SY VERA

Into the screaming 50th: A voyage to Tierra del Fuego and Cape Horn

033 - DER BEAGLE KANAL UND RUND KAP HOORN

Hallo Ihr Lieben!

Am zweiten Januar ziehen wir im Morgengrauen den Anker aus dem gut haltenden Grund der Bahia Buen Suceso. Es wird Zeit, den Sack zu zu machen. Bei Flaute und leicht südsetzender Strömung passieren wir Capo Buen Suceso und halten unter Maschine auf den Beagle Kanal zu. Gegen Mittag, wir spielen eben mit dem Gedanken die kommende Nacht in Puerto Español in der berühmten Bahia Aguirre zu verbringen, kommt Wind auf. SE sechs, in Böen sieben, sehr ungewöhnlich, und leider direkt in »unsere« Ankerbucht hinein. Also weiter, vor allem, wenn es so leicht geht, wie heute. Vier Stunden später stehen wir vor dem Eingang zum Beagle Kanal. Ein erhebender Augenblick. Die VERA segelt in geschichtsträchtigen Gewässern. Keine 60 Seemeilen trennen uns noch von Kap Hoorn, dem Kap der Stürme. Das Wetter passt. Wir könnten es runden, jetzt. Doch leider müssen wir zunächst nach Ushuaia, der »südlichsten Stadt der Welt«, um dort aus Argentinien auszuklarieren. Von dort müssen wir nach Puerto Williams in Chile zum einklarieren. Und erst dann können wir dort ein »Zarpe«, also eine Genehmigung für Kap Hoorn beantragen… Die Welt im Jahre 2018.

Chile und Argentinien tragen hier unten eine Art Kleinkrieg um einige auf den ersten Blick wertlose, felsige Inselchen aus, den kein Aussenstehender ohne näheres Nachforschen versteht: Nach der beinahe zeitgleichen Gründung und Unabhängigkeitserklärung beider Nationen meinten beide Seiten, das weitgehend unbewohnte Patagonien von Spanien übernommen zu haben. Nach verlustreichen kriegerischen Auseinandersetzungen wurde in einem 1881 geschlossenen Vertrag dem militärisch überlegenen Chile die alleinige Kontrolle über die Gebiete beiderseits der Magellan Straße zugesichert. Dies war für den stark auf Europa ausgerichteten Chilenischen Handel überlebenswichtig. Gewisse, weniger bedeutsame, »wertlose« Gebiete Patagoniens und einen Teil der Insel Feuerland beließ man unter Argentinischer Hoheit, wohl auch um dem unterlegenen Gegner die Gelegenheit zur Gesichtswahrung vor der Öffentlichkeit zu geben. Das Ergebnis können wir jetzt auf dem UKW Funk erleben. Alle paar Meilen müssen wir (und alle anderen Schiffe) abwechselnd der Argentinischen und der Chilenischen Marine unsere Lebensläufe buchstabieren. Auf Spanisch.

Noch vor Sonnenuntergang erreichen wir kurz vor Mitternacht die nächste gut geschützte Ankerbucht: Die Enseada Relegada, gleich neben der berühmten Estancia Harberton. BOUNCE geht zu Wasser, wir rudern an Land, und betreten das erste mal den Boden Feuerlands. Drei Tage lang erkunden wir die Gegend, vertreten uns die rostigen Seglerbeine, und atmen die Atmosphäre am Beagle Kanal, dem Ende der Welt. Die Estancia Harberton, die 1886 von dem Geistlichen Thomas Bridges und seiner Frau Mary Ann Varder (die aus Harberton in Devon stammte) gegründet wurde, wäre alleine einen ganzen Newsletter wert. B und ich lunchen zweimal auf der ehrwürdigen Estancia, nehmen an einer Führung teil, trinken Café, essen Rhabarberkuchen und schmökern in alten Artikeln und Büchern über Feuerland und seine Ureinwohner. Thomas Bridges Wörterbuch der Yaghan Sprache ist ein faszinierendes Dokument, das vieles widerlegt, was gemeinhin über Kultur und Sprache der Ureinwohner Feuerlands überliefert ist, darunter auch Charles Darwins erschreckend hochnäsigen Ansichten über die Primitivität der seinerzeit hier ansässigen Stämme.

Am sechsten Januar machen wir uns auf den Weg nach Ushuaia. Bei absoluter Flaute motoren wir die knapp 40 Seemeilen den Beagle Kanal hinauf. Schon von weitem erkennt man die überraschend große Ausdehnung der kleinen »südlichsten Stadt der Welt« am Fusse der schneebedeckten Anden. Die Lage der beiden Yachtclubs im großen Hafen ist ein wenig unübersichtlich. Onkel Hensoldt muss ran. Durch das Glas erkennen wir die beiden hohen Masten des berühmten Schoners WINDROSE OF AMSTERDAM. Sie liegt (wie wir vom AIS wissen) im Yachtclub AFASYN an der Pier. Die DANDELION, die uns wegen eintreffenden Besuches aus England in der Zwischenzeit überholt hat, liegt auch dort. Das ist fein, denn dort können wir einfach längsseits gehen. Bald sind unsere Leinen fest und sofort sind wir unter Freunden und fühlen uns angekommen. Das noch am selben Abend fällige Einklarierungsprozedere in Ushuaia erspare ich Euch an dieser Stelle. Zen.

Eine gut gelungene Woche verbringen wir in der kleinen, rustikalen Stadt mit diversen Behördengängen, Einkäufen, Diesel bunkern, erstklassige Steaks essen, dazu Kaffee und Kuchen im »
Ramos Generales«. An den meisten Tagen wehte es hart aus West, oder Nord, was wegen des regelmäßigen Kommens und Gehens im Yachtclub ständige Aufmerksamkeit bei der Bedienung von Leinen und Fendern erforderte. Ushuaia hat etwas von einem im Tal gelegenen Skiort in den Alpen, und in der Tat wird im nahe gelegenen Skigebiet den ganzen Winter über Ski gefahren. Mondäne Hotels, gute Restaurants, günstige Pensionen, zahlreiche Ausrüstungsläden mit allem, was gut und teuer ist. Es wird viel englisch gesprochen und französisch, von wilden Kerlen mit Bärten und Kletterschuhen und Holzfällerhemden, oder auch von Kreuzfahrttouristen mit viel Gore Tex und Rollkoffern. Sie fahren von hier aus in die Antarktis, das ganz große Abenteuer. Auf dem UKW hören wir den Kapitän des französischen Superschlittens LE LYRIAL den Kapitän der BREMEN um eine exklusive Schiffsbesichtigung für sich und seinen ersten Offizier bitten. Wahrscheinlich wollen sie auf dem alteingesessenen Hapag Lloyd Schiff spionieren…

Beim Abklappern der Werkstätten lernen wir die Stadt noch besser kennen. Am ersten Januar, pünktlich zum neuen Jahr, hat uns nämlich unsere auf den Kanaren neu eingebaute Eberspächer Heizung verlassen. Fehler 20. Das war kalt. Eine sehr schmerzhafte, komplette Demontage und Analyse ergibt, das der unzerstörbare, extrem robuste und für mindestens 20 servicefreie Jahre ausgelegte Vorglühstift den Geist aufgegeben hat. Die VERA schleppt seit Jahren tausende von Ersatzteilen mit. Dieses nicht. Ein Spezialist für Standheizungen in dieser gut gekühlten Stadt? Gibt es nicht. Im Bootsbedarf? Bei Toyota? Bei Mercedes? Bei VW? Beim allgemeinen Autozubehör? Fehlanzeige. Also bestellen und liefern lassen? Nach tagelanger Recherche verwerfen wir diesen Gedanken. Eberspächer hat keine Vertretung in Argentinien und es ist unmöglich, Teile aus Europa, oder den USA in Argentinien in die Finger zu bekommen. Sie werden in Buenos Aires beim Zollamt eingelagert. Für immer. Argentinien: Ein reiches Land, das von seinen korrupten Eliten bis zur Kreditunwürdigkeit ausgebeutet wurde. Der kleine argentinische Händler ist seitdem vom Welthandel abgeschnitten, ein Umstand unter dem das ganze Land sehr sichtlich leidet. Wir klarieren aus (nicht ganz so schlimm, man verfügte diesmal über Blaupapier) und verlassen den windigen und kalten Hafen gen Chile. Auf nach Puerto Williams, dem »südlichsten Dorf der Welt«.

Draussen im Beagle Kanal kommt uns die romantische
Dreimastbark EUROPA entgegen, soeben aus der Antarktis zurück, leider wegen des frischen Gegenwindes unter Maschine. Ein wirklich schönes, stolzes Schiff auf dem sonst auch noch anständig gesegelt wird. Ein großartiger Anblick vor schneebedeckten Bergen. Sechs Stunden später liegen wir in Puerto Williams sicher an einer Mooring, gleich hinter der DANDELION, fahren mit BOUNCE an Land und beginnen mit den Behördengängen. Prefectura Naval, Immigration, Zoll, Gesundheitsbehörde, wieder Prefectura Naval. Die Beamten sind überall ausgesprochen nett, aber der Papierkrieg steht dem in Argentinien in nichts nach. Immerhin: Wir dürfen, zunächst für drei Monate, in Chile bleiben.

In den nächsten Tagen erlaufen wir uns das Dorf, unternehmen eine harte Wanderungen (»Mudding«) ins Innere der Insel Navarino, trinken Café, essen Pizza und prüfen das Angebot in den drei kleinen Minimärkten vor Ort. Das ist nicht ganz unwichtig, da wir hier demnächst für drei bis vier Monate Wildnis bunkern müssen. Vor allem wegen des hier vorhandenen Stromanschlusses (Heizlüfter! Herrlich.) verlegen wir die VERA bald in eines der »Päckchen«, längsseits neben anderen Yachten, an der berühmten MICALVI. Der 1925 in Stettin aus Eisen gebaute Dampfer ist seit langem das Hauptquartier des »südlichsten Yachtclubs der Welt«. Die Bar an Bord genoss einst einen Ruf wie Donnerhall, das unsterbliche »Watering hole« der Antarktisfahrerszene. Leider ist sie nicht mehr. Niemand weiss so genau, was geschehen ist, aber die Chilenische Marine, die Eigentümer des Dampfers ist, duldet den Betrieb seit einigen Jahren nicht mehr. Das ist sehr, sehr schade und bringt uns mindestens um diverse köstliche »Pisco Sour«, die wir hier im Auftrag von Freunden verbechern wollten. Aber auch so ist es nett zwischen den anderen Yachten im Päckchen. Es ist alles dabei: Private Millionenyachten, große und kleine Expeditionsschlitten aus Alu oder Stahl, billige Bavarias, winzige, geteerte Aussteigeryachten mit hölzernen Spieren und Tauwerk aus Hanf, unter dem Kommando von langbärtigen Kapitänen. Ein bunt gemischtes Volk aus aller Welt voll abenteuerlicher Geschichten. Und Ratschlägen. Manche davon könnten sich bezahlt machen, »falls« wir in der nächsten Saison wieder hier sind, um das absolute Traumziel unter die Segel zu nehmen: Ein Törn in die Antarktis. Doch vorerst wartet noch ein anderer Job auf die VERA:
Rund Kap Hoorn.

Eine gute Woche lang warten wir auf ein passendes Wetterfenster. Sobald man die offizielle Genehmigung (»Zarpe«) der chilenischen Armada für eine Fahrt nach Kap Hoorn in der Hand hat (Zen), belagert man es normalerweise eine Zeitlang, buchtelt sich in Etappen heran, und verbringt die Nächte auf windigen Ankerplätzen mit viel Kelp und vielen Landleinen. »Unser« Wetterfenster ist insofern einmalig, als das es uns in zwei harten Tagen (und Nächten) gegen den Uhrzeigersinn durch die berüchtigte Bahia Nassau und einmal rund um die Archipele Islas Wollaston und Hermenite, um Kap Hoorn und zurück nach Puerto Williams bringen kann, immer vor dem Wind, der mit einem durchziehenden moderaten Tief passend mit uns herumdreht. Kap Hoorn im Handstreich, sozusagen. Diesen Plan setzen wir dann auch um. Nicht sehr bequem, zugegeben, aber: Ab dem Ausgang des »Paso Mantellero« jagen wir vor einem starken Westwind bei ehrfurchtgebietender Dünung knapp 30 Seemeilen im Südpazifik auf Kap Hoorn zu, und passieren es so wie es sich gehört: Bei Kälte, peitschendem Regen, heulendem Wind und schlechter Sicht. Zurück im Südatlantik biegen wir links ab und segeln bei raumendem und abschwächendem Wind zurück in den Beagle Kanal, den wir des Nachts bei absoluter Flaute bis Puerto Williams hinaufmotoren. Warum rund Kap Hoorn? Weil es da ist. Wer mehr lesen möchte, der klicke hier:
https://floatmagazin.de/orte/dem-teufel-ein-ohr-absegeln/

Es ist sicher zu früh für uns, ein Fazit zu ziehen zum segeln in den höheren Breiten. Jawohl, es ist kalt hier, und windig. Die hohen, schneebedeckten Berge aber stehen da, wie gemalt. Die vielen Tiere, Bieber, Wildpferde, Vögel, Delphine und Robben, die klare, blitzsaubere Luft, die langen Tage, die ein ganz einmaliges Licht und lange, farbenprächtige Dämmerungen bringen, fühlen sich gesund an. Die für uns ungewohnt kühlen Tage machen aktiv und sorgen für klare Gedanken. Lange Wanderungen putzen den Kreislauf durch. Sehr anregend auch die Seglerszene hier. Interessante Menschen, mit interessanten Biographien. Einige haben Zeit für uns, können sich einlassen auf einen offenen Gedankenaustausch. Das tut gut.

Unsere Glühkerze ist bestellt und per Post aus D auf dem Weg nach Chile. Sobald wir sie in der Hand haben (18 Werktage Laufzeit nach Santiago?) und die Heizung wieder läuft, werden wir uns aufmachen, gen Norden, nach Puerto Montt, wo wir den Winter verbringen wollen. 1.200sm Wildnis liegen vor uns, durch die Kanäle Chiles, die raue Inselwelt auf der Pazifikseite Patagoniens. Drei Monate Kälte, prasselnder Regen, heulender Nordwind ohne jede Versorgungsmöglichkeit, durch eine Landschaft für Feen und Elfen, die jede Mühe wert sein soll. Wir sind gespannt.


Herzliche Grüße an Alle von B und M / SY VERA / Puerto Williams / Isla Navarino / Chile



1 - Es ist geschafft: Der Eingang zum Beagle Kanal vor dem Bug der VERA.
Eingang Beagle Kanal

2 - VERA in der Bahia Relegada / Estancia Harberton.
VERA in der Bahia Relegada

3 - B betritt die Insel Feuerland.
Britta betritt Feuerland

4 - Altes Holz auf Feuerland.
Altes Holz Harberton

5 - Estancia Harberton, Feuerland.
Estancia Harberton Zeichnung

6 - Wilde Pferde unweit der Bahia Relegada.
Pferde in Harberton

7 - Pinguine am Beagle Kanal.
Pinguine

8 - Voraus Ushuaia, die »südlichste Stadt der Welt«.
Ushuaia voraus

9 - Onkel Hensoldt mit M.
Hensoldt

10 - VERA mit Artgenossen im »Yachtclub« AFASYN in Ushuaia.
VERA in Ushuaia

11 - Die Bark EUROPA begegnet uns im Beagle Kanal.
Bark Europa

12 - VERA im »Päckchen« an der MICALVI in Puerto Williams, einem 1925 in Stettin gebauten Dampfer. Das kleine weisse Boot am Bug der MICALVI ist eine J-24, ein Schwesterschiff unseres vorherigen Bootes MIA WALLACE.
Micalvi

13 - Das Ankerspill am Bug der MICALVI.
Ankerwinde Micalvi

14 - B und Kap Hoorn.
B am Kap Hoorn

15 - Seekarte Beagle Kanal und Kap Hoorn. Im Beagle Kanal seht Ihr die AIS Kennung diverser Kreuzfahrtschiffe, die von hier aus in die Antarktis fahren.
Beagle Kanal und Kap Hoorn Karte