SY VERA

Into the screaming 50th: A voyage to Tierra del Fuego and Cape Horn

034 - USHUAIA

Hallo Ihr Lieben!

Die VERA hat den südlichen Zipfel Südamerikas erreicht und liegt sicher in Ushuaia, der »südlichsten Stadt der Welt«. Seit beinahe zwei Jahren leben B und ich (M) an Bord, sind aus dem Mittelmeer nach Südamerika gesegelt. In dieser, für uns ereignisreichen, Zeit haben wir einige unserer Vorbereitungen und manchen Eindruck von unterwegs als Newsletter an Euch weitergegeben. Es hat großen Spaß gemacht, das was wir gesehen und erlebt haben so gut es ging zu verdichten, und ein wenig zu bebildern. Sehr gefreut haben wir uns über Eure Zuschriften, Kommentare und Ratschläge. Vielen herzlichen Dank dafür.

Wir segeln in Patagonien und in Feuerland, ein Traum, den wir uns erfüllen konnten. Weitere Projekte liegen vor dem Bug der VERA: Puerto Williams in Chile, längsseits an der berühmten CONTRAMAESTRE MICALVI, einem alten deutschen Dampfer, der heute als südlichster Yachtclub der Welt dient. Dann (natürlich) Kap Hoorn, kaum 80 Seemeilen von hier entfernt. Vielleicht schon nächste Woche? Die wilden und einsamen Gletscher, Fjorde, Kanäle und Caletas im Süden Chiles werden uns in den kommenden Monate beschäftigen und vielleicht ein wenig strapazieren. Überwintern wollen wir in der Gegend um Port Montt in Mittelchile, eventuell auf der vielgerühmten Insel Chiloe. Die VERA muss eine Zeitlang aus dem Wasser: Neues Antifouling, neue Anoden, neues Fett im Propeller. Der hellblaue Rumpf gehört geputzt und poliert. Sie hat es sich verdient. Aber dann? B und ich spielen mit dem Gedanken auch die folgende Saison 2018/19 im Süden zu verbringen. Die Antarktis? Asturias bei überragender Akustik im alten Trantank auf Deception Island? Und dann? Die Südsee, aber diesmal ausgiebig: Osterinsel, Pitcairn, Gambier, Tuamotus, Society Islands. Über Hawaii nach Alaska? Der pazifische Nordwesten, USA, Kanada, mit Bären und Lachsen, so wie es sich gehört. Und dann? Die Nordwestpassage? Oder doch über die Aleuten nach Japan und von dort nach Neuseeland? Vielleicht. Vielleicht. In vielen kleine, akkumulativen Schritten kann es gelingen. Aber: Es sind nicht nur seglerische Träume und Projekte, die uns treiben. Diese aber gehören nicht hierher. Sicher ist, das es für uns nicht sinnvoll ist, weitere engmaschige Newsletter über unsere Segelei zu verfassen. Zu auffällig und unangenehm zu lesen sind die immer schwerer zu vermeidenden Wiederholungen. Noch eine wilde Bucht? Noch ein Mond, mehr Sonne und mehr Sterne mit Herrn Hensoldt? Noch mehr Delphine, Wale, Pinguine? Noch ein in wild zusammen gehauener, so genannter Hafen? Noch ein gut gewähltes Wetterfenster? Schon wieder unter kleinsten Segeln gegen hohe Brecher, wild und nass? Was, nur 8 Knoten? Das Baro fällt? Schon wieder? Oder immer noch? Die VERA wird bald im Vakuum segeln (und Beiboot BOUNCE wird platzen), wenn das so weiter geht.

Seit wir den Hafen von Mar del Plata verlassen haben, ist nur ein Monat vergangen, aber eine gefühlte Ewigkeit für uns. Dabei hat sich Material für einige weitere Newsletter angesammelt (30 - 33). Diese wollen wir Euch natürlich nicht vorenthalten. Wir werden sie also in den nächsten Tagen nacheinander auf den Weg bringen. Apropos auf den Weg bringen: Der bequeme und breitbandige Zugang zum Netz ist eines der wesentlichen Luxusgüter der Gegenwart. Das wird einem klar, sobald man darauf verzichten muss, so wie wir im letzten Monat (und in den nächsten drei bis vier Monaten, oder auch in den nächsten vielen Jahren) in der Wildnis. Vernetzung: Der Sinn, die Zukunft, die Antwort auf die großen Fragen. Vielleicht.

Noch etwas? Klar: Unsere Photos waren qualitativ nie das gelbe vom Ei. Unsere, absolut minimalen, Ausrüstung, eine einzelne »Ritsch - Ratsch« Olympus wasserdicht, Akku inkontinent, war der Aufgabe nicht angemessen. Gute Photos erfordern Aufmerksamkeit, Zeit und Geld. Wir haben andere Prioritäten gesetzt. Qualität: Noch mal bei Pirsig nachlesen.

Euch, unseren geduldigen Lesern in den letzten Jahren, wünschen wir einstweilen alles erdenklich Gute und ein glückliches 2018. Unsere e-mail Adressen bleiben so wie sie sind. Wenn Ihr uns erreichen wollt, dann schreibt einfach. Wir werden uns bemühen zeitnah zu antworten. Und wer weiss? Vielleicht gelingt es uns, in Zukunft zumindest einmal im Jahr einen lesenswerten Erlebnisbericht auf den Weg zu bringen. Oder so.

Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Ushuaia / Feuerland / Argentinien / POS 54.48,7 S - 68.18,5 W

033 - DER BEAGLE KANAL UND RUND KAP HOORN

Hallo Ihr Lieben!

Am zweiten Januar ziehen wir im Morgengrauen den Anker aus dem gut haltenden Grund der Bahia Buen Suceso. Es wird Zeit, den Sack zu zu machen. Bei Flaute und leicht südsetzender Strömung passieren wir Capo Buen Suceso und halten unter Maschine auf den Beagle Kanal zu. Gegen Mittag, wir spielen eben mit dem Gedanken die kommende Nacht in Puerto Español in der berühmten Bahia Aguirre zu verbringen, kommt Wind auf. SE sechs, in Böen sieben, sehr ungewöhnlich, und leider direkt in »unsere« Ankerbucht hinein. Also weiter, vor allem, wenn es so leicht geht, wie heute. Vier Stunden später stehen wir vor dem Eingang zum Beagle Kanal. Ein erhebender Augenblick. Die VERA segelt in geschichtsträchtigen Gewässern. Keine 60 Seemeilen trennen uns noch von Kap Hoorn, dem Kap der Stürme. Das Wetter passt. Wir könnten es runden, jetzt. Doch leider müssen wir zunächst nach Ushuaia, der »südlichsten Stadt der Welt«, um dort aus Argentinien auszuklarieren. Von dort müssen wir nach Puerto Williams in Chile zum einklarieren. Und erst dann können wir dort ein »Zarpe«, also eine Genehmigung für Kap Hoorn beantragen… Die Welt im Jahre 2018.

Chile und Argentinien tragen hier unten eine Art Kleinkrieg um einige auf den ersten Blick wertlose, felsige Inselchen aus, den kein Aussenstehender ohne näheres Nachforschen versteht: Nach der beinahe zeitgleichen Gründung und Unabhängigkeitserklärung beider Nationen meinten beide Seiten, das weitgehend unbewohnte Patagonien von Spanien übernommen zu haben. Nach verlustreichen kriegerischen Auseinandersetzungen wurde in einem 1881 geschlossenen Vertrag dem militärisch überlegenen Chile die alleinige Kontrolle über die Gebiete beiderseits der Magellan Straße zugesichert. Dies war für den stark auf Europa ausgerichteten Chilenischen Handel überlebenswichtig. Gewisse, weniger bedeutsame, »wertlose« Gebiete Patagoniens und einen Teil der Insel Feuerland beließ man unter Argentinischer Hoheit, wohl auch um dem unterlegenen Gegner die Gelegenheit zur Gesichtswahrung vor der Öffentlichkeit zu geben. Das Ergebnis können wir jetzt auf dem UKW Funk erleben. Alle paar Meilen müssen wir (und alle anderen Schiffe) abwechselnd der Argentinischen und der Chilenischen Marine unsere Lebensläufe buchstabieren. Auf Spanisch.

Noch vor Sonnenuntergang erreichen wir kurz vor Mitternacht die nächste gut geschützte Ankerbucht: Die Enseada Relegada, gleich neben der berühmten Estancia Harberton. BOUNCE geht zu Wasser, wir rudern an Land, und betreten das erste mal den Boden Feuerlands. Drei Tage lang erkunden wir die Gegend, vertreten uns die rostigen Seglerbeine, und atmen die Atmosphäre am Beagle Kanal, dem Ende der Welt. Die Estancia Harberton, die 1886 von dem Geistlichen Thomas Bridges und seiner Frau Mary Ann Varder (die aus Harberton in Devon stammte) gegründet wurde, wäre alleine einen ganzen Newsletter wert. B und ich lunchen zweimal auf der ehrwürdigen Estancia, nehmen an einer Führung teil, trinken Café, essen Rhabarberkuchen und schmökern in alten Artikeln und Büchern über Feuerland und seine Ureinwohner. Thomas Bridges Wörterbuch der Yaghan Sprache ist ein faszinierendes Dokument, das vieles widerlegt, was gemeinhin über Kultur und Sprache der Ureinwohner Feuerlands überliefert ist, darunter auch Charles Darwins erschreckend hochnäsigen Ansichten über die Primitivität der seinerzeit hier ansässigen Stämme.

Am sechsten Januar machen wir uns auf den Weg nach Ushuaia. Bei absoluter Flaute motoren wir die knapp 40 Seemeilen den Beagle Kanal hinauf. Schon von weitem erkennt man die überraschend große Ausdehnung der kleinen »südlichsten Stadt der Welt« am Fusse der schneebedeckten Anden. Die Lage der beiden Yachtclubs im großen Hafen ist ein wenig unübersichtlich. Onkel Hensoldt muss ran. Durch das Glas erkennen wir die beiden hohen Masten des berühmten Schoners WINDROSE OF AMSTERDAM. Sie liegt (wie wir vom AIS wissen) im Yachtclub AFASYN an der Pier. Die DANDELION, die uns wegen eintreffenden Besuches aus England in der Zwischenzeit überholt hat, liegt auch dort. Das ist fein, denn dort können wir einfach längsseits gehen. Bald sind unsere Leinen fest und sofort sind wir unter Freunden und fühlen uns angekommen. Das noch am selben Abend fällige Einklarierungsprozedere in Ushuaia erspare ich Euch an dieser Stelle. Zen.

Eine gut gelungene Woche verbringen wir in der kleinen, rustikalen Stadt mit diversen Behördengängen, Einkäufen, Diesel bunkern, erstklassige Steaks essen, dazu Kaffee und Kuchen im »
Ramos Generales«. An den meisten Tagen wehte es hart aus West, oder Nord, was wegen des regelmäßigen Kommens und Gehens im Yachtclub ständige Aufmerksamkeit bei der Bedienung von Leinen und Fendern erforderte. Ushuaia hat etwas von einem im Tal gelegenen Skiort in den Alpen, und in der Tat wird im nahe gelegenen Skigebiet den ganzen Winter über Ski gefahren. Mondäne Hotels, gute Restaurants, günstige Pensionen, zahlreiche Ausrüstungsläden mit allem, was gut und teuer ist. Es wird viel englisch gesprochen und französisch, von wilden Kerlen mit Bärten und Kletterschuhen und Holzfällerhemden, oder auch von Kreuzfahrttouristen mit viel Gore Tex und Rollkoffern. Sie fahren von hier aus in die Antarktis, das ganz große Abenteuer. Auf dem UKW hören wir den Kapitän des französischen Superschlittens LE LYRIAL den Kapitän der BREMEN um eine exklusive Schiffsbesichtigung für sich und seinen ersten Offizier bitten. Wahrscheinlich wollen sie auf dem alteingesessenen Hapag Lloyd Schiff spionieren…

Beim Abklappern der Werkstätten lernen wir die Stadt noch besser kennen. Am ersten Januar, pünktlich zum neuen Jahr, hat uns nämlich unsere auf den Kanaren neu eingebaute Eberspächer Heizung verlassen. Fehler 20. Das war kalt. Eine sehr schmerzhafte, komplette Demontage und Analyse ergibt, das der unzerstörbare, extrem robuste und für mindestens 20 servicefreie Jahre ausgelegte Vorglühstift den Geist aufgegeben hat. Die VERA schleppt seit Jahren tausende von Ersatzteilen mit. Dieses nicht. Ein Spezialist für Standheizungen in dieser gut gekühlten Stadt? Gibt es nicht. Im Bootsbedarf? Bei Toyota? Bei Mercedes? Bei VW? Beim allgemeinen Autozubehör? Fehlanzeige. Also bestellen und liefern lassen? Nach tagelanger Recherche verwerfen wir diesen Gedanken. Eberspächer hat keine Vertretung in Argentinien und es ist unmöglich, Teile aus Europa, oder den USA in Argentinien in die Finger zu bekommen. Sie werden in Buenos Aires beim Zollamt eingelagert. Für immer. Argentinien: Ein reiches Land, das von seinen korrupten Eliten bis zur Kreditunwürdigkeit ausgebeutet wurde. Der kleine argentinische Händler ist seitdem vom Welthandel abgeschnitten, ein Umstand unter dem das ganze Land sehr sichtlich leidet. Wir klarieren aus (nicht ganz so schlimm, man verfügte diesmal über Blaupapier) und verlassen den windigen und kalten Hafen gen Chile. Auf nach Puerto Williams, dem »südlichsten Dorf der Welt«.

Draussen im Beagle Kanal kommt uns die romantische
Dreimastbark EUROPA entgegen, soeben aus der Antarktis zurück, leider wegen des frischen Gegenwindes unter Maschine. Ein wirklich schönes, stolzes Schiff auf dem sonst auch noch anständig gesegelt wird. Ein großartiger Anblick vor schneebedeckten Bergen. Sechs Stunden später liegen wir in Puerto Williams sicher an einer Mooring, gleich hinter der DANDELION, fahren mit BOUNCE an Land und beginnen mit den Behördengängen. Prefectura Naval, Immigration, Zoll, Gesundheitsbehörde, wieder Prefectura Naval. Die Beamten sind überall ausgesprochen nett, aber der Papierkrieg steht dem in Argentinien in nichts nach. Immerhin: Wir dürfen, zunächst für drei Monate, in Chile bleiben.

In den nächsten Tagen erlaufen wir uns das Dorf, unternehmen eine harte Wanderungen (»Mudding«) ins Innere der Insel Navarino, trinken Café, essen Pizza und prüfen das Angebot in den drei kleinen Minimärkten vor Ort. Das ist nicht ganz unwichtig, da wir hier demnächst für drei bis vier Monate Wildnis bunkern müssen. Vor allem wegen des hier vorhandenen Stromanschlusses (Heizlüfter! Herrlich.) verlegen wir die VERA bald in eines der »Päckchen«, längsseits neben anderen Yachten, an der berühmten MICALVI. Der 1925 in Stettin aus Eisen gebaute Dampfer ist seit langem das Hauptquartier des »südlichsten Yachtclubs der Welt«. Die Bar an Bord genoss einst einen Ruf wie Donnerhall, das unsterbliche »Watering hole« der Antarktisfahrerszene. Leider ist sie nicht mehr. Niemand weiss so genau, was geschehen ist, aber die Chilenische Marine, die Eigentümer des Dampfers ist, duldet den Betrieb seit einigen Jahren nicht mehr. Das ist sehr, sehr schade und bringt uns mindestens um diverse köstliche »Pisco Sour«, die wir hier im Auftrag von Freunden verbechern wollten. Aber auch so ist es nett zwischen den anderen Yachten im Päckchen. Es ist alles dabei: Private Millionenyachten, große und kleine Expeditionsschlitten aus Alu oder Stahl, billige Bavarias, winzige, geteerte Aussteigeryachten mit hölzernen Spieren und Tauwerk aus Hanf, unter dem Kommando von langbärtigen Kapitänen. Ein bunt gemischtes Volk aus aller Welt voll abenteuerlicher Geschichten. Und Ratschlägen. Manche davon könnten sich bezahlt machen, »falls« wir in der nächsten Saison wieder hier sind, um das absolute Traumziel unter die Segel zu nehmen: Ein Törn in die Antarktis. Doch vorerst wartet noch ein anderer Job auf die VERA:
Rund Kap Hoorn.

Eine gute Woche lang warten wir auf ein passendes Wetterfenster. Sobald man die offizielle Genehmigung (»Zarpe«) der chilenischen Armada für eine Fahrt nach Kap Hoorn in der Hand hat (Zen), belagert man es normalerweise eine Zeitlang, buchtelt sich in Etappen heran, und verbringt die Nächte auf windigen Ankerplätzen mit viel Kelp und vielen Landleinen. »Unser« Wetterfenster ist insofern einmalig, als das es uns in zwei harten Tagen (und Nächten) gegen den Uhrzeigersinn durch die berüchtigte Bahia Nassau und einmal rund um die Archipele Islas Wollaston und Hermenite, um Kap Hoorn und zurück nach Puerto Williams bringen kann, immer vor dem Wind, der mit einem durchziehenden moderaten Tief passend mit uns herumdreht. Kap Hoorn im Handstreich, sozusagen. Diesen Plan setzen wir dann auch um. Nicht sehr bequem, zugegeben, aber: Ab dem Ausgang des »Paso Mantellero« jagen wir vor einem starken Westwind bei ehrfurchtgebietender Dünung knapp 30 Seemeilen im Südpazifik auf Kap Hoorn zu, und passieren es so wie es sich gehört: Bei Kälte, peitschendem Regen, heulendem Wind und schlechter Sicht. Zurück im Südatlantik biegen wir links ab und segeln bei raumendem und abschwächendem Wind zurück in den Beagle Kanal, den wir des Nachts bei absoluter Flaute bis Puerto Williams hinaufmotoren. Warum rund Kap Hoorn? Weil es da ist. Wer mehr lesen möchte, der klicke hier:
https://floatmagazin.de/orte/dem-teufel-ein-ohr-absegeln/

Es ist sicher zu früh für uns, ein Fazit zu ziehen zum segeln in den höheren Breiten. Jawohl, es ist kalt hier, und windig. Die hohen, schneebedeckten Berge aber stehen da, wie gemalt. Die vielen Tiere, Bieber, Wildpferde, Vögel, Delphine und Robben, die klare, blitzsaubere Luft, die langen Tage, die ein ganz einmaliges Licht und lange, farbenprächtige Dämmerungen bringen, fühlen sich gesund an. Die für uns ungewohnt kühlen Tage machen aktiv und sorgen für klare Gedanken. Lange Wanderungen putzen den Kreislauf durch. Sehr anregend auch die Seglerszene hier. Interessante Menschen, mit interessanten Biographien. Einige haben Zeit für uns, können sich einlassen auf einen offenen Gedankenaustausch. Das tut gut.

Unsere Glühkerze ist bestellt und per Post aus D auf dem Weg nach Chile. Sobald wir sie in der Hand haben (18 Werktage Laufzeit nach Santiago?) und die Heizung wieder läuft, werden wir uns aufmachen, gen Norden, nach Puerto Montt, wo wir den Winter verbringen wollen. 1.200sm Wildnis liegen vor uns, durch die Kanäle Chiles, die raue Inselwelt auf der Pazifikseite Patagoniens. Drei Monate Kälte, prasselnder Regen, heulender Nordwind ohne jede Versorgungsmöglichkeit, durch eine Landschaft für Feen und Elfen, die jede Mühe wert sein soll. Wir sind gespannt.


Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Puerto Williams / Isla Navarino / Chile



1 - Es ist geschafft: Der Eingang zum Beagle Kanal vor dem Bug der VERA.
Eingang Beagle Kanal

2 - VERA in der Bahia Relegada / Estancia Harberton.
VERA in der Bahia Relegada

3 - B betritt die Insel Feuerland.
Britta betritt Feuerland

4 - Altes Holz auf Feuerland.
Altes Holz Harberton

5 - Estancia Harberton, Feuerland.
Estancia Harberton Zeichnung

6 - Wilde Pferde unweit der Bahia Relegada.
Pferde in Harberton

7 - Pinguine am Beagle Kanal.
Pinguine

8 - Voraus Ushuaia, die »südlichste Stadt der Welt«.
Ushuaia voraus

9 - Onkel Hensoldt mit M.
Hensoldt

10 - VERA mit Artgenossen im »Yachtclub« AFASYN in Ushuaia.
VERA in Ushuaia

11 - Die Bark EUROPA begegnet uns im Beagle Kanal.
Bark Europa

12 - VERA im »Päckchen« an der MICALVI in Puerto Williams, einem 1925 in Stettin gebauten Dampfer. Das kleine weisse Boot am Bug der MICALVI ist eine J-24, ein Schwesterschiff unseres vorherigen Bootes MIA WALLACE.
Micalvi

13 - Das Ankerspill am Bug der MICALVI.
Ankerwinde Micalvi

14 - B und Kap Hoorn.
B am Kap Hoorn

15 - Seekarte Beagle Kanal und Kap Hoorn. Im Beagle Kanal seht Ihr die AIS Kennung diverser Kreuzfahrtschiffe, die von hier aus in die Antarktis fahren.
Beagle Kanal und Kap Hoorn Karte

032 - IN DIE »SCREAMING FIFTIES«

Hallo Ihr Lieben!

24.Dezember 2017, Heiligabend. 48 Grad Süd. Wir stehen auf der Höhe von Puerto Deseado, 190 Seemeilen südlich von Caleta Horno, unserem letzten sicheren Refugium. Absolute Flaute heute, nach einem feinen Segeltag mit frischem Nordwind im Rücken. Leider hält der nun nicht länger. Doch dafür haben wir den übel beleumundeten Golfo San Jorge bereits im Kielwasser. Eine Gruppe junger Albatrosse umkreiste gestern für einige Stunden die VERA. Die Seelen der hier in der Nähe unlängst bei katastrophalen Seebedingungen untergegangenen U-Boot Fahrer von der A.R.A. SAN JUAN?

Hinter uns hat sich die Crew der DANDELION entschlossen Puerto Deseado anzulaufen: Spritmangel. Wie gut, das wir den nicht haben. Puerto Deseado gilt als Herzensbrecher. In die enge Flussmündung laufen extrem schnelle und tückisch wechselhafte Tidenströme, die das ankern erschweren oder sogar gefährlich machen. Erst letztes Jahr hat dort eine deutsche Yacht aufgegeben: Gebrochene Ankerwinsch, nachdem sich eine Eisenbahnschiene im Grundgeschirr verfangen hatte. Vielleicht waren es auch die Nerven: Mit der dortigen Prefectura Naval muss man sich mindestens zweimal (zum ein- und dann nochmals zum ausklarieren) jeweils für einen halben Tag zum Zen zusammensetzen. Nix für uns.

Am Abend treibt die VERA bei rapide fallendem Luftdruck östlich von Kap Punta Medanosa, 20 Seemeilen südlich von Puerto Deseado. Dem Wettermodell zufolge sollte seit Stunden Starkwind aus West, später Südwest und dann wieder West herrschen, mit dem wir beabsichtigten weitere wichtige, wenn auch unbequeme Meilen gen Süden zu machen. Stattdessen drückt nun diese ominöse Flaute auf die Stimmung. Die schwarze Wand am Horizont sieht gar nicht gut aus. Mit den vorsorglich eingebunden zwei Reffs im Groß und dem kleinen Kutter dümpeln wir ohne Fahrt durchs Wasser in einem stark südsetzenden Ebbstrom und warten. Es wird dunkel. Gegen 22.00 Ortszeit laden mit Hilfe des Satellitentelefones ein frisches Wettermodell herunter. Dies zeigt überraschendes: Unser eigentlich einigermaßen brauchbares Wetterfenster für die Weiterreise nach Süden hat sich in Luft aufgelöst. Starke südliche Winde versperren den Weg, zumindest für 48 Stunden, evtl. auch länger. Was nun? Doch Puerto Deseado? Niemals. Hektisch konsultieren wir Handbücher und Karten. Sichere Ankerplätze gibt es wenige in dieser Gegend, und keinen einzigen weiter südlich. Die Enseada de Ferrer, knapp 10 Seemeilen entfernt, könnte laut Karten gehen. Die Beschreibungen in den Handbüchern sind spärlich. War fast noch nie jemand dort. Es ist wage von viel Kelp die Rede, der das ankern erschweren könnte, oder Propellersalat verursacht. Fünf Meter Tidenhub. Aber: Sie bietet als einzige einen vielleicht noch ausreichenden Schutz gegen den für später versprochenen starken Südost. Es wird psychologisch, schon wieder. Maschine an, Kurs auf die Enseada de Ferrer. Mitternacht. 25 Knoten aus Südwest jetzt. Mit Hilfe des Radars (geht immer noch) tasten wir uns bei absoluter Dunkelheit in die weite Bucht. Es ist finster wie im Bären…, aber der Seegang lässt nach, so wie er soll. Bei neun Metern fällt der Anker und hält. Vollgas rückwärts. Hält noch immer. Frohe Weihnachten. Das dunkle, argentinische Bier haben wir uns verdient. Und: Neben uns prustet und planscht es im Licht der Positionslaternen. Commerson Delphine, eine ganze Herde. Ab in die Koje. Der Südwind heult und rüttelt im Rigg und uns in den verdienten Schlaf.

Der Morgen enthüllt eine raue, einsame Gegend. Eine weitläufige Bucht mit fetten Kelpwiesen. Karstige, von der Sonne vertrocknete Hügel, vom Wind umtost. Karges Patagonien. Morgentee, dazu ein Ballett von zahllosen Delphinen: Neben den schwarzweißen Commersons gibt es hier noch mindestens eine weitere, wesentlich größere Art. Dort: Ein Salto! Das reinste Delphinarium. Und dort: Ein Magellan Pinguin, wie ein Pfeil unter Wasser. Man hat sich hier offenbar verabredet, leckere Fische gegen die VERA zu treiben und dort zu packen. Das große Fressen, wie üblich in der Natur. Wir verbringen, ganz unerwartet, einen recht gemütlichen ersten Weihnachtsfeiertag. Als der Dreher auf Südost wie angekündigt kommt, verlegen wir in die äusserste Südecke der Bucht, wo der Seegang dank eines Riffs und der großen Kelpfelder moderat bleibt. Es ist kalt geworden. Drei Lagen Faserpelz kommen kaum noch dagegen an. Abends, bei auf Deck prasselndem Starkregen, werfen wir zum ersten mal im Ernst unsere neue Eberspächer Heizung an. Es funktioniert! Schon bald haben wir lauschige 22 Grad unter Deck. B kocht ein Weihnachtsessen: Filetspitzen an Basmati - Butterreis, dazu eine würzige Erdnusssoße. Und eine Flasche Weisswein aus Uruguay.

Zwei Tage später sind wir wieder »auf der Piste«, mit einem frischen Wettermodell, das fast zu schön ist um wahr zu sein. Nord und später Nordwestwind, bis vor die Le Maire Straße… Am 27. Dezember 2017 um 13.40 Ortszeit überquert die VERA den 50 Breitengrad der Südhalbkugel. Die »Screaming Fifties« empfangen uns Neulinge mit feinen Segelbedingungen: 16 Knoten aus Nord, also genau von achtern, dazu Sonnenschein und Wärme. 120 überaus bequeme Seemeilen haben wir seit der Enseada Ferrer bereits abgesegelt und alle auf direktem Kurs zur Le Maire Straße, der Meerenge zwischen Feuerland und der Staateninsel, dem Tor in den ganz großen Süden, oder auch zur Hölle, das kommt wohl darauf an. Derzeit sieht noch alles gut aus. Wir picknicken in der Sonne auf dem Brückendeck und beobachten die Albatrosse. Majestätische Tiere, die fliegen können wie gemalt. Über tausend elegante Kilometer pro Tag ohne einen einzigen Flügelschlag. Was sie fressen ist nicht klar ersichtlich. Jedenfalls ist es ihnen unmöglich, in den Wellen nach Nahrung zu schnappen. Dazu müssen sie landen, und das tun sie offenbar hauptsächlich des Nachts, oder bei Flaute, die ihnen das fliegen nicht erlaubt. Albatrosse sehen eher schlecht, besitzen aber einen extrem hoch entwickelten Geruchssinn. So nehmen sie nährstoffreiche Krillfelder aus großer Entfernung wahr, und steuern diese dann zum Nachtmal an.

52 Grad Süd. Noch 160 Seemeilen bis zum Eingang der Le Maire Straße, ein Etmal also, so ungefähr. Wind werden wir haben. Bei Ankunft soll es mit über 40 Knoten aus Westnordwest wehen. Das Problem sind die starken Tidenströme in der Meerenge: Bis zu acht Knoten bei Springtide. Wind gegen Strom ist das Szenario, das es dort unbedingt zu vermeiden gilt. In der Le Maire Straße wurden schon stehende Wellen von zehn Meter Höhe gesichtet. Die Stromkabbelungen, die »Overfalls«, die »Eddies«, die »Whirlpools«, der »Malstrom« dort können ein kleines Schiff wie die VERA verschlingen. Wir müssen vorsichtig sein. Die Handbücher empfehlen ein mittiges einlaufen in die Meerenge bei Hochwasser. Am 29. Dezember also gegen 18.00 UTC. Eine Stunde danach beginnt der Ebbstrom nach Süden zu setzen. Derzeit laufen wir über sieben Knoten vor dem Wind, unter vollem Groß und ausgebaumter Genua. Zu schnell. Wir bergen das Groß, um zu bremsen. Ein Schnitt von knapp unter sechs Knoten ist das, was wir jetzt brauchen…

Hundert Seemeilen querab liegt der Eingang zur Magellanstraße, der Meerenge, die die Insel Feuerland vom Südamerikanischen Kontinent trennt. Leider sehen wir nichts davon. Zu verführerisch war die Abkürzung entlang des 65. Längengrades, die uns nun auf direktem Wege über die offene See zur Le Maire Straße führen soll. Fernão de Magalhães: Was für ein Name, was für ein Törn. Schade, das es den Mann 1521 bei einem Scharmützel um Bekehrungsfragen in den Philippinen erwischt hat. Ohne ihn schaffte es 1525 nur die VICTORIA, das zweitkleinste und einzige verblieben Schiff seines ursprünglich sehr ansehnlichen Geschwaders zurück nach Spanien, und damit wahrscheinlich als erstes Schiff um die Welt. An Bord waren da nur noch 18 Leute seiner ursprünglichen Crew von 237 Mann. Man hatte in großer Not den ehemaligen einfachen Bootsmann Juan Sebastián (später de) Elcano zum Kapitän gewählt, der dieses Vertrauen mit einer navigatorischen Spitzenleistung belohnte. Die Überlebenden genossen dauerhaften Ruhm. Die überschaubare, nasse und verfaulte Ladung Gewürze an Bord brachte immerhin noch genug Gewinn ein, um sämtliche Gläubiger der gesamten, unglücklichen Expedition zu bedienen…

53 Grad Süd. Jetzt gilt es: 35 Knoten aus Westnordwest, Groß im 2. Reff, der kleine, schwere Kutter ist gesetzt. Kurz vor Mitternacht noch immer ein dunkles Abendrot am Südwesthimmel. Es ist lausig kalt draussen und drinnen auch. Jagende Wolken vor dem halbvollen Mond. Es ist so unbequem unter und so nass an Deck, wie es sich für diese Gegend gehört. Noch 100 Seemeilen. Nicht die ersten 100 Seemeilen, die B und ich gemeinsam absegeln, aber vielleicht die haarigsten. Wünscht uns Glück.

30. Dezember. Es ist getan. Die VERA hat die Le Maire Straße erreicht und ankert friedlich in der »Bahia Buen Suceso«, ein gut gewählter Name, wie nicht nur wir finden. Charles Darwin schreibt dazu:

»A little after noon, we doubled Cape San Diego, and entered the famous strait of Le Maire. We kept close to the Fuegian shore, but the outline of the rugged, inhospitable Staten-land was visible amidst the clouds. In the afternoon, we anchored in the Bay of Good Success… The harbor consists of a fine piece of water half surrounded by low rounded mountains of clay slate, which are covered to the water’s edge by one dense gloomy forest. A single glance at the landscape was sufficient to show me how widely different it was from anything I ever beheld. At night it blew a gale of wind, and heavy squalls from the mountains swept past us. It would have been a bad time out at sea, and we, as well as others, may call this Good Success Bay.«

Die Ansteuerung gestern Nachmittag hatte es auch für uns in sich: Gute 40 Knoten über das Backstag, also Stärke acht nach Beaufort. Leicht nordsetzende Strömung, zumindest bis zu unserem Wegpunkt, sechs Seemeilen östlich von Capo San Diego, dem östlichsten Zipfel Feuerlands. Schwere See, aber für ein Boot wie die VERA nicht allzu gefährlich. Delphinherden jagen enthusiastisch in der Bugwelle. Unser »Timing« stimmt: Gegen 18 UTC kentert der Strom und beginnt nach Süden zu setzen. Von den gefürchteten »Overfalls«, den »stehenden« Wellen ist nirgendwo etwas zu sehen. Deshalb entschließen wir uns, direkt Kurs auf die »Bahia Buen Suceso« zu nehmen, bevor uns die immer stärker werdende Strömung daran vorbeiwäscht. Hoch am Wind können wir die ersehnte Bucht so gerade noch anliegen. Gegen 18.00 Ortszeit sind die Segel geborgen und der Diesel läuft. Dann fällt der Anker und hält. Schwere Fallböen aus den Bergen heulen im Rigg, aber die stören uns jetzt nicht mehr. Alles ist gut. Die Marinestation an Land ruft uns auf dem UKW und fragt, ob wir Hilfe oder Material benötigen. Dazu lädt man uns für morgen zur Silvesterparty ein. Das ist nett, aber wegen der hohen Brandung und unserem sorgfältig gestauten Dinghy lehnen wir mit echtem Bedauern ab. Die Umgebung ist rau, aber ganz anders, als die Patagonischen Wüsten: Die umliegenden Hügel und Felsen sind dicht mit Bäumen bestanden, denen man ansieht, woher der Wind weht. Hinter uns verhüllen Wolken die Sicht auf die berühmte »Isla de los Estados«, die Staateninsel: Es gibt dort einige spektakuläre Ankerplätze. Ein interessantes Projekt. Man benötigt dafür allerdings eine Sondergenehmigung der Prefectura Naval. Diese bekommt man in Ushuaia, mit viel Zen. Wir werden sehen.

Neujahr in der Bahia Buen Suceso: Fünf Seelöwen spielen, plantschen und prusten im Lichte des fast vollen Mondes um die VERA. Ein gutes Omen für 2018.


Herzliche Grüße an Alle und ein frohes neues Jahr von B und M / SY VERA / Bahia Buen Suceso / Feuerland / Argentinien / POS 54.47,9 S - 065.15,2 W


1 - Unter 990 Millibar zu Weihnachten: Und segne, was Du uns bescheret hast. Das Boot ist bereits tief gerefft.
Ruhe vor dem Sturm

2 - Unser (ungeplanter) Abstecher in die wilde Enseada de Ferrer.
Enseada de Ferrer

3 - Muntere Commerson Delphine spielen mit der VERA in der Enseada de Ferrer.
Commerson Delphine

4 - Commerson Delphine in der Enseada de Ferrer:
Ein Film von B+M.


5 - Erstmals wird uns richtig kalt. Viel Faserpelz hilft viel: M‘s hoch geschätzter »Flauschbär«.
Mein Faserpelz

6 - Regenbogen in den »Screaming Fifties«.
Tor in den Süden

7 - Albatross.
Albatross

8 - Die Sonne am südlichen Horizont.
Mitternachtssonne

9 - Cabo San Diego voraus.
Bohn Sails

10 - Die Le Maire-Straße (und einige Albatrosse) im Comic Strip.
Comic

11 - Die Le Maire Straße, Feuerland und die Isla de los Estados.
Ein Film von B und M.


12 - Buen Suceso.
Buen Suceso

13 - Unerwarteter Neujahrsbesuch in der Bahia Buen Suceso. Ein Film von B+M.


14 - Unsere Route in die »Screaming Fifties«. Die Rauten zeigen die jeweilige Mittagsposition.
Seekarte Fifties

031 - CALETA HORNO

Hallo Ihr Lieben!

Caleta Horno, Patagonien, die Wildnis, der Mars. Eines der Traumziele der Fahrtenseglerszene. Der schönste Ankerplatz Argentiniens. Und einer der schönsten der Welt. Wir sind hier, von Puerto Santa Elena kommend, nach einem weiteren herrlichen Tag unter Segeln. Sommer, Sonne und ein feiner Nordost, der uns und die DANDELION munter vor sich her trieb. Unterwegs spielen Delphine in unserer Bugwelle, darunter auch die schwarz und weiß gefleckten Commerson-Delphine, die aussehen, wie kleine Mörderwale.

Mit gemischten Gefühlen bergen wir die Segel und fahren im Kielwasser der DANDELION unter Maschine in den engen Fjord. Bis zu fünf Meter Tidenhub erschweren es, den Verlauf des Ufers und die Wassertiefe richtig einzuschätzen, trotz unserer recht genauen Karten. Es ist eng. Zu eng, um hier frei um den Anker zu schwingen. Wir werden eine andere Taktik anwenden: Anker dicht an der westlichen Felswand werfen und dann mit Hilfe des Dinghies zwei Landleinen zum östlichen Ufer ausbringen. Klingt einfach, ist es aber ganz und gar nicht. Zunächst einmal müssen wir uns den knappen Platz mit der DANDELION teilen, ohne das es Anker und Kettensalat gibt. Dann muss B mit BOUNCE und den beiden 100m Landleinen an Land gehen, und dort an den glitschigen Felswänden emporklettern und mit Hilfe von Kettenstücken, Schäkeln und diversem Tauwerk zwei Befestigungspunkte konstruieren, die die VERA auch bei dem hier üblichen Starkwind zu halten in der Lage sind. Währenddessen versuche ich (M) das Schiff auf der Stelle zu halten, bis B mit den Leinen zurück ist, die wir dann über die Winschen so einstellen, das sich ein gleichmäßiger Zug auf dem Ankergeschirr und den Leinen einstellt. Zwei Stunden später ist es vollbracht: VERA und DANDELION liegen fest und sicher nebeneinander an einem der paradiesischsten Plätze unseres Seglerlebens. Wir feiern das mit den drei Engländern und einer köstlichen Pasta bei uns an Bord.

Die nächsten, vorweihnachtlichen Tage sind geprägt von allerlei Basteleien, die sich auf See ergeben haben. Eines unserer Positionslichter will nicht mehr. Korrodierte Kontakte im gut gespülten Ankerkasten. Drei freche Sturmvögel haben den Windmesser im Masttop derart verbogen, das das Gerät nur noch Unsinn anzeigt. Die Schleppöse, mit der wir BOUNCE auf See an Deck befestigen hat es bei der letzten Starkwindepisode ausgerissen. Da helfen nur noch Epoxi, Glasfasern und Verstärkungsbleche aus Aluminium. Alles in allem sind wir bisher jedoch fast ungeschoren davongekommen. Selbst unsere Dieselvorräte sind noch beinahe vollständig. Ein größeres Problem ist dagegen die fällige Reinigung unseres Unterwasserschiffes, das schon seit eineinhalb Jahren und vielen tausend Meilen kein frisches Antifouling mehr gesehen hat. Dafür graben wir unseren alten Tauchkompressor aus, zerlegen und reinigen den Vergaser des kleinen Viertaktmotors, und füllen endlich die beiden leeren Tauchflaschen der DANDELION. Danach erledigen beide Crews den Job gemeinsam auf beiden Booten während eines harten, aber wunderbaren Tages unter saukaltem Wasser.

Und endlich bleibt auch einmal Zeit für Erkundungen in die Klippen, und ausgedehnte Wanderungen in eine bizarre, beinahe unberührte Umgebung, die nur sehr wenige Spuren menschlicher Gegenwart aufweist. Die Pampa Patagoniens reicht hinter der Caleta Horno bis zum Horizont. Vieles erinnert an die Küste des roten Meers, die Wüsten und Marsas des Sudans. Pastellfarben, vulkanisch, felsig, und aride. Wir messen Luftfeuchtigkeit unter 30%. Jetzt, zum Sommeranfang ist es recht kalt des Nachts, tagsüber aber schon mal über 25 Grad warm. Verschiedene See- und Greifvogelarten teilen sich die Caleta, offenbar ohne großen Streit; Pinguine, Kormorane, Enten, Reiher, Bussarde, Seeadler und viele weitere Arten. Die ersten Schritte in ein felsiges Tal: Niedriges, dorniges Gebüsch, Kakteen und eine phantastisch angepasste Fauna. Wir finden Höhlen von diversen Insekten, kleinen Nagern und wilden Hasen. Leider gelingt es uns nicht, ein Gürteltier zu finden, wie den Engländern von der DANDELION. Das auffallendste Tier hier ist das Guanaco, eine heimische Kamelart, von der u.a. das domestizierte Lama abstammt. Guanacos sind scheu. Es ist schwer, nahe an sie heranzukommen. Aber man sieht sie gut, und schon von weitem, da sie die höchsten Hügel und Grate bevorzugen, vermutlich weil sie von dort aus ihrerseits auch alles immer gut im Blick behalten können. Guanacos sind schöne Tiere, die einen herrlich eleganten Laufstil pflegen, ein sanftes gleiten, das schwer zu beschreiben ist. Charles Darwin war von diesen interessanten Tieren sehr angetan und beschreibt ihr Verhalten in »The Voyage of the Beagle« sehr detailliert. Hier ein Auszug: »The guanacos have one singular habit, which is to me quite inexplicable; namely, that on successive days they drop their dung in the same defined heap. I saw one of those heaps which was eight feet in diameter, and was composed of a large quantity. This habit, according to M.A, d’Orbigny, is common to all the species of the genus; it is very useful to the Peruvian Indians, who use the dung for fuel, and are thus saved the trouble of collecting it.«

Auf weiteren Ausflügen mit dem Beiboot erkunden wir die umliegenden Klippen und den langen, verzweigten Fjord, bis er sich in ein sumpfiges Wattgebiet öffnet, in dem langbeinige Reiher waten. In einer »Piratenhöhle« in den Klippen finden wir das »Gästebuch« der Caleta Horno, und natürlich tragen wir uns ein, als letzte in eine überschaubare Reihe von Fahrtenyachten, die in den letzten Jahren hier waren.

Alles in allem verbringen wir in der Caleta Horno einige der herrlichsten Tage unseres Lebens. Wir sind ohne größere Probleme bis hierher gekommen, hatten großes Wetterglück. Das sozialisieren, dinieren und musizieren mit der dreiköpfigen Crew der englischen DANDELION, Sue, Michelle und John bringt Spaß. Wir passen zueinander und harmonieren gut als Gruppe. In langen Gesprächen finden wir viele Gemeinsamkeiten. Und doch: Allzu bald und unerbittlich stellt sich bei allen das diffuse, etwas bedrückende Gefühl ein, weiter zu müssen. 700 Seemeilen bis zum Beagle Kanal liegen vor uns, und diese genießen seit den Tagen der Entdecker einen miesen Ruf: Kälte, Starkwind und unter Umständen mörderischer Seegang. Das Wettermodell verspricht allerdings für die kommende Woche annehmbare Bedingungen für dieses anspruchsvolle Projekt. Wir werden daher morgen, am 23.Dezember 2017, gemeinsam mit der DANDELION, nach Süden aufbrechen. Leider werden wir uns auf See wohl bald aus den Augen verlieren, aber das ist ohnehin kaum zu vermeiden. Hoffentlich sehen wir uns wieder, gesund und ohne Schäden an unseren Schiffen. Wünscht uns Glück.


Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Caleta Horno / 45.02,2 S - 065.41,0 W / Argentinien


1 - DANDELION und VERA in der legendären Caleta Horno.
Vera und Dandelion

2 - Morgentee mit Blick auf die DANDELION.
Morgentee

3 - B und BOUNCE in der Caleta Horno.
Britta und Bounce

4 - Zwischen Ebbe und Flut: Die Umgebung wirkt bizarr, wie auf einem fremden Planeten.
Pastelltöne

5 - Blick aus dem Rigg der VERA auf eine phantastische Landschaft. Links unten im Bild sind unsere Landleinen zu erkennen.
Pastelltöne 2

6 - M und BEAGLE, das Beiboot der DANDELION. Wir nutzen die Chance, Unterwasserschiffe und Propeller zu reinigen, solange das Wasser noch warm ist.
Beagle

7 - Die argentinische Pampa wirkt karg, aber kraftvoll. Jedes Tier, jede Pflanze hier hat sich in vielen hunderttausenden von Jahren an sie angepasst.
Gespenst

8 - Zehn Guanacos geben Fersengeld.
Guanacos Fersengeld

9 - Guanaco?
Guanaco

10 - Gästebuch der Caleta Horno in einer geheimen Höhle in den Klippen.
Gästebuch

11 - Seelöwe?
Seelöwe

12 - Einsamer Strand in Patagonien.
Strand

13 - B findet Weihnachtsdekoration.
Kieselparadies

030 - NACH PATAGONIEN

Hallo Ihr Lieben!

Am Montag, den 11. Dezember 2017 klarieren wir bei der »Prefectura Naval« in Mar del Plata aus (Sechs Stunden Zen) und laufen am späten Nachmittag aus. Draussen steht eine hohe, alte Dünung aus Süd, die auf den Magen geht und kaum Lust macht auf Meer. Mar del Plata war gut zu uns. Wir wären gerne noch ein wenig geblieben. Und: Das, was vor uns liegt, wird gewiss kein reines Vergnügen.

Aber: Ein Wetterfenster ist da und sieht brauchbar aus. B und ich haben uns, basierend auf den vorliegenden Daten, einen feingliedrigen Plan zurecht gemacht, der uns in vier oder fünf, wenn auch zum Teil anspruchsvollen, Tagen bis Caleta Horno bringen könnte, einem kleinen, gut geschützten Fjord mitten in der Wildnis Patagoniens, ungefähr auf halber Strecke zwischen Mar del Plata und dem Eingang zum Beagle Channel.

Das wir hier solch elaborierte Pläne machen können, zeigt beispielhaft, das die Dinge im Wandel sind auf unserem Planeten. Das GFS (Global Forecast System) Computer Modell des NWS (National Weather Service) der ein Teil der NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) der USA ist, versetzt uns in letzter Zeit immer wieder ins Staunen. Seit man dort kürzlich neue Computer installiert hat (die Rechenleistung stieg dadurch von 776 teraflops auf 5.78 petaflops), ist das GFS Modell, zumindest in den ersten drei bis fünf Tagen schon beinahe unheimlich genau. Robert Hilgendorf, der legendäre »Düwel von Hamborg«, hätte seine Freude daran gehabt, wenn er hätte erleben dürfen, was aus seinen frühen Überlegungen zur Meteorologie geworden ist. Was man mit dem GFS (und anderen Wettermodellen wie dem europäischen ECMWF) anfangen kann, zeigt derzeit der junge Franzose François Gabart, der mit seinem 30 Meter Trimaran dabei ist, alle Rekorde für eine Nonstop Weltumsegelung zu pulverisieren. Ich (M) male mir das gerade so aus: Der Junge sitzt in eben diesem Augenblick in seinem bequemen Schalensessel vor zwei supergroßen, hochauflösenden Flachbildschirmen. Dort sieht er die Hochdruck und die Tiefdruckgebiete vor sich, sieht ihre Zugbahnen, die resultierenden Winde und natürlich auch die Seebedingungen. Er verfügt quasi über zusätzliche Sinnesorgane, die weit, weit mehr leisten, als die ihm angeborenen, und ihn in die Zukunft des Wetters sehen lassen. Eine intelligent gemachte Software hilft ihm dann dabei, den besten Kurs zu finden, mit dem er dann seinen Autopiloten (den mit den Gyro Sensoren und der AI Einbindung) füttert. Der beste Kurs? Günstige Windwinkel und -geschwindigkeiten, möglichst glattes Wasser, immer schnell, aber nicht zu gefährlich für sein fragiles Boot, das bei günstigen Bedingungen in der Lage ist, über 800 Seemeilen pro Tag abzusegeln. Damit ist Gabart schneller als die tiefsten Tiefdrucksysteme und kann diese reiten, wie ein Seevogel den Wind. Ist Gabart also bereits ein »Cyborg«, ein Mischwesen aus Mensch und Maschine?

Unser Auslaufen erfolgte, dank GFS, jedenfalls zum richtigen Zeitpunkt: Am späten Nachmittag setzt sich der Nordost genau wie errechnet durch, bügelt den alten Schwell aus Süden glatt, und treibt die VERA mit acht Knoten in die Nacht. Wir folgen zunächst der Argentinische Küste, Kurs 230 Grad, also ziemlich genau gen Südwest. Die DANDELION aus England mit Sue, John und ihrem neuen Crewmitglied Michelle ist schon seit Mittag auf der Piste und sollte demzufolge etwa 20 bis 30 Seemeilen vor uns liegen. Die Jagd ist eröffnet. Passend dazu das spektakuläre Meeresleuchten im rauschenden Kielwasser des Schiffes, das aussieht, wie Abgase aus dem Triebwerk eines interstellaren Kreuzers. Und passend dazu: Ein ungeheurer südlicher Sternenhimmel, mit einer strahlenden Milchstrasse, wie wir ihn lange nicht mehr… tja, da sind sie die unvermeidlichen Wiederholungen. Werden diese Eindrücke irgendwann zur Routine, bis man sie nicht mehr wahrnimmt? Aber doch: Selten war die Luft so klar, wie gerade heute Nacht, wolkenlos, und dunkel ist es auch. Der abnehmende Halbmond geht erst gegen zwei Uhr in der Frühe auf. Ich (M) nehme mir den alten Herrn Hensoldt, setze mich raus, und starre in die Nacht. Gute Wache.

Vier Uhr früh: Es ist noch dunkel. Der Wind schralt, dreht weiter auf Nordwest. Der Spibaum, mit dem die gereffte Genua nach Luv ausgebaumt ist, muss runter. Ein nasses, unbequemes Manöver auf dem gut gespülten Vordeck. An BB voraus taucht ein einzelnes Licht auf, erst weiß, dann grün, zum Greifen nah: Die VERA rauscht an der DANDELION vorbei, als wenn sie dort vor Anker läge. Das kommt gut. Sue und John haben es bequemer als wir. Geschütztes Mittelcockpit, beheiztes Ruderhaus mit eigenem Steuerstand und begehbarem Maschinenraum darunter, und dazu einen opulenten Salon mit viel Platz für viele Gäste. Die schnelle, sportliche VERA dagegen ist kein Landhaus auf dem Wasser. Der Physiker Arthur Beiser eröffnete seinen Bestseller »The Proper Yacht« so: »I start from the premise that no object created by man is as satisfying to his body and soul as a proper sailing yacht.« Über die Frage, was eine »proper sailing yacht« ist, streiten sich seit jeher die Geister. Sicher ist, das Wohnkomfort vor Anker und im Hafen der Leistung eines Segelbootes auf See abträglich ist. Yachtkonstrukteure suchen daher immer den »besten« Kompromiss. Man kann das Dilemma so ausdrücken: »There are three parameters in boats: Performance, Comfort and Price. You can’t have them all - but need to pick two.« Wirklich komplex wird die Aufgabe allerdings erst dann, wenn man einen vierten, wesentlichen Parameter mit einbezieht: Kultur.

40 Grad Süd. Die »Roaring Fourties« empfangen uns Neulinge mit einer ominösen, öligen Flaute und stark fallendem Luftdruck. Zwei Stunden lang läuft der frisch gewartete Diesel zur Probe. Marschfahrt gen Südwest. Voll geladene Batterien und heißes Wasser im Boiler sind der angenehme Nebeneffekt. Dann setzt der angekündigte Südwind ein. Und wie. Seit Sonnenuntergang bekommen wir es mächtig eingeschenkt. In Böen 40 Knoten, 15 mehr als vorausgesagt (?), Beaufort 8 und bald 9. Dazu ist es bitterkalt. So hoch beim Wind wie es noch so eben geht prügeln wir das Boot unter kleinsten Segeln bei ständig höher werdendem Seegang weiter nach Westsüdwest. Die Wache ist nur noch unter Deck auszuhalten. Ein infernalisches Orgeln und Pfeifen ist aus dem Rigg zu hören. Grünes Wasser kracht gelegentlich an Deck, was von unten durch die wasserdichten Decksluken recht beängstigend aussieht. Hoffentlich hält alles. Der Magen, der Harndrang, Ihr versteht schon. Morgen früh soll es nachlassen und zurückdrehen. Falls dem so wäre, hätte sich der Tanz gelohnt. Der nachfolgende feine Nordost sollte bequemere Meilen gen Südwesten bringen.

Bei Tagesanbruch ist alles so, wie es sein soll. Das Baro steigt, Nordost um die 20 Knoten. Drei rußig grau gefiederte Albatrosse umkreisen die VERA. Es fällt nicht leicht, von diesem Anblick unbeeindruckt zu bleiben, selbst bei diesen eher kleinen Exemplaren. Unglaublich, wie elegant sie mit ihren extrem langen und schmalen Flügeln mit dem Aufwind der Wellenkämme spielen, abkippen und kreisen und gelegentlich mit den Flügelspitzen eintauchen. Die Altvorderen glaubten, das es sich bei diesen Vögeln um die Seelen ertrunkener Seeleute handele. Heute nimmt die Zahl der Albatrosse stetig ab. Vielleicht, weil immer weniger Seeleute ertrinken? Ob wir wohl als Seeleute gelten würden, falls wir in dieser Gegend verunglücken? Ich (M) denke, das es schlimmeres gäbe, als danach eine Zeitlang elegant im Südmeer umherzufliegen.

Die dritte Nacht auf See. Meine (M‘s) Wache: Das Baro fällt wieder, aber nicht beängstigend. Eine schwache Kaltfront aus Süden zieht draussen auf See an uns vorbei. Wie erwartet dreht der Wind allmählich über Nord auf West und dann Westsüdwest. In Etappen nehme ich die Segel dichter, bis wir hoch am Wind laufen. Der Kutter steht schon seit dem Abend, für alle Fälle. 17 Knoten über Deck jetzt, allmählich zunehmend, absolut glattes Wasser, wohl wegen der Landabdeckung. Die VERA läuft mit rauschender Bugwelle durch eine samtige Nacht: Gute sieben Knoten bei 25 Grad Lage, mit der Fussreling so gerade noch nicht im Wasser, dabei fast regungslos, beinahe schwebend. Traumhaftes segeln. Dazu: Aufgelockerte Bewölkung, glasklare Luft mit funkelnden Sternen. Es riecht nach Land, patagonischem Land. Vier Uhr früh: Im Osten beginnt es zu dämmern. Und dort: Eine feine, silbrige Mondsichel steigt eben über den Horizont. Noch schnell ein Reff ins Groß, und dann B wecken, die noch friedlich schläft. Die nächste Wache gehört ihr.

14. Dezember: Eine weitere Nacht auf See nach einem der schönsten Segeltage, die wir je erleben dürften. Kaiserwetter, perfektes segeln, weiterhin hoch am Wind, auf einem noch immer unwirklich spiegelglatten Meer. Ein gläserner Horizont, pastellfarben, ein unglaublicher Sonnenuntergang mit einer surrealen, riesengroßen Sonnenscheibe, die am Horizont verläuft wie geschmolzenes Glas. Leider wird das Wetter nicht halten. Ein »Pampero« ist unterwegs, der es ernst meint. Mit seinem Eintreffen ist morgen Nachmittag zu rechnen. Wir könnten es theoretisch bis Caleta Horno schaffen. Dort aber dürfte es dann bereits mit 50 Knoten wehen, Windstärke zehn. Da wäre es nicht empfehlenswert, in einem engen, unbekannten Fjord herumzurangieren und mit langen Landleinen zu hantieren, die das Handbuch dringend empfiehlt. Was nun? Puerto Santa Elena wäre eine Möglichkeit. Die Bucht liegt 40 Seemeilen näher an unserem jetzigen Standort, ist gut gegen West- und Südwestwinde geschützt und soll gut haltenden Ankergrund aufweisen… Mitternacht: Leichter Südwind, rapide fallender Luftdruck. Es wird psychologisch: Aus Nervosität binde ich zwei Reffs ins Groß. Nur keine unangenehmen Überraschungen jetzt… 03.00 Uhr: Blinder Alarm. Flaute aus allen Richtungen. B und ich wechseln die Besegelung im 10 Minuten Takt, dann läuft der Diesel.

Im Morgengrauen sitzt eine Gruppe Albatrosse voraus im Wasser. Sie ignorieren die herannahende VERA. Bei Flaute sind diese großen Vögel praktisch flugunfähig, da das Schlagen mit den langen Schwingen zuviel Energie verbraucht. Aber nun taucht ein großer Seelöwe direkt neben Ihnen aus dem Wasser und zeigt Interesse. Sie murren vernehmlich und rudern eifrig in die Gegenrichtung. Der Seelöwe taucht unter ihnen durch und auf der anderen Seite wieder auf. Er will spielen. Das folgende, zeterzwitschernde Gruppenstartmanöver mit viel Geflatter und pitscherndem auf dem Wasser Laufen dürft Ihr Euch denken.

Voraus öffnet sich der Eingang nach Puerto Santa Elena. Wir sind da, werfen Anker mit 80 Meter Kette und fahren ihn mit Vollgas rückwärts ein. Der »Pampero« kann, laut Barometer, nicht mehr weit sein und auf den wollen wir vorbereitet sein. Die Szene an Land wirkt karg, aber meditativ. Keine Gebäude, keine Menschen, keine Bäume, keine Tiere. Harmonisch wirkende pastellgrüne Hügel, Felsen, Gräser, gelbe Steppe unter einem hellblauen Sommerhimmel. Wir gehen in die Koje und machen einen ausgiebigen Mittagsschlaf. 546 gute Seemeilen in dreieinhalb guten Tagen liegen im Kielwasser. Am Abend, es weht bereits mit über 30 und später 40 Knoten aus Westsüdwest, kämpft sich die DANDELION gegen heulende Böen auf den Ankerplatz. Das ist gut. In dieser abgelegenen Wildnis ist es angenehmer, in guter Begleitung zu sein. Übermorgen, wenn der Sturm vorüber ist, segeln wir gemeinsam nach Caleta Horno…


Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Puerto Santa Elena / Argentinien


1 - Aufgehende Mondsichel auf dem Weg nach Patagonien.
Mondsichel

2 - Hoch am Wind in den »Roaring Fourties«: Seht Euch das spiegelglatte Wasser an!
Am Wind

3 - Gesetzt sind neben dem Groß die Genua und der Kutter: Das gibt Sicherheit und mehr Optionen im Falle eines Wetterwechsels.
Genua und Kutter

4 - Ankunft in Puerto Elena. Der nächste »Pampero« ist im Anmarsch.
Puerto Santa Elena

5 - Unsere Route nach Patagonien. Die Rauten zeigen die jeweiligen Mittagspositionen.
Unsere Route nach Patagonien


029 - ZWISCHENSTOPP IN MAR DEL PLATA

Hallo Ihr Lieben!

Am Donnerstag, den 30.11.2017 nähern wir uns zu später Stunde bei erneut stark auffrischendem Nordost der argentinischen Hafenstadt Mar del Plata. Beim Anlaufen eines Hafens in Argentinien ist es Pflicht, sich vor Ankunft über UKW - Radio bei der »Prefectura Naval« anzumelden. Der Wachhabende verpflichtet uns, eine Seemeile vor der Hafeneinfahrt zu warten. Ein Fischereifahrzeug soll demnächst auslaufen… Wir bergen die Segel und stampfen mit minimaler Fahrt erbärmlich gegen den hohen Seegang zurück nach Nordost. Zum Glück lässt man nach einer Stunde Gnade vor Recht ergehen, und wir dürfen hinein. Erleichtert passieren wir die mächtigen Molenköpfe, laufen in das äussere Hafenbecken der beiden hiesigen Yachtclubs und werfen den Anker. Einladend sieht die Szene im Dunkel der Nacht nicht aus: Verfallene Industriegebauten, Lagerhallen, Kräne, Fischdampfer. Es riecht nach verrottetem Fisch und schlimmerem. Ein großer pelziger Seelöwe schwimmt vorbei und blinzelt uns zu. Immerhin. Ab in die Koje.

Der neue Tag bringt blauen Himmel und frische Tatkraft. Da die Einfahrt zum eigentlichen Yachthafen leider zu flach für den tiefen Kiel der VERA ist, bleiben wir zunächst vor Anker liegen, bringen BOUNCE zu Wasser und fahren unter einer ehrwürdigen, stählernen Drehbrücke hindurch in das innere Hafenbecken. Gleich an einem der ersten Schwimmstege liegt die DANDELION aus England, eine stäbige 50 Fuß Yacht mit Kanuheck. Sue und John haben zu unserer Freude ähnliche Pläne wie wir. Da sie schon eine Woche lang hier sind, bekommen wir bei gutem englischen Kaffee sogleich eine Flut von wertvollen Informationen aus erster Hand: Formalitäten, Liegeplätze, Kosten, Internet, Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants und noch viel mehr.

Im »Club Nautico Mar del Plata« (CNMP) begrüßt man uns mit: »Hola, como estas?«, einem breiten Lächeln und der Information, bis zum baldigen Eintreffen der »Health Control« an Bord abzuwarten: Quarantäne. Wir kommen schließlich aus Übersee. Als nach drei Stunden noch niemand da ist, bitten wir Sue und John über UKW Funk um Hilfe. Sie versichern uns, das man seit kurzem selber zum Gesundheitsamt gehen muss. Das tun wir dann auch mit Erfolg. Bald haben wir für ein paar Pesos ein Dokument in der Hand, das unsere vollständige Gesundheit garantiert. Mit diesem gehen wir nacheinander zum Einwohnermeldeamt, zum Zoll und zur Hafenpolizei, zurück zum Boot, um die Wartungspapiere der Rettungsinsel zu holen, und dann noch mal zur Hafenpolizei, Papier, Papier, Papier. Das dauert und gibt uns ein erstes Gefühl für die Lage vor Ort. Alles bestens. Zurück im Club genehmigen wir uns zwei große »Isenbeck« und zwei riesige panierte Schnitzel mit Pommes.

Am zweiten Tag vermietet uns die nette Chefsekretärin des CNMP für 17$ US pro Tag den einzigen freien Platz mit Strom und Wasser am äusseren Schwimmsteg des Clubs. Der liegt zwar außerhalb des inneren Hafenbeckens und ist etwas baufällig, aber immer noch gut genug gegen schweres Wetter geschützt. Bald darauf liegt die VERA fest und sicher zwischen hohen Dalben und zwei abenteuerlich aussehenden einheimischen Yachten. Das erste mal, seit wir Europa vor bald einem halben Jahr verlassen haben, verfügen wir hier über Landstrom und fließendes Wasser. Klar, das wir uns sogleich sehr wohl fühlen im sportlichen CNMP. Ein herrliches Frühlingswochenende steht bevor. Überall werden Rennjollen aufgetakelt, Optimisten, Europes, 49er, Motten auf Tragflächen. Segel flattern im frischen Wind, und Sportler in Neopren, oder Trockenanzügen laufen geschäftig auf und ab. Das erinnert B an eine Kindheit im »BYC«, M an den »VSaW« und uns beide an längst vergangene Regatta Tage…

In der folgenden Woche lernen wir Mar del Plata sehr zu schätzen. Eine kleine Großstadt mit sportlichen Einwohnern und allem drum und dran. Ein wuseliger Fischereihafen, Marinestützpunkt, Seebad, Urlaubsort für argentinische Mittelschicht mit kleinem Kulturangebot. Das Stadtbild ist geprägt von großen Kontrasten. Da stehen verfallene oder auch mit großem Aufwand sanierte altenglische Landhäuser in Fachwerk und rotem Ziegel neben gut gemachten, hochmodernen, oder auch gnadenlos uninspirierten Hochhäusern. Da führt ein breiter Boulevard aus der verslumten, zugemüllten und stinkigen Hafengegend zum hiesigen Marinestützpunkt mit der allgegenwärtigen Trauerbeflaggung für das verloren gegangene U-Boot A.R.A. SAN JUAN mit 44 Toten, bei dessen Untergang deutsche Firmen geholfen haben sollen (
https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/verschwundenes-u-boot-san-juan-verdacht-gegen-deutsche-firmen-a-1182564.html ). Von dort gelangt man zum gepflegten Gelände des Golfclubs und vorbei an mondänen Strandclubs des Seebades, bis zu einem quirligen Einkaufsviertel, an dem so kurz vor Saisonbeginn (wie schon letzte Woche in La Paloma, Uruguay) noch überall gezimmert wird. Zumindest die private Wirtschaft scheint wieder zu brummen in Argentinien. Die großen, internationalen Ketten fehlen fast völlig. Dafür liegen individuell gestaltete, sympathische Cafés, Bars, Restaurants, Boutiquen, Schuhgeschäfte, »Outdoor« Läden, Delikatessläden, Bäckereien und Elektronikshops kleinteilig beieinander. B kauft ein paar giftgrüne Crocs. Die alten in grellorange sind verschlissen. Wir durchstreifen feine, gut durchgrünte Wohngegenden mit teilweise sehr ansehnlichen Bauten. Überall blüht es in den sehr gepflegten Gärten. Es riecht nach frisch gemähtem Rasen. Herrliche alte Autos stehen in Carports, oder werden gewaschen. Auffallend sind die vielen italienisch geprägten Feinkostläden. Es duftet nach gutem Café, würzigen Salamis und altem Käse. Wir kaufen frische Pasta, Pesto und eine perfekte Bolognese. Aber natürlich dinieren wir auch auf Argentinisch, und zwar fürstlich: »Parilla« ( https://pickupthefork.com/2016/10/11/a-guide-to-the-argentine-asado/ ) im »Los Garcia«. Sensationell.

Es ließe sich aushalten in Mar del Plata, vielleicht sogar leben, keine Frage. Aber deswegen sind wir nicht hier. Der Sommer kommt mit großen Schritten und holt uns ein. Höchste Zeit, weiter Süd zu machen. Doch vor dem Auslaufen ist noch einiges zu regeln: Wäscheberge waschen, Staub saugen, Nahrungsmittel für zwei Monate in der Wildnis bunkern, Diesel und Benzin ergänzen, sorgfältiger Riggcheck, Inbetriebnahme der Eberspächer Heizung, die große Motorwartung: Öl- und Filterwechsel, Ventilspiel auf 0,4mm justieren, Impellerwechsel an der Kühlwasserpumpe, Keilriemenwechsel. Wir bauen neue Thermostaten ein, und beseitigen (hoffentlich) ein kleines, nerviges Kühlwasserleck, das uns in den letzten Wochen aufgefallen ist. Und: Der neue Öldrucksensor ist drin. Der Öldruck stimmt jetzt wieder, zumindest laut Anzeige. Gut so.

Was wir jetzt brauchen ist ein gutes »Wetterfenster«. Zwischen Mar del Plata und dem Eingang zum Beagle Channel liegen über 1000 Seemeilen durch eine wilde Gegend, die einen sehr schlechten Ruf genießt. Besonders berüchtigt ist die Kälte und das oft schwere, rasch und unvermittelt wechselnde Wetter. Dazu kommt bei ungünstigen Bedingungen ein zerstörerischer Seegang. Die patagonische Küste gilt als öde und gefährlich. Sichere Ankerplätze oder Häfen gibt es dort nur sehr wenige. Montag Abend könnte es losgehen. Wünscht uns Glück.


Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Mar del Plata / Argentinien


1 - Ankunft in Mar del Plata vor einem steifen Nordost.
Ankunft

2 - Vor Anker nach der Ankunft in Mar del Plata.
Nach der Ankunft

3 - Ein wohlverdientes, großes »Isenbeck« im Clubhaus des »CNMP« (Club Nautico Mar del Plata).
Isenbeck

4 - Der erste Liegeplatz mit Wasser und Strom für die VERA seit wir Europa vor bald einem halben Jahr verlassen haben.
VERA am Steg

5 - Mar del Plata im Ausnahmezustand: Patriotische Trauerbeflaggung am Gelände der Marinebasis für die Besatzung des verschollenen U-Bootes A.R.A. SAN JUAN.
U-Boot Trauer

6 - Fischstäbchen für Alle.
Fischereiflotte

7 - Vorsaison in Mar del Plata.
Vorsaison

8 - Seenebel.
Nebel

9 - B im netten Straßencafé.
B im Cafe

10 - Interessante Kontraste in Mar del Plata.
Kontraste

11 - »Parilla«: Fleischlastige Kost im »Los Garcia«.
Parilla

12 - Ehrwürdiger Lastwagen mit zuverlässiger Technik.
Laster

13 - Flossiges am Wegesrand.
Flossiges

14 - Der alte Volvo der VERA ohne Thermostate.
MD31A

15 - Mar del Plata vom Masttop der VERA aus gesehen.
Blick aus dem Rigg