005 - RAPA NUI: AM NABEL DER WELT
01/03/20 00:00
Hallo Ihr Lieben!
Die Osterinsel: Das ganz große Abenteuer. Gute zwei Wochen lang ankert die VERA vor Hanga Roa, der größten Ortschaft der noch immer zu Chile gehörenden »Isla de Pascua«, die von der einheimischen polynesischen Bevölkerung nur »Rapa Nui« genannt wird, und ihnen als der »Nabel der Welt« gilt. Dieser liegt durchaus abgelegen in der östlichen Ecke des Polynesischen Dreiecks. Im Umkreis von über zweitausend Kilometern existiert keine andere menschliche Ansiedlung. Legenden und geheimnisumwitterte Geschichten prägen die Osterinsel wie kaum einen anderen Ort der Erde, und naturgemäß sind es vor allem die gewaltigen Monumentalstatuen, also die berühmten »Moai«, welche die Phantasie anregen. Der Naturwissenschaftler Johann Georg Adam Forster, der als Assistent seines Vaters Johann Reinhold Forster an der zweiten Cook-Expedition teilnahm, fertigte die ersten Skizzen dieser Monumentalstatuen an. Später entstanden daraus romantische Kupferstiche, die seinerzeit in den Europäischen Salons für großes Aufsehen sorgten. Dank Captain Cooks tahitianischem Übersetzer wußte man bereits, das die »Moai« Ebenbilder verstorbener Häuptlinge darstellen, deren Namen tragen, und einst große Verehrung genossen. Der Norwegische Ethnologe Thor Heyerdahl, der zumindest der »Boomer« Generation noch ein Begriff ist, forschte hier in den 50er Jahren und schrieb einen Weltbestseller: »Aku Aku - Das Geheimnis der Osterinsel«. Spätestens seit dieser Zeit spielt die Insel auch in Sachen Südseeromantik in der allerersten Liga.
Für uns Segler geht es allerdings zunächst einmal darum, ob und wo man überhaupt bleiben kann. Hanga Roa hat ja keinen richtigen Hafen, in dem ein Boot wie die VERA sicher wäre. Nur für die einheimischen Fischerboote gibt es zwei kleine Anleger hinter ein paar Felsen. Der Ankerplatz auf Reede bietet keinen hinreichenden Schutz. Zwar deckt der Verlauf der Küste die zumindest im Sommer vorherrschenden östlichen Winde ab, aber der lange Atem des Südpazifik sorgt für eine hohe Dünung, die sportbegeisterte Einheimische beinahe an jedem Tag zum Wellenreiten nutzen. Die Wassertiefe ist hoch und etliche hübsche Korallenköpfe erschweren das platzieren des Grundgeschirrs. Zum Glück kursieren unter den Langfahrtseglern gute Unterlagen und Erfahrungsberichte und auch die Chilenische »Armada« hilft über Funk beim einparken.
Landgang: Nachdem wir unser Beiboot BOUNCE durch die Brandung manövriert und im kleinen Fischerhafen zwischen munter plantschenden Meeresschildkröten und badenden Kindern angebunden haben, können wir uns endlich in Ruhe umsehen. Einige der geheimnisumwitterten »Moai« stehen gleich am Hafen auf ihren »Ahu«, also ihren zeremoniellen Plattformen, und stimmen ein, auf das was vor uns liegt. Hanga Roa wirkt nett. Sehr nett sogar, obwohl der Boden unter unseren weichen Knien schwankt, was etwas »landkrank« macht. Zahlreiche Cafés, Restaurants, zwei Tankstellen und sogar eine richtige Eisdiele laden zum Geld ausgeben ein. Für Touristen gibt es reichlich Gästehäuser, Appartements und Boutique Hotels, dazu zwei Banken und eine Reihe gut bestückter Tauchshops. In der langen Einkaufsmeile finden sich Ananas-, Bananen- und Gurkenlastige Obst- und Gemüsestände. Dazu gesellen sich einige kleine Supermärkte, die alles Nötige führen. Die Versorgungslage ist überraschend gut, wenn auch zu gesalzenen Preisen, zumindest im Vergleich zum ohnehin schon teuren chilenischen Festland.
Tagelang schlendern wir voller Neugier durch die Ortschaft. Es ist Hauptsaison. Sprachen aus der ganzen Welt wehen ins Ohr. Das jährliche »Tapati« Festival nähert sich seinem Höhepunkt. Auf einem gepflegten Rasen werfen wilde »Rapa Nui« Krieger vor begeistertem Publikum mit langen Speeren auf eingerammte Holzpfähle. Vor dem Hafen wird mit Auslegerkanus um die Wette gepaddelt. Man arbeitet hier an seinem »Mana«, also an seiner »Macht«. Ein Mensch mit Kraft, Selbstvertrauen und Erfolg ist im Besitz von »Mana«, also spiritueller Energie, wie sie auch ein Berg, ein Baum, ein Felsen, das Meer, die Sonne, die Sterne oder ein »Moai« haben kann.
In der Einkaufsmeile toben Umzüge mit Trommeln, Ukulelenklängen, Baströcken und schönen Frauen und am letzten Abend des Festivals dürfen wir von unseren ankernden Booten aus das gewaltige Abschlussfeuerwerk bewundern. Vom Feiern versteht man also etwas auf »Rapa Nui«. Die Leute haben sichtlich Freude an ihrem Tun. Man hat den Eindruck, daß die Volksfestatmosphäre authentisch ist, trotz der pittoresken Baströcke, den Südsee Tätowierungen und den romantischen Körperbemalungen für Chilenen und Touristen.
Allmählich weiten wir unsere Ausflüge und Wanderungen in die Umgebung aus, besichtigen den romantisch angelegten Friedhof und ein nahe gelegenes »Ahu« voller »Moai«, die man zusammen mit der auf Reede liegenden VERA photographieren kann. Mit Linette und Nils von der STORMALONG teilen wir uns einen schrottreifen, aber dafür recht günstigen Mietwagen und besuchen damit die etwas abgelegeneren Sehenswürdigkeiten der Insel. Die »Moais« von Anakena, im Norden der Insel, haben wir ja schon von See aus gesehen. Nun stehen sie direkt vor uns auf ihrem »Ahu«, monumental und vor »Mana« strotzend. Auf dem Kopf tragen sie aus rötlichem Fels gehauene zylindrische Hüte. Ob die Altvorderen wohl rote Haare hatten und Turmfrisuren trugen?
Lunch in einem hübsch gemachten Imbiss in Anakena: Der Wirt ist gebürtiger Tahitianer. Er spricht kein Spanisch. Wozu auch. Wir folgen seiner Empfehlung und bestellen Teigtaschen mit Thunfischfüllung und dazu sein Geheimrezept: Mangosaft mit Kokosnussmilch. Wir kommen ins Gespräch: Vor Jahren nahm er auf »Rapa Nui« ein gut bezahltes Jobangebot als Musiklehrer an. Offenbar bestand Bedarf: Polynesische Trommeln, Ukulele, Tanz und Gesang, wie man sie heutzutage beim »Tapati« Festival hört. Die Insel gefällt ihm: Hier fand er seine Frau, eine waschechte »Rapa Nui«. Hier hat man noch Zeit füreinander. Die Menschen sind wesentlich fröhlicher und freundlicher als in den Gesellschaftsinseln, wo alle nur hinter dem schnellen Geld her sind. Hier läuft das Leben noch in gemächlichen Bahnen. Die nötigen Papiere, die ihn zum endgültigen Bleiben berechtigen, hat er inzwischen beisammen…
Weiter zum »Ahu Tongariki«: Pure Magie. Fünfzehn der allergrößten »Moai« stehen heute hier auf einem langgestreckten »Ahu«. Das dem so ist, verdanken sie zum Teil dem Engagement der Japanischen Firma »Tadano«. Nach dem verheerenden Erdbeben von Valdivia im Mai 1960 zerstörte ein schwerer Tsunami das »Ahu Tongariki« und schwemmte die erst kürzlich wieder aufgerichteten »Moai« ein gutes Stück ins Landesinnere. Die Japaner boten Hilfe an, verschifften einen schweren Autokran nach »Rapa Nui« und investierten mehrere Millionen Dollar. Dafür bekamen sie vom chilenischen Staat einen echten »Moai« geliehen. Nach einigen Jahren in verschiedenen japanischen Museen steht der sogenannte »Traveling Moai« heute in Tongariki, auf einem eigenen »Ahu«, etwas abseits von den anderen »Moai«. Während unseres Besuches regnet es in Strömen, was der archaischen Anlage am Meer zu einer ganz eigenen, sehr kraftvollen Atmosphäre verhilft. Wir stellen uns bei den Nationalparkswärtern unter. Zeit zum sinnieren. Mich (also M) erinnert der »Traveling Moai« an einen guten Freund.
Um anderen Touristen aus dem Weg zu gehen, besuchen wir den gewaltige Steinbruch von »Rano Raraku« am nächsten Tag, bei Sonnenaufgang. Hunderte von »Moais« in allen Phasen der Fertigung stehen erratisch auf der Wiese, oder liegen noch im Fels, halbfertig, oder erst in Umrissen zu erkennen. Der größte jemals gehauene »Moai«, ein wahrer Riese von über 21 Meter Länge, wartet ebenfalls noch auf seine Fertigstellung. Die Frage nach dem »Warum« drängt sich auf. Warum betrieb man diesen Ahnenkult und warum gab man ihn auf? Im Museum in Hanga Roa liegen Unterlagen, Dokumente, Theorien. Eine gut gemachte Dokumentation der BBC zeigt auf, was man gegenwärtig zu wissen glaubt. Die ehemals dichten endemischen Palmenwälder der Insel könnten der »Kleinen Eiszeit«, eingeschleppten polynesischen Ratten, oder auch einer Krankheit zum Opfer gefallen sein und nicht einem rücksichtslosen Raubbau zur Anfertigung von Kränen, Hebeln oder Schlitten. Der Transport und die Aufrichtung der »Moai« auf einem »Ahu« war auch ohne den ruinösen Verbrauch von Holz machbar. Lang gepflegte Theorien nach denen sich die Einheimischen aus Mangel an Ressourcen gegenseitig umbrachten oder gar aufaßen scheinen inzwischen ebenfalls abwegig.
Der Holländische Entdecker Jacob Roggeveen fand die »Moai« im Jahre 1722 noch stehend vor. Die zahlreichen Bewohner der Insel schienen verschiedenen Ethnien anzugehören, waren wohlgenährt und äusserst gastfreundlich. James Cook fand dann im Jahre 1774 viele »Moai« umgestürzt vor. Irgendetwas muß sich in der Zwischenzeit verändert haben. Ereigneten sich Erdbeben oder Tsunamis? Oder brachte der Kontakt mit den Europäischen Seefahrern ein von den Ahnen überliefertes fest gefügtes Weltbild ins wanken? Spätere Expeditionen erfuhren von einer Art Meritokratie, dem »Bird Man« Kult, der die Verehrung der »Moai« Statuen seit dem 16. Jahrhundert allmählich abgelöst haben soll. Vollkommen zerstört wurde die »Rapa Nui« Kultur und der »Bird Man« Kult erst im 19. Jahrhundert von Missionaren, peruanischen Sklavenjägern, raffgierigen Farmern, den Pocken und der Lepra. Die Überlebenden begrüßten die Chilenen 1888 als Schutzmacht und stimmten der Annexion zu. Das ging nicht gut für sie aus. Bis in die 1960er Jahre lebten die wenigen verbliebenen »Rapa Nui« in einer Art »Gulag«, einem umzäunten Gelände in »Hanga Roa«, das sie nicht verlassen durften. Internationale Viehzüchter hatten Verträge mit Chile ausgehandelt, die Insel aufgekauft, und in eine große Schafsfarm verwandelt.
Seltsamerweise besserte sich die Situation der »Rapa Nui« ausgerechnet mit der Amtszeit von Augusto Pinochet. Als erster chilenischer Präsident stattete er der Insel einen formellen Besuch ab, sorgte für erhebliche Investitionen in die Infrastruktur, und ernannte 1984 den in den USA ausgebildeten Archäologen Sergio Rapu, einen gebürtigen »Rapa Nui«, zum Gouverneur. Dennoch bleibt der Weg zu mehr Unabhängigkeit recht steinig. Immerhin erreichte man in langjährigen Protesten, dass Chilenische Staatsbürger kein Aufenthaltsrecht mehr auf »Rapa Nui« genießen. Wie gewöhnliche Touristen dürfen sie nunmehr nicht länger als 30 Tage verweilen. Man war es offenbar leid, gegenüber den europäisch stämmigen Chilenen mittelfristig in die Minderheit zu geraten. Die Verwaltung des Nationalparks und der archäologischen Stätten liegt inzwischen ebenfalls bei den »Rapa Nui«. Das ist durchaus bedeutsam, da es beim hiesigen »Ökotourismus« für den gehobenen Anspruch um beachtliche Geldbeträge geht. Zum Beispiel muss jeder Reisende, der die archäologischen Stätten sehen will, volle 80 US Dollar Eintrittsgebühren berappen. Eine Menge Geld, gerade im Vergleich zu den bescheidenen monatlichen Durchschnittseinkommen des chilenischen Normalbürgers. Jeden Tag landen zwei bis drei Großraumflieger mit Touristen aus aller Welt auf dem seinerzeit von den USA für das »Space Shuttle« Programm erbauten großzügig dimensionierten Flughafen. Dazu kommen die Kreuzfahrtschiffe voller Menschen, alleine vier während unserer Anwesenheit. Die »Kreuzfahrer« bleiben zwar meist nur für einen Tag, reißen aber doch, falls das Wetter irgendwie mitspielt, das ganz große touristische Programm ab. Natürlich benötigt jeder Passagier dafür die zehn volle Tage gültige Eintrittskarte für den Nationalpark… Von aussen betrachtet sieht es also so aus, als ob die Altvorderen ihren Nachkommen mit den monumentalen »Moai« Statuen zu einer sagenhaften Goldgrube verholfen haben. Man muss jetzt nur noch darauf achten, diese Reichtümer nicht etwa mit ungebetenen Einwanderern teilen zu müssen.
Auf Reede vor Hanga Roa bleibt es indes aushaltbar. Das tiefe Rollen des Bootes wiegt uns abends in den Schlaf. Es ist definitiv bequemer als auf See, weil ja derzeit keine Segelmanöver oder Nachtwachen anstehen. Einige Tage lang weht sogar ein frischer NW. Wir liegen auf Legerwall und stampfen heftig in der bald gut etablierten Windsee. Komischerweise gewöhnt man sich daran. Der 42kg Bügelanker sitzt auf 25m fett im Sand und hält mit 80m Kette bombensicher. Unweit vor uns liegt der Frachter IVS NORTHERN BERWICK. Das majestätische Rollen des großen Potts hat etwas beruhigendes. Über Funk erfahren wir, daß man eigentlich nach Brisbane unterwegs ist. Wegen Maschinenschadens wartet man hier jedoch schon seit vierzehn Tagen auf Ersatzteile… Was haben wir es da doch gut. Lediglich der tägliche Landgang mit dem Beiboot bleibt ein wenig abenteuerlich. Gerne verbringen wir deshalb die Abende an Bord, schwimmen, kochen gut, allein oder mit der Crew der STORMALONG, reden über dies und das und die verstörenden Nachrichten aus aller Welt, die uns über eine 4G Telefonkarte auf die Computer gespült werden. Gegen Sonnenuntergang, um Punkt neun Uhr, vernimmt man von der Kirche in Hanga Roa her ein feines, mehrstimmiges Glockenspiel, das vertraut klingt: Das zu Heiligabend 1818 in Oberndorf bei Salzburg erstmals aufgeführte Weihnachtslied »Stille Nacht, heilige Nacht«. Die Missionare haben auch auf »Rapa Nui« ganze Arbeit geleistet.
Eine längere Wanderung steht an, die wir schon einige Tage vor uns herschieben. Hinter dem Flughafen führt der Weg gleichmäßig durch dichten Wald bergan, bis hinauf zum exponierten Grat des erloschenen Vulkans »Rano Kau«. Der Blick in den Krater ist überwältigend. Ein über einen Kilometer breiter See liegt zu unseren Füßen: Das Süsswasserreservoir der Insel, seit alter Zeit. Schwimmende Matten mit hohem Schilf treiben auf der Oberfläche und bedecken den größten Teil der Wasseroberfläche, Schilf aus denen die »Rapa Nui« nachweislich kleine Boote und bootsförmige Behausungen bauten, was Thor Heyerdahls Theorien über frühe Kontakte mit den indigenen Kulturen um den Titicacasee in Peru zu stützen scheint. Entlang des Kraterrandes führt der Pfad weiter nach Orongo, einem geheimnisvollen Dorf, das angeblich nur für kurze Zeit in jedem Jahr, nämlich während der Brutzeit der Rußseeschwalbe (Sterna fuscata), zu speziellen zeremoniellen Anlässen bewohnt war. Ausgewählte Krieger aus jedem Stamm, die sogenannten »Hopu«, bewarben sich hier darum, zum »Bird Man« erklärt zu werden und damit quasi die Regierungsgewalt auf »Rapa Nui« zu übernehmen. Um ihre Intelligenz und Tatkraft zu beweisen, mußten sie im Wettbewerb gegeneinander von Orongo aus die beinahe senkrechte Felswand des »Rano Kau« hinabklettern. Sodann schwamm man unter Zuhilfenahme eines Bündels Schilf eine knappe Seemeile gegen Seegang und Strom hinüber auf die vorgelagerte kleine Felsinsel »Motu nui«. Vor Ort ging es nun darum, ein frisch gelegtes Ei der Rußseeschwalbe zu finden und hernach unbeschädigt nach Orongo zurückzubringen... Ein ziemliches Projekt, wie ich (M) finde. Nach der Überlieferung und archäologischen Erkenntnissen löste der »Bird Man« Kult nach etwa 1500 n. Chr. die bis dahin dominante »Moai« Verehrung auf der Osterinsel ab. Erst mit dem Eintreffen der Missionare endete auch diese Ära. Der letzte »Bird Man« Wettbewerb wurde im Jahre 1867 abgehalten. Orongo: Ein Ort der es wert ist zu verweilen. Das kleine Dorf zwischen Kraterrand und Felswand hat tatsächlich »Mana«. Die sorgfältig aus grauem Stein gemauerten Wände der ovalen und mit denselben Steinen fest eingedeckten Langhäuser stehen organisch und rhythmisch am Grat, als wären sie mit der archaisch anmutenden Landschaft vergossen. Architektur, so wie sie sein sollte.
Unsere Zeit auf »Rapa Nui« geht zu Ende. Guter Ostwind kündigt sich an, zumindest für zwei bis drei Tage. Ein Wetterfenster nach Westen, das wir nutzen wollen. Am 25. Februar gehen wir unter Segel. Leider ohne die STORMALONG, die noch auf das Eintreffen der SOLACE warten möchte, die von einem befreundeten amerikanischen Einhandsegler gesegelt wird. Vor uns liegen also weitere 1.200 Seemeilen Einsamkeit auf hoher See.
Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch B und M / SY VERA / auf See / POS 27.43,6S - 120.34,2W
1 - Die »Hafeneinfahrt« von »Hanga Roa«. VERA und STORMALONG anfangs links im Bild. Beiboot BOUNCE versteckt sich am Ende rechts hinter einem Fischerboot. Ein Film von B+M.
2 - Einige »Moai« stehen unweit von Hanga Roa auf ihren »Ahu«. So kann man sie zusammen mit der auf Reede liegenden VERA photographieren.

3 - Hamburg: 8894 Seemeilen.

4 - »Mana«: Auf gepflegtem Rasen werfen wilde »Rapa Nui« Krieger vor begeistertem Publikum mit langen Speeren auf eingerammte Holzpfähle. Ein Film von B+M.
5 - In der Einkaufsmeile von »Hanga Roa« tobt ein Umzug mit Trommeln, Ukulelenklängen, Baströcken und schönen Frauen. Ein Film von B+M.
6 - »Rapa Nui«: Faule Hunde am Nabel der Welt.

7 - Anrührendes Grab auf dem romantisch angelegten Friedhof von »Hanga Roa«. Hinten im Bild die IVS NORTHERN BERWICK mit Maschinenschaden.

8 - So sollte es nicht enden: Das Wrack der LA ROSE in »Hanga Pico«

9 - Die »Moai« von »Anakena«. Auf dem Kopf tragen sie aus rötlichem Fels gehauene zylindrische Hüte.

10 - »Ahu Tongariki«: Pure Magie.

11 - »Ahu Tongariki«. Fünfzehn der allergrößten »Moai« stehen hier auf einem langgestreckten »Ahu«.

12 - Der »Traveling Moai« in »Tongariki« erinnert mich (M) an einen guten Freund. Ein Film von B+M.
13 - Der Steinbruch von »Rano Raraku«: Hunderte von »Moais« stehen hier erratisch auf der Wiese.

14 - B mit »Moai« am Steinbruch von »Rano Raraku«.

15 - »Rano Raraku«: Viele »Moai« liegen noch im Fels, halbfertig, oder erst in Umrissen zu erkennen.

16 - Am Grat des »Rano Kau«, unweit von »Orongo«. Der Blick hinab in den Kratersee ist überwältigend.

17 - »Orongo«: Langhäuser, wie mit der Landschaft verwachsen. Architektur, so wie sie sein sollte.

Die Osterinsel: Das ganz große Abenteuer. Gute zwei Wochen lang ankert die VERA vor Hanga Roa, der größten Ortschaft der noch immer zu Chile gehörenden »Isla de Pascua«, die von der einheimischen polynesischen Bevölkerung nur »Rapa Nui« genannt wird, und ihnen als der »Nabel der Welt« gilt. Dieser liegt durchaus abgelegen in der östlichen Ecke des Polynesischen Dreiecks. Im Umkreis von über zweitausend Kilometern existiert keine andere menschliche Ansiedlung. Legenden und geheimnisumwitterte Geschichten prägen die Osterinsel wie kaum einen anderen Ort der Erde, und naturgemäß sind es vor allem die gewaltigen Monumentalstatuen, also die berühmten »Moai«, welche die Phantasie anregen. Der Naturwissenschaftler Johann Georg Adam Forster, der als Assistent seines Vaters Johann Reinhold Forster an der zweiten Cook-Expedition teilnahm, fertigte die ersten Skizzen dieser Monumentalstatuen an. Später entstanden daraus romantische Kupferstiche, die seinerzeit in den Europäischen Salons für großes Aufsehen sorgten. Dank Captain Cooks tahitianischem Übersetzer wußte man bereits, das die »Moai« Ebenbilder verstorbener Häuptlinge darstellen, deren Namen tragen, und einst große Verehrung genossen. Der Norwegische Ethnologe Thor Heyerdahl, der zumindest der »Boomer« Generation noch ein Begriff ist, forschte hier in den 50er Jahren und schrieb einen Weltbestseller: »Aku Aku - Das Geheimnis der Osterinsel«. Spätestens seit dieser Zeit spielt die Insel auch in Sachen Südseeromantik in der allerersten Liga.
Für uns Segler geht es allerdings zunächst einmal darum, ob und wo man überhaupt bleiben kann. Hanga Roa hat ja keinen richtigen Hafen, in dem ein Boot wie die VERA sicher wäre. Nur für die einheimischen Fischerboote gibt es zwei kleine Anleger hinter ein paar Felsen. Der Ankerplatz auf Reede bietet keinen hinreichenden Schutz. Zwar deckt der Verlauf der Küste die zumindest im Sommer vorherrschenden östlichen Winde ab, aber der lange Atem des Südpazifik sorgt für eine hohe Dünung, die sportbegeisterte Einheimische beinahe an jedem Tag zum Wellenreiten nutzen. Die Wassertiefe ist hoch und etliche hübsche Korallenköpfe erschweren das platzieren des Grundgeschirrs. Zum Glück kursieren unter den Langfahrtseglern gute Unterlagen und Erfahrungsberichte und auch die Chilenische »Armada« hilft über Funk beim einparken.
Landgang: Nachdem wir unser Beiboot BOUNCE durch die Brandung manövriert und im kleinen Fischerhafen zwischen munter plantschenden Meeresschildkröten und badenden Kindern angebunden haben, können wir uns endlich in Ruhe umsehen. Einige der geheimnisumwitterten »Moai« stehen gleich am Hafen auf ihren »Ahu«, also ihren zeremoniellen Plattformen, und stimmen ein, auf das was vor uns liegt. Hanga Roa wirkt nett. Sehr nett sogar, obwohl der Boden unter unseren weichen Knien schwankt, was etwas »landkrank« macht. Zahlreiche Cafés, Restaurants, zwei Tankstellen und sogar eine richtige Eisdiele laden zum Geld ausgeben ein. Für Touristen gibt es reichlich Gästehäuser, Appartements und Boutique Hotels, dazu zwei Banken und eine Reihe gut bestückter Tauchshops. In der langen Einkaufsmeile finden sich Ananas-, Bananen- und Gurkenlastige Obst- und Gemüsestände. Dazu gesellen sich einige kleine Supermärkte, die alles Nötige führen. Die Versorgungslage ist überraschend gut, wenn auch zu gesalzenen Preisen, zumindest im Vergleich zum ohnehin schon teuren chilenischen Festland.
Tagelang schlendern wir voller Neugier durch die Ortschaft. Es ist Hauptsaison. Sprachen aus der ganzen Welt wehen ins Ohr. Das jährliche »Tapati« Festival nähert sich seinem Höhepunkt. Auf einem gepflegten Rasen werfen wilde »Rapa Nui« Krieger vor begeistertem Publikum mit langen Speeren auf eingerammte Holzpfähle. Vor dem Hafen wird mit Auslegerkanus um die Wette gepaddelt. Man arbeitet hier an seinem »Mana«, also an seiner »Macht«. Ein Mensch mit Kraft, Selbstvertrauen und Erfolg ist im Besitz von »Mana«, also spiritueller Energie, wie sie auch ein Berg, ein Baum, ein Felsen, das Meer, die Sonne, die Sterne oder ein »Moai« haben kann.
In der Einkaufsmeile toben Umzüge mit Trommeln, Ukulelenklängen, Baströcken und schönen Frauen und am letzten Abend des Festivals dürfen wir von unseren ankernden Booten aus das gewaltige Abschlussfeuerwerk bewundern. Vom Feiern versteht man also etwas auf »Rapa Nui«. Die Leute haben sichtlich Freude an ihrem Tun. Man hat den Eindruck, daß die Volksfestatmosphäre authentisch ist, trotz der pittoresken Baströcke, den Südsee Tätowierungen und den romantischen Körperbemalungen für Chilenen und Touristen.
Allmählich weiten wir unsere Ausflüge und Wanderungen in die Umgebung aus, besichtigen den romantisch angelegten Friedhof und ein nahe gelegenes »Ahu« voller »Moai«, die man zusammen mit der auf Reede liegenden VERA photographieren kann. Mit Linette und Nils von der STORMALONG teilen wir uns einen schrottreifen, aber dafür recht günstigen Mietwagen und besuchen damit die etwas abgelegeneren Sehenswürdigkeiten der Insel. Die »Moais« von Anakena, im Norden der Insel, haben wir ja schon von See aus gesehen. Nun stehen sie direkt vor uns auf ihrem »Ahu«, monumental und vor »Mana« strotzend. Auf dem Kopf tragen sie aus rötlichem Fels gehauene zylindrische Hüte. Ob die Altvorderen wohl rote Haare hatten und Turmfrisuren trugen?
Lunch in einem hübsch gemachten Imbiss in Anakena: Der Wirt ist gebürtiger Tahitianer. Er spricht kein Spanisch. Wozu auch. Wir folgen seiner Empfehlung und bestellen Teigtaschen mit Thunfischfüllung und dazu sein Geheimrezept: Mangosaft mit Kokosnussmilch. Wir kommen ins Gespräch: Vor Jahren nahm er auf »Rapa Nui« ein gut bezahltes Jobangebot als Musiklehrer an. Offenbar bestand Bedarf: Polynesische Trommeln, Ukulele, Tanz und Gesang, wie man sie heutzutage beim »Tapati« Festival hört. Die Insel gefällt ihm: Hier fand er seine Frau, eine waschechte »Rapa Nui«. Hier hat man noch Zeit füreinander. Die Menschen sind wesentlich fröhlicher und freundlicher als in den Gesellschaftsinseln, wo alle nur hinter dem schnellen Geld her sind. Hier läuft das Leben noch in gemächlichen Bahnen. Die nötigen Papiere, die ihn zum endgültigen Bleiben berechtigen, hat er inzwischen beisammen…
Weiter zum »Ahu Tongariki«: Pure Magie. Fünfzehn der allergrößten »Moai« stehen heute hier auf einem langgestreckten »Ahu«. Das dem so ist, verdanken sie zum Teil dem Engagement der Japanischen Firma »Tadano«. Nach dem verheerenden Erdbeben von Valdivia im Mai 1960 zerstörte ein schwerer Tsunami das »Ahu Tongariki« und schwemmte die erst kürzlich wieder aufgerichteten »Moai« ein gutes Stück ins Landesinnere. Die Japaner boten Hilfe an, verschifften einen schweren Autokran nach »Rapa Nui« und investierten mehrere Millionen Dollar. Dafür bekamen sie vom chilenischen Staat einen echten »Moai« geliehen. Nach einigen Jahren in verschiedenen japanischen Museen steht der sogenannte »Traveling Moai« heute in Tongariki, auf einem eigenen »Ahu«, etwas abseits von den anderen »Moai«. Während unseres Besuches regnet es in Strömen, was der archaischen Anlage am Meer zu einer ganz eigenen, sehr kraftvollen Atmosphäre verhilft. Wir stellen uns bei den Nationalparkswärtern unter. Zeit zum sinnieren. Mich (also M) erinnert der »Traveling Moai« an einen guten Freund.
Um anderen Touristen aus dem Weg zu gehen, besuchen wir den gewaltige Steinbruch von »Rano Raraku« am nächsten Tag, bei Sonnenaufgang. Hunderte von »Moais« in allen Phasen der Fertigung stehen erratisch auf der Wiese, oder liegen noch im Fels, halbfertig, oder erst in Umrissen zu erkennen. Der größte jemals gehauene »Moai«, ein wahrer Riese von über 21 Meter Länge, wartet ebenfalls noch auf seine Fertigstellung. Die Frage nach dem »Warum« drängt sich auf. Warum betrieb man diesen Ahnenkult und warum gab man ihn auf? Im Museum in Hanga Roa liegen Unterlagen, Dokumente, Theorien. Eine gut gemachte Dokumentation der BBC zeigt auf, was man gegenwärtig zu wissen glaubt. Die ehemals dichten endemischen Palmenwälder der Insel könnten der »Kleinen Eiszeit«, eingeschleppten polynesischen Ratten, oder auch einer Krankheit zum Opfer gefallen sein und nicht einem rücksichtslosen Raubbau zur Anfertigung von Kränen, Hebeln oder Schlitten. Der Transport und die Aufrichtung der »Moai« auf einem »Ahu« war auch ohne den ruinösen Verbrauch von Holz machbar. Lang gepflegte Theorien nach denen sich die Einheimischen aus Mangel an Ressourcen gegenseitig umbrachten oder gar aufaßen scheinen inzwischen ebenfalls abwegig.
Der Holländische Entdecker Jacob Roggeveen fand die »Moai« im Jahre 1722 noch stehend vor. Die zahlreichen Bewohner der Insel schienen verschiedenen Ethnien anzugehören, waren wohlgenährt und äusserst gastfreundlich. James Cook fand dann im Jahre 1774 viele »Moai« umgestürzt vor. Irgendetwas muß sich in der Zwischenzeit verändert haben. Ereigneten sich Erdbeben oder Tsunamis? Oder brachte der Kontakt mit den Europäischen Seefahrern ein von den Ahnen überliefertes fest gefügtes Weltbild ins wanken? Spätere Expeditionen erfuhren von einer Art Meritokratie, dem »Bird Man« Kult, der die Verehrung der »Moai« Statuen seit dem 16. Jahrhundert allmählich abgelöst haben soll. Vollkommen zerstört wurde die »Rapa Nui« Kultur und der »Bird Man« Kult erst im 19. Jahrhundert von Missionaren, peruanischen Sklavenjägern, raffgierigen Farmern, den Pocken und der Lepra. Die Überlebenden begrüßten die Chilenen 1888 als Schutzmacht und stimmten der Annexion zu. Das ging nicht gut für sie aus. Bis in die 1960er Jahre lebten die wenigen verbliebenen »Rapa Nui« in einer Art »Gulag«, einem umzäunten Gelände in »Hanga Roa«, das sie nicht verlassen durften. Internationale Viehzüchter hatten Verträge mit Chile ausgehandelt, die Insel aufgekauft, und in eine große Schafsfarm verwandelt.
Seltsamerweise besserte sich die Situation der »Rapa Nui« ausgerechnet mit der Amtszeit von Augusto Pinochet. Als erster chilenischer Präsident stattete er der Insel einen formellen Besuch ab, sorgte für erhebliche Investitionen in die Infrastruktur, und ernannte 1984 den in den USA ausgebildeten Archäologen Sergio Rapu, einen gebürtigen »Rapa Nui«, zum Gouverneur. Dennoch bleibt der Weg zu mehr Unabhängigkeit recht steinig. Immerhin erreichte man in langjährigen Protesten, dass Chilenische Staatsbürger kein Aufenthaltsrecht mehr auf »Rapa Nui« genießen. Wie gewöhnliche Touristen dürfen sie nunmehr nicht länger als 30 Tage verweilen. Man war es offenbar leid, gegenüber den europäisch stämmigen Chilenen mittelfristig in die Minderheit zu geraten. Die Verwaltung des Nationalparks und der archäologischen Stätten liegt inzwischen ebenfalls bei den »Rapa Nui«. Das ist durchaus bedeutsam, da es beim hiesigen »Ökotourismus« für den gehobenen Anspruch um beachtliche Geldbeträge geht. Zum Beispiel muss jeder Reisende, der die archäologischen Stätten sehen will, volle 80 US Dollar Eintrittsgebühren berappen. Eine Menge Geld, gerade im Vergleich zu den bescheidenen monatlichen Durchschnittseinkommen des chilenischen Normalbürgers. Jeden Tag landen zwei bis drei Großraumflieger mit Touristen aus aller Welt auf dem seinerzeit von den USA für das »Space Shuttle« Programm erbauten großzügig dimensionierten Flughafen. Dazu kommen die Kreuzfahrtschiffe voller Menschen, alleine vier während unserer Anwesenheit. Die »Kreuzfahrer« bleiben zwar meist nur für einen Tag, reißen aber doch, falls das Wetter irgendwie mitspielt, das ganz große touristische Programm ab. Natürlich benötigt jeder Passagier dafür die zehn volle Tage gültige Eintrittskarte für den Nationalpark… Von aussen betrachtet sieht es also so aus, als ob die Altvorderen ihren Nachkommen mit den monumentalen »Moai« Statuen zu einer sagenhaften Goldgrube verholfen haben. Man muss jetzt nur noch darauf achten, diese Reichtümer nicht etwa mit ungebetenen Einwanderern teilen zu müssen.
Auf Reede vor Hanga Roa bleibt es indes aushaltbar. Das tiefe Rollen des Bootes wiegt uns abends in den Schlaf. Es ist definitiv bequemer als auf See, weil ja derzeit keine Segelmanöver oder Nachtwachen anstehen. Einige Tage lang weht sogar ein frischer NW. Wir liegen auf Legerwall und stampfen heftig in der bald gut etablierten Windsee. Komischerweise gewöhnt man sich daran. Der 42kg Bügelanker sitzt auf 25m fett im Sand und hält mit 80m Kette bombensicher. Unweit vor uns liegt der Frachter IVS NORTHERN BERWICK. Das majestätische Rollen des großen Potts hat etwas beruhigendes. Über Funk erfahren wir, daß man eigentlich nach Brisbane unterwegs ist. Wegen Maschinenschadens wartet man hier jedoch schon seit vierzehn Tagen auf Ersatzteile… Was haben wir es da doch gut. Lediglich der tägliche Landgang mit dem Beiboot bleibt ein wenig abenteuerlich. Gerne verbringen wir deshalb die Abende an Bord, schwimmen, kochen gut, allein oder mit der Crew der STORMALONG, reden über dies und das und die verstörenden Nachrichten aus aller Welt, die uns über eine 4G Telefonkarte auf die Computer gespült werden. Gegen Sonnenuntergang, um Punkt neun Uhr, vernimmt man von der Kirche in Hanga Roa her ein feines, mehrstimmiges Glockenspiel, das vertraut klingt: Das zu Heiligabend 1818 in Oberndorf bei Salzburg erstmals aufgeführte Weihnachtslied »Stille Nacht, heilige Nacht«. Die Missionare haben auch auf »Rapa Nui« ganze Arbeit geleistet.
Eine längere Wanderung steht an, die wir schon einige Tage vor uns herschieben. Hinter dem Flughafen führt der Weg gleichmäßig durch dichten Wald bergan, bis hinauf zum exponierten Grat des erloschenen Vulkans »Rano Kau«. Der Blick in den Krater ist überwältigend. Ein über einen Kilometer breiter See liegt zu unseren Füßen: Das Süsswasserreservoir der Insel, seit alter Zeit. Schwimmende Matten mit hohem Schilf treiben auf der Oberfläche und bedecken den größten Teil der Wasseroberfläche, Schilf aus denen die »Rapa Nui« nachweislich kleine Boote und bootsförmige Behausungen bauten, was Thor Heyerdahls Theorien über frühe Kontakte mit den indigenen Kulturen um den Titicacasee in Peru zu stützen scheint. Entlang des Kraterrandes führt der Pfad weiter nach Orongo, einem geheimnisvollen Dorf, das angeblich nur für kurze Zeit in jedem Jahr, nämlich während der Brutzeit der Rußseeschwalbe (Sterna fuscata), zu speziellen zeremoniellen Anlässen bewohnt war. Ausgewählte Krieger aus jedem Stamm, die sogenannten »Hopu«, bewarben sich hier darum, zum »Bird Man« erklärt zu werden und damit quasi die Regierungsgewalt auf »Rapa Nui« zu übernehmen. Um ihre Intelligenz und Tatkraft zu beweisen, mußten sie im Wettbewerb gegeneinander von Orongo aus die beinahe senkrechte Felswand des »Rano Kau« hinabklettern. Sodann schwamm man unter Zuhilfenahme eines Bündels Schilf eine knappe Seemeile gegen Seegang und Strom hinüber auf die vorgelagerte kleine Felsinsel »Motu nui«. Vor Ort ging es nun darum, ein frisch gelegtes Ei der Rußseeschwalbe zu finden und hernach unbeschädigt nach Orongo zurückzubringen... Ein ziemliches Projekt, wie ich (M) finde. Nach der Überlieferung und archäologischen Erkenntnissen löste der »Bird Man« Kult nach etwa 1500 n. Chr. die bis dahin dominante »Moai« Verehrung auf der Osterinsel ab. Erst mit dem Eintreffen der Missionare endete auch diese Ära. Der letzte »Bird Man« Wettbewerb wurde im Jahre 1867 abgehalten. Orongo: Ein Ort der es wert ist zu verweilen. Das kleine Dorf zwischen Kraterrand und Felswand hat tatsächlich »Mana«. Die sorgfältig aus grauem Stein gemauerten Wände der ovalen und mit denselben Steinen fest eingedeckten Langhäuser stehen organisch und rhythmisch am Grat, als wären sie mit der archaisch anmutenden Landschaft vergossen. Architektur, so wie sie sein sollte.
Unsere Zeit auf »Rapa Nui« geht zu Ende. Guter Ostwind kündigt sich an, zumindest für zwei bis drei Tage. Ein Wetterfenster nach Westen, das wir nutzen wollen. Am 25. Februar gehen wir unter Segel. Leider ohne die STORMALONG, die noch auf das Eintreffen der SOLACE warten möchte, die von einem befreundeten amerikanischen Einhandsegler gesegelt wird. Vor uns liegen also weitere 1.200 Seemeilen Einsamkeit auf hoher See.
Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch B und M / SY VERA / auf See / POS 27.43,6S - 120.34,2W
1 - Die »Hafeneinfahrt« von »Hanga Roa«. VERA und STORMALONG anfangs links im Bild. Beiboot BOUNCE versteckt sich am Ende rechts hinter einem Fischerboot. Ein Film von B+M.
2 - Einige »Moai« stehen unweit von Hanga Roa auf ihren »Ahu«. So kann man sie zusammen mit der auf Reede liegenden VERA photographieren.

3 - Hamburg: 8894 Seemeilen.

4 - »Mana«: Auf gepflegtem Rasen werfen wilde »Rapa Nui« Krieger vor begeistertem Publikum mit langen Speeren auf eingerammte Holzpfähle. Ein Film von B+M.
5 - In der Einkaufsmeile von »Hanga Roa« tobt ein Umzug mit Trommeln, Ukulelenklängen, Baströcken und schönen Frauen. Ein Film von B+M.
6 - »Rapa Nui«: Faule Hunde am Nabel der Welt.

7 - Anrührendes Grab auf dem romantisch angelegten Friedhof von »Hanga Roa«. Hinten im Bild die IVS NORTHERN BERWICK mit Maschinenschaden.

8 - So sollte es nicht enden: Das Wrack der LA ROSE in »Hanga Pico«

9 - Die »Moai« von »Anakena«. Auf dem Kopf tragen sie aus rötlichem Fels gehauene zylindrische Hüte.

10 - »Ahu Tongariki«: Pure Magie.

11 - »Ahu Tongariki«. Fünfzehn der allergrößten »Moai« stehen hier auf einem langgestreckten »Ahu«.

12 - Der »Traveling Moai« in »Tongariki« erinnert mich (M) an einen guten Freund. Ein Film von B+M.
13 - Der Steinbruch von »Rano Raraku«: Hunderte von »Moais« stehen hier erratisch auf der Wiese.

14 - B mit »Moai« am Steinbruch von »Rano Raraku«.

15 - »Rano Raraku«: Viele »Moai« liegen noch im Fels, halbfertig, oder erst in Umrissen zu erkennen.

16 - Am Grat des »Rano Kau«, unweit von »Orongo«. Der Blick hinab in den Kratersee ist überwältigend.

17 - »Orongo«: Langhäuser, wie mit der Landschaft verwachsen. Architektur, so wie sie sein sollte.

004 - MIT DEM PASSAT ZUM NABEL DER WELT
12/02/20 00:00
Hallo Ihr Lieben!
Dritter Februar 2020: Schon eine ganze Woche auf See! Traumhaftes segeln im Passat, in einem der einsamsten Seengebiete der Welt, weitab von jeder Schifffahrtsroute. Die Juan Fernandez Inseln liegen bereits über 800 Seemeilen achteraus. Tage fließen ohne Übergang ineinander, wie… eben, wie im Traum. Die Luft bleibt frisch, obwohl wir uns endlich den Tropen nähern. Wir segeln in weitem Bogen gen Polynesien. Ein wenig schiebt uns auch der kalte Humboldtstrom, wie einst Thor Heyerdahl und seine Crew auf ihrem wilden Balsafloß KON TIKI. Alles fließt.
Unser ansonsten allwissendes »Segelhandbuch für den Stillen Ozean« (Deutsche Seewarte 1897, Direktor Georg von Neumayer) enthält nur wenige Ratschläge zu dieser Route. Von Valparaiso in Chile segelte man doch zumeist eher zurück nach Europa, also gen Süden und erneut rund Kap Hoorn. Gelegentlich befahren wurde am ehesten noch die Route Kap Hoorn über Honolulu nach San Francisco, aber auch dazu findet sich wenig sachdienliches. Dafür erfährt man anderes bereicherndes, zum Beispiel über die Zugrouten der großen Wale, oder die sachgemäße Wartung des zur Bestimmung des Längengrades unabdingbaren Schiffschronometers. Auch die Bestimmung des Luftdrucks und die richtige Handhabung des »Aspirations-Psychrometers«, jener genialen Apparatur des Magdeburger Meteorologen Richard Assmann, mit dessen Hilfe ein den Naturwissenschaften geneigter Segelschiffskapitän die wahre Temperatur und Feuchtigkeit der Luft auch auf hoher See zu bestimmen vermag, ist eingehend besprochen, genauso wie die annähernde Schätzung der Wellenhöhe von der Großmarsrah aus. Die Aufklärung, der wir alles verdanken: Nur durch akribische Messungen emsiger Segelschiffsbesatzungen ließen sich so abstrakte Konzepte wie die Hoch- oder Tiefdrucksysteme der Atmosphäre, oder der wahrscheinliche Verlauf ihrer Zugbahnen, überhaupt entwickeln.
Heute heißt unser Wettermodell GFS. Es wird von Großrechnern der NOAA, also der »National Oceanic and Atmospheric Administration« der USA, alle paar Stunden neu berechnet und macht uns zu Magiern, die in die Zukunft blicken können. Das sogenannte »Südpazifische Hochdruckgebiet« ist jedenfalls derzeit stark ausgeprägt und bremst uns ein. Nach zunächst hohen Etmalen seit dem Auslaufen von Juan Fernandez sind wir allmählich langsamer geworden. Tagelang dümpeln wir dahin, oder ziehen gelegentlich auch Herrn VOLVO zu Rat. Manchmal schlagen die Segel, aber nur ein bisschen. Die See liegt da wie ein friedlich schlafendes Ungeheuer mit ruhigem Atem. Eine lange Dünung ziehen unter uns durch, Boten eines Sturmes im wilden »Southern Ocean«. Der nächste mögliche Landfall liegt noch immer knapp tausend Meilen vor dem Bug der VERA. Das klingt viel, ist aber egal. Es könnten auch zehntausend Meilen sein. Ich (M) verstehe den großen Wilfried Erdmann so: Nicht im ankommen liegt der Wert dieser Reisen, sondern im Dasein. Vielleicht bevorzugen wir (B und ich) deshalb auch Erdmann’s blauen Kladden für unser Logbuch. Zeit. Sich auf das besinnen, worauf es ankommt. Den Magen entspannen. Und den Schultergürtel. Tief atmen. Die Weltnachrichten sind weit weg. Man lebt nur dieses eine mal. Zeit für den »Green Blink«.
Bordroutine: Ein Highlight führt in das andere. Nach Sonnenaufgang brüht die neue Wache frischen Tee auf, während die alte Wache schon mal ein wenig Schlaf nachholt. Die kleine Gasflamme braucht ohnehin fast eine Stunde für den großen Kessel. Earl Grey. Aromatischer Luxus aus einer anderen Welt. Manchmal liegen Tintenfische an Deck, die sich gut in der Pfanne machen, mit Olivenöl und Knoblauch. Zuweilen mag man ein wenig an den Segeln trimmen, und wenn es auch nur einen halben Knoten bringt. Muss sein. Wir wollen doch nicht, das uns Linette und Nils, die fliegenden Holländer auf ihrer kleinen schnellen STORMALONG (www.sy-stormalong.nl) , am Ende doch noch überholen. Nichts los hier. Kein Schiff, kein Wal, keine Fische, wenige Vögel. Das Meer scheint sauber, blau und leer. Kein treibender Müll. Auch der Köder an der langen Angelleine bleibt lange leer. Vielleicht zum Glück. B und ich mögen beide nicht (selber) schlachten. Das Blutbad, der existentielle Moment des Tötens. Ihr versteht schon.
Schiffsmittag: Eigentlich könnten wir inzwischen zwei volle Stunden draufrechnen. Immerhin segeln wir ja mit der Sonne gen Westen. Der Einfachheit halber belassen wir es für’s erste noch bei der alten Zeit. Nun also: Mittagsposition eintragen, in’s Logbuch und in die Karte. Karte? Nicht ganz: Unsere Pazifik Übersegler bleiben heutzutage im Navitisch verstaut. Die gute »open source software« »OpenCPN« mit »CM93 charts« auf unseren MacBooks tut es auch, und vielleicht sogar besser. »Open source«: Menschen, die an einem Strang ziehen, zum Wohle vieler. Noch 600 Seemeilen. Voraus wird es psychologisch. Das »Südpazifische Hochdruckgebiet« liegt wieder mal fett im Weg. Der Passat geht für ein paar Tage in den Urlaub. Flaute also, aus allen Richtungen. Einerseits lässt das die »Etmale« schrumpfen, also die zurückgelegte Distanz zwischen zwei aufeinanderfolgenden Schiffsmittagspositionen. Andererseits macht das unser Bordleben komfortabler. Seit ein paar Tagen überlagert eine zuweilen ganz und gar garstige Windwelle aus Osten den majestätischen Seegang aus Süden, was die VERA wie betrunken rollen und torkeln lässt. Macht ein flaues Gefühl im Magen, erfordert Akrobatik und macht jede Handreichung mühsam. Segel und Tauwerk leiden auch unter der hohen Beanspruchung. Aber dafür haben wir sie ja. Dennoch war es wohl die richtige Entscheidung, unser feines neues Großsegel im Sack zu lassen und stattdessen weiter auf den »alten, unzerstörbaren Sack« zu setzen, den der Segelmachermeister José Tatel im Jahre 2002 auf Gran Canaria aus »Hydranet« für die VERA angefertigt hat. Anderthalbmal ist der »alte Sack« jetzt schon um die Welt. Wenn es gut läuft, hält er bis Tahiti. Oder bis Hawaii. Oder vielleicht bis Alaska. Bis dahin belegt Skip Novak’s »Antarctica special« Großsegel eine ganze Koje in unserer Achterkabine und hilft mit seinem beeindruckenden Gewicht, die VERA tiefer zu legen, was einerseits die Wasserlinie verlängert (günstig), aber andererseits das Wasser im Waschbecken nicht mehr richtig ablaufen lässt (ungünstig).
Bürostunde, über das Datenmodem unseres IRIDIUM Satelliten Telephons: Positionsmeldung an die Chilenische Armada absetzen, GFS herunterladen, Korrespondenz pflegen. Post trifft ein, von der LUCIPARA 2! Seit zweieinhalb Wochen ankern unsere Freunde Floris und Ivar (www.sailorsforsustainability.nl) nun schon vor »Hanga Roa«, dem Hafen von »Rapa Nui«, der Osterinsel. Begeistert berichten sie von ihren Erlebnissen dort. Inzwischen ist das jährliche »Tapati« Festival eröffnet. Wenn wir uns beeilen, können wir es vielleicht noch bis zum großen Finale schaffen. Zum Glück sitzt uns die STORMALONG im Nacken. Jeden Tag müssen wir damit rechnen, den gigantisch großen roten Gennaker von achtern aufkommen zu sehen. Halber Wind heute, den ganzen Tag, um die fünf Knoten, eher schwach also. Es wird Zeit für uns, endlich einmal die große »Code 0« Genua auszuprobieren, die wir vor Jahren mal bei EBAY ersteigert haben. Das Ding reicht bis hinter die Großbaumnock und muss ganz am Heck unseres Bootes geschotet werden. Irre. Die Belohnung sind vier Knoten Fahrt bei fünf Knoten wahrem Wind. Auf, abgesehen von der noch immer majestätischen Dünung, eigentümlich glattem Wasser rauschen wir in die Nacht. Bald ist Vollmond. Gute Wache.
27 Grad Süd, der Breitengrad der Osterinsel: Wegen einer Passatstörung dreht der Wind nach Westen, also auf den Kopf. Und er frischt auf. Der furchteinflößende »Code 0« muss weg. Bald hämmern wir unter Groß und Genua voran, gen 240 Grad magnetisch, also zwanzig Grad unter unserem Sollkurs, mit zwanzig Grad Lage und ordentlich weissem Wasser an Deck. An der Kreuz verdoppeln sich die noch zu versegelnden Distanzen… Mal sehen, was das noch gibt. Das »Südpazifische Hochdruckgebiet« sorgt in diesen Breiten beständig für Kurzweil. Der holländische Aufklärer und Spinoza Anhänger Jacob Roggeveen muss hier im Frühjahr des Jahres 1722 ganz ähnliche Bedingungen vorgefunden haben, als er sich, wie wir, mit seinem kleinen Geschwader vorwärts mühte. Roggeveen suchte eigentlich nach dem sagenumwobenen Südkontinent. Von der Südspitze Südamerikas aus war man bereits bis auf 60 Grad Süd vorgedrungen. Ohne Erfolg. Nun wollte man es weiter westlich versuchen. Nur: Im stabil daliegenden »Südpazifischen Hochdruckgebiet« herrscht meist Flaute aus allen Richtungen und südlich davon regieren die Götter des Westwindes im menschenfeindlichen »Southern Ocean«, was jedem Vorankommen sehr abträglich ist, zumindest für Roggeveen’s rahgetakelten, eher flachbödigen »Fluiten«. Es könnte also ausgerechnet die spezielle Lage und Ausprägung dieses beständigen Hochdruckgebietes gewesen sein, welche die Holländer am fünften April des Jahres 1722, zu Ostern also, direkt zu einer in Europa bisher unbekannten Insel führten, denen sie nachvollziehbar, wenn auch ein wenig unkreativ, den Namen »Paasch-Eyland«, also »Osterinsel«, gaben.
Neunter Februar 2020: Keine zweihundert Seemeilen mehr bis zu eben diesem sagenumwobenen Eiland. So nah, und doch so fern… Viel Arbeit in der Nacht: Bis Mitternacht mühsam voran unter »Code 0« Genua, dann totale Flaute. Herr VOLVO darf weitermachen. Eine Stunde später Regenböen aus Nord, bis an die Reffgrenze. Danach erneut Flaute in frisch gelockter See. Herr VOLVO… Dann Südwind, schwach, aber beständig. Frisch gewaschen rauscht die VERA under »Code 0« im Mondlicht dahin. Die Dünung aus dem »Southern Ocean« ist heute Nacht so gewaltig, das auf den Kämmen frischer Wind weht, der ordentlich Druck ins Rigg bringt, während in den Wellentälern beinahe Flaute herrscht... Ganz und gar unwirklich, kaum zu beschreiben. Morgendämmerung von dunkelblau über blutorange bis rosig, dann Sonnenaufgang, gleißend und grell: Absolute Flaute jetzt. Laut neuestem GFS soll erst morgen Abend wieder Wind aufkommen, von Südosten her einsetzend. Also Motor an: Neuer Kurs, WSW. Wir wollen dem Passat doch ein wenig entgegenfahren.
Eigentlich sollte es jetzt also eine halbwegs erholsame Nacht werden, zumindest ohne weitere anstrengende Segelmanöver. Doch dann: Zur Geisterstunde zerrt etwas an unserer nachgeschleppten Angelleine! Ein Thunfisch, lecker und zart? Leider nein. Stattdessen hat sich ein gar grausiges Vieh in unseren Köder verbissen! Ein »Gempylus serpens«, einen guten Meter lang! »Gempylus«? Ja genau. Eben jene tropische Schlangenmakrele, die eigentlich in großen Tiefen lebt und sich höchstens des Nachts einmal zur Jagt an die Oberfläche begibt. Eben jener »Gempylus«, wie er Ende der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts auf einem Photo in Thor Heyerdahl’s weltweitem Bestseller »Kon Tiki« zu sehen war und damals als sensationelle Entdeckung galt. Eine große Welle hatte das Biest an Bord des Balsafloßes KON TIKI und in den Schlafsack des Expeditionsmitgliedes Torstein Raaby geschwemmt. Sekunden darauf attackierte es mit seinen furchterregende langen Reißzähnen eine Petroleumlaterne, als wäre es vom Teufel besessen, was den hartgesottenen Skandinaviern eine Heidenangst einjagte. Heyerdahl’s »Gempylus« mag sogar, zumindest nach meinem (M’s) Dafürhalten, den Schweizer Künstler Hansruedi Giger’s in den siebziger Jahren zu seinem mit dem Oskar ausgezeichneten »Alien« inspiriert haben. B schneidet rasch die mageren Filets herunter. »Gempylus« Sashimi… Ah, die Freuden der japanischen Küche.
Elfter Februar 2020, im Morgengrauen: Land in Sicht! Rote und gelbe Felsen, karge Vulkankegel, nur sehr wenig Grün. »Rapa Nui«, der Nabel der Welt. Roggeveen’s Osterinsel, aus der Entdecker Perspektive. Die ganze Nacht über hatten wir nur noch die Genua stehen, um nicht in der Dunkelheit anzukommen. Wir wollen diesen für uns einmaligen Anblick ausgiebig genießen. Schweigend und staunend segeln wir an der Nordküste entlang. Dort! Die berühmten »Moais« von »Anakena«! Leider ist die wohl schönste Ankerbucht der Insel heute ungenießbar. Wegen des frischen Ostwindes steht ordentlich Brandung auf den Strand. Also weiter nach »Hanga Roa«, an der Westküste der Insel. Der Anker fällt auf 25m vor der bunt gescheckten Ortschaft, direkt neben der STORMALONG, die uns in der Nacht unter Spinnaker überholt hat. Einige weitere »Moais« stehen an Land. Trommeln und Südseeklänge wehen zu uns heraus. Einheimische paddeln mit Auslegerkanus in der Brandung. Das »Tapati« Festival, noch immer in vollem Gange. Es riecht feucht und fett nach Land. Das Einklarieren gestaltet sich diesmal hochkomfortabel. Die Behörden der chilenischen »Armada« kommen mit ihrem Schlauchboot zu uns heraus auf den Ankerplatz, zu sechst, sehr nett und hochprofessionell. Nach ein wenig Papierkram dürfen wir bleiben. Zeit für einen Gin Tonic auf der STORMALONG. Und dann ab in die Koje.
Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch B und M / SY VERA / Hanga Roa / Rapa Nui (die Osterinsel)
1 - Schon eine ganze Woche auf See!

2 - Das »Segelhandbuch für den Stillen Ozean« und unser Logbuch nach Wilfried Erdmann.

3 - Zeit für den »Green Blink«. Ein Film von B+M.
4 - Manchmal liegen Tintenfische an Deck, die sich gut in der Pfanne machen, mit Olivenöl und Knoblauch.

5 - Flaute: Die Gelegenheit zum baden auf 3.300m Tiefe.

6 - Code 0: Das riesige Segel bringt ordentlich Druck ins Rigg. Ein Film von B+M.
7 - »Gempylus serpens«: B schneidet rasch die Filets herunter.

8 - »Rapa Nui«: Die Osterinsel, aus der »Roggeveen Perspektive«.

9 - Und dort! Die berühmten »Moais« von »Anakena«!

10 - Unsere Route von Südamerika nach »Rapa Nui«.

Dritter Februar 2020: Schon eine ganze Woche auf See! Traumhaftes segeln im Passat, in einem der einsamsten Seengebiete der Welt, weitab von jeder Schifffahrtsroute. Die Juan Fernandez Inseln liegen bereits über 800 Seemeilen achteraus. Tage fließen ohne Übergang ineinander, wie… eben, wie im Traum. Die Luft bleibt frisch, obwohl wir uns endlich den Tropen nähern. Wir segeln in weitem Bogen gen Polynesien. Ein wenig schiebt uns auch der kalte Humboldtstrom, wie einst Thor Heyerdahl und seine Crew auf ihrem wilden Balsafloß KON TIKI. Alles fließt.
Unser ansonsten allwissendes »Segelhandbuch für den Stillen Ozean« (Deutsche Seewarte 1897, Direktor Georg von Neumayer) enthält nur wenige Ratschläge zu dieser Route. Von Valparaiso in Chile segelte man doch zumeist eher zurück nach Europa, also gen Süden und erneut rund Kap Hoorn. Gelegentlich befahren wurde am ehesten noch die Route Kap Hoorn über Honolulu nach San Francisco, aber auch dazu findet sich wenig sachdienliches. Dafür erfährt man anderes bereicherndes, zum Beispiel über die Zugrouten der großen Wale, oder die sachgemäße Wartung des zur Bestimmung des Längengrades unabdingbaren Schiffschronometers. Auch die Bestimmung des Luftdrucks und die richtige Handhabung des »Aspirations-Psychrometers«, jener genialen Apparatur des Magdeburger Meteorologen Richard Assmann, mit dessen Hilfe ein den Naturwissenschaften geneigter Segelschiffskapitän die wahre Temperatur und Feuchtigkeit der Luft auch auf hoher See zu bestimmen vermag, ist eingehend besprochen, genauso wie die annähernde Schätzung der Wellenhöhe von der Großmarsrah aus. Die Aufklärung, der wir alles verdanken: Nur durch akribische Messungen emsiger Segelschiffsbesatzungen ließen sich so abstrakte Konzepte wie die Hoch- oder Tiefdrucksysteme der Atmosphäre, oder der wahrscheinliche Verlauf ihrer Zugbahnen, überhaupt entwickeln.
Heute heißt unser Wettermodell GFS. Es wird von Großrechnern der NOAA, also der »National Oceanic and Atmospheric Administration« der USA, alle paar Stunden neu berechnet und macht uns zu Magiern, die in die Zukunft blicken können. Das sogenannte »Südpazifische Hochdruckgebiet« ist jedenfalls derzeit stark ausgeprägt und bremst uns ein. Nach zunächst hohen Etmalen seit dem Auslaufen von Juan Fernandez sind wir allmählich langsamer geworden. Tagelang dümpeln wir dahin, oder ziehen gelegentlich auch Herrn VOLVO zu Rat. Manchmal schlagen die Segel, aber nur ein bisschen. Die See liegt da wie ein friedlich schlafendes Ungeheuer mit ruhigem Atem. Eine lange Dünung ziehen unter uns durch, Boten eines Sturmes im wilden »Southern Ocean«. Der nächste mögliche Landfall liegt noch immer knapp tausend Meilen vor dem Bug der VERA. Das klingt viel, ist aber egal. Es könnten auch zehntausend Meilen sein. Ich (M) verstehe den großen Wilfried Erdmann so: Nicht im ankommen liegt der Wert dieser Reisen, sondern im Dasein. Vielleicht bevorzugen wir (B und ich) deshalb auch Erdmann’s blauen Kladden für unser Logbuch. Zeit. Sich auf das besinnen, worauf es ankommt. Den Magen entspannen. Und den Schultergürtel. Tief atmen. Die Weltnachrichten sind weit weg. Man lebt nur dieses eine mal. Zeit für den »Green Blink«.
Bordroutine: Ein Highlight führt in das andere. Nach Sonnenaufgang brüht die neue Wache frischen Tee auf, während die alte Wache schon mal ein wenig Schlaf nachholt. Die kleine Gasflamme braucht ohnehin fast eine Stunde für den großen Kessel. Earl Grey. Aromatischer Luxus aus einer anderen Welt. Manchmal liegen Tintenfische an Deck, die sich gut in der Pfanne machen, mit Olivenöl und Knoblauch. Zuweilen mag man ein wenig an den Segeln trimmen, und wenn es auch nur einen halben Knoten bringt. Muss sein. Wir wollen doch nicht, das uns Linette und Nils, die fliegenden Holländer auf ihrer kleinen schnellen STORMALONG (www.sy-stormalong.nl) , am Ende doch noch überholen. Nichts los hier. Kein Schiff, kein Wal, keine Fische, wenige Vögel. Das Meer scheint sauber, blau und leer. Kein treibender Müll. Auch der Köder an der langen Angelleine bleibt lange leer. Vielleicht zum Glück. B und ich mögen beide nicht (selber) schlachten. Das Blutbad, der existentielle Moment des Tötens. Ihr versteht schon.
Schiffsmittag: Eigentlich könnten wir inzwischen zwei volle Stunden draufrechnen. Immerhin segeln wir ja mit der Sonne gen Westen. Der Einfachheit halber belassen wir es für’s erste noch bei der alten Zeit. Nun also: Mittagsposition eintragen, in’s Logbuch und in die Karte. Karte? Nicht ganz: Unsere Pazifik Übersegler bleiben heutzutage im Navitisch verstaut. Die gute »open source software« »OpenCPN« mit »CM93 charts« auf unseren MacBooks tut es auch, und vielleicht sogar besser. »Open source«: Menschen, die an einem Strang ziehen, zum Wohle vieler. Noch 600 Seemeilen. Voraus wird es psychologisch. Das »Südpazifische Hochdruckgebiet« liegt wieder mal fett im Weg. Der Passat geht für ein paar Tage in den Urlaub. Flaute also, aus allen Richtungen. Einerseits lässt das die »Etmale« schrumpfen, also die zurückgelegte Distanz zwischen zwei aufeinanderfolgenden Schiffsmittagspositionen. Andererseits macht das unser Bordleben komfortabler. Seit ein paar Tagen überlagert eine zuweilen ganz und gar garstige Windwelle aus Osten den majestätischen Seegang aus Süden, was die VERA wie betrunken rollen und torkeln lässt. Macht ein flaues Gefühl im Magen, erfordert Akrobatik und macht jede Handreichung mühsam. Segel und Tauwerk leiden auch unter der hohen Beanspruchung. Aber dafür haben wir sie ja. Dennoch war es wohl die richtige Entscheidung, unser feines neues Großsegel im Sack zu lassen und stattdessen weiter auf den »alten, unzerstörbaren Sack« zu setzen, den der Segelmachermeister José Tatel im Jahre 2002 auf Gran Canaria aus »Hydranet« für die VERA angefertigt hat. Anderthalbmal ist der »alte Sack« jetzt schon um die Welt. Wenn es gut läuft, hält er bis Tahiti. Oder bis Hawaii. Oder vielleicht bis Alaska. Bis dahin belegt Skip Novak’s »Antarctica special« Großsegel eine ganze Koje in unserer Achterkabine und hilft mit seinem beeindruckenden Gewicht, die VERA tiefer zu legen, was einerseits die Wasserlinie verlängert (günstig), aber andererseits das Wasser im Waschbecken nicht mehr richtig ablaufen lässt (ungünstig).
Bürostunde, über das Datenmodem unseres IRIDIUM Satelliten Telephons: Positionsmeldung an die Chilenische Armada absetzen, GFS herunterladen, Korrespondenz pflegen. Post trifft ein, von der LUCIPARA 2! Seit zweieinhalb Wochen ankern unsere Freunde Floris und Ivar (www.sailorsforsustainability.nl) nun schon vor »Hanga Roa«, dem Hafen von »Rapa Nui«, der Osterinsel. Begeistert berichten sie von ihren Erlebnissen dort. Inzwischen ist das jährliche »Tapati« Festival eröffnet. Wenn wir uns beeilen, können wir es vielleicht noch bis zum großen Finale schaffen. Zum Glück sitzt uns die STORMALONG im Nacken. Jeden Tag müssen wir damit rechnen, den gigantisch großen roten Gennaker von achtern aufkommen zu sehen. Halber Wind heute, den ganzen Tag, um die fünf Knoten, eher schwach also. Es wird Zeit für uns, endlich einmal die große »Code 0« Genua auszuprobieren, die wir vor Jahren mal bei EBAY ersteigert haben. Das Ding reicht bis hinter die Großbaumnock und muss ganz am Heck unseres Bootes geschotet werden. Irre. Die Belohnung sind vier Knoten Fahrt bei fünf Knoten wahrem Wind. Auf, abgesehen von der noch immer majestätischen Dünung, eigentümlich glattem Wasser rauschen wir in die Nacht. Bald ist Vollmond. Gute Wache.
27 Grad Süd, der Breitengrad der Osterinsel: Wegen einer Passatstörung dreht der Wind nach Westen, also auf den Kopf. Und er frischt auf. Der furchteinflößende »Code 0« muss weg. Bald hämmern wir unter Groß und Genua voran, gen 240 Grad magnetisch, also zwanzig Grad unter unserem Sollkurs, mit zwanzig Grad Lage und ordentlich weissem Wasser an Deck. An der Kreuz verdoppeln sich die noch zu versegelnden Distanzen… Mal sehen, was das noch gibt. Das »Südpazifische Hochdruckgebiet« sorgt in diesen Breiten beständig für Kurzweil. Der holländische Aufklärer und Spinoza Anhänger Jacob Roggeveen muss hier im Frühjahr des Jahres 1722 ganz ähnliche Bedingungen vorgefunden haben, als er sich, wie wir, mit seinem kleinen Geschwader vorwärts mühte. Roggeveen suchte eigentlich nach dem sagenumwobenen Südkontinent. Von der Südspitze Südamerikas aus war man bereits bis auf 60 Grad Süd vorgedrungen. Ohne Erfolg. Nun wollte man es weiter westlich versuchen. Nur: Im stabil daliegenden »Südpazifischen Hochdruckgebiet« herrscht meist Flaute aus allen Richtungen und südlich davon regieren die Götter des Westwindes im menschenfeindlichen »Southern Ocean«, was jedem Vorankommen sehr abträglich ist, zumindest für Roggeveen’s rahgetakelten, eher flachbödigen »Fluiten«. Es könnte also ausgerechnet die spezielle Lage und Ausprägung dieses beständigen Hochdruckgebietes gewesen sein, welche die Holländer am fünften April des Jahres 1722, zu Ostern also, direkt zu einer in Europa bisher unbekannten Insel führten, denen sie nachvollziehbar, wenn auch ein wenig unkreativ, den Namen »Paasch-Eyland«, also »Osterinsel«, gaben.
Neunter Februar 2020: Keine zweihundert Seemeilen mehr bis zu eben diesem sagenumwobenen Eiland. So nah, und doch so fern… Viel Arbeit in der Nacht: Bis Mitternacht mühsam voran unter »Code 0« Genua, dann totale Flaute. Herr VOLVO darf weitermachen. Eine Stunde später Regenböen aus Nord, bis an die Reffgrenze. Danach erneut Flaute in frisch gelockter See. Herr VOLVO… Dann Südwind, schwach, aber beständig. Frisch gewaschen rauscht die VERA under »Code 0« im Mondlicht dahin. Die Dünung aus dem »Southern Ocean« ist heute Nacht so gewaltig, das auf den Kämmen frischer Wind weht, der ordentlich Druck ins Rigg bringt, während in den Wellentälern beinahe Flaute herrscht... Ganz und gar unwirklich, kaum zu beschreiben. Morgendämmerung von dunkelblau über blutorange bis rosig, dann Sonnenaufgang, gleißend und grell: Absolute Flaute jetzt. Laut neuestem GFS soll erst morgen Abend wieder Wind aufkommen, von Südosten her einsetzend. Also Motor an: Neuer Kurs, WSW. Wir wollen dem Passat doch ein wenig entgegenfahren.
Eigentlich sollte es jetzt also eine halbwegs erholsame Nacht werden, zumindest ohne weitere anstrengende Segelmanöver. Doch dann: Zur Geisterstunde zerrt etwas an unserer nachgeschleppten Angelleine! Ein Thunfisch, lecker und zart? Leider nein. Stattdessen hat sich ein gar grausiges Vieh in unseren Köder verbissen! Ein »Gempylus serpens«, einen guten Meter lang! »Gempylus«? Ja genau. Eben jene tropische Schlangenmakrele, die eigentlich in großen Tiefen lebt und sich höchstens des Nachts einmal zur Jagt an die Oberfläche begibt. Eben jener »Gempylus«, wie er Ende der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts auf einem Photo in Thor Heyerdahl’s weltweitem Bestseller »Kon Tiki« zu sehen war und damals als sensationelle Entdeckung galt. Eine große Welle hatte das Biest an Bord des Balsafloßes KON TIKI und in den Schlafsack des Expeditionsmitgliedes Torstein Raaby geschwemmt. Sekunden darauf attackierte es mit seinen furchterregende langen Reißzähnen eine Petroleumlaterne, als wäre es vom Teufel besessen, was den hartgesottenen Skandinaviern eine Heidenangst einjagte. Heyerdahl’s »Gempylus« mag sogar, zumindest nach meinem (M’s) Dafürhalten, den Schweizer Künstler Hansruedi Giger’s in den siebziger Jahren zu seinem mit dem Oskar ausgezeichneten »Alien« inspiriert haben. B schneidet rasch die mageren Filets herunter. »Gempylus« Sashimi… Ah, die Freuden der japanischen Küche.
Elfter Februar 2020, im Morgengrauen: Land in Sicht! Rote und gelbe Felsen, karge Vulkankegel, nur sehr wenig Grün. »Rapa Nui«, der Nabel der Welt. Roggeveen’s Osterinsel, aus der Entdecker Perspektive. Die ganze Nacht über hatten wir nur noch die Genua stehen, um nicht in der Dunkelheit anzukommen. Wir wollen diesen für uns einmaligen Anblick ausgiebig genießen. Schweigend und staunend segeln wir an der Nordküste entlang. Dort! Die berühmten »Moais« von »Anakena«! Leider ist die wohl schönste Ankerbucht der Insel heute ungenießbar. Wegen des frischen Ostwindes steht ordentlich Brandung auf den Strand. Also weiter nach »Hanga Roa«, an der Westküste der Insel. Der Anker fällt auf 25m vor der bunt gescheckten Ortschaft, direkt neben der STORMALONG, die uns in der Nacht unter Spinnaker überholt hat. Einige weitere »Moais« stehen an Land. Trommeln und Südseeklänge wehen zu uns heraus. Einheimische paddeln mit Auslegerkanus in der Brandung. Das »Tapati« Festival, noch immer in vollem Gange. Es riecht feucht und fett nach Land. Das Einklarieren gestaltet sich diesmal hochkomfortabel. Die Behörden der chilenischen »Armada« kommen mit ihrem Schlauchboot zu uns heraus auf den Ankerplatz, zu sechst, sehr nett und hochprofessionell. Nach ein wenig Papierkram dürfen wir bleiben. Zeit für einen Gin Tonic auf der STORMALONG. Und dann ab in die Koje.
Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch B und M / SY VERA / Hanga Roa / Rapa Nui (die Osterinsel)
1 - Schon eine ganze Woche auf See!

2 - Das »Segelhandbuch für den Stillen Ozean« und unser Logbuch nach Wilfried Erdmann.

3 - Zeit für den »Green Blink«. Ein Film von B+M.
4 - Manchmal liegen Tintenfische an Deck, die sich gut in der Pfanne machen, mit Olivenöl und Knoblauch.

5 - Flaute: Die Gelegenheit zum baden auf 3.300m Tiefe.

6 - Code 0: Das riesige Segel bringt ordentlich Druck ins Rigg. Ein Film von B+M.
7 - »Gempylus serpens«: B schneidet rasch die Filets herunter.

8 - »Rapa Nui«: Die Osterinsel, aus der »Roggeveen Perspektive«.

9 - Und dort! Die berühmten »Moais« von »Anakena«!

10 - Unsere Route von Südamerika nach »Rapa Nui«.

003 - ISLA ROBINSON CRUSOE
28/01/20 00:00
Hallo Ihr Lieben!
26. Januar 2020: Bei Tagesanbruch laufen wir müde und erschöpft in die »Cumberland Bay«, dem besten Ankerplatz der Insel »Más a Tierra« (»Mehr zum Land hin«), die zum Juan Fernandez Archipel, also noch zu Chile gehört. Juan Fernandez? Genau. Genau hier versenkte die deutsche Besatzung ihren Kreutzer SMS DRESDEN mit einer Ladung Sprengstoff, nachdem man am 14. März 1915 unter schwerem britischen Beschuss die Flagge der kaiserlichen Kriegsmarine gestrichen hatte. Auch unser alter Freund Lord Anson muss diesen Platz gut gekannt haben. Den ganzen Winter 1741 wartete er hier auf einige versprengte Schiffe seiners Geschwaders, unter anderem die unglückliche HMS WAGER. Aber auch die glücklichere HMS ANNA PINK liegt hier auf dem Grund der Bucht. Anson war seinerzeit offenbar mit den Überholungsarbeiten ihrer Besatzung unzufrieden. Jedenfalls beschloss er die Besatzung der ANNA und alles brauchbare an Bord seines Flaggschiffes HMS CENTURION zu schaffen. Ihr erinnert Euch (siehe VERA Newsletter 045, oder George Anson: »A voyage round the world in the years MDCCXL, I, II, III, IV«).
Heute wartet hier in der »Cumberland Bay« die niederländische STORMALONG (www.sy-stormalong.nl) und ihre junge Crew auf uns, mit frisch gebrühtem Café. Das lässt sich gut an. Gemeinsam beschließen wir, mit BOUNCE, dem Beiboot der VERA, in die »Stadt« zu fahren, nach »San Juan Bautista«, der Hauptstadt des Archipels mit seinen knapp 800 Einwohnern. Wir wollen bei der hiesigen Armada Station einklarieren (ein wenig Zen), etwas zu Mittag essen und evtl. eine kleine Wanderung auf »Más a Tierra« unternehmen. In Wirklichkeit bezeichnet man diese Inseln heutzutage nicht mehr nach ihrer Lage relativ zur Küste Südamerikas, sondern nur noch nach ihrem prominentesten ehemaligen Einwohner. »Más Afuera« (also »Weiter draussen«) heißt aus Marketing Gründen jetzt also »Isla Alejandro Selkirk« und »Más a Tierra« führt den wohl noch wohlklingenderen Namen »Isla Robinson Crusoe«. Tatsächlich ist es genau diese Insel, auf welcher der schottische Seemann Alexander Sekirk zwischen 1704 und 1709 vier Jahre und vier Monate ganz alleine zugebracht hat, nachdem er sich mit Thomas Stradling, dem jungen und unerfahrenen Kapitän des Englischen Freibeuters CINQUE PORTS über die in den Planken ihres Schiffes wütenden Bohrwürmer überworfen hatte. Die gut dokumentierten Abenteuer Sekirk‘s sollen den weltberühmten Schriftstelle Daniel Defoe dazu inspiriert haben, den allerersten (Abenteuer)roman in Englischer Sprache zu verfassen, der zum weltweiten Bestseller biblischen Ausmaßes geriet. Zumindest in Sachen Übersetzungen in verschiedene Sprachen wird Defoe’s Meisterwerk bis heute nurmehr von der »Heiligen Schrift« übertroffen.
Nach dem nicht unerfreulichen Lunch in einem urigen Lokal am Hang mit gutem Ausblick über die Bucht machen wir uns mit vollen Mägen auf den Weg zum »Mirador Alejandro Selkirk«, einem in 600 Meter Höhe gelegenen Aussichtspunkt, den der hagere Schotte jeden Tag erklettert haben soll, um in alle Himmelsrichtungen nach dem Rechten zu schauen. Dafür hatte er jedenfalls gute Gründe. Als englischem Freibeuter drohte ihm der Strang, falls er irgendwie in die Hände der Spanier geraten sollte. Immerhin boten sich die entlegenen Inseln für alle passierenden Schiffe an, Wasser und sogar Fleischvorräte zu bunkern, nachdem irgendeine erfinderische Crew einmal auf die seinerzeit genial erscheinende Idee gekommen war, eine kleine Herde Ziegen auf »Más a Tierra« auszusetzen. Da Selkirk eine alte Flinte und ein wenig Munition besaß, konnte er sich eine Zeit lang über Wasser halten, bis er es in Sachen Ziegenjagd per Pfeil und Bogen, Speer, Schlinge oder Falle zur Meisterschaft gebracht hatte. Der Pfad zieht sich, steinig und steil. Nach knapp zwei Stunden gelangen wir an ein interessantes Hinweisschild: Achtzig Meter von hier hatte sich Selkirk an einer strategisch wirklich einmalig guten Stelle ein richtiges Haus gebaut, nah bei einem munteren Bach, gut aus behauenem Stein gemauert und mit einem phantastischen Blick über die gesamte »Cumberland Bay«. Die noch heute gut erkennbare Ruine rührt an, gerade wenn man an Selkirk’s verzweifelte Lage denkt. Immerhin sind wir zu viert, dürfen (nach ein wenig mehr Zen) jederzeit wieder weg, und haben noch dazu zwei gut gebaute einheimische Hunde dabei, die sehr freundlich und anhänglich sind. Selkirk hätte sicherlich einiges für so einen pelzigen Kameraden gegeben. Anders als »Robinson Crusoe« fand er nämlich keinen Diener »Freitag« am Strand. Der Juan Fernandez Archipel war wohl nie von indigenen Menschenfressern bewohnt.
Oben am Grat sind wir alle ziemlich geschafft und ordentlich durchgeschwitzt. Es ist kalt, der Wind pfeift und leider sind Wolken aufgezogen, die uns den Blick nach Süden über das Meer verwehren. Selkirk muss stundenlang hier oben gestanden haben, voll Bangen und Hoffen. Ein Schiff? Aber was für eins? Am 1. Februar 1709 war es soweit: Die englische Fregatte DUKE unter dem Kommando des charismatischen und erfolgreichen Freibeuters Woodes Rogers näherte sich von Süden her und ankerte bald darauf in der »Cumberland Bay«. Es gelang Selkirk, die Besatzung mit einem stark rauchenden Feuer am Strand auf sich aufmerksam zu machen. Bald darauf diente er auf der DUKE als erster Maat. Später übergab ihm Rogers sogar das Kommando über eine der spanischen Schatzgaleonen, die man vor der Küste Mexicos gekapert hatte. Ende gut, alles gut für den langen Schotten, vor allem wenn man bedenkt, das Selkirk’s ehemaliges Schiff, die CINQUE PORTS, bald nach der Trennung von den Spaniern aufgebracht worden war und die gesamte Besatzung in spanischen Kerkern oder Bergwerken zu Grunde ging.
Am nächsten Morgen statten wir der »Armada« einen weiteren Besuch ab, um unsere Ausklarierungspapiere abzuholen (noch etwas Zen). Unser Versuch, in der öffentlichen Bibliothek einen Zugang zum Internet zu legen scheitert an der nicht vorhandenen Bandbreite. Newsletter 047 ff. müssen wir also ein anderes mal auf den Weg bringen. Ah, das Internet… Segen und Fluch. Zum wandern reizt das Wetter heute nicht. Regenböen, Kälte, Nebel, schlechte Sicht. Auf dem Rückweg zu BOUNCE, der abenteuerlich an der rostigen Pier der Hauptstadt auf uns wartet, laufen wir dem beflissenen SAG Beamten vom Ministerium für Landwirtschaft und Gesundheit in die Arme. B + ich besitzen zum Glück alle erforderlichen SAG Papiere aus Puerto Williams. Linette und Nils dagegen nicht. In einer weiteren ausgiebigen Runde Zen füllt Linette nun mit B’s Hilfe einen ungeheuren Stapel Papiere aus, der sämtliche Nahrungsmittel an Bord der STORMALONG dokumentieren soll... Nils und M versuchen derweil »Cerveza local« zu kaufen, was nicht gelingt. Ausverkauft. Es reicht. Man kann sich vorstellen, wie sehr Alexander Selkirk diese Insel gehasst haben muss. Zumindest bei diesem Schietwetter.
28. Januar 2020: Die Inseln des Juan Fernandez Archipel verschwinden achteraus im Dunst. Südost um die 15 Knoten, nach Beaufort also Stärke vier, Kaiserwetter auf einmal. Die fliegenden Holländer Nils und Linette auf ihrer STORMALONG sind mit uns ausgelaufen. Noch sind sie in Sicht: Ein feiner weißer Strich, schräg geneigt am Horizont. Doch bald werden wir die Freunde aus den Augen verlieren. Der UKW Funk trägt nur ein paar Meilen. Vor unseren Booten liegt die Einsamkeit und die Weiten des Pazifischen Ozeans. Wir sind auf dem Weg nach »Rapa Nui«, der weltberühmten Osterinsel mit ihren monolithischen steinernen »Moai« Statuen. Sie liegt etwa 1.600 Seemeilen weiter im Nordwesten, also knappe 3.000 Kilometer von hier. Wünscht uns Glück.
Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch B und M / SY VERA / auf See / POS 34.14,6 S - 078.02,6 W
1 - Juan Fernandez / »Más a Tierra« / Cumberland Bay: Ein erster Eindruck. Ein Film von B+M.
2 - Karte von Juan Fernandez, gezeichnet nach Skizzen von Lord Anson.

3 - Denkmal für Alexander Selkirk in »San Juan Bautista«.

4 - B mit der STORMALONG Crew an Alexander Selkirk’s Hütte.

5 - Phantastischer Blick von Selkirk’s Hütte hinunter auf die Cumberland Bay.

6 - Selkirk hätte sicherlich einiges für solch pelzige Kameraden gegeben.

7 - Blick von Selkirk’s »Lookout« auf die Südseite »seiner« Insel. Ein Film, von B+M.
8 - VERA und STORMALONG vor Anker in der Cumberland Bay / Isla Robinson Crusoe.
26. Januar 2020: Bei Tagesanbruch laufen wir müde und erschöpft in die »Cumberland Bay«, dem besten Ankerplatz der Insel »Más a Tierra« (»Mehr zum Land hin«), die zum Juan Fernandez Archipel, also noch zu Chile gehört. Juan Fernandez? Genau. Genau hier versenkte die deutsche Besatzung ihren Kreutzer SMS DRESDEN mit einer Ladung Sprengstoff, nachdem man am 14. März 1915 unter schwerem britischen Beschuss die Flagge der kaiserlichen Kriegsmarine gestrichen hatte. Auch unser alter Freund Lord Anson muss diesen Platz gut gekannt haben. Den ganzen Winter 1741 wartete er hier auf einige versprengte Schiffe seiners Geschwaders, unter anderem die unglückliche HMS WAGER. Aber auch die glücklichere HMS ANNA PINK liegt hier auf dem Grund der Bucht. Anson war seinerzeit offenbar mit den Überholungsarbeiten ihrer Besatzung unzufrieden. Jedenfalls beschloss er die Besatzung der ANNA und alles brauchbare an Bord seines Flaggschiffes HMS CENTURION zu schaffen. Ihr erinnert Euch (siehe VERA Newsletter 045, oder George Anson: »A voyage round the world in the years MDCCXL, I, II, III, IV«).
Heute wartet hier in der »Cumberland Bay« die niederländische STORMALONG (www.sy-stormalong.nl) und ihre junge Crew auf uns, mit frisch gebrühtem Café. Das lässt sich gut an. Gemeinsam beschließen wir, mit BOUNCE, dem Beiboot der VERA, in die »Stadt« zu fahren, nach »San Juan Bautista«, der Hauptstadt des Archipels mit seinen knapp 800 Einwohnern. Wir wollen bei der hiesigen Armada Station einklarieren (ein wenig Zen), etwas zu Mittag essen und evtl. eine kleine Wanderung auf »Más a Tierra« unternehmen. In Wirklichkeit bezeichnet man diese Inseln heutzutage nicht mehr nach ihrer Lage relativ zur Küste Südamerikas, sondern nur noch nach ihrem prominentesten ehemaligen Einwohner. »Más Afuera« (also »Weiter draussen«) heißt aus Marketing Gründen jetzt also »Isla Alejandro Selkirk« und »Más a Tierra« führt den wohl noch wohlklingenderen Namen »Isla Robinson Crusoe«. Tatsächlich ist es genau diese Insel, auf welcher der schottische Seemann Alexander Sekirk zwischen 1704 und 1709 vier Jahre und vier Monate ganz alleine zugebracht hat, nachdem er sich mit Thomas Stradling, dem jungen und unerfahrenen Kapitän des Englischen Freibeuters CINQUE PORTS über die in den Planken ihres Schiffes wütenden Bohrwürmer überworfen hatte. Die gut dokumentierten Abenteuer Sekirk‘s sollen den weltberühmten Schriftstelle Daniel Defoe dazu inspiriert haben, den allerersten (Abenteuer)roman in Englischer Sprache zu verfassen, der zum weltweiten Bestseller biblischen Ausmaßes geriet. Zumindest in Sachen Übersetzungen in verschiedene Sprachen wird Defoe’s Meisterwerk bis heute nurmehr von der »Heiligen Schrift« übertroffen.
Nach dem nicht unerfreulichen Lunch in einem urigen Lokal am Hang mit gutem Ausblick über die Bucht machen wir uns mit vollen Mägen auf den Weg zum »Mirador Alejandro Selkirk«, einem in 600 Meter Höhe gelegenen Aussichtspunkt, den der hagere Schotte jeden Tag erklettert haben soll, um in alle Himmelsrichtungen nach dem Rechten zu schauen. Dafür hatte er jedenfalls gute Gründe. Als englischem Freibeuter drohte ihm der Strang, falls er irgendwie in die Hände der Spanier geraten sollte. Immerhin boten sich die entlegenen Inseln für alle passierenden Schiffe an, Wasser und sogar Fleischvorräte zu bunkern, nachdem irgendeine erfinderische Crew einmal auf die seinerzeit genial erscheinende Idee gekommen war, eine kleine Herde Ziegen auf »Más a Tierra« auszusetzen. Da Selkirk eine alte Flinte und ein wenig Munition besaß, konnte er sich eine Zeit lang über Wasser halten, bis er es in Sachen Ziegenjagd per Pfeil und Bogen, Speer, Schlinge oder Falle zur Meisterschaft gebracht hatte. Der Pfad zieht sich, steinig und steil. Nach knapp zwei Stunden gelangen wir an ein interessantes Hinweisschild: Achtzig Meter von hier hatte sich Selkirk an einer strategisch wirklich einmalig guten Stelle ein richtiges Haus gebaut, nah bei einem munteren Bach, gut aus behauenem Stein gemauert und mit einem phantastischen Blick über die gesamte »Cumberland Bay«. Die noch heute gut erkennbare Ruine rührt an, gerade wenn man an Selkirk’s verzweifelte Lage denkt. Immerhin sind wir zu viert, dürfen (nach ein wenig mehr Zen) jederzeit wieder weg, und haben noch dazu zwei gut gebaute einheimische Hunde dabei, die sehr freundlich und anhänglich sind. Selkirk hätte sicherlich einiges für so einen pelzigen Kameraden gegeben. Anders als »Robinson Crusoe« fand er nämlich keinen Diener »Freitag« am Strand. Der Juan Fernandez Archipel war wohl nie von indigenen Menschenfressern bewohnt.
Oben am Grat sind wir alle ziemlich geschafft und ordentlich durchgeschwitzt. Es ist kalt, der Wind pfeift und leider sind Wolken aufgezogen, die uns den Blick nach Süden über das Meer verwehren. Selkirk muss stundenlang hier oben gestanden haben, voll Bangen und Hoffen. Ein Schiff? Aber was für eins? Am 1. Februar 1709 war es soweit: Die englische Fregatte DUKE unter dem Kommando des charismatischen und erfolgreichen Freibeuters Woodes Rogers näherte sich von Süden her und ankerte bald darauf in der »Cumberland Bay«. Es gelang Selkirk, die Besatzung mit einem stark rauchenden Feuer am Strand auf sich aufmerksam zu machen. Bald darauf diente er auf der DUKE als erster Maat. Später übergab ihm Rogers sogar das Kommando über eine der spanischen Schatzgaleonen, die man vor der Küste Mexicos gekapert hatte. Ende gut, alles gut für den langen Schotten, vor allem wenn man bedenkt, das Selkirk’s ehemaliges Schiff, die CINQUE PORTS, bald nach der Trennung von den Spaniern aufgebracht worden war und die gesamte Besatzung in spanischen Kerkern oder Bergwerken zu Grunde ging.
Am nächsten Morgen statten wir der »Armada« einen weiteren Besuch ab, um unsere Ausklarierungspapiere abzuholen (noch etwas Zen). Unser Versuch, in der öffentlichen Bibliothek einen Zugang zum Internet zu legen scheitert an der nicht vorhandenen Bandbreite. Newsletter 047 ff. müssen wir also ein anderes mal auf den Weg bringen. Ah, das Internet… Segen und Fluch. Zum wandern reizt das Wetter heute nicht. Regenböen, Kälte, Nebel, schlechte Sicht. Auf dem Rückweg zu BOUNCE, der abenteuerlich an der rostigen Pier der Hauptstadt auf uns wartet, laufen wir dem beflissenen SAG Beamten vom Ministerium für Landwirtschaft und Gesundheit in die Arme. B + ich besitzen zum Glück alle erforderlichen SAG Papiere aus Puerto Williams. Linette und Nils dagegen nicht. In einer weiteren ausgiebigen Runde Zen füllt Linette nun mit B’s Hilfe einen ungeheuren Stapel Papiere aus, der sämtliche Nahrungsmittel an Bord der STORMALONG dokumentieren soll... Nils und M versuchen derweil »Cerveza local« zu kaufen, was nicht gelingt. Ausverkauft. Es reicht. Man kann sich vorstellen, wie sehr Alexander Selkirk diese Insel gehasst haben muss. Zumindest bei diesem Schietwetter.
28. Januar 2020: Die Inseln des Juan Fernandez Archipel verschwinden achteraus im Dunst. Südost um die 15 Knoten, nach Beaufort also Stärke vier, Kaiserwetter auf einmal. Die fliegenden Holländer Nils und Linette auf ihrer STORMALONG sind mit uns ausgelaufen. Noch sind sie in Sicht: Ein feiner weißer Strich, schräg geneigt am Horizont. Doch bald werden wir die Freunde aus den Augen verlieren. Der UKW Funk trägt nur ein paar Meilen. Vor unseren Booten liegt die Einsamkeit und die Weiten des Pazifischen Ozeans. Wir sind auf dem Weg nach »Rapa Nui«, der weltberühmten Osterinsel mit ihren monolithischen steinernen »Moai« Statuen. Sie liegt etwa 1.600 Seemeilen weiter im Nordwesten, also knappe 3.000 Kilometer von hier. Wünscht uns Glück.
Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch B und M / SY VERA / auf See / POS 34.14,6 S - 078.02,6 W
1 - Juan Fernandez / »Más a Tierra« / Cumberland Bay: Ein erster Eindruck. Ein Film von B+M.
2 - Karte von Juan Fernandez, gezeichnet nach Skizzen von Lord Anson.

3 - Denkmal für Alexander Selkirk in »San Juan Bautista«.

4 - B mit der STORMALONG Crew an Alexander Selkirk’s Hütte.

5 - Phantastischer Blick von Selkirk’s Hütte hinunter auf die Cumberland Bay.

6 - Selkirk hätte sicherlich einiges für solch pelzige Kameraden gegeben.

7 - Blick von Selkirk’s »Lookout« auf die Südseite »seiner« Insel. Ein Film, von B+M.
8 - VERA und STORMALONG vor Anker in der Cumberland Bay / Isla Robinson Crusoe.

002 - WIEDER UNTER SEGELN
25/01/20 00:00
048-25012020 - Endlich wieder unter Segeln.
Hallo Ihr Lieben!
Es ist Ende Januar. Wir sind wieder los! Blaue Tage auf hoher See. Die letzte Wildnis dieser Erde. Wogende Kämme bis zum Horizont, aus Südwesten, lang und breit, ein weicher, warmer Wind über das Backstag, gut gelaunt geblähte Segel auf tiefblauem Grund. Runterkommen, entstressen, entspannen. Könnte klappen: In der Nacht wölbt sich ein ganz und gar unwirklicher, glasklarer und mondloser Sternenhimmel über der VERA. Millionen kleine Lichter und das Kreuz des Südens am achteren Ende der hingekleckerten Milchstraße. Ein Anblick für ein Poesiealbum. Zwei große Wale blasen aus, an Backbord voraus. Der Pazifik empfängt uns mit offenen Armen.
»Leinen los«, nach zwei anstrengenden Monaten in Valdivia: Die lieb gewonnene ITHACA Crew winkt traurig zum Abschied. Werden wir uns wiedersehen? Ein Krankheitsfall in der Familie zwingen Pierre und seine Familie zurück nach Südafrika, zumindest für das nächste halbe Jahr… Segler’s Schicksal. Zum Glück segelt die STORMALONG (NED) mit Linette und Nils (www.sy-stormalong.nl) nur eine Tagesreise voraus. Wir planen ein Wiedersehen auf Juan Fernandez. Die PAZZO (US) hat inzwischen bereits die Gambier Inseln erreicht. LUCIPARA 2 (NED, www.sailorsforsustainability.nl) ankert vor der Osterinsel und EASTERN STREAM (NED) auf Pitcairn, dem Unterschlupf der HMS BOUNTY (GB) Crew. Nun ist auch die VERA endlich seeklar. Den dringend benötigten neuen Bugbeschlag haben wir dank »Edelstahl Claudio’s« unermüdlichem Einsatz letztlich doch noch zusammenbekommen, nach vier Wochen harter Maloche, Fakiryoga im engen Ankerkasten, piksenden Glasfasern und ätzendem Polyestergeruch. Der letzte Auftrag von ALWOPLAST vor der endgültigen Geschäftsaufgabe. Eine Ehre für uns und die VERA, denn die renommierte Werft blickt auf eine über 30 jährige erfolgreiche Geschichte zurück. Doch nun schließt Alex Wopper die Tore. Nichts geht mehr, nicht unter den herrschenden wirtschaftsfeindlichen Bedingungen. Schade um den feinen Betrieb. In den blitzsauberen Hallen stehen neben den teuren Werkzeugmaschinen der große Travelift, die Formen für die Atlantic 49 Katamarane und ein fast fertiger Open 40 aus Carbon. Wird es irgendwann einen Neuanfang geben? Zunächst einmal herrscht nun gespenstische Ruhe auf dem Gelände. Nur die Werksklingel ruft nach wie vor zur Mittagspause. Abends angeln sich ehemalige Mitarbeiter ihr Abendessen am Steg, gleich neben unserer VERA. Vieles ist im Umbruch in Chile. Kommt es zu Wahlen und einer neuen Verfassung? Im April soll landesweit darüber abgestimmt werden. Zumindest bis dahin wird es noch beträchtlich rumoren im ganzen Land. Für’s erste scheint sich die Lage etwas beruhigt zu haben, zumindest in Valdivia und der näheren Umgebung. Viele Geschäfte haben wieder geöffnet und jeden Tag werden es mehr. Auch im halbzerstörten Casino Hotel empfängt man wieder Kundschaft und ersetzt die ersten eingeworfenen Scheiben. Überall sieht man wachsames Sicherheitspersonal. Derzeit der krisensichere Job, gleich nach dem Rolladen- und Stahlgitterbau. Unser Eindruck: Der Normalbürger will eigentlich nur in Ruhe seinem Job nachgehen, sein Ding machen, unter Rahmenbedingungen, die Luft zum Atmen lassen. Chile ist ein herrliches Land, noch jung und hier und da auch voller Hoffnung. Wir wünschen gutes Gelingen. Aber in Südamerika bleiben wollen wir auf Dauer dann doch nicht.
Wegen der anstehenden Arbeiten an Bord und der Neuverproviantierung waren wir viel in der Stadt Valdivia unterwegs. Unzählige Kilometer per Bus, UBER und auf Schusters Rappen. Werkstätten, Werkzeugläden, Baumärkte, Supermärkte, kleine und große Läden jeglicher Provenienz. Auf diese Weise sieht man das Land wie es ist. Sikaflex gibt es bei »Valdicolor«, Keilriemen bei der »Casa de Las Gomas Gomac«, neue Klingen für den Schlagschrauber bei »Ropulli«, Makita Akkus in der »Ferretería del Sur«, Gasschlauch beim Hydraulikbedarf, Wasabi und Sojasoße bei »Muli«, eine Gepäckwaage zum Gasflaschen füllen beim »El Chino«… Auf dem Wochenmarkt versammeln sich Gemüsehändler aus der gesamten Region und preisen lautstark ihre Waren an. Im »Jumbo«, dem »deutschen« Riesensupermarkt in dem man von Dirndln und Lederhosen bedient wird, erhält man alles Essenswerte, jeden Luxus, der dafür aber auch ein wenig teurer ist. B sucht aus, M schleppt, tagelang und immer mehr. Zur Belohnung gibt es Kaffee und Kuchen im »Das Haus«, einer altdeutschen Traditionskneipe im Herzen der Stadt. Weiter geht es: Ein begabter Mechaniker wickelt die elektromagnetische Kupplung unseres Autopiloten neu. Ein alter Schuster flickt mir (M) das Täschchen meines »Leatherman«, meisterhaft, für eine Handvoll Pesos. Patricio Kunstmann ( https://www.cerveza-kunstmann.cl/en/ ) zeigt uns die Autosammlung seines Vaters, darunter zwei neuwertige Vorkriegsmercedes, die der alte Herr ausgerechnet im »Meilenwerk« bei Herrn Stehling in Berlin Wedding erstanden hat. Nur die Reparatur des Aussenborders (Lagerschaden an der Kurbelwelle) muss warten: Keine YAMAHA Ersatzteile lieferbar, auf unbestimmte Zeit. Unser Spanisch wird derweil besser, zumindest ein wenig. Überall werden wir gastfreundlich aufgenommen. Viele Chilenen in dieser Gegend sprechen auch Deutsch. Immerhin waren Valdivia und das nahe gelegene Port Montt bis in die sechziger Jahre hinein mehrheitlich deutschsprachig. Dann raffte das stärkste jemals auf der Welt gemessene Erdbeben alles dahin, die feinen deutschen Villen, das Stahlwerk, die Brauerei. Von diesem Schlag hat sich die deutsche Minderheit nicht mehr erholt. Vielleicht hielt man es nach dem Beben auch einfach für sinnlos, weiter wie verrückt zu werkeln, zu schaffen und Häusle zu bauen. Die eher spanische, eher fatalistische »Mañana« Mentalität funktioniert doch eigentlich auch ganz gut. Was bleibt ist sind noch einige schöne alte Architekturen aus Holz, die deutsche Schule, der man einen sehr guten Ruf nachsagt und die Universität, mit ihrem heimeligen grünen Campus und den vielen hübschen Kneipen und Cafés.
Die Wochen an Bord auf der Baustelle ziehen sich. Chaos unter Deck, was gelegentlich entmutigend wirkt. Werkzeuge und Ersatzteile liegen herum, dazu der noch zu stauende Proviant. Arbeitslager, auch für die Waschmaschine, die tagelang durchläuft. Die Toilette streikt und muss ersetzt werden. Zum Glück ist Ersatz an Bord. Damals 2007 in Whangarei haben wir zum Glück gleich zwei Toiletten gekauft. Eine davon steckte jahrelang tatenlos unter unserer Koje. Nun darf sie endlich ans Werk. Tagelang polieren wir Edelstahl, lackieren Gasflaschen und montieren eine neue UKW Antenne im Masttop. Die alte war uns ja, wie ihr Euch sicher erinnert, im Golfo de Peña bei Schietwetter weggeflogen. Linette und Nils von der STORMALONG überreden uns zu guter letzt noch zu einem Lustkauf: Ein SUP. SUP? Richtig, ein sogenanntes »Standup Paddle Board«. Man kann es zum Spaß, zum Training, oder auch als behelfsmäßiges Beiboot verwenden. Damit wir nicht untergehen bekommen Pierre und Ping von der ITHACA dafür unser altes, aufblasbares Kayak, das wir viel zu selten verwendet haben.
Zur wochenlangen Maloche gehören aber auch die Belohnungen: Ausflüge in die Umgebung, Lunch in der Stadt, lange Abende unter Freunden, bei gutem Essen und gutem Wein. Nur allzu leicht haben wir uns an den regelmäßigen ITHACA Grill gewöhnt. Pierre ist der Meister des Feuers. Mit Eleganz und Präzision platziert er Kohlen und Holz dergestalt, das Berge von Grillbarem genau auf dem rosigen Punkt enden. Doch das ist noch nicht alles: Ping ist Chinesin und lädt uns zum traditionellen »Hotpot« ein, eine Art Fondue für Chinesen. Da man mit Essstäbchen im gemeinsamen brandscharfem Sud nach Tofu, Gemüse, Fisch und Fleisch fischt, lädt man hierfür nur engste Freunde und Familie ein. Für uns ein ganz besonderes Erlebnis: Authentisch essen auf Chinesisch. In Chile.
Doch nun wird es erneut Nacht, unheimlich und dunkel diesmal. Weiße gespenstische Schaumtatzen, knapp 30kn Wind aus SW. Die VERA läuft, ungestüm und mit Schaum vor dem Bug. Noch 50 Seemeilen bis Juan Fernandez. Wir müssen bremsen um nicht mitten in der Nacht in eine unbekannte Bucht zu laufen. Also reffen wir das Groß und bergen die Genua. Im Morgengrauen wollen wir dort sein. So viel faszinierendes liegt vor unserem Bug! Wie gut es tut, wieder im Sattel zu sitzen, mit den Zügeln in der Hand. Freiheit ist das Einzige, was zählt.
Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch Britta und Michael / SY VERA / auf See / POS 34.14,6 S - 078.02,6 W
1 - Was lange währt, wird endlich gut: »Edelstahl Claudio‘s« neuer Bugbeschlag auf der VERA, mit einem kräftigem »Padeye« für die große »Code 0« Genua gleich dahinter.

2 - Wochenlang herrschte ein zeitweise demoralisierendes Chaos unter Deck.

3 - Tausenderlei stand an: Frisch lackierte Gasflaschen warten auf eine neue Füllung.

4 - Immer wieder gut: Totalschaden an der Bordtoilette.

5 - Zum Glück ist Ersatz an Bord: Ob die nagelneue TMC wohl wieder über zehn Jahre durchhält?

6 - Der ITHACA Grill mit den Freunden.

7 - …und die Kormorane gleich hinter unserer »Terrasse« am Heck der VERA bei ALWOPLAST. Ein Film von B+M.
8 - Valdivia: Muntere Seelöwen am Bug des 90m langen im Jahre 1976 in Schottland in Dienst gestellte O‘BRIEN. Das alte U-Boot der OBERON Klasse dient heutzutage als Museumsschiff der Chilenischen Armada. Ein Film von B+M.
9 - Ausflug ins nahe gelegene Niebla und nach Los Molinos: Ein Schwarm Pelikane trifft sich hier Mittags zum Fischen. Ein Film von B+M.
10 - Los Molinos: B am Strand mit einem neuen Steinmandl.

11 - Ping‘s traditioneller »Hotpot«, eine Art chinesisches Fondue.

12 - Zur Belohnung gibt es Kaffee und Kuchen im »Das Haus«, einer altdeutschen Kneipe im Herzen der Stadt Valdivia.

13 - Bunkern für ein bis zwei Jahre in den Weiten des Pazifik: B mit einem kleinen Teil unser Einkäufe.

14 - Freiheit ist das Einzige, was zählt. Ein Film von B+M.
15 - Drei Tage unter Segeln: Von Valdivia nach Juan Fernandez / Isla Robinson Crusoe.

Hallo Ihr Lieben!
Es ist Ende Januar. Wir sind wieder los! Blaue Tage auf hoher See. Die letzte Wildnis dieser Erde. Wogende Kämme bis zum Horizont, aus Südwesten, lang und breit, ein weicher, warmer Wind über das Backstag, gut gelaunt geblähte Segel auf tiefblauem Grund. Runterkommen, entstressen, entspannen. Könnte klappen: In der Nacht wölbt sich ein ganz und gar unwirklicher, glasklarer und mondloser Sternenhimmel über der VERA. Millionen kleine Lichter und das Kreuz des Südens am achteren Ende der hingekleckerten Milchstraße. Ein Anblick für ein Poesiealbum. Zwei große Wale blasen aus, an Backbord voraus. Der Pazifik empfängt uns mit offenen Armen.
»Leinen los«, nach zwei anstrengenden Monaten in Valdivia: Die lieb gewonnene ITHACA Crew winkt traurig zum Abschied. Werden wir uns wiedersehen? Ein Krankheitsfall in der Familie zwingen Pierre und seine Familie zurück nach Südafrika, zumindest für das nächste halbe Jahr… Segler’s Schicksal. Zum Glück segelt die STORMALONG (NED) mit Linette und Nils (www.sy-stormalong.nl) nur eine Tagesreise voraus. Wir planen ein Wiedersehen auf Juan Fernandez. Die PAZZO (US) hat inzwischen bereits die Gambier Inseln erreicht. LUCIPARA 2 (NED, www.sailorsforsustainability.nl) ankert vor der Osterinsel und EASTERN STREAM (NED) auf Pitcairn, dem Unterschlupf der HMS BOUNTY (GB) Crew. Nun ist auch die VERA endlich seeklar. Den dringend benötigten neuen Bugbeschlag haben wir dank »Edelstahl Claudio’s« unermüdlichem Einsatz letztlich doch noch zusammenbekommen, nach vier Wochen harter Maloche, Fakiryoga im engen Ankerkasten, piksenden Glasfasern und ätzendem Polyestergeruch. Der letzte Auftrag von ALWOPLAST vor der endgültigen Geschäftsaufgabe. Eine Ehre für uns und die VERA, denn die renommierte Werft blickt auf eine über 30 jährige erfolgreiche Geschichte zurück. Doch nun schließt Alex Wopper die Tore. Nichts geht mehr, nicht unter den herrschenden wirtschaftsfeindlichen Bedingungen. Schade um den feinen Betrieb. In den blitzsauberen Hallen stehen neben den teuren Werkzeugmaschinen der große Travelift, die Formen für die Atlantic 49 Katamarane und ein fast fertiger Open 40 aus Carbon. Wird es irgendwann einen Neuanfang geben? Zunächst einmal herrscht nun gespenstische Ruhe auf dem Gelände. Nur die Werksklingel ruft nach wie vor zur Mittagspause. Abends angeln sich ehemalige Mitarbeiter ihr Abendessen am Steg, gleich neben unserer VERA. Vieles ist im Umbruch in Chile. Kommt es zu Wahlen und einer neuen Verfassung? Im April soll landesweit darüber abgestimmt werden. Zumindest bis dahin wird es noch beträchtlich rumoren im ganzen Land. Für’s erste scheint sich die Lage etwas beruhigt zu haben, zumindest in Valdivia und der näheren Umgebung. Viele Geschäfte haben wieder geöffnet und jeden Tag werden es mehr. Auch im halbzerstörten Casino Hotel empfängt man wieder Kundschaft und ersetzt die ersten eingeworfenen Scheiben. Überall sieht man wachsames Sicherheitspersonal. Derzeit der krisensichere Job, gleich nach dem Rolladen- und Stahlgitterbau. Unser Eindruck: Der Normalbürger will eigentlich nur in Ruhe seinem Job nachgehen, sein Ding machen, unter Rahmenbedingungen, die Luft zum Atmen lassen. Chile ist ein herrliches Land, noch jung und hier und da auch voller Hoffnung. Wir wünschen gutes Gelingen. Aber in Südamerika bleiben wollen wir auf Dauer dann doch nicht.
Wegen der anstehenden Arbeiten an Bord und der Neuverproviantierung waren wir viel in der Stadt Valdivia unterwegs. Unzählige Kilometer per Bus, UBER und auf Schusters Rappen. Werkstätten, Werkzeugläden, Baumärkte, Supermärkte, kleine und große Läden jeglicher Provenienz. Auf diese Weise sieht man das Land wie es ist. Sikaflex gibt es bei »Valdicolor«, Keilriemen bei der »Casa de Las Gomas Gomac«, neue Klingen für den Schlagschrauber bei »Ropulli«, Makita Akkus in der »Ferretería del Sur«, Gasschlauch beim Hydraulikbedarf, Wasabi und Sojasoße bei »Muli«, eine Gepäckwaage zum Gasflaschen füllen beim »El Chino«… Auf dem Wochenmarkt versammeln sich Gemüsehändler aus der gesamten Region und preisen lautstark ihre Waren an. Im »Jumbo«, dem »deutschen« Riesensupermarkt in dem man von Dirndln und Lederhosen bedient wird, erhält man alles Essenswerte, jeden Luxus, der dafür aber auch ein wenig teurer ist. B sucht aus, M schleppt, tagelang und immer mehr. Zur Belohnung gibt es Kaffee und Kuchen im »Das Haus«, einer altdeutschen Traditionskneipe im Herzen der Stadt. Weiter geht es: Ein begabter Mechaniker wickelt die elektromagnetische Kupplung unseres Autopiloten neu. Ein alter Schuster flickt mir (M) das Täschchen meines »Leatherman«, meisterhaft, für eine Handvoll Pesos. Patricio Kunstmann ( https://www.cerveza-kunstmann.cl/en/ ) zeigt uns die Autosammlung seines Vaters, darunter zwei neuwertige Vorkriegsmercedes, die der alte Herr ausgerechnet im »Meilenwerk« bei Herrn Stehling in Berlin Wedding erstanden hat. Nur die Reparatur des Aussenborders (Lagerschaden an der Kurbelwelle) muss warten: Keine YAMAHA Ersatzteile lieferbar, auf unbestimmte Zeit. Unser Spanisch wird derweil besser, zumindest ein wenig. Überall werden wir gastfreundlich aufgenommen. Viele Chilenen in dieser Gegend sprechen auch Deutsch. Immerhin waren Valdivia und das nahe gelegene Port Montt bis in die sechziger Jahre hinein mehrheitlich deutschsprachig. Dann raffte das stärkste jemals auf der Welt gemessene Erdbeben alles dahin, die feinen deutschen Villen, das Stahlwerk, die Brauerei. Von diesem Schlag hat sich die deutsche Minderheit nicht mehr erholt. Vielleicht hielt man es nach dem Beben auch einfach für sinnlos, weiter wie verrückt zu werkeln, zu schaffen und Häusle zu bauen. Die eher spanische, eher fatalistische »Mañana« Mentalität funktioniert doch eigentlich auch ganz gut. Was bleibt ist sind noch einige schöne alte Architekturen aus Holz, die deutsche Schule, der man einen sehr guten Ruf nachsagt und die Universität, mit ihrem heimeligen grünen Campus und den vielen hübschen Kneipen und Cafés.
Die Wochen an Bord auf der Baustelle ziehen sich. Chaos unter Deck, was gelegentlich entmutigend wirkt. Werkzeuge und Ersatzteile liegen herum, dazu der noch zu stauende Proviant. Arbeitslager, auch für die Waschmaschine, die tagelang durchläuft. Die Toilette streikt und muss ersetzt werden. Zum Glück ist Ersatz an Bord. Damals 2007 in Whangarei haben wir zum Glück gleich zwei Toiletten gekauft. Eine davon steckte jahrelang tatenlos unter unserer Koje. Nun darf sie endlich ans Werk. Tagelang polieren wir Edelstahl, lackieren Gasflaschen und montieren eine neue UKW Antenne im Masttop. Die alte war uns ja, wie ihr Euch sicher erinnert, im Golfo de Peña bei Schietwetter weggeflogen. Linette und Nils von der STORMALONG überreden uns zu guter letzt noch zu einem Lustkauf: Ein SUP. SUP? Richtig, ein sogenanntes »Standup Paddle Board«. Man kann es zum Spaß, zum Training, oder auch als behelfsmäßiges Beiboot verwenden. Damit wir nicht untergehen bekommen Pierre und Ping von der ITHACA dafür unser altes, aufblasbares Kayak, das wir viel zu selten verwendet haben.
Zur wochenlangen Maloche gehören aber auch die Belohnungen: Ausflüge in die Umgebung, Lunch in der Stadt, lange Abende unter Freunden, bei gutem Essen und gutem Wein. Nur allzu leicht haben wir uns an den regelmäßigen ITHACA Grill gewöhnt. Pierre ist der Meister des Feuers. Mit Eleganz und Präzision platziert er Kohlen und Holz dergestalt, das Berge von Grillbarem genau auf dem rosigen Punkt enden. Doch das ist noch nicht alles: Ping ist Chinesin und lädt uns zum traditionellen »Hotpot« ein, eine Art Fondue für Chinesen. Da man mit Essstäbchen im gemeinsamen brandscharfem Sud nach Tofu, Gemüse, Fisch und Fleisch fischt, lädt man hierfür nur engste Freunde und Familie ein. Für uns ein ganz besonderes Erlebnis: Authentisch essen auf Chinesisch. In Chile.
Doch nun wird es erneut Nacht, unheimlich und dunkel diesmal. Weiße gespenstische Schaumtatzen, knapp 30kn Wind aus SW. Die VERA läuft, ungestüm und mit Schaum vor dem Bug. Noch 50 Seemeilen bis Juan Fernandez. Wir müssen bremsen um nicht mitten in der Nacht in eine unbekannte Bucht zu laufen. Also reffen wir das Groß und bergen die Genua. Im Morgengrauen wollen wir dort sein. So viel faszinierendes liegt vor unserem Bug! Wie gut es tut, wieder im Sattel zu sitzen, mit den Zügeln in der Hand. Freiheit ist das Einzige, was zählt.
Herzliche Grüße und alles erdenklich Gute wünschen Euch Britta und Michael / SY VERA / auf See / POS 34.14,6 S - 078.02,6 W
1 - Was lange währt, wird endlich gut: »Edelstahl Claudio‘s« neuer Bugbeschlag auf der VERA, mit einem kräftigem »Padeye« für die große »Code 0« Genua gleich dahinter.

2 - Wochenlang herrschte ein zeitweise demoralisierendes Chaos unter Deck.

3 - Tausenderlei stand an: Frisch lackierte Gasflaschen warten auf eine neue Füllung.

4 - Immer wieder gut: Totalschaden an der Bordtoilette.

5 - Zum Glück ist Ersatz an Bord: Ob die nagelneue TMC wohl wieder über zehn Jahre durchhält?

6 - Der ITHACA Grill mit den Freunden.

7 - …und die Kormorane gleich hinter unserer »Terrasse« am Heck der VERA bei ALWOPLAST. Ein Film von B+M.
8 - Valdivia: Muntere Seelöwen am Bug des 90m langen im Jahre 1976 in Schottland in Dienst gestellte O‘BRIEN. Das alte U-Boot der OBERON Klasse dient heutzutage als Museumsschiff der Chilenischen Armada. Ein Film von B+M.
9 - Ausflug ins nahe gelegene Niebla und nach Los Molinos: Ein Schwarm Pelikane trifft sich hier Mittags zum Fischen. Ein Film von B+M.
10 - Los Molinos: B am Strand mit einem neuen Steinmandl.

11 - Ping‘s traditioneller »Hotpot«, eine Art chinesisches Fondue.

12 - Zur Belohnung gibt es Kaffee und Kuchen im »Das Haus«, einer altdeutschen Kneipe im Herzen der Stadt Valdivia.

13 - Bunkern für ein bis zwei Jahre in den Weiten des Pazifik: B mit einem kleinen Teil unser Einkäufe.

14 - Freiheit ist das Einzige, was zählt. Ein Film von B+M.
15 - Drei Tage unter Segeln: Von Valdivia nach Juan Fernandez / Isla Robinson Crusoe.

001 - FRÜHLING IN VALDIVIA
24/12/19 00:00
Hallo Ihr Lieben!
Endlich zurück in Valdivia, Chile im Frühling… Ein halbes Jahr »Heimaturlaub« liegt hinter uns, Europa im Sommer. Ereignisreich, stressbeladen, Geisterbahn, falscher Film. Heimat? Wo ist das? Es tut gut, zurück an Bord zu sein! Die VERA liegt bei Alwoplast friedlich am Steg, so wie wir sie hinterlassen haben. Und: Freunde sind da! ITHACA, LUCIPARA 2, EASTERN STREAM und STORMALONG nebst ihren Besatzungen liegen auch hier, was gut für das Bauchgefühl ist.
Chile hat sich verändert, seit wir im Juni in Richtung D abgeflogen sind. Gewalttätige Proteste im ganzen Land beherrschen die Schlagzeilen. Santiago, zwei Nächte Zwischenstopp auf dem Weg nach Valdivia, das 1000km südlich der Hauptstadt liegt: In unserem romantisch und ruhig gelegenem Hotel fühlen wir uns halbwegs sicher und dinieren gut. Die netten Chilenisch Australischen Besitzer haben die alte Villa ( https://www.matildashotel.com/en/photos/ ) mit viel Liebe, Gefühl und gutem Geschmack wieder hergerichtet. Nun haben sie Angst um ihre Existenz. Die Touristen bleiben aus. Schon vom Taxi aus sahen wir überall wütende Graffiti, ausgebrannte Läden und einen lauten, studentischen Protestzug. Des Nachts Sirenengeheul, Trillerpfeifen, Trommelschläge. Es sind die sozialen Unterschiede. Während es bei den Reichen und der relativ breiten Mittelschicht für lange Zeit recht gut und immer besser lief, kommen die Armen mit ihren mageren Löhnen nicht mehr über die Runden. Also greift man zur Gewalt. Macht kaputt, was euch kaputt macht! Damit versetzen sie der Wirtschaft des Landes den womöglich tödlichen Schlag. Umsätze und Gewinne brechen ein, es kommt zu Massenentlassungen. Über Nacht reisen wir mit dem Fernbus nach Valdivia. Nicht ganz ohne. Wir haben ungeheuer viel Gepäck dabei, dringend benötigte Ausrüstung für die vor dem Bug der VERA liegenden Jahre im Pazifik. Auf der Fernstraße nach Süden soll es zu Raubüberfällen gekommen sein, vor allem in der Gegend um Temuco, also direkt auf unserem Weg…
Doch alles geht glatt und bequem. »Daheim« in Valdivia: Auf der Alwoplast Werft sieht es finster aus. Nach Ablieferung eines 50 Fuss Hightech Katamarans in die USA gibt es keine Anschlussaufträge, auch nicht von den großen Lachsfarmen, die ebenfalls völlig in der Luft hängen. Man weiss nicht, wie es weitergehen soll. Die über 40 Angestellten wurden in den unbezahlten Urlaub geschickt, auf unbestimmte Zeit. Unser Plan, die VERA hier vor Ort zu kranen um das Antifouling, die Anoden und das Wellenlager zu erneuern ist wohl dahin. Auf Tahiti verschieben, wo es leistungsfähige Werftbetriebe gibt? Im Netz ( https://www.noonsite.com ) hört man fürchterliches: Ankerverbote in ganz Französisch Polynesien, Übergriffe Einheimischer auf ausländische Segler auf traumhaft schönen, tropischen Ankerplätzen. Visa Erleichterungen haben zu einem Boom geführt, der der »Cruising Community« auf die Füße zu fallen beginnt. Gambier, die Tuamotus und die Marquesas sollen noch nicht sehr betroffen sein… Nun denn. B+M machen schon mal das Tauchzeug klar. Scharren, kratzen, den gut bemoosten Wasserpass reinigen, Anoden unter Wasser wechseln? Brrrr! Auf dem AIS Tracker sehen wir die PELAGIC AUSTRALIS und unseren Freund Barry mit der SPAILPIN auf ihrem Weg in die Antarktis. Nichts mehr für uns: Zurück in die kalten, nassen Fjorde Patagoniens, oder gar in den tiefen Süden zieht es uns derzeit nicht.
Am Lagerfeuer bei Alwoplast, mit Freunden bei gut Gegrilltem, kühlem deutschen Bier aus der nahegelegenen Brauerei ( https://www.cerveza-kunstmann.cl/en/ ) und herrlichem chilenischen Wein, drehen sich die Gespräche um die Weiterreise. Und ums »bunkern«. Wo gibt es was zu welchem Preis? Wir alle benötigen Nahrungsmittel, Diesel und Propangas für mindestens ein Jahr, vielleicht auch zwei. Morgens kann man mit dem Bus nach Valdivia fahren. Ab Mittag sollte man zurück an Bord sein, wegen der anhaltenden gewalttätigen Demonstrationen, fliegenden Steinen, Tränengas und brennendem Asphalt. Die sympathischen Eigner einer hier liegenden chilenischen Jeanneau 50 haben Angst. Was, wenn ein Trupp gewaltbereiter Demonstranten über die Marina herfällt und unsere Boote niederbrennt? Vorsorglich bunkern auch sie Nahrungsmittel für lange Zeit, solange die Supermärkte es noch hergeben. Vielleicht bleibt wohlhabenden Chilenen bald nur noch die Flucht? Gerüchten zufolge handelt es sich um eine von Venezuela aus koordinierte Attacke auf das Bürgertum… Keine Ahnung, ob das stimmt. Wir alle träumen jedenfalls von der Freiheit, die wohl bald nur noch die hohe See zu bieten vermag.
Auf der VERA ist viel zu tun. Herr VOLVO läuft beim ersten Schlüsseldrehen. Schon mal gut. Die vermaledeite EBERSPÄCHER HYDRONIC 10 empfängt uns dagegen mit »Fehler 61«. Der Temperaturfühler ist wieder hin. Durchkorrodiert, nach nur einem Jahr. Ein harter Tag Arbeit und ein diesmal zum Glück vorhandenes Ersatzteil regelt das. Seitdem gibt es wieder warmes Wasser an Bord. Gut zum duschen. Auch sonst steht einiges an: Nach Montage unserer neuen, aus D mitgeschleppten flexiblen Solarpaneele (6 x 50W) verfügen wir über Strom im Überfluss. Pierre von der ITHACA freut sich über unsere kleinen Windgeneratoren, die wir dafür aufgeben. Das Bimini der VERA ist nur begrenzt für zusätzliche Lasten geeignet. Herr M zerstört derweil den neuen VICTRON Laderegler. Verpolt. Wie blöd kann man sein? Zum Glück gibt es in Santiago einen Händler, der zeitnah für Ersatz sorgt. Drei Busfahrten zum Postamt in Valdivia genügen. Nicht schlecht, jedenfalls besser als drei Monate Wartezeit, wie damals in Puerto Williams. Jedesmal ziehen wir ausgiebig durch die (noch?) recht gut sortierten Supermärkte. B führt, M eselt hinterher. Wir benötigen alles: Haferflocken, Reis und Nudeln, Olivenöl, Thunfisch, Konserven aller Art, Käse, Speck, Tee, Kaffee, H-Milch, Wein und vieles mehr, von allem tonnenweise, auch den kleinen Luxus für zwischendurch. Ein bis zwei Jahre bei Fisch und Kokosnuss könnten kulinarisch recht eintönig werden, ohne ein wenig was drauf. Eier, Zwiebeln, Kartoffeln, Knoblauch und frisches Gemüse werden wir ganz zuletzt einkaufen, logischerweise. Zukunftsmusik.
Anlässlich der fälligen, sorgfältigen Inspektion des gesamten Riggs wird uns klar, dass wir die Überarbeitung des Bugbeschlages nicht mehr auf die lange Bank schieben können. Ein kaum sichtbarer Haarriss liegt genau im etwas ungünstig konstruierten spitzen Eck. M sieht ihn. Neu entwickelte EDOF IOL‘s aus Kunststoff machen ihn seit kurzem zum »Cyborg«, einem Mischwesen mit beinahe unwirklich scharfer Optik...
Was nun? Zum Glück will Alwoplast helfen, trotz äusserst prekärer Lage nebst drohender Insolvenz. Die Werftarbeiter hier sind ausgewiesene Könner in Sachen Kunststoff und Edelstahl mit jahrzehntelanger Erfahrung. Eine harte Woche verbringen B und ich zusammengefaltet und fluchend im Ankerkasten. Dann ist der verd… Bugbeschlag endlich herunter. Der Haarriss zieht sich durch die gesamte Schweißnaht, was uns also wohl demnächst den Mast gekostet hätte. Glück gehabt. Gemeinsam mit dem Alwoplast Team machen wir uns an die Arbeit. Das Ganze sollte nach der Reparatur doch stabiler sein als vorher und vielleicht sogar noch besser aussehen? Auf unserer Lieblingswebseite ( https://www.classicswan.org ) finden wir wertvolle Hinweise zum Thema. Lars Ström, der legendäre technische Direktor von Nautor, jener finnischen Edelwerft, die unsere VERA im Jahre 1976 zu Wasser gebracht hat, schlägt kleine dreieckige Verstärkungen vorne in den statisch doch etwas ungünstig konstruierten Ecken vor. Alex Wopper von Alwoplast und Claudio, sein Edelstahlexperte, möchten das Ganze noch etwas abrunden und mit »unidirektionalen Gelegen« unterfüttern, um die beträchtlichen Zugkräfte der Genua gleichmäßiger einzuleiten… B und ich wünschen uns zusätzlich einen stabilen Ansatzpunkt für den »Code 0 Furler«… Mal sehen, ob das alles klappt. In der Ruhe liegt die Kraft.
Herzliche Grüße, alles erdenklich Gute, frohe Weihnachten und einen guten Rutsch wünschen Euch B und M / SY VERA / Valdivia / Chile / POS 39.51,0 S - 073.19,1 W
1 - Frühsommer in Chile: B in den Gassen der romantischen Altstadt von Santiago.

2 - In Gesellschaft von LUCIPARA 2, EASTERN STREAM und ITHACA wartet die VERA friedlich auf uns. Alles bestens. Ein Film von B+M.
3 - Frische Erdbeeren, Kirschen, Blaubeeren und noch vieles mehr: Sommerlicher Markt in Valdivia.

4 - Neue Solarpaneele auf dem »Bimini« Sonnendach der VERA. Die zusätzlichen 300 Watt werden uns hoffentlich noch viel Freude machen.

5 - Am Lagerfeuer bei Alwoplast. Ein Film von B+M.
6 - Ein heimtückischer kleiner Haarriss im Bugbeschlag der VERA, rechts, ganz vorne im Eck… Das hätte böse enden können.

7 - Die anstehenden Arbeiten am Bugbeschlag wollen gut durchdacht sein. Stabiler und vielleicht auch schöner soll es werden…

8 - Ein neuer Bugbeschlag zu Weihnachten?

9 - Spaziergänge bringen Abwechslung in unseren Arbeitsalltag: Urwald an der Küste des Pazifik.

10 - Irgendwo dort draussen liegt die Osterinsel. Und dahinter die Südsee.

Endlich zurück in Valdivia, Chile im Frühling… Ein halbes Jahr »Heimaturlaub« liegt hinter uns, Europa im Sommer. Ereignisreich, stressbeladen, Geisterbahn, falscher Film. Heimat? Wo ist das? Es tut gut, zurück an Bord zu sein! Die VERA liegt bei Alwoplast friedlich am Steg, so wie wir sie hinterlassen haben. Und: Freunde sind da! ITHACA, LUCIPARA 2, EASTERN STREAM und STORMALONG nebst ihren Besatzungen liegen auch hier, was gut für das Bauchgefühl ist.
Chile hat sich verändert, seit wir im Juni in Richtung D abgeflogen sind. Gewalttätige Proteste im ganzen Land beherrschen die Schlagzeilen. Santiago, zwei Nächte Zwischenstopp auf dem Weg nach Valdivia, das 1000km südlich der Hauptstadt liegt: In unserem romantisch und ruhig gelegenem Hotel fühlen wir uns halbwegs sicher und dinieren gut. Die netten Chilenisch Australischen Besitzer haben die alte Villa ( https://www.matildashotel.com/en/photos/ ) mit viel Liebe, Gefühl und gutem Geschmack wieder hergerichtet. Nun haben sie Angst um ihre Existenz. Die Touristen bleiben aus. Schon vom Taxi aus sahen wir überall wütende Graffiti, ausgebrannte Läden und einen lauten, studentischen Protestzug. Des Nachts Sirenengeheul, Trillerpfeifen, Trommelschläge. Es sind die sozialen Unterschiede. Während es bei den Reichen und der relativ breiten Mittelschicht für lange Zeit recht gut und immer besser lief, kommen die Armen mit ihren mageren Löhnen nicht mehr über die Runden. Also greift man zur Gewalt. Macht kaputt, was euch kaputt macht! Damit versetzen sie der Wirtschaft des Landes den womöglich tödlichen Schlag. Umsätze und Gewinne brechen ein, es kommt zu Massenentlassungen. Über Nacht reisen wir mit dem Fernbus nach Valdivia. Nicht ganz ohne. Wir haben ungeheuer viel Gepäck dabei, dringend benötigte Ausrüstung für die vor dem Bug der VERA liegenden Jahre im Pazifik. Auf der Fernstraße nach Süden soll es zu Raubüberfällen gekommen sein, vor allem in der Gegend um Temuco, also direkt auf unserem Weg…
Doch alles geht glatt und bequem. »Daheim« in Valdivia: Auf der Alwoplast Werft sieht es finster aus. Nach Ablieferung eines 50 Fuss Hightech Katamarans in die USA gibt es keine Anschlussaufträge, auch nicht von den großen Lachsfarmen, die ebenfalls völlig in der Luft hängen. Man weiss nicht, wie es weitergehen soll. Die über 40 Angestellten wurden in den unbezahlten Urlaub geschickt, auf unbestimmte Zeit. Unser Plan, die VERA hier vor Ort zu kranen um das Antifouling, die Anoden und das Wellenlager zu erneuern ist wohl dahin. Auf Tahiti verschieben, wo es leistungsfähige Werftbetriebe gibt? Im Netz ( https://www.noonsite.com ) hört man fürchterliches: Ankerverbote in ganz Französisch Polynesien, Übergriffe Einheimischer auf ausländische Segler auf traumhaft schönen, tropischen Ankerplätzen. Visa Erleichterungen haben zu einem Boom geführt, der der »Cruising Community« auf die Füße zu fallen beginnt. Gambier, die Tuamotus und die Marquesas sollen noch nicht sehr betroffen sein… Nun denn. B+M machen schon mal das Tauchzeug klar. Scharren, kratzen, den gut bemoosten Wasserpass reinigen, Anoden unter Wasser wechseln? Brrrr! Auf dem AIS Tracker sehen wir die PELAGIC AUSTRALIS und unseren Freund Barry mit der SPAILPIN auf ihrem Weg in die Antarktis. Nichts mehr für uns: Zurück in die kalten, nassen Fjorde Patagoniens, oder gar in den tiefen Süden zieht es uns derzeit nicht.
Am Lagerfeuer bei Alwoplast, mit Freunden bei gut Gegrilltem, kühlem deutschen Bier aus der nahegelegenen Brauerei ( https://www.cerveza-kunstmann.cl/en/ ) und herrlichem chilenischen Wein, drehen sich die Gespräche um die Weiterreise. Und ums »bunkern«. Wo gibt es was zu welchem Preis? Wir alle benötigen Nahrungsmittel, Diesel und Propangas für mindestens ein Jahr, vielleicht auch zwei. Morgens kann man mit dem Bus nach Valdivia fahren. Ab Mittag sollte man zurück an Bord sein, wegen der anhaltenden gewalttätigen Demonstrationen, fliegenden Steinen, Tränengas und brennendem Asphalt. Die sympathischen Eigner einer hier liegenden chilenischen Jeanneau 50 haben Angst. Was, wenn ein Trupp gewaltbereiter Demonstranten über die Marina herfällt und unsere Boote niederbrennt? Vorsorglich bunkern auch sie Nahrungsmittel für lange Zeit, solange die Supermärkte es noch hergeben. Vielleicht bleibt wohlhabenden Chilenen bald nur noch die Flucht? Gerüchten zufolge handelt es sich um eine von Venezuela aus koordinierte Attacke auf das Bürgertum… Keine Ahnung, ob das stimmt. Wir alle träumen jedenfalls von der Freiheit, die wohl bald nur noch die hohe See zu bieten vermag.
Auf der VERA ist viel zu tun. Herr VOLVO läuft beim ersten Schlüsseldrehen. Schon mal gut. Die vermaledeite EBERSPÄCHER HYDRONIC 10 empfängt uns dagegen mit »Fehler 61«. Der Temperaturfühler ist wieder hin. Durchkorrodiert, nach nur einem Jahr. Ein harter Tag Arbeit und ein diesmal zum Glück vorhandenes Ersatzteil regelt das. Seitdem gibt es wieder warmes Wasser an Bord. Gut zum duschen. Auch sonst steht einiges an: Nach Montage unserer neuen, aus D mitgeschleppten flexiblen Solarpaneele (6 x 50W) verfügen wir über Strom im Überfluss. Pierre von der ITHACA freut sich über unsere kleinen Windgeneratoren, die wir dafür aufgeben. Das Bimini der VERA ist nur begrenzt für zusätzliche Lasten geeignet. Herr M zerstört derweil den neuen VICTRON Laderegler. Verpolt. Wie blöd kann man sein? Zum Glück gibt es in Santiago einen Händler, der zeitnah für Ersatz sorgt. Drei Busfahrten zum Postamt in Valdivia genügen. Nicht schlecht, jedenfalls besser als drei Monate Wartezeit, wie damals in Puerto Williams. Jedesmal ziehen wir ausgiebig durch die (noch?) recht gut sortierten Supermärkte. B führt, M eselt hinterher. Wir benötigen alles: Haferflocken, Reis und Nudeln, Olivenöl, Thunfisch, Konserven aller Art, Käse, Speck, Tee, Kaffee, H-Milch, Wein und vieles mehr, von allem tonnenweise, auch den kleinen Luxus für zwischendurch. Ein bis zwei Jahre bei Fisch und Kokosnuss könnten kulinarisch recht eintönig werden, ohne ein wenig was drauf. Eier, Zwiebeln, Kartoffeln, Knoblauch und frisches Gemüse werden wir ganz zuletzt einkaufen, logischerweise. Zukunftsmusik.
Anlässlich der fälligen, sorgfältigen Inspektion des gesamten Riggs wird uns klar, dass wir die Überarbeitung des Bugbeschlages nicht mehr auf die lange Bank schieben können. Ein kaum sichtbarer Haarriss liegt genau im etwas ungünstig konstruierten spitzen Eck. M sieht ihn. Neu entwickelte EDOF IOL‘s aus Kunststoff machen ihn seit kurzem zum »Cyborg«, einem Mischwesen mit beinahe unwirklich scharfer Optik...
Was nun? Zum Glück will Alwoplast helfen, trotz äusserst prekärer Lage nebst drohender Insolvenz. Die Werftarbeiter hier sind ausgewiesene Könner in Sachen Kunststoff und Edelstahl mit jahrzehntelanger Erfahrung. Eine harte Woche verbringen B und ich zusammengefaltet und fluchend im Ankerkasten. Dann ist der verd… Bugbeschlag endlich herunter. Der Haarriss zieht sich durch die gesamte Schweißnaht, was uns also wohl demnächst den Mast gekostet hätte. Glück gehabt. Gemeinsam mit dem Alwoplast Team machen wir uns an die Arbeit. Das Ganze sollte nach der Reparatur doch stabiler sein als vorher und vielleicht sogar noch besser aussehen? Auf unserer Lieblingswebseite ( https://www.classicswan.org ) finden wir wertvolle Hinweise zum Thema. Lars Ström, der legendäre technische Direktor von Nautor, jener finnischen Edelwerft, die unsere VERA im Jahre 1976 zu Wasser gebracht hat, schlägt kleine dreieckige Verstärkungen vorne in den statisch doch etwas ungünstig konstruierten Ecken vor. Alex Wopper von Alwoplast und Claudio, sein Edelstahlexperte, möchten das Ganze noch etwas abrunden und mit »unidirektionalen Gelegen« unterfüttern, um die beträchtlichen Zugkräfte der Genua gleichmäßiger einzuleiten… B und ich wünschen uns zusätzlich einen stabilen Ansatzpunkt für den »Code 0 Furler«… Mal sehen, ob das alles klappt. In der Ruhe liegt die Kraft.
Herzliche Grüße, alles erdenklich Gute, frohe Weihnachten und einen guten Rutsch wünschen Euch B und M / SY VERA / Valdivia / Chile / POS 39.51,0 S - 073.19,1 W
1 - Frühsommer in Chile: B in den Gassen der romantischen Altstadt von Santiago.

2 - In Gesellschaft von LUCIPARA 2, EASTERN STREAM und ITHACA wartet die VERA friedlich auf uns. Alles bestens. Ein Film von B+M.
3 - Frische Erdbeeren, Kirschen, Blaubeeren und noch vieles mehr: Sommerlicher Markt in Valdivia.

4 - Neue Solarpaneele auf dem »Bimini« Sonnendach der VERA. Die zusätzlichen 300 Watt werden uns hoffentlich noch viel Freude machen.

5 - Am Lagerfeuer bei Alwoplast. Ein Film von B+M.
6 - Ein heimtückischer kleiner Haarriss im Bugbeschlag der VERA, rechts, ganz vorne im Eck… Das hätte böse enden können.

7 - Die anstehenden Arbeiten am Bugbeschlag wollen gut durchdacht sein. Stabiler und vielleicht auch schöner soll es werden…

8 - Ein neuer Bugbeschlag zu Weihnachten?

9 - Spaziergänge bringen Abwechslung in unseren Arbeitsalltag: Urwald an der Küste des Pazifik.

10 - Irgendwo dort draussen liegt die Osterinsel. Und dahinter die Südsee.
