SY VERA

Into the screaming 50th: A voyage to Tierra del Fuego and Cape Horn

012 - NACH LAS PALMAS

Hallo Ihr Lieben!

Las Palmas Raumhafen: Seit langer Zeit verproviantieren Seeleute dort ein letztes mal ihre Schiffe, bevor sie endgültig zu neuen Ufern aufbrechen, denn dort gibt es alles benötigte direkt am Weg: Spelunken, Werkstätten, Chandler, Gemüsehändler. Und dorthin wollen auch wir, obwohl der Abschied von »unserer« kleinen Trauminsel La Graciosa nicht leicht fällt. Werden wir uns wiedersehen?

Ein feiner NE bei glatter See erleichtert den Absprung. Nur unter ausgebaumter Genua gluckert die »VERA« gemächlich gen SW und hinein in eine pechschwarze Nacht, im Kielwasser eine hell leuchtende Schleppe Meeresleuchten. Es ist trocken und warm an Deck, so angenehm wie selten. M hat die erste Wache, bis Mitternacht. Allein mit mir, zum ersten mal seit einigen Wochen. Orion wälzt sich markant im SE hinauf und gesellt sich zum leuchtenden Band der Milchstrasse. Das charakterstarke »Hensoldt 7 x 50« in meinen Händen müht sich redlich, sie in unzählige winzige Sternchen aufzulösen. Noch drei Stunden bis zum Mondaufgang und zum Wachwechsel. Zeit genug zum sinnieren, über die beängstigend lange »ToDo« Liste, oder auch das »
Fermi Paradoxon«…

Die aufgehende Sonne bringt frisch gebrühten »Earl Grey« mit Xucker und Milch. Gran Canaria und die Skyline von Las Palmas liegen voraus im morgendlichen Dunst. Eine ganze Herde Delphine spielt fangen in der Bugwelle und schlägt übermütig Purzelbäume. Das sieht lustig aus und bringt gute Laune. Wir haben es nicht eilig, wollen nicht vor Mittag dort sein, schon der »ARC« wegen. »ARC«? Die »Atlantic Rally for Cruisers« findet seit 1986 in jedem Jahr statt. Hunderte von Boote brechen Ende November von Las Palmas aus gemeinsam in die Karibik auf, nach Rodney Bay auf Santa Lucia, im ernsthaften Kräftemessen, oder im spielerischen Wettbewerb.

Unser Timing ist gut. Gegen 12.30 UTC dümpeln wir unweit der Startlinie und beobachten, wie die heißesten Renner unter schwarzen Carbonsegeln bei 0.00 mit Höchstfahrt ins Rennen gehen, gefolgt von einem Riesenschwarm gemächlicherer Fahrtenyachten. Das ist schon der dritte »ARC« Start, den wir »life« beobachten durften. 2001 war das erste mal. Damals standen wir auf der Kaimauer und blickten den auslaufenden Booten nach, voller Neid und voller Wehmut. Wir hassten die Flugtickets in unseren Taschen, nach Hannover, in den Graupel, morgen früh. Dort wollten wir nicht hin. Über den Atlantik wollten wir, in die warme Karibik, unter Segeln, am besten gleich. 2006 war es dann endlich soweit. Unsere australischen Freunde Caylie und David hatten ihre »Steamy Windows« für das »ARC« angemeldet und natürlich durften sie mit der Flotte komfortabel in der »Muelle Deportivo« residieren. Die »VERA« nicht. Zwei Wochen lagen wir auf dem überfüllten Ankerplatz und beobachteten das muntere Treiben. Unser Plan sah vor, auf perfektes Wetter warten, einen hübschen, gleichmäßigen NE, auslaufen vor dem »ARC«, oder danach. Bloß nicht gezwungenermaßen an einem fest vorgegebenen Termin, womöglich gegen einen hässlichen SW… Der Starttermin kam, das Wetter passte perfekt, Spinnaker hoch, hinaus ins Blaue, zeitgleich und gemeinsam mit der »Steamy Windows« und der gewaltigen »ARC« Flotte. »AIS«, oder einen »Tracker« gab es damals noch nicht, nur »Row Calls« auf Kurzwelle, oder Boot zu Boot Kontakte auf UKW. Die Angst vor Kollisionen in der Nacht legte sich rasch. Nach 24 Stunden hatten wir niemanden mehr in Sicht. Seltsam war nur, das wir doch irgendwie gegen virtuelle Gegner segelten, neugierig, wo wer wann stand, und detaillierte Überlegungen zur schnellsten Segelkombination und zur optimalen Routenwahl anstellten. Unsere Vergangenheit als Regattasegler ließ uns nicht los, irgendwie. In 18 Tagen segelten wir die »VERA« damals nach Antigua, zu zweit, 180sm im Tagesdurchschnitt, wohl auch dank einer eher nördlichen Route, nur wenig südlich des Großkreises, die wir aus dem kaiserlichen
Segelhandbuch für den Atlantischen Ozean herausgeknobelt hatten…

Dieses mal wollen wir nicht mit. Wir haben selbst einen bequemen Platz in der Marina »Muelle Deportivo de Las Palmas« gebucht, um hier eine Zeitlang für das nächste Jahr und den kommenden Törn nach Südamerika zu rüsten. Gegen den Strom der auslaufenden Boote motoren wir auf die Hafeneinfahrt und die Stadt zu. An Steuerbord liegen an langen Kais prächtige Containerschiffe, Bohrinseln, mächtige Kreuzfahrer und etliche Großsegler, darunter die »Sea Cloud«, und die »Alexander von Humboldt«. An Backbord liegt die fast leere Marina. Wir steuern den noch immer brechend vollen Ankerplatz an und werfen das Eisen ohne rechte Begeisterung in eine knappe Lücke auf fragwürdigen, steinigen Grund.

Das Personal der Marina hat gerade 200 »ARC« Boote verabschiedet und ruft inzwischen auf dem UKW Kanal 11 nach einer langen Warteliste 200 neue Boote auf, die fast alle vor Wochen oder Monaten vorab gebucht haben. Wir zum Glück auch. Uns gehört die Nummer 52. Einen ganzen Tag lang lauschen wir nun angespannt auf »unseren« Aufruf. Die Kommunikation auf dem UKW ist sehr unterhaltsam. Ständig erreichen weitere Boote den Hafen, in der Annahme, hier eine vollkommen leere Marina vorzufinden. Dem ist aber leider nicht so, lange Warteliste, Neuankömmlinge hinten anstellen. Das wollen diese aber nicht und argumentieren meist leidenschaftlich mit dem »Operator«, der offenbar ganz allein gegen das Chaos kämpft. Das hört sich dann ungefähr so an (den jeweiligen schweren Akzent müsst Ihr Euch dazudenken):

- »Number 24, this is Las Palmas Marina, do you read me?«
- »Las Palmas Marina, Las Palmas Marina, this is sailing vessel »TOO GOOD TO BE TRUE, TOO GOOD TO BE TRUE, TOO GOOD TO BE TRUE, do you read me?«
- »TOO GOOD TO BE TRUE«, this is Las Palmas Marina, what can we do for you?«
- »Las Palmas Marina, this is »TOO GOOD TO BE TRUE«. We are coming in from Madeira and are requesting a berth in your Marina. Can we proceed to the waiting quay?«
- »»TOO GOOD TO BE TRUE» this is Las Palmas Marina. Are you on our waiting list?«
- »Which waiting list?«
- »»TOO GOOD TO BE TRUE» this is Las Palmas Marina. We have no berth available right now. Please go to the anchorage area and standby on channel 11.«
- »Las Palmas Marina« this is »OCEAN GOOSE«, Number 85. We have been shopping in town for the last two hours. Have you perchance called us in the meantime?«
- »Las Palmas Marina, this is »TOO GOOD TO BE TRUE«. We have sailed through the night and are very tired. Your Marina is almost empty. Can we please just come in and get a berth?«
- »TOO GOOD TO BE TRUE«, this is Las Palmas Marina. We have no berth available right now. I repeat: We have no berth available. Please go to the anchorage and standby on channel 11«
- »Las Palmas Marina« this is »OCEAN GOOSE«, Number 85. Have you called us in the meantime?«
- »OCEAN GOOSE« this is Las Palmas Marina. We haven‘t called you yet. Standby on channel 11, please.«
- »Las Palmas Marina, Las Palmas Marina, this is sailing vessel »BIG TIME, BIG TIME, BIG TIME, do you read me?«
- »BIG TIME«, this is Las Palmas Marina, what can we do for you?«
- »Las Palmas Marina, this is »BIG TIME«. We are number 136 on your waiting list, but we need a berth immediately, I repeat immediately. Our toilet is broken, we are sinking, can we come in?«
- »Las Palmas Marina, this is »TOO GOOD TO BE TRUE«. Can we discuss about our berth right now? As I said, we are dead tired and would like to proceed to the waiting quay!«
- »Stand by please, channel 11.«
- »Las Palmas Marina, Las Palmas Marina, this is sailing vessel »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, do you copy?«
- »EISZEIT«, this is Las Palmas Marina. What can we do for you?
- »Las Palmas Marina, this is »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, do you copy?«
- »EISZEIT«, this is Las Palmas Marina?«
- »Las Palmas Marina, this is »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, do you copy?«
- »Las Palmas Marina, this is »BIG TIME«. We are sinking. We are going down. Do you read me«
- »Please stand by on channel 11.«
- »Las Palmas Marina, this is »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, »AUSZEIT«, do you copy?«
- »Number 25, this is Las Palmas Marina, do you read me?«


…und so weiter, bis in die Nacht. »Number 52, VERA« ist am nächsten Tag vormittags dran. Wir machen keinen Ärger und folgen den Marineros ohne Diskussion an den uns zugewiesenen Platz am Ponton »L«. Bald sind unsere Leinen sauber belegt und aufgeschossen. Unser erster Weg führt naturgemäß zum Büro des Hafenmeisters. Dort warten Segler aus aller Herren Länder geduldig in einer langen Schlange, darunter natürlich der Finne. Wir ziehen die Nummer 58. Derzeit wird Nummer 99 abgefertigt. Man sagt uns, das zehn Nummern so um die eine Stunde dauern… Tadellöser und Wolff. Die Szene, wie die zwei sympathischen Jungs hier tonnenweise Papierkram und gleichzeitig den gesamten UKW »traffic« (siehe oben, nur mit höheren Wartenummern) bändigen erspare ich Euch jetzt. Sehenswert, hörenswert, urkomisch. Um 19.00 sind wir einklariert. »Penne al Arrabiata« und dann ab ins Bett.


Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / Las Palmas / Gran Canaria / Spanien


1 - Delphine in der Bugwelle
3 Delphine

2 - Und hier der dazugehörige echte Delphin Film!

3 - Gegen den Strom. Über 200 »ARC« Teilnehmer auf unserem AIS Plotter. Oben die Hafeneinfahrt von Las Palmas.
Gegen den Strom


011 - PLAYA DE LAS CONCHAS

Hallo Ihr Lieben!

Es gibt nicht viel zu berichten. Zur Übung und der Vollständigkeit halber, will ich (M) es trotzdem versuchen…

Seit bald einem Monat treiben wir uns um und auf La Graciosa herum, entweder im Hafen von »Caleta de Sebo«, oder am Ankerplatz vor der »Playa Francesa«. Wir üben uns im Nichtstun. Alte und neue Freunde kommen und gehen. Zahllose »Cortados Largos« an knusprigen Croissants begleiten lange Gespräche im Stammcafé an der Uferpromenade. Es geht um dies und das, den Lebensentwurf, DIE Yacht, um »Open CPN« oder sogar »Iridium« auf dem »Raspberry Pie«, um Histamine, die Nordwestpassage von Ost nach West, oder von West nach Ost, also um Alles.

So vergehen die Tage wie im Flug. Nach dem unvermeidlichen Morgencafé könnte man irgendetwas am Boot basteln? Z.B. Ankerkasten spülen? Oder wäre ein langer Spaziergang, zum Beispiel zur romantischen »Playa de las Conchas« im Nordwesten der Insel nicht reizvoller? Die Wahl fällt nicht schwer. 3 - 5 Stunden im Wind und über Strand und Stock und Stein blasen das Gehirn gut durch, bringen gesunden Appetit und machen den langen Mittagsschlaf zu einer wohl verdienten Belohnung. Dann der Nachmittagstee (Earl Grey) an Bord, nebst ziellosem Rühren im Internet, eines der Laster, die wir noch nicht ablegen konnten. Das hochfrequente Flimmern der Weltnachrichten hat etwas unbefriedigendes, belastendes. Lesen. Richtig lesen. Etwas richtiges lesen. Das wäre es. Aber woher die Zeit dafür nehmen? Gleich geht die Sonne unter und ein qualitätvolles Abendessen herzurichten braucht seine Zeit, gerade wenn man noch Gäste erwartet… Gitarre spielen? Spanisch lernen? Roman schreiben? Wann denn? Ihr seht: Es geht uns gut. Langeweile? Nie.

»Zoomed out«. So fühlt es sich an. Kaum noch e-mails im Eingang. Die eigene Bedeutung sinkt gegen null, dort wo sie hingehört. Das befreit. Komischerweise müssen wir uns daran gewöhnen. Nicht nervös werden, wenn andere hastig weiterziehen. Zeit ist Reichtum, den kaum jemand kennt. Was könnte man alles damit anfangen? Lässt sich ein sinnvoller Tagesablauf planen? Alles raus, was stört und krank macht, stattdessen rein, was klug und glücklich macht? Das wollen wir versuchen. Ein Experiment mit offenen Enden.

Vereinfachung scheint einer der Schlüssel zu sein. Weniger ist mehr. Ein größeres, bequemeres Boot, irgendwann? So gesehen wohl die falsche Richtung. Die Reibungsverluste würden stören und krank machen. Sophie, Claas und Baby Daphne laufen ein. Sie fahren ein richtiges »piece«, die »Hera«, eine vergleichsweise kleine A&R Yawl aus den 50er Jahren, Holz auf Holz. Es ist selten, das ich (M) mal voll Neid auf ein anderes Boot blicke. »Architektur« ist, wenn man nichts hinzufügen und nichts entfernen kann, ohne alles zu zerstören. Henry Rasmussen ist das bei diesem Boot gelungen.

Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA / Playa Francesa / La Graciosa / Spanien


1 - B am Strand / Playa de Las Conchas - La Graciosa
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2 - Playa de Las Conchas - La Graciosa
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3 - Landart auf La Graciosa
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4 - Die schwarze Wand von Lanzarote - Nach starken Regenfällen nun dunkelgrün.
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5 - Sophie, Claas und Daphne in der Hafeneinfahrt. »Hera«, ein »piece« von Henry Rasmussen zwischen zwei stählernen Großplastiken von César Manrique / Caleta de Sebo, La Graciosa
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6 - B bestaunt die »Hera«. Der Fender am Bug ist evtl. nicht original?
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7 - Playa de Las Conchas, La Graciosa / Ein Film von B und M