006 - VON GIBRALTAR NACH MADEIRA
02/09/16 00:00 Gibraltar
Liebe Freunde!
01.09.2016 - 08.30: Sobald die Sperrkette der Queensway Quay Marina offen ist, die ein Ein- oder Auslaufen in der Nacht verhindert, verlassen wir Gibraltar und laufen mit gemischten Gefühlen zunächst nur unter Genua in Richtung »Ende der Welt«. Vor vier Stunden war Hochwasser, also sind wir etwas spät dran. Das Wasser brodelt dann auch hier und dort wie in einem Hexenkessel, Wind gegen Strom. Kein Wunder, das die Altvorderen hier normalerweise nicht hindurch wollten, und schon gar nicht bei starkem Ostwind. Da gab es womöglich keine Wiederkehr…
Die »VERA« und ihre Crew dagegen passieren zwei Stunden später guten Mutes den Ausgang der Meerenge in den Atlantik und den Leuchtturm von Tarifa, den südlichsten Punkt des Europäischen Festlandes. Dahinter liegt der viele Kilometer lange Strand, und dahinter die urwüchsige Ortschaft, die womöglich schon zur Zeit der Neandertaler gegründet wurde. Hier war in den 70er den 80er Jahren der »place to be« für Stehsegler, und vielleicht ist er es heute noch. Wer irgend konnte kam ständig hierher, so auch mein (M‘s) Bruder Carsten, mit ein paar Freunden und seinem altersschwachen, mit »Fanatic« Aufklebern dekoriertem VW Bulli, der unter einem Stapel von »Sinkern« auf dem selbstgeschweißten Dachgepäckträger ächzte. Nur 14 km sind es von Tarifa nach Afrika. Manche Helden schafften es bei Starkwind in zwei Stunden hin und zurück. Heute ist niemand draußen, trotz des knackigen Ost. Wohl noch zu früh am Tag.
Wir messen inzwischen Ostwind mit 35kn über Deck, in Böen mehr, Beaufort 8. Der Seegang legt auch zu, zum Glück von achtern. Steuerbord querab liegt Kap Trafalgar, wo 1805 die Seeschlacht stattfand, die Großbritanniens Aufstieg zur Weltmacht möglich machte. Vor meinem »Hensoldt 7x50« liegen dort drüben in Sichtweite die beiden Geschwader ineinander verkeilt. 27 Englische gegen 33 Französische und Spanische »Sail of the line«, ein Wald von Masten und Segeln, der aus dem wabernden Pulverdampf ragt. Breitseiten rollen, wie Donner in einem schweren Gewitter. Keine 10 Meilen von hier durchschlug eine Musketenkugel Admiral Nelson‘s Schulter und Rückenmark… Just in diesem Augenblick hören auch wir das Knattern einer Salve, aber bei uns an Bord! Blitzschnell springt mein Admiral ans Ruder und kann gerade noch verhindern, das wir versehentlich halsen. Die Kupplung des Autopilotenantriebes hat aufgegeben. Ausgerechnet jetzt, bei dem Eiertanz. Kopfüber, mit dem Oberkörper in der gurgelnden Achterpiek neben der pendelnden Ruderanlage steckend, baue ich den »Rotary drive« aus und nehme ihn zur Demontage mit in die Pantry. Das Problem ist in der Tat die Kupplung. Die Zahnrädchen des Planetengetriebes hat es zerrissen. Kein Wunder, denn die sind aus Plastik. Ein Wunder, das die Dinger allein unter unserem Kommando über 50.000sm gehalten haben… Zum Glück hatten wir seinerzeit in Neuseeland für Ersatz gesorgt, sogar aus Metall. Aber wo ist das Zeug gestaut? Der Admiral räumt zwei Stunden und findet sie unter dem neuen Dieseltank (?). Ich (M) benötige dann nochmals gute zwei gute Stunden für die Montage, weil ich alles zweimal machen muss. Hab‘ die neuen Zahnrädchen nämlich zunächst falsch herum eingebaut. Sch… Endlich ist es getan. Mit neuem Mut und funktionierendem Autopiloten jagen wir in die mondlose Nacht. Die »VERA« segelt wieder im Atlantik.
Der neue Tag bringt grau verhangene Himmel, sehr wenig Wind von hinten und alten Schwell aus Ost und Nord, der die Segel nervtötend Schlagen und Klappern lässt. Einen »Genacker« versuchen wir nicht. Zu feige und zu faul. Die bewährte Kombination aus Groß und nach Luv ausgebaumter Genua zieht soeben noch ausreichend. Bei Windwinkeln um die 160 Grad bildet sich gelegentlich eine halbwegs saubere Anströmung beider Segel, die das Boot überraschend gut laufen lässt, und die Rollbewegungen spürbar dämpft.
Mit der erwarteten Winddrehung auf NNW am dritten Tag kehrt die beglückende Bordroutine zurück. Bei leicht zunehmendem halbem Wind um die 10kn fühlt sich die »VERA« pudelwohl. Kurs um die 250 Grad. Wann wir ankommen, oder wo, ist nicht mehr wichtig. Lesen, Gitarre spielen, spleißen und andere kleine Basteleien machen die Zeit zwischen den ausgiebigen Mahlzeiten zu einem echten Vergnügen. Nur ein wenig Sonnenschein fehlt zum puren Glück. Die Solarpaneele bringen unter der dichten Wolkendecke wenig, und auch die Windgeneratoren wollen nicht so recht. So bleibt nicht viel anderes übrig, als abends jeweils für eine halbe Stunde die Maschine laufen zu lassen, um die Batterien für die Nacht zu laden. Erstaunlich, wie sehr der Lärm nervt, wenn man sich erst einmal an die Ruhe und das entspannte Gluckern der Bugwelle gewöhnt hat. Schiffe gibt es wenige hier, auch nicht auf dem AIS. Wir segeln wohl weitgehend abseits der Dampferlinien.
Porto Santo liegt nun 165 Meilen voraus. Ölige Flaute unter bleigrauem Himmel, hoher Seegang. Erst einmal den Morgentee trinken und abwarten… 10 - 12 Knoten aus NNW bringen später unerwartet erfreuliches Segeln, trotz der nach wie vor dichten Bewölkung. Angenehm: Die langen Dünung des Atlantiks, die so ganz anders ist, als die anstrengende Hackelwellen des Mittelmeeres.
Wieder Nacht: Flaute und ständige Winddrehungen machen die Wachen nervig. Eine Entschädigung ist die hell leuchtende Schleppe im Kielwasser der »VERA«. Starkes Meeresleuchten. Ein Eindruck, der in seiner Eleganz schwer zu beschreiben ist. Der Morgen empfängt uns grau in grau, kein Strahl Sonne, wie gehabt. Wir bergen den Spibaum und nehmen endgültig Kurs auf Madeira. Noch 40 Meilen… Der Landfall kommt dann einigermaßen unspektakulär. Die Sicht ist schlecht. Erst im Abstand von 20 Meilen schälen sich Porto Santo, die Ilhas Desertas und schließlich Madeira aus dem Dunst, was unserer guten Laune aber keinen Abbruch tut. Zeit für eine ausgiebige warme Dusche und Eier mit rösch gebratenem Speck. Zwei Stunden später sind wir da. Auf Kanal 9 des UKW Funks genehmigt man uns eine Woche in der luxuriösen Quinta do Lorde Marina. Ein netter Marinero hilft beim Einparken. 621 Seemeilen in 4,5 Tagen, davon insgesamt 13,2 unter Maschine. Nicht ganz verkehrt, bei so wenig Wind. Die ersten Schritte an Land. Dann die Filetsteaks aus dem Kühlschrank an Bord mit Süßkartoffeln, dazu ein großes Bier, danach Tiefschlaf. Madeira? Bericht folgt.
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA /
1 - Gibraltar nach Madeira

2 - Der Leuchtturm von Tarifa

3 - Landfall Madeira

Oui! Oui! Oui!
01.09.2016 - 08.30: Sobald die Sperrkette der Queensway Quay Marina offen ist, die ein Ein- oder Auslaufen in der Nacht verhindert, verlassen wir Gibraltar und laufen mit gemischten Gefühlen zunächst nur unter Genua in Richtung »Ende der Welt«. Vor vier Stunden war Hochwasser, also sind wir etwas spät dran. Das Wasser brodelt dann auch hier und dort wie in einem Hexenkessel, Wind gegen Strom. Kein Wunder, das die Altvorderen hier normalerweise nicht hindurch wollten, und schon gar nicht bei starkem Ostwind. Da gab es womöglich keine Wiederkehr…
Die »VERA« und ihre Crew dagegen passieren zwei Stunden später guten Mutes den Ausgang der Meerenge in den Atlantik und den Leuchtturm von Tarifa, den südlichsten Punkt des Europäischen Festlandes. Dahinter liegt der viele Kilometer lange Strand, und dahinter die urwüchsige Ortschaft, die womöglich schon zur Zeit der Neandertaler gegründet wurde. Hier war in den 70er den 80er Jahren der »place to be« für Stehsegler, und vielleicht ist er es heute noch. Wer irgend konnte kam ständig hierher, so auch mein (M‘s) Bruder Carsten, mit ein paar Freunden und seinem altersschwachen, mit »Fanatic« Aufklebern dekoriertem VW Bulli, der unter einem Stapel von »Sinkern« auf dem selbstgeschweißten Dachgepäckträger ächzte. Nur 14 km sind es von Tarifa nach Afrika. Manche Helden schafften es bei Starkwind in zwei Stunden hin und zurück. Heute ist niemand draußen, trotz des knackigen Ost. Wohl noch zu früh am Tag.
Wir messen inzwischen Ostwind mit 35kn über Deck, in Böen mehr, Beaufort 8. Der Seegang legt auch zu, zum Glück von achtern. Steuerbord querab liegt Kap Trafalgar, wo 1805 die Seeschlacht stattfand, die Großbritanniens Aufstieg zur Weltmacht möglich machte. Vor meinem »Hensoldt 7x50« liegen dort drüben in Sichtweite die beiden Geschwader ineinander verkeilt. 27 Englische gegen 33 Französische und Spanische »Sail of the line«, ein Wald von Masten und Segeln, der aus dem wabernden Pulverdampf ragt. Breitseiten rollen, wie Donner in einem schweren Gewitter. Keine 10 Meilen von hier durchschlug eine Musketenkugel Admiral Nelson‘s Schulter und Rückenmark… Just in diesem Augenblick hören auch wir das Knattern einer Salve, aber bei uns an Bord! Blitzschnell springt mein Admiral ans Ruder und kann gerade noch verhindern, das wir versehentlich halsen. Die Kupplung des Autopilotenantriebes hat aufgegeben. Ausgerechnet jetzt, bei dem Eiertanz. Kopfüber, mit dem Oberkörper in der gurgelnden Achterpiek neben der pendelnden Ruderanlage steckend, baue ich den »Rotary drive« aus und nehme ihn zur Demontage mit in die Pantry. Das Problem ist in der Tat die Kupplung. Die Zahnrädchen des Planetengetriebes hat es zerrissen. Kein Wunder, denn die sind aus Plastik. Ein Wunder, das die Dinger allein unter unserem Kommando über 50.000sm gehalten haben… Zum Glück hatten wir seinerzeit in Neuseeland für Ersatz gesorgt, sogar aus Metall. Aber wo ist das Zeug gestaut? Der Admiral räumt zwei Stunden und findet sie unter dem neuen Dieseltank (?). Ich (M) benötige dann nochmals gute zwei gute Stunden für die Montage, weil ich alles zweimal machen muss. Hab‘ die neuen Zahnrädchen nämlich zunächst falsch herum eingebaut. Sch… Endlich ist es getan. Mit neuem Mut und funktionierendem Autopiloten jagen wir in die mondlose Nacht. Die »VERA« segelt wieder im Atlantik.
Der neue Tag bringt grau verhangene Himmel, sehr wenig Wind von hinten und alten Schwell aus Ost und Nord, der die Segel nervtötend Schlagen und Klappern lässt. Einen »Genacker« versuchen wir nicht. Zu feige und zu faul. Die bewährte Kombination aus Groß und nach Luv ausgebaumter Genua zieht soeben noch ausreichend. Bei Windwinkeln um die 160 Grad bildet sich gelegentlich eine halbwegs saubere Anströmung beider Segel, die das Boot überraschend gut laufen lässt, und die Rollbewegungen spürbar dämpft.
Mit der erwarteten Winddrehung auf NNW am dritten Tag kehrt die beglückende Bordroutine zurück. Bei leicht zunehmendem halbem Wind um die 10kn fühlt sich die »VERA« pudelwohl. Kurs um die 250 Grad. Wann wir ankommen, oder wo, ist nicht mehr wichtig. Lesen, Gitarre spielen, spleißen und andere kleine Basteleien machen die Zeit zwischen den ausgiebigen Mahlzeiten zu einem echten Vergnügen. Nur ein wenig Sonnenschein fehlt zum puren Glück. Die Solarpaneele bringen unter der dichten Wolkendecke wenig, und auch die Windgeneratoren wollen nicht so recht. So bleibt nicht viel anderes übrig, als abends jeweils für eine halbe Stunde die Maschine laufen zu lassen, um die Batterien für die Nacht zu laden. Erstaunlich, wie sehr der Lärm nervt, wenn man sich erst einmal an die Ruhe und das entspannte Gluckern der Bugwelle gewöhnt hat. Schiffe gibt es wenige hier, auch nicht auf dem AIS. Wir segeln wohl weitgehend abseits der Dampferlinien.
Porto Santo liegt nun 165 Meilen voraus. Ölige Flaute unter bleigrauem Himmel, hoher Seegang. Erst einmal den Morgentee trinken und abwarten… 10 - 12 Knoten aus NNW bringen später unerwartet erfreuliches Segeln, trotz der nach wie vor dichten Bewölkung. Angenehm: Die langen Dünung des Atlantiks, die so ganz anders ist, als die anstrengende Hackelwellen des Mittelmeeres.
Wieder Nacht: Flaute und ständige Winddrehungen machen die Wachen nervig. Eine Entschädigung ist die hell leuchtende Schleppe im Kielwasser der »VERA«. Starkes Meeresleuchten. Ein Eindruck, der in seiner Eleganz schwer zu beschreiben ist. Der Morgen empfängt uns grau in grau, kein Strahl Sonne, wie gehabt. Wir bergen den Spibaum und nehmen endgültig Kurs auf Madeira. Noch 40 Meilen… Der Landfall kommt dann einigermaßen unspektakulär. Die Sicht ist schlecht. Erst im Abstand von 20 Meilen schälen sich Porto Santo, die Ilhas Desertas und schließlich Madeira aus dem Dunst, was unserer guten Laune aber keinen Abbruch tut. Zeit für eine ausgiebige warme Dusche und Eier mit rösch gebratenem Speck. Zwei Stunden später sind wir da. Auf Kanal 9 des UKW Funks genehmigt man uns eine Woche in der luxuriösen Quinta do Lorde Marina. Ein netter Marinero hilft beim Einparken. 621 Seemeilen in 4,5 Tagen, davon insgesamt 13,2 unter Maschine. Nicht ganz verkehrt, bei so wenig Wind. Die ersten Schritte an Land. Dann die Filetsteaks aus dem Kühlschrank an Bord mit Süßkartoffeln, dazu ein großes Bier, danach Tiefschlaf. Madeira? Bericht folgt.
Mit herzlichen Grüßen an Alle von B und M / SY VERA /
1 - Gibraltar nach Madeira

2 - Der Leuchtturm von Tarifa

3 - Landfall Madeira

Oui! Oui! Oui!