SY VERA

The Pacific: A voyage to Easter Island and beyond

006 - IN WEITEM BOGEN NACH PITCAIRN UND VON DORT ZU DEN GAMBIER INSELN

Hallo Ihr Lieben!

Das »Polynesische Dreieck«: Traumrevier Jack Londons, Mark Twains und Robert Louis Stevenson, zwischen Hawaii, Neuseeland und der Osterinsel. DIE Projektionsfläche für Romantiker seit alter Zeit. Das 1970 eröffnete Museum für Völkerkunde in Berlin Dahlem, mit seiner spektakulären
Pazifik-Dauerausstellung hatte uns (also B und M) schon als Kinder magisch angezogen und zum träumen angeregt. Auf über 3000 m² waren damals Artefakte aus der Südsee ausgestellt, im halbdunkel, effektvoll illuminiert, und ausschließlich aus der Zeit vor dem Kontakt mit der Europäischen Kultur. Für zehn Pfennig pro Blatt konnte man detailliertes Informationsmaterial zu vielen Ausstellungsstücken erwerben und in einen hübschen blauen Sammelordner heften. B und ich hatten sie ALLE, unabhängig voneinander. In einer 17 m hohen Halle standen zahlreiche Boote, darunter hochseetüchtige Katamarane und Auslegerboote mit aufgerichteten Masten, darunter auch eine raffiniert gemachte »Proa« mit Krebsscherensegel, ein »Tepukei« von der Insel Taumako, ein Auslegerkanu mit Wachhütte, Feuerstelle und Vorratskisten für lange Reisen im Pazifik. Diese Museumsbesuche waren der Humus für unsere zukünftigen Pläne. Im Jahre 2007 war es endlich soweit: Gemeinsam segelten wir die VERA von Panama her über die Galapagosinseln nach französisch Polynesien, besuchten die Marquesas, die Tuamotu-, die Gesellschaft- und die Cookinseln, Tonga und Neuseeland. Lange her. Nun aber sind wir zurück, auf der Suche nach frischen Abenteuern im Reich des türkisen Wassers, der bunten Korallen, der tropischen Fische, der wiegenden Kokospalmen und der warmen Winde.

28. Februar 2020, bei Sonnenuntergang: Seit ein paar Tage segeln wir friedlich vor dem Passat und fressen Meilen.
Doch nun schläft der Wind ein, was nicht unbedingt hilft. Eine bleierne Dünung lässt die VERA auf der Stelle taumeln, wie ein verhungerndes Pferd. Das mag der Autopilot nicht und frisst sein Getriebe… Nicht schön, aber dank unserer guten Kollektion von Ersatzteile rasch zu reparieren. Nicht zu beheben ist allerdings unser Unbehagen über die aktuelle Wetterentwicklung. Das GFS Modell errechnet das Eintreffen einer »Tropical depression«, also eines Tiefdruckgebiet, so in etwa einer Woche, viel Wind aus allen Richtungen, die mögliche Zugbahn noch sehr variabel. Zunächst sah das recht unauffällig aus. Inzwischen mehren sich die Anzeichen für einen ausgewachsenen Sturm. Zur Sicherheit halten wir uns weit südlich der »Rhumb line«, also des direkten Kurses nach Pitcairn. Pitcairn… Es wäre doch schön, wenn wir die Insel der berühmten Meuterer zumindest in Augenschein nehmen könnten. Nun aber droht das verflixte Wetter diese Pläne zu durchkreuzen. Einstweilen bleibt jedoch Zeit zum schlafen, ausruhen und entspannen. Als der Seegang nachlässt, beginnen wir die Flaute zu genießen und gehen schwimmen. Zwei blaugrün schillernde kleine Thunfische verfolgen die VERA, neugierig und verspielt. Wir überlegen, ob es wohl moralisch vertretbar wäre wäre, zumindest einen von ihnen zu »Sashimi« zu verarbeiten. Aber als wir uns endlich dazu durchringen einen bunten Köder an der Handleine nachzuschleppen, beantwortet sich diese Frage von selbst. Das muntere Duo ignoriert unsere Versuche, souverän und zu unserer Erleichterung.

In den folgenden Tagen überquert das Tief die Gambier Inseln und gewinnt über Pitcairn an Kraft. Hier unten auf bald 28 Grad Süd bringt das schlechtes Wetter, Dauerregen auf tiefschwarzem Grund und keinen Strahl Sonne auf den Solarpaneelen. Allerdings beschert uns der frische Südostwind eine Reihe von guten Etmalen (Entfernung zwischen zwei Schiffsmittagspositionen). Das Großsegel haben wir eingepackt. Zu viel Verschleiß. Da scheuert es an den Salingen, schlägt in den Lattentaschen und quietscht in den Blöcken. John Kretschmer (Lesetip für Segler: »John Kretschmer: Sailing a serious ocean.«) hat recht: Nur unter Genua lebt es sich beschaulicher. Ausserdem wollen wir den Sturm doch besser vor unserem Bug passieren lassen. Kein Grund zur Eile also.

Per IRIDIUM Datenmodem kommen täglich aktuelle GFS Modelle herein und dazu Meldungen von Freunden: LUCIPARA 2 erreicht nach herrlichen Tagen auf Pitcairn die Gambier Inseln und Mangareva bei teuflischem Sauwetter. EASTERN STREAM und PAZZO haben sich dort bereits in der Lagune von Rikitea verbarrikadiert. Nun fragen sie besorgt nach unserem Befinden. HAIYOU hat Juan Fernandez erreicht und beobachtet von dort aus argwöhnisch die weitere Entwicklung. STORMALONG ist vor dem aufziehenden Sturm umgekehrt, um an der Südküste der Osterinsel Schutz zu suchen. Hier unten läuft es weiterhin vergleichsweise gut. SE Stärke sechs, in Böen sieben, Luftdruck fällt, aber nicht bedrohlich. Ganz wie angedacht, passiert das Tief im Norden und schaufelt uns im Süden bequem und schnell nach Pitcairn. So soll es sein.

05. März 2020: Die Sonne schaut heraus, der Luftdruck steigt. Herrliches Rückseitenwetter jetzt. Und: Land in Sicht! Pitcairn aus der Meuterer Perspektive! Fletcher Christian muss ein Händchen für Astronavigation gehabt haben. Nach einem Intermezzo auf Tubuai in den Austral Inseln, war es dem ehemaligen zweiten Offizier der BOUNTY 1790 gelungen, die in alten Aufzeichnungen erwähnte kleine Insel Pitcairn wiederzufinden, was im Jahre 1773 nicht einmal dem großen Captain Cook gelungen war. Dabei stellte Christian mit Hilfe des Harrison Chronometers der BOUNTY eine gesunde Ungenauigkeit in der angeblichen geographischen Länge fest, was ihn in der Ansicht bestärkt haben muss, an diesem entlegenen Ort vor eventuellen Verfolgern sicher zu sein. In der, sozusagen, von Fletcher Christian begründeten kleinsten Kronkolonie Großbritanniens leben heute 50 Menschen, die meisten von ihnen Nachfahren der BOUNTY Meuterer.

Es knackt auf dem UKW Funk. Brenda Christian, die ehemalige Gouverneurin und heutige Polizeichefin von Pitcairn ist am Apparat. Wir hatten schon vor ein paar Tagen per e-mail Kontakt zu ihr aufgenommen. Leider verbietet sich in der derzeit schweren Brandung jeglicher Versuch einer Anlandung. Sie empfiehlt uns, die »Bounty Bay« mit der Landestelle zu passieren und zunächst einmal unter der Westküste der Insel zu ankern. Dort liegt bereits die britische Segelyacht BURASARI und wartet ebenfalls auf Wetterbesserung. Vor Ort erweist sich der exponierte Ankerplatz als hinreichend sicher, wenn auch ein wenig ausgesetzt. Gewaltige Seen aus dem »Southern Ocean« rollen in spitzem Winkel schräg zur Küste von Südwesten her herein und überschlagen sich donnernd auf gezackten schwarzen Felsen. Wie im Fahrstuhl geht es auf und ab, was recht spektakulär ist, sogar im Vergleich zu den vergangenen Wochen auf Reede vor Hanga Roa. Aber der Anker sitzt fett im weißen Sand auf 20m Tiefe und hält bombensicher. Die Insel riecht gut. Weiße Seeschwalben und schwarze Fregattvögel kreisen über steilen Felsen und dichtem grünen Dschungel. Keine Anzeichen für menschliche Besiedelung, kein Licht in der Nacht. Wir genießen das wildromantische Panorama, kochen gut, trinken kühlen chilenischen Weißwein und gehen bald nach Sonnenuntergang in die Koje. Zumindest für ein paar Tage wollen wir Pitcairn noch belagern. Vielleicht ergibt sich ja doch noch eine Möglichkeit zur Anlandung?

08. März 2020: Wir geben es auf. Nachdem wir uns bei »Pitcairn Radio« verabschiedet haben, gehen wir unter Segel. Wind und See verhindern auch heute und zumindest in der kommenden Woche jeglichen Versuch zu landen. Fletcher Christian hatte sich ein gutes Versteck ausgesucht. Richtig traurig sind wir nicht. Zu exponiert der Ankerplatz, die Schiffsbewegungen im hohen Seegang zu heftig. Wir sind urlaubsreif. Die geschützten Lagunen der
»Îles Gambier« liegen nur 300 Seemeilen im Westen. Ein Katzensprung.

Schon schwieriger ist es, mit den schmerzlichen Nachrichten umzugehen, die von der STORMALONG hereinkommen. Wie oben erwähnt, waren die jungen Holländer ja bereits auf dem Rückweg zur Osterinsel, um Schutz vor dem heraufziehenden Sturm zu suchen. Einen Tag später entschieden sie sich zur erneuten Umkehr. Das Tief hatte inzwischen die Osterinsel im Visier. In einigen harten Tagen mit bis zu 50kn Wind aus NW gelang es der STORMALONG, dem Tief auf Südkurs zu entkommen und bei frischem SE Wind direkten Kurs auf Gambier zu nehmen. Für die noch in Hanga Roa ankernden sieben Boote ergab sich durch die Wetterentwicklung eine problematische Situation. Bei starkem Nordwind schien es geraten, nach Vinapu, einem ebenfalls äußerst exponiert gelegenem Ankerplatz an der Südküste auszuweichen. Dort war man zwar halbwegs vor dem Sturm geschützt, nicht aber vor der gewaltigen Dünung aus dem Südpazifik, die uns nach unserem Eintreffen auf Pitcairn so beeindruckt hatte. Dies wurde der amerikanischen SOLACE (einem gut gemachten südafrikanischen Nachbau der Baltic 42DP aus GFK) zum Verhängnis. Wegen der starken dem Küstenverlauf folgenden Strömung drehte sie sich in der Nacht vor Anker liegend quer zu den auflaufenden Seen. Offenbar wurde sie dann von einem Brecher erfasst, der die Yacht in verhältnismäßig flachem Wasser durchkentern ließ. Die chilenische Armada fand am nächsten Morgen nurmehr Trümmer in der Brandung. Vom sympathischen Skipper und Eigner Steve, mit dem Linette und Nils von der STORMALONG eng befreundet waren und dessen Bekanntschaft auch wir bereits flüchtig in Puerto Williams gemacht hatten, fehlt jede Spur.

Zwei Tage später, bei Tagesanbruch: Land in Sicht. Die Berge d
er »Îles Gambier« an Steuerbord voraus. Noch 20 Seemeilen bis zum Eingang des SW Passes, der in das Ringriff einer kleinen Gruppe von Inseln führt, die seit 1882 zu Frankreich, bzw. zu »Französisch Polynesien« gehört. Rikitea auf der Insel Mangareva ist Hauptort und Verwaltungszentrum der »Îles Gambier«, naturgemäß also unser erstes Ziel. Eine Handvoll Yachten liegt friedlich in der geschützten Lagune vor Anker. Wir suchen uns einen freien Platz und gesellen uns dazu. Zum ersten mal seit bald zwei Monaten liegen wir in ruhigem Wasser. Wir sind angekommen. VERA out.

Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch B und M / SY VERA / Rikitea / Mangareva / Iles Gambier / POS 23.07,0 S - 134.58,0 W


1 - Das »Polynesischen Dreieck«: Traumrevier Jack Londons, Mark Twains und Robert Louis Stevensons. Zwischen Hawaii, Neuseeland und der Osterinsel liegen tausende von tropischen Paradiesen unter dem Winde.
1 Das polyneschische Dreieck

2 - Wir verlassen die Osterinsel bei günstigem Wind. Vor dem Bug der VERA liegen über tausend Seemeilen bis Pitcairn.
Ein Film von B und M.

3 - Wochenlang auf Autopilot.
Ein Film von B und M.

4 - Eine bleierne Dünung lässt das Boot auf der Stelle taumeln, wie ein verhungerndes Pferd. Ein Film von B und M.

5 - In der Flaute frisst der Autopilot mal wieder sein Getriebe… Nicht so schlimm. Ersatzteile sind an Bord.
5 Autopilot

6 - Yves Klein: Zwei kleine Thunfische.
Ein Film von B und M.

7 - Das GFS Modell vom 02.03.2020: Unsere Planung sieht vor, solange südlich der »Rhumb line« zu segeln, bis uns das Tief im Norden passiert hat.
7 Das Tief

8 - Hoher Seegang macht die Reise recht anstrengend.
8 Auf See

9 - Pitcairn aus der BOUNTY Perspektive.
9 Bounty Perspektive

10 - Pitcairn: Ankerplatz vor dem »Western landing«.
11 Pitcairn Panorama

11 - Wir geben es auf. Wind und See verhindern derzeit jeglichen Versuch, auf der berühmten Insel zu landen.
12 Wir geben es auf

12 - Ankunft im Paradies: Die Berge d
er »Îles Gambier« an Steuerbord voraus.
13 Gambier STB voraus

13 - Unter Freunden in Rikitea auf Mangareva: 00.10 STORMALONG und LUCIPARA 2, 00.20 EASTERN STREAM und ATANGA- Ein Film von B und M.

14 - 1500 Seemeilen vor dem Wind: Von der Osterinsel aus in weitem Bogen nach Pitcairn und weiter zu den Gambier Inseln.
10 In weitem Bogen

005 - RAPA NUI: AM NABEL DER WELT

Hallo Ihr Lieben!

Die Osterinsel: Das ganz große Abenteuer. Gute zwei Wochen lang ankert die VERA vor Hanga Roa, der größten Ortschaft der noch immer zu Chile gehörenden »Isla de Pascua«, die von der einheimischen polynesischen Bevölkerung nur »Rapa Nui« genannt wird, und ihnen als der »Nabel der Welt« gilt. Dieser liegt durchaus abgelegen in der östlichen Ecke des Polynesischen Dreiecks. Im Umkreis von über zweitausend Kilometern existiert keine andere menschliche Ansiedlung. Legenden und geheimnisumwitterte Geschichten prägen die Osterinsel wie kaum einen anderen Ort der Erde, und naturgemäß sind es vor allem die gewaltigen Monumentalstatuen, also die berühmten »Moai«, welche die Phantasie anregen. Der Naturwissenschaftler
Johann Georg Adam Forster, der als Assistent seines Vaters Johann Reinhold Forster an der zweiten Cook-Expedition teilnahm, fertigte die ersten Skizzen dieser Monumentalstatuen an. Später entstanden daraus romantische Kupferstiche, die seinerzeit in den Europäischen Salons für großes Aufsehen sorgten. Dank Captain Cooks tahitianischem Übersetzer wußte man bereits, das die »Moai« Ebenbilder verstorbener Häuptlinge darstellen, deren Namen tragen, und einst große Verehrung genossen. Der Norwegische Ethnologe Thor Heyerdahl, der zumindest der »Boomer« Generation noch ein Begriff ist, forschte hier in den 50er Jahren und schrieb einen Weltbestseller: »Aku Aku - Das Geheimnis der Osterinsel«. Spätestens seit dieser Zeit spielt die Insel auch in Sachen Südseeromantik in der allerersten Liga.

Für uns Segler geht es allerdings zunächst einmal darum, ob und wo man überhaupt bleiben kann. Hanga Roa hat ja keinen richtigen Hafen, in dem ein Boot wie die VERA sicher wäre. Nur für die einheimischen Fischerboote gibt es zwei kleine Anleger hinter ein paar Felsen. Der Ankerplatz auf Reede bietet keinen hinreichenden Schutz. Zwar deckt der Verlauf der Küste die zumindest im Sommer vorherrschenden östlichen Winde ab, aber der lange Atem des Südpazifik sorgt für eine hohe Dünung, die sportbegeisterte Einheimische beinahe an jedem Tag zum Wellenreiten nutzen. Die Wassertiefe ist hoch und etliche hübsche Korallenköpfe erschweren das platzieren des Grundgeschirrs. Zum Glück kursieren unter den Langfahrtseglern gute Unterlagen und Erfahrungsberichte und auch die Chilenische »Armada« hilft über Funk beim einparken.

Landgang: Nachdem wir unser Beiboot BOUNCE durch die Brandung manövriert und im kleinen Fischerhafen zwischen munter plantschenden Meeresschildkröten und badenden Kindern angebunden haben, können wir uns endlich in Ruhe umsehen. Einige der geheimnisumwitterten »Moai« stehen gleich am Hafen auf ihren »Ahu«, also ihren zeremoniellen Plattformen, und stimmen ein, auf das was vor uns liegt. Hanga Roa wirkt nett. Sehr nett sogar, obwohl der Boden unter unseren weichen Knien schwankt, was etwas »landkrank« macht. Zahlreiche Cafés, Restaurants, zwei Tankstellen und sogar eine richtige Eisdiele laden zum Geld ausgeben ein. Für Touristen gibt es reichlich Gästehäuser, Appartements und Boutique Hotels, dazu zwei Banken und eine Reihe gut bestückter Tauchshops. In der langen Einkaufsmeile finden sich Ananas-, Bananen- und Gurkenlastige Obst- und Gemüsestände. Dazu gesellen sich einige kleine Supermärkte, die alles Nötige führen. Die Versorgungslage ist überraschend gut, wenn auch zu gesalzenen Preisen, zumindest im Vergleich zum ohnehin schon teuren chilenischen Festland.

Tagelang schlendern wir voller Neugier durch die Ortschaft. Es ist Hauptsaison. Sprachen aus der ganzen Welt wehen ins Ohr. Das jährliche »Tapati« Festival nähert sich seinem Höhepunkt. Auf einem gepflegten Rasen werfen wilde »Rapa Nui« Krieger vor begeistertem Publikum mit langen
Speeren auf eingerammte Holzpfähle. Vor dem Hafen wird mit Auslegerkanus um die Wette gepaddelt. Man arbeitet hier an seinem »Mana«, also an seiner »Macht«. Ein Mensch mit Kraft, Selbstvertrauen und Erfolg ist im Besitz von »Mana«, also spiritueller Energie, wie sie auch ein Berg, ein Baum, ein Felsen, das Meer, die Sonne, die Sterne oder ein »Moai« haben kann.

In der Einkaufsmeile toben Umzüge mit Trommeln, Ukulelenklängen, Baströcken und schönen Frauen und am letzten Abend des Festivals dürfen wir von u
nseren ankernden Booten aus das gewaltige Abschlussfeuerwerk bewundern. Vom Feiern versteht man also etwas auf »Rapa Nui«. Die Leute haben sichtlich Freude an ihrem Tun. Man hat den Eindruck, daß die Volksfestatmosphäre authentisch ist, trotz der pittoresken Baströcke, den Südsee Tätowierungen und den romantischen Körperbemalungen für Chilenen und Touristen.

Allmählich weiten wir unsere Ausflüge und Wanderungen in die Umgebung aus, besichtigen den romantisch angelegten Friedhof und ein nahe gelegenes »Ahu« voller »Moai«, die man zusammen mit der auf Reede liegenden VERA photographieren kann. Mit Linette und Nils von der STORMALONG teilen wir uns einen schrottreifen, aber dafür recht günstigen Mietwagen und besuchen damit die etwas abgelegeneren Sehenswürdigkeiten der Insel. Die »Moais« von Anakena, im Norden der Insel, haben wir ja schon von See aus gesehen. Nun stehen sie direkt vor uns auf ihrem »Ahu«, monumental und vor »Mana« strotzend. Auf dem Kopf tragen sie aus rötlichem Fels gehauene zylindrische Hüte. Ob die Altvorderen wohl rote Haare hatten und Turmfrisuren trugen?

Lunch in einem hübsch gemachten Imbiss in Anakena: Der Wirt ist gebürtiger Tahitianer. Er spricht kein Spanisch. Wozu auch. Wir folgen seiner Empfehlung und bestellen Teigtaschen mit Thunfischfüllung und dazu sein Geheimrezept: Mangosaft mit Kokosnussmilch. Wir kommen ins Gespräch: Vor Jahren nahm er auf »Rapa Nui« ein gut bezahltes Jobangebot als Musiklehrer an. Offenbar bestand Bedarf: Polynesische Trommeln, Ukulele, Tanz und Gesang, wie man sie heutzutage beim »Tapati« Festival hört. Die Insel gefällt ihm: Hier fand er seine Frau, eine waschechte »Rapa Nui«. Hier hat man noch Zeit füreinander. Die Menschen sind wesentlich fröhlicher und freundlicher als in den Gesellschaftsinseln, wo alle nur hinter dem schnellen Geld her sind. Hier läuft das Leben noch in gemächlichen Bahnen. Die nötigen Papiere, die ihn zum endgültigen Bleiben berechtigen, hat er inzwischen beisammen…

Weiter zum »Ahu Tongariki«: Pure Magie. Fünfzehn der allergrößten »Moai« stehen heute hier auf einem langgestreckten »Ahu«. Das dem so ist, verdanken sie zum Teil dem Engagement der Japanischen Firma »Tadano«. Nach dem verheerenden Erdbeben
von Valdivia im Mai 1960 zerstörte ein schwerer Tsunami das »Ahu Tongariki« und schwemmte die erst kürzlich wieder aufgerichteten »Moai« ein gutes Stück ins Landesinnere. Die Japaner boten Hilfe an, verschifften einen schweren Autokran nach »Rapa Nui« und investierten mehrere Millionen Dollar. Dafür bekamen sie vom chilenischen Staat einen echten »Moai« geliehen. Nach einigen Jahren in verschiedenen japanischen Museen steht der sogenannte »Traveling Moai« heute in Tongariki, auf einem eigenen »Ahu«, etwas abseits von den anderen »Moai«. Während unseres Besuches regnet es in Strömen, was der archaischen Anlage am Meer zu einer ganz eigenen, sehr kraftvollen Atmosphäre verhilft. Wir stellen uns bei den Nationalparkswärtern unter. Zeit zum sinnieren. Mich (also M) erinnert der »Traveling Moai« an einen guten Freund.

Um anderen Touristen aus dem Weg zu gehen, besuchen wir den gewaltige Steinbruch von »Rano Raraku« am nächsten Tag, bei Sonnenaufgang. Hunderte von »Moais« in allen Phasen der Fertigung stehen erratisch auf der Wiese, oder liegen noch im Fels, halbfertig, oder erst in Umrissen zu erkennen. Der größte jemals gehauene »Moai«, ein wahrer Riese von über 21 Meter Länge, wartet ebenfalls noch auf seine Fertigstellung. Die Frage nach dem »Warum« drängt sich auf. Warum betrieb man diesen Ahnenkult und warum gab man ihn auf? Im Museum in Hanga Roa liegen Unterlagen, Dokumente, Theorien. Eine gut gemachte Dokumentation der BBC zeigt auf, was man gegenwärtig zu wissen glaubt. Die ehemals dichten endemischen Palmenwälder der Insel könnten der »Kleinen Eiszeit«, eingeschleppten polynesischen Ratten, oder auch einer Krankheit zum Opfer gefallen sein und nicht einem rücksichtslosen Raubbau zur Anfertigung von Kränen, Hebeln oder Schlitten. Der Transport und die Aufrichtung der »Moai« auf einem »Ahu« war auch ohne den ruinösen Verbrauch von Holz machbar. Lang gepflegte Theorien nach denen sich die Einheimischen aus Mangel an Ressourcen gegenseitig umbrachten oder gar aufaßen scheinen inzwischen ebenfalls abwegig.

Der Holländische Entdecker Jacob Roggeveen fand die »Moai« im Jahre 1722 noch stehend vor. Die zahlreichen Bewohner der Insel schienen verschiedenen Ethnien anzugehören, waren wohlgenährt und äusserst gastfreundlich. James Cook fand dann im Jahre 1774 viele »Moai« umgestürzt vor. Irgendetwas muß sich in der Zwischenzeit verändert haben. Ereigneten sich Erdbeben oder Tsunamis? Oder brachte der Kontakt mit den Europäischen Seefahrern ein von den Ahnen überliefertes fest gefügtes Weltbild ins wanken? Spätere Expeditionen erfuhren von einer Art Meritokratie, dem »Bird Man« Kult, der die Verehrung der »Moai« Statuen seit dem 16. Jahrhundert allmählich abgelöst haben soll. Vollkommen zerstört wurde die »Rapa Nui« Kultur und der »Bird Man« Kult erst im 19. Jahrhundert von Missionaren, peruanischen Sklavenjägern, raffgierigen Farmern, den Pocken und der Lepra. Die Überlebenden begrüßten die Chilenen 1888 als Schutzmacht und stimmten der Annexion zu. Das ging nicht gut für sie aus. Bis in die 1960er Jahre lebten die wenigen verbliebenen »Rapa Nui« in einer Art »Gulag«, einem umzäunten Gelände in »Hanga Roa«, das sie nicht verlassen durften. Internationale Viehzüchter hatten Verträge mit Chile ausgehandelt, die Insel aufgekauft, und in eine große Schafsfarm verwandelt.

Seltsamerweise besserte sich die Situation der »Rapa Nui« ausgerechnet mit der Amtszeit von Augusto Pinochet. Als erster chilenischer Präsident stattete er der Insel einen formellen Besuch ab, sorgte für erhebliche Investitionen in die Infrastruktur, und ernannte 1984 den in den USA ausgebildeten Archäologen Sergio Rapu, einen gebürtigen »Rapa Nui«, zum Gouverneur. Dennoch bleibt der Weg zu mehr Unabhängigkeit recht steinig. Immerhin erreichte man in langjährigen Protesten, dass Chilenische Staatsbürger kein Aufenthaltsrecht mehr auf »Rapa Nui« genießen. Wie gewöhnliche Touristen dürfen sie nunmehr nicht länger als 30 Tage verweilen. Man war es offenbar leid, gegenüber den europäisch stämmigen Chilenen mittelfristig in die Minderheit zu geraten. Die Verwaltung des Nationalparks und der archäologischen Stätten liegt inzwischen ebenfalls bei den »Rapa Nui«. Das ist durchaus bedeutsam, da es beim hiesigen »Ökotourismus« für den gehobenen Anspruch um beachtliche Geldbeträge geht. Zum Beispiel muss jeder Reisende, der die archäologischen Stätten sehen will, volle 80 US Dollar Eintrittsgebühren berappen. Eine Menge Geld, gerade im Vergleich zu den bescheidenen monatlichen Durchschnittseinkommen des chilenischen Normalbürgers. Jeden Tag landen zwei bis drei Großraumflieger mit Touristen aus aller Welt auf dem seinerzeit von den USA für das »Space Shuttle« Programm erbauten großzügig dimensionierten Flughafen. Dazu kommen die Kreuzfahrtschiffe voller Menschen, alleine vier während unserer Anwesenheit. Die »Kreuzfahrer« bleiben zwar meist nur für einen Tag, reißen aber doch, falls das Wetter irgendwie mitspielt, das ganz große touristische Programm ab. Natürlich benötigt jeder Passagier dafür die zehn volle Tage gültige Eintrittskarte für den Nationalpark… Von aussen betrachtet sieht es also so aus, als ob die Altvorderen ihren Nachkommen mit den monumentalen »Moai« Statuen zu einer sagenhaften Goldgrube verholfen haben. Man muss jetzt nur noch darauf achten, diese Reichtümer nicht etwa mit ungebetenen Einwanderern teilen zu müssen.

Auf Reede vor Hanga Roa bleibt es indes aushaltbar. Das tiefe Rollen des Bootes wiegt uns abends in den Schlaf. Es ist definitiv bequemer als auf See, weil ja derzeit keine Segelmanöver oder Nachtwachen anstehen. Einige Tage lang weht sogar ein frischer NW. Wir liegen auf Legerwall und stampfen heftig in der bald gut etablierten Windsee. Komischerweise gewöhnt man sich daran. Der 42kg Bügelanker sitzt auf 25m fett im Sand und hält mit 80m Kette bombensicher. Unweit vor uns liegt der Frachter IVS NORTHERN BERWICK. Das majestätische Rollen des großen Potts hat etwas beruhigendes. Über Funk erfahren wir, daß man eigentlich nach Brisbane unterwegs ist. Wegen Maschinenschadens wartet man hier jedoch schon seit vierzehn Tagen auf Ersatzteile… Was haben wir es da doch gut. Lediglich der tägliche Landgang mit dem Beiboot bleibt ein wenig abenteuerlich. Gerne verbringen wir deshalb die Abende an Bord, schwimmen, kochen gut, allein oder mit der Crew der STORMALONG, reden über dies und das und die verstörenden Nachrichten aus aller Welt, die uns über eine 4G Telefonkarte auf die Computer gespült werden. Gegen Sonnenuntergang, um Punkt neun Uhr, vernimmt man von der Kirche in Hanga Roa her ein feines, mehrstimmiges Glockenspiel, das vertraut klingt: Das
zu Heiligabend 1818 in Oberndorf bei Salzburg erstmals aufgeführte Weihnachtslied »Stille Nacht, heilige Nacht«. Die Missionare haben auch auf »Rapa Nui« ganze Arbeit geleistet.

Eine längere Wanderung steht an, die wir schon einige Tage vor uns herschieben. Hinter dem Flughafen führt der Weg gleichmäßig durch dichten Wald bergan, bis hinauf zum exponierten Grat des erloschenen Vulkans »Rano Kau«. Der Blick in den Krater ist überwältigend. Ein über einen Kilometer breiter See liegt zu unseren Füßen: Das Süsswasserreservoir der Insel, seit alter Zeit. Schwimmende Matten mit hohem Schilf treiben auf der Oberfläche und bedecken den größten Teil der Wasseroberfläche, Schilf aus denen die »Rapa Nui« nachweislich kleine Boote und bootsförmige Behausungen bauten, was Thor Heyerdahls Theorien über frühe Kontakte mit den indigenen Kulturen um den Titicacasee in Peru zu stützen scheint. Entlang des Kraterrandes führt der Pfad weiter nach Orongo, einem geheimnisvollen Dorf, das angeblich nur für kurze Zeit in jedem Jahr, nämlich während der Brutzeit der
Rußseeschwalbe (Sterna fuscata), zu speziellen zeremoniellen Anlässen bewohnt war. Ausgewählte Krieger aus jedem Stamm, die sogenannten »Hopu«, bewarben sich hier darum, zum »Bird Man« erklärt zu werden und damit quasi die Regierungsgewalt auf »Rapa Nui« zu übernehmen. Um ihre Intelligenz und Tatkraft zu beweisen, mußten sie im Wettbewerb gegeneinander von Orongo aus die beinahe senkrechte Felswand des »Rano Kau« hinabklettern. Sodann schwamm man unter Zuhilfenahme eines Bündels Schilf eine knappe Seemeile gegen Seegang und Strom hinüber auf die vorgelagerte kleine Felsinsel »Motu nui«. Vor Ort ging es nun darum, ein frisch gelegtes Ei der Rußseeschwalbe zu finden und hernach unbeschädigt nach Orongo zurückzubringen... Ein ziemliches Projekt, wie ich (M) finde. Nach der Überlieferung und archäologischen Erkenntnissen löste der »Bird Man« Kult nach etwa 1500 n. Chr. die bis dahin dominante »Moai« Verehrung auf der Osterinsel ab. Erst mit dem Eintreffen der Missionare endete auch diese Ära. Der letzte »Bird Man« Wettbewerb wurde im Jahre 1867 abgehalten. Orongo: Ein Ort der es wert ist zu verweilen. Das kleine Dorf zwischen Kraterrand und Felswand hat tatsächlich »Mana«. Die sorgfältig aus grauem Stein gemauerten Wände der ovalen und mit denselben Steinen fest eingedeckten Langhäuser stehen organisch und rhythmisch am Grat, als wären sie mit der archaisch anmutenden Landschaft vergossen. Architektur, so wie sie sein sollte.

Unsere Zeit auf »Rapa Nui« geht zu Ende. Guter Ostwind kündigt sich an, zumindest für zwei bis drei Tage. Ein Wetterfenster nach Westen, das wir nutzen wollen. Am 25. Februar gehen wir unter Segel. Leider ohne die STORMALONG, die noch auf das Eintreffen der SOLACE warten möchte, die von einem befreundeten amerikanischen Einhandsegler gesegelt wird. Vor uns liegen also weitere 1.200 Seemeilen Einsamkeit auf hoher See.

Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch B und M / SY VERA / auf See / POS 27.43,6S - 120.34,2W



1 - Die »Hafeneinfahrt« von »Hanga Roa«. VERA und STORMALONG anfangs links im Bild. Beiboot BOUNCE versteckt sich am Ende rechts hinter einem Fischerboot. Ein Film von B+M.

2 - Einige »Moai« stehen unweit von Hanga Roa auf ihren »Ahu«. So kann man sie zusammen mit der auf Reede liegenden VERA photographieren.
2 VERA und Moai in Hanga Roa

3 - Hamburg: 8894 Seemeilen.
 3 Hamburg 8894sm

4 - »Mana«: Auf gepflegtem Rasen werfen wilde »Rapa Nui« Krieger vor begeistertem Publikum mit langen
Speeren auf eingerammte Holzpfähle. Ein Film von B+M.

5 - In der Einkaufsmeile von »Hanga Roa« tobt ein Umzug mit Trommeln, Ukulelenklängen, Baströcken und schönen Frauen. Ein Film von B+M.

6 - »Rapa Nui«: Faule Hunde am Nabel der Welt.
 6 Tote Hunde

7 - Anrührendes Grab auf dem romantisch angelegten Friedhof von »Hanga Roa«. Hinten im Bild die IVS NORTHERN BERWICK mit Maschinenschaden.
 7 Aranzas Grab

8 - So sollte es nicht enden: Das Wrack der LA ROSE in »Hanga Pico«
 8 La Rose Wrack

9 - Die »Moai« von »Anakena«. Auf dem Kopf tragen sie aus rötlichem Fels gehauene zylindrische Hüte.
 9 Anakena Moais

10 - »Ahu Tongariki«: Pure Magie.
 10 Tongariki a

11 - »Ahu Tongariki«. Fünfzehn der allergrößten »Moai« stehen hier auf einem langgestreckten »Ahu«.
 11 Tongariki b

12 - Der
»Traveling Moai« in »Tongariki« erinnert mich (M) an einen guten Freund. Ein Film von B+M.

13 - Der Steinbruch von »Rano Raraku«: Hunderte von »Moais« stehen hier erratisch auf der Wiese.
 13 Moai Wiese

14 - B mit »Moai« am Steinbruch von »Rano Raraku«.
 14 B mit Moai

15 - »Rano Raraku«: Viele »Moai« liegen noch im Fels, halbfertig, oder erst in Umrissen zu erkennen.
 15 Unfertiger Moai

16 - Am Grat des »Rano Kau«, unweit von »Orongo«. Der Blick hinab in den Kratersee ist überwältigend.
16 Orongo crater

17 - »Orongo«: Langhäuser, wie mit der Landschaft verwachsen. Architektur, so wie sie sein sollte.
17 Orongo village