SY VERA

Into the screaming 50th: A voyage to Tierra del Fuego and Cape Horn

031 - CALETA HORNO

Hallo Ihr Lieben!

Caleta Horno, Patagonien, die Wildnis, der Mars. Eines der Traumziele der Fahrtenseglerszene. Der schönste Ankerplatz Argentiniens. Und einer der schönsten der Welt. Wir sind hier, von Puerto Santa Elena kommend, nach einem weiteren herrlichen Tag unter Segeln. Sommer, Sonne und ein feiner Nordost, der uns und die DANDELION munter vor sich her trieb. Unterwegs spielen Delphine in unserer Bugwelle, darunter auch die schwarz und weiß gefleckten Commerson-Delphine, die aussehen, wie kleine Mörderwale.

Mit gemischten Gefühlen bergen wir die Segel und fahren im Kielwasser der DANDELION unter Maschine in den engen Fjord. Bis zu fünf Meter Tidenhub erschweren es, den Verlauf des Ufers und die Wassertiefe richtig einzuschätzen, trotz unserer recht genauen Karten. Es ist eng. Zu eng, um hier frei um den Anker zu schwingen. Wir werden eine andere Taktik anwenden: Anker dicht an der westlichen Felswand werfen und dann mit Hilfe des Dinghies zwei Landleinen zum östlichen Ufer ausbringen. Klingt einfach, ist es aber ganz und gar nicht. Zunächst einmal müssen wir uns den knappen Platz mit der DANDELION teilen, ohne das es Anker und Kettensalat gibt. Dann muss B mit BOUNCE und den beiden 100m Landleinen an Land gehen, und dort an den glitschigen Felswänden emporklettern und mit Hilfe von Kettenstücken, Schäkeln und diversem Tauwerk zwei Befestigungspunkte konstruieren, die die VERA auch bei dem hier üblichen Starkwind zu halten in der Lage sind. Währenddessen versuche ich (M) das Schiff auf der Stelle zu halten, bis B mit den Leinen zurück ist, die wir dann über die Winschen so einstellen, das sich ein gleichmäßiger Zug auf dem Ankergeschirr und den Leinen einstellt. Zwei Stunden später ist es vollbracht: VERA und DANDELION liegen fest und sicher nebeneinander an einem der paradiesischsten Plätze unseres Seglerlebens. Wir feiern das mit den drei Engländern und einer köstlichen Pasta bei uns an Bord.

Die nächsten, vorweihnachtlichen Tage sind geprägt von allerlei Basteleien, die sich auf See ergeben haben. Eines unserer Positionslichter will nicht mehr. Korrodierte Kontakte im gut gespülten Ankerkasten. Drei freche Sturmvögel haben den Windmesser im Masttop derart verbogen, das das Gerät nur noch Unsinn anzeigt. Die Schleppöse, mit der wir BOUNCE auf See an Deck befestigen hat es bei der letzten Starkwindepisode ausgerissen. Da helfen nur noch Epoxi, Glasfasern und Verstärkungsbleche aus Aluminium. Alles in allem sind wir bisher jedoch fast ungeschoren davongekommen. Selbst unsere Dieselvorräte sind noch beinahe vollständig. Ein größeres Problem ist dagegen die fällige Reinigung unseres Unterwasserschiffes, das schon seit eineinhalb Jahren und vielen tausend Meilen kein frisches Antifouling mehr gesehen hat. Dafür graben wir unseren alten Tauchkompressor aus, zerlegen und reinigen den Vergaser des kleinen Viertaktmotors, und füllen endlich die beiden leeren Tauchflaschen der DANDELION. Danach erledigen beide Crews den Job gemeinsam auf beiden Booten während eines harten, aber wunderbaren Tages unter saukaltem Wasser.

Und endlich bleibt auch einmal Zeit für Erkundungen in die Klippen, und ausgedehnte Wanderungen in eine bizarre, beinahe unberührte Umgebung, die nur sehr wenige Spuren menschlicher Gegenwart aufweist. Die Pampa Patagoniens reicht hinter der Caleta Horno bis zum Horizont. Vieles erinnert an die Küste des roten Meers, die Wüsten und Marsas des Sudans. Pastellfarben, vulkanisch, felsig, und aride. Wir messen Luftfeuchtigkeit unter 30%. Jetzt, zum Sommeranfang ist es recht kalt des Nachts, tagsüber aber schon mal über 25 Grad warm. Verschiedene See- und Greifvogelarten teilen sich die Caleta, offenbar ohne großen Streit; Pinguine, Kormorane, Enten, Reiher, Bussarde, Seeadler und viele weitere Arten. Die ersten Schritte in ein felsiges Tal: Niedriges, dorniges Gebüsch, Kakteen und eine phantastisch angepasste Fauna. Wir finden Höhlen von diversen Insekten, kleinen Nagern und wilden Hasen. Leider gelingt es uns nicht, ein Gürteltier zu finden, wie den Engländern von der DANDELION. Das auffallendste Tier hier ist das Guanaco, eine heimische Kamelart, von der u.a. das domestizierte Lama abstammt. Guanacos sind scheu. Es ist schwer, nahe an sie heranzukommen. Aber man sieht sie gut, und schon von weitem, da sie die höchsten Hügel und Grate bevorzugen, vermutlich weil sie von dort aus ihrerseits auch alles immer gut im Blick behalten können. Guanacos sind schöne Tiere, die einen herrlich eleganten Laufstil pflegen, ein sanftes gleiten, das schwer zu beschreiben ist. Charles Darwin war von diesen interessanten Tieren sehr angetan und beschreibt ihr Verhalten in »The Voyage of the Beagle« sehr detailliert. Hier ein Auszug: »The guanacos have one singular habit, which is to me quite inexplicable; namely, that on successive days they drop their dung in the same defined heap. I saw one of those heaps which was eight feet in diameter, and was composed of a large quantity. This habit, according to M.A, d’Orbigny, is common to all the species of the genus; it is very useful to the Peruvian Indians, who use the dung for fuel, and are thus saved the trouble of collecting it.«

Auf weiteren Ausflügen mit dem Beiboot erkunden wir die umliegenden Klippen und den langen, verzweigten Fjord, bis er sich in ein sumpfiges Wattgebiet öffnet, in dem langbeinige Reiher waten. In einer »Piratenhöhle« in den Klippen finden wir das »Gästebuch« der Caleta Horno, und natürlich tragen wir uns ein, als letzte in eine überschaubare Reihe von Fahrtenyachten, die in den letzten Jahren hier waren.

Alles in allem verbringen wir in der Caleta Horno einige der herrlichsten Tage unseres Lebens. Wir sind ohne größere Probleme bis hierher gekommen, hatten großes Wetterglück. Das sozialisieren, dinieren und musizieren mit der dreiköpfigen Crew der englischen DANDELION, Sue, Michelle und John bringt Spaß. Wir passen zueinander und harmonieren gut als Gruppe. In langen Gesprächen finden wir viele Gemeinsamkeiten. Und doch: Allzu bald und unerbittlich stellt sich bei allen das diffuse, etwas bedrückende Gefühl ein, weiter zu müssen. 700 Seemeilen bis zum Beagle Kanal liegen vor uns, und diese genießen seit den Tagen der Entdecker einen miesen Ruf: Kälte, Starkwind und unter Umständen mörderischer Seegang. Das Wettermodell verspricht allerdings für die kommende Woche annehmbare Bedingungen für dieses anspruchsvolle Projekt. Wir werden daher morgen, am 23.Dezember 2017, gemeinsam mit der DANDELION, nach Süden aufbrechen. Leider werden wir uns auf See wohl bald aus den Augen verlieren, aber das ist ohnehin kaum zu vermeiden. Hoffentlich sehen wir uns wieder, gesund und ohne Schäden an unseren Schiffen. Wünscht uns Glück.


Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Caleta Horno / 45.02,2 S - 065.41,0 W / Argentinien


1 - DANDELION und VERA in der legendären Caleta Horno.
Vera und Dandelion

2 - Morgentee mit Blick auf die DANDELION.
Morgentee

3 - B und BOUNCE in der Caleta Horno.
Britta und Bounce

4 - Zwischen Ebbe und Flut: Die Umgebung wirkt bizarr, wie auf einem fremden Planeten.
Pastelltöne

5 - Blick aus dem Rigg der VERA auf eine phantastische Landschaft. Links unten im Bild sind unsere Landleinen zu erkennen.
Pastelltöne 2

6 - M und BEAGLE, das Beiboot der DANDELION. Wir nutzen die Chance, Unterwasserschiffe und Propeller zu reinigen, solange das Wasser noch warm ist.
Beagle

7 - Die argentinische Pampa wirkt karg, aber kraftvoll. Jedes Tier, jede Pflanze hier hat sich in vielen hunderttausenden von Jahren an sie angepasst.
Gespenst

8 - Zehn Guanacos geben Fersengeld.
Guanacos Fersengeld

9 - Guanaco?
Guanaco

10 - Gästebuch der Caleta Horno in einer geheimen Höhle in den Klippen.
Gästebuch

11 - Seelöwe?
Seelöwe

12 - Einsamer Strand in Patagonien.
Strand

13 - B findet Weihnachtsdekoration.
Kieselparadies

030 - NACH PATAGONIEN

Hallo Ihr Lieben!

Am Montag, den 11. Dezember 2017 klarieren wir bei der »Prefectura Naval« in Mar del Plata aus (Sechs Stunden Zen) und laufen am späten Nachmittag aus. Draussen steht eine hohe, alte Dünung aus Süd, die auf den Magen geht und kaum Lust macht auf Meer. Mar del Plata war gut zu uns. Wir wären gerne noch ein wenig geblieben. Und: Das, was vor uns liegt, wird gewiss kein reines Vergnügen.

Aber: Ein Wetterfenster ist da und sieht brauchbar aus. B und ich haben uns, basierend auf den vorliegenden Daten, einen feingliedrigen Plan zurecht gemacht, der uns in vier oder fünf, wenn auch zum Teil anspruchsvollen, Tagen bis Caleta Horno bringen könnte, einem kleinen, gut geschützten Fjord mitten in der Wildnis Patagoniens, ungefähr auf halber Strecke zwischen Mar del Plata und dem Eingang zum Beagle Channel.

Das wir hier solch elaborierte Pläne machen können, zeigt beispielhaft, das die Dinge im Wandel sind auf unserem Planeten. Das GFS (Global Forecast System) Computer Modell des NWS (National Weather Service) der ein Teil der NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) der USA ist, versetzt uns in letzter Zeit immer wieder ins Staunen. Seit man dort kürzlich neue Computer installiert hat (die Rechenleistung stieg dadurch von 776 teraflops auf 5.78 petaflops), ist das GFS Modell, zumindest in den ersten drei bis fünf Tagen schon beinahe unheimlich genau. Robert Hilgendorf, der legendäre »Düwel von Hamborg«, hätte seine Freude daran gehabt, wenn er hätte erleben dürfen, was aus seinen frühen Überlegungen zur Meteorologie geworden ist. Was man mit dem GFS (und anderen Wettermodellen wie dem europäischen ECMWF) anfangen kann, zeigt derzeit der junge Franzose François Gabart, der mit seinem 30 Meter Trimaran dabei ist, alle Rekorde für eine Nonstop Weltumsegelung zu pulverisieren. Ich (M) male mir das gerade so aus: Der Junge sitzt in eben diesem Augenblick in seinem bequemen Schalensessel vor zwei supergroßen, hochauflösenden Flachbildschirmen. Dort sieht er die Hochdruck und die Tiefdruckgebiete vor sich, sieht ihre Zugbahnen, die resultierenden Winde und natürlich auch die Seebedingungen. Er verfügt quasi über zusätzliche Sinnesorgane, die weit, weit mehr leisten, als die ihm angeborenen, und ihn in die Zukunft des Wetters sehen lassen. Eine intelligent gemachte Software hilft ihm dann dabei, den besten Kurs zu finden, mit dem er dann seinen Autopiloten (den mit den Gyro Sensoren und der AI Einbindung) füttert. Der beste Kurs? Günstige Windwinkel und -geschwindigkeiten, möglichst glattes Wasser, immer schnell, aber nicht zu gefährlich für sein fragiles Boot, das bei günstigen Bedingungen in der Lage ist, über 800 Seemeilen pro Tag abzusegeln. Damit ist Gabart schneller als die tiefsten Tiefdrucksysteme und kann diese reiten, wie ein Seevogel den Wind. Ist Gabart also bereits ein »Cyborg«, ein Mischwesen aus Mensch und Maschine?

Unser Auslaufen erfolgte, dank GFS, jedenfalls zum richtigen Zeitpunkt: Am späten Nachmittag setzt sich der Nordost genau wie errechnet durch, bügelt den alten Schwell aus Süden glatt, und treibt die VERA mit acht Knoten in die Nacht. Wir folgen zunächst der Argentinische Küste, Kurs 230 Grad, also ziemlich genau gen Südwest. Die DANDELION aus England mit Sue, John und ihrem neuen Crewmitglied Michelle ist schon seit Mittag auf der Piste und sollte demzufolge etwa 20 bis 30 Seemeilen vor uns liegen. Die Jagd ist eröffnet. Passend dazu das spektakuläre Meeresleuchten im rauschenden Kielwasser des Schiffes, das aussieht, wie Abgase aus dem Triebwerk eines interstellaren Kreuzers. Und passend dazu: Ein ungeheurer südlicher Sternenhimmel, mit einer strahlenden Milchstrasse, wie wir ihn lange nicht mehr… tja, da sind sie die unvermeidlichen Wiederholungen. Werden diese Eindrücke irgendwann zur Routine, bis man sie nicht mehr wahrnimmt? Aber doch: Selten war die Luft so klar, wie gerade heute Nacht, wolkenlos, und dunkel ist es auch. Der abnehmende Halbmond geht erst gegen zwei Uhr in der Frühe auf. Ich (M) nehme mir den alten Herrn Hensoldt, setze mich raus, und starre in die Nacht. Gute Wache.

Vier Uhr früh: Es ist noch dunkel. Der Wind schralt, dreht weiter auf Nordwest. Der Spibaum, mit dem die gereffte Genua nach Luv ausgebaumt ist, muss runter. Ein nasses, unbequemes Manöver auf dem gut gespülten Vordeck. An BB voraus taucht ein einzelnes Licht auf, erst weiß, dann grün, zum Greifen nah: Die VERA rauscht an der DANDELION vorbei, als wenn sie dort vor Anker läge. Das kommt gut. Sue und John haben es bequemer als wir. Geschütztes Mittelcockpit, beheiztes Ruderhaus mit eigenem Steuerstand und begehbarem Maschinenraum darunter, und dazu einen opulenten Salon mit viel Platz für viele Gäste. Die schnelle, sportliche VERA dagegen ist kein Landhaus auf dem Wasser. Der Physiker Arthur Beiser eröffnete seinen Bestseller »The Proper Yacht« so: »I start from the premise that no object created by man is as satisfying to his body and soul as a proper sailing yacht.« Über die Frage, was eine »proper sailing yacht« ist, streiten sich seit jeher die Geister. Sicher ist, das Wohnkomfort vor Anker und im Hafen der Leistung eines Segelbootes auf See abträglich ist. Yachtkonstrukteure suchen daher immer den »besten« Kompromiss. Man kann das Dilemma so ausdrücken: »There are three parameters in boats: Performance, Comfort and Price. You can’t have them all - but need to pick two.« Wirklich komplex wird die Aufgabe allerdings erst dann, wenn man einen vierten, wesentlichen Parameter mit einbezieht: Kultur.

40 Grad Süd. Die »Roaring Fourties« empfangen uns Neulinge mit einer ominösen, öligen Flaute und stark fallendem Luftdruck. Zwei Stunden lang läuft der frisch gewartete Diesel zur Probe. Marschfahrt gen Südwest. Voll geladene Batterien und heißes Wasser im Boiler sind der angenehme Nebeneffekt. Dann setzt der angekündigte Südwind ein. Und wie. Seit Sonnenuntergang bekommen wir es mächtig eingeschenkt. In Böen 40 Knoten, 15 mehr als vorausgesagt (?), Beaufort 8 und bald 9. Dazu ist es bitterkalt. So hoch beim Wind wie es noch so eben geht prügeln wir das Boot unter kleinsten Segeln bei ständig höher werdendem Seegang weiter nach Westsüdwest. Die Wache ist nur noch unter Deck auszuhalten. Ein infernalisches Orgeln und Pfeifen ist aus dem Rigg zu hören. Grünes Wasser kracht gelegentlich an Deck, was von unten durch die wasserdichten Decksluken recht beängstigend aussieht. Hoffentlich hält alles. Der Magen, der Harndrang, Ihr versteht schon. Morgen früh soll es nachlassen und zurückdrehen. Falls dem so wäre, hätte sich der Tanz gelohnt. Der nachfolgende feine Nordost sollte bequemere Meilen gen Südwesten bringen.

Bei Tagesanbruch ist alles so, wie es sein soll. Das Baro steigt, Nordost um die 20 Knoten. Drei rußig grau gefiederte Albatrosse umkreisen die VERA. Es fällt nicht leicht, von diesem Anblick unbeeindruckt zu bleiben, selbst bei diesen eher kleinen Exemplaren. Unglaublich, wie elegant sie mit ihren extrem langen und schmalen Flügeln mit dem Aufwind der Wellenkämme spielen, abkippen und kreisen und gelegentlich mit den Flügelspitzen eintauchen. Die Altvorderen glaubten, das es sich bei diesen Vögeln um die Seelen ertrunkener Seeleute handele. Heute nimmt die Zahl der Albatrosse stetig ab. Vielleicht, weil immer weniger Seeleute ertrinken? Ob wir wohl als Seeleute gelten würden, falls wir in dieser Gegend verunglücken? Ich (M) denke, das es schlimmeres gäbe, als danach eine Zeitlang elegant im Südmeer umherzufliegen.

Die dritte Nacht auf See. Meine (M‘s) Wache: Das Baro fällt wieder, aber nicht beängstigend. Eine schwache Kaltfront aus Süden zieht draussen auf See an uns vorbei. Wie erwartet dreht der Wind allmählich über Nord auf West und dann Westsüdwest. In Etappen nehme ich die Segel dichter, bis wir hoch am Wind laufen. Der Kutter steht schon seit dem Abend, für alle Fälle. 17 Knoten über Deck jetzt, allmählich zunehmend, absolut glattes Wasser, wohl wegen der Landabdeckung. Die VERA läuft mit rauschender Bugwelle durch eine samtige Nacht: Gute sieben Knoten bei 25 Grad Lage, mit der Fussreling so gerade noch nicht im Wasser, dabei fast regungslos, beinahe schwebend. Traumhaftes segeln. Dazu: Aufgelockerte Bewölkung, glasklare Luft mit funkelnden Sternen. Es riecht nach Land, patagonischem Land. Vier Uhr früh: Im Osten beginnt es zu dämmern. Und dort: Eine feine, silbrige Mondsichel steigt eben über den Horizont. Noch schnell ein Reff ins Groß, und dann B wecken, die noch friedlich schläft. Die nächste Wache gehört ihr.

14. Dezember: Eine weitere Nacht auf See nach einem der schönsten Segeltage, die wir je erleben dürften. Kaiserwetter, perfektes segeln, weiterhin hoch am Wind, auf einem noch immer unwirklich spiegelglatten Meer. Ein gläserner Horizont, pastellfarben, ein unglaublicher Sonnenuntergang mit einer surrealen, riesengroßen Sonnenscheibe, die am Horizont verläuft wie geschmolzenes Glas. Leider wird das Wetter nicht halten. Ein »Pampero« ist unterwegs, der es ernst meint. Mit seinem Eintreffen ist morgen Nachmittag zu rechnen. Wir könnten es theoretisch bis Caleta Horno schaffen. Dort aber dürfte es dann bereits mit 50 Knoten wehen, Windstärke zehn. Da wäre es nicht empfehlenswert, in einem engen, unbekannten Fjord herumzurangieren und mit langen Landleinen zu hantieren, die das Handbuch dringend empfiehlt. Was nun? Puerto Santa Elena wäre eine Möglichkeit. Die Bucht liegt 40 Seemeilen näher an unserem jetzigen Standort, ist gut gegen West- und Südwestwinde geschützt und soll gut haltenden Ankergrund aufweisen… Mitternacht: Leichter Südwind, rapide fallender Luftdruck. Es wird psychologisch: Aus Nervosität binde ich zwei Reffs ins Groß. Nur keine unangenehmen Überraschungen jetzt… 03.00 Uhr: Blinder Alarm. Flaute aus allen Richtungen. B und ich wechseln die Besegelung im 10 Minuten Takt, dann läuft der Diesel.

Im Morgengrauen sitzt eine Gruppe Albatrosse voraus im Wasser. Sie ignorieren die herannahende VERA. Bei Flaute sind diese großen Vögel praktisch flugunfähig, da das Schlagen mit den langen Schwingen zuviel Energie verbraucht. Aber nun taucht ein großer Seelöwe direkt neben Ihnen aus dem Wasser und zeigt Interesse. Sie murren vernehmlich und rudern eifrig in die Gegenrichtung. Der Seelöwe taucht unter ihnen durch und auf der anderen Seite wieder auf. Er will spielen. Das folgende, zeterzwitschernde Gruppenstartmanöver mit viel Geflatter und pitscherndem auf dem Wasser Laufen dürft Ihr Euch denken.

Voraus öffnet sich der Eingang nach Puerto Santa Elena. Wir sind da, werfen Anker mit 80 Meter Kette und fahren ihn mit Vollgas rückwärts ein. Der »Pampero« kann, laut Barometer, nicht mehr weit sein und auf den wollen wir vorbereitet sein. Die Szene an Land wirkt karg, aber meditativ. Keine Gebäude, keine Menschen, keine Bäume, keine Tiere. Harmonisch wirkende pastellgrüne Hügel, Felsen, Gräser, gelbe Steppe unter einem hellblauen Sommerhimmel. Wir gehen in die Koje und machen einen ausgiebigen Mittagsschlaf. 546 gute Seemeilen in dreieinhalb guten Tagen liegen im Kielwasser. Am Abend, es weht bereits mit über 30 und später 40 Knoten aus Westsüdwest, kämpft sich die DANDELION gegen heulende Böen auf den Ankerplatz. Das ist gut. In dieser abgelegenen Wildnis ist es angenehmer, in guter Begleitung zu sein. Übermorgen, wenn der Sturm vorüber ist, segeln wir gemeinsam nach Caleta Horno…


Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Puerto Santa Elena / Argentinien


1 - Aufgehende Mondsichel auf dem Weg nach Patagonien.
Mondsichel

2 - Hoch am Wind in den »Roaring Fourties«: Seht Euch das spiegelglatte Wasser an!
Am Wind

3 - Gesetzt sind neben dem Groß die Genua und der Kutter: Das gibt Sicherheit und mehr Optionen im Falle eines Wetterwechsels.
Genua und Kutter

4 - Ankunft in Puerto Elena. Der nächste »Pampero« ist im Anmarsch.
Puerto Santa Elena

5 - Unsere Route nach Patagonien. Die Rauten zeigen die jeweiligen Mittagspositionen.
Unsere Route nach Patagonien


029 - ZWISCHENSTOPP IN MAR DEL PLATA

Hallo Ihr Lieben!

Am Donnerstag, den 30.11.2017 nähern wir uns zu später Stunde bei erneut stark auffrischendem Nordost der argentinischen Hafenstadt Mar del Plata. Beim Anlaufen eines Hafens in Argentinien ist es Pflicht, sich vor Ankunft über UKW - Radio bei der »Prefectura Naval« anzumelden. Der Wachhabende verpflichtet uns, eine Seemeile vor der Hafeneinfahrt zu warten. Ein Fischereifahrzeug soll demnächst auslaufen… Wir bergen die Segel und stampfen mit minimaler Fahrt erbärmlich gegen den hohen Seegang zurück nach Nordost. Zum Glück lässt man nach einer Stunde Gnade vor Recht ergehen, und wir dürfen hinein. Erleichtert passieren wir die mächtigen Molenköpfe, laufen in das äussere Hafenbecken der beiden hiesigen Yachtclubs und werfen den Anker. Einladend sieht die Szene im Dunkel der Nacht nicht aus: Verfallene Industriegebauten, Lagerhallen, Kräne, Fischdampfer. Es riecht nach verrottetem Fisch und schlimmerem. Ein großer pelziger Seelöwe schwimmt vorbei und blinzelt uns zu. Immerhin. Ab in die Koje.

Der neue Tag bringt blauen Himmel und frische Tatkraft. Da die Einfahrt zum eigentlichen Yachthafen leider zu flach für den tiefen Kiel der VERA ist, bleiben wir zunächst vor Anker liegen, bringen BOUNCE zu Wasser und fahren unter einer ehrwürdigen, stählernen Drehbrücke hindurch in das innere Hafenbecken. Gleich an einem der ersten Schwimmstege liegt die DANDELION aus England, eine stäbige 50 Fuß Yacht mit Kanuheck. Sue und John haben zu unserer Freude ähnliche Pläne wie wir. Da sie schon eine Woche lang hier sind, bekommen wir bei gutem englischen Kaffee sogleich eine Flut von wertvollen Informationen aus erster Hand: Formalitäten, Liegeplätze, Kosten, Internet, Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants und noch viel mehr.

Im »Club Nautico Mar del Plata« (CNMP) begrüßt man uns mit: »Hola, como estas?«, einem breiten Lächeln und der Information, bis zum baldigen Eintreffen der »Health Control« an Bord abzuwarten: Quarantäne. Wir kommen schließlich aus Übersee. Als nach drei Stunden noch niemand da ist, bitten wir Sue und John über UKW Funk um Hilfe. Sie versichern uns, das man seit kurzem selber zum Gesundheitsamt gehen muss. Das tun wir dann auch mit Erfolg. Bald haben wir für ein paar Pesos ein Dokument in der Hand, das unsere vollständige Gesundheit garantiert. Mit diesem gehen wir nacheinander zum Einwohnermeldeamt, zum Zoll und zur Hafenpolizei, zurück zum Boot, um die Wartungspapiere der Rettungsinsel zu holen, und dann noch mal zur Hafenpolizei, Papier, Papier, Papier. Das dauert und gibt uns ein erstes Gefühl für die Lage vor Ort. Alles bestens. Zurück im Club genehmigen wir uns zwei große »Isenbeck« und zwei riesige panierte Schnitzel mit Pommes.

Am zweiten Tag vermietet uns die nette Chefsekretärin des CNMP für 17$ US pro Tag den einzigen freien Platz mit Strom und Wasser am äusseren Schwimmsteg des Clubs. Der liegt zwar außerhalb des inneren Hafenbeckens und ist etwas baufällig, aber immer noch gut genug gegen schweres Wetter geschützt. Bald darauf liegt die VERA fest und sicher zwischen hohen Dalben und zwei abenteuerlich aussehenden einheimischen Yachten. Das erste mal, seit wir Europa vor bald einem halben Jahr verlassen haben, verfügen wir hier über Landstrom und fließendes Wasser. Klar, das wir uns sogleich sehr wohl fühlen im sportlichen CNMP. Ein herrliches Frühlingswochenende steht bevor. Überall werden Rennjollen aufgetakelt, Optimisten, Europes, 49er, Motten auf Tragflächen. Segel flattern im frischen Wind, und Sportler in Neopren, oder Trockenanzügen laufen geschäftig auf und ab. Das erinnert B an eine Kindheit im »BYC«, M an den »VSaW« und uns beide an längst vergangene Regatta Tage…

In der folgenden Woche lernen wir Mar del Plata sehr zu schätzen. Eine kleine Großstadt mit sportlichen Einwohnern und allem drum und dran. Ein wuseliger Fischereihafen, Marinestützpunkt, Seebad, Urlaubsort für argentinische Mittelschicht mit kleinem Kulturangebot. Das Stadtbild ist geprägt von großen Kontrasten. Da stehen verfallene oder auch mit großem Aufwand sanierte altenglische Landhäuser in Fachwerk und rotem Ziegel neben gut gemachten, hochmodernen, oder auch gnadenlos uninspirierten Hochhäusern. Da führt ein breiter Boulevard aus der verslumten, zugemüllten und stinkigen Hafengegend zum hiesigen Marinestützpunkt mit der allgegenwärtigen Trauerbeflaggung für das verloren gegangene U-Boot A.R.A. SAN JUAN mit 44 Toten, bei dessen Untergang deutsche Firmen geholfen haben sollen (
https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/verschwundenes-u-boot-san-juan-verdacht-gegen-deutsche-firmen-a-1182564.html ). Von dort gelangt man zum gepflegten Gelände des Golfclubs und vorbei an mondänen Strandclubs des Seebades, bis zu einem quirligen Einkaufsviertel, an dem so kurz vor Saisonbeginn (wie schon letzte Woche in La Paloma, Uruguay) noch überall gezimmert wird. Zumindest die private Wirtschaft scheint wieder zu brummen in Argentinien. Die großen, internationalen Ketten fehlen fast völlig. Dafür liegen individuell gestaltete, sympathische Cafés, Bars, Restaurants, Boutiquen, Schuhgeschäfte, »Outdoor« Läden, Delikatessläden, Bäckereien und Elektronikshops kleinteilig beieinander. B kauft ein paar giftgrüne Crocs. Die alten in grellorange sind verschlissen. Wir durchstreifen feine, gut durchgrünte Wohngegenden mit teilweise sehr ansehnlichen Bauten. Überall blüht es in den sehr gepflegten Gärten. Es riecht nach frisch gemähtem Rasen. Herrliche alte Autos stehen in Carports, oder werden gewaschen. Auffallend sind die vielen italienisch geprägten Feinkostläden. Es duftet nach gutem Café, würzigen Salamis und altem Käse. Wir kaufen frische Pasta, Pesto und eine perfekte Bolognese. Aber natürlich dinieren wir auch auf Argentinisch, und zwar fürstlich: »Parilla« ( https://pickupthefork.com/2016/10/11/a-guide-to-the-argentine-asado/ ) im »Los Garcia«. Sensationell.

Es ließe sich aushalten in Mar del Plata, vielleicht sogar leben, keine Frage. Aber deswegen sind wir nicht hier. Der Sommer kommt mit großen Schritten und holt uns ein. Höchste Zeit, weiter Süd zu machen. Doch vor dem Auslaufen ist noch einiges zu regeln: Wäscheberge waschen, Staub saugen, Nahrungsmittel für zwei Monate in der Wildnis bunkern, Diesel und Benzin ergänzen, sorgfältiger Riggcheck, Inbetriebnahme der Eberspächer Heizung, die große Motorwartung: Öl- und Filterwechsel, Ventilspiel auf 0,4mm justieren, Impellerwechsel an der Kühlwasserpumpe, Keilriemenwechsel. Wir bauen neue Thermostaten ein, und beseitigen (hoffentlich) ein kleines, nerviges Kühlwasserleck, das uns in den letzten Wochen aufgefallen ist. Und: Der neue Öldrucksensor ist drin. Der Öldruck stimmt jetzt wieder, zumindest laut Anzeige. Gut so.

Was wir jetzt brauchen ist ein gutes »Wetterfenster«. Zwischen Mar del Plata und dem Eingang zum Beagle Channel liegen über 1000 Seemeilen durch eine wilde Gegend, die einen sehr schlechten Ruf genießt. Besonders berüchtigt ist die Kälte und das oft schwere, rasch und unvermittelt wechselnde Wetter. Dazu kommt bei ungünstigen Bedingungen ein zerstörerischer Seegang. Die patagonische Küste gilt als öde und gefährlich. Sichere Ankerplätze oder Häfen gibt es dort nur sehr wenige. Montag Abend könnte es losgehen. Wünscht uns Glück.


Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Mar del Plata / Argentinien


1 - Ankunft in Mar del Plata vor einem steifen Nordost.
Ankunft

2 - Vor Anker nach der Ankunft in Mar del Plata.
Nach der Ankunft

3 - Ein wohlverdientes, großes »Isenbeck« im Clubhaus des »CNMP« (Club Nautico Mar del Plata).
Isenbeck

4 - Der erste Liegeplatz mit Wasser und Strom für die VERA seit wir Europa vor bald einem halben Jahr verlassen haben.
VERA am Steg

5 - Mar del Plata im Ausnahmezustand: Patriotische Trauerbeflaggung am Gelände der Marinebasis für die Besatzung des verschollenen U-Bootes A.R.A. SAN JUAN.
U-Boot Trauer

6 - Fischstäbchen für Alle.
Fischereiflotte

7 - Vorsaison in Mar del Plata.
Vorsaison

8 - Seenebel.
Nebel

9 - B im netten Straßencafé.
B im Cafe

10 - Interessante Kontraste in Mar del Plata.
Kontraste

11 - »Parilla«: Fleischlastige Kost im »Los Garcia«.
Parilla

12 - Ehrwürdiger Lastwagen mit zuverlässiger Technik.
Laster

13 - Flossiges am Wegesrand.
Flossiges

14 - Der alte Volvo der VERA ohne Thermostate.
MD31A

15 - Mar del Plata vom Masttop der VERA aus gesehen.
Blick aus dem Rigg

028 - URUGUAY: IM LAND DER ENTSPANNTEN HUNDE

028 - Uruguay: Im Land der entspannten Hunde.


Hallo Ihr Lieben!

Brasilien liegt im Kielwasser. Nachdem wir ausklariert und den Hafen von Rio Grande del Sul bei Tagesanbruch verlassen haben, nehmen wir direkt Kurs auf Mar del Plata in Argentinien. Unser ausgeklügelter Plan sieht vor, die nach 30 Stunden zu erwartende kurze Störung aus Süden unter kleinen Segeln abzuwettern, und mit dem später rückdrehenden Wind das berüchtigte, flache Mündungsgebiet des Rio de la Plata ohne Zwischenstopp zu überqueren.

Draussen erwartet uns eine unerwartet harte Kreuz gegen kurze, steile Welle und gegen einen glücklicherweise später auf West drehenden, mäßigen Südwind. Mit den letzten Balken der Internetverbindung ziehen wir ein frisches Wettermodell: Die kurze Störung aus Süd hat sich in den letzten drei Stunden zu einem ausgewachsenen »Pampero« gemausert. Der spätere Rückdreher ist auch weg, dafür sehen wir jetzt gigantische
CAPE Werte in der Plata Mündung. Also doch Uruguay? Der Törn wird knackig. Ein Leckerbissen für leidenschaftliche Segler. Auf einem angespitzten Halbwindskurs jagen wir 30 Stunden lang dicht unter Land im flachen Wasser am Strand entlang, immer bestrebt, die fiesen kurzen Stolperwellen zu vermeiden, die weiter draußen auf See erwachsen werden. Das tief gereffte Boot rattert und vibriert. Alles an Deck wird fein geduscht von überkommender Gischt, aber der Spaß ist riesig, schon wegen des strahlend blauen Himmels am Tag und den Millionen Sternen in der Nacht. Und: Auf diese Weise dürfen wir auf eine Ankunft im Hafen von La Paloma am frühen Nachmittag hoffen, nach nur einer kurzen Nacht auf See.

Der Westwind hält genau bis vor die Einfahrt. Über dem Hinterland drohen monumentale Cumuluswolken, in denen man schon bei blendendem Tageslicht die gezackten Forken gewaltiger Blitze erkennen kann. Das Baro fällt wie ein Stein, aber das Unwetter erwischt uns nicht mehr. An der kommunalen Pier helfen uns tatkräftige Männer mit Wurfleinen und starken Muskeln beim Einparken zwischen einer überdimensionierten Mooringtonne und zwei großzügig dimensionierten Pollern. Rasch ist die VERA bestens angebunden. Sofort einklarieren? »Mañana!«, so ruft man uns lachend zu. Die Nacht wird herrlich: Draussen pfeift der »Pampero« ohrenbetäubend durchs Rigg und prasselt eisiger Regen auf Deck, während wir in der warmen Koje liegen und Schafe zählen.

Am Morgen ist die Front durch, und der Himmel wieder stahlblau, wie frisch gewaschen. Die Luft ist glasklar und angenehm kühl. Wir gehen einklarieren, bei der »Prefectura Naval« gleich hier am Hafen, und dann noch beim Büro der »Hidrografia«, eine Art erweiterte Hafenmeisterei. Beides gelingt problemlos. Die Beamten sind nett und haben Geduld mit uns und unserem rudimentären Spanisch. Zur »Immigration« und zur »Aduana« brauchen wir nicht. Die gibt es nicht in La Paloma. So dürfen wir gleich loslaufen, ins Unbekannte, immer wieder die Belohnung für lange Etappen unter Segeln. Wir sind neugierig.

La Paloma: Ein verschlafenes Fischerdorf an Uruguays stürmischer Südostküste. Ein schlanker und sehr romantischer Leuchtturm, unter dem sich ein paar Häuser ducken. Dahinter erstreckt sich der lange, weiße Strand, bis zum Horizont. Das Wetter ist gerade jetzt im Frühling ein Genuss. Die klimatischen Verhältnisse erinnern an Südfrankreich, Norditalien, oder hier an der Südostküste auch an Nordspanien. Endlich wieder weit ausschreiten, ohne jeden Gedanken an mögliche Verbote, oder Überfälle. Den Magen entspannen und den Schultergürtel. Uruguay ist ein ruhiges Land mit viel Platz. Keine 4 Millionen Einwohner auf der halben Fläche Deutschlands. Ein Paradies für Gauchos, Surfer und andere Individualisten. Montevideo hat nach Tokio die zweitniedrigste Kriminalitätsrate aller Hauptstädte der Welt. Wir fühlen uns sofort wohl. Das geht anderen Deutschen wohl auch so: Am Wegesrand parkt ein mächtiges Wohnmobil mit Bundesadler, Mercedes Benz Lastwagen, 4x4, Expeditionsausführung. Wir verstehen das schon. An der Hauptstraße erstehen wir einen excellent funktionierenden Internet Chip für kleines Geld. Dann stöbern wir durch professionell bestückte Surfshops und ein lustiges Antiquariat. Überall lungern dicke, entspannte Hunde herum, die uns nicht beachten. Im Sommer verwandelt sich La Paloma für einige Wochen in einen Urlaubsort für gestresste Menschen aus Montevideo. Viele Häuser sind über die Sommerferien zu vermieten. An den meisten Cafés, Bars und Restaurants wird im Augenblick allerdings noch gehämmert und gemalert. Es herrscht Vorsaison. Uns soll es Recht sein. Das hübsche Restaurant »Las Rocas« hat über das Wochenende geöffnet. Hier finden wir unsere positiven Eindrücke bestätigt: Erstklassige, lateinamerikanische Küche mit Italienischem Einschlag, nicht zu teuer.

Der Baustil in La Paloma und seiner Umgebung hat nichts einheitliches. Es gibt Häuser aus allen Kulturkreisen, direkt nebeneinander, eine beinahe vollständige Bauausstellung. Strenger Bauhausstil erhebt sich neben Fachwerk, Lehmhäuser neben neominimalistischem Hightech, das amerikanische Blockhaus neben dem Gelsenkirchner Barock, die Almhütte neben dem südfranzösischen Feldsteinhaus. Uns stört das nicht (mehr). Man will hier offensichtlich leben und leben lassen. In einer romantischen, mit Reed gedeckten Kate direkt am Meer leben, ein altes Auto aus Sindelfingen fahren, mit einem zotteligen Pferd durch Dünen und Sand streifen, immer begleitet von einem pelzig-souveränen Hund? Hier in La Paloma wäre es möglich. Uruguay scheint ein Land zu sein, in dem das kleine Glück im Vordergrund steht. Die Einheimischen sind mit wenigem zufrieden, und verwenden viel Zeit darauf, unter Freunden in Ruhe Mate zu trinken oder ausgiebig im Garten zu grillen. Mate? Siehe hier bei CHULUGI: (
http://www.chulugi.de/zwischenstopp-piriapolis-mate-abschiede/ ).

Leider müssen wir weiter. Das Wetterfenster nach Mar del Plata sieht perfekt aus. Am Mittwoch den 29.11. laufen wir aus, vor Tau und Tag, hinein in einen auffrischenden Nordost, der volle drei Tage durchstehen soll. Das entspannt die Nerven. B und ich haben großen Respekt vor der Plata Mündung mit ihren trügerischen Sänden, Flachs, und den notorisch auftretenden schweren Gewitter. Das Feuerwerk anlässliche unserer Ankunft in La Paloma war beeindruckend genug. Charles Darwin schrieb über diese Gegend: »On a second night we witnessed a splendid scene of natural fireworks; the mast-head and yard-arm-ends shone with St. Elmo’s light; and the form of the vane could almost be traced, as if it had been rubbed with phosphorus. The sea was so highly luminous, that the tracks of the penguins were marked by a fiery wake, and the darkness of the sky was momentarily illuminated by the most vivid lightning…«

Nachtwache: Jetzt doch ordentlich Wind von achtern. Die Logge zeigt 9, häufig auch 10 Knoten, trotz der gut gerefften Segel. Kaum vorstellbar, das die »Jungs« damals auf dem Weg zum Fastnet Rock bei vergleichbaren Bedingungen zum vollen Groß den »kleinen« 160er »Starcut« gezogen hätten… Nichts für uns. Das Echolot zeigt 13 Meter, knapp 40 Seemeilen vor der Argentinischen Küste. Unheimlich, dunkel und flaschengrün, trotz des gut halbvollen Mondes. Achteraus ist Orion auf die Jagd gegangen. Er treibt eine grobe, hohle See vor sich her, die das Boot von achtern anfällt, zischend und weiß schäumend. Sie will das Heck der VERA mit Macht herumhebeln, das Boot quer schlagen lassen und dann ersäufen. Der elektrische Autopilot hält uns solchen Ärger vom Hals. Das Teil macht einen phantastischen Job. Stunde um Stunde, ohne jemals zu ermüden, dreht »Es« in Windeseile am Ruderrad, ganze Umdrehungen von bb nach stb, und Dank der eingebauten »Gyro« Sensoren immer im genau richtigen Moment. Ganz sicher steuert »Es« viel besser als ich (M) es jemals könnte. Einen Defekt können wir jetzt nicht brauchen. Dann hätten wir »Zustand« an Bord. Erneut fällt es mir schwer, solche negativen Gedanken abzuschütteln und die unterschwellige Anspannung abzulegen. Ich muss π. Jetzt ein Fehltritt und über Bord? Das wäre das Ende mit offenem Reißverschluss. Besser unter Deck klettern und auspellen. Beeindruckende Lumineszenz gibt es bei uns heute auch: Fahlgrünes, strudeliges Meeresleuchten in der Schüssel. Licht braucht man da keines mehr.

Am Mittag des nächsten Tages tragen wir bei abflauendem Wind und leichtem Gegenstrom ein Etmal von 185 Seemeilen ins Logbuch. Noch 60 Seemeilen bis Mar del Plata, das Tor zum wilden Süden und nach Patagonien. Ein wichtiges Zwischenziel, auf das wir viele Jahre hingearbeitet haben. Vor Mitternacht können wir dort sein. Wir halten Euch auf dem Laufenden!

Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Mar del Plata / Argentinien



1 - Abschied von Brasilien nach drei herrlichen Monaten.
Brasilien Ade

2 - VERA gut angebunden im Hafen von La Paloma, Uruguay.
VERA in La Paloma

3 - La Paloma: Ein verschlafenes Fischernest an Uruguays stürmischer Südostecke.
La Paloma in Uruguay

4 - Der romantische Leuchtturm von La Paloma.
Leuchtturm La Paloma

5 - Der Süden Uruguays: Strände bis zum Horizont.
Strand bis zum Horizont

6 - Die Seele baumeln lassen.
Wasserpflanzen

7 - Windige Gegend.
Windige Gegend

8 - Leben in Uruguay?
Lebensqualität

9 - Als Fischerboote noch keine Fangfabriken waren.


10 - Auto.
Oldtimer

11 - Motorrad.
Moped

12 - Shoppingmall.
Surfshop

13 - Nachtisch im Las Rocas.
Nachtisch

14 - Ein unerwarteter Anblick: Deutsches Expeditionsmobil in La Paloma.
Womo

15 - Von Rio Grande de Sul über La Paloma nach Mar del Plata. Die Rauten zeigen die jeweilige Mittagsposition.
Seekarte Plata Mündung