakulären Gletschergebiete im äußersten Südwesten Chiles. Nun stellt es sich als großer Vorteil heraus, das Diesel und Vorräte nicht für 600 Seemeilen bis zur nächsten Tankstelle in Puerto Natales, sondern nur für die knapp 300 eher diesellastigen Seemeilen des »Circito Ventisquero« reichen müssen. Durch unsere geplante Überwinterung im tiefen Süden haben wir viel Zeit gewonnen, die wir nun zu nutzen gedenken. Entschleunigung, die uns gut tut.
Mitte April verlassen wir gemeinsam mit der CLARY in aller Frühe unseren heimeligen Liegeplatz. Der Beagle Kanal zeigt sich zunächst von seiner selten friedlichen Seite. Bei leichtem Ostwind und Nieselregen laufen wir bei glattem Wasser platt vor den Laken gen Westen. Gegen Mittag ist der Wind weg, dann dreht er zurück auf West. Mit Hilfe des grünen Herrn Volvo geht es zunächst noch gut voran. Als B soeben unsere Eierkuchen in die Pfanne gießt, legt der Wind unvermittelt und völlig unerwartet zu. 25, 30, 35, dann 40 Knoten, Stärke acht. Die Sicht ist weg, das Wasser fliegt und bricht über den Bug. Bei Vollgas laufen wir keine drei Knoten mehr über Grund. Nichts wie raus hier. Drei Meilen weiter gibt es eine gut geschützte Ankerbucht: Caleta Martinez, eng, viel Kelp, Leinensalat von Fischerbooten. Wollen mal sehen… Mit Hilfe des Radars tasten wir uns bei schlechter Sicht zwischen kleinen Inselchen, Untiefen, Steinen und Felsen hindurch. Unsere Karten sind nicht schlecht, weisen aber einen markanten Versatz auf. B und ich haben beide ein mieses Gefühl bei der Sache. Es ist saugefährlich, was wir hier machen. Ein kleiner Fehler, oder Kelp im Propeller, und die VERA liegt hoch und trocken auf den Steinen. Das darf auf keinen Fall passieren. Sollten wir besser abbrechen, und zurück nach Puerto Williams segeln? Hinter uns ist die kleine CLARY umgekehrt und läuft ab. Letztlich gelingt es uns bei heulendem Sturm die winzige Caleta Martinez zu finden und in zwei Stunden harter Arbeit den Anker und zwei Landleinen sicher zu platzieren. Danach sind wir absolut erledigt und haben einiges gelernt.
Die nächsten Tage laufen geruhsamer ab. In der oberen Bahia Yendegaya finden wir eine Horde munterer Seelöwen und einen traumhaft schönen Platz. Die Caleta Ferrari bietet perfekten Schutz und Ankergrund vor den verfallenden Gebäuden der verlassenen Estancia Yendegaya, dem Yendegaia Fluss und dem Stoppani Gletscher. Das gesamte Gebiet wurde um das Jahr 2000 herum von dem US Amerikaner Doug Tompkins (dem kürzlich tödlich verunglückten Gründer der Firmen »The North Face« und »Esprit«) erworben, um es als »Yendegaya National Park« der Natur zu überlassen. Nichts und niemand ist mehr hier, aber die überwuchernden Wege und einige klapprige und gefährlich morsche Holzbrücken werden noch von wilden Pferden genutzt. Von der Estancia aus ist es möglich, entlang des Flusses, durch das breite ehemalige Gletschertal, bis an den derzeitigen Fuss des mächtigen Stoppani Gletscher zu wandern, der seinen Ursprung in den hohen Bergen der Darwin Kordilleren hat. Kann es einen anschaulicheren Weg geben, geologische Zeiträume vorstellbar zu machen? Ohne die Aufklärung, ohne Menschen wie die Geologen James Hutton (1726-1797) und Charles Lyell (1797-1875) würden wir uns viel zu wichtig nehmen. Bahia Yendegaya: Ein Platz zum Verweilen, ein Platz zum wandern und zum träumen.
Eine Woche später nutzen wir ein gutes »Wetterfenster« mit östlichen Winden, um mit einer kleinen Herde Orca Wale und vorbei an mehreren großen Gletschern in die wildromantische Caleta Morning zu verlegen. Einen Tag später dringen wir in den Seño Pia vor, einem mächtigen zweiarmigen Einschnitt im Beagle Kanal, in den einige der gewaltigen Gletscherzungen des Romanche Gletschers aus den Darwin Kordilleren kalben. Schon bei der Einfahrt in den Fjord riecht es nach Eis. Vorsichtig tasten wir uns voran. B steht am Bug und wehrt die größten Brocken mit dem Bootshaken ab. Den vielgepriesenen Ankerplatz in der Caleta Beaulieu erreichen wir nicht. Der Ostwind hat das Eis so stark verdichtet, das es kein Vorwärtskommen gibt. Uns bleiben nur der Rückmarsch, und einmalige Eindrücke.
In der nahegelegenen Bahia Tres Brasos finden wir auf Empfehlung von Jean Yves von der SY NATSIQ ein heimeliges Plätzchen, das wir »Walden Pond« nennen, obwohl es eigentlich »Caleta Cinco Estrellas« heißt, also »fünf Sterne Unterkunft«. Ein kleiner Einschnitt verengt sich zu einer sehr engen Einfahrt und weitet sich dann zu einem kleinen, fast runden Teich, in den kaum mehr als die schlanke VERA hineingeht. Der Anker und zwei Landleinen halten sie sicher in der Mitte. Von den umliegenden steilen Felsen rauscht ein lebendiger Wasserfall, der zu einer Besonderheit führt: Das Wasser in unserem Teich ist Süsswasser! Der verblüffende Effekt: Der Teich friert über Nacht zu. Und: Der inzwischen doch recht dicke Bewuchs unseres Unterwasserschiffes, die Muscheln und Algen, fallen nach ein paar Tagen einfach ab, und hinterlassen eine blitzsaubere, frische rote Oberfläche.
In den kommenden Tagen rauscht ein heftiger Sturm aus Südwesten über uns hinweg, mit starkem Regen, Hagel und Schnee, der die umliegenden Hügel pudert. Bei uns im »Walden Pond« bleibt es flau, nur die Wolken haben es eilig. Wir lesen und kochen und lesen und schlafen und heizen. Der kleine Nachteil am »Walden Pond« ist die fehlende Sonneneinstrahlung. Die umliegenden Berge lassen im Spätherbst kaum einen Strahl an unsere Solarpaneele. Da auch die Windgeneratoren müßig bleiben, müssen wir den recht hohen Stromverbrauch der Heizung (Umwälzpumpe, Gebläse, Glühkerze, etc.) mit der Hauptmaschine + Lichtmaschine + Hochleistungsregler ausgleichen, so etwa eine Dreiviertel laut nagelnde Stunde pro Tag. So wird uns sehr anschaulich, in welch hohem Maße »zivilisierte« Menschen in den höheren Breiten vom Brennstoff abhängen. Nur um uns warm zu halten verbrennen wir hier so zwischen vier und sechs Litern Diesel pro Tag. Wenn man dann an die Yaghan, die Ureinwohner dieser Gegend und ihre fehlende Bekleidung denkt, kommt man ins grübeln.
Wir bekommen Besuch! Ich (M) habe mich soeben zum Mittagsschlaf gelegt, als ein größeres Beiboot mit Aussenborder im »Walden Pond« auftaucht. Der Skipper setzt bei strömendem Regen und eisiger Kälte vier Crewmitglieder ab, die hier offenbar eine Wanderung unternehmen wollen. Brrrrr. Danach kommt er längsseits, um höflich Guten Tag zu sagen. B führt das Gespräch, während ich (M) von unserer Koje aus heimlich lausche. Ein Franzose, aha, noch einer. Ausgeprägt perfektes Englisch, ungewöhnlich. Er liegt mit seiner großen Ketsch weiter draussen vor Anker. Der »Walden Pond« ist etwas zu eng für ihn. Kommt von den Falkland Inseln. Ein Franzose von den Falklandinseln. Aha. Schönes Boot sagt der nette Franzose zu der VERA. Es wundert ihn, hier in der Wildnis so spät im Jahr noch ein Boot anzutreffen und dann noch eines, das so elegant und so sauber ist. Gleich wird er ablegen, es regnet und es ist kalt. Aber nein, das Gespräch mit Frau B scheint ihm zu gefallen. Sie reden über dies und das. B will ihn wohl nicht an Bord bitten, weil ich (Herr M) meinen Mittagsschlaf halte. Als der Franzose weg ist, erzählt mir B alles zur Gänze. Sie weiß ja nicht, das ich mitgehört habe. Der Franzose kommt von den Falklandinseln, alt, wettergegerbt, sieht aus wie die französische Ausgabe von Skip Novak. Aha. War das vielleicht Jerome Poncet? Der lebt, wie wir wissen, seit langem auf den Falklandinseln und züchtet Schafe. Hat B soeben mit einer lebenden Legende geplaudert? Wer weiss?
Vier Tage später sind wir zurück im Seño Pia. Der Sturm der letzten Tage hat das Eis ein wenig zurechtgerückt, so dass wir mit einiger Mühe bis zur Caleta Beaulieu vordringen und neben dem Anker zwei Landleinen legen können. Das sollte halten. Das Panorama des Gletschers und der umliegenden, schneebedeckten Berge ist atemberaubend. Diese Gipfel sind, verglichen mit Bergen in den Alpen, nicht allzu hoch, stehen sie doch direkt am Meer. Das Klima jedoch sorgt für eine majestätische Aura, mit gewaltigen Wächten und strahlend blauem Eis, die man sonst eher im Hochgebirge verortet. Verschiebungen im Eis des Gletschers sorgen immer wieder für ein Krachen, ein mächtiges Wummern, wie schwere Gewitter oder Artilleriebeschuss. Das macht ein wenig nervös, ist aber doch faszinierend anzuhören. Wir setzen uns mit unserem wohlverdienten Porridge und dem großen Sitzsack aufs Vordeck in die überwältigend wohltuende Nachmittagssonne und versuchen uns sattzusehen, was nicht gelingt. Vielleicht morgen.
Bei Tagesanbruch finden wir die VERA eingefroren in einer fingerdicken, frischen Eisschicht, die auch in der strahlenden Mittagssonne nicht auftaut. Sollten wir eine Dummheit begangen haben? Hier, in der Wildnis überwintern? Bitte nicht! Wir beraten noch, als der kleine Doppelender CLARY um die Landzunge biegt und eisbrechend auf uns zuhält. Was für eine angenehme Überraschung! Bald sitzen wir gemeinsam im Cockpit der Schweden und haben bei Whiskey mit Gletschereis viel zu erzählen. Das anschließende Dinner an Bord der VERA wird denkwürdig. Ein sehr, sehr gelungener, herrlicher Abend, der leider, leider mit »Fehler 61« endet. Unsere Eberspächer Heizung hat erneut den Geist aufgegeben. Das Steuergerät, halb so teuer wie die gesamte Heizung, ist hinüber, Totalschaden. Zuverlässige Technik »made in Görmany«.
Seit geraumer Zeit beschäftige ich (M) mich u.a. mit den Stoikern. Meinem permanenten Angespanntsein muss doch irgendwie beizukommen sein. Die Stoiker empfehlen, immer mit dem schlimmsten zu rechnen, damit man meist positiv überrascht wird, was zufrieden macht. Im schlimmsten Falle kann man ja gelassen bleiben, weil man ohnehin damit gerechnet hat. Soso. Wie empfohlen, lausche ich also seit Wochen voller Furcht auf jedes eigenartige Geräusch der Heizung, rechne jeden Augenblick mit ihrem Ausfall, und male mir das in den grauesten Farben aus. Und dann, heute, an einem perfekten Abend: »Fehler 61«, aus. Und nun? Ich springe im Dreieck vor Frustration und reiße mir die Haare aus. Stoa? Nicht jetzt. »All I ask is a comfortable home« - Charlotte Lucas.
Die Nacht wird kalt und schlaflos. Die vermaledeite Technik und unsere elende Abhängigkeit von derselben spielt mit unseren Gedanken Roulette. Alle anderen Boote hier fahren mit Holzöfen oder Schalenbrennern (Ölofen, lowtech) zur See. Auf Deck erheben sich mächtige, rußende Kamine, die die Segel schwärzen, gerne Wasser hereinlassen und/oder von schlagenden Vorsegelschoten ausgerissen werden. Bei etwas Wind beatmen diese Monster gerne auch mal die Kabine, was für gute Gesundheit und einen fetten, schwarzen Ölfilm auf Büchern und Polstern sorgt. Eine Hightech Heizung wie unsere Eberspächer Hydronic 10, das beste und zuverlässigste, was es am Markt zu kaufen gibt, würden die Antarktis Profis nicht einmal mit der Kneifzange einbauen. Viel zu unzuverlässig. Haben wir Mist gebaut? Der Gedanke drängt sich auf. Aber: Einen rußenden, schwarzen Schlot an Deck eines Kleinods wie der VERA? Niemals. Während das Heizungsproblem an unseren Seelen frisst, treibt ein frischer Nordwind fette Eisschollen gegen die VERA und die CLARY, das es nur so schabt und kracht. Wir rechnen mit Schäden, und vor allem damit, eingeschlossen zu werden. Ohne Heizung. Wir bekommen kein Auge zu, eine schlimme Nacht.
Der Morgen bringt die Überraschung: Es ist warm. Nordwind, Temperaturen über null Grad! Das Eis ist lose, und dabei zu schmelzen. Wir können ungehindert die Leinen loswerfen und aus der Falle des Seño Pia entkommen. Die Eiswache am Bug hat nicht einmal viel zu tun. Ein Wunder! Der Abschied von der CLARY und einigen weiteren herrlichen Wochen in den Gletschergebieten fällt uns schwer. Sollten wir weitersegeln, nun eben ohne Heizung? Wir entscheiden uns dagegen und beschließen, in drei langen Etappen vor dem Wind nach Puerto Williams zurückzurauschen. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt unter Deck machen die langen Abende keine Freude. Zudem haben wir nun ein großes Problem zu lösen: Wie nur, wie, bekommen wir eine neue Heizung innerhalb eines halben Jahres nach Puerto Williams? Und zu welchem Preis? Unsere Erfahrungen mit der kleinen Glühkerze lassen nichts gutes ahnen.
Auf dem Rückmarsch treffen wir in der Caleta Olla unerwartet auf die POLARWIND, die auf dem Weg nach Norden, nach Puerto Montt und dann in die Südsee ist. Das deutsch - chilenischen Pärchen Jutta und Oswaldo mit den beiden super gelungenen Kindern Antonia (5) und Theo (9), die eine beneidenswert glückliche Kindheit unter Segeln leben dürfen, lädt uns noch auf einen Schlummertrunk ein. Bald tauschen wir bei rotem Wein den neuesten Küstenklatsch aus. Jutta erzählt uns, das die Franzosen in Puerto Williams ganz aufgeregt sind: Der große Jerome Poncet persönlich soll in der Gegen unterwegs und auf dem Weg in den Norden Chiles sein. Aha.
Puerto Williams, unser »Heimathafen«, empfängt uns zu unserem Schrecken mit der kalten Schulter. Völlig unerwartet sind viel zu viele Boote hier. Die chilenische Marine veranstaltet zu ihrem 200. Jubiläum eine majestätische Großseglerparade mit sieben Segelschulschiffen aus Chile, Argentinien, Brasilien, Uruguay, Mexico, Spanien und Kolumbien und eine gut besuchte Optiregatta. Alles ist voll, kein Liegeplatz für die VERA, bloß eine kalte, windige Mooring draussen im Seño Lauta. Eine böse Woche lang frieren wir erbärmlich vor uns hin, bis uns das Auslaufen der französischen PETROUSHKA endlich einen anständigen Liegeplatz mit Landstrom = Heizlüfter im Päckchen an der MICALVI beschert. Das muss fürs erste genügen, bis wir »irgendwann« eine neue Heizung einbauen können.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Puerto Williams / Isla Navarino / Chile
1 - In zwei Monaten aus den USA nach Puerto Williams: FedEx Express

2 - Ein hübscher, alter Schlepper in Ushuaia, Argentinien.

3 - »Yendegaya National Park«: B auf einer alten Brücke.

4 - Gletschertal im »Yendegaya National Park«

5 - Alter Wagen.

6 - M vor der verlassenen Estancia Yendegaya.

7 - Der Italia Gletscher am Beagle Kanal.

8 - Eis im Seño Pia.

9 - Ein neugieriger Orca Wal schaut vorbei.

10 - Und hier der dazugehörige Orca Streifen. Ein Film von B+M.
11 - VERA und BOUNCE im »Walden Pond«. Süsswasser reinigt für uns das Unterwasserschiff.

12 - Zurück im Seño Pia: B und BOUNCE beim Landleinen legen in der Caleta Beulieu.

13 - Seño Pia: Sonnenaufgang im Eis. Unser Blick vom Ankerplatz in der Caleta Beaulieu auf den Romanche Gletscher.

14 - Seño Pia: B hilft Pia und Ulf beim Leinen legen.

15 - Der Romanche Gletscher vom Beagle Kanal aus gesehen.

Während bei Euch die Sonne aufgeht (ah, der Mai!), liegt hier der späte Herbst über den verschneiten Bergen und Fjorden Patagoniens. Die Tage werden kurz und kalt. B und ich sind noch immer hier. Durch den ärgerlichen Defekt an unserer Heizung (Fehler 20, Glühkerze kaputt) ist es anders gekommen als ursprünglich geplant. Besser? Wir finden schon. Sicher ist, das wir den wilden, weiten Weg hinauf nach Puerto Montt durch Wildnis, Sturm und Kälte nicht ohne eine funktionierende Heizung angehen wollten. Wir bestellten also eine neue Glühkerze, vorsorglich gleich zweimal, von zwei verschiedenen Händlern in England und den USA, per Luftpost, per Express, eilt unbeschreiblich, per Einschreiben, extra und extra. Anfangs gingen wir noch voller Erwartung alle paar Tage zur Post, dann nur noch einmal in der Woche und am Ende war es uns einfach egal. Letztlich haben wir über drei Monate in Puerto Williams auf unsere ersehnten winzigen Päckchen gewartet. Lateinamerika… Aber: Die Natur ist herrlich hier auf der Isla Navarino, südlich von Feuerland. Schroffe Berge, wilde Täler, filzige Wälder, gut gepflegte Wanderwege, wilde Pferde, muntere Biber, und eine Auswahl an Vögeln, wie wir sie nie gesehen haben. Draussen im Beaglekanal heult der Westwind, springen Delphine, Wale und Seelöwen. Wir haben einen guten, gesunden Tagesablauf gefunden: Morgentee, Wanderung (so zwei bis vier Stunden, je nach Tagesform), Brunch, Mittagsschlaf, lesen, schreiben, kochen, Dinner, vielleicht einen Film, lange schlafen, Morgentee, Wanderung, Brunch, usw.
Wir haben uns also entschieden, eine Zeitlang hier am »Fin del mundo« zu leben, ein gemütliches Winterquartier aufzuschlagen, in Puerto Williams, dem südlichsten Dorf der Welt. Die meisten Dorfbewohner hier gehören der chilenischen Marine an und pflegen einen äußerst freundlichen und hilfsbereiten Umgang mit den abenteuerlustigen Backpackern und Seglern aus aller Welt. Durch die benachbarten Boote hier im Päckchen an dem alten deutschen Paketdampfer CONTRAMESTE MICALVI konnten wir viele Bekanntschaften und einige Freundschaften schließen. Die Versorgungslage ist die: Am Samstag kommt die Fähre aus Punta Arenas und lädt ab. Der ganze Ort geht auf einmal hamstern. Ab Montag sind die Läden leer, von Leuten, aber auch von Waren. Einige Bilder aus Ushuaia, Puerto Williams und Kap Hoorn könnt Ihr u.a. im ersten Teil von Skip Novaks Schwerwetterratgeber sehen. Für die leidenschaftlichen Segler unter Euch: Die gesamte Serie ist gut gemacht und recht sehenswert.
Durch die vielen Gespräche hier hat sich unsere Sehnsucht nach einer eigenen kleinen Zweimannexpedition im nächsten Sommer in die Antarktis noch verstärkt. Dazu benötigen wir allerdings u.a. eine Genehmigung des deutschen Umweltbundesamtes. Die ist schwer zu bekommen. Ein Aktenordner voller Unterlagen ist zu erstellen, 1013 Frage, zum Schiff und zu uns. Zum Glück lag immer mal wieder die SANTA MARIA AUSTRALIS neben uns. Jeanette und Wolf fahren seit über zwanzig Jahren mit Chartergästen in die Antarktis und waren in den letzten Jahren jeweils die einzige Yacht unter deutscher Flagge die eine Genehmigung hatte. In den nächsten Wochen reichen wir die Papiere ein. Den endgültigen Bescheid erwarten wir so in drei bis sechs Monaten.
Anfang April mussten wir für ein paar Tage nach Ushuaia in Argentinien ausklarieren. Unsere Visa für Chile waren abgelaufen. Zum Glück genügt die einmalige Aus- und Wiedereinreise (sehr viel Papier, sehr viel Zen), um neue Visa zu erwerben. Ushuaia ist aber auch gut für manch anderes: Die dicken argentinischen Steaks im »Christophers« und die Croissants im »Ramos Generales« sind noch immer von erstklassiger Qualität und mehrere Besuche wert, auch weil der argentinische Peso derzeit in schlechtem Zustand ist. Im gemütlichen Yachtclub AFASYN treffen wir ein nettes schwedisches Pärchen: Pia und Ulf sind mit ihrem kleinen Doppelender SY CLARY (Laurin Koster 32) unterwegs und haben ähnliche Pläne wie wir.
Zurück in Puerto Williams und mit neuen Visa für Chile in der Tasche, beantragen wir gleich eine Genehmigung für den »Circito Ventisquero«, eine Rundreise durch die spektakulären Gletschergebiete im äußersten Südwesten Chiles. Nun stellt es sich als großer Vorteil heraus, das Diesel und Vorräte nicht für 600 Seemeilen bis zur nächsten Tankstelle in Puerto Natales, sondern nur für die knapp 300 eher diesellastigen Seemeilen des »Circito Ventisquero« reichen müssen. Durch unsere geplante Überwinterung im tiefen Süden haben wir viel Zeit gewonnen, die wir nun zu nutzen gedenken. Entschleunigung, die uns gut tut.
Mitte April verlassen wir gemeinsam mit der CLARY in aller Frühe unseren heimeligen Liegeplatz. Der Beagle Kanal zeigt sich zunächst von seiner selten friedlichen Seite. Bei leichtem Ostwind und Nieselregen laufen wir bei glattem Wasser platt vor den Laken gen Westen. Gegen Mittag ist der Wind weg, dann dreht er zurück auf West. Mit Hilfe des grünen Herrn Volvo geht es zunächst noch gut voran. Als B soeben unsere Eierkuchen in die Pfanne gießt, legt der Wind unvermittelt und völlig unerwartet zu. 25, 30, 35, dann 40 Knoten, Stärke acht. Die Sicht ist weg, das Wasser fliegt und bricht über den Bug. Bei Vollgas laufen wir keine drei Knoten mehr über Grund. Nichts wie raus hier. Drei Meilen weiter gibt es eine gut geschützte Ankerbucht: Caleta Martinez, eng, viel Kelp, Leinensalat von Fischerbooten. Wollen mal sehen… Mit Hilfe des Radars tasten wir uns bei schlechter Sicht zwischen kleinen Inselchen, Untiefen, Steinen und Felsen hindurch. Unsere Karten sind nicht schlecht, weisen aber einen markanten Versatz auf. B und ich haben beide ein mieses Gefühl bei der Sache. Es ist saugefährlich, was wir hier machen. Ein kleiner Fehler, oder Kelp im Propeller, und die VERA liegt hoch und trocken auf den Steinen. Das darf auf keinen Fall passieren. Sollten wir besser abbrechen, und zurück nach Puerto Williams segeln? Hinter uns ist die kleine CLARY umgekehrt und läuft ab. Letztlich gelingt es uns bei heulendem Sturm die winzige Caleta Martinez zu finden und in zwei Stunden harter Arbeit den Anker und zwei Landleinen sicher zu platzieren. Danach sind wir absolut erledigt und haben einiges gelernt.
Die nächsten Tage laufen geruhsamer ab. In der oberen Bahia Yendegaya finden wir eine Horde munterer Seelöwen und einen traumhaft schönen Platz. Die Caleta Ferrari bietet perfekten Schutz und Ankergrund vor den verfallenden Gebäuden der verlassenen Estancia Yendegaya, dem Yendegaia Fluss und dem Stoppani Gletscher. Das gesamte Gebiet wurde um das Jahr 2000 herum von dem US Amerikaner Doug Tompkins (dem kürzlich tödlich verunglückten Gründer der Firmen »The North Face« und »Esprit«) erworben, um es als »Yendegaya National Park« der Natur zu überlassen. Nichts und niemand ist mehr hier, aber die überwuchernden Wege und einige klapprige und gefährlich morsche Holzbrücken werden noch von wilden Pferden genutzt. Von der Estancia aus ist es möglich, entlang des Flusses, durch das breite ehemalige Gletschertal, bis an den derzeitigen Fuss des mächtigen Stoppani Gletscher zu wandern, der seinen Ursprung in den hohen Bergen der Darwin Kordilleren hat. Kann es einen anschaulicheren Weg geben, geologische Zeiträume vorstellbar zu machen? Ohne die Aufklärung, ohne Menschen wie die Geologen James Hutton (1726-1797) und Charles Lyell (1797-1875) würden wir uns viel zu wichtig nehmen. Bahia Yendegaya: Ein Platz zum Verweilen, ein Platz zum wandern und zum träumen.
Eine Woche später nutzen wir ein gutes »Wetterfenster« mit östlichen Winden, um mit einer kleinen Herde Orca Wale und vorbei an mehreren großen Gletschern in die wildromantische Caleta Morning zu verlegen. Einen Tag später dringen wir in den Seño Pia vor, einem mächtigen zweiarmigen Einschnitt im Beagle Kanal, in den einige der gewaltigen Gletscherzungen des Romanche Gletschers aus den Darwin Kordilleren kalben. Schon bei der Einfahrt in den Fjord riecht es nach Eis. Vorsichtig tasten wir uns voran. B steht am Bug und wehrt die größten Brocken mit dem Bootshaken ab. Den vielgepriesenen Ankerplatz in der Caleta Beaulieu erreichen wir nicht. Der Ostwind hat das Eis so stark verdichtet, das es kein Vorwärtskommen gibt. Uns bleiben nur der Rückmarsch, und einmalige Eindrücke.
In der nahegelegenen Bahia Tres Brasos finden wir auf Empfehlung von Jean Yves von der SY NATSIQ ein heimeliges Plätzchen, das wir »Walden Pond« nennen, obwohl es eigentlich »Caleta Cinco Estrellas« heißt, also »fünf Sterne Unterkunft«. Ein kleiner Einschnitt verengt sich zu einer sehr engen Einfahrt und weitet sich dann zu einem kleinen, fast runden Teich, in den kaum mehr als die schlanke VERA hineingeht. Der Anker und zwei Landleinen halten sie sicher in der Mitte. Von den umliegenden steilen Felsen rauscht ein lebendiger Wasserfall, der zu einer Besonderheit führt: Das Wasser in unserem Teich ist Süsswasser! Der verblüffende Effekt: Der Teich friert über Nacht zu. Und: Der inzwischen doch recht dicke Bewuchs unseres Unterwasserschiffes, die Muscheln und Algen, fallen nach ein paar Tagen einfach ab, und hinterlassen eine blitzsaubere, frische rote Oberfläche.
In den kommenden Tagen rauscht ein heftiger Sturm aus Südwesten über uns hinweg, mit starkem Regen, Hagel und Schnee, der die umliegenden Hügel pudert. Bei uns im »Walden Pond« bleibt es flau, nur die Wolken haben es eilig. Wir lesen und kochen und lesen und schlafen und heizen. Der kleine Nachteil am »Walden Pond« ist die fehlende Sonneneinstrahlung. Die umliegenden Berge lassen im Spätherbst kaum einen Strahl an unsere Solarpaneele. Da auch die Windgeneratoren müßig bleiben, müssen wir den recht hohen Stromverbrauch der Heizung (Umwälzpumpe, Gebläse, Glühkerze, etc.) mit der Hauptmaschine + Lichtmaschine + Hochleistungsregler ausgleichen, so etwa eine Dreiviertel laut nagelnde Stunde pro Tag. So wird uns sehr anschaulich, in welch hohem Maße »zivilisierte« Menschen in den höheren Breiten vom Brennstoff abhängen. Nur um uns warm zu halten verbrennen wir hier so zwischen vier und sechs Litern Diesel pro Tag. Wenn man dann an die Yaghan, die Ureinwohner dieser Gegend und ihre fehlende Bekleidung denkt, kommt man ins grübeln.
Wir bekommen Besuch! Ich (M) habe mich soeben zum Mittagsschlaf gelegt, als ein größeres Beiboot mit Aussenborder im »Walden Pond« auftaucht. Der Skipper setzt bei strömendem Regen und eisiger Kälte vier Crewmitglieder ab, die hier offenbar eine Wanderung unternehmen wollen. Brrrrr. Danach kommt er längsseits, um höflich Guten Tag zu sagen. B führt das Gespräch, während ich (M) von unserer Koje aus heimlich lausche. Ein Franzose, aha, noch einer. Ausgeprägt perfektes Englisch, ungewöhnlich. Er liegt mit seiner großen Ketsch weiter draussen vor Anker. Der »Walden Pond« ist etwas zu eng für ihn. Kommt von den Falkland Inseln. Ein Franzose von den Falklandinseln. Aha. Schönes Boot sagt der nette Franzose zu der VERA. Es wundert ihn, hier in der Wildnis so spät im Jahr noch ein Boot anzutreffen und dann noch eines, das so elegant und so sauber ist. Gleich wird er ablegen, es regnet und es ist kalt. Aber nein, das Gespräch mit Frau B scheint ihm zu gefallen. Sie reden über dies und das. B will ihn wohl nicht an Bord bitten, weil ich (Herr M) meinen Mittagsschlaf halte. Als der Franzose weg ist, erzählt mir B alles zur Gänze. Sie weiß ja nicht, das ich mitgehört habe. Der Franzose kommt von den Falklandinseln, alt, wettergegerbt, sieht aus wie die französische Ausgabe von Skip Novak. Aha. War das vielleicht Jerome Poncet? Der lebt, wie wir wissen, seit langem auf den Falklandinseln und züchtet Schafe. Hat B soeben mit einer lebenden Legende geplaudert? Wer weiss?
Vier Tage später sind wir zurück im Seño Pia. Der Sturm der letzten Tage hat das Eis ein wenig zurechtgerückt, so dass wir mit einiger Mühe bis zur Caleta Beaulieu vordringen und neben dem Anker zwei Landleinen legen können. Das sollte halten. Das Panorama des Gletschers und der umliegenden, schneebedeckten Berge ist atemberaubend. Diese Gipfel sind, verglichen mit Bergen in den Alpen, nicht allzu hoch, stehen sie doch direkt am Meer. Das Klima jedoch sorgt für eine majestätische Aura, mit gewaltigen Wächten und strahlend blauem Eis, die man sonst eher im Hochgebirge verortet. Verschiebungen im Eis des Gletschers sorgen immer wieder für ein Krachen, ein mächtiges Wummern, wie schwere Gewitter oder Artilleriebeschuss. Das macht ein wenig nervös, ist aber doch faszinierend anzuhören. Wir setzen uns mit unserem wohlverdienten Porridge und dem großen Sitzsack aufs Vordeck in die überwältigend wohltuende Nachmittagssonne und versuchen uns sattzusehen, was nicht gelingt. Vielleicht morgen.
Bei Tagesanbruch finden wir die VERA eingefroren in einer fingerdicken, frischen Eisschicht, die auch in der strahlenden Mittagssonne nicht auftaut. Sollten wir eine Dummheit begangen haben? Hier, in der Wildnis überwintern? Bitte nicht! Wir beraten noch, als der kleine Doppelender CLARY um die Landzunge biegt und eisbrechend auf uns zuhält. Was für eine angenehme Überraschung! Bald sitzen wir gemeinsam im Cockpit der Schweden und haben bei Whiskey mit Gletschereis viel zu erzählen. Das anschließende Dinner an Bord der VERA wird denkwürdig. Ein sehr, sehr gelungener, herrlicher Abend, der leider, leider mit »Fehler 61« endet. Unsere Eberspächer Heizung hat erneut den Geist aufgegeben. Das Steuergerät, halb so teuer wie die gesamte Heizung, ist hinüber, Totalschaden. Zuverlässige Technik »made in Görmany«.
Seit geraumer Zeit beschäftige ich (M) mich u.a. mit den Stoikern. Meinem permanenten Angespanntsein muss doch irgendwie beizukommen sein. Die Stoiker empfehlen, immer mit dem schlimmsten zu rechnen, damit man meist positiv überrascht wird, was zufrieden macht. Im schlimmsten Falle kann man ja gelassen bleiben, weil man ohnehin damit gerechnet hat. Soso. Wie empfohlen, lausche ich also seit Wochen voller Furcht auf jedes eigenartige Geräusch der Heizung, rechne jeden Augenblick mit ihrem Ausfall, und male mir das in den grauesten Farben aus. Und dann, heute, an einem perfekten Abend: »Fehler 61«, aus. Und nun? Ich springe im Dreieck vor Frustration und reiße mir die Haare aus. Stoa? Nicht jetzt. »All I ask is a comfortable home« - Charlotte Lucas.
Die Nacht wird kalt und schlaflos. Die vermaledeite Technik und unsere elende Abhängigkeit von derselben spielt mit unseren Gedanken Roulette. Alle anderen Boote hier fahren mit Holzöfen oder Schalenbrennern (Ölofen, lowtech) zur See. Auf Deck erheben sich mächtige, rußende Kamine, die die Segel schwärzen, gerne Wasser hereinlassen und/oder von schlagenden Vorsegelschoten ausgerissen werden. Bei etwas Wind beatmen diese Monster gerne auch mal die Kabine, was für gute Gesundheit und einen fetten, schwarzen Ölfilm auf Büchern und Polstern sorgt. Eine Hightech Heizung wie unsere Eberspächer Hydronic 10, das beste und zuverlässigste, was es am Markt zu kaufen gibt, würden die Antarktis Profis nicht einmal mit der Kneifzange einbauen. Viel zu unzuverlässig. Haben wir Mist gebaut? Der Gedanke drängt sich auf. Aber: Einen rußenden, schwarzen Schlot an Deck eines Kleinods wie der VERA? Niemals. Während das Heizungsproblem an unseren Seelen frisst, treibt ein frischer Nordwind fette Eisschollen gegen die VERA und die CLARY, das es nur so schabt und kracht. Wir rechnen mit Schäden, und vor allem damit, eingeschlossen zu werden. Ohne Heizung. Wir bekommen kein Auge zu, eine schlimme Nacht.
Der Morgen bringt die Überraschung: Es ist warm. Nordwind, Temperaturen über null Grad! Das Eis ist lose, und dabei zu schmelzen. Wir können ungehindert die Leinen loswerfen und aus der Falle des Seño Pia entkommen. Die Eiswache am Bug hat nicht einmal viel zu tun. Ein Wunder! Der Abschied von der CLARY und einigen weiteren herrlichen Wochen in den Gletschergebieten fällt uns schwer. Sollten wir weitersegeln, nun eben ohne Heizung? Wir entscheiden uns dagegen und beschließen, in drei langen Etappen vor dem Wind nach Puerto Williams zurückzurauschen. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt unter Deck machen die langen Abende keine Freude. Zudem haben wir nun ein großes Problem zu lösen: Wie nur, wie, bekommen wir eine neue Heizung innerhalb eines halben Jahres nach Puerto Williams? Und zu welchem Preis? Unsere Erfahrungen mit der kleinen Glühkerze lassen nichts gutes ahnen.
Auf dem Rückmarsch treffen wir in der Caleta Olla unerwartet auf die POLARWIND, die auf dem Weg nach Norden, nach Puerto Montt und dann in die Südsee ist. Das deutsch - chilenischen Pärchen Jutta und Oswaldo mit den beiden super gelungenen Kindern Antonia (5) und Theo (9), die eine beneidenswert glückliche Kindheit unter Segeln leben dürfen, lädt uns noch auf einen Schlummertrunk ein. Bald tauschen wir bei rotem Wein den neuesten Küstenklatsch aus. Jutta erzählt uns, das die Franzosen in Puerto Williams ganz aufgeregt sind: Der große Jerome Poncet persönlich soll in der Gegen unterwegs und auf dem Weg in den Norden Chiles sein. Aha.
Puerto Williams, unser »Heimathafen«, empfängt uns zu unserem Schrecken mit der kalten Schulter. Völlig unerwartet sind viel zu viele Boote hier. Die chilenische Marine veranstaltet zu ihrem 200. Jubiläum eine majestätische Großseglerparade mit sieben Segelschulschiffen aus Chile, Argentinien, Brasilien, Uruguay, Mexico, Spanien und Kolumbien und eine gut besuchte Optiregatta. Alles ist voll, kein Liegeplatz für die VERA, bloß eine kalte, windige Mooring draussen im Seño Lauta. Eine böse Woche lang frieren wir erbärmlich vor uns hin, bis uns das Auslaufen der französischen PETROUSHKA endlich einen anständigen Liegeplatz mit Landstrom = Heizlüfter im Päckchen an der MICALVI beschert. Das muss fürs erste genügen, bis wir »irgendwann« eine neue Heizung einbauen können.
Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Puerto Williams / Isla Navarino / Chile
1 - In zwei Monaten aus den USA nach Puerto Williams: FedEx Express

2 - Ein hübscher, alter Schlepper in Ushuaia, Argentinien.

3 - »Yendegaya National Park«: B auf einer alten Brücke.

4 - Gletschertal im »Yendegaya National Park«

5 - Alter Wagen.

6 - M vor der verlassenen Estancia Yendegaya.

7 - Der Italia Gletscher am Beagle Kanal.

8 - Eis im Seño Pia.

9 - Ein neugieriger Orca Wal schaut vorbei.

10 - Und hier der dazugehörige Orca Streifen. Ein Film von B+M.
11 - VERA und BOUNCE im »Walden Pond«. Süsswasser reinigt für uns das Unterwasserschiff.

12 - Zurück im Seño Pia: B und BOUNCE beim Landleinen legen in der Caleta Beulieu.

13 - Seño Pia: Sonnenaufgang im Eis. Unser Blick vom Ankerplatz in der Caleta Beaulieu auf den Romanche Gletscher.

14 - Seño Pia: B hilft Pia und Ulf beim Leinen legen.

15 - Der Romanche Gletscher vom Beagle Kanal aus gesehen.
