SY VERA

Into the screaming 50th: A voyage to Tierra del Fuego and Cape Horn

017 - LA GOMERA

Hallo Ihr Lieben!

B und ich (M) ankern mit der VERA entlang der Südküste La Gomeras in Ruhe vor uns hin. »Playa de la Roja«, »Playa Chinguarime«, »Cala Cantera«, alles wunder wunderschöne, gut vor dem vorherrschenden NE Passat geschützte Plätze mit exzellent haltendem Ankergrund. Fein gerippelter schwarzer Sand, soweit das Auge unter Wasser reicht. Das freut unseren Bügelanker und sorgt für den gesunden Nachtschlaf, denn gelegentlich pfeifen jaulende und heulende Fallböen aus den Tälern. Hier gibt es sie noch, die Einsamkeit pur. Keine Hotelbauten an Land, keine Jetskis, keine RIB’s, kaum Touristen, höchstens ein paar Wanderer, oder eine Handvoll Badegäste hier und dort. Gelegentlich sehen wir einige Neohippies in einer der zahllosen Höhlen in den Steilwänden, die sie sich als Wohnsitz hübsch zurecht gemacht haben, um allein, mit Freunden, oder der Familie ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen. An der »Playa Chinguarime« lasse ich (M), eher aus Langeweile während eines heftigen Regengusses, die Präzisionsoptik meines ehrwürdigen »Hensoldt 7x50« über die umliegenden Steilwände gleiten. Und dann sehe ich ihn, in einem der Höhleneingänge: Ein lückenlos braungebrannter, durchtrainierter Kerl (≥2m), mit einem respekteinflößenden Schopf blonder Rastafilzlocken. Er steht dort, jogimäßig, auf dem Kopf, und macht dabei gleichzeitig Spagat, absolut regungslos, wie eine Staue. Er ist splitterfasernackt…

Im Endeffekt zieht es uns auch immer wieder vor das
Meditationszentrum in »Valle Gran Rey«. Gesund einkaufen kann man da gleich am Hafen in Vueltas, einem der drei Ortschaften im Tal. Ein neu erworbener Chip von Movistar bringt uns nun sogar 4G Internet an Bord. Einen Grund von hier wegzusegeln sehen wir eigentlich nicht. Zwanzig Stunden, oder mehr nach Las Palmas zurück prügeln, gegen den derzeit beständig wehenden Passat? Zwei Reffs im Groß, dazu die kleine Stagfock, das Vorschiff alle 20 Sekunden bis zum Mast unter Wasser? Schwer seekrank auf dem Salonboden liegend die Seele aus dem Körper k…? Nee, besser nicht. Lieber noch ein paar Tage verstreichen lassen, oder ein paar Wochen, vor Anker. Einfach so der freundlichen, kleinen Brandung lauschen, die sanft auf den schwarzen Kieselstrand schwappt, oder dem leisen Harfen des Windes im Rigg der VERA…

Sonst noch etwas? Ach ja: Unlängst haben wir eine ganze Woche in der Marina in San Sebastian, der Hauptstadt von La Gomera, verbracht. Verglichen mit St. Cruz, der alten Stadt auf La Palma ein eher belangloses Nest mit wenig erwähnenswerter Gastronomie. Cristobal Colón stach, der Überlieferung nach, bei seiner ersten Atlantiküberquerung nach Hispaniola von San Sebastian aus in See. Dementsprechend gibt es auch hier wieder eine »Casa Colón«, ein hübsch hergerichtetes Kolumbus Museum und eine stattliche Kirche, in der Colón sein letztes Gebet verrichtet haben soll, wie schon auf Gran Canaria, La Palma und Madeira. Was muss, das muss.

Die Marina in San Sebastian ist gut geschützt, sauber und aufgeräumt. Dennoch fühlten wir uns unwohl, eingeklemmt zwischen ständig ein- und auslaufenden Chartereimern mit deutschen Männercrews oder osteuropäischen Großfamilien, die Kommandos über drei Stationen vom Skipper auf das Vordeck brüllen, und bei steifer Briese keine Fender draußen haben. Merkwürdig: In letzter Zeit fällt es uns deutlich schwerer, tragfähige Kontakte zu knüpfen. Die Blauwasserfraktion der Saison 2016 segelt schon seit Monaten glücklich in der warmen Karibik. Lateinamerikaaspiranten haben wir bisher noch keine getroffen. Nur Charterboote, mehr Charterboote und verschrobene deutsche Dauerlieger, die lieber unter sich bleiben und niemals auslaufen.

Die alte Plaza, mit den urigen Cafés, die wir von unserem ersten Besuch in 2002 als so traumhaft in Erinnerung hatten gibt es nicht mehr. Wegen der »Cruiseshipdays« hat man alles mit Trivialbauten zubetoniert und mit Trivialpflaster zugepflastert. Sportgeschäfte, Boutiquen, und unauthentische Cafés, die ein, oder zweimal die Woche für wenige Stunden von 3000 Touristen gleichzeitig heimgesucht werden. Immerhin lässt es sich noch herrlich wandern, auch gleich aus dem Ort heraus. Dennoch ergänzen wir unsere Eindrücke erneut mit Hilfe eines Mietautos (SEAT Ibiza, sehr rot, sehr fein), mit dem wir in drei Tagen über 450km auf La Gomeras absolut perfekt geteerte Straßen rollen. EU-Geld. Damit hat man auch die zahlreichen »Miradore« finanziert. Aufwendige Aussichtsplattformen in exponierter Lage und extravaganter Architektur, die niemand braucht. Das ganze Dilemma jeder Form von staatlich betriebener Gastronomie wird besonders am Beispiel eines von César Manrique entworfenen Restaurants in den Bergen deutlich. Die Lage könnte spektakulärer nicht sein. Der Blick aus dem panoramaverglasten Gastraum hinab in das Valle Gran Rey muss wie aus dem Luftschiff sein. Leider bleibt das Restaurant geschlossen. Warum sich der Betrieb nicht lohnen soll, erschließt sich dem Uneingeweihten nicht. Egal. Für uns bringen Straßen und Mietwagen sehr interessante Kontraste: Vormittags wandern wir in strömendem Regen und Nebel bei 10 Grad durch den knorzigen und verfilzten Regenwald im Nationalpark im Herzen der Insel. Mittags dann sitzen wir im verschlafenen Playa Santiago beim delikaten Thunfischsashimi bei 25 Grad in der Sonne, und blicken hinaus auf das schon beinahe unglaubwürdig blaue Meer.

Im »Cacatua«, unserem derzeitigen Lieblingscafé in Valle Gran Rey, lesen wir im schnoddrigen »Valle Boten« noch ein paar Dinge: Seit der Immobilienkrise 2008 hat die lokale Bauindustrie, nach einer Dekade des wilden Appartementbaubooms, nur noch wenig zu tun. Also beantragte man u.a. EU-Gelder zur Eindeichung der »Barancas«. »Barancas«? Auf Gomera regnet es wenig, aber wenn, dann kräftig. Seit Äonen fließt das Wasser dann in reißenden Bächen die Hänge des Vulkanes hinab, tiefe Täler grabend, munter mäandernd und bei jedem Regen ein wenig anders. Darauf waren die Einwohner früher eingerichtet. Die Feuchtigkeit machte die »Barancas« zu überaus fruchtbaren Tälern mit üppiger, sattgrüner Vegetation. Doch nun hilft die EU den lokalen Baubaronen beim reich werden. Mit viel Beton baute man in Valle Gran Rey im ersten Bauabschnitt einen monströsen Abwasserkanal durch die herrliche »Baranca«. Beim ersten großen Regen entstand deshalb ein reißender Strom, der den berühmten schwarzen Strand zwischen Vueltas und La Calera ins Meer schwemmte. Im zweiten Bauabschnitt baute man nun monströse Staustufen ein. Das hat nicht geholfen, denn beim nächsten große Regen gefiel es dem Wasser, eine ganz neue »Baranca« zu graben, neben dem neuen Kanal. Im dritten Bauabschnitt soll dort nun nachbetoniert werden, in einer aufwendigeren, modifizierten Bauweise… Mit den Millionen hätte man auch für ALLE Bauarbeiterfamilien der Insel ein hohes, bedingungsloses Grundeinkommen finanzieren können. Und das für immer. Und die »Baranca« im Tal wäre noch immer ein üppig grünes, wildes Paradies. Ach, übrigens: Die beiden letzten Präsidenten des Inselparlamentes hat man wegen Korruption und Vetternwirtschaft zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, die sie wegen Verjährung allerdings nie antreten werden.

Oh ihr EU-Millionen: Wie viel schönes und sinnvolles könnte man damit tun? Ein verlassenes Dorf in den Bergen in traditioneller Bauweise sensibel wieder aufbauen? Freiwillige suchen und auf den noch lesbaren, aber seit langem brach liegenden Terrassen der Guanchenbauern Ökogemüse anbauen? Das wäre doch toll. Oder ein nachhaltiges Energiekonzept für diese sonnenüberflutete und vom Wind gepeitschte Insel umsetzen, statt in San Sebastian ein saudreckiges E-Werk mit subventioniertem Diesel zu betreiben?

Noch ist nicht alles zu spät. Landschaftlich ist die Insel ein Traum. Sehr abwechslungsreich und vergleichsweise wenig zersiedelt. Der für 40 Mio. Euro neu gebaute Flughafen (Bauzeit 20 Jahre, fertig seit vielen Jahren), wird bisher nicht angeflogen. Die teuerste Cafeteria der Welt, so sagt man. EU-Geld. Noch kann man also nicht von Massentourismus sprechen. Kommt also hierher, bevor es zu spät ist. Von Teneriffa aus fahren Fähren nach La Gomera. Appartements finden sich bei RBB, oder so. Oder den Aloe Vera Händler im Seitental über dem Meditationszentrum in Valle Gran Rey fragen. Der vermietet sehr schöne Zimmer…

Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / Valle Gran Rey / La Gomera / Spanien


1 - »Unsere« Ankerbuchten an der Südküste La Gomeras
La Gomera Map

2 - Die einsame »Playa Chinguarime«, bisher noch ganz ohne Abwasserkanal… Rechts geht es zu den Höhlen.
Tal

3 - Die verlassene Fischfabrik in der »Cala Cantera«
Old Cannery

4 - »Cruiseshipday« in San Sebastian. Im Hintergrund die kleine, gut geführte Marina.
Cruiseshipday

5 - Hier, unter den alten Bäumen, war früher (2002) ein authentisches Café mit Blick auf’s Meer. Nun steht u.a. dieser triviale Kasten davor, mit sinnlosen Geschäften, die nur an »Cruiseshipdays« geöffnet sind…
Trivialbau

6 - Der »Mirador« mit Restaurant von César Manrique mit Blick hinab durch das ganze Valle Gran Rey. Für den Staat lohnt sich die Bewirtschaftung trotz bester Voraussetzungen offensichtlich nicht.
Manrique

7 - El Hierro, die Nachbarinsel von La Gomera in den Wolken, 40 Seemeilen entfernt.
El Hierro

8 - La Gomera: Da wo der Wald noch wild ist.
Regenwald